Kim und Struppi
Ferien in Nordkorea
Mit einer gefälschten Biografie war er nach Nordkorea eingereist, den Nachlass hatte er vorher geregelt: Was dem Satiriker und TV-Autor Christian Eisert Absurdes, Menschliches und Überraschendes im Kim-Land begegnet ist, hat er in seinem...
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Produktinformationen zu „Kim und Struppi “
Klappentext zu „Kim und Struppi “
Mit einer gefälschten Biografie war er nach Nordkorea eingereist, den Nachlass hatte er vorher geregelt: Was dem Satiriker und TV-Autor Christian Eisert Absurdes, Menschliches und Überraschendes im Kim-Land begegnet ist, hat er in seinem Reisebericht „Kim & Struppi“ sehr unterhaltsam zusammengefasst. Dass Christian Eisert ein sensibler Witzbold ist, der ein Gespür für das richtige Maß an Ironie besitzt, zeigte er früher schon als Gag-Schreiber für Harald Schmidt - und stellt sein Talent jetzt auch in „Kim und Struppi“ beeindruckend unter Beweis. So schreibt er über die erste Begrüßung per Handschlag nach der Einreise in die Demokratische Volksrepublik Nordkorea: „Zum ersten Mal in unserem Leben berührten wir Nordkoreaner. Sie fühlten sich warm an."
Stacheldraht und Elton John
Auf die Frage, was sein schönstes Erlebnis auf seiner Nordkorea-Reise gewesen sei, antwortete Eisert in einem Focus-Interview: „Am symbolträchtigsten und beeindruckendsten war sicher der Tanz zu ‚Tränen lügen nicht’ an der Grenze zu Südkorea - mitten in der entmilitarisierten Zone, der gefährlichsten Grenze der Welt. Das war ein Gänsehautmoment.“ Besonders in Erinnerung geblieben seien ihm und seiner vietnamesischen Freundin und Begleiterin Thanh Hoang aber auch eine bizarre Szene in dem mit Stacheldraht umzäunten Wellnesshotel: Vor der Karaoke-Maschine sang der Reiseleiter Elton Johns Lied ‚Can you feel the love tonight’. Eisert: „Das war ebenfalls ein schöner, intimer Moment.“
In seiner ‚Bücherkiste’ schrieb mdr.de über „Kim & Struppi“: „Es ist Realsatire - wenn es nicht so ernst wäre. Eisert schreibt sehr pointiert, spitzt zu. Das Buch über ein Land, das wohl die wenigsten von uns kennen, liest sich
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unterhaltsam.“
Von Menschen erzählen
Welt-Autorin Cosima Lutz hob in ihrer Rezension von Christian Eiserts Buch vor allem hervor, dass der Autor mit seinem Reisebericht nicht beabsichtige, den Tourismus in Nordkorea zu fördern, sondern von Menschen erzählen wolle. Lutz: „Eisert erweist sich dabei als guter Romantiker, der Vertrautes entdeckt im ganz anderen. Und der die eigene Faszination im Umgang mit dem Fremden - Wilden? - ironisch hintertreibt.“
Darf man eigentlich über eine Diktatur, in der die Menschen hungern, gefoltert und in Lagern gesteckt werden, lachen? Johannes Graf, der diese Frage in seinem Beitrag auf ntv.de stellt, meint: „Christian Eisert hat mit ‚Kim und Struppi’ darauf eine deutlich Antwort vorgelegt: Ja, man darf. Oder: ja, man muss es zwangsweise.“ Denn das, was der Comedy-Autor in seinem Reisebericht beschreibe, schreie vor Witz. Und als gutes Beispiel dafür erinnert Graf an die Situation, als die beiden staatlich bestellten Reisebegleiter, Herr Chung und Herr Rym, bei kritischen Nachfragen von Christian Eisert einfach in eine andere Richtung gedeutet und gesagt haben: „Schauen Sie dieses Gebäude! Sehr schön, nicht wahr?"
Nützliche Benimm-Tipps
Das Internet-Portal reisetravel.eu schrieb über Christian Eiserts Buch: „Kim & Struppi erweist sich als eine informative und dabei amüsante sowie lesenswerte Lektüre auch für diejenigen, welche nicht planen Nordkorea einen Besuch abzustatten.“ Wer allerdings einen Aufenthalt in Nordkorea ins Auge fasse, so die Rezensentin weiter, finde darin nützliche Benimm-Tipps über die Gepflogenheiten im Land.
