Die Goldhändlerin
Deutschland, 1485: Die junge Jüdin Lea hat schwer an ihrem Schicksal zu tragen, denn ihr Vater und ihr Bruder Samuel kamen bei einem Pogrom ums Leben. Um das Erbe ihres Vaters und ihr Überleben zu sichern, muss Lea sich als Samuel ausgeben....
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Produktinformationen zu „Die Goldhändlerin “
Deutschland, 1485: Die junge Jüdin Lea hat schwer an ihrem Schicksal zu tragen, denn ihr Vater und ihr Bruder Samuel kamen bei einem Pogrom ums Leben. Um das Erbe ihres Vaters und ihr Überleben zu sichern, muss Lea sich als Samuel ausgeben. Ihr drohen viele Gefahren, nicht nur von christlicher Seite, sondern auch von ihren Glaubensbrüdern, die "Samuel" verheiraten wollen. Und dann verliebt sie sich in den mysteriösen Roland.
Lese-Probe zu „Die Goldhändlerin “
Die Goldhändlerin von Iny Lorentz LESEPROBE
3.
Als das Flackern verlosch und klamme Kälte durch die Kleider biss, kauerten Lea, Gretchen und Rachel eng aneinander geschmiegt auf der Treppe, dem einzig sauberen Ort in dem feuchten Gewölbe, und kämpften mit der Angst, die durch die nun eingetretene Stille und die undurchdringliche Schwärze um sie herum verstärkt wurde. Als oben eine Männerstimme aufklang, sprang Gretchen mit einem Jubelruf auf und kletterte die Stiege hoch. Gleich darauf ertönte ein Scharren, als schiebe jemand den Gegenstand beiseite, mit dem Gretchens Schwiegermutter die Falltür blockiert hatte, dann ging die Luke auf, und jemand streckte eine Lampe herein.
»Gretchen, bist du da unten?«
Gretchen schoss die letzten Stufen hoch, fiel ihrem Ehemann um den Hals und küsste ihn unter Tränen. »Oh, Peter, bin ich froh, dass du wieder da bist! Ist dir auch nichts passiert? Stell dir vor, deine Mutter hat mich einfach die Treppe herabgestoßen. Ich hätte mir die Beine brechen können!«
Wenn Gretchen gehofft hatte, ihr Mann würde sie trösten und ihr Recht geben, wurde sie bitter enttäuscht. Er packte ihre Arme so fest, dass sie vor Schmerz aufstöhnte, und schob sie mit verärgertem Gesichtsausdruck von sich weg.
»Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Was hast du dir dabei gedacht, zwei Judenbälger ins Haus zu lassen? Wenn dich jemand beobachtet hätte, wären wir alle erschlagen oder mit dem blutsaugerischen Gesindel aus der Stadt geprügelt worden. Danke Gott, dem Allmächtigen, dass Mutter gescheit genug war, euch in den Keller zu sperren und alle Spuren zu beseitigen.«
Inzwischen war Lea ebenfalls die Kellertreppe hochgestiegen und baute sich vor Peter Pfeiffer auf. Der Mann sah
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aus, als würde er sie am liebsten wieder hinunterwerfen oder gleich umbringen, aber Lea war schon jenseits aller Furcht. »Ich bin die Tochter des Hoffaktors Jakob ben Jehuda und die Nichte Esra ben Nachums. Könnt Ihr mir bitte sagen, Herr, was mit meinen Verwandten geschehen ist?«
Peter Pfeiffer musterte sie wie eine fette Gartenschnecke in seinem Salat. »Woher soll ich das wissen? Das meiste von eurem Pack hat man zum Stadttor hinausgetrieben, nachdem man ihnen weggenommen hat, was sie uns jahrelang abgepresst haben. Wer sich gewehrt hat, musste halt ins Gras beißen. Aber ob einer lebt oder tot ist, hat mich nicht interessiert. Je weniger von euch diebischem, gotteslästerlichem Gelichter auf der Welt herumläuft, umso besser ist es.«
Lea wäre dem Mann am liebsten mit den Fingernägeln ins Gesicht gefahren, um seine selbstzufriedene Miene zu zerkratzen, doch Gretchen schien ihre Gedanken zu ahnen und drängte sie von ihm weg. »Das ist Lea, deren Vater ich die Mitgift zu verdanken habe, von der wir alle so gut leben. Jetzt beleidigst du die Töchter unseres großzügigen Gönners und freust dich, weil es ihren Leuten schlecht ergangen ist. Ich schäme mich für dich!«
Peter Pfeiffer zuckte unwillig mit den Schultern. »Ich habe ja nichts gegen den Hartenburger Juden und seine Kinder. Aber es ist halt sein Pech, dass er ausgerechnet heute in Sarningen auftauchen musste.«
Lea stieß die Luft aus, die sie in ihrer Wut angehalten hatte. »Mein Vater konnte ja nicht wissen, dass der hiesige Vogt die Gesetze Kaiser Friedrichs missachtet und seine Leute an die Spitze einer Mörderbande stellt.«
Abrupt drehte sich Peter Pfeiffer zu Gretchen um und hob die Hand, als wolle er sie schlagen. »Musstest du das ausplaudern, du dummes Stück? Wenn bekannt wird, was du hier herumtratschst, trifft mich Herrn Albans Zorn, und ich verliere nicht nur meinen Posten, sondern wandere ins Turmverlies, wo man mich bei lebendigem Leib verrotten lässt. Verdammt, Weib, du weißt, was es mich gekostet hat, in kaiserliche Dienste treten zu können. Warum setzt du das alles aufs Spiel?«
Lea hob das Kinn und sah dem jungen Beamten ins Gesicht. »Wenn Ihr mir und meiner Schwester weiterhin Schutz gewährt, werden wir niemandem verraten, was hier vorgegangen ist, weder hier in der Stadt noch irgendwo anders.«
Gretchens Mann begriff Leas versteckte Drohung. Wenn er sie und ihre Schwester aus dem Haus jagte oder Rittlages Männern auslieferte, würden sie das Geheimnis so laut hinausschreien, dass es jeder hören konnte. Dem Mann war anzusehen, dass er vor Wut kochte, aber im Wissen um die Gefahr, in der er selbst schwebte, nickte er widerwillig. Er konnte ja nicht ahnen, dass Lea ihn um Gretchens Willen nicht verraten würde, denn schließlich hatte die Freundin ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um sie und Rachel zu retten.
