MacLachlan & Friends Reihe
"Ein unwiderstehlicher Halunke", "Preis der Sünde", "Das süße Lied der Liebe", "Das süße Geheimnis der Leidenschaft"
MacLachlan & Friends Reihe ...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „MacLachlan & Friends Reihe “
MacLachlan & Friends Reihe
1. Ein unwiderstehlicher Halunke
"Eine wundervolle Liebesgeschichte, die man so schnell nicht vergisst"
Romantic Times
Sidonie Saint-Godard führt ein Doppelleben: Tagsüber bringt sie jungen Damen Benehmen bei, nachts wohlhabende Herren um ihr Vermögen. Als "Schwarzer Engel" nimmt sie Rache für all die Frauen, die von reichen Lords benutzt und fallen gelassen wurden. Stets tritt sie in Verkleidung auf. Keiner konnte sie bisher fassen, keiner kennt ihre wahre Identität. Doch als sie den berüchtigten Marquess of Devellyn seines wertvollsten Besitzes beraubt, wendet sich das Blatt. Ihr doppeltes Spiel wird zu einer Zerreißprobe, denn Devellyn erweckt in Sidonie eine ungeahnte Leidenschaft.
2. Der süße Preis der Sünde
Ein sinnliches Tauziehen zwischen himmlischen Sehnsüchten und weltlichen Vergnügen
Sir Alasdair MacLachlan traut kaum seinen Augen, als die schöne Esmée nach einer durchzechten Nacht vor seiner Tür steht. In ihren Armen hält sie ein Baby - angeblich das Ergebnis einer einzigen leidenschaftlichen Begegnung. Alasdair ist sich zwar bewusst, die eine oder andere Sünde begangen zu haben. An diese kann er sich allerdings nicht erinnern. Doch er ist zu sehr Gentleman, um Esmée und die kleine Sorcha abzuweisen. Er gewährt ihnen Einlass in sein Haus - und bald auch in sein Herz.
3. Das süße Lied der Liebe
Das ergreifende Wiedersehen mit der verloren geglaubten Liebe
Als Quin Hewitt seine Verlobung mit der hübschen Esmée Hamilton feiert, ist auch ein ganz besonderer Gast geladen: Contessa Bergonzi di Vicenza, die stimmgewaltige und erfolgreiche Sängerin aus Europa. Der Earl ist mehr als überrascht, als er erkennt, dass diese Frau keine andere ist als seine Jugendliebe Viviana. Obwohl sich die beiden leidenschaftlich liebten, hatte ihre Beziehung damals keinen Bestand. Nun stehen sie sich nach langen Jahren der Trennung wieder gegenüber. Und Quin merkt, dass sich seine Gefühle zu Viviana niemals geändert haben. Er sieht in ihr immer noch die bezaubernde und temperamentvolle Frau von damals. Eine Frau, deren Anblick ihm selbst heute noch den Verstand raubt. Doch kann eine Liebe wie diese überhaupt eine Zukunft haben?
4. Das süße Geheimnis der Leidenschaft
Niemals vergisst eine Frau den Zauber der ersten Liebe
< Einst begehrten Merrick und Madeline einander so heiß und innig, dass sie miteinander durchbrannten. Doch ihre Liebe hatte keine Chance: Maddies Vater verfolgte ihre Spur und trennte das Paar. Als sich die beiden nach vielen Jahren zufällig erneut gegenüberstehen, merken sie, dass ihre Leidenschaft für einander niemals erloschen ist. Aber düstere Geheimnisse überschatten die Begegnung. Muss die bezaubernde Maddie ihre große Liebe erneut freigeben? Oder ist das Band zwischen ihr und dem charismatischen Merrick stark genug, um alle Hindernisse zu überwinden?
- Band 1: Ein unwiderstehlicher Halunke
- Band 2: Der süße Preis der Sünde
- Band 3: Das süße Lied der Liebe
- Band 4: Das süße Geheimnis der Leidenschaft
1. Ein unwiderstehlicher Halunke
"Eine wundervolle Liebesgeschichte, die man so schnell nicht vergisst"
Romantic Times
Sidonie Saint-Godard führt ein Doppelleben: Tagsüber bringt sie jungen Damen Benehmen bei, nachts wohlhabende Herren um ihr Vermögen. Als "Schwarzer Engel" nimmt sie Rache für all die Frauen, die von reichen Lords benutzt und fallen gelassen wurden. Stets tritt sie in Verkleidung auf. Keiner konnte sie bisher fassen, keiner kennt ihre wahre Identität. Doch als sie den berüchtigten Marquess of Devellyn seines wertvollsten Besitzes beraubt, wendet sich das Blatt. Ihr doppeltes Spiel wird zu einer Zerreißprobe, denn Devellyn erweckt in Sidonie eine ungeahnte Leidenschaft.
2. Der süße Preis der Sünde
Ein sinnliches Tauziehen zwischen himmlischen Sehnsüchten und weltlichen Vergnügen
Sir Alasdair MacLachlan traut kaum seinen Augen, als die schöne Esmée nach einer durchzechten Nacht vor seiner Tür steht. In ihren Armen hält sie ein Baby - angeblich das Ergebnis einer einzigen leidenschaftlichen Begegnung. Alasdair ist sich zwar bewusst, die eine oder andere Sünde begangen zu haben. An diese kann er sich allerdings nicht erinnern. Doch er ist zu sehr Gentleman, um Esmée und die kleine Sorcha abzuweisen. Er gewährt ihnen Einlass in sein Haus - und bald auch in sein Herz.
3. Das süße Lied der Liebe
Das ergreifende Wiedersehen mit der verloren geglaubten Liebe
Als Quin Hewitt seine Verlobung mit der hübschen Esmée Hamilton feiert, ist auch ein ganz besonderer Gast geladen: Contessa Bergonzi di Vicenza, die stimmgewaltige und erfolgreiche Sängerin aus Europa. Der Earl ist mehr als überrascht, als er erkennt, dass diese Frau keine andere ist als seine Jugendliebe Viviana. Obwohl sich die beiden leidenschaftlich liebten, hatte ihre Beziehung damals keinen Bestand. Nun stehen sie sich nach langen Jahren der Trennung wieder gegenüber. Und Quin merkt, dass sich seine Gefühle zu Viviana niemals geändert haben. Er sieht in ihr immer noch die bezaubernde und temperamentvolle Frau von damals. Eine Frau, deren Anblick ihm selbst heute noch den Verstand raubt. Doch kann eine Liebe wie diese überhaupt eine Zukunft haben?
4. Das süße Geheimnis der Leidenschaft
Niemals vergisst eine Frau den Zauber der ersten Liebe
< Einst begehrten Merrick und Madeline einander so heiß und innig, dass sie miteinander durchbrannten. Doch ihre Liebe hatte keine Chance: Maddies Vater verfolgte ihre Spur und trennte das Paar. Als sich die beiden nach vielen Jahren zufällig erneut gegenüberstehen, merken sie, dass ihre Leidenschaft für einander niemals erloschen ist. Aber düstere Geheimnisse überschatten die Begegnung. Muss die bezaubernde Maddie ihre große Liebe erneut freigeben? Oder ist das Band zwischen ihr und dem charismatischen Merrick stark genug, um alle Hindernisse zu überwinden?
Lese-Probe zu „MacLachlan & Friends Reihe “
Ein unwiderstehlicher Halunke von Liz CarlyleAus dem amerikanischen Englisch von Nicole Friedrich
Kapitel 1
Die befremdlichen Ereignisse am Bedford Place
An und für sich passte der Mann, den sie seit geraumer Zeit über den Roulettetisch hinweg beobachtete, nicht in ihr Beuteschema. Er war jung, viel jünger, als ihr eigentlich lieb war. Bei seinem Anblick drängte sich ihr förmlich die Frage auf, ob er je einen Rasierpinsel in der Hand gehalten, geschweige denn benutzt hatte. Sein Teint war rosig wie der eines Kleinkindes, und er war von zarter Statur - genau wie sie. Und dennoch war er nicht das unschuldige Lamm, für das ihn alle hielten.
Der Croupier beugte sich über den Tisch und verkündete in hundsmiserablem Französisch: »Mesdames et messieurs, faites vos jeux, s'il vous plait!«
Mit einer gefälligen Geste fächelte sie den herüberziehenden Qualm eines Zigarrenstumpen fort und schob mit ihren perfekt manikürten Fingernägeln drei Jetons über den Tisch. Im selben Moment erhob sich der Gentleman mit der Zigarre, der zwischen ihr und dem Jüngling gesessen hatte, klaubte seinen Gewinn zusammen und wechselte an einen anderen Tisch. Bien. Endlich war der Jüngling allein. Betont langsam lüftete sie den schwarzen Schleier ein wenig und warf ihm einen halbseidenen Blick zu. Eine Augenbraue in die Höhe gezogen, schob ihr Gegenüber eine Hand voll Jetons auf die Zweiundzwanzig und fing ihren Blick auf.
... mehr
»Les jeux sont faits«, sagte der Croupier, gab dem Rouletterad einen Schwung und ließ die Kugel in der entgegengesetzten Richtung ihre Runden ziehen, ehe diese sich mit einem klickernden Geräusch ein Ziel suchte - die Zweiundzwanzig. Noch bevor das Rad zum Stillstand gekommen war, hatte der Croupier den Gewinn ausgezahlt. Flink wie ein Wiesel hatte der junge Engländer die Jetons an sich genommen und rückte einen Platz auf, sodass er nun neben ihr saß.
»Bonsoir«, begrüßte sie ihn mit einem heiseren Raunen. »Scheint, als brächte die Farbe Schwarz Ihnen heute Abend Glück, Monsieur.«
Träge glitten die blassblauen Augen des Jünglings an ihrem schwarzen Kleid hinunter. »Drücken Sie mir die Daumen, dass meine Glückssträhne noch ein wenig anhält.«
»Man soll ja bekanntlich die Hoffnung nie aufgeben.«
Als der Engländer ein helles Lachen ausstieß, blitzten seine winzigen Zähne auf. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind, Mademoiselle«, bemerkte er. »Sind Sie neu im Lufton's?«
»Eine Lasterhöhle ist doch wie die andere, n'est-ce pas?«, sagte sie achselzuckend.
Verhaltenes Verlangen flackerte in seinen Augen auf. Der Narr schien sie für eine Dirne zu halten, was streng genommen nicht verwunderlich war. Schließlich war sie ohne erkennbare Begleitung. Und das an einem Ort wie diesem.
»Lord Francis Tenby«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand. »Und Sie sind . . .«
»Madame Noire«, antwortete sie, beugte sich ein wenig nach vorne und ließ ihre behandschuhte Hand in die seine gleiten. »Das muss Schicksal sein, finden Sie nicht auch?«
Statt direkt zu antworten, verlor sich sein Blick einen Augenblick lang in den Tiefen ihres Dekolletés. »So, so, Madame Black! Haben Sie vielleicht auch einen Vornamen, meine Liebe?«
»Meine Freunde nennen mich Cerise«, sagte sie, wobei sie das letzte Wort mehr hauchte als sprach.
»Cerise«, wiederholte der schmächtige Engländer. »Wie exotisch. Darf man fragen, was Sie nach London führt, Teuerste?«
Abermals zuckte sie die Achseln und warf ihm einen darbenden Seitenblick zu. »Immer diese Fragen!«, seufzte sie. »Es dürstet mich und außerdem fürchte ich, blockieren wir den Roulettetisch.«
Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da sprang der junge Bursche auf und fragte: »Was darf ich Ihnen holen, Ma'am? Doch gestatten Sie mir vorher, Sie an einen ruhigeren Tisch zu geleiten. «
»Champagner«, murmelte sie, erhob sich und ging - den Blick auf den Boden gerichtet - zu dem freien Tisch, auf den er gedeutet hatte. Ein Tisch in der hinteren Ecke. Perfekt.
Wenige Augenblicke später war er wieder bei ihr, gefolgt von einem Kellner, der ein Tablett mit zwei Gläsern trug.
»Ma foi!«, murmelte sie und tat, als suchte sie nach etwas, bis der Kellner sich zurückgezogen hatte. »Ich muss mein Ridikül am Roulettetisch vergessen haben. Wären Sie wohl so freundlich, es mir zu holen, Mylord?«
Sobald er ihr den Rücken zugekehrt hatte, löste sie den Pfropfen einer Phiole und goss den Inhalt geschickt in sein Glas. Winzige Kristalle paarten sich mit den aufsteigenden Bläschen.
Sie warf noch einen verstohlenen Blick auf die Uhr, und ehe sie es sich versah, war der Jüngling auch schon mit ihrer paillettenbesetzten Handtasche zurückgekehrt. Timing war alles. Mit einem dirnenhaften Lächeln griff sie nach ihrem Glas und prostete ihm zu. »Auf den Beginn einer gewinnbringenden Freundschaft«, murmelte sie so leise, dass er sich zu ihr herüberlehnen musste, um sie zu verstehen.
»Das haben Sie wundervoll gesagt.« Er nahm einen großen Schluck Champagner und setzte stirnrunzelnd das Glas vor sich ab.
Es stellte sich als ein Kinderspiel heraus, den Jüngling von dem eigenartigen Geschmack des Getränks abzulenken. In den nächsten zehn Minuten ließ sie ein ums andere Mal ihr glockenhelles Lachen erklingen, während sie Lord Francis Tenby Honig um den Bart schmierte, den Mutter Natur ihm noch vorenthalten hatte.
Die unvermeidlichen Fragen, die sie jedes Mal zu hören bekam, meisterte sie wie immer mit Bravour und gut einstudierten Halbwahrheiten. Die Witwenschaft. Die Einsamkeit. Der begüterte Galan, der sie hergebracht, ihr dann aber eine Szene gemacht und sie wegen einer anderen hatte sitzen lassen. C'est la vie, suggerierte ihr Achselzucken. Andere Mütter hatten auch schöne Söhne.
Es gehörte zum Spiel, dass der Mann die Initiative ergriff und vorschlug, zu ihm nach Hause zu fahren. Ein hastiger Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sein Angebot genau zum richtigen Zeitpunkt kam. Zwanzig Minuten waren vergangen, seitdem sie ihm etwas in seinen Champagner gerührt hatte. Als sie sich erhoben, wirkte er bereits blass. Er schüttelte sich, um sich zu sammeln, ehe er ihr seinen Arm zum Geleit darbot. Ihre Hand auf seinem Unterarm liegend verließen sie das Lufton's und traten in den Lichtkegel einer Gaslampe. Im gleichen Moment bog eine Kutsche um die Ecke - als wäre es verabredet gewesen. Und so war es auch.
Nachdem Lord Francis ihr in die Kutsche geholfen und dem Fahrer das Ziel der Fahrt mitgeteilt hatte, wäre er beim Erklimmen der Stufe um ein Haar böse gestürzt und hätte sich dabei den Kopf aufgeschlagen.
Trotz des schummerigen Lichts bemerkte sie die Schweißperlen auf seiner Stirn. »Mon coeur«, raunte sie, beugte sich nach vorne, sodass sich ihm ein guter Blick in ihr tiefes Dekollet ´
e bot, und legte ihm die Hand auf die bleiche Wange. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie wirken ein wenig blass.«
»M-mir g-geht es g-gut«, versicherte er ihr und drohte abermals den Halt zu verlieren. »W-wollte nur . . . ich wollte nur mal sehen, ob . . .«
Mit betont langsamen Bewegungen ließ sie den Seidenschal von den Schultern gleiten. »Was, mon cher? Was wollten Sie sehen?«
Der junge Lord schüttelte sich, als wollte er den Nebel vor seinen Augen verscheuchen. »Ihre . . . Ihre Augen«, stammelte er. »W-wollte nur mal . . . in Ihre Augen seh'n. Ihr Gesicht. Ihr H-hut. Der Schleier. Ausziehen.«
»Ich bin untröstlich, Mylord, aber das ist leider unmöglich«, wisperte sie und legte ihre Schulter frei. »Wie wäre es, wenn ich Ihnen stattdessen etwas anderes zeigte, Lord Francis? Würden Sie vielleicht gerne meine Brust sehen?«
»Pruscht?«, lallte der Jüngling und schielte betrunken.
