Schöner Schein
Commissario Brunettis achtzehnter Fall
Seit 1992 führen sie regelmäßig die Beststeller-Listen an: Donna Leon und ihr sympathischer Commissario Guido Brunetti. Hinter den feinen Fassaden von Venedig ermittelt Brunetti gegen das Böse - in seinem 18. Fall ist es die...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Schöner Schein “
Seit 1992 führen sie regelmäßig die Beststeller-Listen an: Donna Leon und ihr sympathischer Commissario Guido Brunetti. Hinter den feinen Fassaden von Venedig ermittelt Brunetti gegen das Böse - in seinem 18. Fall ist es die Müllmafia, die ihm das Leben schwer macht.
Bei einem Abendessen lernt Brunetti zufällig Franca Marinello kennen. Die maskenhaft wirkende Frau beeindruckt den Kommissar mehr als ihm liebt ist. Doch nicht nur hinter der gelifteten Fassade von Franca verbergen sich Geheimnisse. Denn Brunetti stößt kurz darauf auf eine Giftmüllaffäre, die sich bald zu einem ausgewachsenen Skandal ausweitet. Dann wird auch noch ein Carabiniere umgebracht, nachdem er Brunetti um Hilfe gebeten hat. Brunetti braucht in diesem Fall mehr Intuition denn je.
Lese-Probe zu „Schöner Schein “
Schöner Schein von Donna Leon1
Die Frau fiel ihm auf, als sie beide sich zu ihrer Abendeinladung
auf den Weg gemacht hatten. Er und Paola waren vor
einer Buchhandlung stehen geblieben, und während er sich
vor der spiegelnden Scheibe die Krawatte richtete, sah Brunetti
in seinem Rücken die Frau, die sich, Arm in Arm mit
einem älteren Mann, Richtung Campo San Barnaba entfernte.
Er sah sie von hinten, der Mann zu ihrer Linken. Als
Erstes bemerkte Brunetti ihr Haar, hellblond wie Paolas, zu
einem sanften Knoten tief in ihrem Nacken geschlungen.
Als er sich umwandte, um sie genauer zu sehen, war das
Paar schon an ihnen vorbei und näherte sich der Brücke, die
Richtung San Barnaba führte.
Ihr Mantel - vielleicht Hermelin, vielleicht Zobel: auf jeden
Fall etwas Teureres als Nerz, dachte Brunetti - reichte
bis knapp über sehr zierliche Fesseln und Schuhe mit Absätzen,
die eigentlich zu hoch waren für die noch von Schnee-
und Eisresten bedeckten Calli.
Brunetti kannte den Mann, kam aber nicht auf seinen
Namen: Nur eine vage Erinnerung an Reichtum und Einfluss
stieg in ihm auf. Kleiner und breiter als die Frau, bemühte
sich der Mann mehr als sie, den vereisten Flächen
auszuweichen. Am Fuß der Brücke machte er plötzlich einen
Schritt zur Seite und suchte mit einer Hand am Gelän-
der Halt. Die Frau an seinem Arm wurde mitgezogen und
drehte sich auf einem Fuß, den anderen noch in der Schwebe,
so dass der immer noch neugierige Brunetti sie nun nicht
mehr richtig sehen konnte.
»Wenn du Lust hast, Guido«, sagte Paola neben ihm,
»kannst du mir zum Geburtstag die neue William-James-
Biographie schenken.«
... mehr
Brunetti riss sich von dem Pärchen los und folgte dem
Zeigefinger seiner Frau, der auf ein dickes Buch im hinteren
Teil des Schaufensters wies.
»Ich dachte, der heißt Henry«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
Sie zog ihn mit einem Ruck enger an sich. »Stell dich
nicht dumm, Guido Brunetti. Du weißt, wer William James ist.«
Er nickte. »Aber warum interessiert dich die Biographie
des Bruders?«
»Mich interessiert die ganze Familie und überhaupt so
ziemlich alles, was ihn zu dem gemacht haben könnte, der
er war.«
Brunetti dachte an die Zeit vor über zwanzig Jahren, als
er Paola kennengelernt und den brennenden Wunsch verspürt
hatte, alles über sie in Erfahrung zu bringen: über ihre
Familie, ihre Vorlieben, ihre Freunde, alles, was ihm mehr
über diese wunderbare junge Frau sagen konnte, die ein
gütiges Schicksal ihm zwischen den Regalen der Universitätsbibliothek
über den Weg geschickt hatte. Brunetti fand
eine solche Wissbegier durchaus normal, wenn es um einen
lebenden Menschen ging. Aber bei einem Schriftsteller, der
seit fast hundert Jahren tot war?
»Was fasziniert dich nur so an ihm?«, bohrte er nicht
zum ersten Mal. Brunetti merkte selbst, dass er sich wieder
einmal wie der reizbare, eifersüchtige Ehemann aufführte,
den ihre Schwärmerei für Henry James schon oft aus ihm
gemacht hatte.
Sie ließ seinen Arm los und trat zurück, als wollte sie sich
den Mann, mit dem sie aus irgendeinem Grund verheiratet
war, einmal genauer ansehen. »Weil er viele Dinge versteht«,
sagte sie endlich.
»Aha«, meinte Brunetti nur wortkarg. »Sonst nichts?«
Ihm schien, das sei das mindeste, was man von einem
Schriftsteller erwarten konnte.
»Und weil er auch uns dazu bringt, diese Dinge zu verstehen«,
fügte sie hinzu.
Und damit war das Thema erledigt.
Paola schien der Ansicht, sie hätten jetzt mehr als genug
Zeit damit verbracht. »Komm. Du weißt, wie mein Vater es
hasst, wenn man zu spät kommt.«
Sie ließen die Buchhandlung hinter sich. Am Fuß der Brücke
blieb Paola stehen und sah ihm ins Gesicht. »Du weißt,
ich habe dir das schon oft gesagt«, fing sie an. Er wusste,
was jetzt kam, und es stimmte, sie hatte ihm das schon oft
gesagt. »Du bist Henry James wirklich sehr ähnlich.«
Wie jedes Mal, wenn sie ihm das sagte, wusste Brunetti
nicht, ob er sich durch diesen Vergleich geschmeichelt oder
gekränkt fühlen sollte. Zum Glück hatte er im Lauf der Jahre
gelernt, nicht jedes Mal die Grundlagen ihrer Ehe in Frage
zu stellen.
»Und du willst die Dinge verstehen, Guido. Sonst wärst
du wohl nicht Polizist geworden.« Sie überlegte einen Mo-
ment. »Aber du willst auch, dass andere Leute diese Dinge
verstehen. Sie wandte sich ab, ging die Brücke hinauf und
rief noch über die Schulter: »Genau wie er.«
Brunetti ließ ihr bis zur Mitte der Brücke einen Vorsprung,
ehe er ihr nachrief: »Heißt das, dass ich das Zeug
zum Schriftsteller habe?« Wie schön, wenn sie mit ja antworten
würde.
Sie tat die Frage mit einer Handbewegung ab und drehte
sich nach ihm um: »Das macht es so interessant, mit dir zusammenzuleben.«
Damit ging sie die Brücke auf der anderen
Seite hinunter.
Noch besser als Schriftsteller sein, dachte Brunetti und folgte ihr.
Brunetti sah auf seine Uhr, während Paola am portone ihres
Elternhauses klingelte. »So viele Jahre, und du hast immer
noch keinen Schlüssel?«, fragte er.
