Der Sieg des Nelson Mandela
Wie aus Feinden Freunde wurden
Südafrika 1995. Beim Endspiel der Rugbymannschaft gegen den Favoriten Neuseeland ereignete sich der Wendepunkt einer hochdramatischen Geschichte: Die weißen Sportler sangen die schwarze Nationalhymne - inspiriert von Nelson Mandela. Die...
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Produktinformationen zu „Der Sieg des Nelson Mandela “
Südafrika 1995. Beim Endspiel der Rugbymannschaft gegen den Favoriten Neuseeland ereignete sich der Wendepunkt einer hochdramatischen Geschichte: Die weißen Sportler sangen die schwarze Nationalhymne - inspiriert von Nelson Mandela. Die afrikanische Mannschaft gewann und das Land war ein anderes. Carlin schildert das Leben des Friedensnobelpreisträgers, dem es gelang, sogar seine Folterer auf seine Seite zu bringen. Gefängniswärter, Weggefährten, politische Gegner: Sie alle waren fasziniert von der Kraft und Ausstrahlung Mandelas. Dieses Buch erzählt von dem Tag, der das Schicksal eines Landes veränderte. Und von einem Leben, das deutlich macht, wie Versöhnung gelingt.
Klappentext zu „Der Sieg des Nelson Mandela “
Südafrika 1995. Beim Endspiel der Rugbymannschaft gegen Australien, ereignete sich der Wendepunkt einer hochdramatischen Geschichte: Die weißen Sportler sangen die schwarze Nationalhymne - inspiriert von Nelson Mandela. Die afrikanische Mannschaft gewann und das Land war ein anderes. Carlin schildert das Leben des Friedensnobelpreisträgers, dem es gelang, sogar seine Folterer auf seine Seite zu bringen. Gefängniswärter, Weggefährten, politische Gegner: Sie alle waren fasziniert von der Kraft und Ausstrahlung Mandelas. Dieses Buch erzählt von dem Tag, der das Schicksal eines Landes veränderte. Und von einem Leben, das deutlich macht, wie Versöhnung gelingt.
Südafrika 1995. Beim Endspiel der Rugbymannschaft gegen den Favoriten Neuseeland ereignete sich der Wendepunkt einer hochdramatischen Geschichte: Die weißen Sportler sangen die schwarze Nationalhymne - inspiriert von Nelson Mandela. Die afrikanische Mannschaft gewann und das Land war ein anderes. Carlin schildert das Leben des Friedensnobelpreisträgers, dem es gelang, sogar seine Folterer auf seine Seite zu bringen. Gefängniswärter, Weggefährten, politische Gegner: Sie alle waren fasziniert von der Kraft und Ausstrahlung Mandelas. Dieses Buch erzählt von dem Tag, der das Schicksal eines Landes veränderte. Und von einem Leben, das deutlich macht, wie Versöhnung gelingt.
Lese-Probe zu „Der Sieg des Nelson Mandela “
Der Sieg des Nelson Mandela von John CarlinEINLEITUNG
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Der erste Mensch, dem ich von meiner Absicht erzählte, dieses Buch zu schreiben, war Nelson Mandela. Wir trafen uns im August 2001 im Wohnzimmer seines Hauses in Johannesburg, zwei Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident von Südafrika. Nach etwas entspanntem und freundschaftlichem Geplänkel - was er meisterhaft beherrscht - und dem Austausch von Erinnerungen an die kritischen Jahre des politischen Umschwungs in Südafrika, über die ich für eine britische Zeitung berichtet hatte, kam ich zur Sache. Ich ging in meinen zunächst allgemein gehaltenen Erklärungen davon aus, dass alle Gesellschaften der Welt, bewusst oder unbewusst, nach irgendeiner Art Utopie streben. Politiker nützen die Hoffnung der Menschen aus, die glauben, dass der Himmel auf Erden erreichbar sei. Da dies nicht der Fall ist, ist das Leben der Nationen und des Einzelnen vom ständigen Kampf um die Erfüllung dieses Traums geprägt. Mandelas Traum, der ihm während seiner z7 Jahre dauernden Gefangenschaft Kraft gegeben hatte, war auch jener Martin Luther Kings: dass eines Tages die Menschen in seinem Land nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt würden.
