Der Schatten des Windes / Barcelona Bd.1
Daniel, der im grauen Barcelona der Franco-Ära aufwächst, betritt zusammen mit seinem Vater eine geheimnisvolle Bibliothek, den "Friedhof der Vergessenen Bücher". Hier darf er ein Buch auswählen. "Der Schatten des...
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Daniel, der im grauen Barcelona der Franco-Ära aufwächst, betritt zusammen mit seinem Vater eine geheimnisvolle Bibliothek, den "Friedhof der Vergessenen Bücher". Hier darf er ein Buch auswählen. "Der Schatten des Windes" ist der Titel, den er sich greift. Der Autor ist ein gewisser Julian Carax. Daniel ist fasziniert von der Geschichte, die er liest. Er macht sich auf die Suche nach dem Autor, möchte mehr wissen über diesen Menschen. Doch was als neugieriges Spiel beginnt, wird rasch zur Bedrohung: Ein Mann mit einer Ledermaske taucht auf. Er ist hinter Daniels Buch her.
Daniels Leben gerät mit den Jahren mehr und mehr in den Bann des mysteriösen Autors, von dem keiner weiß, warum jemand all seine Bücher bis aufs letzte Exemplar zu vernichten sucht. Alle Menschen, denen Daniel begegnet, auch die Frauen, in die er sich verliebt, scheinen nur Figuren in diesem großen Spiel zu sein. Sie alle haben es darauf abgesehen, Daniel in die Irre zu führen.
Und eben dadurch gerät er mitten in die abenteuerliche Handlung seines Lieblingsromans; es ist, als ob die vergangene Geschichte sich in seinem eigenen Leben wiederhole, das von den Schatten furchtbarer Ereignisse verdunkelt zu werden droht.
Vor dem Hintergrund eines gespenstisch schimmernden Barcelona inszeniert Zafón einen dicht gewobenen Spannungsroman, der jenseits aller gängigen Romangenres souverän und mit Witz eine fesselnde, packende Geschichte erzählt.
''Sie werden alles liegen lassen und die Nacht durch lesen.''Joschka Fischer in ''Lesen!''
Als der junge Daniel, von seinem Vater geführt, den geheimen "Friedhof der Vergessenen Bücher" betritt, ahnt er nicht, daß in diesem unwirklich scheinenden Labyrinth sein Leben eine drastische Wende nehmen wird. Er darf sich ein Buch auswählen, für das er allein die Verantwortung trägt. Das Buch, das er sich greift, Der Schatten des Windes von einem gewissen Julián Carax, wird ihn sein ganzes zukünftiges Leben nicht mehr loslassen.
Daniel, der allein mit seinem Vater im grauen Barcelona der Franco-Ära aufwächst, ist fasziniert von der Geschichte, die er liest. Er macht sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Autor, will wissen, wer dieser Mensch war, was ihm widerfahren ist, warum nur noch so wenige Exemplare seiner Bücher erhalten sind. Was als neugieriges Spiel beginnt, wird rasch zur Bedrohung, als ein Mann mit narbiger Ledermaske auftaucht, der hinter Daniels Exemplar her ist. Das Unheimliche bekommt beängstigend konkrete Gestalt.
Daniels Leben gerät mehr und mehr in den Bann des mysteriösen Autors, von dem keiner weiß, warum jemand all seine Bücher bis aufs letzte Exemplar zu vernichten sucht. Alle Menschen, denen Daniel begegnet, auch die Frauen, in die er sich verliebt, scheinen nur Figuren in diesem großen Spiel zu sein. Sie alle haben es darauf abgesehen, Daniel in die Irre zu führen. Aus seinem Lieblingsroman wächst ihm die Realität entgegen, und es ist, als ob die vergangene Geschichte sich in seinem eigenen Leben wiederhole, das von den
Vor dem Hintergrund eines gespenstisch schimmernden Barcelona inszeniert Zafón einen dicht gewobenen Spannungsroman, der jenseits aller gängigen Romangenres souverän und mit Witz eine fesselnde, packende Geschichte erzählt.
Der Friedhof der Vergessenen Bücher
"Auch nicht Mama?" fragte ich mit gedämpfter Stimme.
Mein Vater seufzte hinter seinem traurigen Lächeln, das ihn wie ein Schatten durchs Leben verfolgte.
"Aber natürlich", antwortete er gedrückt. "Vor ihr haben wir keine Geheimnisse. Ihr darfst du alles erzählen."
