Frösche und andere Liebhaber (ePub)
Alles nicht so einfach mit der LiebeGertrud ist mal wieder Single. Schon viel zu lange, wenn man es genau betrachtet. Ihre Freundin Sieglinde hingegen stiftet jede Menge Verwirrung in der Männer- und Frauenwelt. Und ihr schwuler bester Freund Paul stolpert...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Frösche und andere Liebhaber (ePub)“
Alles nicht so einfach mit der LiebeGertrud ist mal wieder Single. Schon viel zu lange, wenn man es genau betrachtet. Ihre Freundin Sieglinde hingegen stiftet jede Menge Verwirrung in der Männer- und Frauenwelt. Und ihr schwuler bester Freund Paul stolpert von einem Liebeskummer in den nächsten. Richtig kompliziert wird es, als Paul Bettina kennenlernt, die in Robert verliebt ist. Robert ist der Ex von Bettinas Mutter Ina und Pauls heimlicher Schwarm. So viel Liebe, so viel Sehnsucht! Und dabei wissen doch alle: es gibt viel zu viele Frösche und viel zu wenig Märchenprinzen.
Lese-Probe zu „Frösche und andere Liebhaber (ePub)“
Kapitel 1Haben Frösche Gefühle? Empfinden sie Glück? Erleichterung? Freude? – Felicitas hatte gerade dem vierten Frosch in Folge das Leben gerettet. Diesmal saß das Tier in der Küche - hinter dem Wassernapf für den Hund, dick und glitschig und zum Küssen völlig ungeeignet. Der verwunschene Prinz würde auf seine Erlösung wohl weiter warten müssen. Einen Moment hatte sie ja doch gezögert. Ob es wohl Menschen gab, die es irgendwann einmal probiert hatten? Und viel wichtiger noch: Gab es wohl auch Frösche, die sich nach einem Kuss wirklich in gut aussehende junge Männer verwandelt hatten?
Das gleichmäßige Geräusch der alten Schreibmaschine verstummte. Wie kam sie eigentlich auf solch abstruse Gedanken: einen Frosch küssen, vom Traumprinzen schwärmen, an Wunder glauben … Ein wenig ratlos fand sich Gertrud Pieper in der Realität wieder: mitten in ihrer superneuen multifunktionalen Designer-Marken-Kombi-Küche. Umgeben von jeder Menge benutztem Geschirr, abgestandenen Getränkeresten und gut gefüllten Aschenbechern. Es war ein langer Abend gewesen. Mal abgesehen von dem Chaos, das gerade um sie herum herrschte, verlief ihr Leben absolut geregelt. Fast ein wenig langweilig. Nicht, dass sich Gertrud beklagen wollte. Worüber auch? Auf dem Weg zum Schlafzimmer riskierte sie im Flur einen kleinen, aber doch sehr prüfenden Blick in den Spiegel. Hatte sie vielleicht doch ein wenig zugenommen? Waren das da im Gesicht schon die ersten Falten? Oder hatte der uralte Spiegel vom Trödelmarkt genau da, wo sie jetzt ihr Konterfei betrachtete, ein paar kleine Kratzer abbekommen? Was für eine Frage. Natürlich lag es an dem blöden Spiegel – und vielleicht auch ein wenig an der vergangenen Nacht. Und am darauf folgenden Katzenjammer.
So gesellig war sie schon lange nicht mehr gewesen. Vielleicht sollte
... mehr
sie ruhig öfter mal Freunde einladen, so wie früher. Gertrud stutzte. Hatte sie jetzt das Alter erreicht, wo man bereits damit begann, von der „guten alten Zeit“ zu schwärmen? Es war aber auch eine verdammt schöne Zeit gewesen. Damals in Tübingen hatte sie noch von einer Karriere als Drehbuchautorin geträumt. Alles wollte sie anders machen. Das ganz große Kino. Die Welt sollte ihr zu Füßen liegen. Hollywoodstars würden sich um ihre Stoffe reißen.
Wann hatte sie eigentlich aufgehört, an sich zu glauben? War es der Verriss ihres Hochschulprofessors gewesen, den sie zuvor hatte abblitzen lassen und der keine andere Möglichkeit sah, es ihr heimzuzahlen, als sie überall und bei jeder Gelegenheit lächerlich zu machen? Wie peinlich das doch war. Für ihn und für sie. Dabei war die Geschichte, die sie damals geschrieben hatte, gar nicht schlecht. Na ja, ein bisschen banal schon – vielleicht auch etwas zu glatt, ohne wirklichen Tiefgang. Eine Liebesgeschichte eben. Eine Geschichte, in der am Ende zwei Menschen zusammenkommen, die während der gesamten Handlung nicht den Hauch einer Ahnung davon gehabt haben, dass sie füreinander bestimmt sind. Natürlich mit der einen oder anderen komischen Verwicklung, mit komplizierten Seitenhandlungen und jeder Menge Liebesleid. Meine Güte, wie lange das schon her war! Sie hörte noch immer die Worte von Professor Großmüller: „Gertrud, sehen Sie lieber zu, dass Sie den richtigen Mann ohne derart alberne Zutaten finden, und konzentrieren Sie sich dann auf das, was Sie wahrscheinlich wirklich am besten können: Schreiben Sie über die kreativen Fähigkeiten anderer, statt auf eigene zu hoffen.“
Das hatte gesessen.
