Doppelband "Steirerblut" und "Steirerherz"
Zwei Alpen-Krimis
Wie alles begann: die ersten beiden Steirer-Krimis der österreichischen Bestsellerautorin in einem Band: LKA-Beamten Sandra Mohr hat es mit rätselhaften Frauenmorden zu tun. Hochspannnung mit Lokalkolorit!
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Produktinformationen zu „Doppelband "Steirerblut" und "Steirerherz" “
Wie alles begann: die ersten beiden Steirer-Krimis der österreichischen Bestsellerautorin in einem Band: LKA-Beamten Sandra Mohr hat es mit rätselhaften Frauenmorden zu tun. Hochspannnung mit Lokalkolorit!
- Steirerblut: Die grausam zugerichtete Leiche der Journalistin Eva Kovacs gibt Sandra Mohr Rätsel auf.
- Steirerherz: Die hübsche Studentin Valentina Trimmel wurde gepfählt und wie eine Vogelscheuche auf dem Kürbisacker ihres Vaters aufgestellt. Hochspannung mit bodenständigem Lokalkolorit.
Lese-Probe zu „Doppelband "Steirerblut" und "Steirerherz" “
Steirerblut/Steirerherz von Claudia RossbacherSteirerblut Kapitel 2 - Freitag, 17. September
»Sie haben den Hund also gehört, sich aber nichts weiter dabei gedacht?«, wiederholte Bergmann die Antwort der Wirtin.
»Dass er überhaupt gebellt hat, fällt Ihnen reichlich spät ein.«
»Das Hundsviech schlägt in der Nacht wegen jeder Fliege an. Das ist doch nichts Besonderes«, rechtfertigte sich Mizzi, die mit den beiden Kriminalbeamten am Frühstückstisch saß, nachdem zuvor ihr Sohn noch einmal ausführlich befragt worden war.
»Fliegen pflegen des Nächtens zu schlafen«, belehrte Bergmann sie und versuchte aufs Stichwort, die Stubenfliege auf dem Tisch mit der bloßen Hand einzufangen. Das lästige Insekt war schneller als er. Es entkam, um wenig später wieder auf dem Tischtuch zu landen und das Frühstück fortzusetzen. Franziska Edlinger servierte Bergmann die zweite Tasse Kaffee. Mizzi starrte den Kriminalbeamten immer noch verständnislos an.
»Michl hat uns schon erzählt, dass Mephisto nachts oft bellt«, erklärte Sandra.
»Noch eine Frage, Frau Oberhauser: Wieso haben Sie eigentlich in aller Herrgottsfrüh die Böden im Erdgeschoss aufgewaschen?«
»Franziska war nicht da. Also hab ich das übernommen. «
»Um sechs Uhr morgens?«, fragte Bergmann ungläubig. Mizzi zuckte mit den Schultern.
»Damit die Böden noch vor dem Frühstück trocken sind«, bestätigte sie erneut. Was aus ihrem Mund so selbstverständlich klang, konnte Bergmann nicht begreifen.
»Aber warum denn dieser Aufwand? Wegen eines einzigen Frühstücksgasts? «, fragte er verständnislos.
»In meinem Gasthof ist es immer sauber. Egal, wie viele Gäste da sind. Wir sind ja hier nicht im Saustall.
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Aber wenn Sie es genau wissen wollen: Zuerst wollte ich nur die Gaststube aufwaschen, das war nämlich dringend notwendig. Und weil ich schon mal dabei war, hab ich gleich den ganzen Flur, die Gästetoiletten und den Korridor sauber gemacht.«
»Alles in einem Aufwasch quasi«, meinte Bergmann.
»Ist Putzen vielleicht ein Verbrechen?«, fragte Mizzi missmutig.
»Nein. Natürlich nicht«, antwortete Sandra und sah dabei die ankommende Franziska an.
»Hast du nachher noch ein paar Minuten Zeit für mich?«, fragte sie die große, stämmige Frau, die mit ihr die Schulbank gedrückt hatte. Franziskas schwammiges Gesicht wirkte noch blasser, als sie es in Erinnerung hatte. Ihre klobige Hand zitterte, während sie die Kaffeetasse vor Bergmann abstellte. Sie nickte stumm, dann humpelte sie in Richtung Küche, in der sie schließlich wieder verschwand.
»Sie ist mit den Nerven völlig am Ende«, berichtete Mizzi.
»Du weißt doch, dass sie sehr sensibel auf so was reagiert. So ein grausliches Verbrechen …«, sagte die Wirtin zu Sandra.
»Meinen Sie damit den Mord an Eva Kovacs oder den Missbrauch an Frau Edlinger durch den eigenen Vater seinerzeit?«, fragte Bergmann und beobachtete seelenruhig, wie der Zucker aus dem bunt bedruckten Säckchen in seinen schwarzen Kaffee rieselte. Das war einer jener wenigen Momente, in denen Sandra die Kaltschnäuzigkeit ihres Kollegen bewunderte. Mizzi schnappte nach Luft und sah erst Bergmann, dann Sandra an.
»Hast du ihm das unbedingt erzählen müssen?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Ja, Mizzi. Als Kriminalbeamtin musste ich das tun. Aber falls es dich beruhigt, der Missbrauch an der Franzi ist längst verjährt. Es gab damals weder eine Anzeige noch einen offiziellen Strafantrag, wie du dich sicher erinnerst.« Bergmann sah Sandra von der Seite an und wandte sich wieder ab, bevor sich ihre Blicke treffen konnten. Sandra wusste selbst, dass ihre Antwort fast wie eine Entschuldigung geklungen hatte. Dieses verdammte Kaff und seine Bewohner ließen sie immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Ob sie es wollte oder nicht. Sie fürchtete sich schon davor, was das morgige Mittagessen bei der Mutter in ihr auslösen würde. Hoffentlich blieb ihr wenigstens Mike erspart. Es reichte schon, dass er für heute auf dem Programm stand, wenn auch nur dienstlich, was die bevorstehende Begegnung zumindest ein wenig erträglicher erscheinen ließ.
»Was wurde eigentlich aus dem alten Edlinger? Lebt der Mann noch?«, fragte Bergmann.
»Ja«, antwortete Sandra, die Max am Abend zuvor ausführlich zu den Edlingers befragt hatte. Bevor sie wie ein alberner Teenager mit ihm herumgeknutscht hatte, worüber sie sich heute noch mehr ärgerte als gestern.
»Franzis Mutter ist inzwischen verstorben, die Geschwister sind längst weggezogen«, konzentrierte sie sich wieder auf den Fall.
»Fritz Edlinger hat vor einigen Monaten einen Schlaganfall erlitten«, erzählte sie weiter.
»Er kann seither weder sprechen noch sich bewegen. Die Franzi wohnt bei ihm im Haus und pflegt ihn.«
»Sie kümmert sich um ihren alten Vater, so gut sie kann. Wie es sich für eine brave Tochter eben gehört.« Mizzi nickte zustimmend. Brave Tochter? Sandra traute ihren Ohren nicht. Selbst Bergmann schien zu dieser Aussage kein spontaner Kommentar einzufallen. Hatte Franziska ihrem Peiniger wirklich verziehen und opferte sich, nach allem, was er ihr angetan hatte, auch noch für ihn auf? Oder war sie so sehr ihrer Opferrolle verhaftet, dass sie noch immer nicht anders konnte, als den Bedürfnissen des Täters zu entsprechen? Selbst wenn dieser nur dahinvegetierte und gar nicht mehr in der Lage war, sich zu äußern.
»Der Fritz hat außer der Franzi auch noch eine mobile Pflegehilfe«, fuhr Mizzi fort.
