Falsche Opfer / A-Gruppe Bd.3
Ovids ''Metamorphosen'' fesseln Per Karlsson derart, dass er nicht einmal den brutalen Mord am Nebentisch mitbekommt. Kurz darauf liefern sich in der Nähe zwei verfeindete Banden eine blutige Auseinandersetzung um einen Aktenkoffer mit Safe-Schlüssel. Und...
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Ovids ''Metamorphosen'' fesseln Per Karlsson derart, dass er nicht einmal den brutalen Mord am Nebentisch mitbekommt. Kurz darauf liefern sich in der Nähe zwei verfeindete Banden eine blutige Auseinandersetzung um einen Aktenkoffer mit Safe-Schlüssel. Und Karlsson wird einer der Hauptverdächtigen, die Paul Hjelm und Kerstin Holm diesmal jagen.
Falsche Opfer von Arne Dahl
LESEORBE
»Ich hab nichts gesehen.«
Paul Hjelm seufzte tief und von Herzen. »Du hast nichtsgesehen?«
Er versuchte, den Blick des jungen Mannes zu fangen, dochder hatte die Augen niedergeschlagen und sah verbiestert zu Boden.
Verbiestert? Wann hatte er zuletzt das Wort verbiestert benutzt? Hatte er das Wortüberhaupt je in seinem Leben benutzt?
Er fühlte sich alt.
»Also noch mal von vorn«, sagte er beherrscht. »Obwohlhinter dir eine wilde Schlägerei ausbrach, hast du absolut nichts gesehen. Ist das richtig?«
Schweigen.
Hjelm seufzte erneut. Er hob die Knöchel von derTischplatte, streckte den Rücken und warf einen Blick zu der Kollegin hinüber,die an der tristen Betonwand lehnte.
In dem Moment, da ihre Blicke sich trafen, wurde ihm dieZwiespältigkeit dieses Augenblicks bewußt. Einerseits die Versetzung zurAbteilung für Gewaltverbrechen im Polizeibezirk City mit dieser endlosen Reihetrostloser, alltäglicher Gewalt. Anderseits die Rückkehr seinerLieblingskollegin Kerstin Holm nach Stockholm.
Und das erste, womit sich das eingespielte Duo nach seinerWiedervereinigung abgeben mußte, war - eine Kneipenschlägerei.
Paul Hjelm seufzte ein weiteres Mal und wandte sich wiederdem verstockten Zeugen zu. »Und du hast nicht einen einzigen kleinen Blick überdie Schulter geworfen?«
Da lächelte der junge Mann schwach, ein etwas blasses, insich gekehrtes Lächeln. »Nicht einen einzigen«, sagte er.
»Und warum nicht?«
Zum erstenmal begegneten die Augen des Zeugen seinem Blick.Klarblau. Eine etwas unerwartete Schärfe, als sei er im Begriff, etwas ganzanderes zu sagen als das, was er sagte: »Weil ich gelesen habe.«
Paul Hjelm starrte ihn an. »Hammarby hat gerade einHeimspiel gegen Kalmar gehabt, sie spielen unentschieden, 2:2, und bleiben aufdem letzten Tabellenplatz, und du sitzt in der Stammkneipe der Byenfans und liest? Kvarnen ist brechend voll und laut, und im Gedränge frustrierterHammarbyer sitzt der zwanzigjährige Per Karlsson allein mit einem Buch? Einäußerst seltsamer Ort zum Lesen, das muß ich sagen.«
Per Karlsson lächelte wieder, das gleiche milde, in sichgekehrte Lächeln. »Es war ruhig, als ich kam«, sagte er.
