Alex Cross - Cold
Seine Thriller sind nervenzerfetzend und mega-erfolgreich: James Patterson hält sogar einen Guinness-Rekord - 63 seiner Romane standen auf der NY-Times-Bestsellerliste!
Unfassbar: Die Kinder des US-Präsidenten werden auf...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Alex Cross - Cold “
Seine Thriller sind nervenzerfetzend und mega-erfolgreich: James Patterson hält sogar einen Guinness-Rekord - 63 seiner Romane standen auf der NY-Times-Bestsellerliste!
Unfassbar: Die Kinder des US-Präsidenten werden auf dem Schulweg entführt! Ganz Washington und der Rest der USA stehen Kopf. Polizei-Psychologe Alex Cross ist als einer der ersten vor Ort, und wird von der First Lady persönlich beauftragt, die Kinder zurückzuholen. Doch als Cross sich an die Arbeit macht, wird er von mächtigen Drahtziehern ausgebremst. Hintermänner, die über beste Verbindungen zu FBI, CIA und Secret Service zu verfügen scheinen. Da tritt der Terror im Land in eine neue Phase: Unbekannte verseuchen weite Teile der Washingtoner Wasserversorgung mit einer tödlichen Substanz und verüben einen Giftgas-Anschlag in der U-Bahn!
Spätestens jetzt wird überdeutlich: Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen vor der härtesten Bewährungsprobe in ihrer Geschichte. Und was bisher geschah, war nur der Auftakt zu einem Schlag, der das Gesicht des Landes für immer verändern würde.
"Patterson kann es einfach nicht lassen, dem Leser den Atem zu rauben!"
Bild am Sonntag
"Mit Patterson ist es wie mit Hitchcock: Man kann von ihm nie genug bekommen!"
Publishers Weekly
"James Patterson ist einer der besten Thriller-Autoren der Welt."
USA Today
Klappentext zu „Alex Cross - Cold “
Als der Sohn und die Tochter des amerikanischen Präsidenten direkt vor ihrer Schule entführt werden, ist Alex Cross zufällig als einer der ersten am Ort des Geschehens. Er will die Ermittlungen aufnehmen, doch jemand mit viel Macht hält ihn davon ab – und dieser Jemand scheint das FBI, den Secret Service, und den CIA im Rücken zu haben. Als eine tödliche Seuche in die Wasservorräte von Washington, D.C., gerät und die Hälfte der Hauptstadt lahm legt, entdeckt Alex, dass jemand dabei ist, den verheerendsten Anschlag in die Wege zu leiten, den die Vereinigten Staaten von Amerika jemals erlebt haben. Alex Cross ist fest entschlossen, sowohl die Entführung als auch die Wasserverseuchung aufzuklären. Doch die Zeit zerrinnt ihm zwischen den Fingern und er tappt noch immer im Dunkeln. Kurz entschlossen trifft Alex eine Entscheidung, die alles infrage stellt, woran er jemals geglaubt hat – eine Entscheidung, die das Schicksal eines ganzen Landes für immer verändern könnte.
Lese-Probe zu „Alex Cross - Cold “
Cold von James Patterson und Alex Cross1
... mehr
Es begann mit den Kindern von Präsident Coyle, Ethan und Zoe, prominente Persönlichkei ten mit einem hohen Bekanntheitsgrad, und das wahrscheinlich nicht erst seit ihrem Umzug nach Washington.
Der zwölfjährige Ethan Coyle war der Meinung, er hätte sich mit dem Leben unter den sezierenden Blicken der Öffentlichkeit arrangiert. Daher nahm er die Kamerateams, die ständig vor den Toren der Branaff School lauerten, kaum mehr wahr. Im Gegensatz zu früher regte er sich auch nicht mehr darüber auf, wenn ihn irgendein Mitschüler, den er nicht einmal kannte, im Flur, in der Turnhalle oder womöglich sogar auf der Toilette fotografierte.
Manchmal tat Ethan einfach so, als sei er unsichtbar. Das war natürlich ziemlich kindisch, schwachsinnig irgendwie, aber wen interessierte das? Der Vorschlag stammte sogar von einem der netteren Typen vom Secret Service. Der hatte Ethan erzählt, dass Chelsea Clinton es früher genauso gemacht hatte. Aber wer konnte schon sagen, ob das wirklich stimmte?
Als Ethan an diesem Morgen Ryan Townsend auf sich zukommen sah, da hätte er sich allerdings am liebsten tatsächlich unsichtbar gemacht.
Ryan Townsend hatte es ständig auf ihn abgesehen, und das lag nicht etwa daran, dass Ethan unter Verfolgungswahn litt. Er konnte jede Menge blauvioletter oder gelblicher Flecken vorweisen - Flecken, wie sie nach einem harten Schlag oder einem gezielten Tritt zurückbleiben.
»Alles klar, Coyle-Suse?«, fragte Townsend und steuerte direkt auf ihn zu, mit diesem Gesichtsausdruck, den Ethan nur all zu gut kannte. »Oder hat die Coyle-Suse mal wieder 'nen schlechten Tag erwischt?«
Ethan hatte mittlerweile gelernt, dass er seinem Peiniger auf keinen Fall antworten durfte. Stattdessen bog er scharf nach links ab, in den Gang mit den Bücherschränken. Aber das war sein erster Fehler. Jetzt saß er in der Falle. Schon spürte er einen scharfen, stechenden Schmerz am Oberschenkel. Townsend hatte ihn, ohne seine Schritte wesentlich zu verlangsamen, einfach getreten. »Streifschüsse« nannte er diese kleinen Zwischenfälle.
Was Ethan jetzt nicht machte, war, laut aufzuschreien oder mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden zu gehen. Das hatte er sich geschworen: Er würde sich niemals anmerken lassen, was er fühlte.
Stattdessen ließ er seine Bücher fallen und ging in die Hocke, um sie wieder aufzuheben. Das war feige und hasenfüßig, klar, aber wenigstens konnte er so sein Bein für einen Moment entlasten, ohne dass die ganze Welt erfahren musste, dass Ryan Townsend ihn als Sandsack und Treteimer benutzte.
