50 Engel für das Jahr, Jubiläumsausgabe
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50 Engel für das Jahr von Anselm Grün
LESEPROBE
Einejunge Frau ist bei einer Silvesterparty. Es ist ein Kreis, der das Neue Jahr bewußt beginnen möchte, nicht nur mit Sekt undBöllerschüssen. Jemand hat 50 Engel für das Jahr auf 50 Karten geschrieben unddie Teilnehmer eingeladen, sich einen Engel für das kommende Jahr zu ziehen. Essind 50 Haltungen darauf geschrieben, die unser Leben prägen sollen. Natürlichkönnen nicht alle 50 Haltungen zugleich mein Leben bestimmen. Aber wenn ich einJahr lang eine Haltung einübe, dann wird sich das auf mein ganzes Leben hinauswirken, dann wird in mir etwas neu. Eine Haltung möchte Halt geben mitten inder Haltlosigkeit unseres Lebens. Sie entspricht dem, was wir früher Tugendnannten. Tugend kommt von taugen. Wennwir so eine Tugend einüben, dann taugt unser Leben, dann wird es gelingen. ImLateinischen heißt die Tugend virtus. Virtus meint zugleich die Kraft und dieFestigkeit, mit der einer im Leben steht. In der Tugend liegt eine Kraft, dieunser Leben umzugestalten vermag. Fürdie Griechen war Tugend die arete, dieWesensart des edlen und gebildeten Menschen. Die Haltungen wurden Engelnzugeordnet. Engel werden heute wieder modern. Nachdem sie jahrzehntelang in derTheologie - und auch im allgemeinen Bewußtsein - eherein bescheidenes Dasein fristeten, werden sie heute in zahlreichen Büchernwieder hochgehalten. In der Bibel sind Engel Boten Gottes. Sie zeigen Gotteshelfende und heilende Nähe an. Es ist nicht immer klar, ob sie selbständigeWesen sind oder nur Bilder für Gottes liebende und tröstende Gegenwart. Sicher ist dies: Engel sind Botschafter eineranderen, tieferen Wirklichkeit für die Menschen. Die Vorstellungen, die wir mitihnen verbinden, sind kostbare Bilder, Imaginationen einer Sehnsucht nach eineranderen Welt der Geborgenheit und Leichtigkeit, der Schönheit und Hoffnung. Dasgehört zur tieferen Wahrheit der Engel: Sie zeigen, daßunser Leben «mehr» ist, daß es auf anderes verweist.Engel sind Bilder der tiefen, bleibenden Sehnsucht nach Hilfe und Heilung, dienicht aus uns selber kommt. Daß sie heute wieder«ankommen», ist Ausdruck einer Hoffnung: daß unserLeben wirklich nicht ins Leere läuft, daß es glückenkann, daß wir ankommen können an unserem eigentlichenZiel. Engel sind spirituelleWegbegleiter. Sie bringen uns in Berührung mit einer tiefen Sehnsucht, die ineinem jeden von uns steckt. Sie sind eine Quelle der Inspiration. Da wird einanderes, größeres Leben in uns eingehaucht, das dieser Sehnsucht unseresHerzens gerecht wird. Gott sendet seine Engel, um die Menschen zu schützen.
Das Gebet zum Schutzengel ist unsseit den Kindertagen vertraut. Vielehaben das Bild des Schutzengels abgetan. Aber wenn sie mit dem Auto glücklicheinem Unfall entrinnen, dann glauben sie doch, daßsie da einen guten Schutzengel hatten. Es ist nicht so wichtig, ob es nun Gottselbst war, der uns geschützt hat, oder ein Engel, den er zu unserem Schutzgesandt hat. Bilder haben eine eigene Mächtigkeit. Daher dürfen wir getrost dieSprache der Bilder benutzen, um Gottes helfendes Tun zu beschreiben. Es sindEngel, die uns zur Seite stehen. Es sind Engel, die uns bewachen. Es sindEngel, die uns im Traume verkünden, wohin unser Weg gehen sollte. Engel sind Wegbegleiter. Sie zeigen uns denWeg, wie einst der Engel Raphael den jungen Tobias sicher ans Ziel geleitethat. Gott schickt seinen Engel, um den Petrus aus dem Gefängnis zu befreien, umJesus am Ölberg zu stärken.