Von Menschen erzählen
Welt-Autorin Cosima Lutz hob in ihrer Rezension von Christian Eiserts Buch vor allem hervor, dass der Autor mit seinem Reisebericht nicht beabsichtige, den Tourismus in Nordkorea zu fördern, sondern von Menschen erzählen wolle. Lutz: „Eisert erweist sich dabei als guter Romantiker, der Vertrautes entdeckt im ganz anderen. Und der die eigene Faszination im Umgang mit dem Fremden - Wilden? - ironisch hintertreibt.“
Darf man eigentlich über eine Diktatur, in der die Menschen hungern, gefoltert und in Lagern gesteckt werden, lachen? Johannes Graf, der diese Frage in seinem Beitrag auf ntv.de stellt, meint: „Christian Eisert hat mit ‚Kim und Struppi’ darauf eine deutlich Antwort vorgelegt: Ja, man darf. Oder: ja, man muss es zwangsweise.“ Denn das, was der Comedy-Autor in seinem Reisebericht beschreibe, schreie vor Witz. Und als gutes Beispiel dafür erinnert Graf an die Situation, als die beiden staatlich bestellten Reisebegleiter, Herr Chung und Herr Rym, bei kritischen Nachfragen von Christian Eisert einfach in eine andere Richtung gedeutet und gesagt haben: „Schauen Sie dieses Gebäude! Sehr schön, nicht wahr?"
Nützliche Benimm-Tipps
Das Internet-Portal reisetravel.eu schrieb über Christian Eiserts Buch: „Kim & Struppi erweist sich als eine informative und dabei amüsante sowie lesenswerte Lektüre auch für diejenigen, welche nicht planen Nordkorea einen Besuch abzustatten.“ Wer allerdings einen Aufenthalt in Nordkorea ins Auge fasse, so die Rezensentin weiter, finde darin nützliche Benimm-Tipps über die Gepflogenheiten im Land.
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Lese-Probe zu „Kim und Struppi “
Kim und Struppi von Christian EisertDie verschwundene Stadt
Wer möchte denn nachher an die Karte?«, fragte Herr Thomas zu Beginn der Geographiestunde in die Klasse. Eigentlich stand Mathe auf dem Plan, aber es wurde eine Delegation erwartet: der Bildungsminister von Nordkorea, Ri Dschong-dschu, und der stellvertretende Bildungsminister der DDR - Volksbildungsministerin Margot Honecker hatte wohl Wichtigeres zu tun.
Es meldeten sich zwei Mädchen und ein Junge.
Die pummlige Sandy schied schon mal aus. Dass ihre Mutter Sandy das dünne Blondhaar schnitt - ohne jegliches Talent für das Friseurhandwerk -, sah man deutlich. Außerdem trug Sandy keine ordentliche Pionierbluse, sondern nur einen blauen Nicki. Anders Nancy. Ihr kräftiges Blondhaar war zu einem dicken Zopf gebunden, der bis zum Saum ihres dunkelblauen Rockes reichte. Dazu protzte ihr rotes Halstuch mit dem makellosesten Pionierknoten der Klasse. Sie war eigentlich perfekt, jedoch als Gruppenratsvorsitzende bereits beim Rundgang mit der Delegation durch die Schule in Erscheinung getreten. Wäre sie jetzt wieder an vorderster Front aktiv, würde es aussehen, als hätte die DDR nur ein kluges Kind.
So fiel die Wahl auf den Jungen. Er trug ein etwas zu groß geratenes Brillengestell in Blaumetallic. Pionierhemd und Halstuch waren in Sitz und Knoten nicht so makellos wie bei Nancy, aber immerhin vorhanden.
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Herr Thomas gab letzte Instruktionen und kontrollierte dabei mit den dreieinhalb Fingern der rechten Hand - Daumen und ein Stück des Zeigefingers waren bei frühpubertären Experimenten mit Silvesterknallern abhandengekommen -, ob der Reißverschluss seiner Stonewashed-Jeans geschlossen war. Im Laufe der letzten zwei Jahre hatte sich die Klasse an seinen regelmäßigen Griff in den Schritt gewöhnt. Und auch an die Kreidespuren an dieser Stelle.