Nur, dass es dieses Mal noch jemand beobachtet hatte - und zwar nicht der Secret Service.
Ethan war gerade damit beschäftigt, das Millimeterpapier in seine Mathemappe zurückzupacken, da hörte er eine vertraute Stimme.
»He, Ryan. Bei dir auch alles klar?«
Ethan hob den Kopf und bekam gerade noch mit, wie seine vierzehnjährige Schwester Zoe sich vor Townsend aufbaute.
»Das hab ich gesehn«, sagte sie. »Hättste nicht gedacht, was?«
Townsend legte seinen blonden Lockenkopf schräg. »Keine Ahnung, was du meinst. Warum kümmerst du dich nicht um d ... «
Plötzlich, wie aus dem Nichts, hatte Zoe ein schweres, gelbes Schulbuch in den Händen. Sie holte aus und hieb es Townsend mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Aus seiner Nase spritzte rotes Blut. Er taumelte nach hinten. Es war großartig!
Aber dann war auch schon Schluss, und der Secret Service schaltete sich ein. Agent Findlay hielt Zoe fest, und Agent Musgrove drängte sich zwischen Ethan und Townsend. Ein ganzer Haufen Sechst-, Siebt- und Achtklässler war schon stehen geblieben und glotzte, als wäre das Ganze eine neue Reality-Sendung im Fernsehen - Die Präsidentenkinder.
»Ihr seid solche Loser!«, brüllte Townsend Ethan und Zoe an, während das Blut auf seine Branaff-Krawatte und sein weißes Hemd tropfte. »Zwei bescheuerte Vollidioten. Ohne diese SS-Typen, die euch die ganze Zeit bewachen, hättet ihr ja überhaupt keine Chance!«
»Ach, ja? Erzähl das mal meinem Mathebuch«, schrie Zoe zurück. »Und lass gefälligst meinen Bruder in Ruhe! Du bist größer und älter als er, du Blödmann! Arschloch!«
Ethan kauerte immer noch vor den Schränken, wo sich die Hälfte seiner Schulsachen auf dem Boden verteilt hatte. Und für einen kurzen Moment, für ein, zwei Sekunden vielleicht, tat er so, als sei er einfach nur einer unter vielen - bloß ein namenloser Schuljunge, von dem noch nie jemand gehört hatte, der einfach nur dastand und zusah, wie irgendein anderer diesen ganzen Wahnsinn erleben musste.
Ja, na klar, dachte Ethan. Im nächsten Leben vielleicht.
2
Agent Findlay brachte Ethan und Zoe schnell und professi- onell aus dem Blickfeld ihrer gaffenden Mitschüler und, noch schlimmer, derjenigen, die ihre iPhones in die Höhe hielten: Hallo, YouTube! Innerhalb weniger Sekunden stand er mit ihnen in der leeren Aula, gleich neben der Eingangshalle.
Bevor eine Bildungsstiftung der Quäker das Anwesen übernommen und zur Schule umfunktioniert hatte, war die Branaff School das Hofgut Branaff gewesen. Hartnäckig hielt sich unter den Schülern das Gerücht, dass hier Gespenster ihr Unwesen trieben, und zwar nicht die Geister der guten Menschen, die hier gestorben waren, sondern die der verärgerten Nachfahren der Branaffs, die hatten weichen müssen, um einer Privatschule Platz zu machen.
Ethan glaubte zwar nicht an diesen ganzen Mist, aber die Aula war ihm schon immer besonders unheimlich vorgekommen. An den Wänden hingen alte Ölporträts, von denen aus jeder, der an ihnen vorbeikam, mit missbilligenden Blicken bedacht wurde.
»Dir ist doch klar, dass der Präsident das erfahren wird, Zoe. Die Schlägerei, deine Ausdrucksweise gerade eben«, sagte Agent Findlay. »Und Direktor Skillings natürlich auch ...«
»Na klar, machen Sie einfach, wofür Sie bezahlt werden«, erwiderte Zoe und zuckte die Achseln. Sie legte ihrem Bruder die Hand auf den Kopf. »Alles in Ordnung, Eth?«
»Alles bestens«, sagte er und schob sie weg. »Körperlich jedenfalls.« Seine Würde stand auf einem anderen Blatt, aber das war ihm jetzt zu kompliziert, darüber konnte er im Moment nicht nachdenken.
»Wenn das so ist«, meinte Findlay, »dann sollten wir uns nicht länger aufhalten. In fünf Minuten fängt der Vortrag an.«
»Na klar«, meinte Zoe mit einer abfälligen Handbewegung. »Der Vortrag. Wie könnten wir den vergessen?«
Die Gastrednerin des heutigen Vormittags war Isabelle Morris, eine der führenden Mitarbeiterinnen des Instituts für Internationale Politik in Washington, D. C., und außerdem ehemalige Schülerin der Branaff School. Im Gegensatz zu fast all seinen Mitschülern freute sich Ethan auf Ms Morris' Vortrag über ihre Erfahrungen im Nahen Osten. Er wollte später auch für die Vereinten Nationen arbeiten. Warum nicht? Er hatte schließlich ziemlich gute Beziehungen, nicht wahr?
»Können Sie uns vielleicht einen winzig kleinen Augenblick alleine lassen?«, wandte Zoe sich an Findlay. »Ich würde gerne kurz mit meinem Bruder reden ... unter vier Augen.«
»Ich hab doch gesagt, alles in Ordnung. Kein Problem«, beharrte Ethan, doch seine Schwester brachte ihn mit einem wütenden Blick zum Schweigen.
»Er kann irgendwie freier reden, wenn Sie nicht dabei sind«, fuhr Zoe als Reaktion auf Findlays skeptischen Blick fort. »Und hier hat man ja nicht oft die Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch, wenn Sie verstehen. Bitte nehmen Sie's nicht persönlich.«
»Kein Problem.« Findlay warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Einverstanden«, sagte er dann. »Aber nicht mehr als zwei Minuten.«
»Zwei Minuten, okay. Wir kommen gleich raus, ich versprech's«, sagte Zoe und drückte die schwere Holztür hinter ihm ins Schloss.