Als Leas Blick auf ein Bündel fiel, das weiter vorne im Flur auf einer Truhe lag und von einer rußenden Unschlittkerze beleuchtet wurde, wünschte sie Peter Pfeiffer insgeheim die Seuche an den Hals. Neben anderem Plündergut ragten eine Kapsel, die von einer Thorarolle abgerissen worden war, und ein neunarmiger Leuchter aus Silber, wie ihn wohlhabende Juden beim Chanukka-Fest verwendeten, aus dem Tuch. Gretchens Mann hatte also auch zu jenen gehört, die das Judenviertel gestürmt hatten.
Lea hätte am liebsten vor ihm ausgespuckt, aber die Sorge um ihr eigenes Leben hielt sie ebenso davon ab wie die Hoffnung, der Mann würde ihr um Gretchens willen helfen, ihren Vater und ihre Brüder zu finden. Daher wandte sie sich ab und tat, als hätte sie nichts bemerkt. Sie musste Gewissheit haben, ob ihre Verwandten dem Pogrom entkommen waren. Ohne sich weiter um Peter Pfeiffer oder dessen Mutter zu kümmern, die vor sich hin schimpfend in einem Winkel stand, nahm sie die Lampe mit der erst halb abgebrannten Kerze von der Truhe und wollte die Tür öffnen.
Die alte Pfeifferin vertrat ihr den Weg. »Was hast du vor?«
»Ich gehe hinüber und suche nach meinen Angehörigen.«
Gretchen kam ihr nach und schlang ihr die Arme um die Schultern. »Das ist zu gefährlich.«
Ihr Mann winkte ab. »Lass sie gehen. Besser sie läuft in ihr Verderben, als dass sie uns die Nachbarn zusammenschreit, weil wir sie mit Gewalt zurückhalten. Wahrscheinlich sind die meisten schon nach Hause gelaufen oder sitzen in der Wirtschaft und vertrinken ihr Beutegut. Wenn jemand sie sieht, wird er denken, sie gehöre zu den Plünderern, die auf der Suche nach Dingen sind, die die anderen übersehen haben.«
Er trat an die Hintertür, schob den Riegel zurück und winkte Lea spöttisch hinaus. Sie hob den Kopf und ging aufrecht an ihm vorbei, obwohl sie sich am liebsten geduckt hätte und wie ein Hase davongesprungen wäre. Erst als er die Tür hinter ihr verriegelte, wurde ihr klar, dass sie nun ganz auf sich allein gestellt war, und das Herz schien ihr vor Angst stehen bleiben zu wollen.
Es kostete sie einige Überwindung, einen Fuß vor den anderen zu setzen und die Pforte ins Judenviertel zu durchschreiten, die im Schein der armseligen Lampe einer klaffenden Wunde glich. Scherben knirschten unter ihren nackten Füßen und schnitten in ihre Sohlen. Sie verbiss sich den Schmerz und ging unbeirrt weiter, bis sie Esra Ben Nachums Haus erreichte. Mit seinen leeren Fensterhöhlen wirkte es auf sie wie ein Totenkopf. Sie kämpfte mit sich, ob sie hineingehen oder umkehren sollte. Etwas in ihr wollte sie glauben machen, dass es sinnlos war, in dem unruhig flackernden Licht ihrer Laterne hier herumzusuchen. Gewiss schleppten sich die Bewohner des Hauses und ihre Gäste schon längst über dunkle Landstraßen und klagten Gott ihr Schicksal.
Samuels Bild schob sich in ihre Gedanken. Als einziges Mitglied ihrer Familie hatte er sie ernst genommen und wie einen vollwertigen Menschen behandelt, ja, er hatte sie wie einen jüngeren Bruder unter seine Fittiche genommen, ihren Wissensdurst gestillt und ihr vieles beigebracht, was einem Mädchen sonst vorenthalten wurde. Sie spürte, wie ihr Herz sich wieder verkrampfte, denn ihr Bruder war stolz und aufbrausend und ließ sich nicht so schnell einschüchtern. Nur allzu gut erinnerte sie sich an die Klagen ihres Vaters, Samuel besäße zu viel Mut und zu wenig Vorsicht, um in diesem Land als Jude leben zu können. War er vor dem aufgebrachten Mob davongelaufen oder hatte er versucht, sich und die anderen zu verteidigen? Lea dachte schaudernd daran, was Peter Pfeiffer gesagt hatte, und begann zu ahnen, was sie in diesem Haus erwartete.