Die nächsten Minuten warteten er und die Klasse schweigend auf den Moment, in dem man sie in ihrer ganz normalen Unterrichtstunde überraschte. Auf der dunkelgrünen Tafel stand: »Die Längen- und Breitengrade der Erde« - und darunter die Koordinaten von »Berlin, Hauptstadt der DDR«. Was noch fehlte, waren die Koordinaten von »Phöngjang, Hauptstadt der KDVR«. Es war Herr Thomas' erstes Tafelbild, das man vollständig lesen konnte. Endlich klopfte es an der Tür. Ansatzlos sagte Herr Thomas:
»Kommen wir jetzt zu den Längen- und Breitengraden. Wer kann uns denn mal zeigen, wo Fjöngjang liegt?«, und unterbrach sich ganz verdutzt: »Oh, es hat geklopft.«
Der rote Haarschopf der Direktorin erschien im Türrahmen. »Lassen Sie sich nicht stören, Kollege.« Die Direktorin, der stellvertretende Direktor, zwei unbekannte Herren in hellgrauen und drei Nordkoreaner in dunkelgrauen Anzügen marschierten an der Wandseite entlang nach hinten. Die Nordkoreaner trugen alle denselben Linksscheitel. Einer lächelte schiefzahnig: Ri Dschong-dschu.
Ganz hinten, neben der Wandzeitung zum »Internationalen Tag des Kindes«, war ganz zufällig ein Tisch mit zwei Stühlen frei. Die Direktorin und Ri Dschong-dschu nahmen Platz. Ein Nordkoreaner hockte sich hinter sie - der Dolmetscher.
Der Junge wurde nach vorn gerufen und stand nun vor der großen Weltkarte. Lauter bunte Länder. Schweinchenrosa die Sowjetunion, grün die USA und die kleine DDR himmelblau. Er spürte, wie ihm die Delegation, die Klasse und Herr Thomas auf den Rücken starrten. Er starrte ebenfalls. Von nahem wirkte die Karte deutlich unübersichtlicher.
»Na«, Herr Thomas' demonstrative Heiterkeit kollidierte mit dem Beben in seiner Stimme, »arbeitest du dich von links nach rechts vor? Von Europa nach Asien?«
Der Dolmetscher übersetzte.
Rechts und links kann der Junge bis heute nur nach längerem Nachdenken lokalisieren. Ihm wurde schwummrig. Die blaue Metallbrille rutschte von der Nase. Er schob sie mit dem Zeigefinger zurück, schielte zu Herrn Thomas. Der nestelte an seinem Hosenschlitz und fixierte gleichzeitig einen Punkt am anderen Ende der Karte. Das half.
Schnell hatte der Junge China gefunden. Ein gelber, fetter Fleck unter der Schweinchensowjetunion. Gleich darauf zeigte er auf die Koreanische Demokratische Volksrepublik - KDVR.
Alle atmeten aus. Auch der Dolmetscher.
»Und jetzt sind wir sehr gespannt«, schaltete sich die Direktorin von hinten ein, und jeder hörte die Drohung unter ihrem Lächeln, »wie die Längen- und Breitengrade von Fjöngjang lauten.« Auch sie sprach das Ph als F aus.
Der Dolmetscher übersetzte, Ri Dschong-dschu nickte. Und der dickere der hellgrauen Herren auch. Vermutlich Margot Honeckers Stellvertreter.
Der Junge stierte auf die koreanische Halbinsel. Die Landzunge sah aus wie ein Seepferdchen. Den nordkoreanischen langschnäuzigen Kopf reckte es nach oben rechts, den südkoreanischen Bauch wölbte es vor. Der Schwanz fehlte, als hätte man ihn abgehackt. Nord- und Südkorea - ein Seepferdchen, das vor Schmerzen schrie.
Farben und Linien, Buchstaben und Zahlen. Alles floss ineinander. Dem Jungen kam die riesige Wasserrutsche in den Sinn, die irgendwo in der Hauptstadt Nordkoreas stand. Gestern hatten alle Schüler im Kino Sojus einen Film über die KDVR gesehen. Das regenbogenfarbene Rutschbauwerk, ein Geschenk des Großen Führers Kim Il-sung an Koreas Kinder, hatte ihn am meisten beeindruckt. Ein Umstand, der im anschließenden Auswertungsgespräch zum Film nicht so gut ankam. Besser wäre es wohl gewesen, eine kommunistische Errungenschaft zu nennen, bei der es aufwärtsgeht.