Ohne ein Wort zu Ethan glitt sie zwischen den alten Sitzbänken hindurch ans hintere Ende des Saals. Dort hüpfte sie auf den Heizkörper unter dem Fenster.
Sie schob die Hand in den blaugrauen Blazer ihrer Schuluniform und holte eine kleine schwarze Lackschachtel heraus. Ethan erkannte sie sofort. Die hatte seine Schwester sich in Peking gekauft, wo sie im Sommer zusammen mit ihren Eltern gewesen waren.
»Ich brauch jetzt 'ne Kippe«, flüsterte Zoe. Dann grinste sie verschlagen. »Kommst du mit?«
Ethan warf einen Blick zur Tür. »Aber ... ich will den Vortrag nicht verpassen.«
Zoe verdrehte die Augen. »Oh, ich bitte dich. Bla bla bla, der Nahe Osten, bla bla. Das kriegst du doch alles auf CNN zu sehen, jeden Tag in der Woche, rund um die Uhr. Aber wann hast du schon mal die Gelegenheit, dem Secret Service ein Schnippchen zu schlagen? Nun komm schon!«
Ethan steckte schwer in der Klemme, und das wusste er auch. Entweder sah er - wieder einmal - so aus wie der letzte Feigling, oder er würde den Vortrag verpassen, auf den er sich schon die ganze Woche gefreut hatte. Es gab kein Entrinnen.
»Es wäre aber besser, wenn du nicht rauchen würdest«, sagte er schwächlich.
»Ja, genau, und für dich wär's besser, wenn du nicht so oft den Schwanz einziehen würdest«, gab Zoe zurück. »Dann würden solche Arschlöcher wie Ryan Townsend auch nicht pausenlos über dich herfallen.«
»Das liegt doch bloß daran, dass Dad der Präsident ist«, meinte Ethan. »Das stimmt doch, oder?«
»Nein. Es liegt daran, dass du ein Weichei bist«, sagte Zoe. »Mit mir legt sich doch auch keiner von diesen Dumpfbacken an, oder?« Sie machte das Fenster auf, schob sich mühelos hindurch und landete draußen auf dem Boden. Zoe hielt sich für eine zweite Angelina Jolie. »Wenn du nicht mitkommen willst, dann lass mir wenigstens eine Minute Vorsprung. Okay, Großmutter?« Eine Sekunde später war sie verschwunden.
Ethan warf noch einen letzten Blick zurück in den Saal. Dann traf er die einzige Entscheidung, mit der er sich wenigstens einen winzigen Bruchteil seiner Würde erhalten konnte. Er machte es seiner Schwester nach und stieg zum Aula-Fenster hinaus ... um gleich darauf in Schwierigkeiten zu landen, die er sich nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte.
Die sich niemand vorstellen konnte.
3
Kaum war die Aulatür hinter Agent Findlay ins Schloss gefallen, drückte er kurz die Klinke - die Tür war nicht verschlossen.
Dann beobachtete er den Sekundenzeiger seiner Edelstahl-Breitling. »Ich gebe ihnen noch fünfundvierzig Sekunden«, sagte er in das Mikrofon an seinem Ärmelaufschlag. »Danach geht T. Rex zum Vortrag und Twilight zum Direktor.«
Der Präsident und die First Lady wollten Ethan und Zoe eine möglichst normale Schulzeit ermöglichen. Und dazu gehörten eben auch Konflikte - in einem vernünftigen Rahmen. Das war natürlich leichter gesagt als getan. Zoe Coyle benahm sich nicht immer vernünftig. Um ehrlich zu sein, fast nie. Sie war kein böses Kind. Aber ein Kind. Eigensinnig. Schlau. Und ganz vernarrt in ihren kleinen Bruder.
»Ich schätze, ich kann mich auf einen gewaltigen Anschiss gefasst machen«, funkte Findlay leise. »Aber das eine kann ich dir sagen. Dieser Ryan Townsend ist ein kleiner Scheißkerl. Aber von mir hast du das nicht.«
»Wie der Vater so der Sohn«, funkte Musgrove zurück. »Das Bürschchen hat es nicht anders verdient. Zoe hat der Arschgeige ordentlich eins übergebraten.«
Leises Gelächter hallte durch den Äther. Ryan Townsends Pa war Fraktionssprecher der Opposition und ein fanatischer Gegner so gut wie aller Initiativen, die Präsident Coy le jemals angestoßen oder an die er auch nur gedacht hatte. Manchmal kam einem die Branaff School vor wie Washington im Miniaturformat. Was sie in gewisser Weise auch war.
Findlay warf noch einen Blick auf seine Armbanduhr. Genau zwei Minuten. Die Atempause der Coyle-Kinder war zu Ende. Jetzt hieß es für alle: zurück an die Arbeit.
»Also gut, meine Damen und Herren, wir sind startklar«, sagte er in sein Mikrofon. Dann klopfte er zweimal an die Tür zur Aula und stieß sie auf.
»Die Zeit ist um. Seid ihr so wei ...? Verdammt noch mal!«
Der Saal war leer.
Nein, nein, nein. Nicht das. Diese gottverdammten Kinder. Gottverdammte Zoe!
Findlays Puls schnellte hoch. Sein Blick glitt über die großen Verbundglasfenster an der gegenüberliegenden Wand.
Er ging darauf zu und öffnete sämtliche Funkkanäle an seinem Sender, um die Kommandozentrale ebenso zu erreichen wie alle Mitglieder seines Teams vor Ort.
»Zentrale, hier Apex eins. Twilight und T. Rex sind verschollen.« Seine Stimme klang dringlich, aber sachlich. Für Panik war jetzt kein Platz. »Ich wiederhole: Beide Schützlinge sind verschollen.«
Als er vor den Fenstern stand, sah er, dass alle geschlossen waren. Allerdings ... eines war nicht verriegelt. Ein schneller Blick nach draußen offenbarte nichts als üppige grüne Sportplätze bis hinüber an den südlichen Zaun.