Während ich sprach, saß Mandela mit der unergründlichen Miene einer Sphinx da - so wie er es immer tut, wenn ein Gespräch ernst wird und er der Zuhörer ist. Während man weiter vor sich hin redet, ist man sich nie sicher, ob er das Gesagte hört oder ob er in seinen eigenen Gedanken versunken ist. Als ich King zitierte, nickte er, indem er das Kinn mit zusammengepressten Lippen ruckartig senkte.
Ermutigt erklärte ich, dass das von mir geplante Buch eine Geschichte der Befreiung erzählen sollte. Es sollte vor allem um den friedlichen Machtwechsel in Südafrika gehen, um den Wandel von einer weißen Regierung zu einer Mehrheitsregierung, von der Apartheid zur Demokratie. Das Buch würde eine Zeitspanne von zehn Jahren umfassen und mit Mandelas erstem politischen Kontakt mit der Apartheid-Regierung im Jahr 1985 beginnen (auch hier bemerkte ich die Andeutung eines Nickens), einem Zeitpunkt, zu dem er noch im Gefängnis war. Es würde zum Thema machen, dass Unverständnis und Misstrauen - die in engem Zusammenhang mit dem den Menschen angeborenen Stammesdenken stehen - zu gesellschaftlichen Konflikten führen. Ich meinte „Stammesdenken" im weitesten Sinn des Wortes, wie es auf Rasse, Religion, Nationalismus oder Politik angewandt wird. George Orwell sprach von der „gewohnheitsmäßigen Annahme, die voraussetzt, dass menschliche Wesen wie Insekten klassifiziert und Gruppen von Millionen oder zehn Millionen Menschen getrost als gut' oder ‚schlecht' etikettiert werden können". Seit dem Untergang des Nationalsozialismus ist dieses entmenschlichende Verhalten nirgendwo gründlicher institutionalisiert worden als in Südafrika. Mandela selbst hatte die Apartheid als „moralischen Genozid" bezeichnet, ohne Todeslager, als heimtückische Vernichtung der Selbstachtung eines Volkes.
Vor allem aus diesem Grund wurde die Apartheid als weltweit einziges politisches System von allen Ländern - den USA, der UdSSR, Albanien, China, Frankreich, Nordkorea, Spanien, Kuba - auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges der Definition der Vereinten Nationen entsprechend als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. Dennoch ist aus dieser epochalen Ungerechtigkeit auch eine epochale Versöhnung hervorgegangen.
Ich berichtete Mandela, dass ich als Journalist viele Menschen getroffen hätte, die sich im Mittleren Osten, in Lateinamerika, in Afrika und in Asien um Frieden bemühten. Für sie verkörpert Südafrika ein Ideal, das sie anstreben. In der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, als überall auf der Welt lokale Konflikte entstanden und es diese zu lösen galt, wurde Südafrikas sogenannte „verhandelte Revolution" zu einer Art Lehrbuch dafür, wie man Frieden mit politischen Mitteln erzielen kann. Kein Land hatte sich selbst zuvor so gekonnt und menschenwürdig von der Tyrannei hin zur Demokratie bewegt. Zugegebenermaßen war das, was ich sagte, nichts Neues. Vieles war schon über die praktischen Grundlagen des „südafrikanischen Wunders" geschrieben worden. Was meiner Meinung nach jedoch fehlte, war ein Buch über den menschlichen Faktor, über das Wunderbare des Wunders. Mir schwebte ein positives Buch vor, keine Glorifizierung, ein Buch, das die menschliche Kreatur von ihrer besten Seite zeigt; ein Buch, in dessen Mittelpunkt ein Held aus Fleisch und Blut steht, der die überall auf der Welt geschätzten Eigenschaften Großzügigkeit, Selbstlosigkeit und Mut verkörpert; ein Buch über ein Land, dessen schwarze Mehrheit, die eigentlich nach Rache schreien sollte, Mandelas Beispiel folgte und der Welt eine Lektion in aufgeklärter Vergebung erteilte. Mein Buch sollte von weißen und schwarzen Menschen erzählen, deren Geschichten ein lebendiges Bild der großartigen Vergebungszeremonie Südafrikas ergeben würde. Wenn man in der heutigen Zeit einen Blick auf die Führer dieser Welt wirft, so muss man feststellen, dass viele von ihnen moralisch gesehen Zwerge waren (auch hier zuckte die Sphinx nicht mit der Wimper); auch deshalb würde mein Buch von Nelson Mandela handeln. Es sollte keine Biografie werden, sondern eine Geschichte, die den Fokus auf den Kern seiner politischen Begabung lenkt, auf sein Talent, Menschen für seine Sache zu gewinnen - indem er an ihre besseren Eigenschaften appellierte und, um mit Abraham Lincolns zu sprechen, „die besseren Engel ihrer Natur zum Vorschein brachte".