Hjelm zog den Stuhl vor und ließ sich mit einem Krachendarauf nieder. »Jetzt bin ich aber richtig neugierig«, sagte er. »Was war dasdenn für ein Buch, das dich so gefesselt hat, daß du es fertiggebracht hast,nicht nur Schreie und Gebrüll und Gedränge zu ignorieren, sondern auch eineSchlägerei, die damit endete, daß ein Mensch einen Bierkrug auf den Schädelbekam und starb?«
»Starb?«
»Ja, er starb. Er verblutete am Tatort. Mir nichts dirnichts. Er verlor zwei Liter Blut in zwanzig Sekunden. Es schoß nur so aus ihmheraus. Alle Adern öffneten sich sperrangelweit. Er hieß Anders Lundström, kamaus Kalmar und hatte sich aus unerfindlichen Gründen ins Kvarnen verirrt, was wohl für einen Fan der gegnerischenMannschaft ungefähr gleichbedeutenddamit ist, in die Hölle zu geraten. Und tatsächlich töten ihn die Byenfans miteinem Bierkrug. Und von dem allen bekommst du nichts mit, weil du welches Buchgelesen hast? Das interessiert mich wirklich.«
Per Karlsson sah angeschlagen aus. Er murmelte: »Keins, dasSie kennen «
»Try me«,sagte Paul Hjelm mit New Yorker Akzent.
Kerstin Holm bewegte sich zum ersten Mal, seit Per Karlssondas Vernehmungszimmer betreten hatte. Lautlos glitt sie zum Tisch und ließ sichneben Hjelm nieder. »Der Kollege hier weiß mehr über Literatur, als duglaubst«, sagte sie. »Als wir uns zuletzt gesehen haben, das war vor fast einemJahr, da hast du, war es Kafka, gelesen?«
»K«, sagte Paul Hjelm mehrdeutig.
Kerstin Holm ließ ein kurzes, ein wenig bitteres Lachenhören.
»K«, bekräftigte sie mit New Yorker Akzent. »So try him.«
Der junge Mann sah verwirrt aus. Die schwarze Kleidungmitten im Hochsommer. Das ungepflegte, zottelige blonde Haar. EinIntellektueller in spe? Nein, eher nicht. Der flackernde, gleichsam verwundeteBlick. Das introvertierte Lächeln. Absolut kein Student von der Uni. Vielleichttatsächlich ein junger Mann, der nur las, um sich zu bilden.
Eine Rarität.
»Ovid«, sagte die Rarität. »Ovids Metamorphosen.«
Paul Hjelm lachte laut. Er wollte das gar nicht. PerKarlsson zu verhöhnen war das letzte, was er im Sinn hatte. Und doch lief esdarauf hinaus. Das passierte ihm immer öfter.
Die Insignien der Bitterkeit.
Verbiestert. (...)
© Piper Verlag
Übersetzung: Wolfgang Butt
Wolfgang Butt zählt zu den meistgelesenen Übersetzern aus den nordischen Sprachen, mit Übertragungen von Per Olov Enquist, Henning Mankell, Arne Dahl, Zlatan Ibrahimovic u. a.
Interviewmit Jan Arnald(aliasArne Dahl)
DreiMorde und acht verschwundene Prostituierte halten in "Tiefer Schmerz" dasA-Team auf Trab. Ihre Kriminalromane sind sehr komplex. Wie entwickeln Sie IhrePlots? Ist da alles von Anfang an geplant?
Ja, im Großen und Ganzen schon. Ich will unbedingt einekomplizierte Story mit Überraschungen. Aber bei Krimis besteht immer dieGefahr, dass die Geschichte und der Plot alles bestimmen. Wenn man sich nur mitFragen beschäftigt wie "Funktioniert der Plot?", "Wie kriege ich diese Wendungjetzt hin?", dann wird alles andere zweitrangig und man verliert den Überblick.Ja, es ist wichtig, dass ich eine komplizierte Story entwickele, aber dabeiwill ich die wichtigen literarischen Fragen nicht aus den Augen verlieren. Dazugehören die Psychologie der Charaktere, die Präzision der Dialoge, der Humorund die Bedeutung des Ganzen. Ich glaube, ich arbeite ein bisschen wie einJazz-Musiker - mit einem starken Bass, einer ganz klaren Grundstruktur, aberdann auch mit viel Raum für Improvisation.
Ja, die Geschichte existiert, bevor ich mit dem Schreibenbeginne; aber sie wird erst lebendig, wenn sie - als Sprache - "Fleisch und Blut" wird.