Ob der Mann wohl jemals etwas von ihr im Kulturteil des Stadtanzeigers gelesen hatte? Das Kaffeewasser kochte. Gertrud auch. Immer noch. Innerlich. Vor Wut. Über Großmüllers ausgemachte Frechheiten. Am meisten aber über sich selbst.
Vielleicht sollte sie Felicitas‘ Schicksal wohlwollend weiter verfolgen. Vielleicht werden ja doch irgendwann und irgendwo Träume wahr – und sei es auch nur in der regen Phantasie einer Frau in den sogenannten „besten“ Jahren.
Was würde Felicitas tun? Was würde sie, Gertrud, an Felicitas‘ Stelle tun? Den Frosch doch küssen? Oder dem Hund neues Wasser hinstellen und das glitschige Tier an die frische Luft setzen? Sie sollte sich ein bisschen mehr aufs Schreiben konzentrieren und nicht mit ihren Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Es klingelte an der Tür. Jetzt musste Felicitas wohl doch warten. Und mit ihr Frosch und Hund.
„Verkaufe nicht getragenes Brautkleid und komplettes Schlafzimmer – ebenfalls unbenutzt.“ Paul Korte liebte es, an Sonntagen in den Kleinanzeigen der Wochenendausgabe zu stöbern. Hatte ER SIE verlassen, noch bevor es vor den Traualtar ging? Wollte die Braut nicht mehr? Hatte einer von beiden einen Unfall, eine unheilbare Krankheit? Waren die Eltern gegen die Verbindung und hatten am Ende doch gesiegt? Oder gab es womöglich eine ganz einfache Erklärung? Etwa, SIE hatte kurz vor der Trauung ihr Coming-Out und sich in die Standesbeamtin verliebt – ER die Nase voll vom konventionellen Wohnen und keinen Bock mehr auf Schleiflackmöbel. Ja, so wird es gewesen sein. Paul lehnte sich zufrieden zurück. Über die verhinderte Braut und ihren „Fast“-Ehemann musste er sich keine Gedanken mehr machen.
Wie wäre es zur Belohnung mit einem Schokoladen-Croissant und einer weiteren Tasse Cappuccino? Ein prüfender Blick an sich herunter stoppte das Verlangen noch vor dem Griff nach den verführerischen Kalorienfallen. Wer schön bleiben will, muss leiden – die holde Männerwelt schläft nicht.
Es war aber auch eine Last mit der Lust auf etwas Süßes. Immer diese Zweideutigkeiten. Paul musste über sich selbst schmunzeln. Ob er wohl absichtlich auf die Schokoriegel-Werbung angesetzt worden war? Seit einem Jahr arbeitete Paul nun schon bei der Agentur „Team Guys“ – große Aufträge durfte er bislang nicht bearbeiten. Sein Chef meinte, er solle sich die Zähne erst mal an harmlosen Fällen ausbeißen. Schließlich habe auch er mal klein angefangen. „Auch mal klein angefangen.“ Wie er solche Sprüche hasste. Harry Wohlgemut hatte die Werbeagentur von seinem Onkel übernommen. Gut eingeführt, mit einer zahlungskräftigen Kundschaft, konnte sich der Juniorchef von Anfang an auf den Lorbeeren seines Vorgängers ausruhen. Zu Papier hatte Harry doch noch nie etwas gebracht. Und Phantasie hatte der Möchtegern-Kreative auch nicht.
Wenn er Harry sah, musste Paul jedes Mal an früher – an seine Jugend – denken. Harry hätte wirklich ein Bruder von Peter sein können. Irgendwann in der siebten Klasse hatte Peter Schornemann neben ihm gesessen. Der „Neue“ war irgendwie anders. Feiner. Wohlerzogener. Aber auch spießiger. Seine Eltern hielten sich für etwas Besseres, auch wenn sein Vater die Mutter verlassen hatte. Mehr als der monatliche Scheck war von Herrn Schornemann nicht zu erwarten. Peter hatte kaum Freunde in der Klasse. Da halfen ihm auch sein immens hohes Taschengeld und seine großzügigen Bestechungsversuche nicht weiter.
Aber Paul mochte den Sonderling. Nur zu gern folgte er der Aufforderung seiner Mutter, den Schulfreund mit zum Essen nach Hause zu bringen. Peter nahm die Einladung gern und häufig an. Er ließ Paul dabei aber immer spüren, dass er eigentlich einen anderen „Hintergrund“ hatte – oder sich zumindest so fühlte. „Wie Harry“, dachte Paul. „Ganz genau wie Harry.“
Wann hatte er seinen Schulkameraden Peter eigentlich aus den Augen verloren? Was war an jenem unsäglichen Nachmittag in seinem Zimmer zwischen Schularbeiten und Musikhören geschehen? Paul hatte sich doch einfach nur ein Herz genommen und Peter seine Liebe gestanden. Noch ehe sich sein Gast versah, hatte er den verblüfften Jungen auch schon umarmt und mitten auf den Mund geküsst. Paul konnte sich nur noch vage daran erinnern, dass Peter mit einem Aufschrei des Entsetzens von der Schlafcouch aufgesprungen war. Bis zum heutigen Tag hatte er kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Pauls Mutter hatte wohl noch Kontakt, sie redete darüber aber nie mit ihrem Sohn.