»Stell dich doch nicht so an«, sagte sie. »Natürlich habe
ich einen Schlüssel. Aber wir sind eingeladen, und da ist es
besser, wenn wir uns wie Gäste anmelden.«
»Heißt das, wir müssen uns auch wie Gäste benehmen?«, fragte Brunetti.
Was auch immer Paola darauf hätte antworten können,
blieb ungesagt, da ihnen in diesem Moment ein Mann, den
sie beide nicht kannten, das Hoftor öffnete. Er lächelte, deutete
etwas zwischen einem Nicken und einer Verbeugung an
und zog das Tor vollständig auf.
Paola dankte ihm, und sie gingen über den Hof auf die
Treppe zu, die zum Palazzo hinaufführte. »Keine Livree«,
flüsterte Brunetti entrüstet. »Keine Perücke? Mein Gott, wie
tief ist die Welt gesunken? Demnächst essen die Dienstboten
noch bei den Herrschaften mit an der Tafel, und dann
verschwindet nach und nach das Silberbesteck. Wo soll das
nur enden? Dass Luciana deinem Vater mit einem Fleischerbeil
nachrennt?«
Paola blieb abrupt stehen und drehte sich schweigend zu
ihm um. Sie strafte ihn mit jenem Blick, den sie immer zur
Schau trug, wenn er zu weit gegangen war.
»Sí, tesoro?«, fragte er honigsüß.
»Ich schlage vor, Guido, wir warten hier ein Weilchen, bis
du deine komischen Bemerkungen über die gesellschaftliche
Stellung meiner Eltern losgeworden bist, und wenn du dich
beruhigt hast, gehen wir nach oben zu den anderen Gästen,
und du benimmst dich beim Essen wie ein halbwegs zivilisierter
Zeitgenosse. Was sagst du dazu?«
Brunetti nickte. »Gefällt mir, besonders der ›halbwegs zivilisierte
Zeitgenosse‹.«
Sie strahlte ihn an: »Das dachte ich mir, mein Lieber.«
Dann wandte sie sich um, und als sie die Treppe hochstieg,
folgte Brunetti ihr auf dem Fuß.
Paola hatte die Einladung ihres Vaters bereits vor einiger
Zeit angenommen und Brunetti erklärt, Conte Falter wolle
seinen Schwiegersohn mit einer guten Freundin der Contessa
bekannt machen.
Die Liebe seiner Schwiegermutter hatte Brunetti im Lauf
der Jahre anzunehmen gelernt, ohne sie zu hinterfragen,
aber was den Conte betraf, war er sich nie sicher, ob jener
eigentlich in ihm einen Emporkömmling sah, der sich die
Zuneigung seines einzigen Kindes erschlichen hatte, oder einen
Mann von Talent und Verdiensten. Nach kurzem Nach-
denken akzeptierte Brunetti, dass dem Conte ohne weiteres
zuzutrauen war, beides zugleich in ihm zu sehen.
Ein zweiter Unbekannter erwartete sie oben an der Treppe,
und als er mit einer leichten Verbeugung die Eingangstür
aufschwingen ließ, strömte ihnen die Wärme aus dem Inneren
des Palazzo entgegen. Paola dankte mit einem Nicken;
Brunetti folgte ihr hinein.
Schon im Vestibül vernahmen sie die Stimmen aus dem
großen Salon, der auf den Canal Grande hinaussah. Der
Mann nahm ihnen schweigend die Mäntel ab und zog die
Tür einer beleuchteten Garderobe auf. Brunetti riskierte einen
Blick hinein; im hintersten Winkel hing, abgesondert
von den anderen, ein besonders kostbarer Pelzmantel.
Die Stimmen lockten sie in den Salon. Als Brunetti und
Paola eintraten, standen ihre Gastgeber vor dem mittleren
Fenster. Sie wandten Brunetti und Paola das Gesicht zu,
während die sie umringenden Gäste die Aussicht auf die
Palazzi am anderen Ufer des Canal Grande genossen, und
Brunetti, der die Gäste nur von hinten sah, erkannte unter
ihnen das Paar, dem sie vorhin auf der Straße begegnet
waren; oder aber es gab noch einen zweiten untersetzten,
weißhaarigen Mann mit einer großen blonden Gefährtin,
die schwarze Stöckelschuhe trug und ihr Haar zu einem
kunstvollen Knoten geschlungen hatte. Sie hielt sich ein wenig
abseits, schaute aus dem Fenster und schien sich wenig
für die Gäste zu interessieren.
Zwei weitere Paare standen links und rechts von seinen
Schwiegereltern. Er erkannte den Anwalt des Conte und seine
Frau; die anderen beiden waren eine alte Freundin der
Contessa, die sich ebenso wie die Contessa für wohltätige
Zwecke engagierte, und ihr Mann, der Rüstungsgüter und
Bergbautechnik an Länder der Dritten Welt verkaufte.
Der Conte unterbrach seine angeregte Unterhaltung mit
dem Weißhaarigen, als er Paola bemerkte. Er stellte sein
Glas ab, sagte noch etwas zu dem Mann, trat um ihn herum
und ging auf seine Tochter und Brunetti zu. Als sein Gastgeber
sich entfernte, wandte der Mann sich neugierig um. Und
jetzt fiel Brunetti auch der Name ein: Maurizio Cataldo, ein
Mann, von dem es hieß, er habe Beziehungen zur Stadtverwaltung.
Die Frau sah weiter aus dem Fenster, als sei sie bezaubert
von der Aussicht und habe das Verschwinden des
Conte gar nicht bemerkt.
Brunetti und Cataldo kannten sich, wie so oft in dieser
Stadt, nur vom Sehen; dennoch wusste Brunetti in groben
Umrissen über Cataldo Bescheid. Die Familie war, soweit
Brunetti wusste, irgendwann zu Beginn des letzten Jahrhunderts
aus dem Friaul nach Venedig gekommen, hatte es in
der Zeit des Faschismus zu Wohlstand gebracht und war im
großen Boom der sechziger Jahre sogar noch reicher geworden.
Bauwesen? Transportwesen? Er wusste es nicht genau.
Der Conte begrüßte Brunetti und Paola beide mit zwei
Wangenküssen und drehte sich wieder zu dem Paar um, mit
dem er zuvor gesprochen hatte. »Paola, du kennst die beiden«,
und zu Brunetti: »Aber du vermutlich nicht, Guido.
Sie möchten dich unbedingt kennenlernen.«
Das mochte für Cataldo gelten, der ihnen mit hochgezogenen
Augenbrauen und zur Seite geneigtem Kinn entgegensah
und seinen Blick mit unverhohlener Neugier zwischen
Paola und Brunetti hin- und hergehen ließ. Die Miene
der Frau hingegen war unmöglich zu deuten. Oder genauer
gesagt, ihr Gesicht drückte eine andauernde Erwartung
aus, hineingepfl anzt von einem hilfsbereiten Chirurgen. Ihr
Mund war bis ans Ende seines irdischen Daseins zu jenem
kleinen Lächeln geöffnet, das man zeigt, wenn die Hausangestellte
einem ihr Enkelkind vorstellt. Als Ausdruck von
Freude mochte das Lächeln etwas dünn sein, aber die Lippen,
die lächelten, waren voll und von einem dunklen Rot,
wie man es von Kirschen kennt. Ihre Augen wurden von
den hochstehenden Wangen zusammengedrückt, die zu beiden
Seiten ihrer Nase als pralle rosa Polster von der Größe
einer längshalbierten Kiwi prangten. Die Nase selbst begann
höher an der Stirn, als Nasen es gewöhnlich tun, und
war seltsam flach, als habe sie jemand nach dem Einsetzen
mit einem Spachtel geglättet.
