Meine Preise
Eine Bilanz. Erstausgabe aus dem Nachlaß
Einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jh. auf der Höhe seiner Kunst! Thomas Bernhard (gestorben am 12. Februar 1989) resümiert in dieser bisher unveröffentlichten komödiantischen Prosa zornig über die ihm verliehenen...
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Produktinformationen zu „Meine Preise “
Einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jh. auf der Höhe seiner Kunst! Thomas Bernhard (gestorben am 12. Februar 1989) resümiert in dieser bisher unveröffentlichten komödiantischen Prosa zornig über die ihm verliehenen Literaturpreise - und über die Tragödien, die sich daraus entwickelten.
Klappentext zu „Meine Preise “
Nach Thomas Bernhard kann die Kunst der Übertreibung auch die Form der Untertreibung annehmen. In Sinne einer solchen Untertreibung muß die Publikation von »Meine Preise« als Sensation gelten: Zum 20. Todestag im Februar 2009 wird diese Prosaarbeit erstmals veröffentlicht. Bernhard hat sie 1980 fertiggestellt, zu Lebzeiten aber nie publiziert. Der Text gliedert sich in neun Kapitel und einen Anhang. Zornig Rückschau haltend, zieht Bernhard darin eine Bilanz der ihm verliehenen Literaturpreise. Detailliert schildert der begnadete Komiker die Tragödien, zu denen sich die Überreichung seiner Literaturpreise jeweils entwickelte. Ob Bremer Literaturpreis, ob Staatspreis für Roman, ob Grillparzer-Preis, ob Georg-Büchner-Preis: Als Auslöser von Skandalen dienten sie dem Geehrten allemal. Für den Autor sind die mit den Preisen verbundenen Geldbeträge aber auch ein Anlaß, sich in Abenteuer zu stürzen.Auf die gesamte Menschheit schimpfend und über sich selbst den Kopf schüttelnd entwirft Thomas Bernhard ein Selbstporträt des Autors als Preis- und Preisgeldempfänger. Diese Selbstdarstellung setzt da ein, wo die bisher in Buchform erschienene Autobiographie endet - bei seiner frühen Anerkennung nach dem ersten Roman - , und schließt mit dem Austritt aus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.Diese bisher unveröffentlichte komödiantische Prosa zeigt Bernhard auf dem allerhöchsten Stand seiner Kunst: Schimpfend, staunend, verfluchend-verlachend hadert Thomas Bernhard mit der Welt im allgemeinen, dem Kulturbetrieb im besonderen und ganz speziell mit sich selbst mittendrin.
Lese-Probe zu „Meine Preise “
Meine Preise von Thomas Bernhard
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Zur Verleihung des Grillparzerpreises der Akademie der Wissenschaften in Wien mußte ich mir einen Anzug kaufen, denn ich hatte plötzlich zwei Stunden vor dem Festakt eingesehen, daß ich zu dieser zweifellos außerordentlichen Zeremonie nicht in Hose und Pullover erscheinen könne und so hatte ich tatsächlich auf dem sogenannten Graben den Entschluß gefaßt, auf den Kohlmarkt zu gehen und mich entsprechend feierlich einzukleiden, zu diesem Zwecke suchte ich das mir von mehreren Sockeneinkäufen her bestens bekannte Herrengeschäft mit dem bezeichnenden Titel Sir Anthony auf, wenn ich mich recht erinnere, war es Dreiviertelzehn, als ich den Salon des Sir Anthony betrat, die Verleihung des Grillparzerpreises sollte um elf stattfinden, ich hatte also noch eine Menge Zeit. Ich hatte die Absicht, mir, wenn schon von der Stange, so doch den besten Reinwollanzug in Anthrazit anzuschaffen, dazu die passenden Socken, eine Krawatte und ein Hemd von Arrow, ganz fein, graublau gestreift. Die Schwierigkeit, sich in den sogenannten feineren Geschäften gleich verständlich zu machen, ist bekannt, auch wenn der Kunde sofort und auf die präziseste Weise sagt, was er will, wird er zuerst einmal ungläubig angestarrt, bis er seinen Wunsch wiederholt hat. Aber natürlich hat der angesprochene Verkäufer auch dann noch nicht begriffen. So dauerte es auch damals im Sir Anthony länger als notwendig, zu den in Frage kommenden Regalen