Statt an eine längst verflossene und noch dazu nie erfüllte Liebe zu denken, sollte er sich lieber Gedanken über sich und Raoul machen. Sie pflegten schon eine eigenartige Beziehung. Nicht miteinander – aber auch nicht ohne einander. „Hassliebe“ – oder Abhängigkeit? Aber wer dann von wem? Raoul passte so gar nicht in sein geregeltes Leben. Raoul, der Nachtclubsänger, und Paul, der Werbetexter, der sich doch so sehr nach einem seriösen Freund sehnte. Nach jemandem, auf den er richtig stolz sein konnte.
Völlig in Gedanken hatte Paul die gesamte Zeitung durchgeblättert. Von hinten nach vorne – so wie er es immer tat. Eine dumme Angewohnheit – aber hinten stand halt das Kurzweiligste. Für den Politik- und Wirtschaftsteil interessierte er sich kaum. Es sei denn, es gab mal wieder einen Artikel über seinen Lieblingspolitiker. Wie sich das anhörte: „Lieblingspolitiker“. Schließlich kannte Paul Robert Schüreisen nur aus der Berichterstattung im Fernsehen und aus der Presse. Vielleicht sollte er mal zu einer Veranstaltung gehen und ihn sich von der Nähe angucken. Ach, was sollte es. Der hatte bestimmt kein Interesse am eigenen Geschlecht. Obwohl das ja in Politikerkreisen fast schon zum guten Ton gehörte. Auf jeden Fall schien es Wählerstimmen zu bringen. Er sollte das Grübeln lassen und lieber ein paar Schritte vor die Tür machen. Wer wusste schon, wie lange das Wetter noch beständig war.
„Moment – ich komme gleich.“
Gertrud Pieper hasste es, unangemeldet Besuch zu bekommen. Ausgerechnet heute. Die Wohnung sah noch immer aus wie ein Schlachtfeld – sie selbst, na ja, auch nicht viel besser. Ein Blick durch den Spion in der Wohnungstür genügte, um ihre Laune wieder zu bessern.
„Paul – du schon wieder? Das ist ja toll. Du bist doch gerade erst gegangen!“
Wenn sie überhaupt einen Menschen an einem Sonntag wie diesem ertragen konnte, dann war es ihr bester Freund Paul. Paul Korte drückte Gertrud links und rechts einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Na, was ist? Kommst du mit? Draußen ist es richtig schön. Weißt du was, wir gehen ein Stück am Fluss entlang. So wie früher, wenn wir mal wieder nicht wussten, wohin mit uns und unseren Gefühlen.“
„Was soll das, Paul? Wie kommst du denn darauf, dass es mir nicht gut geht?“
„Zicke“, raunzte er kaum hörbar. „Schau dich doch mal an!“
Jetzt hatte er sie doch ertappt. Paul ließ nicht locker. „Gerti, meine Gute, zieh dir was Bequemes an und dann trotten wir beide los, okay? Zur Abwechslung höre ich dir mal zu und lasse dich reden. Ohne Widerworte! Hörst du?“
Gertrud gab sich geschlagen. Gegen Pauls Überredungskünste hatte sie ohnehin nicht die geringste Chance. Das war schon so gewesen, als beide noch in der Sandkiste Burgen bauten und mit Förmchen Kuchen backten.
„Ach Paule, wenn ich dich nicht hätte. Es ist einfach ein blöder Tag, weißt du. Diese verdammten Sonntage, wenn alle in Familie machen oder zumindest in trauter Zweisamkeit. Das kotzt mich so an.“
Noch ehe er ihr antworten konnte, flossen auch schon die Tränen. Paul zog ein großes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und reichte es der Freundin. Dann heulte er hemmungslos mit. So wie immer, wenn es traurig um ihn herum wurde.
„Was ist denn passiert?“
„Nichts, Paul. Das ist ja das Schreckliche. Nichts passiert. Nichts. Nichts. Nichts.“ Zu ihren Tränen gesellte sich ein heftiger Gefühlsausbruch. „In meinem Leben passiert gar nichts. Null. Nada. Niente. Ich habe das Gefühl, ich bewege mich auf der Stelle. Und ich kann nichts dagegen tun, Paul. Nichts. Absolut gar nichts!“
„Weißt du was, Gerti, wir gehen nirgendwohin. Wir räumen jetzt gemeinsam bei dir auf. Erst in der Wohnung und dann in deinem Seelenleben. Hast du noch was zu trinken da?“
Gertrud sah ihren Freund dankbar an. Genau das brauchte sie jetzt. Ein Gespräch unter Freundinnen. Über das Leben an sich und im Besonderen.
„Weißt du noch, Paul, wie wir uns vor Hunderten von Jahren mal um einen Mann gestritten haben?“ Gertrud war sich sicher, dass Paul das niemals vergessen würde. Schließlich ging es damals um Leben und Tod. Um was auch sonst? Der schöne Bernd war aber auch eine Sünde wert gewesen. Jedes Mädchen war hinter ihm her. Und Paul offensichtlich auch. Ob Bernd ihm jemals Hoffnung gemacht hatte? Sie hatte Paul noch nie danach gefragt.