Bis auf ein paar Holzstücke und Tonscherben war im Hausflur und in der ersten Kammer nichts mehr zu finden. Auch in der Küche gab es nur noch den gemauerten Ofen. Sogar das Brennholz hatten die Plünderer mitgehen lassen. Lea leuchtete den Boden und die Wände ab, konnte aber keine Blutspuren entdecken und atmete auf. Ihre Erleichterung hielt jedoch nur wenige Herzschläge an, denn in der nächsten Kammer lag ein blutüberströmter Körper.
Lea presste die linke Hand auf den Mund, um ihre Wut und ihren Schmerz nicht laut hinauszuschreien. Der Tote war Samuel. Die Plünderer hatten ihm die Schläfenlocken abgeschnitten, die ihn als gläubigen Aschkenasi kennzeichneten, und ihm dabei tiefe Schnitte beigebracht. Während des Kampfes hatte man ihm die Kleider vom Leib gerissen, und sein mit Wunden und Trittspuren übersäter Leib verriet, wie heftig er sich gewehrt haben musste. Sein Widerstand war jedoch vergebens gewesen, denn man hatte ihn schließlich mit den eigenen Gebetsriemen erdrosselt, und noch im Tod zeigte sein Gesicht einen ohnmächtigen Zorn. Lea konnte sich lebhaft vorstellen, wie Samuel sich der plündernden Meute in den Weg gestellt hatte, doch ebenso gut hätte er versuchen können, die Wasser des Jordans umzuleiten oder den Tempel in Jerusalem wieder zu errichten.
Einen Augenblick verfluchte sie ihn für seine Uneinsichtigkeit, denn mit ihm verlor sie den einzigen Menschen, der ihr wirklich etwas bedeutet hatte. Dann aber schlug sie sich auf den Mund, denn sie schämte sich für ihre bösen Worte, und sprach ein kurzes Gebet. Als sie weiterging, klammerte sie sich an die Hoffnung, dass Samuel mit seinem Opfer den anderen die Flucht ermöglicht hatte. Die nächste Kammer war leer und ohne Kampfspuren, und Lea wurde etwas leichter ums Herz. Im Wohnraum aber stieß sie gleich auf mehrere Tote. Zwei davon waren ihr unbekannte junge Männer, wohl Mitglieder der Sarninger Gemeinde, und der dritte Gerschom, der Leibdiener ihres Vaters. Der alte Mann hatte offensichtlich versucht, seinen Herrn zu verteidigen, denn er war buchstäblich in Stücke gerissen worden. Hinter ihm lag Jakob Goldstaub mit ausgebreiteten Armen über einer kleinen, verkrümmten Gestalt, in der Lea erst auf den zweiten Blick ihren Bruder Elieser erkannte.
»Oh Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, warum lässt du zu, dass man dein Volk so quält?«, stöhnte sie auf. Da ihr Vater auf den ersten Blick unverletzt erschien, kniete sie neben ihm nieder und legte ihr Ohr auf sein Herz. Die Hoffnung, er könnte noch leben, verflog schneller, als sie aufgekeimt war. Jakob ben Jehuda, der Jude von Hartenburg, war tot.
Ein leises Jammern ließ Lea aufhorchen. Sie starrte auf ihren jüngeren Bruder und rieb sich die Augen. Elieser hatte sich unzweifelhaft bewegt. Sie rutschte auf Knien zu ihm hin und legte die Finger an seinen Hals, um den Puls zu prüfen. Er schlug schwach und stockend, aber vernehmlich. Lea unterdrückte einen Jubelruf, sprang auf und versuchte, den schon erstarrten Körper ihres Vaters von Elieser herunterzuziehen. Dabei murmelte sie Totengebete und entschuldigte sich zwischendurch, denn es gehörte sich nicht, den Leichnam eines frommen Juden so achtlos herumzuzerren. Obwohl Jakob Goldstaub ein kleiner, magerer Mann gewesen war, verging schier eine Ewigkeit, bis Lea ihn zur Seite gezogen hatte, und trotz ihrer Vorsicht stieß ihr Bruder bei jeder Bewegung des Körpers über ihm schwache Jammerlaute aus. Aber er reagierte weder auf ihre Fragen noch auf ihre tröstenden Worte.
Als Lea Elieser von der Last des Toten befreit hatte, sah sie, dass sein rechtes Bein und sein rechter Arm in unnatürlichem Winkel vom Körper abstanden. Man hatte ihm die Knochen gebrochen und mehrere klaffende Wunden beigebracht, aus denen immer noch Blut sickerte. Für einen Augenblick stand sie ratlos da und schlug vor Verzweiflung die Hände vors Gesicht. Der Junge musste so schnell wie möglich zu einem Arzt gebracht werden, doch wer würde sich in dieser Stadt noch trauen, einem Juden zu helfen? Gretchen war sicher dazu bereit, aber Lea wagte es nicht, die Freundin zu holen, denn wenn Peter Pfeiffer erfuhr, was sie im Sinn hatte, würde er sie beide so lange in den Keller sperren, bis Elieser tot war. Nein, sie musste ihren jüngeren Bruder aus eigener Kraft hier herausbringen.