Ich wollte keine feierliche Chronologie von Ereignissen, keine präzise Historie des politischen Wandels in Südafrika schreiben. Und ich hatte auch ganz sicher nicht die Absicht, Mandelas eigener monumentaler Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit" Konkurrenz zu machen. Stattdessen wollte ich die Geschichte um ein bestimmtes Sportereignis herum aufbauen. Sport hat viel dazu beigetragen, die Gefühle der Massen zu bewegen und ihre politische Wahrnehmung zu schärfen (wieder ein kurzes und scharfkantiges Nicken). Als Beispiel dafür nannte ich die Olympischen Spiele in Berlin im Jahre 1936, die Hitler dazu benutzte, um für seine Vorstellung von der arischen Überlegenheit zu werben. Der schwarze amerikanische Athlet Jesse Owens durchkreuzte diesen Plan mit seinem vierfachen Goldmedaillengewinn jedoch gründlich. Jackie Robinson war der erste schwarze Mann, der in einer amerikanischen Profiliga Baseball spielte, und setzte damit den notwendigen Bewusstseinswandel in Gang, der zu großen sozialen Veränderungen führte. Ich erwähnte auch den unerwarteten Eishockeysieg Amerikas gegen Russland bei den Olympischen Winterspielen im Jahr 1980, der noch dazu auf heimischem Boden und während des Kalten Krieges stattfand.
Dann erinnerte ich Mandela an die Worte, die er vor wenigen Jahren dem brasilianischen Fußballstar Pell anlässlich der Preisverleihung für sein Lebenswerk mit auf den Weg gegeben hatte. Damals sagte Mandela - ich las dies aus meinen mitgebrachten Notizen ab: „Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Er hat, wie nur wenige andere Dinge, die Kraft, Menschen zu inspirieren, die Kraft, sie zu vereinen. Er ist mächtiger als Regierungen, wenn es darum geht, Rassenbarrieren niederzureißen."
Schließlich kam ich zum Punkt. Ich legte Mandela den Kern meiner Geschichte dar und erklärte, warum ich dafür seine Hilfe benötigte. Ich sagte ihm, dass es ein sportliches Ereignis gegeben habe, das alle bereits erwähnten in den Schatten stellte, eines, das alle während unseres Gesprächs angesprochenen Themen vereinte und das auf magische Weise jene von Martin Luther King erträumte „Symphonie der Brüderlichkeit" heraufbeschworen hatte; ein Ereignis, in dem sich alles, wofür Mandela in seinem Leben gekämpft und gelitten hatte, konzentrierte. Bewegt und beunruhigt durch meine unbeholfene Rede sagte ich ihm, ich bezöge mich auf das Endspiel der - plötzlich erleuchtete sein Lächeln den ganzen Raum und in freudigem Erkennen klatschte er in die Hände und beendete den Satz für mich: „... Rugby Weltmeisterschaft von 1995!" Mein eigenes Lächeln bestätigte dies und er fügte hinzu, „Ja. Ja. Absolut! Ich verstehe ganz genau, was für ein Buch Ihnen vorschwebt." Er sagte es mit einer kräftigen Stimme, die nicht wie die eines alten Mannes klang, sondern wie die eines 40 Jahre Jüngeren. „John, Sie haben meinen Segen. Sie haben ihn voll und ganz."
In Hochstimmung schüttelten wir uns die Hände, sagten uns auf Wiedersehen und kamen überein, bald ein weiteres Treffen zu arrangieren. Bei diesem zweiten Gespräch, das ich mit einem Kassettenrekorder aufzeichnete, erzählte er, wie er im Gefängnis auf die Idee von der politischen Kraft des Sports gekommen sei; wie er die Rugby Weltmeisterschaft von 1995 als Instrument für jenes strategische Ziel benutzt habe, das er sich selbst während seiner ersten fünf Jahre als erster demokratisch gewählter Präsident Südafrikas gesetzt hatte: Schwarze und Weiße zu versöhnen, die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in einem Land zu schaffen, das kaum fünf Jahre zuvor, als er aus dem Gefängnis entlassen worden war, alle Voraussetzungen für einen blutigen Bürgerkrieg erfüllte. Er erzählte mir, oftmals mit einem leisen Lachen, von den Schwierigkeiten, seine eigenen Leute davon zu überzeugen, das Rugbyteam zu unterstützen. Und er sprach mit Hochachtung und Zuneigung über Francois Pienaar, den großen blonden Sohn der Apartheid und Kapitän des südafrikanischen Teams der Springboks; vom Teammanager, einem weiteren Afrikaner namens Morné du Plessis, den Mandela mit einer altmodischen britischen Wendung als „an excellent chap", als großartigen Kerl, bezeichnete.