„Sag mal Paul, was war mit Bernd und dir?“
„Welcher Bernd?“ Paul tat betont lässig. Etwas zu lässig für Gertruds Geschmack.
„Na, der schöne Bernd. Du weißt schon. Der mit den stahlblauen Augen und den blonden Korkenzieherlocken. Und mit den niedlichsten Grübchen der westlichen Hemisphäre. Bernd eben.“ Paul wurde rot. Richtig niedlich sah er aus, wenn er sich ertappt fühlte. Wie ein großer Junge. „Meinst du den Bernd, der immer wieder an Sieglinde herumgebaggert hat?“
Nun musste Gertrud herzhaft lachen.
„Er an ihr oder sie an ihm? Schätzchen! Das ist doch wohl immer eindeutig andersherum gewesen.“ Paul und Sieglinde mochten sich nicht besonders. Er war ihr zu exotisch, sie ihm zu bieder. Immer schon. Gertrud stand, so lange sie denken konnte, wie ein unerschütterliches Bindeglied zwischen den beiden: ihrer Freundin Sieglinde und ihrem Freund Paul.
„Gerti, deine Busenfreundin Sieglinde war ganz genau so lange hinter dem schönen Bernd her, bis der noch schönere Holger in ihr eintöniges Leben trat.“
Das Telefon klingelte. Laut und unüberhörbar.
„Pieper … Hallo, Sieglinde. Wir haben gerade von dir gesprochen. Nein, meine Liebe, nicht über dich, von dir, habe ich gesagt. Du, sei mir bitte nicht böse, Paul ist gerade da. Ich rufe dich morgen an, okay?“
Wenn sie ohne Punkt und Komma sprach und Sieglinde keine Chance zum Einhaken gab, wurde sie die Freundin am ehesten los, ohne ihr wehzutun. Heute war so ein Tag, an dem Gertrud sich nicht auf Sieglinde einlassen mochte. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie den Hörer wieder auf. Ein Griff – und auch der Anrufbeantworter war aktiviert.
Sie sollte häufiger mal in der Praxis ihres Ex-Mannes vorbeischauen. Eigentlich war Holger doch ein richtig netter Typ. Sieglinde lächelte ein wenig vor sich hin. Schade, dass Holger einen so lausigen Ehemann abgegeben hatte. Wer weiß, vielleicht wären sie noch verheiratet, wenn … „Hey, Schätzchen, du drehst dich mal wieder im Kreis. Hätte, wäre, wenn …“ Hatte sie gerade mit sich selbst gesprochen? Das Lächeln verschwand augenblicklich aus ihrem Gesicht. „Sieglinde Fabrizius, jetzt wirst du auch noch komisch.“
Ihre Ehe war gescheitert – nach dreizehn Jahren. Und das war auch gut so; zumindest mit einigem Abstand – räumlich wie zeitlich. Sieglinde Fabrizius litt zurzeit einfach unter einer ungeheuren Langeweile. Ohne Job oder zumindest ein zeitaufwendiges Hobby – dafür aber mit jeder Menge Geld. Holger war ihre große Liebe gewesen. Dass sie einmal heiraten würden, war schon ganz früh beschlossene Sache. Dass es dann doch noch ein paar Umwege zu bewältigen gab, lag wohl in der Natur der Dinge. Holgers Vater war der Hausarzt ihrer Eltern gewesen. Doktor Fabrizius besaß das großzügigste Haus im Ort, mit dem schönsten Garten, penibel angelegt von seiner Frau Elisabeth. Schon während der Schulzeit legte Frau Fabrizius gesteigerten Wert darauf, dass ihr Junge mit den richtigen Kindern spielte. Ausgesucht natürlich von ihr. Sie wusste als Mutter schließlich am besten, was für ihren Buben gut war. Auch später, in der Pubertät, beeinflusste sie ihren Sohn, wo immer sie konnte. Nur gegen Sieglinde blieb „Mutter“ lange Zeit machtlos.
Bestandenes Abitur, obligates Studium, Liebesheirat; eigentlich hätte es so weitergehen können. Aber nur die Gattin eines erfolgreichen Gynäkologen zu sein, war bedauerlicherweise nicht abendfüllend. Und der Job als Archivarin im städtischen Museum auch nicht das, wovon sie ihr Leben lang geträumt hatte. Ihre wahren Wünsche in die Tat umzusetzen – dazu hatte ihr stets der nötige Ehrgeiz gefehlt.
Irgendwann fing sie an, ihren Mann zu betrügen. Nie ernsthaft – immer nur so zum Spaß, wie bei allem, was sie bisher in ihrem Leben getan hatte.