Als Lea Elieser aufhob, stieß er so spitze Schreie aus, dass sie schon Angst bekam, er würde Plünderer auf sie aufmerksam machen. Sie versuchte, beruhigend auf ihn einzureden, und als das nichts half, begann sie eine Melodie zu summen, die er immer gemocht hatte. Tatsächlich verstummte er bald, aber sie nahm an, dass er vor Schmerz bewusstlos geworden war. Sie biss die Zähne zusammen und schleppte ihn aus dem Haus. Erst draußen erinnerte sie sich an ihren Onkel und dessen Familie. Sie hatte weder Esra ben Nachum noch Mirjam oder Noomi gesehen. Vielleicht lagen sie tot in den oberen Stockwerken, aber Lea hoffte, dass sie hatten entkommen können.
Als sie unter ihrer Last schwankend Gretchens Haus erreichte, erwartete die Freundin sie schon an der Hintertür und zog sie hinein. Dann legte sie den Riegel so hastig vor, als hätte sie sogar Angst vor dem Wind, der durch die Gasse strich.
»Elieser lebt noch«, rief Lea ihr keuchend zu. »Er braucht dringend einen Arzt, sonst stirbt er uns noch unter den Händen.«
Gretchen versuchte, die Angst abzuschütteln, die sie in den Klauen hielt, und wandte sich mit verbissenem Gesicht zur Vordertür. Aber ehe sie sie erreichte, vertrat ihr Mann ihr den Weg. »Bist du wahnsinnig geworden, Weib? Wenn wir jetzt einen Arzt holen, erfahren alle, dass wir hier Juden versteckt halten!«
Lea legte Elieser vorsichtig auf die Truhe und blickte Gretchens Mann herausfordernd an. »Mein Bruder stirbt, wenn seine Verletzungen nicht behandelt werden.«
»Besser er als wir alle.« Peter Pfeiffer bedachte den Bewusstlosen mit einem bösen Blick, so als mache er ihn jetzt schon für alle Schwierigkeiten verantwortlich, die noch auf ihn zukommen konnten.
Lea begriff, dass der Mann in Todesangst schwebte, und hatte gegen ihren Willen sogar Verständnis für ihn. Wenn durch seine Schuld bekannt wurde, dass der Überfall auf die Sarninger Juden von langer Hand vorbereitet worden war, würde er mit seinem Leben dafür büßen. Alban von Rittlage konnte nur dann sein Gesicht vor dem Kaiser wahren, wenn es so aussah, als wäre das Pogrom aus einer spontanen Empörung der einheimischen Christen entstanden, der er nicht mehr hatte entgegentreten können. Lea empfand das erste Mal in ihrem Leben Hass und wünschte sich, sie hätte die Macht, dem verräterischen Vogt die Maske vom Gesicht zu reißen und ihn vor das kaiserliche Gericht zu zerren. Aber ein Jude hatte weniger Chancen, dort Hilfe zu bekommen, als eine Fliege im Spinnennetz. Daher mahnte sie sich selbst, sich nicht mit Hirngespinsten abzugeben, sondern sich um Elieser zu kümmern, dessen Leben an einem dünnen Faden hing.
Sie winkte ihre Schwester zu sich, die bleich und ängstlich neben der Falltür zum Keller stand. »Komm und hilf mir, Elieser zu verbinden. Wir müssen die Blutungen stoppen und seine Knochen schienen.«
»Nicht hier im Flur! Los, schafft ihn in den Keller, wo ihn niemand sieht. Hier heroben darf er nicht bleiben.« Peter Pfeiffer hob die Hände und machte ein Gesicht, als wollte er die drei Juden am liebsten mit einem Stoß in die Hölle befördern.
Lea stampfte wütend auf. »Unten ist es feucht und schmutzig, und es gibt kein Licht.«
Froh, etwas tun zu können, eilte Gretchen in eine Kammer und kehrte mit einer Decke und einem Besen zurück. »Ich mache unten sauber. Dann kannst du deinen Bruder auf das Gestell legen. Rachel, hältst du mir die Lampe?« Sie nahm ihrem Mann die Lampe ab und reichte sie Leas Schwester.
»Du willst das gute Stück doch nicht etwa für diesen Judenbalg opfern?« Gretchens Schwiegermutter stellte sich ihr in den Weg und wollte nach der Decke greifen.