»Ja, meine Brust«, raunte sie. »Sehen Sie her, Lord Francis. Ja, so ist es gut. Sehen Sie genau hin, Liebster. Sehen sie das hier?« Mit jedem Wort enthüllte sie ihre Brust ein wenig mehr.
Es sollte sich jedoch als Fehler herausstellen, dass Lord Tenby sich so weit nach vorne beugte. »Tät . . . Tät . . . Tätowierung? «, hechelte er und legte den Kopf auf die Seite. »Ein Engel? Ein . . . schwarzer Engel?« Er verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war und schloss den Mund. Dann schlug er mit dem Kopf gegen die Tür, rutschte von der Sitzbank und lag röchelnd am Boden der Kutsche - wie ein Karpfen, den es an Land verschlagen hatte.
Um ihn vor dem Erstickungstod zu bewahren, legte sie seinen Kopf in den Nacken und machte sich erst jetzt daran, seine Taschen zu durchsuchen. Geldbörse. Schlüssel. Schnupfdose. Letztere leider nur aus Silber. Dazu eine Taschenuhr mit Kette. Und ein Brief. Von einem Frauenzimmer? Oder womöglich einem Feind? Sie ließ den Gedanken fallen, wollte keine kostbare Zeit verlieren. Stattdessen löste sie die Krawattennadel. Als sie fertig war, sah sie zufrieden auf ihr wehrloses Opfer hinab. »Es war mir eine Ehre, mit Ihnen Geschäfte gemacht zu haben, Lord Francis«, murmelte sie, während der junge Lord laut vor sich hin schnarchte.
»Freut mich zu hören, dass es auf Gegenseitigkeit beruht«, antwortete sie. »Eins möchte ich Ihnen aber noch mit auf den Weg geben. Am meisten wird sich Ihre hübsche Dienstmagd, die Sie erst geschwängert und dann brutal vor die Tür gesetzt haben, über die edlen Gaben freuen.« Mit diesen Worten ließ sie die Beute in ihrem Ridikül verschwinden, klopfte zweimal gegen das Dach der Kutsche und öffnete die Tür, als diese um die Ecke zur Brook Streetbog. Beschwingt sprang der Schwarze Engel auf die regennasse Straße und ließ sich von den nächtlichen Schatten von Mayfair schlucken, während der noch immer bewusstlose Lord Francis der Nacht entgegenrumpelte.
Der Marquis of Devellyn war so gut gelaunt wie schon lange nicht mehr. Er fühlte sich so beschwingt, dass er munter vor sich hin pfeifend in der Kutsche saß und wie aus heiterem Himmel beschloss, sich am Golden Square absetzen zu lassen, um zu Fuß weiterzulaufen. Auf sein Geheiß hin hielt die Kutsche an, und der Marquis sprang flink und frohgemut auf die Straße.
»Geben Sie Acht, Mylord, es hat geregnet«, warnte der Kutscher ihn mit einem besorgten Blick.
Der Marquis blickte auf den Boden. Nasse, glitzernde Pflastersteine funkelten zurück. Nun denn. »Sag mal, Wittle, hat es eigentlich schon geregnet, als wir das Crockford's verlassen haben? «, fragte er mit verhältnismäßig nüchterner Stimme, obwohl er nicht ins Glas gespuckt hatte.
»Nein, Sir«, antwortete Wittle wahrheitsgemäß. »Nichts als dichter Nebel.«
»Aha«, brummte Devellyn und zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. »Ist ja auch egal. Es ist auf jeden Fall ein wundervoller Abend für einen Spaziergang«, fuhr er fort. »Es gibt kaum etwas Besseres als frische Abendluft, um wieder nüchtern zu werden.«
So dezent wie möglich beugte Wittle sich nach unten. »Verzeihung, Sir, aber aus dem Abend ist bereits der neue Morgen geworden«, raunte er ihm zu. »Es ist fast sechs.«
Der Marquis blinzelte angestrengt zu seinem Kutscher hinauf. »Was du nicht sagst«, murmelte er. »Dann ist ja schon heute das Abendessen mit Miss Lederly.«
Wittle bedachte seinen Dienstherrn mit einem mitfühlenden Blick. »Nein, Sir, ich fürchte, ich muss Sie abermals korrigieren. Das war für gestern geplant«, unterrichtete er ihn. »Mit anschließendem Theaterbesuch. Aber Sie haben . . . das heißt der Club hat ...«
Devellyn rieb sich das stoppelige Kinn. »Verstehe«, antwortete er nach einer kurzen Pause. »Niemand hat mich rechtzeitig daran erinnert. Auch du nicht.«
Wittle schüttelte wortlos den Kopf.
Devellyn hob eine Augenbraue. »Kann es sein, dass ich zu viel getrunken habe?«
Mit ausdruckslosem Gesicht fügt der Kutscher hinzu: »Ein wenig, ja. Und dann war da noch diese Dame.«
Eine Dame? O ja. Stück für Stück kehrte seine Erinnerung zurück. Eine attraktive, üppige Blondine. Aber keineswegs eine Dame. Nein, eine Dirne. Lord Devellyn war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie ihr Geld wert gewesen war. Und es kümmerte ihn auch nicht im Geringsten. Was ihn jedoch wirklich beschäftigte war die Sache mit der verpassten Theatervorstellung. Himmel, Camelia würde ihm diesmal die Augen auskratzen.
Er ließ einige Male seine breiten Schultern kreisen und blickte wieder zu Wittle empor. »Egal, ich laufe trotzdem zum Bedford Place«, bekräftigte er mit fester Stimme. »Ist vielleicht besser, wenn niemand etwas von meiner Ankunft mitbekommt. Du kannst in der Zwischenzeit zur Duke Street zurückkehren.«
Pflichteifrig berührte Wittle die Krempe seines Hutes. »Vergessen Sie Ihren Stock nicht, Mylord«, sagte er noch. »In Soho treibt ein übler Straßenräuber sein Unwesen.«
Devellyn setzte ein breites Grinsen auf. »Ein Straßenräuber, der es mit dem Teufel aus der Duke Street aufnehmen würde? Das glaubst du doch nicht ernsthaft, oder?«
»Nicht, wenn er in Ihr Gesicht sehen kann«, entgegnete der Kutscher und grinste innerlich. »Das Problem ist nur, dass er meist von hinten angreift.«
»Schon gut, schon gut, nehme ich den vermaledeiten Stock eben mit«, gab Lord Devellyn sich schmunzelnd geschlagen und fischte ihn aus dem Inneren des Gefährts.
Nachdem Wittle salutiert und die Kutsche in Bewegung gesetzt hatte, warf Devellyn den Stock in die Höhe und fing ihn mit sicherer Hand wieder auf. Die Erkenntnis, dass er doch nicht so betrunken war wie angenommen, hob seine Laune wieder, er spitzte die Lippen und stimmte ein unzüchtiges Lied an. Es mochte an seiner stimmlichen Unterbegabung liegen, dass er auf dem kurzen Weg von Soho nach Bloomsbury keinem Dieb zum Opfer fiel. Vielleicht lag es aber auch an seinem breiten Kreuz oder seiner gebrochenen Nase. Hünenhaft bekam er zuweilen zu hören. Aber es war ihm einerlei, wie andere über ihn dachten und sprachen. Noch beim Betreten seines Hauses am Bedford Place war er der Meinung, auch mit Stock eine gute Figur zu machen. Doch er sollte schon bald eines Besseren belehrt werden.
»Du Bastard!«
Aus dem Nichts flog ein Platzteller auf ihn zu. Gerade noch rechtzeitig duckte sich der Marquis. Das Porzellan prallte gegen den Türsturz, ein Meer aus Scherben regnete auf den Boden.
»Cammie?«, sagte Lord Devellyn leise und steckte seinen Kopf in den Salon.
Einen Schürhaken in der Hand löste sich seine Geliebte aus dem Schatten. »Nenn mich nie wieder Cammie, du Schwein!«, brüllte sie, griff mit der freien Hand nach einer Figur aus Meissener Porzellan und zielte auf seinen Kopf.
Devellyn duckte sich. »Leg den Schürhaken beiseite, Camelia «, versuchte er sie zu beschwichtigen und hielt den Stock so, dass er das nächste fliegende Objekt abwehren konnte. »Leg ihn weg!«
»Fahr zur Hölle, du elender Schuft, du Ungeheuer, du riesiger Bastard«, schrie sie so laut sie konnte.
Der Marquis schnalzte gelassen mit der Zunge. »Camelia, deine Wortwahl verrät mal wieder deine Herkunft«, tadelte er sie. »Jetzt hast du mich schon zweimal einen Bastard geschimpft. Weshalb schenkst du uns nicht ein wenig Brandy ein, Liebste, und wir reden in Ruhe über alles.«
»Steck dir deinen Brandy sonst wohin«, kreischte sie und schwang den Schürhaken. »Wenn du dich nicht auf der Stelle entschuldigst, ramme ich dir den hier in deinen Arsch, bis er dir zum Hals herauskommt, Devellyn.«
DerMarquis zuckte zusammen.»Cammie,estut mirleid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe. Gleich morgen gehe ich zu Gerrard's und kaufe dir eine hübsche Kette.« Für den Bruchteil einer Sekunde wandte Lord Devellyn sich ab, und legte Hut und Stock beiseite. Keine sonderlich gute Entscheidung. Der Schürhaken streifte seinen Kopf, und ehe er es sich versah, warf sich ein Zentner ungehaltene Weiblichkeit auf ihn.
»Bastard!«, schrie sie, sprang ihm auf den Rücken und trommelte mit der Faust auf seinen Kopf. »Schwein! Schwein! Dummes Schwein!«
Camelias Hang zur Dramatik hatte mittlerweile auch die Hausangestellten geweckt.
Devellyn drehte sich um die eigene Achse, in der Hoffnung, sie abschütteln zu können, doch Camelia hatte ihm den Arm um den Hals gelegt und schlug mit der freien Hand wie wild auf seinen Rücken ein.
»Egoistischer, kaltherziger Hurenbock«, brüllte sie und untermalte jede Silbe mit einem Schlag. »Nie denkst du an mich. Du! Du! Du! Immer nur du!«
Erst jetzt dämmerte es ihm. »Du lieber Himmel!«, entfuhr es ihm. »Cleopatra!«
Er bekam ihre Röcke zu fassen und befreite sich von ihr. Camelia landete auf dem Allerwertesten und beschoss ihn mit giftigen Blicken. »Du hast es erfasst! Cleopatra! Meine Cleopatra! «, schluchzte sie. »Mein Debüt! Die Premiere! Die Zuschauer lagen mir zu Füßen. Und du? Wo warst du, du egoistischer Schweinehund! Du hattest es mir versprochen, Devellyn! Du hast mir dein Ehrenwort gegeben, dass du kommen würdest. «
Der Marquis schälte sich aus seinem Gehrock, woraufhin sich der Butler, dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand, aus der kleinen schaulustigen Menge löste und das Kleidungsstück an sich nahm. »Ich schwöre, ich bin untröstlich, Cammie «, säuselte er. »Das musst du mir glauben. Bei der nächsten Premiere werde ich bestimmt dabei sein - ach was, ich komme direkt heute Abend mit. Würde dich das besänftigen?«
Camelia rappelte sich so würdevoll auf, wie es ihr eben möglich war, und strich sich die Röcke glatt. »Nein, würde es nicht«, fauchte sie, drehte sich um und sprach so laut, dass es alle hören konnten: »Weil ich dich verlassen werde, Devellyn.«
»Mich verlassen?«
Camelia schritt zum Kaminsims, als befände sie sich auf der Bühne. »Ja, du hast richtig gehört«, fuhr sie nicht minder theatralisch fort. »Ich lasse dich fallen, entferne dich aus meinem Leben, gebe dir den Laufpass. Soll ich weitermachen?«
»Aber Cammie, warum? Wegen eines kleinen Fehlers?«
»Nein. Sondern weil Sir Edmund Sutters mir gestern Abend ein lukratives Angebot unterbreitet hat.« Als Camelia hochmütig an ihrer zierlichen Nase herabblickte, erinnerte nichts mehr daran, dass sie sich früher ihr Geld auf dem Rücken liegend verdient hatte. »Als wir im Anschluss an das Stück hinter der Bühne Champagner getrunken haben.«
»Hinter der Bühne?«
»Wo dein Platz gewesen wäre«, antwortete sie steif und fuhr mit ihrem langen, schlanken Zeigefinger über die letzte Porzellanfigur - eine Geste, die ihn einst erregt hatte, die er nun aber als eher bedrohlich empfand.
»Wärst du wie versprochen gekommen, hätte er sich das bestimmt nicht gewagt. Aber du hast es ja vorgezogen, durch Abwesenheit zu glänzen. Die Chance hat er sich nicht entgehen lassen.« Sie schoss herum. »Und ich habe eingewilligt, Devellyn. Hörst du, was ich sage? Ich habe angenommen.«
Dieses Mal schien sie es wirklich ernst zu meinen. Und das jetzt, wo er gerade überhaupt keine Lust hatte, sich eine neue Geliebte zu suchen. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es keinen Sinn hatte, Weiber aufzuhalten, wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatten, einen Mann zu verlassen.
Seufzend breitete er die Hände aus. »Ach, Cammie, wie konnte es nur so weit kommen?«
Wie ein kleines trotziges Kind schob sie das Kinn nach vorne. »Spätestens morgen früh bin ich verschwunden.«
Der Marquis zuckte mit den Schultern. »Kein Grund zur Eile«, sagte er. »Ich brauche bestimmt zwei Wochen oder länger, um dich zu ersetzen. Du kannst dir also Zeit . . .«
Die letzte Porzellanfigur traf Devellyn mit einer derartigen Wucht an der Schläfe, dass er ins Taumeln geriet. Camelia nutzte die Chance und sprang ihm ein weiteres Mal auf den Rücken.
»Bastard! Schwein!« Wieder flogen zierliche Fäuste durch die Luft. »Ich sollte dir den Hals umdrehen, als wärst du ein ausgemergeltes Suppenhuhn.«
»Ach, halt die Klappe«, fauchte Devellyn zurück und war froh, dass Camelia nicht ihre eigenen Stücke schrieb.
»Bastard! Schwein!«
Doch forderten der Alkohol, die Schläge und der Stress nun ihren Tribut. Devellyn sackte in sich zusammen und riss Camelia mit zu Boden.
Sidonie Saint-Godard war eine finanziell unabhängige Frau - womöglich eine Spur zu unabhängig, denn auf ihrem Pult stapelten sich unzählige Rechnungen, die beglichen werden wollten. Zu Beginn hatte sie die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen genossen. Sie hatte sich wie ein hochhackiger Schuh angefühlt, auf dem man etwas unsicher lief - in der zaghaften Hoffnung, dass man nicht stolpern und vor den Augen der vornehmen Gesellschaft auf die Nase fallen würde. Doch dann war sie nach London, ihrer Geburtsstätte, zurückgekehrt und bekam schnell zu spüren, dass der Schuh drückte und scheuerte. Anders als in Frankreich wurde es hier nicht gerne gesehen, wenn Frauen ein eigenverantwortliches Leben führten.