Hinter ihm Flüstern und Scharren von Schuhen. Er versuchte sich zu konzentrieren. Kniff die Augen zusammen, riss sie auf. Der bunte Brei blieb. Der Junge drehte sich zur Klasse um. Sofort Stille. In den Gesichtern der Mitschüler Anteilnahme, Schadenfreude und Erleichterung darüber, nicht selbst vorn zu stehen. Der Mund des Jungen war ausgetrocknet. Man verstand ihn kaum. »Ich find's nicht ...«
Hinten wurde übersetzt. Ri Dschong-dschu grunzte.
Der Junge hörte, wie Herr Thomas Sandys Namen rief, sah von seinem Platz aus, wie sie deutete und redete und wie sie die Ehre der Klasse, der Schule und der gesamten Deutschen Demokratischen Republik wiederherstellte. Und er schwor sich, nie, nie mehr darüber zu sprechen.
Den Regenbogen hinauf
Die Bäume am Boxhagener Platz streckten ihre kahlen Äste in den Berliner Wintermorgen. Ein Krähenschwarm stieg auf. Modisch vermummte Mütter trieben ihren Nachwuchs durch die von Altbauten gesäumten Straßen. Früher hätte es nach Kohlerauch gerochen.
Der Workshop fand zum ersten Mal am neuen Standort der Drehbuchakademie statt. Während zwei Dutzend Teilnehmer meines Comedy-Seminars schwatzend ihre Plätze einnahmen, tippte ich in mein Handy:
Werkle heute bei dir ums Eck. Könnten zusammen Mittag essen ...
Ihre Antwort kam noch vor dem letzten Nachzügler:
Schniefe und krächze. Fieber auch. Und drei Abgabetermine!!!
In der Mittagspause stürmte ich in die Apotheke gegenüber, kaufte eine Eukalyptusbad-Sprudeltablette, Salbeibonbons und Holunderblütentee, hetzte damit über die nächste Kreuzung, durch eine Toreinfahrt in einen Hinterhof. Rannte eine Treppe hoch und war wenige Sekunden später ohne Apothekentütchen wieder auf der Straße. Im Schein der Januarsonne tippte ich:
Schau mal an deine Wohnungstür. Kleiner Gruß von mir ...
Es war vier, als sie antwortete.
Habe es gerade gefunden. :-))) Du bist ein Schätzchen. Liebe
Eukalyptusbad!!! Dicke Schnupfenumarmung! ... Wieso hast
du nicht geklingelt???
Ich ließ die Seminarteilnehmer zehn Berufe für einen dicken Mann aufschreiben, so blieb Zeit für:
Hatte Angst mich anzustecken.
Kurz vor dem Ende der Übung kam:
War ja klar!
Vier Stunden später saßen wir trotzdem zusammen in ihrem Wohnzimmer. Draußen war es dunkel. Der Schein der Teelichter auf ihrem Tisch spiegelte sich in den Fensterscheiben.
»Ich hab irgendwo noch 'nen Mundschutz. Willste den umbinden?« Es gelang ihr, die beiden Sätze zwischen nur drei Hustern auszustoßen. Sie hing auf einem Stuhl an der Stirnseite des drei Meter langen Esstisches aus Eichenbalken. Zurückgelehnt saß ich an der gegenüberliegenden Seite und streichelte den dicken Kopf ihres Labradors. »Sollen wir dein Frauchen fragen, ob sie das Ausatmen einstellt? Wegen der Bakterien.« Der Hund legte den Kopf schief und dachte nach. Er hieß Uncle Sam. Seine Herrin lachte.
Trotz ihrer jämmerlichen Verfassung und des Jogginganzuges, der um ihren Körper schlabberte, strahlte sie mehr natürliche Coolness aus als alle Friedrichshainer Modemuttis zusammen. Kennengelernt hatten wir uns vor fünf Jahren, als ich sie im Gästegedränge einer Vernissage übersehen und meinen Orangensaft über ihr teures Áo dài geschüttet hatte, ein traditionelles vietnamesisches Seidenkleid, das sie an diesem Abend zum ersten Mal trug. Damals besann sie sich gerade wieder auf ihre Wurzeln. Thanh ist nämlich gebürtige Vietnamesin. Aus der anschließenden Mail-Korrespondenz über Reinigungsrechnungen und die zerstörerischen Kräfte von Orangensaft wuchs unsere besondere Freundschaft. Einige Monate später schenkte ich ihr zum Geburtstag ein neues Türschild mit der Gravur Thanh Hoang.
