Antonio im Wunderland
Der italienische Gastarbeiter Antonio Marcipane hat alles erreicht: Er besitzt ein Reihenendhaus, ein schönes Auto und vier Dutzend Krawatten. Seine Töchter haben deutsche Männer geheiratet, und jetzt wartet ein entspanntes Rentnerdasein auf ihn. Wenn da...
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Der italienische Gastarbeiter Antonio Marcipane hat alles erreicht: Er besitzt ein Reihenendhaus, ein schönes Auto und vier Dutzend Krawatten. Seine Töchter haben deutsche Männer geheiratet, und jetzt wartet ein entspanntes Rentnerdasein auf ihn. Wenn da nicht noch ein unerfüllter Traum wäre: Amerika. Da muss er hin - und sein Schwiegersohn muss mit.
Nach dem Bestseller "Maria ihm schmeckt`s nicht" der zweite Band über ein italienisches Gastarbeiterschicksal in Deutschland.
Der italienische Gastarbeiter Antonio Marcipane hat alles erreicht: Er besitzt ein Reiheneckhaus, ein schönes Auto und vier Dutzend Krawatten. Seine Töchter haben deutsche Männer geheiratet, jetzt wartet eigentlich das entspannte Rentnerdasein auf ihn. Wenn da nicht noch ein unerfüllter Traum wäre: Amerika. Und sein Schwiegersohn muss mit.
Die großartige Fortsetzung des Bestsellers "Maria, ihm schmeckt's nicht".
Antonio im Wunderland von Jan Weiler
LESEPROBE
Antonio hat den Fernseher angemacht, denn heute ist Autorennen,und Antonio liebt es, sich stundenlang anzusehen, wie fossile Brennstoffevernichtet werden. Natürlich ist die Kombination aus überlegener italienischerTechnik und der brillanten fahrerischen Intelligenz des deutschen Piloten eineunschlagbare Mischung.
«Der putztedie alle ab», frohlockt Antonio. «Was macht der bitte?», frage ich ungläubig.«Der Schumackä putzte die alle ab.»
«Der putztdie alle weg, meinst du.»
«Sagidoch.»
Gegen Endedes Rennens klingelt es an der Tür. Sara besucht eine frühere Schulfreundin,und Ursula hat sich hingelegt. Antonio ist über dem Rennen eingeschlafen,daher gehe ich zur Tür, um zu öffnen. Vor mir steht ein hagerer Mann in einergrünen Trevirahose. Er trägt ein hellblaues T-Shirt, auf dem «Volkslauf 1987»steht. Er hat eine verknitterte Plastiktüte in der Hand und sieht mich an, alshabe er mir die Tür aufgemacht.
«GutenTag?», sage ich.
«Wer bis' du denn?», fragt der Mann und schiebt sich an mirvorbei ins Gästeklo, wo er sich einschließt, ohne meine Antwort abzuwarten. Dasmuss Benno sein, denke ich und mache die Haustür zu. Benno ist Antonios besterFreund, wahrscheinlich sogar sein einziger. Sara hat mir schon eine Menge vonihm erzählt. Seit ihrer Kindheit taucht Benno zwei- oder dreimal in der Wochebei den Marcipanes auf. Er sitzt am Esstisch und sagt: «Jaa, so is' dat» oderauch «Wat will'se machen? Kansse nix machen». Antonio wollte Benno sogar früherin den Urlaub mitnehmen, aber das war selbst den Kindern zu viel. Sie drohten,lieber ins katholische Ferienlager zu gehen, als mit Benno in Italien amEsstisch zu sitzen.
Mit Bennogeht Antonio zum Angeln und zum Fußball, zu KFC Uerdingen, einem Verein, dessenGlanztaten aus den achtziger Jahren immer wieder Anlass zur Freude geben.
Benno hörtihm zu, jedenfalls behauptet Antonio dies. Es ist eine tiefe Verbundenheitzwischen den beiden, und die dauert schon sehr lange.