Von Falten und Flecken keine Spur. Ihre Haut war perfekt,
die Haut eines Kindes. Das blonde Haar gab durch
nichts zu erkennen, dass es etwas anderes sein könnte als
gesponnenes Gold, und Brunetti wusste genug über Mode,
um zu erkennen, dass ihr Kleid kostspieliger war als jeder
Anzug, den er je besessen hatte.
Das also musste Cataldos zweite Frau sein, »la Superliftata«,
eine entfernte Verwandte der Contessa, von der Brunetti
zwar gelegentlich gehört, die er aber nie persönlich
kennengelernt hatte. Kurzes Stöbern in seinem Gedächtnisspeicher
für Gesellschaftsklatsch ergab, dass sie irgendwoher
aus dem Norden kam, angeblich die Öffentlichkeit
scheute und irgendwie seltsam war.
»Ah«, unterbrach der Conte Brunettis Grübeleien. Paola
küsste die Frau auf die Wange, dann gab sie dem Mann die
Hand. Zu der Frau gewandt sagte der Conte: »Franca, ich
möchte dir meinen Schwiegersohn vorstellen, Guido Brunetti,
Paolas Mann.« Und dann zu Brunetti: »Guido, darf
ich vorstellen: Franca Marinello und ihr Mann Maurizio
Cataldo.« Er trat zur Seite und winkte Brunetti nach vorn,
als überreichte er Brunetti und Paola dem anderen Paar auf
dem Präsentierteller.
Brunetti gab erst der Frau die Hand, die überraschend
fest zupackte, dann dem Mann, dessen Hand sich so trocken
anfühlte, als müsste sie mal abgestaubt werden. »Piacere«, sagte
er und sah erst ihr und dann dem Mann mit einem Lächeln in die Augen.
Der Mann nickte, aber es war die Frau, die etwas sagte.
»Ihre Schwiegermutter hat in all den Jahren so gut von Ihnen
gesprochen; ich bin sehr erfreut, Sie endlich kennenzulernen.«
Bevor Brunetti eine Antwort einfiel, schwang die Doppeltür
zum Speisesaal von innen auf, und der Mann, der die
Mäntel entgegengenommen hatte, verkündete, das Essen sei
serviert. Während man hinüberging, kramte Brunetti in seinem
Gedächtnis nach irgendetwas, was die Contessa ihm
über ihre Freundin Franca erzählt haben mochte, erinnerte
sich aber nur daran, dass die Contessa sich vor Jahren, als
Franca zum Studieren nach Venedig gekommen war, ihrer
angenommen hatte.
Beim Anblick des Tischs - schwer beladen mit Porzellan
und Silberbesteck und einem wahren Blütenmeer - musste er
an die letzte Mahlzeit denken, die er nur zwei Wochen zuvor in
diesem Haus eingenommen hatte. Er war vorbeigekommen,
um der Contessa, mit der er seit Jahren Lektüre austauschte,
zwei Bücher zu bringen, und hatte seinen Sohn bei ihr ange-
troffen. Raffi hatte erklärt, er wolle seinen Italienischaufsatz
abholen, den seine Großmutter sich angesehen habe.
Die beiden hatten im Arbeitszimmer gesessen, nebeneinander
am Schreibtisch der Contessa. Vor ihnen lag Raffi s
Aufsatz, die acht Seiten über und über bedeckt mit Kommentaren
in drei verschiedenen Farben. Links davon stand
ein Teller mit Sandwiches, oder eher das, was einmal ein
Teller mit Sandwiches gewesen war. Während Brunetti die
Reste aß, erklärte die Contessa ihr System: Rot für Grammatikfehler,
Gelb für alle Formen des Verbs essere und Blau
für sachliche Fehler und Fehlinterpretationen.
Raffi, der eher ungehalten reagierte, wenn Brunetti seinen
historischen Ansichten widersprach oder Paola seine
Grammatik korrigierte, schien vollständig davon überzeugt
zu sein, dass seine Großmutter wusste, was sie tat, und tippte
ihre Vorschläge eifrig in seinen Laptop, während Brunetti
die Erläuterungen aufmerksam mitverfolgte.
Paola riss ihn aus diesen Erinnerungen: »Such nach deinem
Namen«, flüsterte sie. Tatsächlich, vor jedem Gedeck
war eine kleine, handbeschriftete Karte aufgestellt. Rasch
fand er die seine und stellte beruhigt fest, dass Paola links
von ihm sitzen sollte, zwischen ihm und ihrem Vater. Er
sah sich am Tisch um, inzwischen hatten alle ihren Platz
gefunden. Jemand, der mit der Etikette der Tischordnung
vertrauter wäre, hätte mit Entsetzen registriert, wie nah die
Ehefrauen bei ihren Männern platziert waren. Nur die Tatsache,
dass Conte und Contessa einander an den Enden des
rechteckigen Tischs gegenübersaßen, hätte das Schicklichkeitsgefühl
eines solchen Beobachters ein wenig besänftigen
können. Der Anwalt des Conte, Renato Rocchetto, rück-
te der Contessa den Stuhl zurecht. Als sie saß, nahmen zunächst
die anderen Frauen Platz, dann die Männer.
Brunetti unmittelbar gegenüber saß Cataldos Frau. Ihr
Mann sagte etwas, und sie neigte sich zu ihm hinüber, den
Kopf fast an seinen gelehnt, aber Brunetti wusste, damit
war das Unvermeidliche nur ein wenig hinausgeschoben.
Paola widmete sich kurz Brunetti, murmelte »Coraggio«
und tätschelte sein Knie.
Als Paola ihre Hand wegnahm, lächelte Cataldo seiner
Frau zu und wandte sich an Paola und ihren Vater; Franca
Marinello sah Brunetti an. »Es ist schrecklich kalt, fi nden
Sie nicht?«, begann sie, und Brunetti machte sich auf eine
dieser typischen Essensunterhaltungen gefasst.
Bevor ihm eine hinreichend nichtssagende Erwiderung
einfiel, ergriff die Contessa das Wort: »Ich hoffe, es stört
niemanden, wenn es zu dieser Mahlzeit kein Fleisch gibt.«
Sie blickte lächelnd in die Runde und fügte in einem halb
belustigten, halb verlegenen Ton hinzu: »Aufgrund der Essgewohnheiten
meiner Familie und weil ich es versäumt
habe, jeden Einzelnen von Ihnen anzurufen und nach den
seinen zu fragen, hielt ich es für das Einfachste, auf Fleisch
und Fisch ganz zu verzichten.«
»›Essgewohnheiten‹?«, flüsterte Claudia Umberti, die
Frau des Anwalts. Sie schien aufrichtig verwirrt, und Brunetti,
der neben ihr saß und sie und ihren Mann oft genug
bei Familienessen erlebt hatte, wusste, dass für sie die einzige
Essgewohnheit der ausgedehnten Falier-Familie - von
Churas wenig konsequentem Vegetariertum einmal abgesehen
- von jeher in reichlichen Portionen und mächtigen
Nachspeisen bestand.
Zweifellos, um ihre Mutter davor zu bewahren, bei einer
so krassen Lüge ertappt zu werden, erklärte Paola in das
allgemeine Schweigen hinein: »Ich ziehe es vor, kein Rind
zu essen; meine Tochter Chiara isst weder Fleisch noch
Fisch - jedenfalls diese Woche; Raffi isst nichts Grünes und
mag keinen Käse; und Guido«, sagte sie und legte ihm eine
Hand auf den Arm, »isst überhaupt nichts, es sei denn, er
bekommt eine große Portion.«
Alle am Tisch lachten beifällig, und Brunetti gab Paola
zum Beweis seiner Gutmütigkeit und Fairness einen Kuss
auf die Wange, nahm sich aber vor, eisern abzulehnen, falls
man ihm einen Nachschlag anbieten sollte. Lächelnd sah er
sie an und fl üsterte: »Was soll das Ganze eigentlich?«
»Sag ich dir später«, antwortete sie und wandte sich mit
einer höfl ichen Frage an ihren Vater.