»Die Frau Gerlinde von der Caritas schaut morgens und abends bei ihm rein. Das haben die beiden dem Michl zu verdanken. Überhaupt hilft er ihnen, wo er nur kann. Er ist ja so ein braver Bub, mein Michl. Weißt du übrigens schon, dass er die Franzi im nächsten Mai heiraten wird?«, meinte sie zu Sandra. Bevor sie antworten konnte, war Bergmann zur Stelle.
»Na, gratuliere.« Am Tonfall erkannte Sandra, dass sein Sarkasmus zurückgekehrt war. Die Welt war wieder in Ordnung.
»Wie meinen S’ denn das?«, fragte Mizzi skeptisch. Auch ihr war nicht entgangen, dass seine Glückwünsche nicht ganz ehrlich gemeint waren. Bergmann ließ den Löffel langsam in seiner Tasse kreisen und folgte mit den Blicken der rotierenden Flüssigkeit.
»Das meine ich genau so, wie ich es gesagt habe«, erwiderte er emotionslos.
»Hören Sie mal: Die Franzi ist ein braves Dirndl. Auch wenn sie manchmal schwache Nerven hat. Und mein Michl ist ein herzensguter Kerl. Wissen Sie, wir am Land halten noch zusammen, egal was passiert. Gemeinsam schaffen wir nämlich alles. Da könnts ihr Stadtleut euch noch einiges abschneiden. Ihr kennts doch nicht einmal eure nächsten Nachbarn!«, schimpfte die Wirtin. Sandra wusste nur allzu gut, was Mizzi meinte. Genau vor dieser eingeschworenen Dorfgemeinschaft, der man einfach nicht entkommen konnte, war sie damals geflüchtet.
»Beruhigen Sie sich bitte, Frau Oberhauser. Ich weiß doch, dass bei Ihnen die Welt noch in Ordnung ist. Solange man alles Unangenehme vertuscht. Dummerweise haben wir es hier mit einem Mord zu tun. Der lässt sich nicht so einfach unter den Teppich kehren. Tut mir leid. Da müssen wir hart bleiben.« Bergmann hatte es auf den Punkt gebracht. Das hatte gesessen. Mizzi stand die Zornesröte im Gesicht.
»Tun Sie, was Sie tun müssen. Aber behandeln Sie uns gefälligst mit ein wenig mehr Respekt. Mir ist es wurscht, wer Sie sind. Von einem Großkopferten wie Ihnen lass ich mich nicht beleidigen. Auch nicht, wenn Sie ein Kriminaldings- was-weiß-ich-denn-was sind. Sind Sie jetzt endlich fertig mit Ihrer depperten Fragerei? Ich muss nämlich in die Kuchl.«
»Geh, Mizzi. Der Herr Chefinspektor hat es doch nicht so gemeint.« Natürlich hatte Bergmann es genau so gemeint. Warum, um alles in der Welt, versuchte Sandra schon wieder zu schlichten?
»Warum denn so versöhnlich heute, Frau Kollegin? So kenn ich dich ja gar nicht«, fragte Bergmann, nachdem die wütende Wirtin in der Küche verschwunden war.
»Ich mag auch nicht, was St. Raphael aus mir macht. Deswegen bin ich unter anderem von hier weggezogen.« Sandra seufzte. So ehrlich hatte sie ihm nicht antworten wollen. Zum Glück schwieg er, während sie ihren Tee austrank. Sie musste ihr altes Ich ganz schnell wieder begraben. Franziska kehrte aus der Küche zurück und hantierte hinter der Schank.
»Ich befrage noch schnell Franziska Edlinger, bevor wir aufbrechen. Alleine, wenn du nichts dagegen hast. Ich befürchte nämlich, dass deine Befragungsmethoden bei ihr einen Nervenzusammenbruch auslösen könnten «, flüsterte Sandra ihm zu.
»Hältst du mich denn wirklich für so unsensibel? Das enttäuscht mich aber schon ein wenig.« Bergmann griff in die Jacke, die über der Lehne seines Stuhls hing, und zauberte eine Zigarette hervor.
»Geh doch schon mal hinaus eine rauchen. Ich komm dann gleich nach«, schlug Sandra vor.
»Bin schon fort.« Bergmann kippte den restlichen Kaffee in einem Zug hinunter und steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel. Dann stand er auf und strebte der Tür entgegen.
»Aber bitte nicht im Auto rauchen«, rief Sandra ihm hinterher. Bergmann winkte ihr, ohne sich umzudrehen, und verließ den Gasthof durch den Haupteingang. Sandra wandte sich an Franziska.
»Magst du dich nicht kurz zu mir setzen? Es dauert bestimmt nicht lang.« Franziska sah sie unsicher an, stellte das saubere Glas ab, das sie eben aus der Spülmaschine genommen hatte, und humpelte zu Sandra an den Tisch.
»Ich muss dich fragen, was du am 15. September zwischen zwei und halb vier Uhr morgens gemacht hast. Reine Routinefrage, du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, versuchte Sandra ihr Gegenüber zu beruhigen. Franziska räusperte sich, bevor sie leise antwortete.
»Ich war in meinem Bett und habe geschlafen.«
»Kann das irgendjemand bezeugen?« Franziska schüttelte den Kopf und sah auf ihre rissigen Hände.
»Der Vater kriegt nimmer viel mit. Die Gerlinde – das ist seine Pflegerin – hat sich kurz nach zwanzig Uhr bei mir verabschiedet. Das weiß ich so genau, weil kurz darauf meine Lieblingskrimiserie angefangen hat.«
»Und danach bist du nicht mehr aus dem Haus gegangen? « Franziska schüttelte den Kopf, während sie die Krümel am Tischtuch zusammenkratzte.
»Nein. Ich hab mich am Heimweg verknöchelt. Beim Radlfahren«, erklärte sie.
»Und der Michl war in der Tatnacht auch nicht mehr bei dir auf Besuch?« Franziska sah Sandra erschrocken an und bekreuzigte sich. In ihren Augen standen Tränen. Das Verbrechen schien ihr wirklich schwer zuzusetzen. Immerhin war sie selbst ein Opfer sexuellen Missbrauchs, vergegenwärtigte sich Sandra und beschloss, das Gespräch in eine erfreulichere Richtung zu lenken.
»Schon gut, Franzi. Ich meinte ja nur, weil ihr doch im kommenden Mai heiraten wollt. Ich finde das übrigens großartig. Gratuliere euch beiden von Herzen!« Sandra schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. Franziska wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und bedankte sich kaum hörbar. Ihre bleichen Wangen hatten auf einmal eine rosige Farbe angenommen, was ihr – wie früher so oft – eine gewisse Ähnlichkeit mit Miss Piggy verlieh, wenngleich sie heute keine hellblonde Lockenmähne mehr trug, sondern eine aschblonde, ausgefranste Kurzhaarfrisur, die vor allen Dingen eines war, nämlich praktisch. Franziska lächelte zaghaft.
»Kann ich dann den Tisch abräumen?«, fragte sie.
»Sicher, gleich. Wir sind hier sofort fertig. Nur noch eine Frage: Hattest du Kontakt mit Eva Kovacs? Ich meine, bist du ihr jemals persönlich begegnet – vor ihrem Tod?« Noch einmal bekreuzigte sich Franziska. Sandra erinnerte sich daran, dass ihr Gegenüber immer schon sehr religiös gewesen war. Ob der Glaube ihr auch geholfen hatte, ihr Schicksal zu bewältigen und ihrem Peiniger zu vergeben? Oder war ihre Gottgläubigkeit der Grund, dass sie ihren Vater geradezu zwanghaft ehrte, wie es die zehn Gebote forderten, obwohl er der Letzte war, der Respekt verdiente?, grübelte Sandra.