geführt zu werden. Tatsächlich waren mir die Umstände in diesem Geschäft von meinen Sockeneinkäufen her schon bekannt und ich selbst wußte besser als der Verkäufer, wo ich den gesuchten Anzug zu finden habe. Ich schritt auf das Regal mit den in Frage kommenden Anzügen zu und ich deutete auf ein ganz bestimmtes Exemplar, das der Verkäufer von der Stange herunternahm, um es mir vor die Augen zu halten. Ich prüfte die Stoffqualität und machte sogleich in der Kabine eine Probe. Ich beugte mich ein paarmal vor und lehnte mich zurück und fand, daß mir die Hose paßte. Ich zog den Rock an, drehte mich ein paarmal vor dem Spiegel, hob die Arme und senkte sie wieder, der Rock paßte wie die Hose. Ich ging ein paar Schritte mit dem Anzug durch das Geschäft und suchte mir bei dieser Gelegenheit das Hemd und die Socken aus. Schließlich sagte ich, daß ich den Anzug anbehalten und auch noch das Hemd und die Socken anziehen wolle. Ich suchte mir eine Krawatte aus, band sie mir um, zog sie so weit als möglich zu, begutachtete mich noch einmal im Spiegel, bezahlte und ging hinaus. Meine alte Hose und meinen Pullover hatten sie mir in eine Tasche mit der Aufschrift Sir Anthony gepackt, so, mit dieser Tasche in der Hand, ging ich über den Kohlmarkt, um mich mit meiner Tante zu treffen, mit welcher ich verabredet gewesen war im Restaurant Gerstner auf der Kärntnerstraße, im ersten Stock. Beim Gerstner wollten wir noch kurz vor der Feierlichkeit ein oder zwei Sandwiches essen, um im Laufe der Prozedur einer Übelkeit oder gar einer Ohnmacht vorzubeugen. Meine Tante war schon im Gerstner gewesen, sie hatte meine Verwandlung als akzeptabel eingestuft und ihr berühmtes Nunja gesagt. Ich selbst hatte bis zu diesem Zeitpunkt jahrelang keinen Anzug getragen, ja, ich war bis dahin immer nur in Hose und Pullover in Erscheinung getreten, selbst ins Theater war ich, wenn überhaupt, nur in Hose und Pullover gegangen, vornehmlich in einer grauen Wollhose und in einem knallroten derbgestrickten Schafspullover, den mir ein gutaufgelegter Amerikaner gleich nach dem Krieg geschenkt hat. In dieser Aufmachung war ich, erinnere ich mich, ein paarmal nach Venedig gefahren und in das berühmte Teatro La Fenice gegangen, unter anderem einmal in eine Aufführung des Tancred von Monteverdi, die Vittorio Gui dirigiert hat und ich war in dieser Hose und in diesem Pullover in Rom, in Palermo, in Taormina und in Florenz und in fast allen übrigen Hauptstädten Europas gewesen, ganz abgesehen davon, daß ich diese Kleidungsstücke zuhause beinahe immer getragen habe, je schäbiger Hose und Pullover waren, desto lieber hatte ich sie, jahrelang hatte man mich nur in dieser Hose und in diesem Pullover gekannt und noch heute fragen mich die Freunde von damals nach dieser Hose und nach diesem Pullover, ich habe diese Kleidungsstücke über ein Vierteljahrhundert getragen. Plötzlich, auf dem Graben wie gesagt und zwei Stunden vor der Verleihung des Grillparzerpreises, empfand ich aufeinmal diese mir in Jahrzehnten an den Leib gewachsenen Kleidungsstücke als unpassend für eine Ehrung, die mit dem Namen Grillparzer verbunden ist und die in der Akademie der Wissenschaften stattfinden sollte. Im Hinsetzen im Gerstner hatte ich aufeinmal das Gefühl, daß mir die Hose zu eng ist, aber ich dachte, das ist wahrscheinlich immer das gleiche Gefühl bei neuen Hosen, auch der Rock erschien mir aufeinmal zu eng und auch was den Rock betraf, dachte ich, das sei normal. Ich bestellte mir ein Sandwich und trank ein Glas Bier dazu. Wer denn vor mir diesen sogenannten Grillparzerpreis schon bekommen habe, fragte mich meine Tante und da fiel mir im Augenblick nur Gerhart Hauptmann ein, ich hatte das einmal gelesen und bei dieser Gelegenheit zum erstenmal von der Existenz des Grillparzerpreises erfahren. Der Preis wird nicht regelmäßig, sondern nur fallweise verliehen, sagte ich