Ich habe sie geliebt
Das dachte Chloé zumindest - bis er sie und die Kinder ins Ferienhaus der...
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Das dachte Chloé zumindest - bis er sie und die Kinder ins Ferienhaus der Familie mitnimmt.
Vom neuen Star der französischen Literatur.
Ich habesie geliebt von Anna Gavalda
LESEPROBE
Als wir in der Schlange vor der Kasse standen, gestandmir mein Schwiegervater, daß er seit über zehn Jahren keinen Fuß mehr in einenSupermarkt gesetzt hat.
Ich dachte an Suzanne.
Stets ganz allein hinter ihrem Einkaufswagen. Stets ganzallein, überall.
Nachdem sie ihre Nuggets bekommen hatten, spielten dieMädchen in einer Art Käfig mit bunten Kugeln. Ein junger Mann hatte siegebeten, ihre Schuhe auszuziehen, und ich hielt Lucies gräßliche Turnschuhe »You'rea Barbie girl!« auf dem Schoß.
Das Schlimmste war dieser angedeutete durchsichtige Absatz.
»Wie konntest du nur so etwas Grauenhaftes kaufen?«
»Es macht ihr soviel Freude. Ich versuche, bei der neuenGeneration nicht wieder die gleichen Fehler zu machen. Wie hier dieser Laden.Nie im Leben wäre ich mit Christine und Adrien hierhergegangen, wenn es vordreißig Jahren möglich gewesen wäre. Niemals! Und warum, frage ich mich heute,warum habe ich ihnen dieses Vergnügen vorenthalten? Was hätte es mich schließlichgekostet? Ein paar Minuten in den sauren Apfel zu beißen? Was sind schon diepaar Minuten, ver-
glichen mit den strahlenden Gesichtern deiner Mädchen?«
»Ich habe alles genau falsch herum gemachte, fügte er kopfschüttelndhinzu, »und sogar dieses dumme Sandwich halte ich verkehrt herum, oder?«
Er hatte die Hosen voller Mayonnaise. »Chloe?«
«Ja.«
»Ich möchte, daß du etwas ißt. Entschuldige, daß ich mit dirrede wie Suzanne, aber du hast seit gestern nichts mehr gegessen.«
»Ich kann nicht.«
Er nahm sich wieder zurück.
»Wie soll man auch diesen Schweinkram hier essen?! Wer sollso was essen? He? Sag mir, wer? Niemand!« Ich versuchte zu lächeln.
»Okay, im Moment erlaube ich dir noch zu hungern, aber heuteabend ist Schluß damit! Heute abend werde ich kochen,und du wirst mir die Ehre erweisen, ist das klar?
»Jawohl.«
»Und das hier? Wie ißt man dieses Kosmonautenzeugs?«
Er zeigte auf einen undefinierbaren Salat im Plastik-Shaker.
Den Rest des Nachmittags haben wir im Garten verbracht. DieMädchen schwirrten um ihren Großvater herum, der sich in den Kopf gesetzthatte, die alte Schaukel zu reparieren. Ich saß auf den Treppenstufen vor demHaus und sah ihnen von weitem zu. Es war kalt, es war schön. Die Sonne schiendurch ihre Haare, und ich fand sie beide hübsch.
Ich dachte an Adrien. Was er wohl gerade machte?
Wo er in genau diesem Augenblick war?
Und mit wem?
Und unser Leben, wie es wohl aussehen würde?
Jeder Gedanke zog mich ein wenig mehr herunter. Ich war somüde. Ich schloß die Augen. Ich träumte, er würde kommen. Wir hörtenMotorengeräusch im Hof, er setzte sich neben mich, nahm mich in den Arm undlegte mir einen Finger auf den Mund, um die Mädchen zu überraschen. Ich spürenoch seine sanfte Berührung, seine Stimme, seine Wärme, den Geruch seiner Haut,alles ist da.
Alles ist da.
Ich brauche nur daran zu denken.
Wie lange dauert es, bis man den Geruch desjenigen vergißt,der einen geliebt hat? Und wann hört man selbst auf zu lieben?
Man reiche mir eine Eieruhr.
Das letzte Mal, daß wir uns abgeknutscht haben, hatte ichdie Initiative ergriffen. Im Fahrstuhl in der Rue de Flandre. Er hatte es mitsich geschehen lassen.
Warum? Warum hatte er sich von einer Frau umarmen lassen,die er nicht mehr liebte? Warum mir seinen Mund dargeboten? Und seine Arme?
Das macht keinen Sinn.
Die Schaukel ist repariert. Pierre wirft mir einen Blick zu.Ich drehe den Kopf weg. Ich habe keine Lust, seinem Blick zu begegnen. Mir istkalt, auf den Lippen der Rotz, und außerdem muß ich das Badezimmer vorheizen.
© 2003 Carl Hanser Verlag, München, Wien
Übersetzung: Ina Kronberger
Autoren-Porträtvon Anna Gavalda
Anna Gavalda, geboren 1970, Studium der Literatur inParis, danach Französischlehrerin bis zu ihrem schriftstellerischen Erfolg mitihrer ersten Erzählungssammlung 'Ich wünsche mir, daß irgendwo jemand auf michwartet' (Grand Prix RTL-Lire 2000), seitdem freie Autorin.
- Autor: Anna Gavalda
- 2004, 14. Aufl., 176 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ina Kronenberger
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596158036
- ISBN-13: 9783596158034
- Erscheinungsdatum: 20.10.2004
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