Die viele Zeit, die sie ohne Holger verbrachte, nutzte Sieglinde auf ihre ganz eigene Art. Sie antwortete auf Kleinanzeigen – oder gab welche auf. Für einen flüchtigen Moment dachte sie an Paul. Zumindest diese eine Leidenschaft teilte sie mit dem besten Freund ihrer besten Freundin. Ihre zahlreichen Bekanntschaften und die Art, wie sie zustande kamen, hätten auch ihm gefallen: Durch die Kontaktanzeigen hatte sie im Laufe der Jahre nicht nur Thomas, Werner, Stefan und Georg kennengelernt, auch ihre neueste Eroberung war so in ihr Leben geschneit. Irgendwann wurde es ihrem Mann zu viel. Das Haus durfte Sieglinde nach der Scheidung behalten. Holger war nicht kleinlich gewesen, als er sie verließ. Seine langjährige Arzthelferin stand ihm wohl schon damals näher – und das offensichtlich nicht nur während der Sprechstunden. Holger zog bei Sieglinde aus und bei Marianne gleich wieder ein. Dr. Fabrizius – ein Mann für gemachte Nester. So war er schon immer gewesen und so dürfte er wohl auch für immer bleiben. Ein knappes Jahr später schoben Holger und seine „Neue“ bereits eine Zwillingskarre vor sich her. Wie lange hatte Sieglinde mit Holger auf Nachwuchs gehofft. Bei Marianne hatte es sofort geklappt. „Mutter“ dürfte zufrieden sein.
Was Holger wohl zu Sieglindes neuester Eroberung sagen würde? Eines würde er ganz bestimmt sein: über alle Maßen erstaunt. Und Gertrud erst. Noch ehe Sieglinde ihr am Telefon etwas davon erzählen konnte, war das Gespräch auch schon wieder vorbei – so einfach würde Gertrud aber nicht davonkommen. Den Anrufbeantworter konnte sie ja vielleicht noch einschalten – an der Haustür würde sie gegen Sieglindes Mitteilungsbedürfnis machtlos sein.
Wann hatte sie eigentlich aufgehört, an sich zu glauben? War es der Verriss ihres Hochschulprofessors gewesen, den sie zuvor hatte abblitzen lassen und der keine andere Möglichkeit sah, es ihr heimzuzahlen, als sie überall und bei jeder Gelegenheit lächerlich zu machen? Wie peinlich das doch war. Für ihn und für sie. Dabei war die Geschichte, die sie damals geschrieben hatte, gar nicht schlecht. Na ja, ein bisschen banal schon – vielleicht auch etwas zu glatt, ohne wirklichen Tiefgang. Eine Liebesgeschichte eben. Eine Geschichte, in der am Ende zwei Menschen zusammenkommen, die während der gesamten Handlung nicht den Hauch einer Ahnung davon gehabt haben, dass sie füreinander bestimmt sind. Natürlich mit der einen oder anderen komischen Verwicklung, mit komplizierten Seitenhandlungen und jeder Menge Liebesleid. Meine Güte, wie lange das schon her war! Sie hörte noch immer die Worte von Professor Großmüller: „Gertrud, sehen Sie lieber zu, dass Sie den richtigen Mann ohne derart alberne Zutaten finden, und konzentrieren Sie sich dann auf das, was Sie wahrscheinlich wirklich am besten können: Schreiben Sie über die kreativen Fähigkeiten anderer, statt auf eigene zu hoffen.“
Das hatte gesessen.
Ob der Mann wohl jemals etwas von ihr im Kulturteil des Stadtanzeigers gelesen hatte? Das Kaffeewasser kochte. Gertrud auch. Immer noch. Innerlich. Vor Wut. Über Großmüllers ausgemachte Frechheiten. Am meisten aber über sich selbst.
Vielleicht sollte sie Felicitas‘ Schicksal wohlwollend weiter verfolgen. Vielleicht werden ja doch irgendwann und irgendwo Träume wahr – und sei es auch nur in der regen Phantasie einer Frau in den sogenannten „besten“ Jahren.
Was würde Felicitas tun? Was würde sie, Gertrud, an Felicitas‘ Stelle tun? Den Frosch doch küssen? Oder dem Hund neues Wasser hinstellen und das glitschige Tier an die frische Luft setzen? Sie sollte sich ein bisschen mehr aufs Schreiben konzentrieren und nicht mit ihren Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Es klingelte an der Tür. Jetzt musste Felicitas wohl doch warten. Und mit ihr Frosch und Hund.
„Verkaufe nicht getragenes Brautkleid und komplettes Schlafzimmer – ebenfalls unbenutzt.“ Paul Korte liebte es, an Sonntagen in den Kleinanzeigen der Wochenendausgabe zu stöbern. Hatte ER SIE verlassen, noch bevor es vor den Traualtar ging? Wollte die Braut nicht mehr? Hatte einer von beiden einen Unfall, eine unheilbare Krankheit? Waren die Eltern gegen die Verbindung und hatten am Ende doch gesiegt? Oder gab es womöglich eine ganz einfache Erklärung? Etwa, SIE hatte kurz vor der Trauung ihr Coming-Out und sich in die Standesbeamtin verliebt – ER die Nase voll vom konventionellen Wohnen und keinen Bock mehr auf Schleiflackmöbel. Ja, so wird es gewesen sein. Paul lehnte sich zufrieden zurück. Über die verhinderte Braut und ihren „Fast“-Ehemann musste er sich keine Gedanken mehr machen.
Wie wäre es zur Belohnung mit einem Schokoladen-Croissant und einer weiteren Tasse Cappuccino? Ein prüfender Blick an sich herunter stoppte das Verlangen noch vor dem Griff nach den verführerischen Kalorienfallen. Wer schön bleiben will, muss leiden – die holde Männerwelt schläft nicht.