»Findlay? Was ist passiert?«
Das war Musgrove. Er stand in der Aulatür.
»Sie müssen durchs Fenster abgehauen sein«, sagte Findlay. »Ich bring sie um. Ganz ehrlich. Hätte ich schon längst machen sollen.« Die ganze Aktion war so typisch Zoe, so typisch. Für sie war das wahrscheinlich ein einziges großes Spiel, ein kleiner Schabernack mit ihren Bewachern.
»Zentrale, hier Apex eins«, funkte er erneute. »Twilight und T. Rex sind nach wie vor unauffindbar. Ich brauche eine
sofortige Sperrung sämtlicher Ausgänge und Ausfahrten rund um ... «
Mit einem Mal war in seinem Ohrhörer ein Getümmel zu hören. Findlay hörte Schreie und ein metallisches Knirschen. Dann zwei Schüsse.
»Zentrale, hier Apex fünf!« Jetzt dröhnte eine andere Stimme durch den Äther. »Gerade ist uns ein grauer Kastenwagen entwischt, hier am Osteingang. Fährt mit hoher Geschwindigkeit auf der Wisconsin Avenue nach Süden. Schätzungsweise hundert Sachen. Wir brauchen Verstärkung! Sofort!«
4
Bobby Hatfield, ein einfacher Streifenbeamter beim Metropolitan Police Department, sah ei nen grauen Lieferwagen durch Georgetown brettern. Fast gleichzeitig empfing er den Notruf aus der Funkzentrale. »An alle Einheiten im Bezirk zwonull-sechs. Mutmaßliche bewaffnete Entführung. Zwei Kinder. Ich wiederhole: Zwei Kinder! Verdächtig ist ein grauer Lieferwagen, fährt mit hoher Geschwindigkeit auf der Wisconsin Richtung Süden. Der Secret Service hat die Verfolgung aufgenommen. Erbittet Verstärkung! Bitte auf Kanal dreiundzwanzig wechseln.«
Hatfield schaltete seine Sirene ein und wendete, während ein schwarzer Yukon an ihm vorbeiraste. Alles klar. Sobald er den angegebenen Funkkanal eingestellt hatte, hörte er, wie der Secret Service die Verfolgungsjagd kommentierte.
»Wir fahren Richtung Süden. Das Kennzeichen wurde in D. C. ausgestellt, es lautet DMS acht-zwo-drei ...
»Secret Service, hier MPD-Streifenwagen zwo-null-acht«, unterbrach Hatfield. »Ich bin direkt hinter Ihnen.« »Verstanden, MPD.«
Hatfield beschleunigte, und der Yukon überließ ihm die Führung. Seine Tachonadel zeigte schon jetzt deutlich über hundertzehn Stundenkilometer an, und auch sein Adrenalinpegel hatte die kritische Marke weit überschritten. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Sache böse endete, war weitaus größer als die, dass alles gut ging.
Bei der M-Street schlingerte der Lieferwagen nach rechts. Es sah so aus, als würde er jeden Moment umkippen. Er wurde ein ganzes Stück zu weit nach außen getragen und streifte zwei parkende Autos, ohne seine Fahrt zu verlangsamen.
Hatfield driftete durch die Kurve - langsam rein, schnell raus, so wie er es gelernt hatte - und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch, sobald der Bug des Wagens in die richtige Richtung zeigte. Dadurch machte er ein paar Meter gut, aber es reichte noch nicht.
»Verdächtiger fährt jetzt auf der M Richtung Osten«, gab er durch. »Gleich hebt er ab. Wo bleibt die Verstärkung, verdammt noch mal? Los, Leute, nun macht schon!«
Als sie kurz vor dem Rock Creek Park auf die Pennsylvania Avenue stießen, bog der Lieferwagen nach halb rechts ab. Die Straße führte auf eine Brücke, wurde breiter, und der Fahrer beschleunigte noch einmal, schlängelte sich halsbrecherisch zwischen den anderen Fahrzeugen hindurch.
Hatfield blinzelte immer wieder, um dem Tunnelblick entgegenzuwirken. Überall waren Autos und Fußgänger. Es hätte gar nicht unübersichtlicher sein können.
Das wird kein gutes Ende nehmen. Er konnte es am ganzen Körper fühlen.
Bei der Twenty-eighth Street tauchte endlich ein zweiter Streifenwagen hinter ihm auf. Hatfield erkannte die Stimme von James Walsh im Funkgerät. Walsh war einer seiner Kumpels, konnte einem aber auch ziemlich auf die Nerven gehen.
»Na, Robert, wie geht's, wie steht's?«
»Arschgeige. Das siehst du doch.«
»In südöstlicher Richtung auf der Pennsylvania«, fuhr Walsh fort. »Der Verdächtige fährt vollkommen unberechenbar ... Anscheinend sitzt er allein im Fahrzeug, ist aber schwer zu sagen. Gleich sind wir am Washington Circle und ... Scheiße! Bobby, pass auf! Pass auf!«
Der Lieferwagen jagte auf den Kreisverkehr zu, doch dann bog er nicht nach rechts ab, sondern nach links, bretterte mitten in den entgegenkommenden Verkehr. Alle versuchten, ihm irgendwie auszuweichen.
Aus Hatfields Perspektive sah es aus wie die Teilung des Roten Meers - aber dann tauchte am Ende der Öffnung ein Omnibus auf. Er war viel zu groß, um ihm ausweichen zu können. Der Fahrer des Lieferwagens riss das Lenkrad zwar noch nach rechts, aber es hatte keinen Zweck.
Er erreichte damit lediglich, dass sich vor dem Lieferwagen eine mächtige Wand aufbaute!
Hatfield stieg in die Eisen, sodass alle vier Reifen blockierten. Er ließ den Lieferwagen keine Sekunde aus den Augen.