und ich dachte, daß zwischen den einzelnen Verleihungen schon sechs oder sieben Jahre liegen, vielleicht auch manchmal nur fünf, ich wußte es nicht, ich weiß es auch heute nicht. Auch diese Preisverleihung machte mich naturgemäß nervös und ich versuchte mich selbst und meine Tante von der Tatsache, daß es bis zum Beginn der Feierlichkeit nurmehr noch eine halbe Stunde war, abzulenken, ich berichtete von der Ungeheuerlichkeit, daß ich gerade auf dem Graben den Entschluß gefaßt hatte, mir einen Anzug für die Feierlichkeit zu kaufen und daß es für mich eine Selbstverständlichkeit gewesen sei, das Geschäft auf dem Kohlmarkt aufzusuchen, in welchem die englischen Anzüge der Firmen Chester Barry und Burberry zu haben sind. Warum sollte ich mir, wenn schon von der Stange, hatte ich wieder gedacht, nicht gleich einen erstklassigen Anzug kaufen, und nun war der Anzug, den ich anhatte, ein Anzug der Firma Barry. Meine Tante griff nur nocheinmal nach dem Stoff und war mit der englischen Qualität zufrieden. Sie sagte nocheinmal ihr berühmtes Nunja. Über den Schnitt nichts. Es war der klassische. Sie wäre sehr glücklich über die Tatsache, daß mir die Akademie der Wissenschaften heute ihren Grillparzer- preis verleihe, sagte sie, auch stolz, aber mehr noch glücklich als stolz und sie stand auf und ich folgte ihr aus dem Gerstner auf die Kärntnerstraße hinunter. Wir hat- ten nur ein paar Schritte zu gehen bis zur Akademie der Wissenschaften. Die Tasche mit der Aufschrift Sir Anthony war mir zutiefst zuwider gewesen, aber ich konnte es nicht ändern. Ich werde die Tasche vor dem Eintreten in die Akademie der Wissenschaften abgeben, sagte ich mir. Ein paar Freunde waren auch schon unterwegs gewesen, die meine Ehrung nicht versäumen wollten, wir trafen sie in der Eingangshalle der Akademie. Dort waren schon viele Menschen versammelt und es schien, als ob sich der Festsaal schon gefüllt hätte. Die Freunde ließen uns in Ruhe und wir schauten uns in der Halle nach einer Persönlichkeit um, die uns empfangen würde. Ich ging ein paarmal mit meiner Tante in der Eingangshalle der Akademie hin und her, aber kein Mensch nahm von uns auch nur die geringste Notiz. Also gehen wir hinein, sagte ich und dachte, im Saale wird mich eine Persönlichkeit empfangen und zu dem entsprechenden Platz führen mit meiner Tante. Alles in der Halle deutete auf eine ungeheuere Festlichkeit hin und tatsächlich hatte ich das Gefühl, als zitterten mir die Knie. Auch meine Tante hielt, so wie ich, ständig Ausschau nach einer Persönlichkeit, die uns empfangen wird. Vergeblich. So stellten wir uns ganz einfach unter die Eingangstür des Festsaals und warteten ab. Aber die Leute drängten an uns vorbei und stießen uns fortwährend an und wir mußten einsehen, daß wir uns die ungünstigste Wartestelle ausgesucht hatten. Ja, empfängt uns denn niemand? dachten wir. Wir blickten uns an. Der Saal hatte sich schon beinahe zur Gänze gefüllt und zwar zu dem alleinigen Zwecke, mir den Grillparzerpreis der Akademie der Wissenschaften zu verleihen, dachte ich. Und kein Mensch empfängt mich und meine Tante.
© Suhrkamp Verlag
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Autoren-Porträt von Thomas Bernhard
Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Thomas Bernhard
- 2009, 3. Aufl., 144 Seiten, Maße: 12,6 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 3518420550
- ISBN-13: 9783518420553
Rezension zu „Meine Preise “
»Thomas Bernhard hat den Literaturpreiszirkus Zeit seines Lebens verabscheut. Er hat ihn gefürchtet und gehasst, und er hat über ihn gelacht, so gut es ging. Die Rituale der Preisverleihung, die oft unsäglichen Grußworte und ahnungslosen Reden der Funktionäre, ... er hat es in einem Hass ausgekostet bis zur bitteren Neige.«Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung
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