Erst jetzt, nach knapp einem Jahr als trauernde Witwe, war ihr aufgegangen, dass sie besser daran täte, den Schuh der Freiheit von sich zu schleudern und barfuß durch das Leben zu wandeln. Jetzt, im Alter von neunundzwanzig Jahren, räumte sie allem, was vielversprechend wirkte, eine Chance ein. Sie hatte ihren Bruder George gebeten, für den Fall, dass Gott sie zuerst zu sich riefe, folgende Inschrift in den Grabstein meißeln zu lassen: Sie liebte das Leben mit all seinen Facetten. Und genau die wollte sie ergründen, die Facetten mit all ihren Abgründen und Höhen.
Wie viele Französinnen adliger Abstammung war sie bereits in jungen Jahren in ein seelenloses, strenges Kloster entsandt worden, die reinste Hölle für ein lebensfrohes Mädchen wie Sidonie. Bei der erstbesten Gelegenheit war sie mit einem Mann davongelaufen, obwohl er nicht einmal Grund und Boden besaß. Dafür aber ein Handelsschiff. Pierre Saint-Godard war Kapitän und legte ihr die Kapitänskajüte zu Füßen, durch deren Bullaugen sie die Welt an sich vorbeiziehen sah.
Es dauerte jedoch nicht lange und Sidonie hatte genug von der großen weiten Welt, und als Pierre von einem Fieber dahingerafft wurde, hatte sie das Schiff verkauft, ihre Sachen gepackt, ihren Kater genommen und war nach London gezogen, wo sie in einem kleinen Stadthaus am Bedford Place lebte, einer Gegend, in der auch Bankangestellte und Emporkömmlinge ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Sidonie stand an einem Fenster im oberen Stockwerk und spähte durch den Vorhang hinaus. Vor dem Haus schräg gegenüber stand ein Umzugskarren, und zwei Männer waren eifrig zugange, Truhen und Kisten aufzuladen.
»Wie viele Liebhaberinnen macht das jetzt, Julia?«, fragte sie und trocknete sich das frisch gewaschene Haar.
»Die blasse Blondine im Dezember war Nummer sieben«, zählte Julia an ihren Fingern ab. »Das wäre dann Nummer acht.«
»Und wir haben gerade mal März«, seufzte Sidonie. »Ich würde ja nur zu gerne wissen, was das für ein Scheusal von Mann sein muss, der eine Frau nach der anderen vergrault. Er wechselt seine Bekanntschaften wie seine Hemden.«
Julia, die hinter ihr stand, richtete sich auf. »Lass gut sein. Für Spekulationen haben wir keine Zeit, Liebste«, sagte sie mit halbstrenger Stimme und schob Sidonie in Richtung Kamin. »Du bist eh schon spät dran. Setz dich und überlass mir das Wirrwarr auf deinem Schopf. Wir wollen doch nicht, dass du dir unten an der Uferpromenade den Tod holst.«
Sidonie gab sich geschlagen und nahm artig vor dem Kamin Platz. Sogleich sprang Thomas, ihr Kater, mit einem Satz auf ihren Schoß. »Das Verhalten dieses Mannes ist abscheulich, findest du nicht auch, Julia?«, kehrte sie noch einmal zum Thema zurück. »Du siehst das doch ähnlich, oder? Vielleicht kann uns der Nachtwächter seinen Namen verraten. Ich werde ihn bei Gelegenheit ausfragen.«
»Tu das«, antwortete Julia geistesabwesend, während sie mit der Bürste durch das Haar glitt. »Weißt du eigentlich, dass du dasHaardeiner Mutter geerbthast?«
»Findest du wirklich?«, fragte Sidonie niedergeschlagen. »Claire hatte wundervolles Haar.«
»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich sie stets um ihre seidige Pracht beneidet habe«, sagt Julia seufzend. »Wenn wir gemeinsam auf der Bühne standen, kam ich mir oft wie ein Mauerblümchen neben ihr vor.«
»Aber du hattest doch eine wundervolle Karriere, Julia. Du warst eineBerühmtheit. Der Star der Drury Lane, nicht wahr?«
»Für die Dauer eines Lidschlages, ja«, antwortete sie. »Aber das ist lange her.«
Sidonie hüllte sich in Schweigen, wusste sie doch, dass es Jahre her war, dass Julia eine Hauptrolle in einem der Theater am West End angeboten bekommen hatte. Und auch die Reihen der Verehrer hatten sich gelichtet, die meisten bevorzugten jetzt weitaus jüngere Kolleginnen. Obwohl sie einige Jahre getrennt hatten, war Julia eine enge Freundin von Sidonies Mutter gewesen. Sie gehörten beide der Halbwelt an. Es gab eine Reihe von betuchten, mächtigen Adligen, die ein gewisses Faible für Frauen hatten, in deren Adern kein waschechtes blaues Blut floss, die aber dennoch Charme und Anmut besaßen.
Bei Sidonies Mutter, Claire Bauchet, war es allerdings anders gewesen - sie war der Spross einer adligen Familie. Als ihr der Titel aberkannt wurde, konzentrierte sie sich auf das Eine, das ihr noch geblieben war: ihre Schönheit. Ein Poet hatte sie einst mit einer strahlenden Sommerblume im Morgentau verglichen. Während Julia mit wahrem schauspielerischem Talent gesegnet war, es ihr aber nur hin und wieder vergönnt gewesen war, dass ein reicher Protegé sie unter die Fittiche nahm, konnte sich Sidonies Mutter vor Verehrern kaum retten. Binnen kürzester Zeit wurde sie der Inbegriff einer Konkubine.
Nach Sidonies Rückkehr nach London war die alte Freundin ihrer Mutter die Erste gewesen, die ihr einen Besuch abgestattet und sie zu Hause begrüßt hatte. Mit Entsetzen hatte Sidonie feststellen müssen, dass Julia vereinsamt war. Wie der Zufall es wollte, war Sidonie gerade auf der Suche nach einer Hausdame und Gesellschafterin gewesen und hatte Julia vom Fleck weg engagiert; der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Sidonie hatte Julia nie gefragt, hegte aber die Vermutung, dass sie bis dahin hart an der Grenze zur Armut gelebt hatte.
»Du vermisst sie sehr, kann das sein?«, fragte Julia aus heiterem Himmel. Sidonie warf ihr einen Blick über die Schulter zu und dachte einen Moment lang über Julias Worte nach. »Ein wenig schon. Sie war das blühende Leben . . .«
Ein furchterregendes Geräusch zerriss die Luft und ließ Sidonie verstummen.
Thomas machte einen panischen Satz von Sidonies Schoß und verkroch sich unter dem Bett, während Julia und Sidonie zum Fenster stürzten und die Vorhänge aufrissen. Der Umzugskarren war verschwunden, und aus einem der Fenster lehnte eine zierliche Rothaarige, die einen Nachttopf in der Hand hielt.
»Schwein!«, schrie sie und ließ die Porzellanschüssel fallen. »Bastard!«
»Herrjemine«, entfuhr es Julia, als sich ein anderes Fenster öffnete und ein weiterer Topf mit einem lauten Knall auf dem Bürgersteig aufprallte und in abertausend Stücke zerschellte. »Bastard! Schwein!«
Sidonie konnte sich ihr Lachen nicht verkneifen, während Julia mit den Schultern zuckte.
»Wer auch immer dein mysteriöser Nachbar ist«, murmelte Julia, »wenn die Gute mit ihm fertig ist, muss er sich erst einmal neues Porzellan kaufen.«
Kapitel 2
In welchem unser Held von einer neuen Plage heimgesucht wird
Mylord?« Lord Devellyn war es, als dränge die Stimme aus weiter Ferne zu ihm. Eine körperlose Stimme. Eine nervtötende Stimme. Der Marquis brummte in der Hoffnung, sie möge verstummen. Er wollte seine Ruhe.
»Bitte, Mylord, öffnen Sie die Augen.«
Devellyns Brummen wuchs sich zu einem Knurren aus.
»Bitte Mylord. Sehen Sie mich an.« In der Stimme schwang nun Ungehaltenheit mit. »Sie können unmöglich hier liegen bleiben.«
»Gestern Abend ist es mir nicht mal gelungen, ihm den Gehrock auszuziehen«, drang eine zweite Stimme durch den Nebel zu ihm. »Meinen Sie, es ist schlimm um ihn bestellt? Sieht aus, als hätte er geblutet. Vermutlich wieder eine Prügelei. Was denken Sie, Honeywell, ist das hier Blut? Hier auf dem Kragen, meine ich.«
»Fenton, wenn Sie es genau wissen wollen, es interessiert mich nicht.« Die erste Stimme klang nun ernsthaft verärgert. »Mylord? Ich sage es ungern noch einmal, aber Sie müssen aufstehen. Zimmermann Brampton und seine Gehilfen sind bereits gegangen. Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten für Sie.«
Schlechte Nachrichten. Zwei Worte, die es schafften, bis zu seinem Verstand vorzudringen. Zwei alte Bekannte. Schlechte Nachrichten. Er hasste diese Wortkombination. Unter großer Kraftanstrengung bracht er ein Blinzeln zustande. Über ihm schwebten vier Augen. Oder waren es sechs?
»Er kommt wieder zu sich, Fenton«, sagte die eine Stimme erleichtert. »Helfen Sie mir, ihn in eine sitzende Position zu bringen. «
Der Marquis spürte, wie vier Arme an ihm rissen, als wäre er ein Sack Mehl, und wie ihm hastig ein Kissen in den Rücken geschoben und seine Füße aufgestellt wurden.
Die beiden Nervensägen hatten es geschafft. Jetzt war er einigermaßen wach.
Fenton, Lord Devellyns Kammerdiener, legte die Stirn in Falten. »Warum haben Sie bei Ihrer Rückkehr nicht direkt nach mir geläutet, Sir?«, erkundigte er sich und rang die Hände. »Es kann doch nicht besonders behaglich sein, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Ganz zu schweigen von der Schweinerei auf dem Boden.«
»Welche Schweinerei?«, murmelte Devellyn und blinzelte.
Sein Butler Honeywell zog einen kleinen Tisch heran, und wie von Zauberhand wurde ein Tablett darauf abgestellt.
»Dort!«, sagte Honeywell. »Wie ich bereits sagte, Mylord. Die Zimmerleute sind fort. Aber ich fürchte, der Fußboden im blauen Salon ist nicht mehr zu retten.«
Fußboden. Welcher Fußboden?
Mit einem süffisanten Lächeln goss Fenton Kaffee in eine Tasse.
»Mir scheint, Ihnen stehen harte Zeiten bevor«, fuhr Honeywell mit unheilvoller Stimme fort und bediente sich eines harten und fast schon unhöflichen Tons.
»Was redet ihr denn da?«, blaffte Devellyn die beiden an und beäugte misstrauisch den Kaffee. »Ich liebe Unannehmlichkeiten, finde sie . . . nehme sie gerne an.«
Honeywell faltete die Hände wie ein frommer Landpfarrer. »Aber Mylord, ich fürchte, das Haus leidet unter...« - umdie Spannung zu steigern, legte er eine Kunstpause ein - ». .. Klopfkäfern. «
Devellyn verschluckte sich fast an seinem Kaffee. »Klopf was? «
»Klopfkäfer,Mylord«,wiederholte der Butler wichtigtuerisch. »Erinnern Sie sich an das Knarzen und Knirschen im blauen Salon? Die Biester haben den Fußboden in einen Schweizer Käse verwandelt und jetzt die beiden Treppenhäuser in Angriff genommen. Stufen, Geländer, einfach alles. Brampton meinte, es könnte schon bald für uns gefährlich werden und schlägt vor, für eine Weile auszuziehen, wenn uns unser Leben lieb ist.«
»Ausziehen?«, wiederholte Devellyn ungläubig.
»Ja, damit wir nicht in den Tod stürzen.«
Devellyn schüttelte das Haupt und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Ein pelziger, brauner Geschmack breitete sich in seinem Mund aus, seinen Schläfen wohnte ein dumpfes Klopfen inne. »Was kann man denn nun tun?«, fragte er nach einer Pause. »Gegen diese Käfer?«
»Sämtliche Böden und Treppen müssen ausgetauscht werden, Mylord.« Devellyn legte die Stirn in Falten.
»Mit anderen Worten, es wird den lieben langen Tag gehämmert und rüpelhafte Burschen trampeln mir mit ihren klobigen Stiefeln auf den Nerven herum. Und dann der ganze Staub. Kruzifix noch mal, wie soll ich das nur überstehen?«
»Wenn Sie mich fragen, führt kein Weg daran vorbei, auszuziehen. « Honeywells Fingerknöchel liefen weiß an.
»Ausziehen?«, japste Devellyn und stellte klirrend die Tasse auf dem kleinen Tisch ab. »Aus der Duke Street ausziehen? Wo sollte ich denn hin, alter Junge?«
Honeywell und Fenton tauschten schnelle Blicke aus. »Naja, es bliebe Ihnen noch immer Bedford Place«, warf der Butler ein. »Sobald Miss Lederly ihre Sachen gepackt hat . . .«
»Das hat sie. Gestern«, brachte Devellyn ihn auf den neuesten Stand, was die beiden Bediensteten mit einem Seufzer der Erleichterung quittierten.
»Fenton könnte sich Ihrer persönlichen Dinge annehmen, während ich mich um den Rest kümmere«, schlug Honeywell vor.
Fassungslos wanderte der Blick des Marquis zwischen den beiden hin und her. »Und was ist mit mir? Habe ich da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?«, fragte der Hausherr leicht gereizt. »Was soll denn dann aus dem Teufel der Duke Street werden? Der Kobold vom Bedford Place? Klingt nicht sonderlich schmeichelhaft, oder?«
Die Götter meinten es gut mit Sidonie. Viel zu früh erreichte sie die Uferpromenade und nutzte die verbleibende Zeit für einen Schaufensterbummel.
Im Vergleich zur Oxford Street oder der Savile Row, wo der Geruch nach Geld förmlich in der Luft hing und die betuchte Kundschaft alles fand, wonach sich ihr verwöhntes Herz sehnte, ging es hier geradezu laut und gesellig zu. Sidonie liebte diesen Abschnitt der Promenade, war es doch einer der wenigen Orte, an dem sich die Wege von Arm und Reich, Schön und Schäbig kreuzten.
Eisenwarenhändler, Buchhändler, Seidenhändler, Kürschner, Phrenologen und Hellseher - sie alle hatten hier die Zelte aufgeschlagen. Neben den zahlreichen Geschäftsmännern tummelten sich an diesem Ende der Uferpromenade aber auch Orangenverkäuferinnen, Straßenhändler, Taschendiebe und etliche Damen des horizontalen Gewerbes. Durch die vielen Jahre auf hoher See und in diversen Häfen der Welt hatte Sidonie keinerlei Berührungsängste. Das war auch der Grund, warum sie einem ärmlich gekleideten Mädchen sechs Orangen abkaufte, für die sie eigentlich keinerlei Verwendung hatte.
Zum Abschluss ihrer kleinen Einkaufstour blieb sie vor den Auslagen eines kleinen, eleganten Geschäftes stehen, an dem man ein pompöses Schild vergebens suchte. Lediglich eine kleine Kupfertafel verriet, was und wer den geneigten Käufer erwartete:
Mr. George Jacob Kemble Händler feinster Unikate und edlen Allerleis
Nachdem Sidonie nichts Ansprechendes im Schaufenster hatte entdecken können, öffnete sie die Tür. Eine kleine Glocke verkündete ihre Ankunft, und ein gut aussehender französischer Jüngling trat umgehend um den Verkaufstresen herum.