DasA-Team ist eine "Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalemCharakter". So führen die Spuren nach Deutschland, Russland, in die USA oder,wie in "Falsche Opfer", nach Jugoslawien. Wie recherchieren Sie für IhreKrimis? Reisen Sie viel?
Ich bin viel gereist und tue dies immer noch. Inden Arne Dahl-Büchern geht es im Grunde immer auch um die Internationalisierungeines kleinen und leicht isolierten Landes im Norden, für das es sehr wichtigist, dass die Grenzen weit geöffnet sind. Das ist das Beste an dem ansonstenziemlich verstörenden Phänomen genannt "Globalisierung": dass man reisen und soviel sehen kann, wie dies in der kurzen Zeit nur möglich ist, die wir auf derErde verbringen. Der Weg zur Weisheit ist nicht der, sich von allemabzuschotten und in Selbstgerechtigkeit einzurichten. Vielmehr muss man immeroffen bleiben für die Perspektiven anderer Menschen und anderer Kulturen.
PaulHjelm - wenn auch so eine Art "Chef-Ermittler" - ist nur einer der Helden desA-Teams. Welche Vorteile hat ein solch großes Team für Sie als Autor? Haben Sieeine "Lieblingsfigur" unter den Ermittlern?
Als ich mit der Buchreihe begann, war es einemeiner ersten Entscheidungen, ein Team einzuführen. Ich versprach mir davonmehrere Vorteile. Erstens wollte ich nicht riskieren, dass sowohl ich als auchmeine Leser irgendwann von einem einzelnen Protagonisten gelangweilt seinwürden. Wichtiger aber war ein anderes Motiv: Dieses Team ist eine ArtMikrokosmos, an dem man studieren kann, wie eine gut funktionierendemenschliche Gemeinschaft aussieht. Das A-Team hat mit den dunkelsten Seiten desLebens zu tun - Gewalt, Brutalität, die Entmenschlichung unserer Gegenwart.Aber ihre Beziehungen untereinander und ihre Zusammenarbeit fungieren als einebeständige Re-Humanisierung dieser sich verdunkelnden Welt. Das hoffe ichzumindest.
Auf unterschiedliche Weise sind sie alle meine"Lieblingscharaktere". Besonders liebe ich die Frauen, Kerstin Holm natürlich,aber auch die erstaunliche Sara Svenhagen. Ich ähnele eher Paul Hjelm, er istmir, glaube ich, am nächsten. Die anderen repräsentieren wohl etwas, das ichgerne wäre: groß wie Gunnar Nyberg, eine Autorität wie Jan-Olov Hultin,energiegeladen wie Jorge Chavez, ein Freigeist wie Arto Söderstedt oder einfachein bisschen gedankenlos wie Viggo Norlander.
DieFälle Ihrer auf zehn Bände angelegten Krimireihe beschäftigen sich intensiv mitden Veränderungen des modernen Europa. Was sehen Sie als die größtegegenwärtige Gefahr für Europa - und was als größte Chance?
Globalisierung ist die Gefahr, das heißt der Prozess,innerhalb dessen Europa nur dann mit Amerika mithalten kann, wenn es wieAmerika wird. So wird aus der EU schlicht eine zweite USA. Ich denke, Europasollte sich unterscheiden, sollte wirklich eine Alternative zum "American Wayof Life" verkörpern, eine Alternative dazu, dass alles nur mehr in Bezug aufGeld gedacht und bewertet wird. Eine weitere Gefahr liegt in derantidemokratischen Tradition bestimmter Teile Osteuropas, dazu dieumbarmherzige Kriminalität im Osten. Rassismus ist eine ständige Bedrohung. Undall dies lässt sich zusammenfassen als Gefahr der De-Humanisierung, derEntmenschlichung, der Gefahr, dass das menschliche Leben immer weniger wertsein wird. Dies ist meiner Ansicht nach keine theoretische, sondern eine sehrreale Gefahr. Und diese Gefahr war es auch, aus der die Idee für die ArneDahl-Romane entstanden ist.