Dieser krachte frontal und ungebremst mitten in die riesige Werbung auf der Flanke des Busses. Die Fahrerkabine wurde wie eine Ziehharmonika zusammengequetscht. Glassplitter schossen durch die Luft, und die Hinterräder des Lieferwagens hoben sich einen halben Meter vom Boden, bevor das ganze Tohuwabohu schließlich zum Stillstand kam.
Hatfield sprang sofort aus seinem Wagen. Walsh war direkt hinter ihm. Es war wie ein Wunder, aber anscheinend war der Bus gerade auf dem Weg ins Depot gewesen, jedenfalls hatte er keine Fahrgäste befördert. Allerdings hatte sich der Washington Circle in einen einzigen, kreisförmigen Auffahrunfall verwandelt.
Sekunden später waren bereits sechs Streifenwagen vor Ort.
Dann liefen überall uniformierte Polizisten herum, aber Hatfield erreichte die Heckklappe des Lieferwagens als Erster. Die grauen Metallplatten waren völlig verbogen und der Türgriff nicht mehr zu gebrauchen.
Nach der wilden Verfolgungsjagd pochte sein Herz immer noch wie verrückt, und er spürte, wie ihm das Blut in den Ohren dröhnte. Es war noch nicht vorbei. Was würden sie auf der anderen Seite dieser Klappe zu sehen bekommen? Bewaffnete Männer? Tote Männer?
Oder - noch schlimmer - tote Kinder?
...
Übersetzung: Leo Strohm
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Es begann mit den Kindern von Präsident Coyle, Ethan und Zoe, prominente Persönlichkei ten mit einem hohen Bekanntheitsgrad, und das wahrscheinlich nicht erst seit ihrem Umzug nach Washington.
Der zwölfjährige Ethan Coyle war der Meinung, er hätte sich mit dem Leben unter den sezierenden Blicken der Öffentlichkeit arrangiert. Daher nahm er die Kamerateams, die ständig vor den Toren der Branaff School lauerten, kaum mehr wahr. Im Gegensatz zu früher regte er sich auch nicht mehr darüber auf, wenn ihn irgendein Mitschüler, den er nicht einmal kannte, im Flur, in der Turnhalle oder womöglich sogar auf der Toilette fotografierte.
Manchmal tat Ethan einfach so, als sei er unsichtbar. Das war natürlich ziemlich kindisch, schwachsinnig irgendwie, aber wen interessierte das? Der Vorschlag stammte sogar von einem der netteren Typen vom Secret Service. Der hatte Ethan erzählt, dass Chelsea Clinton es früher genauso gemacht hatte. Aber wer konnte schon sagen, ob das wirklich stimmte?
Als Ethan an diesem Morgen Ryan Townsend auf sich zukommen sah, da hätte er sich allerdings am liebsten tatsächlich unsichtbar gemacht.
Ryan Townsend hatte es ständig auf ihn abgesehen, und das lag nicht etwa daran, dass Ethan unter Verfolgungswahn litt. Er konnte jede Menge blauvioletter oder gelblicher Flecken vorweisen - Flecken, wie sie nach einem harten Schlag oder einem gezielten Tritt zurückbleiben.
»Alles klar, Coyle-Suse?«, fragte Townsend und steuerte direkt auf ihn zu, mit diesem Gesichtsausdruck, den Ethan nur all zu gut kannte. »Oder hat die Coyle-Suse mal wieder 'nen schlechten Tag erwischt?«
Ethan hatte mittlerweile gelernt, dass er seinem Peiniger auf keinen Fall antworten durfte. Stattdessen bog er scharf nach links ab, in den Gang mit den Bücherschränken. Aber das war sein erster Fehler. Jetzt saß er in der Falle. Schon spürte er einen scharfen, stechenden Schmerz am Oberschenkel. Townsend hatte ihn, ohne seine Schritte wesentlich zu verlangsamen, einfach getreten. »Streifschüsse« nannte er diese kleinen Zwischenfälle.
Was Ethan jetzt nicht machte, war, laut aufzuschreien oder mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden zu gehen. Das hatte er sich geschworen: Er würde sich niemals anmerken lassen, was er fühlte.
Stattdessen ließ er seine Bücher fallen und ging in die Hocke, um sie wieder aufzuheben. Das war feige und hasenfüßig, klar, aber wenigstens konnte er so sein Bein für einen Moment entlasten, ohne dass die ganze Welt erfahren musste, dass Ryan Townsend ihn als Sandsack und Treteimer benutzte.
Nur, dass es dieses Mal noch jemand beobachtet hatte - und zwar nicht der Secret Service.
Ethan war gerade damit beschäftigt, das Millimeterpapier in seine Mathemappe zurückzupacken, da hörte er eine vertraute Stimme.
»He, Ryan. Bei dir auch alles klar?«
Ethan hob den Kopf und bekam gerade noch mit, wie seine vierzehnjährige Schwester Zoe sich vor Townsend aufbaute.
»Das hab ich gesehn«, sagte sie. »Hättste nicht gedacht, was?«
Townsend legte seinen blonden Lockenkopf schräg. »Keine Ahnung, was du meinst. Warum kümmerst du dich nicht um d ... «
Plötzlich, wie aus dem Nichts, hatte Zoe ein schweres, gelbes Schulbuch in den Händen. Sie holte aus und hieb es Townsend mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Aus seiner Nase spritzte rotes Blut. Er taumelte nach hinten. Es war großartig!
Aber dann war auch schon Schluss, und der Secret Service schaltete sich ein. Agent Findlay hielt Zoe fest, und Agent Musgrove drängte sich zwischen Ethan und Townsend. Ein ganzer Haufen Sechst-, Siebt- und Achtklässler war schon stehen geblieben und glotzte, als wäre das Ganze eine neue Reality-Sendung im Fernsehen - Die Präsidentenkinder.