Franca Marinello schenkte den Bemerkungen der Contessa
weiter keine Aufmerksamkeit; als Brunetti sich ihr
wieder zuwandte, sagte sie vielmehr: »Der Schnee auf den
Straßen ist ein schreckliches Problem.« Brunetti lächelte,
als seien ihm ihre Schuhe noch gar nicht aufgefallen und als
habe er sich diese Bemerkung nicht seit zwei Tagen ständig
anhören müssen.
Nach den Regeln höflicher Konversation war jetzt er mit
irgendeiner sinnlosen Bemerkung an der Reihe; er fügte sich
in die Rolle und sagte: »Aber für Skiläufer ist es gut.«
»Und für die Bauern«, ergänzte sie.
»Verzeihung?«
»Wo ich herkomme«, sagte sie in einem Italienisch, das
keinerlei dialektalen Einschlag erkennen ließ, »haben wir
ein Sprichwort: ›Unter dem Schnee ist Brot. Unter dem Re-
gen ist Hunger.‹« Ihre Stimme war angenehm tief; als Sängerin
wäre sie ein Alt gewesen.
Brunetti, ein ausgemachter Stadtmensch, lächelte kleinlaut.
»Ich glaube, davon verstehe ich nichts.«
Ihre Lippen hoben sich - offenbar ihre Art zu lächeln -,
und der Ausdruck in ihren Augen wurde milder. »Das soll
heißen, dass der Regen einfach wegläuft und nur vorübergehend
Gutes bewirkt, während der Schnee auf den Bergen
liegt und das Schmelzwasser den ganzen Sommer hindurch
langsam abfl ießt.«
»Und daher das Brot?«, fragte Brunetti.
»Ja. So die Überlieferung.« Bevor Brunetti etwas dazu
sagen konnte, fuhr sie fort: »Der Schnee hier in der Stadt
ist nur eine Ausnahmeerscheinung und so wenig, dass der
Flughafen gerade mal für ein paar Stunden geschlossen werden
musste; höchstens ein paar Zentimeter. In Alto Adige,
wo ich herkomme, hat es in diesem Jahr noch gar nicht geschneit.«
»Also Pech für die Skiläufer?«, fragte Brunetti lächelnd,
indem er sich vorstellte, wie sie in einem langen Kaschmirpullover
und Skihosen vorm Kamin eines Fünf-Sterne-Skihotels
posierte.
»Die interessieren mich nicht. Nur die Landbewohner«,
sagte sie mit einer Heftigkeit, die ihn überraschte. Sie sah
ihm forschend ins Gesicht. »›Überglücklich wäre der Bauer,
würde er die Vorzüge des Landlebens erkennen.‹«
Brunetti blieb fast die Spucke weg. »Das ist Vergil, oder?«
»Aus den Georgica«, antwortete sie, indem sie höfl ich
über seine Verblüffung und alles, was sie verriet, hinwegging.
»Sie haben das Gedicht gelesen?«
»In der Schule«, sagte Brunetti. »Und dann noch einmal
vor einigen Jahren.«
»Warum?«, erkundigte sie sich höflich und drehte sich
von ihm weg, um dem Diener zu danken, der einen Teller
risotto ai funghi vor sie hinstellte.
»Warum was?«
»Warum haben Sie es noch einmal gelesen?«
»Weil mein Sohn es in der Schule gelesen hat, und als er
erzählte, es habe ihm gefallen, wollte ich es mir auch noch
einmal ansehen.« Lächelnd fügte er hinzu: »Meine Schulzeit
ist schon so lange her, dass ich mich an nichts mehr erinnern
konnte.«
»Und?«
Brunetti musste erst nachdenken, bevor er antwortete,
so selten bekam er Gelegenheit, über Bücher zu reden. »Ich
muss gestehen«, sagte er, während der Diener ihm seinen Risotto
servierte, »das ganze Gerede über die Pfl ichten eines
guten Landbesitzers hat mich nicht besonders interessiert.«
»Welche Themen interessieren Sie denn?«
»Was die Klassiker zum Thema Politik zu sagen haben«,
antwortete Brunetti und bereitete sich darauf vor, dass das
Interesse seiner Gesprächspartnerin jetzt unweigerlich nachlassen
würde.
Sie nahm einen kleinen Schluck Wein, neigte ihr Glas in
Brunettis Richtung, ließ den Inhalt sachte kreisen und sagte:
»Ohne den guten Landbesitzer hätten wir das hier nicht.« Sie
nahm noch einen Schluck und stellte das Glas wieder hin.
Brunetti beschloss es zu riskieren. Er hob die rechte Hand
und umschrieb mit ihr einen kleinen Kreis, der den Tisch,
die Leute daran und darüber hinaus auch den Palazzo und
die ganze Stadt umfassen mochte. »Ohne Politik«, sagte er,
»hätten wir das hier nicht.«
Da sie keine große Augen machen konnte, bekundete sie
ihre Überraschung mit einem glucksenden Lachen, das sich
zu einem mädchenhaften Kichern steigerte; es half nichts,
dass sie eine Hand vor den Mund nahm, nur dass aus dem
Kichern zuletzt ein Hustenfall wurde.
Köpfe drehten sich zu ihnen herum, ihr Mann entzog dem
Conte seine Aufmerksamkeit und legte ihr fürsorglich eine
Hand auf die Schulter. Die Unterhaltung verstummte.
Sie nickte, machte eine abwiegelnde Handbewegung,
nahm ihre Serviette und tupfte sich, immer noch hustend,
die Augen ab. Schließlich hörte der Husten auf, und nachdem
sie ein paarmal tief Luft geholt hatte, sagte sie in die
Runde: »Entschuldigung. Mir ist was in den falschen Hals
geraten.« Sie legte beschwichtigend ihre Hand auf die ihres
Mannes und sagte etwas zu ihm, worauf er sich lächelnd
wieder seinem Gespräch mit dem Conte zuwandte.
Sie nahm ein paar kleine Schlucke aus ihrem Wasserglas,
probierte den Risotto und legte die Gabel hin. Als habe es
keine Unterbrechung gegeben, sah sie Brunetti an und sagte:
»Zum Thema Politik lese ich am liebsten Cicero.«
»Warum?«
»Weil er so gut hassen kann.«
Brunetti zwang sich, auf das zu achten, was sie sagte, und
nicht auf den schauerlichen Mund, aus dem die Worte kamen;
und sie diskutierten immer noch über Cicero, als die
Diener ihre kaum angerührten Teller mit Risotto wieder abräumten.
© Weltbild
Brunetti riss sich von dem Pärchen los und folgte dem
Zeigefinger seiner Frau, der auf ein dickes Buch im hinteren
Teil des Schaufensters wies.