»Bonjour, Madame Saint-Godard«, säuselte er und gab ihr einen formvollendeten Handkuss. »Isch 'offe, es geht Sie gut?«
Sidonie schenkte ihm ein Lächeln. »Danke der Nachfrage, Jean-Claude«, antwortete sie und beugte sich über eine gläserne Vitrine. »Nein, wie entzückend! Ist diese Bonbonniere neu?«
»Wir 'aben sie erst bekommen 'erein diese Woche, madame«, antwortete der junge Verkäufer und entblößte seine geraden Zähne. »Wenn madame wünschen, isch Ihnen schicke morgen zu. Sagen wir, als Geschenk? Von Ihre Bruder?«
Sidonie schüttelte den Kopf. Zu Hause stapelten sich bereits die unbezahlten Rechnungen. Und geschenkt konnte sie es auf keinen Fall annehmen. Stattdessen legte sie die Orangen auf den Tresen und sagte: »Hier, Jean-Claude, gönnen Sie sich etwas Gutes. Orangen schützen vor Skorbut.«
Wieder erntete sie ein breites Feixen. »Merci, Madame. Kann es sein, dass diese 'ier stammen von die Marianne mit die großen Augen?«
»Groß ist noch untertrieben«, stimmte Sidonie ihm zu. »Aber sie sind nichts im Vergleich zu dem Loch in ihrem Bauch, fürchte ich.«
»Que faire!«, gab er ihr recht. »Der einzige Begleiter der Kinder, die leben auf die Straße, ist der 'unger.«
»Traurig, aber wahr«, murmelte Sidonie, ehe sie das Thema wechselte. »Jean-Claude, wo steckt eigentlich mein Bruder? Und noch wichtiger: Wie ist es heute um seine Laune bestellt? «
Der Jüngling verdrehte die Augen und sah an die Decke. »Er ist oben und zieht die Koch die Ohren lang. Armer Kerl. Seine Laune ist schlescht wie nur selten. Und das wegen eine eingefallene Soufflé.« Dann senkte Jean-Claude die Stimme und raunte: »Wie sieht es aus, madame? Sie 'aben etwas für misch?«
»Heute nicht, Jean-Claude«, antwortete Sidonie. »Heute bin ich ausnahmsweise nur hier, um mit meinem Bruder und Monsieur Giroux zu Abend zu essen.«
»Dann isch will Sie nischt länger auf'alten«, raunte Jean- Claude, wich zur Seite und deutete auf einen grünen Samtvorhang, der in die hinteren Geschäftsräume und zu den Privaträumen im Obergeschoss führte.
Zwei Stunden später saß Sidonie im Esszimmer ihres Bruders, das sich über den Geschäftsräumen befand, und leerte eine Flasche exquisiten Pinot Noirs. Das Essen war trotz der Krise im Vorfeld vorzüglich gewesen. Vorsichtig streifte sie die Schuhe ab, legte die Füße auf dem Stuhl ihr gegenüber ab und lehnte sich genüsslich zurück. Maurice Giroux, Georges spezieller Freund, stand an der Anrichte und schnitt einen Biskuitkuchen in dünne Stücke, während ein Dienstmädchen eine Karaffe Portwein und zwei Gläser brachte.
»Genieß den Kuchen, Sid, während wir uns ein Glas Portwein genehmigen«, sagte Maurice und reichte ihr einen kleinen Teller. »Er wird dir schmecken. Achte auf den frischen Orangengeschmack.«
Sidonie blickte über den Tisch zu ihrem Bruder. »Lass mich raten«, sagte sie. »Marianne mit den großen Augen?«
George zuckte nur mit den Schultern. »Von irgendetwas muss der Mensch ja leben«, sagte er. »Warum also nicht von Mariannes Orangen?«
Mit einem Glucksen schenkte Maurice den Portwein ein. »George, deiner Schwester machst du so schnell nichts vor.«
»Schon gut, schon gut. Lasst uns jetzt von etwas anderem als meiner Nächstenliebe sprechen«, sagte George und nahm eines der Gläser. »Ich habe schließlich einen Ruf zu wahren.«
Maurice richtete das Wort an Sidonie. »Erzähl mal, Liebes. Was bringt dieser Frühling dir? Hast du derzeit viele Elevinnen? «
Gedankenverloren stocherte Sidonie in ihrem Nachtisch herum und wünschte, sie hätte ebenfalls ein Glas Portwein vor sich. »Also, da wären Miss Leslie und Miss Arbuckle, die beide Klavier lernen und dann noch Miss Debham und Miss Brewster, denen ich Benimmunterricht gebe. Und nicht zu vergessen Miss Hannaday, die weder tanzen noch singen kann, geschweige denn schauspielerisches Talent besitzt. Die Gute kann ein Fischmesser nicht von einem Vorspeisenmesser unterscheiden - und das, obwohl sie in Bälde den Marquis of Bodley heiraten soll. Es ist der ausdrückliche Wunsch ihres Vaters.«
»Gütiger Gott!«, entfuhr es George. »Ausgerechnet diesen alten Wüstling? Der ist doch so gut wie bankrott.«
Sidonie nickte. »Das arme Mädchen tut mir besonders leid. Sie hat nur noch bis August Zeit, um alles Wichtige zu lernen.«
»Sprechen wir von der Familie Hannaday, die sich im Teehandel einen Namen gemacht hat?«
Sidonie nickte. »Genau die. Du solltest mal ihren Palast in der Southampton Street sehen.«
»Bei Bodley sieht das Ganze etwas anders aus. Der Gute ist bis über beide Ohren verschuldet, und die Hypotheken auf seine Ländereien graben ihm allmählich das Wasser ab«, berichtete George schadenfroh. »Die Ländereien in Essex gehören bereits seinen Gläubigern.«
Maurice nickte. »Und dann ist da noch diese hässliche Sache mit den zehntausend Pfund, die er letzte Woche im White's an Mister Chartres verloren hat«, fügte er hinzu. »Im Grunde müsste er zehn reiche Erbinnen heiraten, um nicht in Schul- denzuertrinken.«
»Dann kommt Miss Hannadays Rettungsring im Wert von dreihunderttausend Pfund ja genau richtig«, sagte Sidonie.
»Dieser Bodley ist ein widerlicher Perversling«, sagte George angewidert und nippte an seinem Dessertwein.
»Wie meinst du das?«, wollte Sidonie wissen.
»Bodley ist nicht nur ein aufgeblasener Aufschneider, nein. Auch in sexueller Hinsicht ist er ziemlich ausgebufft«, sagte ihr Bruder leise und stellte das Glas vor sich ab. »Lasst uns hoffen, dass der alte Hannaday nie Wind von Bodleys Vorliebe für blutjunge Marineoffiziere bekommt.«
»Du meine Güte!« Sidonies Hand flog zu ihrem Herzen. »Wie . . . wie findet er denn seine . . .«
»Seine Partner, meinst du?«, half Maurice ihr aus.
»Äh, ja.«
Maurice zuckte mit den Schultern. »Wenn sie willig sind - oder dringend Geld benötigen - kann man sie im St.-James- Park aufgabeln.«
»St. James?«, wiederholte sie ungläubig.
Maurice und George tauschten vielsagende Blicke aus.
»Sidonie, Gentlemen, die nach einer pikanten Art der fleischlichen Liebe suchen, treffen sich an Orten, die nur Eingeweihte kennen«, klärte ihr Bruder sie auf. »In jüngster Zeit ist es der St.-James-Park. Man tut, als ginge man spazieren und signalisiert die eigenen, äh, Vorlieben entweder mit einem Taschentuch, das man in der linken Gehrocktasche trägt, oder indem man die Hand in eine Westentasche steckt.«
»Dein Bruder hat recht«, sagte Maurice. »Aber es geht das Gerücht um, dass nicht alle von Bodleys Partnern sich ihm freiwillig hingeben. Es heißt, er hat einen Schlepper engagiert und dass er seine Opfer erpresst.«
»Manche tappen in die Falle, weil sie arm sind und auf einen schnellen Taler hoffen«, sagte George mit leiser Stimme.
Maurice nickte. »Hin und wieder zieht es ihn zu jungen Mädchen hin«, sagte er. »Der Bastard kennt jede Kupplerin östlich der Regent Street.«
Sidonie schauderte es. »Wie entsetzlich«, stammelte sie, die Hand noch immer auf die Brust gelegt. »Maurice, ich fürchte, ich bin im Begriff, dich um etwas höchst Undamenhaftes zu bitten. Sei so lieb und schenk mir auch ein Glas Portwein ein. Die arme Miss Hannaday! Jetzt wünsche ich mir fast, sie wäre doch mit ihrem Schiffskaufmann durchgebrannt.«
»Schiffskaufmann?« Maurice drehte sich zu ihr um, ein sauberes Glas in der Hand.
»Sie hat etwas mit einem Schiffskaufmann?«, wunderte sich auch George.
Sidonie nickte und sah von einem zum anderen. »Charles Greer«, sagte sie. »Er arbeitet für ihren Vater. Die beiden sind vollkommen vernarrt ineinander. Selbstredend möchte Mr. Hannaday nichts davon hören, hat er doch anderweitige Pläne für seine Tochter.«
George legte die Hand hinter das Ohr. »Ich glaube, ich kann Gretna Green rufen hören«, gluckste er. »Richte Mr. Greer aus, er sollte sich nicht zu lange Zeit lassen, seine Angebetete vor den Altar zu führen.«
»Du meinst, sie sollten durchbrennen?«, fragte Sidonie. »George, das kann unmöglich dein Ernst sein.«
Maurice, der ihr ein Glas Portwein reichte, sagte mit einem Seufzen: »Ich fürchte, es ist sein bitterer Ernst. Es gibt Schlimmeres als ein Leben in Mittellosigkeit.«
»Bodley, zum Beispiel«, pflichtete ihm George bei. »Vergiss nicht, dass er mindestens doppelt so alt ist wie deine Miss Hannaday. «
Sidonie blickte von George zu Maurice und wieder zurück. »Aber ihr Vater wird sie enterben, wenn sie davonläuft«, sagte sie. »Und den Angestellten wird er entlassen.«
George zuckte mit den Achseln. »Der Gute wird sich wieder abregen. Spätestens wenn das erste Enkelkind das Licht der Welt erblickt.«
»Mag sein, aber was, wenn nicht?«, gab Maurice zu bedenken. »Ist dieser Charles wenigstens ein Mensch von Anstand?«
»Nun ... ja.«
»Ganz sicher?«
»Nun ja, ich habe ihn nur einmal gesehen«, antwortete Sidonie. »Er machte einen eher ernsten und leicht unbeholfenen Eindruck. Aber ich glaube schon, dass er es aufrichtig mit ihr meint.«
George hob eine Schulter. »Sid hat eine gute Menschenkenntnis. «
Maurice spülte den Rest seines Digestivs hinunter. »Wenn dem so ist, werde ich mal sehen, was ich für das junge Liebespaar tun kann. Vielleicht kann ich ihm eine neue Arbeit besorgen. «
Sidonie war außer sich vor Freude. »Das würdest du tun, Maurice? Aber wieso?«
Maurice warf ihr ein sentimentales Lächeln zu. »Weil ich ein großes Herz habe. Vor allem für unglücklich Verliebte«, sagte er. »Wie der Zufall es will, hat der alte Hallings darum gebeten, im Oktober pensioniert zu werden. Sollte der Jüngling etwas von Buchhaltung verstehen, kann er für mich arbeiten. Viel kann ich ihm nicht zahlen, Darling, aber wir können die Kleine doch nicht verhungern lassen.«
»Das ist ja wunderbar!«, rief Sidonie und hatte das Gefühl, ihr Herz wäre von einem Wirbelwind erfasst worden. »Wenn es euch nicht gäbe, müsste man euch erfinden. Vor allem, weil ihr immer über den neuesten Klatsch informiert seid.«
Maurice tätschelte Sidonies Hand. »Wir wissen eben genau, welche Quellen es anzuzapfen gilt, meine Liebe.«
Sidonie lachte. »Manchmal frage ich mich, ob es etwas gibt, das ihr beide nicht wisst - oder nicht in Erfahrung bringen könnt.«
»Natürlich nicht«, entgegnete George.
»Da wir gerade von Skandalen, Gerüchten und Entdeckungen sprechen!«, sagte Maurice mit einem Blinzeln und lehnte sich verschwörerisch nach vorne. »Mir ist da etwas zu Ohren gekommen, das gleich alle drei Kriterien erfüllt. Wollt ihr mehr darüber wissen?«
»Und ob«, drängte George ihn.
»Ratet mal, wer gestern Abend ein Stelldichein mit dem Schwarzen Engel hatte!«
»Keine Ahnung«, schwindelte Sidonie. »Sag es uns, Maurice.«
Maurice grinste verschlagen. »Lord Francis Tenby, der kleine Aufschneider.«
George verdrehte enttäuscht die Augen. »Es gibt andere, die es mehr verdient hätten.«
Maurice rümpfte die Nase. »Geschieht im ganz recht. Er hat einen entsetzlichen Geschmack, wenn es um Westen geht«, sagte er. »Der Bengel hat natürlich alles daran gesetzt, seine Begegnung mit dem Schwarzen Engel zu vertuschen, aber es ist trotz aller Vorsichtsmaßnahmen durchgesickert. Ich liebe Hauspersonal, das den Mund nicht halten kann.«
George murrte. »Und was genau wusste es zu berichten?«
Maurice beugte sich noch weiter nach vorne. »Dass der Schwarze Engel ihm die Krawattennadel abgenommen hat, die an die hundert Pfund wert ist«, raunte er. »Und dass sie den Guten ausgezogen, gefesselt und geknebelt hat, ehe sie sich aus dem Staub gemacht hat.«
»Gefesselt und geknebelt? Nackt?«, murmelte Sidonie. »Klingt faszinierend. Was wisst ihr über den Schwarzen Engel? Hat man eine Ahnung, wer dahinter steckt?«
»Eine Mätresse, der man übel mitgespielt hat«, meinte Maurice. »Sie könnte aber auch Schauspielerin sein, weil sie jedes Mal anders aussieht.«
Sidonie lächelte gequält. »Haben die unglückseligen Opfer denn den blassesten Schimmer, warum es ausgerechnet sie trifft?«
Maurice und George tauschten Blicke aus. »Wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, hält sich der Schwarze Engel für eine Art weiblicher Robin Hood.«
Sidonie hob eine Augenbraue. »Weiß man schon, wer von ihren Beutezügen profitiert?«
Sie bemerkte ein leichtes Flackern im Blick ihres Bruders. »Ganz sicher bin ich mir nicht.«
»Sag jetzt bitte nicht, dass du in diesem Fall an deine Grenzen stößt, George«, zog Sidonie ihn auf. »Scheint, als wüsstest du doch nicht über alles Bescheid.«
»Nein, nein, da hast du etwas falsch verstanden«, korrigierte er sie. »Wenn ich gewillt wäre, würde ich im Handumdrehen herausfinden, wer sie ist und wem sie hilft. Aber ich habe nicht vor, ihr in die Quere zu kommen.«
Sidonie fing seinen Blick auf und sah ihn herausfordernd an. »Nun gut«, sagte sie. »Aber es gäbe da etwas anderes, das du vielleicht für mich in Erfahrung bringen könntest.«
»Kommt darauf an«, ließ George verlauten. »Worum geht es denn?«
»Ich wüsste gerne, wem das Haus auf der anderen Straßenseite vom Bedford Place gehört. Das Haus mir gegenüber. «
Ihr Bruder lehnte sich zurück und sah sie an. »Für gewöhnlich interessiere ich mich nicht dafür, wer welche Besitztümer verwaltet, Sid.«
»Ach, George, bitte. Das ist doch eine deiner leichtesten Übungen, nicht wahr?«, bekniete sie ihn. »Wenn mich nicht alles trügt, gehört es einem Gentleman, der dort seine Mätressen einquartiert.«
»Aha!«, sagten Maurice und George wie aus einem Mund.