»Ihr seid solche Loser!«, brüllte Townsend Ethan und Zoe an, während das Blut auf seine Branaff-Krawatte und sein weißes Hemd tropfte. »Zwei bescheuerte Vollidioten. Ohne diese SS-Typen, die euch die ganze Zeit bewachen, hättet ihr ja überhaupt keine Chance!«
»Ach, ja? Erzähl das mal meinem Mathebuch«, schrie Zoe zurück. »Und lass gefälligst meinen Bruder in Ruhe! Du bist größer und älter als er, du Blödmann! Arschloch!«
Ethan kauerte immer noch vor den Schränken, wo sich die Hälfte seiner Schulsachen auf dem Boden verteilt hatte. Und für einen kurzen Moment, für ein, zwei Sekunden vielleicht, tat er so, als sei er einfach nur einer unter vielen - bloß ein namenloser Schuljunge, von dem noch nie jemand gehört hatte, der einfach nur dastand und zusah, wie irgendein anderer diesen ganzen Wahnsinn erleben musste.
Ja, na klar, dachte Ethan. Im nächsten Leben vielleicht.
2
Agent Findlay brachte Ethan und Zoe schnell und professi- onell aus dem Blickfeld ihrer gaffenden Mitschüler und, noch schlimmer, derjenigen, die ihre iPhones in die Höhe hielten: Hallo, YouTube! Innerhalb weniger Sekunden stand er mit ihnen in der leeren Aula, gleich neben der Eingangshalle.
Bevor eine Bildungsstiftung der Quäker das Anwesen übernommen und zur Schule umfunktioniert hatte, war die Branaff School das Hofgut Branaff gewesen. Hartnäckig hielt sich unter den Schülern das Gerücht, dass hier Gespenster ihr Unwesen trieben, und zwar nicht die Geister der guten Menschen, die hier gestorben waren, sondern die der verärgerten Nachfahren der Branaffs, die hatten weichen müssen, um einer Privatschule Platz zu machen.
Ethan glaubte zwar nicht an diesen ganzen Mist, aber die Aula war ihm schon immer besonders unheimlich vorgekommen. An den Wänden hingen alte Ölporträts, von denen aus jeder, der an ihnen vorbeikam, mit missbilligenden Blicken bedacht wurde.
»Dir ist doch klar, dass der Präsident das erfahren wird, Zoe. Die Schlägerei, deine Ausdrucksweise gerade eben«, sagte Agent Findlay. »Und Direktor Skillings natürlich auch ...«
»Na klar, machen Sie einfach, wofür Sie bezahlt werden«, erwiderte Zoe und zuckte die Achseln. Sie legte ihrem Bruder die Hand auf den Kopf. »Alles in Ordnung, Eth?«
»Alles bestens«, sagte er und schob sie weg. »Körperlich jedenfalls.« Seine Würde stand auf einem anderen Blatt, aber das war ihm jetzt zu kompliziert, darüber konnte er im Moment nicht nachdenken.
»Wenn das so ist«, meinte Findlay, »dann sollten wir uns nicht länger aufhalten. In fünf Minuten fängt der Vortrag an.«
»Na klar«, meinte Zoe mit einer abfälligen Handbewegung. »Der Vortrag. Wie könnten wir den vergessen?«
Die Gastrednerin des heutigen Vormittags war Isabelle Morris, eine der führenden Mitarbeiterinnen des Instituts für Internationale Politik in Washington, D. C., und außerdem ehemalige Schülerin der Branaff School. Im Gegensatz zu fast all seinen Mitschülern freute sich Ethan auf Ms Morris' Vortrag über ihre Erfahrungen im Nahen Osten. Er wollte später auch für die Vereinten Nationen arbeiten. Warum nicht? Er hatte schließlich ziemlich gute Beziehungen, nicht wahr?
»Können Sie uns vielleicht einen winzig kleinen Augenblick alleine lassen?«, wandte Zoe sich an Findlay. »Ich würde gerne kurz mit meinem Bruder reden ... unter vier Augen.«
»Ich hab doch gesagt, alles in Ordnung. Kein Problem«, beharrte Ethan, doch seine Schwester brachte ihn mit einem wütenden Blick zum Schweigen.
»Er kann irgendwie freier reden, wenn Sie nicht dabei sind«, fuhr Zoe als Reaktion auf Findlays skeptischen Blick fort. »Und hier hat man ja nicht oft die Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch, wenn Sie verstehen. Bitte nehmen Sie's nicht persönlich.«
»Kein Problem.« Findlay warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Einverstanden«, sagte er dann. »Aber nicht mehr als zwei Minuten.«
»Zwei Minuten, okay. Wir kommen gleich raus, ich versprech's«, sagte Zoe und drückte die schwere Holztür hinter ihm ins Schloss.
Ohne ein Wort zu Ethan glitt sie zwischen den alten Sitzbänken hindurch ans hintere Ende des Saals. Dort hüpfte sie auf den Heizkörper unter dem Fenster.
Sie schob die Hand in den blaugrauen Blazer ihrer Schuluniform und holte eine kleine schwarze Lackschachtel heraus. Ethan erkannte sie sofort. Die hatte seine Schwester sich in Peking gekauft, wo sie im Sommer zusammen mit ihren Eltern gewesen waren.
»Ich brauch jetzt 'ne Kippe«, flüsterte Zoe. Dann grinste sie verschlagen. »Kommst du mit?«
Ethan warf einen Blick zur Tür. »Aber ... ich will den Vortrag nicht verpassen.«
Zoe verdrehte die Augen. »Oh, ich bitte dich. Bla bla bla, der Nahe Osten, bla bla. Das kriegst du doch alles auf CNN zu sehen, jeden Tag in der Woche, rund um die Uhr. Aber wann hast du schon mal die Gelegenheit, dem Secret Service ein Schnippchen zu schlagen? Nun komm schon!«
Ethan steckte schwer in der Klemme, und das wusste er auch. Entweder sah er - wieder einmal - so aus wie der letzte Feigling, oder er würde den Vortrag verpassen, auf den er sich schon die ganze Woche gefreut hatte. Es gab kein Entrinnen.
»Es wäre aber besser, wenn du nicht rauchen würdest«, sagte er schwächlich.