Engeldeuten uns oft, was wir nicht verstehen. So deutet ein Engel Maria, was an ihrgeschehen soll. Und es ist ein Engel, der Joseph im Traum erscheint, um ihm zuerklären, was mit Maria, seiner Verlobten, los sei. Engel sind heute durchauswieder hoffähig geworden. Rilke spricht immer wieder von den Engeln, die inunser Leben treten. Moderne Künstler malen Bilder von Engeln: Paul Klee hat aufseinen Bildern in den letzten Lebensjahren oft den Engel dargestellt. 1920malte er den berühmten «Angelus Novus». Marc Chagall malt den «Engel imParadies». Von Salvador Dali stammt der «Engel», von Andreas Felger «Segnender Engel» und von HAP Grieshaber «Engel derGeschichte». Und auch die Popmusik nimmt sich der Engel an: «Engel träumennicht allein» singt Bernd Clüver, und Juliane Werding nennt ihre CD «Zeit für Engel». Viele Menschenverbinden mit Engel heute die Vorstellung von Schutz, Geborgenheit, Schönheit,Hoffnung und Leichtigkeit.
Die Bibel weiß von den Engeln nochetwas anderes. Sie schauen das Antlitz Gottes. So sagt es uns schon Jesus:«Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch:Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters» (Mt 18,10). Der heilige Benedikt ist überzeugt, daß die Mönche im Angesicht der Engel Gott die Psalmensingen. Sie singen nicht allein. Engel stehen um sie herum und öffnen ihnen denHimmel über ihrem Gesang. Die Engel tragen ihr Gebet vor Gott. Sie geben ihnendie Hoffnung und das Vertrauen, daß ihr Gebet nichtumsonst ist. Engel, die uns umstehen, wenn wir beten, verbinden Himmel undErde, sie stehen dafür, daß wir hier nicht alleinsind mit unserem Bemühen, Gott im Gebet zu erfahren. Die Engel sagen uns: Gottist nahe. Du bist eingetaucht in Seine heilende und liebende Gegenwart. DieVorstellung, daß Engel bestimmten Haltungenentsprechen, ist in der Gegenwart von der Gemeinschaft von Findhornaufgegriffen worden. Die Menschen in dieser Gemeinschaft sind offensichtlichdavon überzeugt, daß wir uns mit Engeln verständigenkönnen, daß Engel uns etwas über uns und unsereWandlungsmöglichkeiten sagen, daß sie uns Halt gebenund uns neue Haltungen anvertrauen. Von solcher Art sind die in diesem Buchvorgestellten «50 Engel für das Jahr» in der Tat: Sie führen uns in Haltungenein, die unserem Leben guttun.
Die Engel möchten in uns etwashervorrufen, was wir im Getriebe des Alltags vergessen oder vernachlässigen. Esist ein schönes Bild, sich vorzustellen, daß mich indiesem Jahr der Engel der Treue begleitet oder der Engel der Zärtlichkeit, daß Gott einen Engel zu mir schickt, der mich einweist indas Geheimnis der Treue oder der Zärtlichkeit. Die 50 Engel für das Jahr sindBegleiter für unseren Lebensweg, Boten der Hoffnung, daßwir nicht ziellos leben, daß wir ankommen können beimZiel unseres Lebens. In den 50 Haltungen sind lebensgestaltendeKräfte beschrieben, Potentiale, die unser Leben umgestalten, die uns mehr undmehr so formen können, wie es dem «ursprünglichen Bild» entspricht: wie wirsein könnten und sollten. Im Bild der Engel treten uns diese Potentiale derTransformation entgegen. Das meint freilich auch: Diese Haltungen sind nie nurAusdruck eigener Anstrengung und Leistung. Sie sind auch Geschenk, Gnade, unszugesprochene Weisheit.
Bei der Silvesterparty hat jedereinen Engel gezogen. Dabei hat er vertraut, daß ergerade den Engel zieht, den er für das Neue Jahr braucht, der ihm guttut. Wir könnten einem Freund oder einer Freundin zumGeburtstag oder zum Namenstag auch einen Engel wünschen. Die Gedanken, die mirzu den einzelnen Engeln eingefallen sind, könnten dabei helfen, unsere gutenWünsche konkreter zu formen, nicht stehenzubleibenbei den nichtssagenden Worten, die sonst auf unserenGlückwunschkarten stehen. Du kannst aber auch für Dich selbst so einen Engelaussuchen, der Dich in der kommenden Woche oder im kommenden Monat oder imneuen Lebensjahr begleiten soll.
Suche Dir den Engel, der Dichunmittelbar anspricht, von dem Du glaubst, daß er Dirgerade jetzt guttäte. Und wenn Du möchtest, kannst DuDich auch austauschen mit andern Menschen, von denen Du weißt, daß sie auch mit so einem Engel leben. Was hat Dich DeinEngel gelehrt? Welche Erfahrungen hast Du mit ihm gemacht? Was ist Dir neuaufgegangen? Wo ist etwas in Bewegunggeraten? Was ist in Dir aufgeblüht?
© VerlagHerder
- Autor: Anselm Grün
- 2006, 206 Seiten, Maße: 18,5 cm, Deutsch
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451296101
- ISBN-13: 9783451296109
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