»Ich bin dieser Frau nur ein einziges Mal begegnet. Die Mizzi hat mich gleich nach ihrer Ankunft in ihr Zimmer geschickt, um ihr einen Kaffee zu bringen. Sie hat mir dafür zehn Euro gegeben. Der Rest sei für mich, hat sie gesagt.«
»Ziemlich großzügig. Und wann war das?«
»Um halb fünf, in etwa.«
»Und wie lange hast du an diesem Tag gearbeitet?«
»Bis sechs, dann bin ich nach Hause gefahren.«
»Mit dem Fahrrad – und hast dir dabei den Knöchel verletzt«, wiederholte Sandra. Franziska nickte.
»Hast du einen Hausschlüssel vom Gasthof?«, wollte Sandra wissen.
»Nein. Die Mizzi mag nicht, dass die Angestellten Schlüssel haben.«
»Die Branka hat also auch keinen?«
»Die schon gar nicht. Die Branka ist doch Ausländerin, da ist die Mizzi ganz besonders vorsichtig.« Sandra beschloss, die Bemerkung zu ignorieren. Die Vorurteile gegenüber Ausländern, auch wenn diese längst österreichische Staatsbürger waren, waren den St. Raphaelern einfach nicht auszureden. Das hatte sie schon damals immer wieder vergeblich versucht und es irgendwann aufgegeben.
»Und wo warst du gestern und vorgestern?«
»Zu Hause. Wegen meinem Knöchel. Ich hab immer wieder für die arme Frau gebetet.« Franziska bekreuzigte sich zum dritten Mal an diesem Morgen.
»Wann und wie hast du denn von der Tat erfahren?«
»Gleich in der Früh, so um halb acht – von der Gerlinde. « Die stille Post von St. Raphael funktionierte also immer noch hervorragend.
»Alles klar, Franzi. Noch eine Bitte hätte ich an dich: Kannst du heute irgendwann in der Polizeiinspektion vorbeischauen? Wir brauchen deine Fingerabdrücke.« Franziskas Augen weiteten sich erneut vor Schreck.
»Auch das ist reine Routine. Die Abdrücke vom Michl und der Mizzi haben wir schon am Mittwoch genommen. Die von Vilko und Branka auch. Jetzt fehlen nur noch deine, damit wir die Spuren aus dem Gästezimmer abgleichen und jene des Täters herausfiltern können.« Franziska nickte.
»Na, gut. Dann schau ich am Nachmittag vorbei, gleich nach dem Mittagessen.«
»Fein. Wir sehen uns also später.« Sandra erhob sich, um mit Bergmann in die Polizeiinspektion zu fahren. Die morgendlichen Befragungen hatten sie keinen Schritt weitergebracht. Weder Michl noch Mizzi oder Franziska hatten ihnen brauchbare Hinweise liefern können. Vielleicht würde Mike für neue Erkenntnisse sorgen, dem sie auf ihrem Weg ins Büro einen Überraschungsbesuch abstatten wollten. Es war anzunehmen, dass ihr arbeitsloser Halbbruder noch im Bett lag und seinen Rausch ausschlief. Zum ersten Mal war Sandra dankbar, dass Bergmann an ihrer Seite war, um die Befragung zu übernehmen.
Steirerherz Kapitel 1 - Freitag, 26. August
»Zwischen Krottendorf und Ligist … Ja, ich kenne die Straße. Wir sollten in einer halben bis dreiviertel Stunde dort eintreffen. Pfiat di, Lubensky.« Abteilungsinspektorin Sandra Mohr beendete ihr morgendliches Telefongespräch mit der Einsatzzentrale des Landespolizeikommandos Steiermark, ehe sie das Handy in die Halterung der Freisprecheinrichtung steckte und den silbergrauen VW Passat startete. Als Nächstes würde sie ihren Partner abholen und die Stadt verlassen. Hoffentlich noch, bevor der Morgenverkehr einsetzte. Die sommerlichen Baustellen sorgten noch immer für nervenaufreibende Verkehrsverzögerungen auf dem Grazer Joanneumring und auf der A2, die sie nehmen musste, um zum Einsatzort in der Weststeiermark zu gelangen. Vor allem in der Landeshauptstadt war es selbst mit Blaulicht mühsam, sich durch den Stau zu quälen, waren die Straßen erst einmal verstopft. Als Sandra Mohr den zivilen Dienstwagen in die Sterngasse lenkte, sah sie den Kollegen bereits auf dem Gehsteig warten. In der linken Hand hielt Sascha Bergmann den obligaten Pappbecher mit Kaffee, mit der Rechten zündete er sich eben eine Zigarette an. Sandra bremste den Wagen direkt neben dem Chefinspektor ab und ließ das Fenster auf der Beifahrerseite hinunter, während er seelenruhig einen Schluck Kaffee nahm, um hernach noch genussvoll an seiner Zigarette zu ziehen.
»Jetzt steig schon ein, Sascha!«, drängte sie ihn.
»Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Liebling«, säuselte Bergmann übertrieben freundlich und schnippte die Zigarette mit zwei Fingern ins Kanalgitter. Dann stieg er endlich in den Wagen. Sandra gab Gas und fuhr in Richtung Stadtausfahrt.
»Ich dachte, du hättest dir das Rauchen ein für alle Mal abgewöhnt«, rügte sie ihn.
»Offensichtlich hab ich wieder damit angefangen«, meinte er lakonisch und schnallte sich an.
»Und? Welche Leiche hat es denn heute so eilig?«, lenkte er das Thema in berufliche Bahnen. Sandra seufzte. Die Tote, die nach Sonnenaufgang auf dem Acker ihrer Eltern aufgefunden worden war, war gerade einmal 19 Jahre alt gewesen, hatte ihr Lubensky soeben berichtet. Sandra wusste auch, dass die Kollegen von der Polizeiinspektion Krottendorf-Gaisfeld den Einsatzort bereits abgesperrt hatten und die Spurensicherung unterwegs war.
»Wir haben es eilig, nicht die Leiche. Wegen dieser Scheißbaustellen«, echauffierte sie sich und wechselte zügig die Spur.
»Wer wurde denn ermordet? Und wie?«, wollte Bergmann wissen.
»Eine junge Frau. Lubensky hat von einem möglichen Ritualmord gesprochen. Die zuständigen Kollegen sind komplett überlastet, deshalb haben sie gleich uns verständigt«, erklärte Sandra.
»Als ob wir im LKA nicht auch genug zu tun hätten«, setzte sie hinzu und seufzte erneut.
»Ein Ritualmord? Interessant. Und wer ist das Opfer?«
»Die Tochter eines Landwirts. Valentina Drimmel … Trimmel oder so ähnlich«, versuchte sich Sandra den Namen der Ermordeten ins Gedächtnis zu rufen. »Vielleicht auch Pimmel oder Bimmel? Wie wär’s mit einem Telefonjoker, Frau Mohr?«, meinte Bergmann mit süffisantem Grinsen.
»Sascha, bitte! Ich steh nicht auf dumme Scherze in aller Herrgottsfrüh. Schon gar nicht, wenn sie auf Kosten des Opfers gehen. Das solltest du eigentlich längst wissen«, ermahnte sie ihn. Sandra Mohr und Sascha Bergmann arbeiteten nunmehr seit einem Jahr zusammen, was Sandra anfangs gehörig gegen den Strich gegangen war. An den schrägen, oft schwarzen Humor des Wieners, der sich aus privaten Gründen nach Graz versetzen hatte lassen und ausgerechnet ihr vor die Nase gesetzt worden war, hatte sie sich noch immer nicht so recht gewöhnt. Obwohl Bergmann sie doch ab und zu zum Lachen brachte. Inzwischen waren die beiden sogar ein richtig gutes Team geworden. Zumindest, was das Berufliche betraf. Dass der Chefinspektor, der privat nichts anbrennen ließ, zu Beginn auch in sie verknallt gewesen war, hatte Sandra mittlerweile erfolgreich verdrängt. Sein erotischromantisches Interesse an ihr war damals ziemlich rasch erkaltet, was ihr nur sehr recht gewesen war. Nicht, dass der 37-Jährige kein attraktiver Mann gewesen wäre, aber ihr Typ war er eben nicht. Um Hallodris wie ihn machte sie seit jeher einen großen Bogen. Und Liebe am Arbeitsplatz führte in den meisten Fällen ohnehin nur zu Problemen.