An jenem Tag sprachen wir ein paar Stunden miteinander und bald schon willigten auch viele andere Menschen ein, mit mir wegen des Buches zu sprechen, Leute, an die ich wahrscheinlich schwer herangekommen wäre, wenn ich nicht vorher Mandelas Einverständnis erhalten hätte.
Während der sechs bewegten Jahre zwischen 1989 und 1995 hatte ich jede Menge Material für meine Story zusammengetragen; damals hatte ich als Chef des Londoner Independent in Südafrika gearbeitet. In den darauffolgenden zehn Jahren war ich immer wieder nach Südafrika zurückgekehrt. Doch erst nach meiner Unterredung mit Mandela begann ich, immer mit der Idee zu diesem Buch im Kopf, mich gezielt mit bestimmten Personen zu treffen. Ich begann mit einem Star des Springboks-Teams, Hennie le Roux. Man erwartet nicht unbedingt, dass ein Interview mit einem Rugbyspieler herzliche und bewegende Gefühle hervorruft. Doch genau das passierte mir, als le Roux über Mandela sprach und über die Rolle, die er selbst, ein anständiger, aber politisch unbewanderter Afrikaaner unfreiwillig im Leben seines Landes spielen sollte. Wir verbrachten in dem ansonsten leeren Büro etwa zwei Stunden miteinander, bis zum Einbruch der Dunkelheit, und er musste drei oder vier Mal mitten im Satz innehalten, um die Tränen zurückzuhalten. Das Interview mit le Roux war richtungsweisend für Dutzende von Interviews, die ich für dieses Buch führte. In vielen Fällen gab es immer mindestens einen Augenblick, in dem mir Tränen in die Augen schossen, besonders, wenn ich mit einem der Rugbyspieler sprach. In allen Fällen - ob es sich um Erzbischof Desmond Tutu, um den sehr rechten afrikaanischen Nationalisten, General Constand Viljoen, oder um seinen linken Gegenpart Braam handelte -durchlebten meine Gesprächspartner alle die Zeiten wieder, über die wir in heiterer, manchmal fast euphorischer Atmosphäre sprachen.
Mehr als nur einmal hörte ich von Leuten, das geplante Buch gleiche einer Fabel, einer Parabel oder einem Märchen. Es war merkwürdig, das von Leuten gesagt zu bekommen, die im wirklichen Leben Protagonisten eines politischen Märchens waren, das Wirklichkeit geworden war. Es erfüllte in der Tat zwei Voraussetzungen für ein gutes Märchen: Es enthielt eine gute Story und eine beispielhafte Lehre. Zwei Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich das Material sichtete: Zuerst dachte ich an das politische Talent Mandelas. Letztlich heißt Politik nichts anderes, als Menschen zu überzeugen und sie für die eigene Sache zu gewinnen. Alle Politiker sind professionelle Verführer: Ihr Job ist es, Menschen zu umwerben. Und wenn sie klug sind und ihre Sache gut machen, wenn sie das Talent besitzen, den richtigen Ton zu treffen, sind sie erfolgreich. Lincoln hatte dieses Talent, Roosevelt, Churchill, de Gaulle, Kennedy, Martin Luther King, Bill Clinton und Tony Blair - sie alle hatten das Talent, rhetorisch zu verführen. So wie auch Arafat. Und in diesem Sinne auch Hitler. Sie alle gewannen die Menschen für ihre Sache. Was Mandela vielen von ihnen voraus hatte, worin er einzigartig war, ist sein besonders ehrgeiziges Ziel. Nachdem er seine eigenen Leute für seine Sache gewinnen konnte - was an sich noch keine großartige Leistung ist, denn sie waren ein verzweifelter, aus verschiedenen Glaubensrichtungen, Hautfarben und Volksstämmen zusammengesetzter Haufen - zog er aus und überzeugte den Feind. Wie er das tat, wie er Menschen für sich gewinnen konnte, die vormals seine Inhaftierung guthießen, die ihn tot sehen wollten, die vorhatten, gegen ihn in den Krieg zu ziehen, davon handelt dieses Buch.