Benno undAntonio kennen sich vom Krefelder Hauptbahnhof, wo Antonio früher, als dieKinder noch klein waren, immer hinging, um andere Italiener zu treffen.Manchmal nahm Antonio seine kleinen Töchter mit, und sie spielten mit anderenitalienischen Kindern. Der Hauptbahnhof war damals für die italienischenGastarbeiter Marktplatz, Nachrichtenbörse und Treffpunkt für ausgedehntePlaudereien. Immer fand sich jemand, der in die Heimat fuhr und etwas mitnehmenkonnte oder aus der Heimat kam und etwas mitbrachte. Wie Ameisen trugen sieSchinken, Käse oder Küchenstühle nach Deutschland, oder sie nahmen Post, Geldoder Schnürsenkel mit auf die Reise.
DerHauptbahnhof war spannend für die Kinder und überlebensnotwendig für Antonio,ein Paralleluniversum, dessen Existenz und perfekte Konstruktion die deutschenNachbarn und Kollegen nicht einmal erahnten. Unter jenen, die dort herumstandenund auf Gleichgesinnte warteten, mit denen man Kaffee trinken oder Kartenspielen konnte, war bald auch ein Deutscher, nämlich Benno Tiggelkamp. Er wargerne bei den Italienern, unter denen er nur insofern auffiel, als er kein WortItalienisch sprach. Aber er fühlte sich als einer von ihnen, weil er definitivkeiner der anderen war. Kein Deutscher merkte, wenn Benno mal nicht zur Arbeitkam, und niemand konnte sich daran erinnern, wenn er da war. Er hatte keineFrau, kein Auto und keine Pläne, nur eine Mutter, mit der er zusammenlebte. Ermachte kein Aufhebens um sich, er stand immer nur neben dem Leben und schauteihm zu. Und weil ihn die Deutschen aussortiert hatten und niemand mit demsonderlichen Kerl etwas zu tun haben wollte, landete er schließlich amBahnhof, wo er zunächst wochenlang den Italienern beim Spielen zusah, bis sieihn endlich aufnahmen in ihre Gemeinschaft der Geduldeten. (...)
© 2005 byRowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
„Mein Leben als Mensch“ betitelt Jan Weiler seine wöchentliche Kolumne im „Stern“. Seit 2007 erzählt der Journalist und Autor in dem Magazin locker und amüsant von Familie, Freunden, Ferien oder davon, was ihm gerade so durch den Kopf geht – Menschliches eben.
Der Leser kennt diesen Stil schon aus dem Erstlingsroman von 2003 „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ und der ebenso erfolgreichen Fortsetzung „Antonio im Wunderland“. Weiler erzählt in beiden Büchern von seinem italienischen Schwiegervater Antonio und dessen Familie, teils fiktiv, teils biografisch. Als begehrter Vorleser hat der Autor 2005/2006 über 100 deutsche Städte bereist und seine Eindrücke und Begegnungen in einem Reisetagebuch festgehalten, zusammengefasst als Buch mit dem Titel „In meinem kleinen Land“.
Weiler wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von München, geboren wurde er 1967 in Düsseldorf. Journalistische Erfahrungen machte er bereits in der Schulzeit als freier Mitarbeiter bei der Westdeutschen Zeitung. Nach Abitur und Zivildienst arbeitete er zunächst als Werbetexter und besuchte dann die Deutsche Journalistenschule in München. So gerüstet, brachte er es bis zum Chefredakteur beim SZ Magazin, wo er bis 2005 tätig war. Von dort startete er seine Schriftstellerkarriere, nachdem aus einer in dem Magazin veröffentlichten Kurzgeschichte sein erster Roman entstanden war.
In ganz andere Bereiche führt der 2008 erschienene Roman „Drachensaat“. Er erzählt von dem Psychotherapeuten Dr. Heiner Zens, der fünf Menschen nach ihren irrationalen Taten in seiner Privatklinik versammelt, um sie einem aberwitzigen Experiment zu unterziehen. Weiler spricht in diesem Roman ernste Themen an, dabei ist das Buch in seiner ganzen Skurrilität gleichzeitig wunderbar unterhaltsam.
Interview mit Jan Weiler
Zum Antonio aus Ihren Büchern gibt es auch ein Pendant imwirklichen Leben: Ihren Schwiegervater. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen"den beiden Antonios" beschreiben?