Ihr Sohn hielt sie zurück. »Lass sie! Der Hartenburger Jude war großzügig zu uns. Außerdem wird Gott es uns lohnen.«
© Droemer Knaur
Peter Pfeiffer musterte sie wie eine fette Gartenschnecke in seinem Salat. »Woher soll ich das wissen? Das meiste von eurem Pack hat man zum Stadttor hinausgetrieben, nachdem man ihnen weggenommen hat, was sie uns jahrelang abgepresst haben. Wer sich gewehrt hat, musste halt ins Gras beißen. Aber ob einer lebt oder tot ist, hat mich nicht interessiert. Je weniger von euch diebischem, gotteslästerlichem Gelichter auf der Welt herumläuft, umso besser ist es.«
Lea wäre dem Mann am liebsten mit den Fingernägeln ins Gesicht gefahren, um seine selbstzufriedene Miene zu zerkratzen, doch Gretchen schien ihre Gedanken zu ahnen und drängte sie von ihm weg. »Das ist Lea, deren Vater ich die Mitgift zu verdanken habe, von der wir alle so gut leben. Jetzt beleidigst du die Töchter unseres großzügigen Gönners und freust dich, weil es ihren Leuten schlecht ergangen ist. Ich schäme mich für dich!«
Peter Pfeiffer zuckte unwillig mit den Schultern. »Ich habe ja nichts gegen den Hartenburger Juden und seine Kinder. Aber es ist halt sein Pech, dass er ausgerechnet heute in Sarningen auftauchen musste.«
Lea stieß die Luft aus, die sie in ihrer Wut angehalten hatte. »Mein Vater konnte ja nicht wissen, dass der hiesige Vogt die Gesetze Kaiser Friedrichs missachtet und seine Leute an die Spitze einer Mörderbande stellt.«
Abrupt drehte sich Peter Pfeiffer zu Gretchen um und hob die Hand, als wolle er sie schlagen. »Musstest du das ausplaudern, du dummes Stück? Wenn bekannt wird, was du hier herumtratschst, trifft mich Herrn Albans Zorn, und ich verliere nicht nur meinen Posten, sondern wandere ins Turmverlies, wo man mich bei lebendigem Leib verrotten lässt. Verdammt, Weib, du weißt, was es mich gekostet hat, in kaiserliche Dienste treten zu können. Warum setzt du das alles aufs Spiel?«
Lea hob das Kinn und sah dem jungen Beamten ins Gesicht. »Wenn Ihr mir und meiner Schwester weiterhin Schutz gewährt, werden wir niemandem verraten, was hier vorgegangen ist, weder hier in der Stadt noch irgendwo anders.«
Gretchens Mann begriff Leas versteckte Drohung. Wenn er sie und ihre Schwester aus dem Haus jagte oder Rittlages Männern auslieferte, würden sie das Geheimnis so laut hinausschreien, dass es jeder hören konnte. Dem Mann war anzusehen, dass er vor Wut kochte, aber im Wissen um die Gefahr, in der er selbst schwebte, nickte er widerwillig. Er konnte ja nicht ahnen, dass Lea ihn um Gretchens Willen nicht verraten würde, denn schließlich hatte die Freundin ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um sie und Rachel zu retten.
Als Leas Blick auf ein Bündel fiel, das weiter vorne im Flur auf einer Truhe lag und von einer rußenden Unschlittkerze beleuchtet wurde, wünschte sie Peter Pfeiffer insgeheim die Seuche an den Hals. Neben anderem Plündergut ragten eine Kapsel, die von einer Thorarolle abgerissen worden war, und ein neunarmiger Leuchter aus Silber, wie ihn wohlhabende Juden beim Chanukka-Fest verwendeten, aus dem Tuch. Gretchens Mann hatte also auch zu jenen gehört, die das Judenviertel gestürmt hatten.
Lea hätte am liebsten vor ihm ausgespuckt, aber die Sorge um ihr eigenes Leben hielt sie ebenso davon ab wie die Hoffnung, der Mann würde ihr um Gretchens willen helfen, ihren Vater und ihre Brüder zu finden. Daher wandte sie sich ab und tat, als hätte sie nichts bemerkt. Sie musste Gewissheit haben, ob ihre Verwandten dem Pogrom entkommen waren. Ohne sich weiter um Peter Pfeiffer oder dessen Mutter zu kümmern, die vor sich hin schimpfend in einem Winkel stand, nahm sie die Lampe mit der erst halb abgebrannten Kerze von der Truhe und wollte die Tür öffnen.
Die alte Pfeifferin vertrat ihr den Weg. »Was hast du vor?«
»Ich gehe hinüber und suche nach meinen Angehörigen.«
Gretchen kam ihr nach und schlang ihr die Arme um die Schultern. »Das ist zu gefährlich.«
Ihr Mann winkte ab. »Lass sie gehen. Besser sie läuft in ihr Verderben, als dass sie uns die Nachbarn zusammenschreit, weil wir sie mit Gewalt zurückhalten. Wahrscheinlich sind die meisten schon nach Hause gelaufen oder sitzen in der Wirtschaft und vertrinken ihr Beutegut. Wenn jemand sie sieht, wird er denken, sie gehöre zu den Plünderern, die auf der Suche nach Dingen sind, die die anderen übersehen haben.«
Er trat an die Hintertür, schob den Riegel zurück und winkte Lea spöttisch hinaus. Sie hob den Kopf und ging aufrecht an ihm vorbei, obwohl sie sich am liebsten geduckt hätte und wie ein Hase davongesprungen wäre. Erst als er die Tür hinter ihr verriegelte, wurde ihr klar, dass sie nun ganz auf sich allein gestellt war, und das Herz schien ihr vor Angst stehen bleiben zu wollen.
Es kostete sie einige Überwindung, einen Fuß vor den anderen zu setzen und die Pforte ins Judenviertel zu durchschreiten, die im Schein der armseligen Lampe einer klaffenden Wunde glich. Scherben knirschten unter ihren nackten Füßen und schnitten in ihre Sohlen. Sie verbiss sich den Schmerz und ging unbeirrt weiter, bis sie Esra Ben Nachums Haus erreichte. Mit seinen leeren Fensterhöhlen wirkte es auf sie wie ein Totenkopf. Sie kämpfte mit sich, ob sie hineingehen oder umkehren sollte. Etwas in ihr wollte sie glauben machen, dass es sinnlos war, in dem unruhig flackernden Licht ihrer Laterne hier herumzusuchen. Gewiss schleppten sich die Bewohner des Hauses und ihre Gäste schon längst über dunkle Landstraßen und klagten Gott ihr Schicksal.