Ein zweiter Gedanke war, dass dieses Buch jenseits eines Geschichts- oder sogar Legendenbuchs ein Ratgeber werden könnte, der Antworten auf Fragen wie „Wie sollte man sein Leben leben?" gibt. Mandela beherrscht mehr als jeder andere lebende (und vielleicht auch tote) Mensch die Kunst, Freundschaften zu schließen und Menschen zu beeinflussen. Ganz gleich ob sie politisch sehr weit rechts oder sehr weit links standen, ob sie Mandela anfänglich fürchteten, hassten oder bewunderten - alle Menschen, die ich interviewte, waren nicht nur völlig hingerissen von ihm, sondern fühlten sich von seinem Beispiel inspiriert und angespornt. Wenn sie von ihm sprachen, schien etwas in ihnen zu leuchten.
Dieses Buch ist der Versuch, etwas von Mandelas Ausstrahlung zu vermitteln.
© 2008 by John Carlin
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2008
Übersetzung:»Andrea Schleipen«
Der erste Mensch, dem ich von meiner Absicht erzählte, dieses Buch zu schreiben, war Nelson Mandela. Wir trafen uns im August 2001 im Wohnzimmer seines Hauses in Johannesburg, zwei Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident von Südafrika. Nach etwas entspanntem und freundschaftlichem Geplänkel - was er meisterhaft beherrscht - und dem Austausch von Erinnerungen an die kritischen Jahre des politischen Umschwungs in Südafrika, über die ich für eine britische Zeitung berichtet hatte, kam ich zur Sache. Ich ging in meinen zunächst allgemein gehaltenen Erklärungen davon aus, dass alle Gesellschaften der Welt, bewusst oder unbewusst, nach irgendeiner Art Utopie streben. Politiker nützen die Hoffnung der Menschen aus, die glauben, dass der Himmel auf Erden erreichbar sei. Da dies nicht der Fall ist, ist das Leben der Nationen und des Einzelnen vom ständigen Kampf um die Erfüllung dieses Traums geprägt. Mandelas Traum, der ihm während seiner z7 Jahre dauernden Gefangenschaft Kraft gegeben hatte, war auch jener Martin Luther Kings: dass eines Tages die Menschen in seinem Land nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt würden.
Während ich sprach, saß Mandela mit der unergründlichen Miene einer Sphinx da - so wie er es immer tut, wenn ein Gespräch ernst wird und er der Zuhörer ist. Während man weiter vor sich hin redet, ist man sich nie sicher, ob er das Gesagte hört oder ob er in seinen eigenen Gedanken versunken ist. Als ich King zitierte, nickte er, indem er das Kinn mit zusammengepressten Lippen ruckartig senkte.
Ermutigt erklärte ich, dass das von mir geplante Buch eine Geschichte der Befreiung erzählen sollte. Es sollte vor allem um den friedlichen Machtwechsel in Südafrika gehen, um den Wandel von einer weißen Regierung zu einer Mehrheitsregierung, von der Apartheid zur Demokratie. Das Buch würde eine Zeitspanne von zehn Jahren umfassen und mit Mandelas erstem politischen Kontakt mit der Apartheid-Regierung im Jahr 1985 beginnen (auch hier bemerkte ich die Andeutung eines Nickens), einem Zeitpunkt, zu dem er noch im Gefängnis war. Es würde zum Thema machen, dass Unverständnis und Misstrauen - die in engem Zusammenhang mit dem den Menschen angeborenen Stammesdenken stehen - zu gesellschaftlichen Konflikten führen. Ich meinte „Stammesdenken" im weitesten Sinn des Wortes, wie es auf Rasse, Religion, Nationalismus oder Politik angewandt wird. George Orwell sprach von der „gewohnheitsmäßigen Annahme, die voraussetzt, dass menschliche Wesen wie Insekten klassifiziert und Gruppen von Millionen oder zehn Millionen Menschen getrost als gut' oder ‚schlecht' etikettiert werden können". Seit dem Untergang des Nationalsozialismus ist dieses entmenschlichende Verhalten nirgendwo gründlicher institutionalisiert worden als in Südafrika. Mandela selbst hatte die Apartheid als „moralischen Genozid" bezeichnet, ohne Todeslager, als heimtückische Vernichtung der Selbstachtung eines Volkes.