Es war aber auch eine Last mit der Lust auf etwas Süßes. Immer diese Zweideutigkeiten. Paul musste über sich selbst schmunzeln. Ob er wohl absichtlich auf die Schokoriegel-Werbung angesetzt worden war? Seit einem Jahr arbeitete Paul nun schon bei der Agentur „Team Guys“ – große Aufträge durfte er bislang nicht bearbeiten. Sein Chef meinte, er solle sich die Zähne erst mal an harmlosen Fällen ausbeißen. Schließlich habe auch er mal klein angefangen. „Auch mal klein angefangen.“ Wie er solche Sprüche hasste. Harry Wohlgemut hatte die Werbeagentur von seinem Onkel übernommen. Gut eingeführt, mit einer zahlungskräftigen Kundschaft, konnte sich der Juniorchef von Anfang an auf den Lorbeeren seines Vorgängers ausruhen. Zu Papier hatte Harry doch noch nie etwas gebracht. Und Phantasie hatte der Möchtegern-Kreative auch nicht.
Wenn er Harry sah, musste Paul jedes Mal an früher – an seine Jugend – denken. Harry hätte wirklich ein Bruder von Peter sein können. Irgendwann in der siebten Klasse hatte Peter Schornemann neben ihm gesessen. Der „Neue“ war irgendwie anders. Feiner. Wohlerzogener. Aber auch spießiger. Seine Eltern hielten sich für etwas Besseres, auch wenn sein Vater die Mutter verlassen hatte. Mehr als der monatliche Scheck war von Herrn Schornemann nicht zu erwarten. Peter hatte kaum Freunde in der Klasse. Da halfen ihm auch sein immens hohes Taschengeld und seine großzügigen Bestechungsversuche nicht weiter.
Aber Paul mochte den Sonderling. Nur zu gern folgte er der Aufforderung seiner Mutter, den Schulfreund mit zum Essen nach Hause zu bringen. Peter nahm die Einladung gern und häufig an. Er ließ Paul dabei aber immer spüren, dass er eigentlich einen anderen „Hintergrund“ hatte – oder sich zumindest so fühlte. „Wie Harry“, dachte Paul. „Ganz genau wie Harry.“
Wann hatte er seinen Schulkameraden Peter eigentlich aus den Augen verloren? Was war an jenem unsäglichen Nachmittag in seinem Zimmer zwischen Schularbeiten und Musikhören geschehen? Paul hatte sich doch einfach nur ein Herz genommen und Peter seine Liebe gestanden. Noch ehe sich sein Gast versah, hatte er den verblüfften Jungen auch schon umarmt und mitten auf den Mund geküsst. Paul konnte sich nur noch vage daran erinnern, dass Peter mit einem Aufschrei des Entsetzens von der Schlafcouch aufgesprungen war. Bis zum heutigen Tag hatte er kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Pauls Mutter hatte wohl noch Kontakt, sie redete darüber aber nie mit ihrem Sohn.
Statt an eine längst verflossene und noch dazu nie erfüllte Liebe zu denken, sollte er sich lieber Gedanken über sich und Raoul machen. Sie pflegten schon eine eigenartige Beziehung. Nicht miteinander – aber auch nicht ohne einander. „Hassliebe“ – oder Abhängigkeit? Aber wer dann von wem? Raoul passte so gar nicht in sein geregeltes Leben. Raoul, der Nachtclubsänger, und Paul, der Werbetexter, der sich doch so sehr nach einem seriösen Freund sehnte. Nach jemandem, auf den er richtig stolz sein konnte.
Völlig in Gedanken hatte Paul die gesamte Zeitung durchgeblättert. Von hinten nach vorne – so wie er es immer tat. Eine dumme Angewohnheit – aber hinten stand halt das Kurzweiligste. Für den Politik- und Wirtschaftsteil interessierte er sich kaum. Es sei denn, es gab mal wieder einen Artikel über seinen Lieblingspolitiker. Wie sich das anhörte: „Lieblingspolitiker“. Schließlich kannte Paul Robert Schüreisen nur aus der Berichterstattung im Fernsehen und aus der Presse. Vielleicht sollte er mal zu einer Veranstaltung gehen und ihn sich von der Nähe angucken. Ach, was sollte es. Der hatte bestimmt kein Interesse am eigenen Geschlecht. Obwohl das ja in Politikerkreisen fast schon zum guten Ton gehörte. Auf jeden Fall schien es Wählerstimmen zu bringen. Er sollte das Grübeln lassen und lieber ein paar Schritte vor die Tür machen. Wer wusste schon, wie lange das Wetter noch beständig war.
„Moment – ich komme gleich.“
Gertrud Pieper hasste es, unangemeldet Besuch zu bekommen. Ausgerechnet heute. Die Wohnung sah noch immer aus wie ein Schlachtfeld – sie selbst, na ja, auch nicht viel besser. Ein Blick durch den Spion in der Wohnungstür genügte, um ihre Laune wieder zu bessern.