»Ich dachte, der heißt Henry«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
Sie zog ihn mit einem Ruck enger an sich. »Stell dich
nicht dumm, Guido Brunetti. Du weißt, wer William James ist.«
Er nickte. »Aber warum interessiert dich die Biographie
des Bruders?«
»Mich interessiert die ganze Familie und überhaupt so
ziemlich alles, was ihn zu dem gemacht haben könnte, der
er war.«
Brunetti dachte an die Zeit vor über zwanzig Jahren, als
er Paola kennengelernt und den brennenden Wunsch verspürt
hatte, alles über sie in Erfahrung zu bringen: über ihre
Familie, ihre Vorlieben, ihre Freunde, alles, was ihm mehr
über diese wunderbare junge Frau sagen konnte, die ein
gütiges Schicksal ihm zwischen den Regalen der Universitätsbibliothek
über den Weg geschickt hatte. Brunetti fand
eine solche Wissbegier durchaus normal, wenn es um einen
lebenden Menschen ging. Aber bei einem Schriftsteller, der
seit fast hundert Jahren tot war?
»Was fasziniert dich nur so an ihm?«, bohrte er nicht
zum ersten Mal. Brunetti merkte selbst, dass er sich wieder
einmal wie der reizbare, eifersüchtige Ehemann aufführte,
den ihre Schwärmerei für Henry James schon oft aus ihm
gemacht hatte.
Sie ließ seinen Arm los und trat zurück, als wollte sie sich
den Mann, mit dem sie aus irgendeinem Grund verheiratet
war, einmal genauer ansehen. »Weil er viele Dinge versteht«,
sagte sie endlich.
»Aha«, meinte Brunetti nur wortkarg. »Sonst nichts?«
Ihm schien, das sei das mindeste, was man von einem
Schriftsteller erwarten konnte.
»Und weil er auch uns dazu bringt, diese Dinge zu verstehen«,
fügte sie hinzu.
Und damit war das Thema erledigt.
Paola schien der Ansicht, sie hätten jetzt mehr als genug
Zeit damit verbracht. »Komm. Du weißt, wie mein Vater es
hasst, wenn man zu spät kommt.«
Sie ließen die Buchhandlung hinter sich. Am Fuß der Brücke
blieb Paola stehen und sah ihm ins Gesicht. »Du weißt,
ich habe dir das schon oft gesagt«, fing sie an. Er wusste,
was jetzt kam, und es stimmte, sie hatte ihm das schon oft
gesagt. »Du bist Henry James wirklich sehr ähnlich.«
Wie jedes Mal, wenn sie ihm das sagte, wusste Brunetti
nicht, ob er sich durch diesen Vergleich geschmeichelt oder
gekränkt fühlen sollte. Zum Glück hatte er im Lauf der Jahre
gelernt, nicht jedes Mal die Grundlagen ihrer Ehe in Frage
zu stellen.
»Und du willst die Dinge verstehen, Guido. Sonst wärst
du wohl nicht Polizist geworden.« Sie überlegte einen Mo-
ment. »Aber du willst auch, dass andere Leute diese Dinge
verstehen. Sie wandte sich ab, ging die Brücke hinauf und
rief noch über die Schulter: »Genau wie er.«
Brunetti ließ ihr bis zur Mitte der Brücke einen Vorsprung,
ehe er ihr nachrief: »Heißt das, dass ich das Zeug
zum Schriftsteller habe?« Wie schön, wenn sie mit ja antworten
würde.
Sie tat die Frage mit einer Handbewegung ab und drehte
sich nach ihm um: »Das macht es so interessant, mit dir zusammenzuleben.«
Damit ging sie die Brücke auf der anderen
Seite hinunter.
Noch besser als Schriftsteller sein, dachte Brunetti und folgte ihr.
Brunetti sah auf seine Uhr, während Paola am portone ihres
Elternhauses klingelte. »So viele Jahre, und du hast immer
noch keinen Schlüssel?«, fragte er.
»Stell dich doch nicht so an«, sagte sie. »Natürlich habe
ich einen Schlüssel. Aber wir sind eingeladen, und da ist es
besser, wenn wir uns wie Gäste anmelden.«
»Heißt das, wir müssen uns auch wie Gäste benehmen?«, fragte Brunetti.
Was auch immer Paola darauf hätte antworten können,
blieb ungesagt, da ihnen in diesem Moment ein Mann, den
sie beide nicht kannten, das Hoftor öffnete. Er lächelte, deutete
etwas zwischen einem Nicken und einer Verbeugung an
und zog das Tor vollständig auf.
Paola dankte ihm, und sie gingen über den Hof auf die
Treppe zu, die zum Palazzo hinaufführte. »Keine Livree«,
flüsterte Brunetti entrüstet. »Keine Perücke? Mein Gott, wie
tief ist die Welt gesunken? Demnächst essen die Dienstboten
noch bei den Herrschaften mit an der Tafel, und dann
verschwindet nach und nach das Silberbesteck. Wo soll das
nur enden? Dass Luciana deinem Vater mit einem Fleischerbeil
nachrennt?«
Paola blieb abrupt stehen und drehte sich schweigend zu
ihm um. Sie strafte ihn mit jenem Blick, den sie immer zur
Schau trug, wenn er zu weit gegangen war.
»Sí, tesoro?«, fragte er honigsüß.
»Ich schlage vor, Guido, wir warten hier ein Weilchen, bis
du deine komischen Bemerkungen über die gesellschaftliche
Stellung meiner Eltern losgeworden bist, und wenn du dich
beruhigt hast, gehen wir nach oben zu den anderen Gästen,
und du benimmst dich beim Essen wie ein halbwegs zivilisierter
Zeitgenosse. Was sagst du dazu?«
Brunetti nickte. »Gefällt mir, besonders der ›halbwegs zivilisierte
Zeitgenosse‹.«
Sie strahlte ihn an: »Das dachte ich mir, mein Lieber.«
Dann wandte sie sich um, und als sie die Treppe hochstieg,
folgte Brunetti ihr auf dem Fuß.
Paola hatte die Einladung ihres Vaters bereits vor einiger
Zeit angenommen und Brunetti erklärt, Conte Falter wolle
seinen Schwiegersohn mit einer guten Freundin der Contessa
bekannt machen.
Die Liebe seiner Schwiegermutter hatte Brunetti im Lauf
der Jahre anzunehmen gelernt, ohne sie zu hinterfragen,
aber was den Conte betraf, war er sich nie sicher, ob jener
eigentlich in ihm einen Emporkömmling sah, der sich die
Zuneigung seines einzigen Kindes erschlichen hatte, oder einen
Mann von Talent und Verdiensten. Nach kurzem Nach-
denken akzeptierte Brunetti, dass dem Conte ohne weiteres
zuzutrauen war, beides zugleich in ihm zu sehen.
Ein zweiter Unbekannter erwartete sie oben an der Treppe,
und als er mit einer leichten Verbeugung die Eingangstür
aufschwingen ließ, strömte ihnen die Wärme aus dem Inneren
des Palazzo entgegen. Paola dankte mit einem Nicken;
Brunetti folgte ihr hinein.
Schon im Vestibül vernahmen sie die Stimmen aus dem
großen Salon, der auf den Canal Grande hinaussah. Der
Mann nahm ihnen schweigend die Mäntel ab und zog die
Tür einer beleuchteten Garderobe auf. Brunetti riskierte einen
Blick hinein; im hintersten Winkel hing, abgesondert
von den anderen, ein besonders kostbarer Pelzmantel.
Die Stimmen lockten sie in den Salon. Als Brunetti und
Paola eintraten, standen ihre Gastgeber vor dem mittleren
Fenster. Sie wandten Brunetti und Paola das Gesicht zu,
während die sie umringenden Gäste die Aussicht auf die
Palazzi am anderen Ufer des Canal Grande genossen, und
Brunetti, der die Gäste nur von hinten sah, erkannte unter
ihnen das Paar, dem sie vorhin auf der Straße begegnet
waren; oder aber es gab noch einen zweiten untersetzten,
weißhaarigen Mann mit einer großen blonden Gefährtin,
die schwarze Stöckelschuhe trug und ihr Haar zu einem
kunstvollen Knoten geschlungen hatte. Sie hielt sich ein wenig
abseits, schaute aus dem Fenster und schien sich wenig
für die Gäste zu interessieren.