Vor allem aus diesem Grund wurde die Apartheid als weltweit einziges politisches System von allen Ländern - den USA, der UdSSR, Albanien, China, Frankreich, Nordkorea, Spanien, Kuba - auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges der Definition der Vereinten Nationen entsprechend als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. Dennoch ist aus dieser epochalen Ungerechtigkeit auch eine epochale Versöhnung hervorgegangen.
Ich berichtete Mandela, dass ich als Journalist viele Menschen getroffen hätte, die sich im Mittleren Osten, in Lateinamerika, in Afrika und in Asien um Frieden bemühten. Für sie verkörpert Südafrika ein Ideal, das sie anstreben. In der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, als überall auf der Welt lokale Konflikte entstanden und es diese zu lösen galt, wurde Südafrikas sogenannte „verhandelte Revolution" zu einer Art Lehrbuch dafür, wie man Frieden mit politischen Mitteln erzielen kann. Kein Land hatte sich selbst zuvor so gekonnt und menschenwürdig von der Tyrannei hin zur Demokratie bewegt. Zugegebenermaßen war das, was ich sagte, nichts Neues. Vieles war schon über die praktischen Grundlagen des „südafrikanischen Wunders" geschrieben worden. Was meiner Meinung nach jedoch fehlte, war ein Buch über den menschlichen Faktor, über das Wunderbare des Wunders. Mir schwebte ein positives Buch vor, keine Glorifizierung, ein Buch, das die menschliche Kreatur von ihrer besten Seite zeigt; ein Buch, in dessen Mittelpunkt ein Held aus Fleisch und Blut steht, der die überall auf der Welt geschätzten Eigenschaften Großzügigkeit, Selbstlosigkeit und Mut verkörpert; ein Buch über ein Land, dessen schwarze Mehrheit, die eigentlich nach Rache schreien sollte, Mandelas Beispiel folgte und der Welt eine Lektion in aufgeklärter Vergebung erteilte. Mein Buch sollte von weißen und schwarzen Menschen erzählen, deren Geschichten ein lebendiges Bild der großartigen Vergebungszeremonie Südafrikas ergeben würde. Wenn man in der heutigen Zeit einen Blick auf die Führer dieser Welt wirft, so muss man feststellen, dass viele von ihnen moralisch gesehen Zwerge waren (auch hier zuckte die Sphinx nicht mit der Wimper); auch deshalb würde mein Buch von Nelson Mandela handeln. Es sollte keine Biografie werden, sondern eine Geschichte, die den Fokus auf den Kern seiner politischen Begabung lenkt, auf sein Talent, Menschen für seine Sache zu gewinnen - indem er an ihre besseren Eigenschaften appellierte und, um mit Abraham Lincolns zu sprechen, „die besseren Engel ihrer Natur zum Vorschein brachte".
Ich wollte keine feierliche Chronologie von Ereignissen, keine präzise Historie des politischen Wandels in Südafrika schreiben. Und ich hatte auch ganz sicher nicht die Absicht, Mandelas eigener monumentaler Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit" Konkurrenz zu machen. Stattdessen wollte ich die Geschichte um ein bestimmtes Sportereignis herum aufbauen. Sport hat viel dazu beigetragen, die Gefühle der Massen zu bewegen und ihre politische Wahrnehmung zu schärfen (wieder ein kurzes und scharfkantiges Nicken). Als Beispiel dafür nannte ich die Olympischen Spiele in Berlin im Jahre 1936, die Hitler dazu benutzte, um für seine Vorstellung von der arischen Überlegenheit zu werben. Der schwarze amerikanische Athlet Jesse Owens durchkreuzte diesen Plan mit seinem vierfachen Goldmedaillengewinn jedoch gründlich. Jackie Robinson war der erste schwarze Mann, der in einer amerikanischen Profiliga Baseball spielte, und setzte damit den notwendigen Bewusstseinswandel in Gang, der zu großen sozialen Veränderungen führte. Ich erwähnte auch den unerwarteten Eishockeysieg Amerikas gegen Russland bei den Olympischen Winterspielen im Jahr 1980, der noch dazu auf heimischem Boden und während des Kalten Krieges stattfand.