»Was lässt die Kollegen denn vermuten, dass wir es mit einem Ritualmord zu tun haben?«, fragte Bergmann ernst und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. »Offenbar wurde die junge Frau gepfählt und auf dem Kürbisacker ihres Vaters aufgestellt.«
»Gepfählt? Auweia«, entkam es ihm, »das klingt aber übel. Was wissen wir sonst noch?«
»Noch nicht viel. Außer, dass ausgerechnet ihr Vater, ein Biogemüsebauer, die Leiche morgens gegen halb sieben bei den Kürbissen entdeckt hat. Der psychosoziale Notdienst ist bereits vor Ort und kümmert sich um sie.«
»Um die Kürbisse?«
»Um die Familie, Himmelherrgott, Sascha!«
»Jetzt übertreibst du aber«, meinte er trocken. Sandra warf ihm einen fragenden Blick zu, den Bergmann mit einem Grinsen beantwortete.
»Na, wie ein Gott fühle ich mich nun nicht gerade«, erläuterte er ihr die verborgene Komik in ihrer letzten Aussage. Sandra verdrehte genervt die Augen, während Bergmann den restlichen Kaffee in einem Zug hinunterstürzte und den leeren Pappbecher in die Mittelkonsole steckte. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust, schloss die Augen und döste ein. Sandra war erleichtert, dass er fortan schwieg. Es war wirklich noch viel zu früh für seine dämlichen Scherze. Die Baustellen ließ Sandra im vorgeschriebenen reduzierten Tempo, aber ohne nennenswerte Verzögerungen, hinter sich. Sie war heilfroh, dass sie sich so sehr beeilt hatte, aus der Stadt hinauszukommen. Kurz nach acht Uhr trafen die beiden Kriminalpolizisten auf die Straßensperre, die die uniformierten Kollegen auf der Landstraße errichtet hatten, um Schaulustige vom Einsatzort fernzuhalten. Von der Anhöhe aus war nichts zu erkennen als übermannshohe Maisstauden, die links und rechts entlang der Straße emporragten. Erst nachdem Sandra die lang gezogene Kurve passiert hatte, die in sanftem Gefälle hinabführte, erblickte sie den Schauplatz des Verbrechens. Hätte sie nicht gewusst, dass die Figur dort unten keine Vogelscheuche war, die über den Kürbisacker wachte, wären ihr nur die vielen Menschen und Fahrzeuge aufgefallen, die den friedlichen Anblick der Felder in der gleißenden Morgensonne störten. So aber jagte ihr das Bild der Leiche mit dem breitkrempigen Sonnenhut, die von heroben aus betrachtet etwa einen Meter über dem Boden zu schweben schien, eine Gänsehaut über den Rücken. An manches gewöhnte man sich einfach nie, selbst wenn man noch so lange bei der Mordgruppe arbeitete. Kein Wunder, dass einige Kollegen regelmäßig zur Flasche griffen, um das Erlebte zu verdrängen. Oder auch zu anderen Drogen. Sachte bremste Sandra den Wagen ab und stieß Bergmann mit dem Ellenbogen an.
»Sascha! Wir sind da. Jetzt wach schon auf!« Bergmann schreckte hoch und rieb sich die Augen.
»Dort unten ist unser Opfer.« Sandra deutete auf die leblose Gestalt in der Talsenke, während Bergmann gähnte.
»Ich seh’s. Und worauf wartest du noch?«, meinte er scheinbar unbeeindruckt und streckte den Rücken durch. Sandra stellte den Wagen etwa 300 Meter weiter unten am Straßenrand ab. An die 50 Meter trennten sie jetzt noch von der Leiche, die soeben von einem der Tatortermittler fotografiert wurde. Etwas steifer als sonst schlüpfte sie unter dem Polizeiabsperrband hindurch und näherte sich dem toten Mädchen, dessen Arme oberhalb der Ellenbogen und an den Handgelenken mit breitem, schwarzem Klebeband an einem Stock hinter dem Rücken befestigt waren, sodass diese fast waagrecht zur Seite standen. Die feingliedrigen Hände der jungen Frau gehorchten hingegen der Schwerkraft und hingen herab, genauso wie der vornübergebeugte Kopf mit dem Strohhut, der ihr Gesicht verbarg. Die schweren dunkelbraunen Locken, die über Brust und Schultern fielen, bewegten sich kaum in der frischen Morgenbrise. Im Gegensatz zu dem duftig-leichten Rock des rosa geblümten Chiffonkleides, der sanft um die Knie der Toten wehte. Sandra zog die Einweghandschuhe an und trat noch näher an die Leiche heran, um den Unterleib, der sich auf ihrer Augenhöhe befand, genauer zu inspizieren. Wie gut, dass sie noch nichts gegessen hatte, denn augenblicklich drehte sich ihr der Magen um. Es war viel Blut den Holzpfahl hinabgeronnen und im Boden zwischen den Kürbissen versickert. Der Rest stank zum Himmel. Sandra wandte sich ab, in der Hoffnung, den Brechreiz unterdrücken zu können. Ob die Frau gestorben war, weil man ihr – wie im finstersten Mittelalter – einen Pfahl rektal in den Leib gerammt hatte oder ob sie schon vor dem Pfählen getötet worden war, würde spätestens der Obduktionsbericht der Grazer Gerichtsmedizin klären. Sandra hoffte, dass Letzteres zutraf, und zwang sich – einige Schritte abseits –, ein paar Mal tief durchzuatmen. Dann sah sie sich um. Bergmann sprach mit einem uniformierten Kollegen hinter dem Absperrband, während die Kriminaltechniker in ihren weißen Schutzanzügen ihrer Arbeit nachgingen. Die Gerichtsmedizinerin wartete nur ein paar Schritte von Sandra entfernt. Die beiden Frauen nickten einander zu. Doktor Kehrer näherte sich schließlich mit emotionsloser Miene.
»Guten Morgen, Frau Mohr! Können wir die Leiche dann herunterholen, damit ich sie mir mal genauer ansehen kann?« Sandra winkte den Chef der Kriminaltechniker herbei und stellte ihm dieselbe Frage.
»Von mir aus. Wir sind hier ohnehin so weit fertig«, lautete Manfred Siebenbrunners Antwort.
»Aber achten Sie darauf, dass Sie meinen Tatort nicht kontaminieren. Zerstören Sie bitte die Schleifspuren dort drüben nicht. Und die Reifenabdrücke dahinter.«
»Das ist nicht unser erster Einsatz, Herr Siebenbrunner «, merkte Sandra an und blickte zu dem jüngeren Kriminaltechniker hinüber, der gerade die Spuren auf dem Boden vermaß.
»Können Sie denn schon etwas Konkretes sagen?«, erkundigte sie sich bei Siebenbrunner.
»Wie es aussieht, wurde das Opfer mit einem Kleintransporter oder Family-Van hergebracht und an den Fundort geschleift«, erklärte der Cheftechniker der Tatortgruppe, »die Pfählung hat dann wohl direkt hier stattgefunden«, fügte er hinzu und deutete auf eine weitere Blutlache etwa zwei Meter hinter der Toten, die auch Sandra nicht entgangen war.
