A schöne Leich
Der Wiener und sein Tod
JEDER KENNT SIE, DIE "SCHÖNE LEICH" - ABER WAS HAT ES TATSÄCHLICH DAMIT AUF SICH?
Kurzweilig und informativ spannt Hilde Schmölzer den Bogen vom Barock bis in die Gegenwart und erklärt, warum die "schöne Leich" die...
Kurzweilig und informativ spannt Hilde Schmölzer den Bogen vom Barock bis in die Gegenwart und erklärt, warum die "schöne Leich" die...
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Produktinformationen zu „A schöne Leich “
Klappentext zu „A schöne Leich “
JEDER KENNT SIE, DIE "SCHÖNE LEICH" - ABER WAS HAT ES TATSÄCHLICH DAMIT AUF SICH?Kurzweilig und informativ spannt Hilde Schmölzer den Bogen vom Barock bis in die Gegenwart und erklärt, warum die "schöne Leich" die Lebensphilosophie der Wiener auf den Punkt bringt. Das opulente Begräbnis mit vielen Trauergästen gilt den Wienern nämlich als die einzig wahre Möglichkeit, ihr irdisches Leben angemessen abzuschließen. Und dieser letzte Wille kommt nicht von ungefähr: Schon die Habsburger schwelgten in monströsem Leichenpomp.
EIN POTPOURRI SCHAURIG-SCHWARZER GESCHICHTEN
Aber Hilde Schmölzer hat noch viele andere wunderbare Geschichten über den Wiener und seinen Tod zu erzählen: So etwa wurden im 19. Jahrhundert die Grüfte des Stephansdoms für Interessierte geöffnet und Scharen von Schaulustigen strömten die Katakomben. Kurze Zeit dachten die Wiener gar über eine dampfbetriebene Leichenbeförderung nach. Die Särge mussten nämlich bei Schlechtwetter in Wirtshäusern zwischengelagert werden, weil die Fuhrwerke im Schneetreiben stecken blieben. Da mag es auch nicht verwundern, dass die Begräbnisse von Königen und Fürsten freudig erwartet wurden. Zu diesen Anlässen bot sich den Zuschauern immer eine besonders schöne Leich
Ein Fest für Freunde des schwarzen Humors, Wien-Fans und alle, die der Wiener Seele auf den Grund blicken wollen.
Erfahren Sie außerdem
- was es mit der Pompfüneberei auf sich hat
- warum Wien die Stadt der Melancholie ist
- weshalb ausgerechnet Sigmund Freud der Erfinder des Todestriebs ist
- welch irrsinniges Geschäft sich mit dem Tod machen lässt
- warum die Kapuzinergruft ein wahrer Touristenmagnet ist
- warum der Wiener irrsinnige Angst vor dem Scheintod hat und
- weshalb der Wiener Walzer alles andere als von jener oberflächlich-beschwingten Heiterkeit
... mehr
geprägt ist.
"Noch nie war es so vergnüglich, sich mit dem Tod zu beschäftigen!"
"Noch nie war es so vergnüglich, sich mit dem Tod zu beschäftigen!"
... weniger
Lese-Probe zu „A schöne Leich “
Hilde Schmölzer - A schöne LeichEinleitung
Der Tod in Wien ist von besonderer Art. Er spiegelt
Tradition, Kultur und Geistesleben dieser Stadt
in tausend Schattierungen und Facetten. Er ist zu
einem Wiener Tod geworden, der sämtliche Ungereimtheiten
in sich vereint. Dieser „Wiener Tod“ ist
überall zu Hause, er sitzt in allen Ecken und Winkeln
und meistens dort, wo man ihn am wenigsten
vermutet. Er wechselt seine Auftritte im großen
Welttheater, hat sich immer wieder neue Kleider
zurechtgelegt, mit denen er zu faszinieren, zu
erschrecken, abzustoßen weiß.
Es ist naheliegend, über ihn ein Buch zu schreiben.
Weil er doch so gegenwärtig ist und gar nicht
immer das Sterben, sondern viel häufiger noch das
Leben meint. Wer findet sich da schon in dieser
verzwickten Wiener Denkungsart zurecht? Der
Wiener natürlich! Er hat seinem Tod ein Denkmal
gesetzt auf die verschiedenste Art und Weise, in
seinen Liedern, seinen Gedichten, seinen Komödien
und Tragödien, in der ganzen „Pompfüneberei“
des 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt mit
seinem Leben, in dem Todessehnsucht und Todesangst,
Todesbewältigung und Todesverdrängung
eine schier unlösbare Verbindung eingegangen
sind. Eine Stadt der Überalterung, der Selbstmorde,
ein einziges Museum wird Wien genannt. Gleichzeitig
jedoch auch eine Stadt der Lebensfreude,
des Charmes, der Gemütlichkeit. Wahrscheinlich
jedoch ist sie eine Stadt der Melancholie, dem Weinen
ebenso verwandt wie dem Jauchzen, jener
Melancholie, die in Wiener Liedern ihren Ausdruck
findet, aber auch in jener Unentschlossenheit
und Lethargie, die zu Handlungsunfähigkeit
führt und damit dem Tod benachbart ist.