Dann erinnerte ich Mandela an die Worte, die er vor wenigen Jahren dem brasilianischen Fußballstar Pell anlässlich der Preisverleihung für sein Lebenswerk mit auf den Weg gegeben hatte. Damals sagte Mandela - ich las dies aus meinen mitgebrachten Notizen ab: „Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Er hat, wie nur wenige andere Dinge, die Kraft, Menschen zu inspirieren, die Kraft, sie zu vereinen. Er ist mächtiger als Regierungen, wenn es darum geht, Rassenbarrieren niederzureißen."
Schließlich kam ich zum Punkt. Ich legte Mandela den Kern meiner Geschichte dar und erklärte, warum ich dafür seine Hilfe benötigte. Ich sagte ihm, dass es ein sportliches Ereignis gegeben habe, das alle bereits erwähnten in den Schatten stellte, eines, das alle während unseres Gesprächs angesprochenen Themen vereinte und das auf magische Weise jene von Martin Luther King erträumte „Symphonie der Brüderlichkeit" heraufbeschworen hatte; ein Ereignis, in dem sich alles, wofür Mandela in seinem Leben gekämpft und gelitten hatte, konzentrierte. Bewegt und beunruhigt durch meine unbeholfene Rede sagte ich ihm, ich bezöge mich auf das Endspiel der - plötzlich erleuchtete sein Lächeln den ganzen Raum und in freudigem Erkennen klatschte er in die Hände und beendete den Satz für mich: „... Rugby Weltmeisterschaft von 1995!" Mein eigenes Lächeln bestätigte dies und er fügte hinzu, „Ja. Ja. Absolut! Ich verstehe ganz genau, was für ein Buch Ihnen vorschwebt." Er sagte es mit einer kräftigen Stimme, die nicht wie die eines alten Mannes klang, sondern wie die eines 40 Jahre Jüngeren. „John, Sie haben meinen Segen. Sie haben ihn voll und ganz."
In Hochstimmung schüttelten wir uns die Hände, sagten uns auf Wiedersehen und kamen überein, bald ein weiteres Treffen zu arrangieren. Bei diesem zweiten Gespräch, das ich mit einem Kassettenrekorder aufzeichnete, erzählte er, wie er im Gefängnis auf die Idee von der politischen Kraft des Sports gekommen sei; wie er die Rugby Weltmeisterschaft von 1995 als Instrument für jenes strategische Ziel benutzt habe, das er sich selbst während seiner ersten fünf Jahre als erster demokratisch gewählter Präsident Südafrikas gesetzt hatte: Schwarze und Weiße zu versöhnen, die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in einem Land zu schaffen, das kaum fünf Jahre zuvor, als er aus dem Gefängnis entlassen worden war, alle Voraussetzungen für einen blutigen Bürgerkrieg erfüllte. Er erzählte mir, oftmals mit einem leisen Lachen, von den Schwierigkeiten, seine eigenen Leute davon zu überzeugen, das Rugbyteam zu unterstützen. Und er sprach mit Hochachtung und Zuneigung über Francois Pienaar, den großen blonden Sohn der Apartheid und Kapitän des südafrikanischen Teams der Springboks; vom Teammanager, einem weiteren Afrikaner namens Morné du Plessis, den Mandela mit einer altmodischen britischen Wendung als „an excellent chap", als großartigen Kerl, bezeichnete.
An jenem Tag sprachen wir ein paar Stunden miteinander und bald schon willigten auch viele andere Menschen ein, mit mir wegen des Buches zu sprechen, Leute, an die ich wahrscheinlich schwer herangekommen wäre, wenn ich nicht vorher Mandelas Einverständnis erhalten hätte.