»Ständig wird dort ein-oder ausgezogen«, erklärte Sidonie ihnen. »Es würde mich einfach nur interessieren, wer dahinter steckt.«
»Welche Hausnummer?«, wollte George wissen.
»Siebzehn.«
Maurice legte die Stirn in Falten. »Wie sieht die Frau aus, die momentan dort wohnt? Ist es eine Blondine? Eine Brünette? «
Sidonie schüttelte den Kopf. »Weder noch. Sie ist rothaarig und - wenn man dem Nachtwächter glaubt - von Beruf Schauspielerin «, antwortete sie. »Die Gute ist heute Nachmittag ausgezogen. Vor ihr hat er sich eine Blondine gehalten und davor eine italienische Tänzerin. Ich glaube, sie hieß Maria. Das arme Ding ist tränenüberströmt aus dem Haus gelaufen. Allmählich drängt sich mir der Verdacht auf, dass der Eigentümer eine wahre Bestie sein muss.«
George machte ein Gesicht, als wäre ihm das Abendessen nicht bekommen. »Das muss Lord Devellyn sein«, sagte er leise und blickte zu Maurice.
»Erzähl uns mehr von ihm, Sidonie. Ist er groß?«, wollte Maurice wissen.
Sidonie zuckte die Achseln. »Ich habe ihn nie gesehen«, sagte sie. »Er fährt stets in einer Kutsche vor.«
George schwenkte das Glas in seiner Hand und blickte an die Decke. »Eine Kutsche mit Insignien?«
»Ja.«
»Kannst du sein Wappen beschreiben?«, fragte George.
Sidonie schloss die Augen und versuchte, sich so gut es ging zu erinnern. Bruchstückhaft beschrieb sie, was sie noch wusste.
»Das ist er«, nickte George schließlich. »Daran besteht kein Zweifel.«
»George hat recht«, bekräftigte Maurice. »Erst letzte Woche war er bei mir, um sich eine neue Weste schneidern zu lassen. Dabei sah ich zufällig seine Kutsche vorfahren.«
Sidonie legte die Serviette auf dem Tisch ab. »Hervorragend! «, sagte sie entzückt. »Wisst ihr zufällig auch, in welchem Club dieser Lord Devellyn verkehrt?«
George warf ihr einen misstrauischen Blick zu, antwortete ihr aber dennoch: »Im Beefsteak, dem Jachtclub und dem MCC«, zählte er auf. »Aber warum interessiert dich das?«
»Essen, segeln und Cricket!«, murmelte Sidonie, ohne auf die Frage ihres Bruders einzugehen. »Ein recht vielseitiger Bursche, wie mir scheint. Was ist mit Glücksspielen?«
»Er spielt für sein Leben gern«, antwortete Maurice. »Meistens im Crockford's.«
Sidonies Augen weiteten sich. »Nicht gerade eine Lokalität, die einen sonderlich guten Ruf genießt.«
»Aber das ist längst noch nicht alles. Er schreckt auch nicht davor zurück, in den heruntergekommensten Schenken einzukehren, um sich volllaufen zu lassen. Stil ist für diesen ungehobelten Kerl ein Fremdwort.«
»Entschuldige, wenn ich dir widerspreche, George«, sagte Maurice und deutete mit dem Finger auf sich selbst. »Vergiss nicht, dass er seine Westen stets bei mir kauft.«
»Wie heißt es so schön im Volksmund: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn«, sagte George verächtlich. »Aber hast du mir nicht erzählt, sein Kammerdiener würde die Stoffe für ihn aussuchen?«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle. Verratet mir lieber, wo dieser Devellyn wohnt«, flehte Sidonie die beiden an.
»Gütiger Gott, Sidonie!« George machte einen leicht genervten Eindruck. »Er trägt nicht umsonst den Spitznamen
Teufel der Duke Street«, seufzte er und trommelte ungehalten mit den Fingern auf den Tisch. »Ich wäre Euch wirklich dankbar, wenn wir langsam das Thema wechseln könnten! «
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»Les jeux sont faits«, sagte der Croupier, gab dem Rouletterad einen Schwung und ließ die Kugel in der entgegengesetzten Richtung ihre Runden ziehen, ehe diese sich mit einem klickernden Geräusch ein Ziel suchte - die Zweiundzwanzig. Noch bevor das Rad zum Stillstand gekommen war, hatte der Croupier den Gewinn ausgezahlt. Flink wie ein Wiesel hatte der junge Engländer die Jetons an sich genommen und rückte einen Platz auf, sodass er nun neben ihr saß.
»Bonsoir«, begrüßte sie ihn mit einem heiseren Raunen. »Scheint, als brächte die Farbe Schwarz Ihnen heute Abend Glück, Monsieur.«
Träge glitten die blassblauen Augen des Jünglings an ihrem schwarzen Kleid hinunter. »Drücken Sie mir die Daumen, dass meine Glückssträhne noch ein wenig anhält.«
»Man soll ja bekanntlich die Hoffnung nie aufgeben.«
Als der Engländer ein helles Lachen ausstieß, blitzten seine winzigen Zähne auf. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind, Mademoiselle«, bemerkte er. »Sind Sie neu im Lufton's?«
»Eine Lasterhöhle ist doch wie die andere, n'est-ce pas?«, sagte sie achselzuckend.
Verhaltenes Verlangen flackerte in seinen Augen auf. Der Narr schien sie für eine Dirne zu halten, was streng genommen nicht verwunderlich war. Schließlich war sie ohne erkennbare Begleitung. Und das an einem Ort wie diesem.
»Lord Francis Tenby«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand. »Und Sie sind . . .«
»Madame Noire«, antwortete sie, beugte sich ein wenig nach vorne und ließ ihre behandschuhte Hand in die seine gleiten. »Das muss Schicksal sein, finden Sie nicht auch?«
Statt direkt zu antworten, verlor sich sein Blick einen Augenblick lang in den Tiefen ihres Dekolletés. »So, so, Madame Black! Haben Sie vielleicht auch einen Vornamen, meine Liebe?«
»Meine Freunde nennen mich Cerise«, sagte sie, wobei sie das letzte Wort mehr hauchte als sprach.
»Cerise«, wiederholte der schmächtige Engländer. »Wie exotisch. Darf man fragen, was Sie nach London führt, Teuerste?«
Abermals zuckte sie die Achseln und warf ihm einen darbenden Seitenblick zu. »Immer diese Fragen!«, seufzte sie. »Es dürstet mich und außerdem fürchte ich, blockieren wir den Roulettetisch.«
Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da sprang der junge Bursche auf und fragte: »Was darf ich Ihnen holen, Ma'am? Doch gestatten Sie mir vorher, Sie an einen ruhigeren Tisch zu geleiten. «
»Champagner«, murmelte sie, erhob sich und ging - den Blick auf den Boden gerichtet - zu dem freien Tisch, auf den er gedeutet hatte. Ein Tisch in der hinteren Ecke. Perfekt.
Wenige Augenblicke später war er wieder bei ihr, gefolgt von einem Kellner, der ein Tablett mit zwei Gläsern trug.
»Ma foi!«, murmelte sie und tat, als suchte sie nach etwas, bis der Kellner sich zurückgezogen hatte. »Ich muss mein Ridikül am Roulettetisch vergessen haben. Wären Sie wohl so freundlich, es mir zu holen, Mylord?«
Sobald er ihr den Rücken zugekehrt hatte, löste sie den Pfropfen einer Phiole und goss den Inhalt geschickt in sein Glas. Winzige Kristalle paarten sich mit den aufsteigenden Bläschen.
Sie warf noch einen verstohlenen Blick auf die Uhr, und ehe sie es sich versah, war der Jüngling auch schon mit ihrer paillettenbesetzten Handtasche zurückgekehrt. Timing war alles. Mit einem dirnenhaften Lächeln griff sie nach ihrem Glas und prostete ihm zu. »Auf den Beginn einer gewinnbringenden Freundschaft«, murmelte sie so leise, dass er sich zu ihr herüberlehnen musste, um sie zu verstehen.
»Das haben Sie wundervoll gesagt.« Er nahm einen großen Schluck Champagner und setzte stirnrunzelnd das Glas vor sich ab.
Es stellte sich als ein Kinderspiel heraus, den Jüngling von dem eigenartigen Geschmack des Getränks abzulenken. In den nächsten zehn Minuten ließ sie ein ums andere Mal ihr glockenhelles Lachen erklingen, während sie Lord Francis Tenby Honig um den Bart schmierte, den Mutter Natur ihm noch vorenthalten hatte.
Die unvermeidlichen Fragen, die sie jedes Mal zu hören bekam, meisterte sie wie immer mit Bravour und gut einstudierten Halbwahrheiten. Die Witwenschaft. Die Einsamkeit. Der begüterte Galan, der sie hergebracht, ihr dann aber eine Szene gemacht und sie wegen einer anderen hatte sitzen lassen. C'est la vie, suggerierte ihr Achselzucken. Andere Mütter hatten auch schöne Söhne.
Es gehörte zum Spiel, dass der Mann die Initiative ergriff und vorschlug, zu ihm nach Hause zu fahren. Ein hastiger Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sein Angebot genau zum richtigen Zeitpunkt kam. Zwanzig Minuten waren vergangen, seitdem sie ihm etwas in seinen Champagner gerührt hatte. Als sie sich erhoben, wirkte er bereits blass. Er schüttelte sich, um sich zu sammeln, ehe er ihr seinen Arm zum Geleit darbot. Ihre Hand auf seinem Unterarm liegend verließen sie das Lufton's und traten in den Lichtkegel einer Gaslampe. Im gleichen Moment bog eine Kutsche um die Ecke - als wäre es verabredet gewesen. Und so war es auch.
Nachdem Lord Francis ihr in die Kutsche geholfen und dem Fahrer das Ziel der Fahrt mitgeteilt hatte, wäre er beim Erklimmen der Stufe um ein Haar böse gestürzt und hätte sich dabei den Kopf aufgeschlagen.
Trotz des schummerigen Lichts bemerkte sie die Schweißperlen auf seiner Stirn. »Mon coeur«, raunte sie, beugte sich nach vorne, sodass sich ihm ein guter Blick in ihr tiefes Dekollet ´
e bot, und legte ihm die Hand auf die bleiche Wange. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie wirken ein wenig blass.«
»M-mir g-geht es g-gut«, versicherte er ihr und drohte abermals den Halt zu verlieren. »W-wollte nur . . . ich wollte nur mal sehen, ob . . .«
Mit betont langsamen Bewegungen ließ sie den Seidenschal von den Schultern gleiten. »Was, mon cher? Was wollten Sie sehen?«
Der junge Lord schüttelte sich, als wollte er den Nebel vor seinen Augen verscheuchen. »Ihre . . . Ihre Augen«, stammelte er. »W-wollte nur mal . . . in Ihre Augen seh'n. Ihr Gesicht. Ihr H-hut. Der Schleier. Ausziehen.«
»Ich bin untröstlich, Mylord, aber das ist leider unmöglich«, wisperte sie und legte ihre Schulter frei. »Wie wäre es, wenn ich Ihnen stattdessen etwas anderes zeigte, Lord Francis? Würden Sie vielleicht gerne meine Brust sehen?«
»Pruscht?«, lallte der Jüngling und schielte betrunken.
»Ja, meine Brust«, raunte sie. »Sehen Sie her, Lord Francis. Ja, so ist es gut. Sehen Sie genau hin, Liebster. Sehen sie das hier?« Mit jedem Wort enthüllte sie ihre Brust ein wenig mehr.
Es sollte sich jedoch als Fehler herausstellen, dass Lord Tenby sich so weit nach vorne beugte. »Tät . . . Tät . . . Tätowierung? «, hechelte er und legte den Kopf auf die Seite. »Ein Engel? Ein . . . schwarzer Engel?« Er verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war und schloss den Mund. Dann schlug er mit dem Kopf gegen die Tür, rutschte von der Sitzbank und lag röchelnd am Boden der Kutsche - wie ein Karpfen, den es an Land verschlagen hatte.
Um ihn vor dem Erstickungstod zu bewahren, legte sie seinen Kopf in den Nacken und machte sich erst jetzt daran, seine Taschen zu durchsuchen. Geldbörse. Schlüssel. Schnupfdose. Letztere leider nur aus Silber. Dazu eine Taschenuhr mit Kette. Und ein Brief. Von einem Frauenzimmer? Oder womöglich einem Feind? Sie ließ den Gedanken fallen, wollte keine kostbare Zeit verlieren. Stattdessen löste sie die Krawattennadel. Als sie fertig war, sah sie zufrieden auf ihr wehrloses Opfer hinab. »Es war mir eine Ehre, mit Ihnen Geschäfte gemacht zu haben, Lord Francis«, murmelte sie, während der junge Lord laut vor sich hin schnarchte.
»Freut mich zu hören, dass es auf Gegenseitigkeit beruht«, antwortete sie. »Eins möchte ich Ihnen aber noch mit auf den Weg geben. Am meisten wird sich Ihre hübsche Dienstmagd, die Sie erst geschwängert und dann brutal vor die Tür gesetzt haben, über die edlen Gaben freuen.« Mit diesen Worten ließ sie die Beute in ihrem Ridikül verschwinden, klopfte zweimal gegen das Dach der Kutsche und öffnete die Tür, als diese um die Ecke zur Brook Streetbog. Beschwingt sprang der Schwarze Engel auf die regennasse Straße und ließ sich von den nächtlichen Schatten von Mayfair schlucken, während der noch immer bewusstlose Lord Francis der Nacht entgegenrumpelte.
Der Marquis of Devellyn war so gut gelaunt wie schon lange nicht mehr. Er fühlte sich so beschwingt, dass er munter vor sich hin pfeifend in der Kutsche saß und wie aus heiterem Himmel beschloss, sich am Golden Square absetzen zu lassen, um zu Fuß weiterzulaufen. Auf sein Geheiß hin hielt die Kutsche an, und der Marquis sprang flink und frohgemut auf die Straße.
»Geben Sie Acht, Mylord, es hat geregnet«, warnte der Kutscher ihn mit einem besorgten Blick.
Der Marquis blickte auf den Boden. Nasse, glitzernde Pflastersteine funkelten zurück. Nun denn. »Sag mal, Wittle, hat es eigentlich schon geregnet, als wir das Crockford's verlassen haben? «, fragte er mit verhältnismäßig nüchterner Stimme, obwohl er nicht ins Glas gespuckt hatte.
»Nein, Sir«, antwortete Wittle wahrheitsgemäß. »Nichts als dichter Nebel.«
»Aha«, brummte Devellyn und zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. »Ist ja auch egal. Es ist auf jeden Fall ein wundervoller Abend für einen Spaziergang«, fuhr er fort. »Es gibt kaum etwas Besseres als frische Abendluft, um wieder nüchtern zu werden.«
So dezent wie möglich beugte Wittle sich nach unten. »Verzeihung, Sir, aber aus dem Abend ist bereits der neue Morgen geworden«, raunte er ihm zu. »Es ist fast sechs.«
Der Marquis blinzelte angestrengt zu seinem Kutscher hinauf. »Was du nicht sagst«, murmelte er. »Dann ist ja schon heute das Abendessen mit Miss Lederly.«
Wittle bedachte seinen Dienstherrn mit einem mitfühlenden Blick. »Nein, Sir, ich fürchte, ich muss Sie abermals korrigieren. Das war für gestern geplant«, unterrichtete er ihn. »Mit anschließendem Theaterbesuch. Aber Sie haben . . . das heißt der Club hat ...«
Devellyn rieb sich das stoppelige Kinn. »Verstehe«, antwortete er nach einer kurzen Pause. »Niemand hat mich rechtzeitig daran erinnert. Auch du nicht.«
Wittle schüttelte wortlos den Kopf.