»Und wie hat es der Täter geschafft, den Pfahl samt der jungen Frau aufzustellen? Oder haben wir es gar mit mehreren Tätern zu tun?«, fragte sie.
»Es gibt in der Tat frische Schuhabdrücke. Der Boden war noch feucht vom Regen der vergangenen Tage. Wenn die Spuren nicht vom Bauern selbst stammen, könnten sie vom Täter sein.«
»Also doch ein Einzeltäter?«
»Wie gesagt: Es könnte ein Einziger gewesen sein. Auf alle Fälle hätte ein Mann ausgereicht, um den Pfahl mit dem Mädchen aufzustellen. Sehen Sie mal her …« Siebenbrunner hockte sich direkt vor den Pfahl.
»Der Täter hat ein PVC-Rohr in den Boden gesteckt. Ich gehe davon aus, dass er den Zaunpfahl nur noch hier einführen und anschließend hochheben musste. Einfache Hebeltechnik. Das schaffen sogar Sie, wenn Sie sich ein bisschen anstrengen.« Obwohl Sandra die letzte Bemerkung des Kollegen überflüssig fand, überging sie diese. Normalerweise hätte sie gekontert, doch momentan benötigte sie all ihre Kräfte, um den Brechreiz, der sie in kurzen Abständen immer wieder überkam, zu unterdrücken. Also bückte sie sich wortlos, um das aus dem Boden ragende Ende des PVC-Rohrs, in dem der Holzpfahl steckte, zu begutachten.
»Haben Sie schon ein Fundortvideo machen lassen?«, erkundigte sie sich bei Siebenbrunner.
»Was glauben Sie denn? Das ist schließlich nicht mein erster Einsatz, Frau Mohr«, entgegnete der Kriminaltechniker.
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»Alles in einem Aufwasch quasi«, meinte Bergmann.
»Ist Putzen vielleicht ein Verbrechen?«, fragte Mizzi missmutig.
»Nein. Natürlich nicht«, antwortete Sandra und sah dabei die ankommende Franziska an.
»Hast du nachher noch ein paar Minuten Zeit für mich?«, fragte sie die große, stämmige Frau, die mit ihr die Schulbank gedrückt hatte. Franziskas schwammiges Gesicht wirkte noch blasser, als sie es in Erinnerung hatte. Ihre klobige Hand zitterte, während sie die Kaffeetasse vor Bergmann abstellte. Sie nickte stumm, dann humpelte sie in Richtung Küche, in der sie schließlich wieder verschwand.
»Sie ist mit den Nerven völlig am Ende«, berichtete Mizzi.
»Du weißt doch, dass sie sehr sensibel auf so was reagiert. So ein grausliches Verbrechen …«, sagte die Wirtin zu Sandra.
»Meinen Sie damit den Mord an Eva Kovacs oder den Missbrauch an Frau Edlinger durch den eigenen Vater seinerzeit?«, fragte Bergmann und beobachtete seelenruhig, wie der Zucker aus dem bunt bedruckten Säckchen in seinen schwarzen Kaffee rieselte. Das war einer jener wenigen Momente, in denen Sandra die Kaltschnäuzigkeit ihres Kollegen bewunderte. Mizzi schnappte nach Luft und sah erst Bergmann, dann Sandra an.
»Hast du ihm das unbedingt erzählen müssen?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Ja, Mizzi. Als Kriminalbeamtin musste ich das tun. Aber falls es dich beruhigt, der Missbrauch an der Franzi ist längst verjährt. Es gab damals weder eine Anzeige noch einen offiziellen Strafantrag, wie du dich sicher erinnerst.« Bergmann sah Sandra von der Seite an und wandte sich wieder ab, bevor sich ihre Blicke treffen konnten. Sandra wusste selbst, dass ihre Antwort fast wie eine Entschuldigung geklungen hatte. Dieses verdammte Kaff und seine Bewohner ließen sie immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Ob sie es wollte oder nicht. Sie fürchtete sich schon davor, was das morgige Mittagessen bei der Mutter in ihr auslösen würde. Hoffentlich blieb ihr wenigstens Mike erspart. Es reichte schon, dass er für heute auf dem Programm stand, wenn auch nur dienstlich, was die bevorstehende Begegnung zumindest ein wenig erträglicher erscheinen ließ.
»Was wurde eigentlich aus dem alten Edlinger? Lebt der Mann noch?«, fragte Bergmann.
»Ja«, antwortete Sandra, die Max am Abend zuvor ausführlich zu den Edlingers befragt hatte. Bevor sie wie ein alberner Teenager mit ihm herumgeknutscht hatte, worüber sie sich heute noch mehr ärgerte als gestern.
»Franzis Mutter ist inzwischen verstorben, die Geschwister sind längst weggezogen«, konzentrierte sie sich wieder auf den Fall.
»Fritz Edlinger hat vor einigen Monaten einen Schlaganfall erlitten«, erzählte sie weiter.
»Er kann seither weder sprechen noch sich bewegen. Die Franzi wohnt bei ihm im Haus und pflegt ihn.«
»Sie kümmert sich um ihren alten Vater, so gut sie kann. Wie es sich für eine brave Tochter eben gehört.« Mizzi nickte zustimmend. Brave Tochter? Sandra traute ihren Ohren nicht. Selbst Bergmann schien zu dieser Aussage kein spontaner Kommentar einzufallen. Hatte Franziska ihrem Peiniger wirklich verziehen und opferte sich, nach allem, was er ihr angetan hatte, auch noch für ihn auf? Oder war sie so sehr ihrer Opferrolle verhaftet, dass sie noch immer nicht anders konnte, als den Bedürfnissen des Täters zu entsprechen? Selbst wenn dieser nur dahinvegetierte und gar nicht mehr in der Lage war, sich zu äußern.
»Der Fritz hat außer der Franzi auch noch eine mobile Pflegehilfe«, fuhr Mizzi fort.
»Die Frau Gerlinde von der Caritas schaut morgens und abends bei ihm rein. Das haben die beiden dem Michl zu verdanken. Überhaupt hilft er ihnen, wo er nur kann. Er ist ja so ein braver Bub, mein Michl. Weißt du übrigens schon, dass er die Franzi im nächsten Mai heiraten wird?«, meinte sie zu Sandra. Bevor sie antworten konnte, war Bergmann zur Stelle.
»Na, gratuliere.« Am Tonfall erkannte Sandra, dass sein Sarkasmus zurückgekehrt war. Die Welt war wieder in Ordnung.
»Wie meinen S’ denn das?«, fragte Mizzi skeptisch. Auch ihr war nicht entgangen, dass seine Glückwünsche nicht ganz ehrlich gemeint waren. Bergmann ließ den Löffel langsam in seiner Tasse kreisen und folgte mit den Blicken der rotierenden Flüssigkeit.
»Das meine ich genau so, wie ich es gesagt habe«, erwiderte er emotionslos.
»Hören Sie mal: Die Franzi ist ein braves Dirndl. Auch wenn sie manchmal schwache Nerven hat. Und mein Michl ist ein herzensguter Kerl. Wissen Sie, wir am Land halten noch zusammen, egal was passiert. Gemeinsam schaffen wir nämlich alles. Da könnts ihr Stadtleut euch noch einiges abschneiden. Ihr kennts doch nicht einmal eure nächsten Nachbarn!«, schimpfte die Wirtin. Sandra wusste nur allzu gut, was Mizzi meinte. Genau vor dieser eingeschworenen Dorfgemeinschaft, der man einfach nicht entkommen konnte, war sie damals geflüchtet.
»Beruhigen Sie sich bitte, Frau Oberhauser. Ich weiß doch, dass bei Ihnen die Welt noch in Ordnung ist. Solange man alles Unangenehme vertuscht. Dummerweise haben wir es hier mit einem Mord zu tun. Der lässt sich nicht so einfach unter den Teppich kehren. Tut mir leid. Da müssen wir hart bleiben.« Bergmann hatte es auf den Punkt gebracht. Das hatte gesessen. Mizzi stand die Zornesröte im Gesicht.