Samuels Bild schob sich in ihre Gedanken. Als einziges Mitglied ihrer Familie hatte er sie ernst genommen und wie einen vollwertigen Menschen behandelt, ja, er hatte sie wie einen jüngeren Bruder unter seine Fittiche genommen, ihren Wissensdurst gestillt und ihr vieles beigebracht, was einem Mädchen sonst vorenthalten wurde. Sie spürte, wie ihr Herz sich wieder verkrampfte, denn ihr Bruder war stolz und aufbrausend und ließ sich nicht so schnell einschüchtern. Nur allzu gut erinnerte sie sich an die Klagen ihres Vaters, Samuel besäße zu viel Mut und zu wenig Vorsicht, um in diesem Land als Jude leben zu können. War er vor dem aufgebrachten Mob davongelaufen oder hatte er versucht, sich und die anderen zu verteidigen? Lea dachte schaudernd daran, was Peter Pfeiffer gesagt hatte, und begann zu ahnen, was sie in diesem Haus erwartete.
Bis auf ein paar Holzstücke und Tonscherben war im Hausflur und in der ersten Kammer nichts mehr zu finden. Auch in der Küche gab es nur noch den gemauerten Ofen. Sogar das Brennholz hatten die Plünderer mitgehen lassen. Lea leuchtete den Boden und die Wände ab, konnte aber keine Blutspuren entdecken und atmete auf. Ihre Erleichterung hielt jedoch nur wenige Herzschläge an, denn in der nächsten Kammer lag ein blutüberströmter Körper.
Lea presste die linke Hand auf den Mund, um ihre Wut und ihren Schmerz nicht laut hinauszuschreien. Der Tote war Samuel. Die Plünderer hatten ihm die Schläfenlocken abgeschnitten, die ihn als gläubigen Aschkenasi kennzeichneten, und ihm dabei tiefe Schnitte beigebracht. Während des Kampfes hatte man ihm die Kleider vom Leib gerissen, und sein mit Wunden und Trittspuren übersäter Leib verriet, wie heftig er sich gewehrt haben musste. Sein Widerstand war jedoch vergebens gewesen, denn man hatte ihn schließlich mit den eigenen Gebetsriemen erdrosselt, und noch im Tod zeigte sein Gesicht einen ohnmächtigen Zorn. Lea konnte sich lebhaft vorstellen, wie Samuel sich der plündernden Meute in den Weg gestellt hatte, doch ebenso gut hätte er versuchen können, die Wasser des Jordans umzuleiten oder den Tempel in Jerusalem wieder zu errichten.
Einen Augenblick verfluchte sie ihn für seine Uneinsichtigkeit, denn mit ihm verlor sie den einzigen Menschen, der ihr wirklich etwas bedeutet hatte. Dann aber schlug sie sich auf den Mund, denn sie schämte sich für ihre bösen Worte, und sprach ein kurzes Gebet. Als sie weiterging, klammerte sie sich an die Hoffnung, dass Samuel mit seinem Opfer den anderen die Flucht ermöglicht hatte. Die nächste Kammer war leer und ohne Kampfspuren, und Lea wurde etwas leichter ums Herz. Im Wohnraum aber stieß sie gleich auf mehrere Tote. Zwei davon waren ihr unbekannte junge Männer, wohl Mitglieder der Sarninger Gemeinde, und der dritte Gerschom, der Leibdiener ihres Vaters. Der alte Mann hatte offensichtlich versucht, seinen Herrn zu verteidigen, denn er war buchstäblich in Stücke gerissen worden. Hinter ihm lag Jakob Goldstaub mit ausgebreiteten Armen über einer kleinen, verkrümmten Gestalt, in der Lea erst auf den zweiten Blick ihren Bruder Elieser erkannte.
»Oh Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, warum lässt du zu, dass man dein Volk so quält?«, stöhnte sie auf. Da ihr Vater auf den ersten Blick unverletzt erschien, kniete sie neben ihm nieder und legte ihr Ohr auf sein Herz. Die Hoffnung, er könnte noch leben, verflog schneller, als sie aufgekeimt war. Jakob ben Jehuda, der Jude von Hartenburg, war tot.
Ein leises Jammern ließ Lea aufhorchen. Sie starrte auf ihren jüngeren Bruder und rieb sich die Augen. Elieser hatte sich unzweifelhaft bewegt. Sie rutschte auf Knien zu ihm hin und legte die Finger an seinen Hals, um den Puls zu prüfen. Er schlug schwach und stockend, aber vernehmlich. Lea unterdrückte einen Jubelruf, sprang auf und versuchte, den schon erstarrten Körper ihres Vaters von Elieser herunterzuziehen. Dabei murmelte sie Totengebete und entschuldigte sich zwischendurch, denn es gehörte sich nicht, den Leichnam eines frommen Juden so achtlos herumzuzerren. Obwohl Jakob Goldstaub ein kleiner, magerer Mann gewesen war, verging schier eine Ewigkeit, bis Lea ihn zur Seite gezogen hatte, und trotz ihrer Vorsicht stieß ihr Bruder bei jeder Bewegung des Körpers über ihm schwache Jammerlaute aus. Aber er reagierte weder auf ihre Fragen noch auf ihre tröstenden Worte.