Zwei weitere Paare standen links und rechts von seinen
Schwiegereltern. Er erkannte den Anwalt des Conte und seine
Frau; die anderen beiden waren eine alte Freundin der
Contessa, die sich ebenso wie die Contessa für wohltätige
Zwecke engagierte, und ihr Mann, der Rüstungsgüter und
Bergbautechnik an Länder der Dritten Welt verkaufte.
Der Conte unterbrach seine angeregte Unterhaltung mit
dem Weißhaarigen, als er Paola bemerkte. Er stellte sein
Glas ab, sagte noch etwas zu dem Mann, trat um ihn herum
und ging auf seine Tochter und Brunetti zu. Als sein Gastgeber
sich entfernte, wandte der Mann sich neugierig um. Und
jetzt fiel Brunetti auch der Name ein: Maurizio Cataldo, ein
Mann, von dem es hieß, er habe Beziehungen zur Stadtverwaltung.
Die Frau sah weiter aus dem Fenster, als sei sie bezaubert
von der Aussicht und habe das Verschwinden des
Conte gar nicht bemerkt.
Brunetti und Cataldo kannten sich, wie so oft in dieser
Stadt, nur vom Sehen; dennoch wusste Brunetti in groben
Umrissen über Cataldo Bescheid. Die Familie war, soweit
Brunetti wusste, irgendwann zu Beginn des letzten Jahrhunderts
aus dem Friaul nach Venedig gekommen, hatte es in
der Zeit des Faschismus zu Wohlstand gebracht und war im
großen Boom der sechziger Jahre sogar noch reicher geworden.
Bauwesen? Transportwesen? Er wusste es nicht genau.
Der Conte begrüßte Brunetti und Paola beide mit zwei
Wangenküssen und drehte sich wieder zu dem Paar um, mit
dem er zuvor gesprochen hatte. »Paola, du kennst die beiden«,
und zu Brunetti: »Aber du vermutlich nicht, Guido.
Sie möchten dich unbedingt kennenlernen.«
Das mochte für Cataldo gelten, der ihnen mit hochgezogenen
Augenbrauen und zur Seite geneigtem Kinn entgegensah
und seinen Blick mit unverhohlener Neugier zwischen
Paola und Brunetti hin- und hergehen ließ. Die Miene
der Frau hingegen war unmöglich zu deuten. Oder genauer
gesagt, ihr Gesicht drückte eine andauernde Erwartung
aus, hineingepfl anzt von einem hilfsbereiten Chirurgen. Ihr
Mund war bis ans Ende seines irdischen Daseins zu jenem
kleinen Lächeln geöffnet, das man zeigt, wenn die Hausangestellte
einem ihr Enkelkind vorstellt. Als Ausdruck von
Freude mochte das Lächeln etwas dünn sein, aber die Lippen,
die lächelten, waren voll und von einem dunklen Rot,
wie man es von Kirschen kennt. Ihre Augen wurden von
den hochstehenden Wangen zusammengedrückt, die zu beiden
Seiten ihrer Nase als pralle rosa Polster von der Größe
einer längshalbierten Kiwi prangten. Die Nase selbst begann
höher an der Stirn, als Nasen es gewöhnlich tun, und
war seltsam flach, als habe sie jemand nach dem Einsetzen
mit einem Spachtel geglättet.
Von Falten und Flecken keine Spur. Ihre Haut war perfekt,
die Haut eines Kindes. Das blonde Haar gab durch
nichts zu erkennen, dass es etwas anderes sein könnte als
gesponnenes Gold, und Brunetti wusste genug über Mode,
um zu erkennen, dass ihr Kleid kostspieliger war als jeder
Anzug, den er je besessen hatte.
Das also musste Cataldos zweite Frau sein, »la Superliftata«,
eine entfernte Verwandte der Contessa, von der Brunetti
zwar gelegentlich gehört, die er aber nie persönlich
kennengelernt hatte. Kurzes Stöbern in seinem Gedächtnisspeicher
für Gesellschaftsklatsch ergab, dass sie irgendwoher
aus dem Norden kam, angeblich die Öffentlichkeit
scheute und irgendwie seltsam war.
»Ah«, unterbrach der Conte Brunettis Grübeleien. Paola
küsste die Frau auf die Wange, dann gab sie dem Mann die
Hand. Zu der Frau gewandt sagte der Conte: »Franca, ich
möchte dir meinen Schwiegersohn vorstellen, Guido Brunetti,
Paolas Mann.« Und dann zu Brunetti: »Guido, darf
ich vorstellen: Franca Marinello und ihr Mann Maurizio
Cataldo.« Er trat zur Seite und winkte Brunetti nach vorn,
als überreichte er Brunetti und Paola dem anderen Paar auf
dem Präsentierteller.
Brunetti gab erst der Frau die Hand, die überraschend
fest zupackte, dann dem Mann, dessen Hand sich so trocken
anfühlte, als müsste sie mal abgestaubt werden. »Piacere«, sagte
er und sah erst ihr und dann dem Mann mit einem Lächeln in die Augen.
Der Mann nickte, aber es war die Frau, die etwas sagte.
»Ihre Schwiegermutter hat in all den Jahren so gut von Ihnen
gesprochen; ich bin sehr erfreut, Sie endlich kennenzulernen.«
Bevor Brunetti eine Antwort einfiel, schwang die Doppeltür
zum Speisesaal von innen auf, und der Mann, der die
Mäntel entgegengenommen hatte, verkündete, das Essen sei
serviert. Während man hinüberging, kramte Brunetti in seinem
Gedächtnis nach irgendetwas, was die Contessa ihm
über ihre Freundin Franca erzählt haben mochte, erinnerte
sich aber nur daran, dass die Contessa sich vor Jahren, als
Franca zum Studieren nach Venedig gekommen war, ihrer
angenommen hatte.
Beim Anblick des Tischs - schwer beladen mit Porzellan
und Silberbesteck und einem wahren Blütenmeer - musste er
an die letzte Mahlzeit denken, die er nur zwei Wochen zuvor in
diesem Haus eingenommen hatte. Er war vorbeigekommen,
um der Contessa, mit der er seit Jahren Lektüre austauschte,
zwei Bücher zu bringen, und hatte seinen Sohn bei ihr ange-
troffen. Raffi hatte erklärt, er wolle seinen Italienischaufsatz
abholen, den seine Großmutter sich angesehen habe.
Die beiden hatten im Arbeitszimmer gesessen, nebeneinander
am Schreibtisch der Contessa. Vor ihnen lag Raffi s
Aufsatz, die acht Seiten über und über bedeckt mit Kommentaren
in drei verschiedenen Farben. Links davon stand
ein Teller mit Sandwiches, oder eher das, was einmal ein
Teller mit Sandwiches gewesen war. Während Brunetti die
Reste aß, erklärte die Contessa ihr System: Rot für Grammatikfehler,
Gelb für alle Formen des Verbs essere und Blau
für sachliche Fehler und Fehlinterpretationen.
Raffi, der eher ungehalten reagierte, wenn Brunetti seinen
historischen Ansichten widersprach oder Paola seine
Grammatik korrigierte, schien vollständig davon überzeugt
zu sein, dass seine Großmutter wusste, was sie tat, und tippte
ihre Vorschläge eifrig in seinen Laptop, während Brunetti
die Erläuterungen aufmerksam mitverfolgte.