Kurz nach dem Bürgerkrieg hatte eine aufkeimende Cholera meine Mutter dahingerafft. An meinem vierten Geburtstag beerdigten wir sie auf dem Friedhof des Montjuïc. Ich weiß nur noch, daß es den ganzen Tag und die ganze Nacht regnete und daß meinem Vater, als ich ihn fragte, ob der Himmel weine, bei der Antwort die Stimme versagte. Sechs Jahre später war die Abwesenheit meiner Mutter für mich noch immer eine Sinnestäuschung, eine schreiende Stille, die ich noch nicht mit Worten zum Verstummen zu bringen gelernt hatte. Mein Vater und ich lebten in einer kleinen Wohnung in der Calle Santa Ana beim Kirchplatz. Die Wohnung lag direkt über der von meinem Großvater geerbten, auf Liebhaberausgaben und antiquarische Bücher spezialisierten Buchhandlung, einem verwunschenen Basar, der, wie mein Vater hoffte, eines Tages in meine Hände übergehen würde. Ich wuchs inmitten von Büchern auf und gewann auf zerbröselnden Seiten, deren Geruch mir noch immer an den Händen haftet, unsichtbare Freunde. Als Kind lernte ich damit einzuschlafen, daß ich meiner Mutter im dämmrigen Zimmer die Ereignisse zwischen Morgen und Abend, meine Abenteuer in der Schule erklärte und was ich an diesem Tag gelernt hatte. Ich konnte ihre Stimme nicht hören und ihre Berührung nicht fühlen, aber ihr Licht und ihre Wärme glühten in jedem Winkel der Wohnung, und mit der Zuversicht dessen, der seine Jahre noch an den Fingern abzählen kann, dachte ich, wenn ich nur die Augen schlösse und mit ihr spräche, könnte sie mich vernehmen, wo immer sie auch sein mochte. Manchmal hörte mir mein Vater im Eßzimmer zu und weinte verstohlen.
Ich erinnere mich, daß ich in jener Junimorgendämmerung schreiend erwachte. Das Herz hämmerte mir in der Brust, als wollte sich die Seele einen Weg bahnen und treppab stürmen. Erschrocken stürzte mein Vater ins Zimmer und nahm mich in die Arme, um mich zu trösten.
"Ich kann mich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Ich kann mich nicht mehr an Mamas Gesicht erinnern", keuchte ich.
Mein Vater umarmte mich fest.
"Hab keine Angst, Daniel. Ich werde mich für uns beide erinnern."
Wir schauten uns im Halbdunkel an und suchten nach Worten, die es nicht gab. Das war das erste Mal, daß ich merkte, daß mein Vater alterte und seine Augen, Augen aus Nebel und Verlust, immer in die Vergangenheit blickten. Er stand auf und zog die Vorhänge zurück, um das laue Frühlicht hereinzulassen.
"Los, Daniel, zieh dich an. Ich möchte dir etwas zeigen", sagte er.
"Jetzt? Um fünf Uhr früh?"
"Es gibt Dinge, die man nur im Dunkeln sehen kann", gab mein Vater mit einem rätselhaften Lächeln zu verstehen.
Noch dämmerten die Straßen matt in Dunst und Nachttau dahin, als wir aus dem Haus traten. Flimmernd zeichneten die Straßenlaternen der Ramblas eine diesige Allee, während die Stadt sich reckte und streckte und ihr blasses Nachtgewand ablegte. Bei der Calle Arco del Teatro angekommen, wagten wir uns unter der sich in blauem Dunst abzeichnenden Arkade ins Raval-Viertel hinein. Ich folgte meinem Vater auf diesem engen Weg, eher Scharte als Straße, bis sich der Abglanz der Rambla hinter uns verlor. In schrägen Quentchen sickerte das helle Morgenlicht von Balkonen und Karniesen bis knapp über den Boden. Endlich blieb mein Vater vor einem von Zeit und Feuchtigkeit schwarz gewordenen Portal stehen. Vor uns ragte etwas auf, was mir wie die verlassenen Überreste eines Palastes oder eines Museums aus Echos und Schatten vorkam.
"Daniel, was du heute sehen wirst, darfst du niemandem erzählen. Nicht einmal deinem Freund Tomás. Niemandem."
Ein Männchen mit dem Gesicht eines Raubvogels und silbernem Haar öffnete uns die Tür. Unergründlich heftete sich sein durchdringender Blick auf mich.
"Guten Morgen, Isaac. Das ist mein Junge, Daniel", verkündete mein Vater. "Er wird bald elf, und irgendwann übernimmt er das Geschäft. Er ist alt genug, um diesen Ort kennenzulernen."