Als Lea Elieser von der Last des Toten befreit hatte, sah sie, dass sein rechtes Bein und sein rechter Arm in unnatürlichem Winkel vom Körper abstanden. Man hatte ihm die Knochen gebrochen und mehrere klaffende Wunden beigebracht, aus denen immer noch Blut sickerte. Für einen Augenblick stand sie ratlos da und schlug vor Verzweiflung die Hände vors Gesicht. Der Junge musste so schnell wie möglich zu einem Arzt gebracht werden, doch wer würde sich in dieser Stadt noch trauen, einem Juden zu helfen? Gretchen war sicher dazu bereit, aber Lea wagte es nicht, die Freundin zu holen, denn wenn Peter Pfeiffer erfuhr, was sie im Sinn hatte, würde er sie beide so lange in den Keller sperren, bis Elieser tot war. Nein, sie musste ihren jüngeren Bruder aus eigener Kraft hier herausbringen.
Als Lea Elieser aufhob, stieß er so spitze Schreie aus, dass sie schon Angst bekam, er würde Plünderer auf sie aufmerksam machen. Sie versuchte, beruhigend auf ihn einzureden, und als das nichts half, begann sie eine Melodie zu summen, die er immer gemocht hatte. Tatsächlich verstummte er bald, aber sie nahm an, dass er vor Schmerz bewusstlos geworden war. Sie biss die Zähne zusammen und schleppte ihn aus dem Haus. Erst draußen erinnerte sie sich an ihren Onkel und dessen Familie. Sie hatte weder Esra ben Nachum noch Mirjam oder Noomi gesehen. Vielleicht lagen sie tot in den oberen Stockwerken, aber Lea hoffte, dass sie hatten entkommen können.
Als sie unter ihrer Last schwankend Gretchens Haus erreichte, erwartete die Freundin sie schon an der Hintertür und zog sie hinein. Dann legte sie den Riegel so hastig vor, als hätte sie sogar Angst vor dem Wind, der durch die Gasse strich.
»Elieser lebt noch«, rief Lea ihr keuchend zu. »Er braucht dringend einen Arzt, sonst stirbt er uns noch unter den Händen.«
Gretchen versuchte, die Angst abzuschütteln, die sie in den Klauen hielt, und wandte sich mit verbissenem Gesicht zur Vordertür. Aber ehe sie sie erreichte, vertrat ihr Mann ihr den Weg. »Bist du wahnsinnig geworden, Weib? Wenn wir jetzt einen Arzt holen, erfahren alle, dass wir hier Juden versteckt halten!«
Lea legte Elieser vorsichtig auf die Truhe und blickte Gretchens Mann herausfordernd an. »Mein Bruder stirbt, wenn seine Verletzungen nicht behandelt werden.«
»Besser er als wir alle.« Peter Pfeiffer bedachte den Bewusstlosen mit einem bösen Blick, so als mache er ihn jetzt schon für alle Schwierigkeiten verantwortlich, die noch auf ihn zukommen konnten.
Lea begriff, dass der Mann in Todesangst schwebte, und hatte gegen ihren Willen sogar Verständnis für ihn. Wenn durch seine Schuld bekannt wurde, dass der Überfall auf die Sarninger Juden von langer Hand vorbereitet worden war, würde er mit seinem Leben dafür büßen. Alban von Rittlage konnte nur dann sein Gesicht vor dem Kaiser wahren, wenn es so aussah, als wäre das Pogrom aus einer spontanen Empörung der einheimischen Christen entstanden, der er nicht mehr hatte entgegentreten können. Lea empfand das erste Mal in ihrem Leben Hass und wünschte sich, sie hätte die Macht, dem verräterischen Vogt die Maske vom Gesicht zu reißen und ihn vor das kaiserliche Gericht zu zerren. Aber ein Jude hatte weniger Chancen, dort Hilfe zu bekommen, als eine Fliege im Spinnennetz. Daher mahnte sie sich selbst, sich nicht mit Hirngespinsten abzugeben, sondern sich um Elieser zu kümmern, dessen Leben an einem dünnen Faden hing.
Sie winkte ihre Schwester zu sich, die bleich und ängstlich neben der Falltür zum Keller stand. »Komm und hilf mir, Elieser zu verbinden. Wir müssen die Blutungen stoppen und seine Knochen schienen.«
»Nicht hier im Flur! Los, schafft ihn in den Keller, wo ihn niemand sieht. Hier heroben darf er nicht bleiben.« Peter Pfeiffer hob die Hände und machte ein Gesicht, als wollte er die drei Juden am liebsten mit einem Stoß in die Hölle befördern.
Lea stampfte wütend auf. »Unten ist es feucht und schmutzig, und es gibt kein Licht.«
Froh, etwas tun zu können, eilte Gretchen in eine Kammer und kehrte mit einer Decke und einem Besen zurück. »Ich mache unten sauber. Dann kannst du deinen Bruder auf das Gestell legen. Rachel, hältst du mir die Lampe?« Sie nahm ihrem Mann die Lampe ab und reichte sie Leas Schwester.
»Du willst das gute Stück doch nicht etwa für diesen Judenbalg opfern?« Gretchens Schwiegermutter stellte sich ihr in den Weg und wollte nach der Decke greifen.
Ihr Sohn hielt sie zurück. »Lass sie! Der Hartenburger Jude war großzügig zu uns. Außerdem wird Gott es uns lohnen.«
© Droemer Knaur
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Autoren-Porträt von Iny Lorentz
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Autoren-Interview mit Iny Lorentz
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finden kann. Die Idee zur "Kastratin" ist uns z.B. durch eine Farinelli-Biografie und die Lebensgeschichte von Casanova gekommen.