Paola riss ihn aus diesen Erinnerungen: »Such nach deinem
Namen«, flüsterte sie. Tatsächlich, vor jedem Gedeck
war eine kleine, handbeschriftete Karte aufgestellt. Rasch
fand er die seine und stellte beruhigt fest, dass Paola links
von ihm sitzen sollte, zwischen ihm und ihrem Vater. Er
sah sich am Tisch um, inzwischen hatten alle ihren Platz
gefunden. Jemand, der mit der Etikette der Tischordnung
vertrauter wäre, hätte mit Entsetzen registriert, wie nah die
Ehefrauen bei ihren Männern platziert waren. Nur die Tatsache,
dass Conte und Contessa einander an den Enden des
rechteckigen Tischs gegenübersaßen, hätte das Schicklichkeitsgefühl
eines solchen Beobachters ein wenig besänftigen
können. Der Anwalt des Conte, Renato Rocchetto, rück-
te der Contessa den Stuhl zurecht. Als sie saß, nahmen zunächst
die anderen Frauen Platz, dann die Männer.
Brunetti unmittelbar gegenüber saß Cataldos Frau. Ihr
Mann sagte etwas, und sie neigte sich zu ihm hinüber, den
Kopf fast an seinen gelehnt, aber Brunetti wusste, damit
war das Unvermeidliche nur ein wenig hinausgeschoben.
Paola widmete sich kurz Brunetti, murmelte »Coraggio«
und tätschelte sein Knie.
Als Paola ihre Hand wegnahm, lächelte Cataldo seiner
Frau zu und wandte sich an Paola und ihren Vater; Franca
Marinello sah Brunetti an. »Es ist schrecklich kalt, fi nden
Sie nicht?«, begann sie, und Brunetti machte sich auf eine
dieser typischen Essensunterhaltungen gefasst.
Bevor ihm eine hinreichend nichtssagende Erwiderung
einfiel, ergriff die Contessa das Wort: »Ich hoffe, es stört
niemanden, wenn es zu dieser Mahlzeit kein Fleisch gibt.«
Sie blickte lächelnd in die Runde und fügte in einem halb
belustigten, halb verlegenen Ton hinzu: »Aufgrund der Essgewohnheiten
meiner Familie und weil ich es versäumt
habe, jeden Einzelnen von Ihnen anzurufen und nach den
seinen zu fragen, hielt ich es für das Einfachste, auf Fleisch
und Fisch ganz zu verzichten.«
»›Essgewohnheiten‹?«, flüsterte Claudia Umberti, die
Frau des Anwalts. Sie schien aufrichtig verwirrt, und Brunetti,
der neben ihr saß und sie und ihren Mann oft genug
bei Familienessen erlebt hatte, wusste, dass für sie die einzige
Essgewohnheit der ausgedehnten Falier-Familie - von
Churas wenig konsequentem Vegetariertum einmal abgesehen
- von jeher in reichlichen Portionen und mächtigen
Nachspeisen bestand.
Zweifellos, um ihre Mutter davor zu bewahren, bei einer
so krassen Lüge ertappt zu werden, erklärte Paola in das
allgemeine Schweigen hinein: »Ich ziehe es vor, kein Rind
zu essen; meine Tochter Chiara isst weder Fleisch noch
Fisch - jedenfalls diese Woche; Raffi isst nichts Grünes und
mag keinen Käse; und Guido«, sagte sie und legte ihm eine
Hand auf den Arm, »isst überhaupt nichts, es sei denn, er
bekommt eine große Portion.«
Alle am Tisch lachten beifällig, und Brunetti gab Paola
zum Beweis seiner Gutmütigkeit und Fairness einen Kuss
auf die Wange, nahm sich aber vor, eisern abzulehnen, falls
man ihm einen Nachschlag anbieten sollte. Lächelnd sah er
sie an und fl üsterte: »Was soll das Ganze eigentlich?«
»Sag ich dir später«, antwortete sie und wandte sich mit
einer höfl ichen Frage an ihren Vater.
Franca Marinello schenkte den Bemerkungen der Contessa
weiter keine Aufmerksamkeit; als Brunetti sich ihr
wieder zuwandte, sagte sie vielmehr: »Der Schnee auf den
Straßen ist ein schreckliches Problem.« Brunetti lächelte,
als seien ihm ihre Schuhe noch gar nicht aufgefallen und als
habe er sich diese Bemerkung nicht seit zwei Tagen ständig
anhören müssen.
Nach den Regeln höflicher Konversation war jetzt er mit
irgendeiner sinnlosen Bemerkung an der Reihe; er fügte sich
in die Rolle und sagte: »Aber für Skiläufer ist es gut.«
»Und für die Bauern«, ergänzte sie.
»Verzeihung?«
»Wo ich herkomme«, sagte sie in einem Italienisch, das
keinerlei dialektalen Einschlag erkennen ließ, »haben wir
ein Sprichwort: ›Unter dem Schnee ist Brot. Unter dem Re-
gen ist Hunger.‹« Ihre Stimme war angenehm tief; als Sängerin
wäre sie ein Alt gewesen.
Brunetti, ein ausgemachter Stadtmensch, lächelte kleinlaut.
»Ich glaube, davon verstehe ich nichts.«
Ihre Lippen hoben sich - offenbar ihre Art zu lächeln -,
und der Ausdruck in ihren Augen wurde milder. »Das soll
heißen, dass der Regen einfach wegläuft und nur vorübergehend
Gutes bewirkt, während der Schnee auf den Bergen
liegt und das Schmelzwasser den ganzen Sommer hindurch
langsam abfl ießt.«
»Und daher das Brot?«, fragte Brunetti.
»Ja. So die Überlieferung.« Bevor Brunetti etwas dazu
sagen konnte, fuhr sie fort: »Der Schnee hier in der Stadt
ist nur eine Ausnahmeerscheinung und so wenig, dass der
Flughafen gerade mal für ein paar Stunden geschlossen werden
musste; höchstens ein paar Zentimeter. In Alto Adige,
wo ich herkomme, hat es in diesem Jahr noch gar nicht geschneit.«
»Also Pech für die Skiläufer?«, fragte Brunetti lächelnd,
indem er sich vorstellte, wie sie in einem langen Kaschmirpullover
und Skihosen vorm Kamin eines Fünf-Sterne-Skihotels
posierte.
»Die interessieren mich nicht. Nur die Landbewohner«,
sagte sie mit einer Heftigkeit, die ihn überraschte. Sie sah
ihm forschend ins Gesicht. »›Überglücklich wäre der Bauer,
würde er die Vorzüge des Landlebens erkennen.‹«
Brunetti blieb fast die Spucke weg. »Das ist Vergil, oder?«
»Aus den Georgica«, antwortete sie, indem sie höfl ich
über seine Verblüffung und alles, was sie verriet, hinwegging.
»Sie haben das Gedicht gelesen?«
»In der Schule«, sagte Brunetti. »Und dann noch einmal
vor einigen Jahren.«
»Warum?«, erkundigte sie sich höflich und drehte sich
von ihm weg, um dem Diener zu danken, der einen Teller
risotto ai funghi vor sie hinstellte.