Mit der Frisur, die sie heute Abend trug, hätte ich sie damals sicher nicht übersehen. Ihre langen, schwarzen Haare hatte Thanh mit einem roten Tuchwickel hochgebunden. Oben schauten fransige Strähnen heraus. Bei jeder ihrer Hustenattacken schaukelte der rote Turm heiter hin und her. Statt der üblichen Kontaktlinsen trug sie ihre schwarze Brille, die etwas zu groß war für die kleine Nase. »Du hast bestimmt Hunger. Ich hab noch Auflauf im Kühlschrank.«
»Mit Fleisch?«
Statt einer Antwort äugte sie über den Brillenrand und ließ die Pupillen kreisen, was wohl »Dumme Frage!« heißen sollte. »Zucchini und Auberginen.«
Ich machte ein »Bäh!«-Gesicht. Sie riss eine Packung Marlboro auf. »Dann einen Tee, ja?«
Ich nickte.
»Darf ich erst eine rauchen?«
»Was fragst du? Du wohnst hier.«
»Ich rauch' am Fenster, ja?«
Sie war im Begriff aufzustehen und Frostluft hereinzulassen. Augenblicklich verspannte ich. »Du holst dir den Tod. Durch Erkältung und Nikotinvergiftung.«
»Du meinst, du holst dir den Tod.« Ihr Feuerzeug klickte. Das Fenster blieb zu. Im meinem Kopf kreiste die Idee, ein neues Sprichwort zu erfinden mit »Regen«, »Traufe«, »Pest« und »Cholera«. Sie pustete, hustete und sagte: »Mann, Hase! Kein Alkohol, keine Zigaretten und bei dreißig Grad im Schatten heizen. Wie hält das Isabel nur mit so einem Pimpelchen aus?«
Isabel war meine Freundin. Ich hielt sie lieber aus der Diskussion heraus. Nachher stritten wir noch darüber, warum ich mich als Berliner an eine Schwäbin verschenkte. Mein Liebesleben war ähnlich turbulent wie das von Thanh. Regelmäßig klagten wir einander unser Leid mit Partnern und Trennungen. Unsere Freundschaft dagegen erwies sich bisher als unerschütterlich. Obwohl uns so viel trennte. Zum Beispiel unser Wärmebedürfnis.
»Wieso Pimpelchen? Erstens sind draußen minus vierzehn Grad, und zweitens hatte ich schon meinen Arm im Hintern einer Kuh.«
»Ich hab mich drei Tage in der Sahara verlaufen.«
»Ich hab dreizehn Jahre in der DDR gelebt.«
»Ich bin fast verdurstet.«
»Ich war Jungpionier!«
Sie blies Rauch in Richtung Decke. »Oh, wie gefährlich. Pionier an der Thälmann-Schule.«
»Meine Schule hieß Schule der Freundschaft zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Koreanisch Demokratischen Volksrepublik!«
»Bitte?«
Ich wiederholte den Namen. Diesmal noch schneller. Als Schüler hatten wir damit Zungenbrecher-Wettbewerbe veranstaltet. Natürlich nicht offiziell.
»Und was habt ihr da gemacht? Panzer aus Reis gebaut?«
»Nein, wir bekamen Besuch von nordkoreanischen Freundschaftsdelegationen und wedelten mit Winkelementen.« »Winkelemente?« »Ja, Sonnenblumen aus Plastik, die auseinanderfielen, wenn man zu sehr winkte.«
© Ullstein Verlag
Herr Thomas gab letzte Instruktionen und kontrollierte dabei mit den dreieinhalb Fingern der rechten Hand - Daumen und ein Stück des Zeigefingers waren bei frühpubertären Experimenten mit Silvesterknallern abhandengekommen -, ob der Reißverschluss seiner Stonewashed-Jeans geschlossen war. Im Laufe der letzten zwei Jahre hatte sich die Klasse an seinen regelmäßigen Griff in den Schritt gewöhnt. Und auch an die Kreidespuren an dieser Stelle.