»Ja, genau, und für dich wär's besser, wenn du nicht so oft den Schwanz einziehen würdest«, gab Zoe zurück. »Dann würden solche Arschlöcher wie Ryan Townsend auch nicht pausenlos über dich herfallen.«
»Das liegt doch bloß daran, dass Dad der Präsident ist«, meinte Ethan. »Das stimmt doch, oder?«
»Nein. Es liegt daran, dass du ein Weichei bist«, sagte Zoe. »Mit mir legt sich doch auch keiner von diesen Dumpfbacken an, oder?« Sie machte das Fenster auf, schob sich mühelos hindurch und landete draußen auf dem Boden. Zoe hielt sich für eine zweite Angelina Jolie. »Wenn du nicht mitkommen willst, dann lass mir wenigstens eine Minute Vorsprung. Okay, Großmutter?« Eine Sekunde später war sie verschwunden.
Ethan warf noch einen letzten Blick zurück in den Saal. Dann traf er die einzige Entscheidung, mit der er sich wenigstens einen winzigen Bruchteil seiner Würde erhalten konnte. Er machte es seiner Schwester nach und stieg zum Aula-Fenster hinaus ... um gleich darauf in Schwierigkeiten zu landen, die er sich nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte.
Die sich niemand vorstellen konnte.
3
Kaum war die Aulatür hinter Agent Findlay ins Schloss gefallen, drückte er kurz die Klinke - die Tür war nicht verschlossen.
Dann beobachtete er den Sekundenzeiger seiner Edelstahl-Breitling. »Ich gebe ihnen noch fünfundvierzig Sekunden«, sagte er in das Mikrofon an seinem Ärmelaufschlag. »Danach geht T. Rex zum Vortrag und Twilight zum Direktor.«
Der Präsident und die First Lady wollten Ethan und Zoe eine möglichst normale Schulzeit ermöglichen. Und dazu gehörten eben auch Konflikte - in einem vernünftigen Rahmen. Das war natürlich leichter gesagt als getan. Zoe Coyle benahm sich nicht immer vernünftig. Um ehrlich zu sein, fast nie. Sie war kein böses Kind. Aber ein Kind. Eigensinnig. Schlau. Und ganz vernarrt in ihren kleinen Bruder.
»Ich schätze, ich kann mich auf einen gewaltigen Anschiss gefasst machen«, funkte Findlay leise. »Aber das eine kann ich dir sagen. Dieser Ryan Townsend ist ein kleiner Scheißkerl. Aber von mir hast du das nicht.«
»Wie der Vater so der Sohn«, funkte Musgrove zurück. »Das Bürschchen hat es nicht anders verdient. Zoe hat der Arschgeige ordentlich eins übergebraten.«
Leises Gelächter hallte durch den Äther. Ryan Townsends Pa war Fraktionssprecher der Opposition und ein fanatischer Gegner so gut wie aller Initiativen, die Präsident Coy le jemals angestoßen oder an die er auch nur gedacht hatte. Manchmal kam einem die Branaff School vor wie Washington im Miniaturformat. Was sie in gewisser Weise auch war.
Findlay warf noch einen Blick auf seine Armbanduhr. Genau zwei Minuten. Die Atempause der Coyle-Kinder war zu Ende. Jetzt hieß es für alle: zurück an die Arbeit.
»Also gut, meine Damen und Herren, wir sind startklar«, sagte er in sein Mikrofon. Dann klopfte er zweimal an die Tür zur Aula und stieß sie auf.
»Die Zeit ist um. Seid ihr so wei ...? Verdammt noch mal!«
Der Saal war leer.
Nein, nein, nein. Nicht das. Diese gottverdammten Kinder. Gottverdammte Zoe!
Findlays Puls schnellte hoch. Sein Blick glitt über die großen Verbundglasfenster an der gegenüberliegenden Wand.
Er ging darauf zu und öffnete sämtliche Funkkanäle an seinem Sender, um die Kommandozentrale ebenso zu erreichen wie alle Mitglieder seines Teams vor Ort.
»Zentrale, hier Apex eins. Twilight und T. Rex sind verschollen.« Seine Stimme klang dringlich, aber sachlich. Für Panik war jetzt kein Platz. »Ich wiederhole: Beide Schützlinge sind verschollen.«
Als er vor den Fenstern stand, sah er, dass alle geschlossen waren. Allerdings ... eines war nicht verriegelt. Ein schneller Blick nach draußen offenbarte nichts als üppige grüne Sportplätze bis hinüber an den südlichen Zaun.
»Findlay? Was ist passiert?«
Das war Musgrove. Er stand in der Aulatür.
»Sie müssen durchs Fenster abgehauen sein«, sagte Findlay. »Ich bring sie um. Ganz ehrlich. Hätte ich schon längst machen sollen.« Die ganze Aktion war so typisch Zoe, so typisch. Für sie war das wahrscheinlich ein einziges großes Spiel, ein kleiner Schabernack mit ihren Bewachern.
»Zentrale, hier Apex eins«, funkte er erneute. »Twilight und T. Rex sind nach wie vor unauffindbar. Ich brauche eine
sofortige Sperrung sämtlicher Ausgänge und Ausfahrten rund um ... «
Mit einem Mal war in seinem Ohrhörer ein Getümmel zu hören. Findlay hörte Schreie und ein metallisches Knirschen. Dann zwei Schüsse.
»Zentrale, hier Apex fünf!« Jetzt dröhnte eine andere Stimme durch den Äther. »Gerade ist uns ein grauer Kastenwagen entwischt, hier am Osteingang. Fährt mit hoher Geschwindigkeit auf der Wisconsin Avenue nach Süden. Schätzungsweise hundert Sachen. Wir brauchen Verstärkung! Sofort!«
4
Bobby Hatfield, ein einfacher Streifenbeamter beim Metropolitan Police Department, sah ei nen grauen Lieferwagen durch Georgetown brettern. Fast gleichzeitig empfing er den Notruf aus der Funkzentrale. »An alle Einheiten im Bezirk zwonull-sechs. Mutmaßliche bewaffnete Entführung. Zwei Kinder. Ich wiederhole: Zwei Kinder! Verdächtig ist ein grauer Lieferwagen, fährt mit hoher Geschwindigkeit auf der Wisconsin Richtung Süden. Der Secret Service hat die Verfolgung aufgenommen. Erbittet Verstärkung! Bitte auf Kanal dreiundzwanzig wechseln.«
Hatfield schaltete seine Sirene ein und wendete, während ein schwarzer Yukon an ihm vorbeiraste. Alles klar. Sobald er den angegebenen Funkkanal eingestellt hatte, hörte er, wie der Secret Service die Verfolgungsjagd kommentierte.