»Warum was?«
»Warum haben Sie es noch einmal gelesen?«
»Weil mein Sohn es in der Schule gelesen hat, und als er
erzählte, es habe ihm gefallen, wollte ich es mir auch noch
einmal ansehen.« Lächelnd fügte er hinzu: »Meine Schulzeit
ist schon so lange her, dass ich mich an nichts mehr erinnern
konnte.«
»Und?«
Brunetti musste erst nachdenken, bevor er antwortete,
so selten bekam er Gelegenheit, über Bücher zu reden. »Ich
muss gestehen«, sagte er, während der Diener ihm seinen Risotto
servierte, »das ganze Gerede über die Pfl ichten eines
guten Landbesitzers hat mich nicht besonders interessiert.«
»Welche Themen interessieren Sie denn?«
»Was die Klassiker zum Thema Politik zu sagen haben«,
antwortete Brunetti und bereitete sich darauf vor, dass das
Interesse seiner Gesprächspartnerin jetzt unweigerlich nachlassen
würde.
Sie nahm einen kleinen Schluck Wein, neigte ihr Glas in
Brunettis Richtung, ließ den Inhalt sachte kreisen und sagte:
»Ohne den guten Landbesitzer hätten wir das hier nicht.« Sie
nahm noch einen Schluck und stellte das Glas wieder hin.
Brunetti beschloss es zu riskieren. Er hob die rechte Hand
und umschrieb mit ihr einen kleinen Kreis, der den Tisch,
die Leute daran und darüber hinaus auch den Palazzo und
die ganze Stadt umfassen mochte. »Ohne Politik«, sagte er,
»hätten wir das hier nicht.«
Da sie keine große Augen machen konnte, bekundete sie
ihre Überraschung mit einem glucksenden Lachen, das sich
zu einem mädchenhaften Kichern steigerte; es half nichts,
dass sie eine Hand vor den Mund nahm, nur dass aus dem
Kichern zuletzt ein Hustenfall wurde.
Köpfe drehten sich zu ihnen herum, ihr Mann entzog dem
Conte seine Aufmerksamkeit und legte ihr fürsorglich eine
Hand auf die Schulter. Die Unterhaltung verstummte.
Sie nickte, machte eine abwiegelnde Handbewegung,
nahm ihre Serviette und tupfte sich, immer noch hustend,
die Augen ab. Schließlich hörte der Husten auf, und nachdem
sie ein paarmal tief Luft geholt hatte, sagte sie in die
Runde: »Entschuldigung. Mir ist was in den falschen Hals
geraten.« Sie legte beschwichtigend ihre Hand auf die ihres
Mannes und sagte etwas zu ihm, worauf er sich lächelnd
wieder seinem Gespräch mit dem Conte zuwandte.
Sie nahm ein paar kleine Schlucke aus ihrem Wasserglas,
probierte den Risotto und legte die Gabel hin. Als habe es
keine Unterbrechung gegeben, sah sie Brunetti an und sagte:
»Zum Thema Politik lese ich am liebsten Cicero.«
»Warum?«
»Weil er so gut hassen kann.«
Brunetti zwang sich, auf das zu achten, was sie sagte, und
nicht auf den schauerlichen Mund, aus dem die Worte kamen;
und sie diskutierten immer noch über Cicero, als die
Diener ihre kaum angerührten Teller mit Risotto wieder abräumten.
© Weltbild
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Autoren-Porträt von Donna Leon
Donna Leon, geb. 1942, verließ mit 23 Jahren New Jersey, um in Perugia und Siena weiterzustudieren. Seit 1965 lebt sie ständig im Ausland, arbeitet als Reiseleiterin in Rom, als Werbetexterin in London, an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran, in China und Saudi-Arabien. Seit 1981 lebt und arbeitet sie in Venedig.
Autoren-Interview mit Donna Leon
Interview mit Donna LeonWie entsteht ein Donna Leon-Krimi. Können Sie uns ein bisschen aus Ihrer „Werkstatt" erzählen?
Meine Schreibmethode ist ziemlich einfach. Ich beginne mit einem Verbrechen, und dann verwende ich 300 Seiten darauf, zu schildern, wer es begangen haben könnte und warum.
Brunetti prangert präzise und manchmal sarkastisch die politischen Verhältnisse in Italien an - die Korruption, den Filz und den Waffenhandel. Spricht aus ihm eigentlich auch ein bisschen Donna Leon?
Wenn Sie glauben, dass ich mich hier über Italien äußere, dann sollten Sie mich mal über die Vereinigten Staaten reden hören. Es ist eine große Freude und ein großes Glück für mich, in Italien leben zu dürfen. Wenn ich Geschichten aus anderen Ländern höre, dann ist da auch einiges dabei an Korruption, Filz und Waffenhandel.
In den letzten beinahe anderthalb Jahrzehnten, in denen Sie Krimis schreiben, haben Sie immer auch staatliche und kirchliche Institutionen ins Visier genommen. Ist Ihnen das persönlich übel genommen wurden? Wurden Sie jemals bedroht?
Bedroht? In Italien? Sie machen wohl Scherze! Anders als in meinem Heimatland können die Leute in Italien schreiben und sagen, was sie wollen.
In der Zeichnung Ihrer Charaktere sind Sie immer nah an einer plausiblen Realität. Dies bezieht sich durchaus auch auf die negativen Eigenschaften der Protagonisten. Ist Commissario Brunetti eine Ausnahme? Wofür steht der gute, kluge Kommissar?
Gott im Himmel, wofür steht eine Person denn schon? Ich glaube, für sehr wenig. Wir gehen einfach durch unser Leben und bemühen uns darum, es angenehm und anständig zu verbringen. Und ein paar negative Eigenschaften hat Brunetti doch auch: Er mag zum Beispiel die
... mehr
Süditaliener nicht sehr, oder?
Die „heile Welt" der Familie Brunetti steht in einem starken Kontrast zu den Verbrechen, die in und um Venedig herum passieren. Welchen Stellenwert hat das detailliert geschilderte Familienleben für ihre Bücher?
Die Familie ist der Ruhepol im Leben von Brunetti. Ich glaube, jemand, der eine Arbeit wie Brunetti macht, braucht so etwas. Außerdem muss ich doch dem Leser plausibel machen, warum Brunetti ein ehrenwerter Mann bleibt. Meiner Meinung nach trägt die Familie sehr viel dazu bei.
Sie sagten einmal, Sie hätten keinen Fernseher zu Hause und würden auch nicht ins Kino gehen. Was halten Sie grundsätzlich von Romanverfilmungen?
Es stimmt, was ich gesagt habe. Ich habe keinen Fernseher, hatte auch nie einen. Und ich gehe höchst selten ins Kino. Deshalb kann ich Ihre Frage leider auch nicht beantworten.
Die Fragen stellte Mathias Voigt, Literaturtest.
Die „heile Welt" der Familie Brunetti steht in einem starken Kontrast zu den Verbrechen, die in und um Venedig herum passieren. Welchen Stellenwert hat das detailliert geschilderte Familienleben für ihre Bücher?
Die Familie ist der Ruhepol im Leben von Brunetti. Ich glaube, jemand, der eine Arbeit wie Brunetti macht, braucht so etwas. Außerdem muss ich doch dem Leser plausibel machen, warum Brunetti ein ehrenwerter Mann bleibt. Meiner Meinung nach trägt die Familie sehr viel dazu bei.
Sie sagten einmal, Sie hätten keinen Fernseher zu Hause und würden auch nicht ins Kino gehen. Was halten Sie grundsätzlich von Romanverfilmungen?
Es stimmt, was ich gesagt habe. Ich habe keinen Fernseher, hatte auch nie einen. Und ich gehe höchst selten ins Kino. Deshalb kann ich Ihre Frage leider auch nicht beantworten.
Die Fragen stellte Mathias Voigt, Literaturtest.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Donna Leon
- 350 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868005757
- ISBN-13: 9783868005752
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