Die nächsten Minuten warteten er und die Klasse schweigend auf den Moment, in dem man sie in ihrer ganz normalen Unterrichtstunde überraschte. Auf der dunkelgrünen Tafel stand: »Die Längen- und Breitengrade der Erde« - und darunter die Koordinaten von »Berlin, Hauptstadt der DDR«. Was noch fehlte, waren die Koordinaten von »Phöngjang, Hauptstadt der KDVR«. Es war Herr Thomas' erstes Tafelbild, das man vollständig lesen konnte. Endlich klopfte es an der Tür. Ansatzlos sagte Herr Thomas:
»Kommen wir jetzt zu den Längen- und Breitengraden. Wer kann uns denn mal zeigen, wo Fjöngjang liegt?«, und unterbrach sich ganz verdutzt: »Oh, es hat geklopft.«
Der rote Haarschopf der Direktorin erschien im Türrahmen. »Lassen Sie sich nicht stören, Kollege.« Die Direktorin, der stellvertretende Direktor, zwei unbekannte Herren in hellgrauen und drei Nordkoreaner in dunkelgrauen Anzügen marschierten an der Wandseite entlang nach hinten. Die Nordkoreaner trugen alle denselben Linksscheitel. Einer lächelte schiefzahnig: Ri Dschong-dschu.
Ganz hinten, neben der Wandzeitung zum »Internationalen Tag des Kindes«, war ganz zufällig ein Tisch mit zwei Stühlen frei. Die Direktorin und Ri Dschong-dschu nahmen Platz. Ein Nordkoreaner hockte sich hinter sie - der Dolmetscher.
Der Junge wurde nach vorn gerufen und stand nun vor der großen Weltkarte. Lauter bunte Länder. Schweinchenrosa die Sowjetunion, grün die USA und die kleine DDR himmelblau. Er spürte, wie ihm die Delegation, die Klasse und Herr Thomas auf den Rücken starrten. Er starrte ebenfalls. Von nahem wirkte die Karte deutlich unübersichtlicher.
»Na«, Herr Thomas' demonstrative Heiterkeit kollidierte mit dem Beben in seiner Stimme, »arbeitest du dich von links nach rechts vor? Von Europa nach Asien?«
Der Dolmetscher übersetzte.
Rechts und links kann der Junge bis heute nur nach längerem Nachdenken lokalisieren. Ihm wurde schwummrig. Die blaue Metallbrille rutschte von der Nase. Er schob sie mit dem Zeigefinger zurück, schielte zu Herrn Thomas. Der nestelte an seinem Hosenschlitz und fixierte gleichzeitig einen Punkt am anderen Ende der Karte. Das half.
Schnell hatte der Junge China gefunden. Ein gelber, fetter Fleck unter der Schweinchensowjetunion. Gleich darauf zeigte er auf die Koreanische Demokratische Volksrepublik - KDVR.
Alle atmeten aus. Auch der Dolmetscher.
»Und jetzt sind wir sehr gespannt«, schaltete sich die Direktorin von hinten ein, und jeder hörte die Drohung unter ihrem Lächeln, »wie die Längen- und Breitengrade von Fjöngjang lauten.« Auch sie sprach das Ph als F aus.
Der Dolmetscher übersetzte, Ri Dschong-dschu nickte. Und der dickere der hellgrauen Herren auch. Vermutlich Margot Honeckers Stellvertreter.
Der Junge stierte auf die koreanische Halbinsel. Die Landzunge sah aus wie ein Seepferdchen. Den nordkoreanischen langschnäuzigen Kopf reckte es nach oben rechts, den südkoreanischen Bauch wölbte es vor. Der Schwanz fehlte, als hätte man ihn abgehackt. Nord- und Südkorea - ein Seepferdchen, das vor Schmerzen schrie.
Farben und Linien, Buchstaben und Zahlen. Alles floss ineinander. Dem Jungen kam die riesige Wasserrutsche in den Sinn, die irgendwo in der Hauptstadt Nordkoreas stand. Gestern hatten alle Schüler im Kino Sojus einen Film über die KDVR gesehen. Das regenbogenfarbene Rutschbauwerk, ein Geschenk des Großen Führers Kim Il-sung an Koreas Kinder, hatte ihn am meisten beeindruckt. Ein Umstand, der im anschließenden Auswertungsgespräch zum Film nicht so gut ankam. Besser wäre es wohl gewesen, eine kommunistische Errungenschaft zu nennen, bei der es aufwärtsgeht.