Welche Vorarbeiten sind nötig, damit Ihre Romane so authentisch wirken? Gehen Sie in die Bibliothek und stöbern in Archiven oder verlassen Sie sich auf Ihre Fantasie?
Es zahlt sich einfach aus, dass wir von Jugend an Sachbücher und historische Romane gelesen haben. Darunter auch die christlich gefärbten historische Romane aus dem 19. Jahrhundert wie etwa Quo Vadis oder Ben Hur. Wir besitzen massenweise Literatur zu Kunst- und Sozialgeschichte, zur Politik und zu einzelnen Persönlichkeiten. Wir besuchen aber auch die Stadtbibliothek oder kürzlich das spanische Kulturinstitut, in dem wir katalanische Namen und Zeitangaben recherchiert haben. Für "Die Goldhändlerin" waren die Besuche im jüdischen Museum in Amsterdam sehr inspirierend. Zum Beispiel wissen nur wenige Menschen, dass viele spanische Juden nach der Rekonquista in die westeuropäischen Küstenstädte geflohen sind, natürlich unter Verleugnung ihres Glaubens.
Frauen, die in einer feindlichen Umwelt ums Überleben kämpfen - das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Werke. Wie entstand dieses Leitmotiv?
Uns interessieren Leute, die in schwierigen Situationen stecken. Jüdische Frauen hatten damals im Grunde zwei Feinde: die Christen und die eigenen Männer, die sie unterdrückten. Mein Mann ist so etwas wie ein männlicher Feminist. Wenn Frauen Unrecht widerfährt, ist er immer zuerst auf den Barrikaden, und er nimmt sich leidenschaftlich gern dieses Themas für unsere Romane an. Es eignet sich ja auch, um Spannung zu erzeugen, und da der Großteil der Romanleser Frauen sind, von denen die meisten gern etwas über Frauen lesen, liegt es nahe, weibliche Hauptpersonen zu wählen.
Wo und wann spielt Ihr nächstes Buch?
Als nächstes wird "Die Tatarin" erscheinen. Es geht um eine junge Tatarin zur Zeit Peter des Großen und des Großen Nordischen Krieges. Ihre Stiefmutter steckt sie in Männerkleidung und schickt sie anstelle ihres Sohnes als Geisel nach Russland. Hintergrund des Romans sind die Aufstände in Sibirien, als Peter der Große sein Reich immer weiter nach Osten ausdehnte, und die Bedrohung durch Schweden im Westen. Aber auch auf einen zweiten Teil der "Wanderhure" können sich die Leser demnächst freuen.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth, literaturtest.de
Welche Vorarbeiten sind nötig, damit Ihre Romane so authentisch wirken? Gehen Sie in die Bibliothek und stöbern in Archiven oder verlassen Sie sich auf Ihre Fantasie?
Es zahlt sich einfach aus, dass wir von Jugend an Sachbücher und historische Romane gelesen haben. Darunter auch die christlich gefärbten historische Romane aus dem 19. Jahrhundert wie etwa Quo Vadis oder Ben Hur. Wir besitzen massenweise Literatur zu Kunst- und Sozialgeschichte, zur Politik und zu einzelnen Persönlichkeiten. Wir besuchen aber auch die Stadtbibliothek oder kürzlich das spanische Kulturinstitut, in dem wir katalanische Namen und Zeitangaben recherchiert haben. Für "Die Goldhändlerin" waren die Besuche im jüdischen Museum in Amsterdam sehr inspirierend. Zum Beispiel wissen nur wenige Menschen, dass viele spanische Juden nach der Rekonquista in die westeuropäischen Küstenstädte geflohen sind, natürlich unter Verleugnung ihres Glaubens.
Frauen, die in einer feindlichen Umwelt ums Überleben kämpfen - das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Werke. Wie entstand dieses Leitmotiv?
Uns interessieren Leute, die in schwierigen Situationen stecken. Jüdische Frauen hatten damals im Grunde zwei Feinde: die Christen und die eigenen Männer, die sie unterdrückten. Mein Mann ist so etwas wie ein männlicher Feminist. Wenn Frauen Unrecht widerfährt, ist er immer zuerst auf den Barrikaden, und er nimmt sich leidenschaftlich gern dieses Themas für unsere Romane an. Es eignet sich ja auch, um Spannung zu erzeugen, und da der Großteil der Romanleser Frauen sind, von denen die meisten gern etwas über Frauen lesen, liegt es nahe, weibliche Hauptpersonen zu wählen.
Wo und wann spielt Ihr nächstes Buch?
Als nächstes wird "Die Tatarin" erscheinen. Es geht um eine junge Tatarin zur Zeit Peter des Großen und des Großen Nordischen Krieges. Ihre Stiefmutter steckt sie in Männerkleidung und schickt sie anstelle ihres Sohnes als Geisel nach Russland. Hintergrund des Romans sind die Aufstände in Sibirien, als Peter der Große sein Reich immer weiter nach Osten ausdehnte, und die Bedrohung durch Schweden im Westen. Aber auch auf einen zweiten Teil der "Wanderhure" können sich die Leser demnächst freuen.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth, literaturtest.de
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Bibliographische Angaben
- Autor: Iny Lorentz
- 2010, 1, 616 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868003339
- ISBN-13: 9783868003338
Kommentare zu "Die Goldhändlerin"
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