»Tun Sie, was Sie tun müssen. Aber behandeln Sie uns gefälligst mit ein wenig mehr Respekt. Mir ist es wurscht, wer Sie sind. Von einem Großkopferten wie Ihnen lass ich mich nicht beleidigen. Auch nicht, wenn Sie ein Kriminaldings- was-weiß-ich-denn-was sind. Sind Sie jetzt endlich fertig mit Ihrer depperten Fragerei? Ich muss nämlich in die Kuchl.«
»Geh, Mizzi. Der Herr Chefinspektor hat es doch nicht so gemeint.« Natürlich hatte Bergmann es genau so gemeint. Warum, um alles in der Welt, versuchte Sandra schon wieder zu schlichten?
»Warum denn so versöhnlich heute, Frau Kollegin? So kenn ich dich ja gar nicht«, fragte Bergmann, nachdem die wütende Wirtin in der Küche verschwunden war.
»Ich mag auch nicht, was St. Raphael aus mir macht. Deswegen bin ich unter anderem von hier weggezogen.« Sandra seufzte. So ehrlich hatte sie ihm nicht antworten wollen. Zum Glück schwieg er, während sie ihren Tee austrank. Sie musste ihr altes Ich ganz schnell wieder begraben. Franziska kehrte aus der Küche zurück und hantierte hinter der Schank.
»Ich befrage noch schnell Franziska Edlinger, bevor wir aufbrechen. Alleine, wenn du nichts dagegen hast. Ich befürchte nämlich, dass deine Befragungsmethoden bei ihr einen Nervenzusammenbruch auslösen könnten «, flüsterte Sandra ihm zu.
»Hältst du mich denn wirklich für so unsensibel? Das enttäuscht mich aber schon ein wenig.« Bergmann griff in die Jacke, die über der Lehne seines Stuhls hing, und zauberte eine Zigarette hervor.
»Geh doch schon mal hinaus eine rauchen. Ich komm dann gleich nach«, schlug Sandra vor.
»Bin schon fort.« Bergmann kippte den restlichen Kaffee in einem Zug hinunter und steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel. Dann stand er auf und strebte der Tür entgegen.
»Aber bitte nicht im Auto rauchen«, rief Sandra ihm hinterher. Bergmann winkte ihr, ohne sich umzudrehen, und verließ den Gasthof durch den Haupteingang. Sandra wandte sich an Franziska.
»Magst du dich nicht kurz zu mir setzen? Es dauert bestimmt nicht lang.« Franziska sah sie unsicher an, stellte das saubere Glas ab, das sie eben aus der Spülmaschine genommen hatte, und humpelte zu Sandra an den Tisch.
»Ich muss dich fragen, was du am 15. September zwischen zwei und halb vier Uhr morgens gemacht hast. Reine Routinefrage, du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, versuchte Sandra ihr Gegenüber zu beruhigen. Franziska räusperte sich, bevor sie leise antwortete.
»Ich war in meinem Bett und habe geschlafen.«
»Kann das irgendjemand bezeugen?« Franziska schüttelte den Kopf und sah auf ihre rissigen Hände.
»Der Vater kriegt nimmer viel mit. Die Gerlinde – das ist seine Pflegerin – hat sich kurz nach zwanzig Uhr bei mir verabschiedet. Das weiß ich so genau, weil kurz darauf meine Lieblingskrimiserie angefangen hat.«
»Und danach bist du nicht mehr aus dem Haus gegangen? « Franziska schüttelte den Kopf, während sie die Krümel am Tischtuch zusammenkratzte.
»Nein. Ich hab mich am Heimweg verknöchelt. Beim Radlfahren«, erklärte sie.
»Und der Michl war in der Tatnacht auch nicht mehr bei dir auf Besuch?« Franziska sah Sandra erschrocken an und bekreuzigte sich. In ihren Augen standen Tränen. Das Verbrechen schien ihr wirklich schwer zuzusetzen. Immerhin war sie selbst ein Opfer sexuellen Missbrauchs, vergegenwärtigte sich Sandra und beschloss, das Gespräch in eine erfreulichere Richtung zu lenken.
»Schon gut, Franzi. Ich meinte ja nur, weil ihr doch im kommenden Mai heiraten wollt. Ich finde das übrigens großartig. Gratuliere euch beiden von Herzen!« Sandra schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. Franziska wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und bedankte sich kaum hörbar. Ihre bleichen Wangen hatten auf einmal eine rosige Farbe angenommen, was ihr – wie früher so oft – eine gewisse Ähnlichkeit mit Miss Piggy verlieh, wenngleich sie heute keine hellblonde Lockenmähne mehr trug, sondern eine aschblonde, ausgefranste Kurzhaarfrisur, die vor allen Dingen eines war, nämlich praktisch. Franziska lächelte zaghaft.
»Kann ich dann den Tisch abräumen?«, fragte sie.
»Sicher, gleich. Wir sind hier sofort fertig. Nur noch eine Frage: Hattest du Kontakt mit Eva Kovacs? Ich meine, bist du ihr jemals persönlich begegnet – vor ihrem Tod?« Noch einmal bekreuzigte sich Franziska. Sandra erinnerte sich daran, dass ihr Gegenüber immer schon sehr religiös gewesen war. Ob der Glaube ihr auch geholfen hatte, ihr Schicksal zu bewältigen und ihrem Peiniger zu vergeben? Oder war ihre Gottgläubigkeit der Grund, dass sie ihren Vater geradezu zwanghaft ehrte, wie es die zehn Gebote forderten, obwohl er der Letzte war, der Respekt verdiente?, grübelte Sandra.
»Ich bin dieser Frau nur ein einziges Mal begegnet. Die Mizzi hat mich gleich nach ihrer Ankunft in ihr Zimmer geschickt, um ihr einen Kaffee zu bringen. Sie hat mir dafür zehn Euro gegeben. Der Rest sei für mich, hat sie gesagt.«
»Ziemlich großzügig. Und wann war das?«
»Um halb fünf, in etwa.«
»Und wie lange hast du an diesem Tag gearbeitet?«
»Bis sechs, dann bin ich nach Hause gefahren.«
»Mit dem Fahrrad – und hast dir dabei den Knöchel verletzt«, wiederholte Sandra. Franziska nickte.
»Hast du einen Hausschlüssel vom Gasthof?«, wollte Sandra wissen.
»Nein. Die Mizzi mag nicht, dass die Angestellten Schlüssel haben.«
»Die Branka hat also auch keinen?«
»Die schon gar nicht. Die Branka ist doch Ausländerin, da ist die Mizzi ganz besonders vorsichtig.« Sandra beschloss, die Bemerkung zu ignorieren. Die Vorurteile gegenüber Ausländern, auch wenn diese längst österreichische Staatsbürger waren, waren den St. Raphaelern einfach nicht auszureden. Das hatte sie schon damals immer wieder vergeblich versucht und es irgendwann aufgegeben.
»Und wo warst du gestern und vorgestern?«
»Zu Hause. Wegen meinem Knöchel. Ich hab immer wieder für die arme Frau gebetet.« Franziska bekreuzigte sich zum dritten Mal an diesem Morgen.
»Wann und wie hast du denn von der Tat erfahren?«
»Gleich in der Früh, so um halb acht – von der Gerlinde. « Die stille Post von St. Raphael funktionierte also immer noch hervorragend.
»Alles klar, Franzi. Noch eine Bitte hätte ich an dich: Kannst du heute irgendwann in der Polizeiinspektion vorbeischauen? Wir brauchen deine Fingerabdrücke.« Franziskas Augen weiteten sich erneut vor Schreck.