Hinter ihm Flüstern und Scharren von Schuhen. Er versuchte sich zu konzentrieren. Kniff die Augen zusammen, riss sie auf. Der bunte Brei blieb. Der Junge drehte sich zur Klasse um. Sofort Stille. In den Gesichtern der Mitschüler Anteilnahme, Schadenfreude und Erleichterung darüber, nicht selbst vorn zu stehen. Der Mund des Jungen war ausgetrocknet. Man verstand ihn kaum. »Ich find's nicht ...«
Hinten wurde übersetzt. Ri Dschong-dschu grunzte.
Der Junge hörte, wie Herr Thomas Sandys Namen rief, sah von seinem Platz aus, wie sie deutete und redete und wie sie die Ehre der Klasse, der Schule und der gesamten Deutschen Demokratischen Republik wiederherstellte. Und er schwor sich, nie, nie mehr darüber zu sprechen.
Den Regenbogen hinauf
Die Bäume am Boxhagener Platz streckten ihre kahlen Äste in den Berliner Wintermorgen. Ein Krähenschwarm stieg auf. Modisch vermummte Mütter trieben ihren Nachwuchs durch die von Altbauten gesäumten Straßen. Früher hätte es nach Kohlerauch gerochen.
Der Workshop fand zum ersten Mal am neuen Standort der Drehbuchakademie statt. Während zwei Dutzend Teilnehmer meines Comedy-Seminars schwatzend ihre Plätze einnahmen, tippte ich in mein Handy:
Werkle heute bei dir ums Eck. Könnten zusammen Mittag essen ...
Ihre Antwort kam noch vor dem letzten Nachzügler:
Schniefe und krächze. Fieber auch. Und drei Abgabetermine!!!
In der Mittagspause stürmte ich in die Apotheke gegenüber, kaufte eine Eukalyptusbad-Sprudeltablette, Salbeibonbons und Holunderblütentee, hetzte damit über die nächste Kreuzung, durch eine Toreinfahrt in einen Hinterhof. Rannte eine Treppe hoch und war wenige Sekunden später ohne Apothekentütchen wieder auf der Straße. Im Schein der Januarsonne tippte ich:
Schau mal an deine Wohnungstür. Kleiner Gruß von mir ...
Es war vier, als sie antwortete.
Habe es gerade gefunden. :-))) Du bist ein Schätzchen. Liebe
Eukalyptusbad!!! Dicke Schnupfenumarmung! ... Wieso hast
du nicht geklingelt???
Ich ließ die Seminarteilnehmer zehn Berufe für einen dicken Mann aufschreiben, so blieb Zeit für:
Hatte Angst mich anzustecken.
Kurz vor dem Ende der Übung kam:
War ja klar!
Vier Stunden später saßen wir trotzdem zusammen in ihrem Wohnzimmer. Draußen war es dunkel. Der Schein der Teelichter auf ihrem Tisch spiegelte sich in den Fensterscheiben.
»Ich hab irgendwo noch 'nen Mundschutz. Willste den umbinden?« Es gelang ihr, die beiden Sätze zwischen nur drei Hustern auszustoßen. Sie hing auf einem Stuhl an der Stirnseite des drei Meter langen Esstisches aus Eichenbalken. Zurückgelehnt saß ich an der gegenüberliegenden Seite und streichelte den dicken Kopf ihres Labradors. »Sollen wir dein Frauchen fragen, ob sie das Ausatmen einstellt? Wegen der Bakterien.« Der Hund legte den Kopf schief und dachte nach. Er hieß Uncle Sam. Seine Herrin lachte.
Trotz ihrer jämmerlichen Verfassung und des Jogginganzuges, der um ihren Körper schlabberte, strahlte sie mehr natürliche Coolness aus als alle Friedrichshainer Modemuttis zusammen. Kennengelernt hatten wir uns vor fünf Jahren, als ich sie im Gästegedränge einer Vernissage übersehen und meinen Orangensaft über ihr teures Áo dài geschüttet hatte, ein traditionelles vietnamesisches Seidenkleid, das sie an diesem Abend zum ersten Mal trug. Damals besann sie sich gerade wieder auf ihre Wurzeln. Thanh ist nämlich gebürtige Vietnamesin. Aus der anschließenden Mail-Korrespondenz über Reinigungsrechnungen und die zerstörerischen Kräfte von Orangensaft wuchs unsere besondere Freundschaft. Einige Monate später schenkte ich ihr zum Geburtstag ein neues Türschild mit der Gravur Thanh Hoang.