Mit einem leichten Nicken bat uns Isaac herein. Bläuliches Halbdunkel hüllte alles ein, so daß die Konturen einer breiten Marmortreppe und eine Galerie mit Fresken voller Engels- und Fabelfiguren gerade eben angedeutet wurden. Wir folgten dem Aufseher durch einen prächtigen Gang und gelangten in einen riesigen, kreisförmigen Saal, wo sich eine regelrechte Kathedrale aus Dunkelheit zu einer von Lichtgarben erfüllten Kuppel öffnete. Ein Gewirr aus Gängen und von Büchern überquellenden Regalen erstreckte sich von der Basis zur Spitze und formte einen Bienenstock aus Tunneln, Treppen, Plattformen und Brücken, die eine gigantische Bibliothek von undurchschaubarer Geometrie erahnen ließen. Mit offenem Mund schaute ich meinen Vater an. Er lächelte und blinzelte mir zu.
"Willkommen im Friedhof der Vergessenen Bücher, Daniel."
In den Gängen und Lichtungen der Bibliothek verstreut, zeichneten sich ein Dutzend Gestalten ab. Einige von ihnen wandten sich um und grüßten aus der Ferne, und ich erkannte die Gesichter mehrerer Kollegen meines Vaters aus der Gilde der Antiquare. Wie merkwürdig, wie verschwörerisch sahen diese wohlvertrauten Männer auf einmal aus! Mein Vater kniete neben mir nieder, schaute mir fest in die Augen und sprach leise auf mich ein.
"Was du hier siehst, Daniel, ist ein geheimer Ort, ein Mysterium. Jedes einzelne Buch hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat, und die Seele derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben. Jedesmal, wenn ein Buch in andere Hände gelangt, jedesmal, wenn jemand den Blick über die Seiten gleiten läßt, wächst sein Geist und wird stark. Schon vor so vielen Jahren, als mein eigener Vater zum ersten Mal mit mir hierherkam, war dieser Ort uralt. Vielleicht so alt wie die Stadt selbst. Niemand weiß mit Bestimmtheit, seit wann es ihn gibt oder wer ihn geschaffen hat. Ich erzähle dir jetzt, was mir schon mein Vater erzählt hat. Wenn eine Bibliothek verschwindet, wenn eine Buchhandlung ihre Türen schließt, wenn ein Buch dem Vergessen anheimfällt, dann versichern wir uns, die wir diesen Ort kennen, also die Aufseher, daß es hierhergelangt. Hier leben für immer die Bücher, an die sich niemand mehr erinnert, die Bücher, die sich in der Zeit verloren haben, und hoffen, eines Tages einem neuen Leser in die Hände zu fallen. In einer Buchhandlung werden Bücher verkauft und gekauft, aber eigentlich haben sie keinen Besitzer. Jedes Buch, das du hier siehst, ist jemandes bester Freund gewesen. Jetzt haben sie nur noch uns, Daniel. Glaubst du, du wirst dieses Geheimnis für dich behalten können?"
Ich schaute meinen Vater fragend an und nickte dann. Er lächelte.
"Und weißt du das Beste?" fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
"Der Brauch will es, daß jemand, der diesen Ort zum ersten Mal besucht, sich ein Buch aussuchen muß, dasjenige, das ihm am meisten zusagt, und er muß es adoptieren und darum besorgt sein, daß es nie verschwindet, daß es immer weiterlebt. Das ist ein ganz wichtiges Versprechen. Auf Lebenszeit. Heute bist du dran."
Fast eine halbe Stunde spazierte ich durch dieses Labyrinth, das nach altem Papier, Staub und Magie roch. Sachte fuhr ich mit der Hand über die Rücken der ausgestellten Bücher, während ich meine Wahl prüfte. Auf den verwaschenen Bänden erkannte ich Titel in Sprachen, die ich erkannte, und viele andere, die ich nicht einzuordnen vermochte. Ich lief durch gewundene Gänge und Galerien mit Hunderten, Tausenden von Bänden, die mehr über mich zu wissen schienen als ich über sie. Bald befiel mich der Gedanke, hinter dem Einband jedes einzelnen dieser Bücher tue sich ein unendliches, noch zu erforschendes Universum auf und jenseits dieser Mauern verschwendeten die Menschen ihr Leben an Fußballnachmittage und Radioserien, zufrieden damit, kaum über ihren Nabel hinauszusehen. Vielleicht war es dieser Gedanke, vielleicht der Zufall oder sein stolzer Verwandter, das Schicksal - jedenfalls war mir genau in diesem Moment klar, daß ich das Buch bereits gewählt hatte, das ich adoptieren würde. Oder vielleicht müßte ich sagen, das Buch, das mich adoptieren würde. In weinrotes Leder gebunden, stand es schüchtern am Ende eines Bords und raunte seinen Titel in Goldlettern, die im Licht der Kuppel leuchteten. Ich trat hinzu, strich mit den Fingerspitzen über die Wörter und las lautlos:
Julián Carax
Der Schatten des Windes
© Suhrkamp Verlag
Übersetzung: Peter Schwaar
Autoren-Porträt von Carlos Ruiz Zafón
Carlos Ruiz Zafón ist 37 Jahre alt und lebt seit siebenJahren in Los Angeles, wo er Drehbücher schreibt. Eins von ihnen wurde unter sechstausendin einer Ausschreibung derselben Akademie ausgewählt, die die Oscars verleiht.Soeben hat er eine weitere Geschichte für das Kino beendet, die im New York derdreißiger Jahre spielt.