»Auch das ist reine Routine. Die Abdrücke vom Michl und der Mizzi haben wir schon am Mittwoch genommen. Die von Vilko und Branka auch. Jetzt fehlen nur noch deine, damit wir die Spuren aus dem Gästezimmer abgleichen und jene des Täters herausfiltern können.« Franziska nickte.
»Na, gut. Dann schau ich am Nachmittag vorbei, gleich nach dem Mittagessen.«
»Fein. Wir sehen uns also später.« Sandra erhob sich, um mit Bergmann in die Polizeiinspektion zu fahren. Die morgendlichen Befragungen hatten sie keinen Schritt weitergebracht. Weder Michl noch Mizzi oder Franziska hatten ihnen brauchbare Hinweise liefern können. Vielleicht würde Mike für neue Erkenntnisse sorgen, dem sie auf ihrem Weg ins Büro einen Überraschungsbesuch abstatten wollten. Es war anzunehmen, dass ihr arbeitsloser Halbbruder noch im Bett lag und seinen Rausch ausschlief. Zum ersten Mal war Sandra dankbar, dass Bergmann an ihrer Seite war, um die Befragung zu übernehmen.
Steirerherz Kapitel 1 - Freitag, 26. August
»Zwischen Krottendorf und Ligist … Ja, ich kenne die Straße. Wir sollten in einer halben bis dreiviertel Stunde dort eintreffen. Pfiat di, Lubensky.« Abteilungsinspektorin Sandra Mohr beendete ihr morgendliches Telefongespräch mit der Einsatzzentrale des Landespolizeikommandos Steiermark, ehe sie das Handy in die Halterung der Freisprecheinrichtung steckte und den silbergrauen VW Passat startete. Als Nächstes würde sie ihren Partner abholen und die Stadt verlassen. Hoffentlich noch, bevor der Morgenverkehr einsetzte. Die sommerlichen Baustellen sorgten noch immer für nervenaufreibende Verkehrsverzögerungen auf dem Grazer Joanneumring und auf der A2, die sie nehmen musste, um zum Einsatzort in der Weststeiermark zu gelangen. Vor allem in der Landeshauptstadt war es selbst mit Blaulicht mühsam, sich durch den Stau zu quälen, waren die Straßen erst einmal verstopft. Als Sandra Mohr den zivilen Dienstwagen in die Sterngasse lenkte, sah sie den Kollegen bereits auf dem Gehsteig warten. In der linken Hand hielt Sascha Bergmann den obligaten Pappbecher mit Kaffee, mit der Rechten zündete er sich eben eine Zigarette an. Sandra bremste den Wagen direkt neben dem Chefinspektor ab und ließ das Fenster auf der Beifahrerseite hinunter, während er seelenruhig einen Schluck Kaffee nahm, um hernach noch genussvoll an seiner Zigarette zu ziehen.
»Jetzt steig schon ein, Sascha!«, drängte sie ihn.
»Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Liebling«, säuselte Bergmann übertrieben freundlich und schnippte die Zigarette mit zwei Fingern ins Kanalgitter. Dann stieg er endlich in den Wagen. Sandra gab Gas und fuhr in Richtung Stadtausfahrt.
»Ich dachte, du hättest dir das Rauchen ein für alle Mal abgewöhnt«, rügte sie ihn.
»Offensichtlich hab ich wieder damit angefangen«, meinte er lakonisch und schnallte sich an.
»Und? Welche Leiche hat es denn heute so eilig?«, lenkte er das Thema in berufliche Bahnen. Sandra seufzte. Die Tote, die nach Sonnenaufgang auf dem Acker ihrer Eltern aufgefunden worden war, war gerade einmal 19 Jahre alt gewesen, hatte ihr Lubensky soeben berichtet. Sandra wusste auch, dass die Kollegen von der Polizeiinspektion Krottendorf-Gaisfeld den Einsatzort bereits abgesperrt hatten und die Spurensicherung unterwegs war.
»Wir haben es eilig, nicht die Leiche. Wegen dieser Scheißbaustellen«, echauffierte sie sich und wechselte zügig die Spur.
»Wer wurde denn ermordet? Und wie?«, wollte Bergmann wissen.
»Eine junge Frau. Lubensky hat von einem möglichen Ritualmord gesprochen. Die zuständigen Kollegen sind komplett überlastet, deshalb haben sie gleich uns verständigt«, erklärte Sandra.
»Als ob wir im LKA nicht auch genug zu tun hätten«, setzte sie hinzu und seufzte erneut.
»Ein Ritualmord? Interessant. Und wer ist das Opfer?«
»Die Tochter eines Landwirts. Valentina Drimmel … Trimmel oder so ähnlich«, versuchte sich Sandra den Namen der Ermordeten ins Gedächtnis zu rufen. »Vielleicht auch Pimmel oder Bimmel? Wie wär’s mit einem Telefonjoker, Frau Mohr?«, meinte Bergmann mit süffisantem Grinsen.
»Sascha, bitte! Ich steh nicht auf dumme Scherze in aller Herrgottsfrüh. Schon gar nicht, wenn sie auf Kosten des Opfers gehen. Das solltest du eigentlich längst wissen«, ermahnte sie ihn. Sandra Mohr und Sascha Bergmann arbeiteten nunmehr seit einem Jahr zusammen, was Sandra anfangs gehörig gegen den Strich gegangen war. An den schrägen, oft schwarzen Humor des Wieners, der sich aus privaten Gründen nach Graz versetzen hatte lassen und ausgerechnet ihr vor die Nase gesetzt worden war, hatte sie sich noch immer nicht so recht gewöhnt. Obwohl Bergmann sie doch ab und zu zum Lachen brachte. Inzwischen waren die beiden sogar ein richtig gutes Team geworden. Zumindest, was das Berufliche betraf. Dass der Chefinspektor, der privat nichts anbrennen ließ, zu Beginn auch in sie verknallt gewesen war, hatte Sandra mittlerweile erfolgreich verdrängt. Sein erotischromantisches Interesse an ihr war damals ziemlich rasch erkaltet, was ihr nur sehr recht gewesen war. Nicht, dass der 37-Jährige kein attraktiver Mann gewesen wäre, aber ihr Typ war er eben nicht. Um Hallodris wie ihn machte sie seit jeher einen großen Bogen. Und Liebe am Arbeitsplatz führte in den meisten Fällen ohnehin nur zu Problemen.
»Was lässt die Kollegen denn vermuten, dass wir es mit einem Ritualmord zu tun haben?«, fragte Bergmann ernst und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. »Offenbar wurde die junge Frau gepfählt und auf dem Kürbisacker ihres Vaters aufgestellt.«
»Gepfählt? Auweia«, entkam es ihm, »das klingt aber übel. Was wissen wir sonst noch?«
»Noch nicht viel. Außer, dass ausgerechnet ihr Vater, ein Biogemüsebauer, die Leiche morgens gegen halb sieben bei den Kürbissen entdeckt hat. Der psychosoziale Notdienst ist bereits vor Ort und kümmert sich um sie.«
»Um die Kürbisse?«
»Um die Familie, Himmelherrgott, Sascha!«
»Jetzt übertreibst du aber«, meinte er trocken. Sandra warf ihm einen fragenden Blick zu, den Bergmann mit einem Grinsen beantwortete.