Mit der Frisur, die sie heute Abend trug, hätte ich sie damals sicher nicht übersehen. Ihre langen, schwarzen Haare hatte Thanh mit einem roten Tuchwickel hochgebunden. Oben schauten fransige Strähnen heraus. Bei jeder ihrer Hustenattacken schaukelte der rote Turm heiter hin und her. Statt der üblichen Kontaktlinsen trug sie ihre schwarze Brille, die etwas zu groß war für die kleine Nase. »Du hast bestimmt Hunger. Ich hab noch Auflauf im Kühlschrank.«
»Mit Fleisch?«
Statt einer Antwort äugte sie über den Brillenrand und ließ die Pupillen kreisen, was wohl »Dumme Frage!« heißen sollte. »Zucchini und Auberginen.«
Ich machte ein »Bäh!«-Gesicht. Sie riss eine Packung Marlboro auf. »Dann einen Tee, ja?«
Ich nickte.
»Darf ich erst eine rauchen?«
»Was fragst du? Du wohnst hier.«
»Ich rauch' am Fenster, ja?«
Sie war im Begriff aufzustehen und Frostluft hereinzulassen. Augenblicklich verspannte ich. »Du holst dir den Tod. Durch Erkältung und Nikotinvergiftung.«
»Du meinst, du holst dir den Tod.« Ihr Feuerzeug klickte. Das Fenster blieb zu. Im meinem Kopf kreiste die Idee, ein neues Sprichwort zu erfinden mit »Regen«, »Traufe«, »Pest« und »Cholera«. Sie pustete, hustete und sagte: »Mann, Hase! Kein Alkohol, keine Zigaretten und bei dreißig Grad im Schatten heizen. Wie hält das Isabel nur mit so einem Pimpelchen aus?«
Isabel war meine Freundin. Ich hielt sie lieber aus der Diskussion heraus. Nachher stritten wir noch darüber, warum ich mich als Berliner an eine Schwäbin verschenkte. Mein Liebesleben war ähnlich turbulent wie das von Thanh. Regelmäßig klagten wir einander unser Leid mit Partnern und Trennungen. Unsere Freundschaft dagegen erwies sich bisher als unerschütterlich. Obwohl uns so viel trennte. Zum Beispiel unser Wärmebedürfnis.
»Wieso Pimpelchen? Erstens sind draußen minus vierzehn Grad, und zweitens hatte ich schon meinen Arm im Hintern einer Kuh.«
»Ich hab mich drei Tage in der Sahara verlaufen.«
»Ich hab dreizehn Jahre in der DDR gelebt.«
»Ich bin fast verdurstet.«
»Ich war Jungpionier!«
Sie blies Rauch in Richtung Decke. »Oh, wie gefährlich. Pionier an der Thälmann-Schule.«
»Meine Schule hieß Schule der Freundschaft zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Koreanisch Demokratischen Volksrepublik!«
»Bitte?«
Ich wiederholte den Namen. Diesmal noch schneller. Als Schüler hatten wir damit Zungenbrecher-Wettbewerbe veranstaltet. Natürlich nicht offiziell.
»Und was habt ihr da gemacht? Panzer aus Reis gebaut?«
»Nein, wir bekamen Besuch von nordkoreanischen Freundschaftsdelegationen und wedelten mit Winkelementen.« »Winkelemente?« »Ja, Sonnenblumen aus Plastik, die auseinanderfielen, wenn man zu sehr winkte.«
© Ullstein Verlag
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Autoren-Porträt von Christian Eisert
Christian Eisert, Jahrgang 1976, ist TV-Autor, Satiriker und Comedy-Coach. Seine Gags und Drehbücher bereichern Erfolgsformate wie Harald Schmidt, Was guckst du?, Die Freitag Nacht News sowie die Sesamstraße und werden von Comedians wie Oliver Pocher, Kurt Krömer und Alfons mit dem Puschelmikro verwendet. Als Comedy-Coach vermittelt Christian Eisert Autoren, Journalisten und Animateuren das Handwerk des Humors. Im Zentrum seiner Geburtsstadt Berlin lebt der Autor in wilder Ehe mit einem Porsche.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christian Eisert
- 2014, 320 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein extra
- ISBN-10: 3864930200
- ISBN-13: 9783864930201
- Erscheinungsdatum: 10.03.2014
Rezension zu „Kim und Struppi “
Das Buch Kim und Struppi ist "voll mit unterhaltsamen Beobachtungen, bizarren Dialogen und frei von Klischees." Welt am Sonntag
Kommentare zu "Kim und Struppi"
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