Devellyn hob eine Augenbraue. »Kann es sein, dass ich zu viel getrunken habe?«
Mit ausdruckslosem Gesicht fügt der Kutscher hinzu: »Ein wenig, ja. Und dann war da noch diese Dame.«
Eine Dame? O ja. Stück für Stück kehrte seine Erinnerung zurück. Eine attraktive, üppige Blondine. Aber keineswegs eine Dame. Nein, eine Dirne. Lord Devellyn war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie ihr Geld wert gewesen war. Und es kümmerte ihn auch nicht im Geringsten. Was ihn jedoch wirklich beschäftigte war die Sache mit der verpassten Theatervorstellung. Himmel, Camelia würde ihm diesmal die Augen auskratzen.
Er ließ einige Male seine breiten Schultern kreisen und blickte wieder zu Wittle empor. »Egal, ich laufe trotzdem zum Bedford Place«, bekräftigte er mit fester Stimme. »Ist vielleicht besser, wenn niemand etwas von meiner Ankunft mitbekommt. Du kannst in der Zwischenzeit zur Duke Street zurückkehren.«
Pflichteifrig berührte Wittle die Krempe seines Hutes. »Vergessen Sie Ihren Stock nicht, Mylord«, sagte er noch. »In Soho treibt ein übler Straßenräuber sein Unwesen.«
Devellyn setzte ein breites Grinsen auf. »Ein Straßenräuber, der es mit dem Teufel aus der Duke Street aufnehmen würde? Das glaubst du doch nicht ernsthaft, oder?«
»Nicht, wenn er in Ihr Gesicht sehen kann«, entgegnete der Kutscher und grinste innerlich. »Das Problem ist nur, dass er meist von hinten angreift.«
»Schon gut, schon gut, nehme ich den vermaledeiten Stock eben mit«, gab Lord Devellyn sich schmunzelnd geschlagen und fischte ihn aus dem Inneren des Gefährts.
Nachdem Wittle salutiert und die Kutsche in Bewegung gesetzt hatte, warf Devellyn den Stock in die Höhe und fing ihn mit sicherer Hand wieder auf. Die Erkenntnis, dass er doch nicht so betrunken war wie angenommen, hob seine Laune wieder, er spitzte die Lippen und stimmte ein unzüchtiges Lied an. Es mochte an seiner stimmlichen Unterbegabung liegen, dass er auf dem kurzen Weg von Soho nach Bloomsbury keinem Dieb zum Opfer fiel. Vielleicht lag es aber auch an seinem breiten Kreuz oder seiner gebrochenen Nase. Hünenhaft bekam er zuweilen zu hören. Aber es war ihm einerlei, wie andere über ihn dachten und sprachen. Noch beim Betreten seines Hauses am Bedford Place war er der Meinung, auch mit Stock eine gute Figur zu machen. Doch er sollte schon bald eines Besseren belehrt werden.
»Du Bastard!«
Aus dem Nichts flog ein Platzteller auf ihn zu. Gerade noch rechtzeitig duckte sich der Marquis. Das Porzellan prallte gegen den Türsturz, ein Meer aus Scherben regnete auf den Boden.
»Cammie?«, sagte Lord Devellyn leise und steckte seinen Kopf in den Salon.
Einen Schürhaken in der Hand löste sich seine Geliebte aus dem Schatten. »Nenn mich nie wieder Cammie, du Schwein!«, brüllte sie, griff mit der freien Hand nach einer Figur aus Meissener Porzellan und zielte auf seinen Kopf.
Devellyn duckte sich. »Leg den Schürhaken beiseite, Camelia «, versuchte er sie zu beschwichtigen und hielt den Stock so, dass er das nächste fliegende Objekt abwehren konnte. »Leg ihn weg!«
»Fahr zur Hölle, du elender Schuft, du Ungeheuer, du riesiger Bastard«, schrie sie so laut sie konnte.
Der Marquis schnalzte gelassen mit der Zunge. »Camelia, deine Wortwahl verrät mal wieder deine Herkunft«, tadelte er sie. »Jetzt hast du mich schon zweimal einen Bastard geschimpft. Weshalb schenkst du uns nicht ein wenig Brandy ein, Liebste, und wir reden in Ruhe über alles.«
»Steck dir deinen Brandy sonst wohin«, kreischte sie und schwang den Schürhaken. »Wenn du dich nicht auf der Stelle entschuldigst, ramme ich dir den hier in deinen Arsch, bis er dir zum Hals herauskommt, Devellyn.«
DerMarquis zuckte zusammen.»Cammie,estut mirleid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe. Gleich morgen gehe ich zu Gerrard's und kaufe dir eine hübsche Kette.« Für den Bruchteil einer Sekunde wandte Lord Devellyn sich ab, und legte Hut und Stock beiseite. Keine sonderlich gute Entscheidung. Der Schürhaken streifte seinen Kopf, und ehe er es sich versah, warf sich ein Zentner ungehaltene Weiblichkeit auf ihn.
»Bastard!«, schrie sie, sprang ihm auf den Rücken und trommelte mit der Faust auf seinen Kopf. »Schwein! Schwein! Dummes Schwein!«
Camelias Hang zur Dramatik hatte mittlerweile auch die Hausangestellten geweckt.
Devellyn drehte sich um die eigene Achse, in der Hoffnung, sie abschütteln zu können, doch Camelia hatte ihm den Arm um den Hals gelegt und schlug mit der freien Hand wie wild auf seinen Rücken ein.
»Egoistischer, kaltherziger Hurenbock«, brüllte sie und untermalte jede Silbe mit einem Schlag. »Nie denkst du an mich. Du! Du! Du! Immer nur du!«
Erst jetzt dämmerte es ihm. »Du lieber Himmel!«, entfuhr es ihm. »Cleopatra!«
Er bekam ihre Röcke zu fassen und befreite sich von ihr. Camelia landete auf dem Allerwertesten und beschoss ihn mit giftigen Blicken. »Du hast es erfasst! Cleopatra! Meine Cleopatra! «, schluchzte sie. »Mein Debüt! Die Premiere! Die Zuschauer lagen mir zu Füßen. Und du? Wo warst du, du egoistischer Schweinehund! Du hattest es mir versprochen, Devellyn! Du hast mir dein Ehrenwort gegeben, dass du kommen würdest. «
Der Marquis schälte sich aus seinem Gehrock, woraufhin sich der Butler, dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand, aus der kleinen schaulustigen Menge löste und das Kleidungsstück an sich nahm. »Ich schwöre, ich bin untröstlich, Cammie «, säuselte er. »Das musst du mir glauben. Bei der nächsten Premiere werde ich bestimmt dabei sein - ach was, ich komme direkt heute Abend mit. Würde dich das besänftigen?«
Camelia rappelte sich so würdevoll auf, wie es ihr eben möglich war, und strich sich die Röcke glatt. »Nein, würde es nicht«, fauchte sie, drehte sich um und sprach so laut, dass es alle hören konnten: »Weil ich dich verlassen werde, Devellyn.«
»Mich verlassen?«
Camelia schritt zum Kaminsims, als befände sie sich auf der Bühne. »Ja, du hast richtig gehört«, fuhr sie nicht minder theatralisch fort. »Ich lasse dich fallen, entferne dich aus meinem Leben, gebe dir den Laufpass. Soll ich weitermachen?«
»Aber Cammie, warum? Wegen eines kleinen Fehlers?«
»Nein. Sondern weil Sir Edmund Sutters mir gestern Abend ein lukratives Angebot unterbreitet hat.« Als Camelia hochmütig an ihrer zierlichen Nase herabblickte, erinnerte nichts mehr daran, dass sie sich früher ihr Geld auf dem Rücken liegend verdient hatte. »Als wir im Anschluss an das Stück hinter der Bühne Champagner getrunken haben.«
»Hinter der Bühne?«
»Wo dein Platz gewesen wäre«, antwortete sie steif und fuhr mit ihrem langen, schlanken Zeigefinger über die letzte Porzellanfigur - eine Geste, die ihn einst erregt hatte, die er nun aber als eher bedrohlich empfand.
»Wärst du wie versprochen gekommen, hätte er sich das bestimmt nicht gewagt. Aber du hast es ja vorgezogen, durch Abwesenheit zu glänzen. Die Chance hat er sich nicht entgehen lassen.« Sie schoss herum. »Und ich habe eingewilligt, Devellyn. Hörst du, was ich sage? Ich habe angenommen.«
Dieses Mal schien sie es wirklich ernst zu meinen. Und das jetzt, wo er gerade überhaupt keine Lust hatte, sich eine neue Geliebte zu suchen. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es keinen Sinn hatte, Weiber aufzuhalten, wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatten, einen Mann zu verlassen.
Seufzend breitete er die Hände aus. »Ach, Cammie, wie konnte es nur so weit kommen?«
Wie ein kleines trotziges Kind schob sie das Kinn nach vorne. »Spätestens morgen früh bin ich verschwunden.«
Der Marquis zuckte mit den Schultern. »Kein Grund zur Eile«, sagte er. »Ich brauche bestimmt zwei Wochen oder länger, um dich zu ersetzen. Du kannst dir also Zeit . . .«
Die letzte Porzellanfigur traf Devellyn mit einer derartigen Wucht an der Schläfe, dass er ins Taumeln geriet. Camelia nutzte die Chance und sprang ihm ein weiteres Mal auf den Rücken.
»Bastard! Schwein!« Wieder flogen zierliche Fäuste durch die Luft. »Ich sollte dir den Hals umdrehen, als wärst du ein ausgemergeltes Suppenhuhn.«
»Ach, halt die Klappe«, fauchte Devellyn zurück und war froh, dass Camelia nicht ihre eigenen Stücke schrieb.
»Bastard! Schwein!«
Doch forderten der Alkohol, die Schläge und der Stress nun ihren Tribut. Devellyn sackte in sich zusammen und riss Camelia mit zu Boden.
Sidonie Saint-Godard war eine finanziell unabhängige Frau - womöglich eine Spur zu unabhängig, denn auf ihrem Pult stapelten sich unzählige Rechnungen, die beglichen werden wollten. Zu Beginn hatte sie die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen genossen. Sie hatte sich wie ein hochhackiger Schuh angefühlt, auf dem man etwas unsicher lief - in der zaghaften Hoffnung, dass man nicht stolpern und vor den Augen der vornehmen Gesellschaft auf die Nase fallen würde. Doch dann war sie nach London, ihrer Geburtsstätte, zurückgekehrt und bekam schnell zu spüren, dass der Schuh drückte und scheuerte. Anders als in Frankreich wurde es hier nicht gerne gesehen, wenn Frauen ein eigenverantwortliches Leben führten.
Erst jetzt, nach knapp einem Jahr als trauernde Witwe, war ihr aufgegangen, dass sie besser daran täte, den Schuh der Freiheit von sich zu schleudern und barfuß durch das Leben zu wandeln. Jetzt, im Alter von neunundzwanzig Jahren, räumte sie allem, was vielversprechend wirkte, eine Chance ein. Sie hatte ihren Bruder George gebeten, für den Fall, dass Gott sie zuerst zu sich riefe, folgende Inschrift in den Grabstein meißeln zu lassen: Sie liebte das Leben mit all seinen Facetten. Und genau die wollte sie ergründen, die Facetten mit all ihren Abgründen und Höhen.
Wie viele Französinnen adliger Abstammung war sie bereits in jungen Jahren in ein seelenloses, strenges Kloster entsandt worden, die reinste Hölle für ein lebensfrohes Mädchen wie Sidonie. Bei der erstbesten Gelegenheit war sie mit einem Mann davongelaufen, obwohl er nicht einmal Grund und Boden besaß. Dafür aber ein Handelsschiff. Pierre Saint-Godard war Kapitän und legte ihr die Kapitänskajüte zu Füßen, durch deren Bullaugen sie die Welt an sich vorbeiziehen sah.
Es dauerte jedoch nicht lange und Sidonie hatte genug von der großen weiten Welt, und als Pierre von einem Fieber dahingerafft wurde, hatte sie das Schiff verkauft, ihre Sachen gepackt, ihren Kater genommen und war nach London gezogen, wo sie in einem kleinen Stadthaus am Bedford Place lebte, einer Gegend, in der auch Bankangestellte und Emporkömmlinge ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Sidonie stand an einem Fenster im oberen Stockwerk und spähte durch den Vorhang hinaus. Vor dem Haus schräg gegenüber stand ein Umzugskarren, und zwei Männer waren eifrig zugange, Truhen und Kisten aufzuladen.
»Wie viele Liebhaberinnen macht das jetzt, Julia?«, fragte sie und trocknete sich das frisch gewaschene Haar.
»Die blasse Blondine im Dezember war Nummer sieben«, zählte Julia an ihren Fingern ab. »Das wäre dann Nummer acht.«
»Und wir haben gerade mal März«, seufzte Sidonie. »Ich würde ja nur zu gerne wissen, was das für ein Scheusal von Mann sein muss, der eine Frau nach der anderen vergrault. Er wechselt seine Bekanntschaften wie seine Hemden.«
Julia, die hinter ihr stand, richtete sich auf. »Lass gut sein. Für Spekulationen haben wir keine Zeit, Liebste«, sagte sie mit halbstrenger Stimme und schob Sidonie in Richtung Kamin. »Du bist eh schon spät dran. Setz dich und überlass mir das Wirrwarr auf deinem Schopf. Wir wollen doch nicht, dass du dir unten an der Uferpromenade den Tod holst.«
Sidonie gab sich geschlagen und nahm artig vor dem Kamin Platz. Sogleich sprang Thomas, ihr Kater, mit einem Satz auf ihren Schoß. »Das Verhalten dieses Mannes ist abscheulich, findest du nicht auch, Julia?«, kehrte sie noch einmal zum Thema zurück. »Du siehst das doch ähnlich, oder? Vielleicht kann uns der Nachtwächter seinen Namen verraten. Ich werde ihn bei Gelegenheit ausfragen.«
»Tu das«, antwortete Julia geistesabwesend, während sie mit der Bürste durch das Haar glitt. »Weißt du eigentlich, dass du dasHaardeiner Mutter geerbthast?«
»Findest du wirklich?«, fragte Sidonie niedergeschlagen. »Claire hatte wundervolles Haar.«
»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich sie stets um ihre seidige Pracht beneidet habe«, sagt Julia seufzend. »Wenn wir gemeinsam auf der Bühne standen, kam ich mir oft wie ein Mauerblümchen neben ihr vor.«
»Aber du hattest doch eine wundervolle Karriere, Julia. Du warst eineBerühmtheit. Der Star der Drury Lane, nicht wahr?«
»Für die Dauer eines Lidschlages, ja«, antwortete sie. »Aber das ist lange her.«
Sidonie hüllte sich in Schweigen, wusste sie doch, dass es Jahre her war, dass Julia eine Hauptrolle in einem der Theater am West End angeboten bekommen hatte. Und auch die Reihen der Verehrer hatten sich gelichtet, die meisten bevorzugten jetzt weitaus jüngere Kolleginnen. Obwohl sie einige Jahre getrennt hatten, war Julia eine enge Freundin von Sidonies Mutter gewesen. Sie gehörten beide der Halbwelt an. Es gab eine Reihe von betuchten, mächtigen Adligen, die ein gewisses Faible für Frauen hatten, in deren Adern kein waschechtes blaues Blut floss, die aber dennoch Charme und Anmut besaßen.