»Wir fahren Richtung Süden. Das Kennzeichen wurde in D. C. ausgestellt, es lautet DMS acht-zwo-drei ...
»Secret Service, hier MPD-Streifenwagen zwo-null-acht«, unterbrach Hatfield. »Ich bin direkt hinter Ihnen.« »Verstanden, MPD.«
Hatfield beschleunigte, und der Yukon überließ ihm die Führung. Seine Tachonadel zeigte schon jetzt deutlich über hundertzehn Stundenkilometer an, und auch sein Adrenalinpegel hatte die kritische Marke weit überschritten. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Sache böse endete, war weitaus größer als die, dass alles gut ging.
Bei der M-Street schlingerte der Lieferwagen nach rechts. Es sah so aus, als würde er jeden Moment umkippen. Er wurde ein ganzes Stück zu weit nach außen getragen und streifte zwei parkende Autos, ohne seine Fahrt zu verlangsamen.
Hatfield driftete durch die Kurve - langsam rein, schnell raus, so wie er es gelernt hatte - und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch, sobald der Bug des Wagens in die richtige Richtung zeigte. Dadurch machte er ein paar Meter gut, aber es reichte noch nicht.
»Verdächtiger fährt jetzt auf der M Richtung Osten«, gab er durch. »Gleich hebt er ab. Wo bleibt die Verstärkung, verdammt noch mal? Los, Leute, nun macht schon!«
Als sie kurz vor dem Rock Creek Park auf die Pennsylvania Avenue stießen, bog der Lieferwagen nach halb rechts ab. Die Straße führte auf eine Brücke, wurde breiter, und der Fahrer beschleunigte noch einmal, schlängelte sich halsbrecherisch zwischen den anderen Fahrzeugen hindurch.
Hatfield blinzelte immer wieder, um dem Tunnelblick entgegenzuwirken. Überall waren Autos und Fußgänger. Es hätte gar nicht unübersichtlicher sein können.
Das wird kein gutes Ende nehmen. Er konnte es am ganzen Körper fühlen.
Bei der Twenty-eighth Street tauchte endlich ein zweiter Streifenwagen hinter ihm auf. Hatfield erkannte die Stimme von James Walsh im Funkgerät. Walsh war einer seiner Kumpels, konnte einem aber auch ziemlich auf die Nerven gehen.
»Na, Robert, wie geht's, wie steht's?«
»Arschgeige. Das siehst du doch.«
»In südöstlicher Richtung auf der Pennsylvania«, fuhr Walsh fort. »Der Verdächtige fährt vollkommen unberechenbar ... Anscheinend sitzt er allein im Fahrzeug, ist aber schwer zu sagen. Gleich sind wir am Washington Circle und ... Scheiße! Bobby, pass auf! Pass auf!«
Der Lieferwagen jagte auf den Kreisverkehr zu, doch dann bog er nicht nach rechts ab, sondern nach links, bretterte mitten in den entgegenkommenden Verkehr. Alle versuchten, ihm irgendwie auszuweichen.
Aus Hatfields Perspektive sah es aus wie die Teilung des Roten Meers - aber dann tauchte am Ende der Öffnung ein Omnibus auf. Er war viel zu groß, um ihm ausweichen zu können. Der Fahrer des Lieferwagens riss das Lenkrad zwar noch nach rechts, aber es hatte keinen Zweck.
Er erreichte damit lediglich, dass sich vor dem Lieferwagen eine mächtige Wand aufbaute!
Hatfield stieg in die Eisen, sodass alle vier Reifen blockierten. Er ließ den Lieferwagen keine Sekunde aus den Augen.
Dieser krachte frontal und ungebremst mitten in die riesige Werbung auf der Flanke des Busses. Die Fahrerkabine wurde wie eine Ziehharmonika zusammengequetscht. Glassplitter schossen durch die Luft, und die Hinterräder des Lieferwagens hoben sich einen halben Meter vom Boden, bevor das ganze Tohuwabohu schließlich zum Stillstand kam.
Hatfield sprang sofort aus seinem Wagen. Walsh war direkt hinter ihm. Es war wie ein Wunder, aber anscheinend war der Bus gerade auf dem Weg ins Depot gewesen, jedenfalls hatte er keine Fahrgäste befördert. Allerdings hatte sich der Washington Circle in einen einzigen, kreisförmigen Auffahrunfall verwandelt.
Sekunden später waren bereits sechs Streifenwagen vor Ort.
Dann liefen überall uniformierte Polizisten herum, aber Hatfield erreichte die Heckklappe des Lieferwagens als Erster. Die grauen Metallplatten waren völlig verbogen und der Türgriff nicht mehr zu gebrauchen.
Nach der wilden Verfolgungsjagd pochte sein Herz immer noch wie verrückt, und er spürte, wie ihm das Blut in den Ohren dröhnte. Es war noch nicht vorbei. Was würden sie auf der anderen Seite dieser Klappe zu sehen bekommen? Bewaffnete Männer? Tote Männer?
Oder - noch schlimmer - tote Kinder?
...
Übersetzung: Leo Strohm
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von James Patterson
James Patterson, geboren 1949, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und Westchester, N.Y. Weitere Informationen finden Sie auf www.jamespatterson.com.
Bibliographische Angaben
- Autor: James Patterson
- 2012, 1, 384 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863651928
- ISBN-13: 9783863651923
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