Während der sechs bewegten Jahre zwischen 1989 und 1995 hatte ich jede Menge Material für meine Story zusammengetragen; damals hatte ich als Chef des Londoner Independent in Südafrika gearbeitet. In den darauffolgenden zehn Jahren war ich immer wieder nach Südafrika zurückgekehrt. Doch erst nach meiner Unterredung mit Mandela begann ich, immer mit der Idee zu diesem Buch im Kopf, mich gezielt mit bestimmten Personen zu treffen. Ich begann mit einem Star des Springboks-Teams, Hennie le Roux. Man erwartet nicht unbedingt, dass ein Interview mit einem Rugbyspieler herzliche und bewegende Gefühle hervorruft. Doch genau das passierte mir, als le Roux über Mandela sprach und über die Rolle, die er selbst, ein anständiger, aber politisch unbewanderter Afrikaaner unfreiwillig im Leben seines Landes spielen sollte. Wir verbrachten in dem ansonsten leeren Büro etwa zwei Stunden miteinander, bis zum Einbruch der Dunkelheit, und er musste drei oder vier Mal mitten im Satz innehalten, um die Tränen zurückzuhalten. Das Interview mit le Roux war richtungsweisend für Dutzende von Interviews, die ich für dieses Buch führte. In vielen Fällen gab es immer mindestens einen Augenblick, in dem mir Tränen in die Augen schossen, besonders, wenn ich mit einem der Rugbyspieler sprach. In allen Fällen - ob es sich um Erzbischof Desmond Tutu, um den sehr rechten afrikaanischen Nationalisten, General Constand Viljoen, oder um seinen linken Gegenpart Braam handelte -durchlebten meine Gesprächspartner alle die Zeiten wieder, über die wir in heiterer, manchmal fast euphorischer Atmosphäre sprachen.
Mehr als nur einmal hörte ich von Leuten, das geplante Buch gleiche einer Fabel, einer Parabel oder einem Märchen. Es war merkwürdig, das von Leuten gesagt zu bekommen, die im wirklichen Leben Protagonisten eines politischen Märchens waren, das Wirklichkeit geworden war. Es erfüllte in der Tat zwei Voraussetzungen für ein gutes Märchen: Es enthielt eine gute Story und eine beispielhafte Lehre. Zwei Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich das Material sichtete: Zuerst dachte ich an das politische Talent Mandelas. Letztlich heißt Politik nichts anderes, als Menschen zu überzeugen und sie für die eigene Sache zu gewinnen. Alle Politiker sind professionelle Verführer: Ihr Job ist es, Menschen zu umwerben. Und wenn sie klug sind und ihre Sache gut machen, wenn sie das Talent besitzen, den richtigen Ton zu treffen, sind sie erfolgreich. Lincoln hatte dieses Talent, Roosevelt, Churchill, de Gaulle, Kennedy, Martin Luther King, Bill Clinton und Tony Blair - sie alle hatten das Talent, rhetorisch zu verführen. So wie auch Arafat. Und in diesem Sinne auch Hitler. Sie alle gewannen die Menschen für ihre Sache. Was Mandela vielen von ihnen voraus hatte, worin er einzigartig war, ist sein besonders ehrgeiziges Ziel. Nachdem er seine eigenen Leute für seine Sache gewinnen konnte - was an sich noch keine großartige Leistung ist, denn sie waren ein verzweifelter, aus verschiedenen Glaubensrichtungen, Hautfarben und Volksstämmen zusammengesetzter Haufen - zog er aus und überzeugte den Feind. Wie er das tat, wie er Menschen für sich gewinnen konnte, die vormals seine Inhaftierung guthießen, die ihn tot sehen wollten, die vorhatten, gegen ihn in den Krieg zu ziehen, davon handelt dieses Buch.
Ein zweiter Gedanke war, dass dieses Buch jenseits eines Geschichts- oder sogar Legendenbuchs ein Ratgeber werden könnte, der Antworten auf Fragen wie „Wie sollte man sein Leben leben?" gibt. Mandela beherrscht mehr als jeder andere lebende (und vielleicht auch tote) Mensch die Kunst, Freundschaften zu schließen und Menschen zu beeinflussen. Ganz gleich ob sie politisch sehr weit rechts oder sehr weit links standen, ob sie Mandela anfänglich fürchteten, hassten oder bewunderten - alle Menschen, die ich interviewte, waren nicht nur völlig hingerissen von ihm, sondern fühlten sich von seinem Beispiel inspiriert und angespornt. Wenn sie von ihm sprachen, schien etwas in ihnen zu leuchten.
Dieses Buch ist der Versuch, etwas von Mandelas Ausstrahlung zu vermitteln.
© 2008 by John Carlin
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2008
Übersetzung:»Andrea Schleipen«
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Autoren-Porträt von John Carlin
John Carlin ist preisgekrönter Reporter für "El País", preisgekrönter Mitarbeiter des "Observer", der "Sunday Times" sowie des "London Independent". Lange Zeit Auslandkorrespondent in Südafrika.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Carlin
- 2008, 320 Seiten, Maße: 15,1 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Andrea Schleipen
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451298597
- ISBN-13: 9783451298592
Kommentar zu "Der Sieg des Nelson Mandela"
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