Bei Sidonies Mutter, Claire Bauchet, war es allerdings anders gewesen - sie war der Spross einer adligen Familie. Als ihr der Titel aberkannt wurde, konzentrierte sie sich auf das Eine, das ihr noch geblieben war: ihre Schönheit. Ein Poet hatte sie einst mit einer strahlenden Sommerblume im Morgentau verglichen. Während Julia mit wahrem schauspielerischem Talent gesegnet war, es ihr aber nur hin und wieder vergönnt gewesen war, dass ein reicher Protegé sie unter die Fittiche nahm, konnte sich Sidonies Mutter vor Verehrern kaum retten. Binnen kürzester Zeit wurde sie der Inbegriff einer Konkubine.
Nach Sidonies Rückkehr nach London war die alte Freundin ihrer Mutter die Erste gewesen, die ihr einen Besuch abgestattet und sie zu Hause begrüßt hatte. Mit Entsetzen hatte Sidonie feststellen müssen, dass Julia vereinsamt war. Wie der Zufall es wollte, war Sidonie gerade auf der Suche nach einer Hausdame und Gesellschafterin gewesen und hatte Julia vom Fleck weg engagiert; der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Sidonie hatte Julia nie gefragt, hegte aber die Vermutung, dass sie bis dahin hart an der Grenze zur Armut gelebt hatte.
»Du vermisst sie sehr, kann das sein?«, fragte Julia aus heiterem Himmel. Sidonie warf ihr einen Blick über die Schulter zu und dachte einen Moment lang über Julias Worte nach. »Ein wenig schon. Sie war das blühende Leben . . .«
Ein furchterregendes Geräusch zerriss die Luft und ließ Sidonie verstummen.
Thomas machte einen panischen Satz von Sidonies Schoß und verkroch sich unter dem Bett, während Julia und Sidonie zum Fenster stürzten und die Vorhänge aufrissen. Der Umzugskarren war verschwunden, und aus einem der Fenster lehnte eine zierliche Rothaarige, die einen Nachttopf in der Hand hielt.
»Schwein!«, schrie sie und ließ die Porzellanschüssel fallen. »Bastard!«
»Herrjemine«, entfuhr es Julia, als sich ein anderes Fenster öffnete und ein weiterer Topf mit einem lauten Knall auf dem Bürgersteig aufprallte und in abertausend Stücke zerschellte. »Bastard! Schwein!«
Sidonie konnte sich ihr Lachen nicht verkneifen, während Julia mit den Schultern zuckte.
»Wer auch immer dein mysteriöser Nachbar ist«, murmelte Julia, »wenn die Gute mit ihm fertig ist, muss er sich erst einmal neues Porzellan kaufen.«
Kapitel 2
In welchem unser Held von einer neuen Plage heimgesucht wird
Mylord?« Lord Devellyn war es, als dränge die Stimme aus weiter Ferne zu ihm. Eine körperlose Stimme. Eine nervtötende Stimme. Der Marquis brummte in der Hoffnung, sie möge verstummen. Er wollte seine Ruhe.
»Bitte, Mylord, öffnen Sie die Augen.«
Devellyns Brummen wuchs sich zu einem Knurren aus.
»Bitte Mylord. Sehen Sie mich an.« In der Stimme schwang nun Ungehaltenheit mit. »Sie können unmöglich hier liegen bleiben.«
»Gestern Abend ist es mir nicht mal gelungen, ihm den Gehrock auszuziehen«, drang eine zweite Stimme durch den Nebel zu ihm. »Meinen Sie, es ist schlimm um ihn bestellt? Sieht aus, als hätte er geblutet. Vermutlich wieder eine Prügelei. Was denken Sie, Honeywell, ist das hier Blut? Hier auf dem Kragen, meine ich.«
»Fenton, wenn Sie es genau wissen wollen, es interessiert mich nicht.« Die erste Stimme klang nun ernsthaft verärgert. »Mylord? Ich sage es ungern noch einmal, aber Sie müssen aufstehen. Zimmermann Brampton und seine Gehilfen sind bereits gegangen. Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten für Sie.«
Schlechte Nachrichten. Zwei Worte, die es schafften, bis zu seinem Verstand vorzudringen. Zwei alte Bekannte. Schlechte Nachrichten. Er hasste diese Wortkombination. Unter großer Kraftanstrengung bracht er ein Blinzeln zustande. Über ihm schwebten vier Augen. Oder waren es sechs?
»Er kommt wieder zu sich, Fenton«, sagte die eine Stimme erleichtert. »Helfen Sie mir, ihn in eine sitzende Position zu bringen. «
Der Marquis spürte, wie vier Arme an ihm rissen, als wäre er ein Sack Mehl, und wie ihm hastig ein Kissen in den Rücken geschoben und seine Füße aufgestellt wurden.
Die beiden Nervensägen hatten es geschafft. Jetzt war er einigermaßen wach.
Fenton, Lord Devellyns Kammerdiener, legte die Stirn in Falten. »Warum haben Sie bei Ihrer Rückkehr nicht direkt nach mir geläutet, Sir?«, erkundigte er sich und rang die Hände. »Es kann doch nicht besonders behaglich sein, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Ganz zu schweigen von der Schweinerei auf dem Boden.«
»Welche Schweinerei?«, murmelte Devellyn und blinzelte.
Sein Butler Honeywell zog einen kleinen Tisch heran, und wie von Zauberhand wurde ein Tablett darauf abgestellt.
»Dort!«, sagte Honeywell. »Wie ich bereits sagte, Mylord. Die Zimmerleute sind fort. Aber ich fürchte, der Fußboden im blauen Salon ist nicht mehr zu retten.«
Fußboden. Welcher Fußboden?
Mit einem süffisanten Lächeln goss Fenton Kaffee in eine Tasse.
»Mir scheint, Ihnen stehen harte Zeiten bevor«, fuhr Honeywell mit unheilvoller Stimme fort und bediente sich eines harten und fast schon unhöflichen Tons.
»Was redet ihr denn da?«, blaffte Devellyn die beiden an und beäugte misstrauisch den Kaffee. »Ich liebe Unannehmlichkeiten, finde sie . . . nehme sie gerne an.«
Honeywell faltete die Hände wie ein frommer Landpfarrer. »Aber Mylord, ich fürchte, das Haus leidet unter...« - umdie Spannung zu steigern, legte er eine Kunstpause ein - ». .. Klopfkäfern. «
Devellyn verschluckte sich fast an seinem Kaffee. »Klopf was? «
»Klopfkäfer,Mylord«,wiederholte der Butler wichtigtuerisch. »Erinnern Sie sich an das Knarzen und Knirschen im blauen Salon? Die Biester haben den Fußboden in einen Schweizer Käse verwandelt und jetzt die beiden Treppenhäuser in Angriff genommen. Stufen, Geländer, einfach alles. Brampton meinte, es könnte schon bald für uns gefährlich werden und schlägt vor, für eine Weile auszuziehen, wenn uns unser Leben lieb ist.«
»Ausziehen?«, wiederholte Devellyn ungläubig.
»Ja, damit wir nicht in den Tod stürzen.«
Devellyn schüttelte das Haupt und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Ein pelziger, brauner Geschmack breitete sich in seinem Mund aus, seinen Schläfen wohnte ein dumpfes Klopfen inne. »Was kann man denn nun tun?«, fragte er nach einer Pause. »Gegen diese Käfer?«
»Sämtliche Böden und Treppen müssen ausgetauscht werden, Mylord.« Devellyn legte die Stirn in Falten.
»Mit anderen Worten, es wird den lieben langen Tag gehämmert und rüpelhafte Burschen trampeln mir mit ihren klobigen Stiefeln auf den Nerven herum. Und dann der ganze Staub. Kruzifix noch mal, wie soll ich das nur überstehen?«
»Wenn Sie mich fragen, führt kein Weg daran vorbei, auszuziehen. « Honeywells Fingerknöchel liefen weiß an.
»Ausziehen?«, japste Devellyn und stellte klirrend die Tasse auf dem kleinen Tisch ab. »Aus der Duke Street ausziehen? Wo sollte ich denn hin, alter Junge?«
Honeywell und Fenton tauschten schnelle Blicke aus. »Naja, es bliebe Ihnen noch immer Bedford Place«, warf der Butler ein. »Sobald Miss Lederly ihre Sachen gepackt hat . . .«
»Das hat sie. Gestern«, brachte Devellyn ihn auf den neuesten Stand, was die beiden Bediensteten mit einem Seufzer der Erleichterung quittierten.
»Fenton könnte sich Ihrer persönlichen Dinge annehmen, während ich mich um den Rest kümmere«, schlug Honeywell vor.
Fassungslos wanderte der Blick des Marquis zwischen den beiden hin und her. »Und was ist mit mir? Habe ich da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?«, fragte der Hausherr leicht gereizt. »Was soll denn dann aus dem Teufel der Duke Street werden? Der Kobold vom Bedford Place? Klingt nicht sonderlich schmeichelhaft, oder?«
Die Götter meinten es gut mit Sidonie. Viel zu früh erreichte sie die Uferpromenade und nutzte die verbleibende Zeit für einen Schaufensterbummel.
Im Vergleich zur Oxford Street oder der Savile Row, wo der Geruch nach Geld förmlich in der Luft hing und die betuchte Kundschaft alles fand, wonach sich ihr verwöhntes Herz sehnte, ging es hier geradezu laut und gesellig zu. Sidonie liebte diesen Abschnitt der Promenade, war es doch einer der wenigen Orte, an dem sich die Wege von Arm und Reich, Schön und Schäbig kreuzten.
Eisenwarenhändler, Buchhändler, Seidenhändler, Kürschner, Phrenologen und Hellseher - sie alle hatten hier die Zelte aufgeschlagen. Neben den zahlreichen Geschäftsmännern tummelten sich an diesem Ende der Uferpromenade aber auch Orangenverkäuferinnen, Straßenhändler, Taschendiebe und etliche Damen des horizontalen Gewerbes. Durch die vielen Jahre auf hoher See und in diversen Häfen der Welt hatte Sidonie keinerlei Berührungsängste. Das war auch der Grund, warum sie einem ärmlich gekleideten Mädchen sechs Orangen abkaufte, für die sie eigentlich keinerlei Verwendung hatte.
Zum Abschluss ihrer kleinen Einkaufstour blieb sie vor den Auslagen eines kleinen, eleganten Geschäftes stehen, an dem man ein pompöses Schild vergebens suchte. Lediglich eine kleine Kupfertafel verriet, was und wer den geneigten Käufer erwartete:
Mr. George Jacob Kemble Händler feinster Unikate und edlen Allerleis
Nachdem Sidonie nichts Ansprechendes im Schaufenster hatte entdecken können, öffnete sie die Tür. Eine kleine Glocke verkündete ihre Ankunft, und ein gut aussehender französischer Jüngling trat umgehend um den Verkaufstresen herum.
»Bonjour, Madame Saint-Godard«, säuselte er und gab ihr einen formvollendeten Handkuss. »Isch 'offe, es geht Sie gut?«
Sidonie schenkte ihm ein Lächeln. »Danke der Nachfrage, Jean-Claude«, antwortete sie und beugte sich über eine gläserne Vitrine. »Nein, wie entzückend! Ist diese Bonbonniere neu?«
»Wir 'aben sie erst bekommen 'erein diese Woche, madame«, antwortete der junge Verkäufer und entblößte seine geraden Zähne. »Wenn madame wünschen, isch Ihnen schicke morgen zu. Sagen wir, als Geschenk? Von Ihre Bruder?«
Sidonie schüttelte den Kopf. Zu Hause stapelten sich bereits die unbezahlten Rechnungen. Und geschenkt konnte sie es auf keinen Fall annehmen. Stattdessen legte sie die Orangen auf den Tresen und sagte: »Hier, Jean-Claude, gönnen Sie sich etwas Gutes. Orangen schützen vor Skorbut.«
Wieder erntete sie ein breites Feixen. »Merci, Madame. Kann es sein, dass diese 'ier stammen von die Marianne mit die großen Augen?«
»Groß ist noch untertrieben«, stimmte Sidonie ihm zu. »Aber sie sind nichts im Vergleich zu dem Loch in ihrem Bauch, fürchte ich.«
»Que faire!«, gab er ihr recht. »Der einzige Begleiter der Kinder, die leben auf die Straße, ist der 'unger.«
»Traurig, aber wahr«, murmelte Sidonie, ehe sie das Thema wechselte. »Jean-Claude, wo steckt eigentlich mein Bruder? Und noch wichtiger: Wie ist es heute um seine Laune bestellt? «
Der Jüngling verdrehte die Augen und sah an die Decke. »Er ist oben und zieht die Koch die Ohren lang. Armer Kerl. Seine Laune ist schlescht wie nur selten. Und das wegen eine eingefallene Soufflé.« Dann senkte Jean-Claude die Stimme und raunte: »Wie sieht es aus, madame? Sie 'aben etwas für misch?«
»Heute nicht, Jean-Claude«, antwortete Sidonie. »Heute bin ich ausnahmsweise nur hier, um mit meinem Bruder und Monsieur Giroux zu Abend zu essen.«
»Dann isch will Sie nischt länger auf'alten«, raunte Jean- Claude, wich zur Seite und deutete auf einen grünen Samtvorhang, der in die hinteren Geschäftsräume und zu den Privaträumen im Obergeschoss führte.
Zwei Stunden später saß Sidonie im Esszimmer ihres Bruders, das sich über den Geschäftsräumen befand, und leerte eine Flasche exquisiten Pinot Noirs. Das Essen war trotz der Krise im Vorfeld vorzüglich gewesen. Vorsichtig streifte sie die Schuhe ab, legte die Füße auf dem Stuhl ihr gegenüber ab und lehnte sich genüsslich zurück. Maurice Giroux, Georges spezieller Freund, stand an der Anrichte und schnitt einen Biskuitkuchen in dünne Stücke, während ein Dienstmädchen eine Karaffe Portwein und zwei Gläser brachte.
»Genieß den Kuchen, Sid, während wir uns ein Glas Portwein genehmigen«, sagte Maurice und reichte ihr einen kleinen Teller. »Er wird dir schmecken. Achte auf den frischen Orangengeschmack.«
Sidonie blickte über den Tisch zu ihrem Bruder. »Lass mich raten«, sagte sie. »Marianne mit den großen Augen?«
George zuckte nur mit den Schultern. »Von irgendetwas muss der Mensch ja leben«, sagte er. »Warum also nicht von Mariannes Orangen?«
Mit einem Glucksen schenkte Maurice den Portwein ein. »George, deiner Schwester machst du so schnell nichts vor.«
»Schon gut, schon gut. Lasst uns jetzt von etwas anderem als meiner Nächstenliebe sprechen«, sagte George und nahm eines der Gläser. »Ich habe schließlich einen Ruf zu wahren.«
Maurice richtete das Wort an Sidonie. »Erzähl mal, Liebes. Was bringt dieser Frühling dir? Hast du derzeit viele Elevinnen? «
Gedankenverloren stocherte Sidonie in ihrem Nachtisch herum und wünschte, sie hätte ebenfalls ein Glas Portwein vor sich. »Also, da wären Miss Leslie und Miss Arbuckle, die beide Klavier lernen und dann noch Miss Debham und Miss Brewster, denen ich Benimmunterricht gebe. Und nicht zu vergessen Miss Hannaday, die weder tanzen noch singen kann, geschweige denn schauspielerisches Talent besitzt. Die Gute kann ein Fischmesser nicht von einem Vorspeisenmesser unterscheiden - und das, obwohl sie in Bälde den Marquis of Bodley heiraten soll. Es ist der ausdrückliche Wunsch ihres Vaters.«
»Gütiger Gott!«, entfuhr es George. »Ausgerechnet diesen alten Wüstling? Der ist doch so gut wie bankrott.«
Sidonie nickte. »Das arme Mädchen tut mir besonders leid. Sie hat nur noch bis August Zeit, um alles Wichtige zu lernen.«
»Sprechen wir von der Familie Hannaday, die sich im Teehandel einen Namen gemacht hat?«
Sidonie nickte. »Genau die. Du solltest mal ihren Palast in der Southampton Street sehen.«
»Bei Bodley sieht das Ganze etwas anders aus. Der Gute ist bis über beide Ohren verschuldet, und die Hypotheken auf seine Ländereien graben ihm allmählich das Wasser ab«, berichtete George schadenfroh. »Die Ländereien in Essex gehören bereits seinen Gläubigern.«
Maurice nickte. »Und dann ist da noch diese hässliche Sache mit den zehntausend Pfund, die er letzte Woche im White's an Mister Chartres verloren hat«, fügte er hinzu. »Im Grunde müsste er zehn reiche Erbinnen heiraten, um nicht in Schul- denzuertrinken.«
»Dann kommt Miss Hannadays Rettungsring im Wert von dreihunderttausend Pfund ja genau richtig«, sagte Sidonie.