„Paul – du schon wieder? Das ist ja toll. Du bist doch gerade erst gegangen!“
Wenn sie überhaupt einen Menschen an einem Sonntag wie diesem ertragen konnte, dann war es ihr bester Freund Paul. Paul Korte drückte Gertrud links und rechts einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Na, was ist? Kommst du mit? Draußen ist es richtig schön. Weißt du was, wir gehen ein Stück am Fluss entlang. So wie früher, wenn wir mal wieder nicht wussten, wohin mit uns und unseren Gefühlen.“
„Was soll das, Paul? Wie kommst du denn darauf, dass es mir nicht gut geht?“
„Zicke“, raunzte er kaum hörbar. „Schau dich doch mal an!“
Jetzt hatte er sie doch ertappt. Paul ließ nicht locker. „Gerti, meine Gute, zieh dir was Bequemes an und dann trotten wir beide los, okay? Zur Abwechslung höre ich dir mal zu und lasse dich reden. Ohne Widerworte! Hörst du?“
Gertrud gab sich geschlagen. Gegen Pauls Überredungskünste hatte sie ohnehin nicht die geringste Chance. Das war schon so gewesen, als beide noch in der Sandkiste Burgen bauten und mit Förmchen Kuchen backten.
„Ach Paule, wenn ich dich nicht hätte. Es ist einfach ein blöder Tag, weißt du. Diese verdammten Sonntage, wenn alle in Familie machen oder zumindest in trauter Zweisamkeit. Das kotzt mich so an.“
Noch ehe er ihr antworten konnte, flossen auch schon die Tränen. Paul zog ein großes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und reichte es der Freundin. Dann heulte er hemmungslos mit. So wie immer, wenn es traurig um ihn herum wurde.
„Was ist denn passiert?“
„Nichts, Paul. Das ist ja das Schreckliche. Nichts passiert. Nichts. Nichts. Nichts.“ Zu ihren Tränen gesellte sich ein heftiger Gefühlsausbruch. „In meinem Leben passiert gar nichts. Null. Nada. Niente. Ich habe das Gefühl, ich bewege mich auf der Stelle. Und ich kann nichts dagegen tun, Paul. Nichts. Absolut gar nichts!“
„Weißt du was, Gerti, wir gehen nirgendwohin. Wir räumen jetzt gemeinsam bei dir auf. Erst in der Wohnung und dann in deinem Seelenleben. Hast du noch was zu trinken da?“
Gertrud sah ihren Freund dankbar an. Genau das brauchte sie jetzt. Ein Gespräch unter Freundinnen. Über das Leben an sich und im Besonderen.
„Weißt du noch, Paul, wie wir uns vor Hunderten von Jahren mal um einen Mann gestritten haben?“ Gertrud war sich sicher, dass Paul das niemals vergessen würde. Schließlich ging es damals um Leben und Tod. Um was auch sonst? Der schöne Bernd war aber auch eine Sünde wert gewesen. Jedes Mädchen war hinter ihm her. Und Paul offensichtlich auch. Ob Bernd ihm jemals Hoffnung gemacht hatte? Sie hatte Paul noch nie danach gefragt.
„Sag mal Paul, was war mit Bernd und dir?“
„Welcher Bernd?“ Paul tat betont lässig. Etwas zu lässig für Gertruds Geschmack.
„Na, der schöne Bernd. Du weißt schon. Der mit den stahlblauen Augen und den blonden Korkenzieherlocken. Und mit den niedlichsten Grübchen der westlichen Hemisphäre. Bernd eben.“ Paul wurde rot. Richtig niedlich sah er aus, wenn er sich ertappt fühlte. Wie ein großer Junge. „Meinst du den Bernd, der immer wieder an Sieglinde herumgebaggert hat?“
Nun musste Gertrud herzhaft lachen.
„Er an ihr oder sie an ihm? Schätzchen! Das ist doch wohl immer eindeutig andersherum gewesen.“ Paul und Sieglinde mochten sich nicht besonders. Er war ihr zu exotisch, sie ihm zu bieder. Immer schon. Gertrud stand, so lange sie denken konnte, wie ein unerschütterliches Bindeglied zwischen den beiden: ihrer Freundin Sieglinde und ihrem Freund Paul.
„Gerti, deine Busenfreundin Sieglinde war ganz genau so lange hinter dem schönen Bernd her, bis der noch schönere Holger in ihr eintöniges Leben trat.“
Das Telefon klingelte. Laut und unüberhörbar.
„Pieper … Hallo, Sieglinde. Wir haben gerade von dir gesprochen. Nein, meine Liebe, nicht über dich, von dir, habe ich gesagt. Du, sei mir bitte nicht böse, Paul ist gerade da. Ich rufe dich morgen an, okay?“
Wenn sie ohne Punkt und Komma sprach und Sieglinde keine Chance zum Einhaken gab, wurde sie die Freundin am ehesten los, ohne ihr wehzutun. Heute war so ein Tag, an dem Gertrud sich nicht auf Sieglinde einlassen mochte. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie den Hörer wieder auf. Ein Griff – und auch der Anrufbeantworter war aktiviert.