Interview mit Carlos Ruiz Zafón
Warum Los Angeles?
Von klein auf galt meine Leidenschaft dem klassischenamerikanischen Kino und dem Jazz. Mit acht Jahren sagte ich zu meinen Freunden:Wenn ich groß bin, werde ich in Los Angeles leben - der Traum eines Amerika,das nicht mehr existiert.
Und bevor Sie sich entschlossen, nach Los Angeles zu gehenund dort Ihr Glück zu versuchen?
Mit 19 habe ich geglaubt, dass es zwei Arten gibt, die Weltzu sehen und Geld zu verdienen: das organisierte Verbrechen oder die Werbung.Ich entschied mich für die Werbung. 1992, als ich schon eine Weile creative directorwar, entschloss ich mich auszusteigen, bevor ich Gefangener einesLebensstandards würde, auf den ich nicht mehr würde verzichten können.
Und was taten Sie?
Ich war 26 Jahre alt, es war der Sommer der OlympischenSpiele. Ich schrieb einen Roman, Der Fürst der Finsternis, der den Edebé-Jugendpreis gewann. Dann dachte ich: Wenn ich michgetraut habe und es gut ausgegangen ist, warum soll ich mich nicht trauen, einfachans andere Ende der Welt abzuhauen?
Diesem Jugendroman folgten weitere. Seit wann schreiben Sie?
Seit ich denken kann, habe ich den Jungs Geschichtenerzählt. Ich erzählte ihnen schaurige Geschichten, von Geistern und Vampiren,und sie fingen an zu weinen. Die Mütter suchten meine Mutter auf und fragtensie: Was erzählt Ihr Sohn denn da meinen Kindern, dass sie nachts schreiendaufwachen?
Hatten Sie vor dem Preis Ablehnungen von Verlagen?
Auf der Schule, in der ich meine gesamte Schulzeit verbrachthabe, die Jesuitenschule von Sarrià, eine riesigegotische Burg, voll von Türmen und Gängen, gründete ich als Zehnjähriger mitzwei Freunden einen Verlag. Ich schrieb verzwickte Geschichten, die sich sehrgut verkauften. Bis der Aufseher dahinterkam und denVerlag schloss.
Noch irgendein Fehltritt?
Mit 14 habe ich einen Schmöker von 500 Seiten geschrieben.Ich schickte ihn dem Verleger Francisco Porrúa, dersehr amüsiert war. Ich war total aufgeregt, weil der Verleger von Julio Cortázar mich in seinem Büro empfing. Er hat mir vieleRatschläge für das Leben und für die Literatur gegeben.
Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Geschichte vonBarcelona?
Ich bin dort geboren und habe dort gelebt, bis ich 28 war.Von klein auf habe ich die Stadt durchstöbert, von der SagradaFamilia bis zur Sarrià-Schule. Eine Stadt, die ichintensiv "durchlaufen" habe. Ihre Geschichte vom 19. Jahrhundert biszum Bürgerkrieg und zur Nachkriegszeit fasziniert mich. Ähnlich geht es mir mitdem New York des späten 19. Jahrhundert bis hin zum Zweiten Weltkrieg. DieseStädte, so wie die Landschaft meiner Schule, gehören zu einer"gotischen" schaurigen Welt - meine Welt als Schriftsteller. Inmeinem Barcelona könnte auch das Haus aus Hitchcocks "Psycho"stehen.
© LA VANGUARDIA, mit freundlicher Genehmigung des SuhrkampVerlages.
- Autor: Carlos Ruiz Zafón
- 2008, Nachdr., 562 Seiten, Maße: 11,8 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Schwaar, Peter
- Übersetzer: Peter Schwaar
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 3518458000
- ISBN-13: 9783518458006
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