»Na, wie ein Gott fühle ich mich nun nicht gerade«, erläuterte er ihr die verborgene Komik in ihrer letzten Aussage. Sandra verdrehte genervt die Augen, während Bergmann den restlichen Kaffee in einem Zug hinunterstürzte und den leeren Pappbecher in die Mittelkonsole steckte. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust, schloss die Augen und döste ein. Sandra war erleichtert, dass er fortan schwieg. Es war wirklich noch viel zu früh für seine dämlichen Scherze. Die Baustellen ließ Sandra im vorgeschriebenen reduzierten Tempo, aber ohne nennenswerte Verzögerungen, hinter sich. Sie war heilfroh, dass sie sich so sehr beeilt hatte, aus der Stadt hinauszukommen. Kurz nach acht Uhr trafen die beiden Kriminalpolizisten auf die Straßensperre, die die uniformierten Kollegen auf der Landstraße errichtet hatten, um Schaulustige vom Einsatzort fernzuhalten. Von der Anhöhe aus war nichts zu erkennen als übermannshohe Maisstauden, die links und rechts entlang der Straße emporragten. Erst nachdem Sandra die lang gezogene Kurve passiert hatte, die in sanftem Gefälle hinabführte, erblickte sie den Schauplatz des Verbrechens. Hätte sie nicht gewusst, dass die Figur dort unten keine Vogelscheuche war, die über den Kürbisacker wachte, wären ihr nur die vielen Menschen und Fahrzeuge aufgefallen, die den friedlichen Anblick der Felder in der gleißenden Morgensonne störten. So aber jagte ihr das Bild der Leiche mit dem breitkrempigen Sonnenhut, die von heroben aus betrachtet etwa einen Meter über dem Boden zu schweben schien, eine Gänsehaut über den Rücken. An manches gewöhnte man sich einfach nie, selbst wenn man noch so lange bei der Mordgruppe arbeitete. Kein Wunder, dass einige Kollegen regelmäßig zur Flasche griffen, um das Erlebte zu verdrängen. Oder auch zu anderen Drogen. Sachte bremste Sandra den Wagen ab und stieß Bergmann mit dem Ellenbogen an.
»Sascha! Wir sind da. Jetzt wach schon auf!« Bergmann schreckte hoch und rieb sich die Augen.
»Dort unten ist unser Opfer.« Sandra deutete auf die leblose Gestalt in der Talsenke, während Bergmann gähnte.
»Ich seh’s. Und worauf wartest du noch?«, meinte er scheinbar unbeeindruckt und streckte den Rücken durch. Sandra stellte den Wagen etwa 300 Meter weiter unten am Straßenrand ab. An die 50 Meter trennten sie jetzt noch von der Leiche, die soeben von einem der Tatortermittler fotografiert wurde. Etwas steifer als sonst schlüpfte sie unter dem Polizeiabsperrband hindurch und näherte sich dem toten Mädchen, dessen Arme oberhalb der Ellenbogen und an den Handgelenken mit breitem, schwarzem Klebeband an einem Stock hinter dem Rücken befestigt waren, sodass diese fast waagrecht zur Seite standen. Die feingliedrigen Hände der jungen Frau gehorchten hingegen der Schwerkraft und hingen herab, genauso wie der vornübergebeugte Kopf mit dem Strohhut, der ihr Gesicht verbarg. Die schweren dunkelbraunen Locken, die über Brust und Schultern fielen, bewegten sich kaum in der frischen Morgenbrise. Im Gegensatz zu dem duftig-leichten Rock des rosa geblümten Chiffonkleides, der sanft um die Knie der Toten wehte. Sandra zog die Einweghandschuhe an und trat noch näher an die Leiche heran, um den Unterleib, der sich auf ihrer Augenhöhe befand, genauer zu inspizieren. Wie gut, dass sie noch nichts gegessen hatte, denn augenblicklich drehte sich ihr der Magen um. Es war viel Blut den Holzpfahl hinabgeronnen und im Boden zwischen den Kürbissen versickert. Der Rest stank zum Himmel. Sandra wandte sich ab, in der Hoffnung, den Brechreiz unterdrücken zu können. Ob die Frau gestorben war, weil man ihr – wie im finstersten Mittelalter – einen Pfahl rektal in den Leib gerammt hatte oder ob sie schon vor dem Pfählen getötet worden war, würde spätestens der Obduktionsbericht der Grazer Gerichtsmedizin klären. Sandra hoffte, dass Letzteres zutraf, und zwang sich – einige Schritte abseits –, ein paar Mal tief durchzuatmen. Dann sah sie sich um. Bergmann sprach mit einem uniformierten Kollegen hinter dem Absperrband, während die Kriminaltechniker in ihren weißen Schutzanzügen ihrer Arbeit nachgingen. Die Gerichtsmedizinerin wartete nur ein paar Schritte von Sandra entfernt. Die beiden Frauen nickten einander zu. Doktor Kehrer näherte sich schließlich mit emotionsloser Miene.
»Guten Morgen, Frau Mohr! Können wir die Leiche dann herunterholen, damit ich sie mir mal genauer ansehen kann?« Sandra winkte den Chef der Kriminaltechniker herbei und stellte ihm dieselbe Frage.
»Von mir aus. Wir sind hier ohnehin so weit fertig«, lautete Manfred Siebenbrunners Antwort.
»Aber achten Sie darauf, dass Sie meinen Tatort nicht kontaminieren. Zerstören Sie bitte die Schleifspuren dort drüben nicht. Und die Reifenabdrücke dahinter.«
»Das ist nicht unser erster Einsatz, Herr Siebenbrunner «, merkte Sandra an und blickte zu dem jüngeren Kriminaltechniker hinüber, der gerade die Spuren auf dem Boden vermaß.
»Können Sie denn schon etwas Konkretes sagen?«, erkundigte sie sich bei Siebenbrunner.
»Wie es aussieht, wurde das Opfer mit einem Kleintransporter oder Family-Van hergebracht und an den Fundort geschleift«, erklärte der Cheftechniker der Tatortgruppe, »die Pfählung hat dann wohl direkt hier stattgefunden«, fügte er hinzu und deutete auf eine weitere Blutlache etwa zwei Meter hinter der Toten, die auch Sandra nicht entgangen war.
»Und wie hat es der Täter geschafft, den Pfahl samt der jungen Frau aufzustellen? Oder haben wir es gar mit mehreren Tätern zu tun?«, fragte sie.
»Es gibt in der Tat frische Schuhabdrücke. Der Boden war noch feucht vom Regen der vergangenen Tage. Wenn die Spuren nicht vom Bauern selbst stammen, könnten sie vom Täter sein.«
»Also doch ein Einzeltäter?«
»Wie gesagt: Es könnte ein Einziger gewesen sein. Auf alle Fälle hätte ein Mann ausgereicht, um den Pfahl mit dem Mädchen aufzustellen. Sehen Sie mal her …« Siebenbrunner hockte sich direkt vor den Pfahl.
»Der Täter hat ein PVC-Rohr in den Boden gesteckt. Ich gehe davon aus, dass er den Zaunpfahl nur noch hier einführen und anschließend hochheben musste. Einfache Hebeltechnik. Das schaffen sogar Sie, wenn Sie sich ein bisschen anstrengen.« Obwohl Sandra die letzte Bemerkung des Kollegen überflüssig fand, überging sie diese. Normalerweise hätte sie gekontert, doch momentan benötigte sie all ihre Kräfte, um den Brechreiz, der sie in kurzen Abständen immer wieder überkam, zu unterdrücken. Also bückte sie sich wortlos, um das aus dem Boden ragende Ende des PVC-Rohrs, in dem der Holzpfahl steckte, zu begutachten.
»Haben Sie schon ein Fundortvideo machen lassen?«, erkundigte sie sich bei Siebenbrunner.
»Was glauben Sie denn? Das ist schließlich nicht mein erster Einsatz, Frau Mohr«, entgegnete der Kriminaltechniker.
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Alle Rechte vorbehalten
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Bibliographische Angaben
- Autor: Claudia Rossbacher
- 560 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3902859237
- ISBN-13: 9783902859235
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