MeinSchwiegervater, also der echte Antonio, kommt dem literarischen natürlich sehrnahe, besonders im ersten Buch. Viele der Episoden und die darin beschriebeneLebensgeschichte stimmen weit gehend. In "Antonio im Wunderland" hat sich derliterarische Antonio nun selbstständig gemacht und sich von seinem Vorbildetwas entfernt. Als das Buch fertig war, ist mir aufgefallen, dass ich ihn in"Maria, ihm schmeckt s nicht" noch als blauäugig beschrieben hatte, was derwirkliche Antonio auch ist. In "Antonio im Wunderland" hat er nun braune Augen.Ich habe es aber so gelassen, ich fand es ein schönes Symbol für seineEntwicklung von einer wirklich existierenden Person zu einer vollkommenfiktiven.
Die Geschichte isterfunden, die Blasiertheit und Kälte aber nicht, und der rührende Stolz auchnicht. Ich habe solche unwürdigen und auch peinlichen Momente oft erlebt, wennich mit Antonio unterwegs war. Er reagiert erstaunlich cool auf Herablassungen,wahrscheinlich weil er diese bösen Dinge nicht wirklich an sich heran lässt.Ein sehr beneidenswerter Zug ist das.
Was ist eigentlich Bauarbeitermarmelade, die auf AntoniosPausenbrote kommt?
Mettwurst. Ichhabe dieses sehr schöne Synonym mal irgendwo gehört und immer darauf gewartet,es einsetzen zu können. Tatsächlich hat mein Schwiegervater immerMettwurststullen mit zur Arbeit genommen.
Ihr Buch enthält die eine oder andere brisante These:"Unsere Elterngeneration war in fast allem gut, nur nicht in derGartenplanung." Können Sie diese unglaubliche Behauptung begründen? Wo habenSie die eindrücklichsten Belege dafür gefunden?
Im Garten und inder Nachbarschaft meiner Eltern. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, wo alleLeute gleichzeitig gebaut haben. Das war um 1970. Die Häuser dort scheineninzwischen immer kleiner zu werden, weil die Bäume ringsum mit den Jahren immerhöher wachsen. Ich glaube, das ist in allen Einfamilienhausgegenden so undspricht für eine gewisse Naivität der Bauherren, die sich kaum vorstellenkönnen, wie viel Schatten zwei 35 Jahre alte Eichen in einem 400 Quadratmetergroßen Garten spenden.
Antonio wollte eigentlich nach Amerika, ist aber zunächstnur bis Krefeld gekommen. Was, glauben Sie, wäre in Amerika aus ihm geworden?
Er hätte sichüberall durchgewurstelt und seinen Weg genauso gemacht wie hier in Deutschland.Für mich hätte es allerdings bedeutet, dass ich seine Tochter nie kennengelernt und also auch kein Buch über ihn geschrieben hätte. Ich weiß also vorallem nicht, was aus mir geworden wäre.
Nun will Antonio, anstatt sein Rentnerdasein ruhig imReihenendhaus zu verbringen, unter allen Umständen doch noch nachAmerika. Warum ist das so wichtig für ihn? Was sucht er dort?
Ohne zu vielvorwegzunehmen, kann ich auf jeden Fall preisgeben, dass er in erster Linie aufder Suche nach Bestätigung ist. Am Ende will er sagen können: Ich habe allesrichtig gemacht.
Welches "Wunderland" benennt eigentlich der Buchtitel:Amerika oder Deutschland? Oder lebt Antonio nicht eigentlich immer in seinemeigenen Wunderland?
Letzteres stimmt natürlichsowieso. Aber der Buchtitel ist eine Anspielung auf das Wunderland aus demRoman von Lewis Carroll, einer surrealen Projektion voller sonderbarer Figurenund unverständlicher Regeln. Ich finde, das hat eine Menge mit Amerika zu tun.
Wenn Sie Antonio in drei Sätzen charakterisieren müssten:Was ist er für ein Mensch?
Als Romanfigur ister ein Fremder, dessen Hauptbeschäftigung darin besteht, sein Fremdsein zukultivieren, nachdem er es nicht vermocht hat, es zu überwinden. Seinerfreulicherweise total unreflektiertes Scheitern macht ihn geheimnisvoll undspannend, verleiht ihm aber auch eine gewisse Tragik. Für mich ist er ein Held.