Andererseits sind die Öffnung der Grenzen und dieVereinigung Europas ein echtes Versprechen. Ich liebe den Gedanken, dass die inder Vergangenheit immer wieder verfeindeten europäischen Nationen nun vereintsind, auf der selben Seite stehen. Und für uns in Schweden - einem Land, dasimmer etwas am Rande lag und sich ein bisschen in Selbstgerechtigkeit undfalscher Selbstwahrnehmung verloren hatte -, für uns ist diese Öffnung zum RestEuropas hin einfach grandios. Wir brauchen sie wirklich. Um uns selbst klarerzu sehen. Um zu sehen, dass wir nicht besser, aber doch ein bisschen anderssind. Um zu akzeptieren, was wir mit den anderen gemeinsam haben und was unsunterscheidet.
Siehaben ein Jahr lang in Berlin gelebt. Haben Sie einen Ihrer Krimis dortgeschrieben? Woran denken Sie, wenn Sie an Deutschland und Ihre Zeit in Berlinzurückdenken?
Einen größeren Teil von "Misterioso" und denAnfang von "Falsche Opfer" habe ich in Berlin geschrieben. Zu diesem Zeitpunktwar "Böses Blut" in Schweden bereits erschienen (komischerweise zuerst). Es wareine tolle Zeit! Wenn ich an Deutschland denke, kommt mir als Erstes meineLiebe zu Berlin in den Sinn. Ich glaube, es ist meine zweite Heimat, nachStockholm. Eine fantastische Stadt. Ich bin viel in Deutschland gereist undhabe dabei die meisten Ihrer großen Städte kennen gelernt. Ich erinnere mich andie Vielfalt und den kulturellen Reichtum Ihres Landes - all das hat, trotzaller Widrigkeiten, den Wahnsinn von Nazizeit und Krieg überlebt. Undschließlich denke ich auch ein bisschen daran zurück, wie es ist, auf derAutobahn [im Original deutsch, Anm. d. Red.] zu fahren.
IhreKriminalromane sind äußerst vielschichtig und vermitteln ein gehöriges Maß anKulturgeschichte. Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, Kriminalromane zuschreiben? War das schon immer ein Traum von Ihnen? Und wie sieht es jetzt aus,nachdem in Schweden der sechste Banderschienen ist. Gibt es da neue Träume?
Ich hatte mir anfangs tatsächlich vorgenommen,eine große, mehrbändige Reihe zu verfassen, die als Porträt der merkwürdigenund sich schnell verändernden Zeiten, in denen wir leben, als wichtiges Zeugnisalso, in die Geschichtsbücher eingeht, die in, sagen wir, 50 Jahren erscheinen.Ich wollte eine sozialkritische Chronik unserer Zeit schreiben. Erst etwasspäter kam mir dann die Idee, dass Kriminalromane eigentlich das perfekteVehikel für diese Idee sein müssten, und mir wurde bewusst, wie sehr ich Krimisimmer geliebt hatte, nicht zuletzt im Kino. Ich hatte in meinem Leben so vieleKrimis gelesen, dass ich mir dachte, es sei genau der richtige Zeitpunkt, esselbst zu versuchen. Dabei wollte ich meine "Krimiexpertise" mit meiner Art vonklassisch literarischem Wissen verbinden. Ich wollte tatsächlich in ersterLinie gut und literarisch schreiben, und erst in zweiter Linie Kriminalromane.Wenn es an Arne Dahl etwas Neues und Einzigartiges gibt, dann ist es dieseKombination des Hardcore-Kriminalromans mit einem eher literarischen Zugang zumSchreiben. Der Traum, den ich im Augenblick träume, ist einfach: immer mehrbessere Arne Dahl-Romane schreiben. Gerade habe ich mein achtes Buchabgeschlossen, und ich glaube immer noch fest daran, dass das möglich ist.
DieFragen stellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Arne Dahl
- 2017, 13. Aufl., 400 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Wolfgang Butt
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492243762
- ISBN-13: 9783492243766
- Erscheinungsdatum: 01.04.2005
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