Sie sollte häufiger mal in der Praxis ihres Ex-Mannes vorbeischauen. Eigentlich war Holger doch ein richtig netter Typ. Sieglinde lächelte ein wenig vor sich hin. Schade, dass Holger einen so lausigen Ehemann abgegeben hatte. Wer weiß, vielleicht wären sie noch verheiratet, wenn … „Hey, Schätzchen, du drehst dich mal wieder im Kreis. Hätte, wäre, wenn …“ Hatte sie gerade mit sich selbst gesprochen? Das Lächeln verschwand augenblicklich aus ihrem Gesicht. „Sieglinde Fabrizius, jetzt wirst du auch noch komisch.“
Ihre Ehe war gescheitert – nach dreizehn Jahren. Und das war auch gut so; zumindest mit einigem Abstand – räumlich wie zeitlich. Sieglinde Fabrizius litt zurzeit einfach unter einer ungeheuren Langeweile. Ohne Job oder zumindest ein zeitaufwendiges Hobby – dafür aber mit jeder Menge Geld. Holger war ihre große Liebe gewesen. Dass sie einmal heiraten würden, war schon ganz früh beschlossene Sache. Dass es dann doch noch ein paar Umwege zu bewältigen gab, lag wohl in der Natur der Dinge. Holgers Vater war der Hausarzt ihrer Eltern gewesen. Doktor Fabrizius besaß das großzügigste Haus im Ort, mit dem schönsten Garten, penibel angelegt von seiner Frau Elisabeth. Schon während der Schulzeit legte Frau Fabrizius gesteigerten Wert darauf, dass ihr Junge mit den richtigen Kindern spielte. Ausgesucht natürlich von ihr. Sie wusste als Mutter schließlich am besten, was für ihren Buben gut war. Auch später, in der Pubertät, beeinflusste sie ihren Sohn, wo immer sie konnte. Nur gegen Sieglinde blieb „Mutter“ lange Zeit machtlos.
Bestandenes Abitur, obligates Studium, Liebesheirat; eigentlich hätte es so weitergehen können. Aber nur die Gattin eines erfolgreichen Gynäkologen zu sein, war bedauerlicherweise nicht abendfüllend. Und der Job als Archivarin im städtischen Museum auch nicht das, wovon sie ihr Leben lang geträumt hatte. Ihre wahren Wünsche in die Tat umzusetzen – dazu hatte ihr stets der nötige Ehrgeiz gefehlt.
Irgendwann fing sie an, ihren Mann zu betrügen. Nie ernsthaft – immer nur so zum Spaß, wie bei allem, was sie bisher in ihrem Leben getan hatte.
Die viele Zeit, die sie ohne Holger verbrachte, nutzte Sieglinde auf ihre ganz eigene Art. Sie antwortete auf Kleinanzeigen – oder gab welche auf. Für einen flüchtigen Moment dachte sie an Paul. Zumindest diese eine Leidenschaft teilte sie mit dem besten Freund ihrer besten Freundin. Ihre zahlreichen Bekanntschaften und die Art, wie sie zustande kamen, hätten auch ihm gefallen: Durch die Kontaktanzeigen hatte sie im Laufe der Jahre nicht nur Thomas, Werner, Stefan und Georg kennengelernt, auch ihre neueste Eroberung war so in ihr Leben geschneit. Irgendwann wurde es ihrem Mann zu viel. Das Haus durfte Sieglinde nach der Scheidung behalten. Holger war nicht kleinlich gewesen, als er sie verließ. Seine langjährige Arzthelferin stand ihm wohl schon damals näher – und das offensichtlich nicht nur während der Sprechstunden. Holger zog bei Sieglinde aus und bei Marianne gleich wieder ein. Dr. Fabrizius – ein Mann für gemachte Nester. So war er schon immer gewesen und so dürfte er wohl auch für immer bleiben. Ein knappes Jahr später schoben Holger und seine „Neue“ bereits eine Zwillingskarre vor sich her. Wie lange hatte Sieglinde mit Holger auf Nachwuchs gehofft. Bei Marianne hatte es sofort geklappt. „Mutter“ dürfte zufrieden sein.
Was Holger wohl zu Sieglindes neuester Eroberung sagen würde? Eines würde er ganz bestimmt sein: über alle Maßen erstaunt. Und Gertrud erst. Noch ehe Sieglinde ihr am Telefon etwas davon erzählen konnte, war das Gespräch auch schon wieder vorbei – so einfach würde Gertrud aber nicht davonkommen. Den Anrufbeantworter konnte sie ja vielleicht noch einschalten – an der Haustür würde sie gegen Sieglindes Mitteilungsbedürfnis machtlos sein.
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Autoren-Porträt von Katharina Wolkenhauer
Der Fernsehzuschauer kennt Katharina Wolkenhauer als Redakteurin und Moderatorin für diverse Fernsehformate wie den „ARD-Ratgeber Reise“ oder das „Nachtmagazin“ und den „Wochenspiegel“. Die 1957 geborene Hannoveranerin studierte Romanistik und Kommunikationswissenschaften in Göttingen, ehe sie ein Volontariat zum Norddeutschen Rundfunk brachte, wo sie bis heute beschäftigt ist. Mit ihren beiden Hunden lebt die Vollblut-Journalistin am Stadtrand von Hamburg. Sie träumt von einem Leben in Italien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Katharina Wolkenhauer
- 2014, 175 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3955690954
- ISBN-13: 9783955690953
- Erscheinungsdatum: 15.01.2014
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 0.42 MB
- Ohne Kopierschutz
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