»Dieser Bodley ist ein widerlicher Perversling«, sagte George angewidert und nippte an seinem Dessertwein.
»Wie meinst du das?«, wollte Sidonie wissen.
»Bodley ist nicht nur ein aufgeblasener Aufschneider, nein. Auch in sexueller Hinsicht ist er ziemlich ausgebufft«, sagte ihr Bruder leise und stellte das Glas vor sich ab. »Lasst uns hoffen, dass der alte Hannaday nie Wind von Bodleys Vorliebe für blutjunge Marineoffiziere bekommt.«
»Du meine Güte!« Sidonies Hand flog zu ihrem Herzen. »Wie . . . wie findet er denn seine . . .«
»Seine Partner, meinst du?«, half Maurice ihr aus.
»Äh, ja.«
Maurice zuckte mit den Schultern. »Wenn sie willig sind - oder dringend Geld benötigen - kann man sie im St.-James- Park aufgabeln.«
»St. James?«, wiederholte sie ungläubig.
Maurice und George tauschten vielsagende Blicke aus.
»Sidonie, Gentlemen, die nach einer pikanten Art der fleischlichen Liebe suchen, treffen sich an Orten, die nur Eingeweihte kennen«, klärte ihr Bruder sie auf. »In jüngster Zeit ist es der St.-James-Park. Man tut, als ginge man spazieren und signalisiert die eigenen, äh, Vorlieben entweder mit einem Taschentuch, das man in der linken Gehrocktasche trägt, oder indem man die Hand in eine Westentasche steckt.«
»Dein Bruder hat recht«, sagte Maurice. »Aber es geht das Gerücht um, dass nicht alle von Bodleys Partnern sich ihm freiwillig hingeben. Es heißt, er hat einen Schlepper engagiert und dass er seine Opfer erpresst.«
»Manche tappen in die Falle, weil sie arm sind und auf einen schnellen Taler hoffen«, sagte George mit leiser Stimme.
Maurice nickte. »Hin und wieder zieht es ihn zu jungen Mädchen hin«, sagte er. »Der Bastard kennt jede Kupplerin östlich der Regent Street.«
Sidonie schauderte es. »Wie entsetzlich«, stammelte sie, die Hand noch immer auf die Brust gelegt. »Maurice, ich fürchte, ich bin im Begriff, dich um etwas höchst Undamenhaftes zu bitten. Sei so lieb und schenk mir auch ein Glas Portwein ein. Die arme Miss Hannaday! Jetzt wünsche ich mir fast, sie wäre doch mit ihrem Schiffskaufmann durchgebrannt.«
»Schiffskaufmann?« Maurice drehte sich zu ihr um, ein sauberes Glas in der Hand.
»Sie hat etwas mit einem Schiffskaufmann?«, wunderte sich auch George.
Sidonie nickte und sah von einem zum anderen. »Charles Greer«, sagte sie. »Er arbeitet für ihren Vater. Die beiden sind vollkommen vernarrt ineinander. Selbstredend möchte Mr. Hannaday nichts davon hören, hat er doch anderweitige Pläne für seine Tochter.«
George legte die Hand hinter das Ohr. »Ich glaube, ich kann Gretna Green rufen hören«, gluckste er. »Richte Mr. Greer aus, er sollte sich nicht zu lange Zeit lassen, seine Angebetete vor den Altar zu führen.«
»Du meinst, sie sollten durchbrennen?«, fragte Sidonie. »George, das kann unmöglich dein Ernst sein.«
Maurice, der ihr ein Glas Portwein reichte, sagte mit einem Seufzen: »Ich fürchte, es ist sein bitterer Ernst. Es gibt Schlimmeres als ein Leben in Mittellosigkeit.«
»Bodley, zum Beispiel«, pflichtete ihm George bei. »Vergiss nicht, dass er mindestens doppelt so alt ist wie deine Miss Hannaday. «
Sidonie blickte von George zu Maurice und wieder zurück. »Aber ihr Vater wird sie enterben, wenn sie davonläuft«, sagte sie. »Und den Angestellten wird er entlassen.«
George zuckte mit den Achseln. »Der Gute wird sich wieder abregen. Spätestens wenn das erste Enkelkind das Licht der Welt erblickt.«
»Mag sein, aber was, wenn nicht?«, gab Maurice zu bedenken. »Ist dieser Charles wenigstens ein Mensch von Anstand?«
»Nun ... ja.«
»Ganz sicher?«
»Nun ja, ich habe ihn nur einmal gesehen«, antwortete Sidonie. »Er machte einen eher ernsten und leicht unbeholfenen Eindruck. Aber ich glaube schon, dass er es aufrichtig mit ihr meint.«
George hob eine Schulter. »Sid hat eine gute Menschenkenntnis. «
Maurice spülte den Rest seines Digestivs hinunter. »Wenn dem so ist, werde ich mal sehen, was ich für das junge Liebespaar tun kann. Vielleicht kann ich ihm eine neue Arbeit besorgen. «
Sidonie war außer sich vor Freude. »Das würdest du tun, Maurice? Aber wieso?«
Maurice warf ihr ein sentimentales Lächeln zu. »Weil ich ein großes Herz habe. Vor allem für unglücklich Verliebte«, sagte er. »Wie der Zufall es will, hat der alte Hallings darum gebeten, im Oktober pensioniert zu werden. Sollte der Jüngling etwas von Buchhaltung verstehen, kann er für mich arbeiten. Viel kann ich ihm nicht zahlen, Darling, aber wir können die Kleine doch nicht verhungern lassen.«
»Das ist ja wunderbar!«, rief Sidonie und hatte das Gefühl, ihr Herz wäre von einem Wirbelwind erfasst worden. »Wenn es euch nicht gäbe, müsste man euch erfinden. Vor allem, weil ihr immer über den neuesten Klatsch informiert seid.«
Maurice tätschelte Sidonies Hand. »Wir wissen eben genau, welche Quellen es anzuzapfen gilt, meine Liebe.«
Sidonie lachte. »Manchmal frage ich mich, ob es etwas gibt, das ihr beide nicht wisst - oder nicht in Erfahrung bringen könnt.«
»Natürlich nicht«, entgegnete George.
»Da wir gerade von Skandalen, Gerüchten und Entdeckungen sprechen!«, sagte Maurice mit einem Blinzeln und lehnte sich verschwörerisch nach vorne. »Mir ist da etwas zu Ohren gekommen, das gleich alle drei Kriterien erfüllt. Wollt ihr mehr darüber wissen?«
»Und ob«, drängte George ihn.
»Ratet mal, wer gestern Abend ein Stelldichein mit dem Schwarzen Engel hatte!«
»Keine Ahnung«, schwindelte Sidonie. »Sag es uns, Maurice.«
Maurice grinste verschlagen. »Lord Francis Tenby, der kleine Aufschneider.«
George verdrehte enttäuscht die Augen. »Es gibt andere, die es mehr verdient hätten.«
Maurice rümpfte die Nase. »Geschieht im ganz recht. Er hat einen entsetzlichen Geschmack, wenn es um Westen geht«, sagte er. »Der Bengel hat natürlich alles daran gesetzt, seine Begegnung mit dem Schwarzen Engel zu vertuschen, aber es ist trotz aller Vorsichtsmaßnahmen durchgesickert. Ich liebe Hauspersonal, das den Mund nicht halten kann.«
George murrte. »Und was genau wusste es zu berichten?«
Maurice beugte sich noch weiter nach vorne. »Dass der Schwarze Engel ihm die Krawattennadel abgenommen hat, die an die hundert Pfund wert ist«, raunte er. »Und dass sie den Guten ausgezogen, gefesselt und geknebelt hat, ehe sie sich aus dem Staub gemacht hat.«
»Gefesselt und geknebelt? Nackt?«, murmelte Sidonie. »Klingt faszinierend. Was wisst ihr über den Schwarzen Engel? Hat man eine Ahnung, wer dahinter steckt?«
»Eine Mätresse, der man übel mitgespielt hat«, meinte Maurice. »Sie könnte aber auch Schauspielerin sein, weil sie jedes Mal anders aussieht.«
Sidonie lächelte gequält. »Haben die unglückseligen Opfer denn den blassesten Schimmer, warum es ausgerechnet sie trifft?«
Maurice und George tauschten Blicke aus. »Wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, hält sich der Schwarze Engel für eine Art weiblicher Robin Hood.«
Sidonie hob eine Augenbraue. »Weiß man schon, wer von ihren Beutezügen profitiert?«
Sie bemerkte ein leichtes Flackern im Blick ihres Bruders. »Ganz sicher bin ich mir nicht.«
»Sag jetzt bitte nicht, dass du in diesem Fall an deine Grenzen stößt, George«, zog Sidonie ihn auf. »Scheint, als wüsstest du doch nicht über alles Bescheid.«
»Nein, nein, da hast du etwas falsch verstanden«, korrigierte er sie. »Wenn ich gewillt wäre, würde ich im Handumdrehen herausfinden, wer sie ist und wem sie hilft. Aber ich habe nicht vor, ihr in die Quere zu kommen.«
Sidonie fing seinen Blick auf und sah ihn herausfordernd an. »Nun gut«, sagte sie. »Aber es gäbe da etwas anderes, das du vielleicht für mich in Erfahrung bringen könntest.«
»Kommt darauf an«, ließ George verlauten. »Worum geht es denn?«
»Ich wüsste gerne, wem das Haus auf der anderen Straßenseite vom Bedford Place gehört. Das Haus mir gegenüber. «
Ihr Bruder lehnte sich zurück und sah sie an. »Für gewöhnlich interessiere ich mich nicht dafür, wer welche Besitztümer verwaltet, Sid.«
»Ach, George, bitte. Das ist doch eine deiner leichtesten Übungen, nicht wahr?«, bekniete sie ihn. »Wenn mich nicht alles trügt, gehört es einem Gentleman, der dort seine Mätressen einquartiert.«
»Aha!«, sagten Maurice und George wie aus einem Mund.
»Ständig wird dort ein-oder ausgezogen«, erklärte Sidonie ihnen. »Es würde mich einfach nur interessieren, wer dahinter steckt.«
»Welche Hausnummer?«, wollte George wissen.
»Siebzehn.«
Maurice legte die Stirn in Falten. »Wie sieht die Frau aus, die momentan dort wohnt? Ist es eine Blondine? Eine Brünette? «
Sidonie schüttelte den Kopf. »Weder noch. Sie ist rothaarig und - wenn man dem Nachtwächter glaubt - von Beruf Schauspielerin «, antwortete sie. »Die Gute ist heute Nachmittag ausgezogen. Vor ihr hat er sich eine Blondine gehalten und davor eine italienische Tänzerin. Ich glaube, sie hieß Maria. Das arme Ding ist tränenüberströmt aus dem Haus gelaufen. Allmählich drängt sich mir der Verdacht auf, dass der Eigentümer eine wahre Bestie sein muss.«
George machte ein Gesicht, als wäre ihm das Abendessen nicht bekommen. »Das muss Lord Devellyn sein«, sagte er leise und blickte zu Maurice.
»Erzähl uns mehr von ihm, Sidonie. Ist er groß?«, wollte Maurice wissen.
Sidonie zuckte die Achseln. »Ich habe ihn nie gesehen«, sagte sie. »Er fährt stets in einer Kutsche vor.«
George schwenkte das Glas in seiner Hand und blickte an die Decke. »Eine Kutsche mit Insignien?«
»Ja.«
»Kannst du sein Wappen beschreiben?«, fragte George.
Sidonie schloss die Augen und versuchte, sich so gut es ging zu erinnern. Bruchstückhaft beschrieb sie, was sie noch wusste.
»Das ist er«, nickte George schließlich. »Daran besteht kein Zweifel.«
»George hat recht«, bekräftigte Maurice. »Erst letzte Woche war er bei mir, um sich eine neue Weste schneidern zu lassen. Dabei sah ich zufällig seine Kutsche vorfahren.«
Sidonie legte die Serviette auf dem Tisch ab. »Hervorragend! «, sagte sie entzückt. »Wisst ihr zufällig auch, in welchem Club dieser Lord Devellyn verkehrt?«
George warf ihr einen misstrauischen Blick zu, antwortete ihr aber dennoch: »Im Beefsteak, dem Jachtclub und dem MCC«, zählte er auf. »Aber warum interessiert dich das?«
»Essen, segeln und Cricket!«, murmelte Sidonie, ohne auf die Frage ihres Bruders einzugehen. »Ein recht vielseitiger Bursche, wie mir scheint. Was ist mit Glücksspielen?«
»Er spielt für sein Leben gern«, antwortete Maurice. »Meistens im Crockford's.«
Sidonies Augen weiteten sich. »Nicht gerade eine Lokalität, die einen sonderlich guten Ruf genießt.«
»Aber das ist längst noch nicht alles. Er schreckt auch nicht davor zurück, in den heruntergekommensten Schenken einzukehren, um sich volllaufen zu lassen. Stil ist für diesen ungehobelten Kerl ein Fremdwort.«
»Entschuldige, wenn ich dir widerspreche, George«, sagte Maurice und deutete mit dem Finger auf sich selbst. »Vergiss nicht, dass er seine Westen stets bei mir kauft.«
»Wie heißt es so schön im Volksmund: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn«, sagte George verächtlich. »Aber hast du mir nicht erzählt, sein Kammerdiener würde die Stoffe für ihn aussuchen?«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle. Verratet mir lieber, wo dieser Devellyn wohnt«, flehte Sidonie die beiden an.
»Gütiger Gott, Sidonie!« George machte einen leicht genervten Eindruck. »Er trägt nicht umsonst den Spitznamen
Teufel der Duke Street«, seufzte er und trommelte ungehalten mit den Fingern auf den Tisch. »Ich wäre Euch wirklich dankbar, wenn wir langsam das Thema wechseln könnten! «
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Autoren-Porträt von Liz Carlyle
Liz Carlyles große Leidenschaft gilt dem England des 19. Jahrhunderts, den rauschenden Bällen und den festlich gewandeten Damen. Auf ihren zahlreichen Reisen nach England hat die Autorin ihr Korsett und ihre Tanzschuhe stets im Gepäck - auf eine Einladung zu einem Ball wartet sie allerdings immer noch. Dafür kennt sie mittlerweile so ziemlich jede dunkle Gasse und jedes zweifelhafte Wirtshaus in London. Liz Carlyle lebt mit ihrem Ehemann und mehreren Katzen in North Carolina, USA.Auf Liz Carlyles englischsprachiger Homepage www.lizcarlyle.com erhalten Sie weitere Informationen über die Autorin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Liz Carlyle
- 2013, 1, 1600 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863655796
- ISBN-13: 9783863655792
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