"Wenn man in eine italienische Familie einheiratet, stehtdamit fest, wo man in den kommenden fünfzig Jahren den Urlaub verbringt." Istdie Wirklichkeit tatsächlich so grausam?
Nicht ganz, aberfast. Inzwischen haben wir auch ein paar andere Länder bereist, hauptsächlichdeswegen, weil meine Frau in den ersten zwanzig Jahren ihres Lebens immer nurnach Italien reisen konnte. Sie hat deshalb einen unbezähmbaren Drang danach,woandershin zu fahren. Dennoch müssen wir oft nach Italien, schon wegen derganzen Hochzeiten.
Bei aller Komik stimmen einen die Missverständnisse, diesich zwischen Antonio und seiner Umwelt immer wieder ergeben, auch traurig. IstAntonio nicht manchmal - zumindest aus der Perspektive des Erzählers - eineinsamer Mensch?
Nein, gar nicht,das ist ja das Tolle an ihm. Im übertragenen Sinn ist er eine jener Figuren,die immer eins auf die Nuss kriegen, sich aufrappeln und sagen: "Ach, ist dasangenehm, wenn der Schmerz nachlässt." Sein manchmal schon an Ignoranzgrenzendes Verhalten ist eine Strategie, die ihm seit über sechzig Jahren dasÜberleben sichert.
Ob es gegen "ayurvedische Küchenclowns" oder PersonalvorstandDempf von Antonios Stahlwerk geht - in Ihrem Buch kriegen einige ihr Fett weg.Welchen Protagonisten haben Sie besonders gern in die rhetorische Pfannegehauen? Und wen mögen Sie - abgesehen von Antonio - am liebsten?
Ich bin gar nichtso sicher, dass ich jemanden in die Pfanne haue, denn es wird sich kaum jemandpersönlich angesprochen fühlen. Wenn sich doch jemand wiedererkennt, freut esmich natürlich, und das ist Strafe genug. Meine Lieblingsfigur neben Antonioist in diesem Buch sein Freund Benno. Das ist ein frühpensionierter Krefeldermit einem Inkontinenzproblem und einer ausgewachsenen Meise. Ich habe ihn beimSchreiben sehr lieb gewonnen, und es hat auch großen Spaß gemacht, ihm bei derAufnahme zum Hörbuch meine Stimme zu geben. Benno und Antonio sind eingroßartiges Gespann.
"Maria, ihm schmeckt's nicht!", Ihr ersterdeutsch-italienischer Roman, war (und ist noch immer) ein toller Erfolg. HatSie das überrascht? Oder waren Sie sich sicher, dass Sie mit der Geschichte vonAntonio einen Nerv treffen würden?
Das hat alleüberrascht. So etwas kann man auch nicht planen, davon bin ich überzeugt. Ichhabe angenommen, dass es den Nerv von ein paar tausend Lesern treffen würde,die sich in einer ähnlichen Lebenssituation wie ich befinden, weil sie das Kindeines Gastarbeiters geheiratet haben. Aber erstens betrifft das viel mehrMenschen, als man denkt, und zweitens mögen offenbar viele Leute den Ton desBuches, ganz unabhängig von der Handlung.
Dürfenwir auf weitere Neuigkeiten aus Antonios Wunderland hoffen? Oder haben Sieandere (literarische) Pläne?
Jetzt musserst einmal das Drehbuch für den "Maria"-Film fertig werden. Dann kommt einelange Lesetournee, und dann ist das Jahr auch schon wieder um. Ich entscheidedann, was als Nächstes kommt. Vielleicht mache ich noch ein Buch, in dem BennoMordfälle löst. Oder Antonio wird Unternehmer. Oder ich schreibe mal was ganzanderes. Pläne gibt es viele, aber im Moment. möchte ich eigentlich gar nichtsschreiben, sondern lieber einen Kaffee machen. Ich habe eine neueKaffeemaschine, die meine volle Konzentration verlangt. Wollen Sie auch einen?
Die Fragen stellte Roland GroßeHoltforth, Literaturtest.
- Autor: Jan Weiler
- 2006, 7. Aufl., 265 Seiten, Maße: 13,2 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463404842
- ISBN-13: 9783463404844
- Erscheinungsdatum: 22.07.2005
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