Wie sich dieses Nahverhältnis auswirkt, in allen
möglichen und un-möglichen Erscheinungsformen,
ist Thema und Inhalt dieses
... mehr
Buchs. Es zeigt,
wie der Wiener seinem Tod begegnet, wie er ihn
anpackt oder umgeht, wie er ihn feiert mit jedem
Pomp und jeder Prachtentfaltung, ein überdimensioniertes,
spektakuläres Finale. Aber auch wie er
ihn verdrängt an die Oberfläche sensationslüsterner
Allgemeinheiten und banaler Tratschsucht. In
einer Zeit, die den Tod zu ihrem Tabu erklärt hat,
gewinnen derartige Betrachtungen eine besondere
Bedeutung.
Hilde Schmölzer
Gemma Friedhof schaun …
Mit einladender Geste empfängt eine fünf Meter
hohe Christusstatue aus Stein den Besucher der Gaststätte
„Concordia“, gegenüber Tor I am Zentralfriedhof.
Sie wurde nach dem Entwurf des berühmten
Bildhauers Thorwaldson geschaffen, der Name „Concordia“
hingegen bezieht sich auf eines der größten
Bestattungsunternehmens Wiens im 19. und der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie ein Relikt
aus vergangener Zeit wirkt das niedere Gebäude mit
der großen Holzveranda und dem weitläufigen Gastgarten
zwischen modernen Gebäuden und Geschäften.
Schließlich steht es auch unter Denkmalschutz,
immerhin 1881 gegründet und mit einer interessanten
Geschichte als ehemaliges Hofsteinmetzunternehmen.
Sorgfältig renoviert, ohne den ursprünglichen
Charakter zu zerstören, beherbergt es heute
neben dem Restaurant einen Literatursalon, eine
kleine Galerie und ein Seminarzentrum, versteht
sich also als „Kulturinstitution“ sozusagen.
Die „Concordia“, meint die Standlfrau bei Tor II,
während sie ihren Blumenschmuck eilfertig Vorübergehenden
anpreist, die ist wenigstens noch
bodenständig, hingegen die drei weiteren Wirtshäuser
am Zentralfriedhof – Verachtung liegt in
ihrem Blick – von „Ausländern“ geführt werden.
Das will ihr gar nicht gefallen, da fehle schließlich
die echt wienerische Tradition bei der Zubereitung
einer kulinarischen Leichenfeier.
Das finden offenbar auch andere Gäste, denn
immerhin kann sich einzig die „Concordia“ nicht
über mangelnden Besuch beklagen. Trauergesellschaften
bis zu 40 oder 50 Personen sind hier
keine Seltenheit, bei stimmungsvollem Kerzenlicht
(selbst am Tag sind die Räume schummrig) unter
einer stilgerechten Kuppel aus blau-weißem Glas.
Davon können die anderen Wirte nur träumen, der
Rückgang der Gäste in den letzten Jahren, so heißt
es allgemein, sei deutlich zu spüren.
Aber in der „Concordia“ eilt die Kellnerin nach
wie vor abgehetzt von einem Tisch zum anderen,
recht ausgelassen wird hier oft gefeiert, vor allem
die Jungen, so meint sie während einer kleinen
Pause, möchten das Leben im Angesicht des Todes
noch genießen. Aber natürlich, es stimmt schon,
früher kamen auch in der „Concordia“ mehr Leute
zum großen Leichenschmaus, auch hier geht das
Geschäft nicht mehr so gut wie in alten Zeiten.
Auch die Standlfrauen mit ihren großen und
kleinen Blumenbouquets, den reichlich mit goldenen
Engeln und Putten verzierten Grablichtern
und den kleinen weinenden Gips-Engerln beklagen
diese moderne, Trauer-feindliche Zeit. Früher, da
wurden 25 bis 30 Bouquets pro Tag verkauft, jetzt
sind es vielleicht drei. Kein Wunder, dass auch das
Angebot gesunken ist, von etwa 21 Blumenständen
vor 20 oder 30 Jahren blieben lediglich neun.
Nicht einmal zu Allerheiligen sei noch das große
Geschäft zu machen, ein bissl mehr ist natürlich
schon los auf dem großen Platz vor dem Haupteingang,
die Zahl der Blumenstände würde sich
dann verdoppeln. Auch einen Maroniverkäufer und
einen Würstelstand gibt es dann, Knabbergebäck
und eine große Auswahl alkoholfreier Getränke.
Trotzdem sei das kein Vergleich zur guten alten
Zeit, als die Toten noch ganz anders geehrt wurden,
mit aufwendigen Blumenkränzen und kunstvollen
Gestecken. Heute, sagt die Standlfrau verächtlich,
des glauben’s net, wie viele Gräber verwahrlost
sind. Keine Zeit haben’s halt mehr, die
Leut, nur die ganz Alten, die auch bald hier liegen
werden und die meist viel Zeit haben, die kommen
immer noch.
Dafür aber gibt es jetzt täglich Führungen unter
dem Motto: „Verkauft’s mei Gwand, ich fahr’ in
Himmel“ (der Spruch wird dem Volksdichter selig
Ferdinand Sauter zugeschrieben), die das „Erlebnis
Zentralfriedhof“ dem interessierten Besucher
nahe bringen sollen. Schließlich handelt es sich
bei dieser „bedeutendsten Begräbnisstätte Wiens“,
und dem zweitgrößten Friedhof Europas um eine
Art Kulturdenkmal. Dafür sorgen die zahlreichen
Begräbnisstätten und Ehrengräber von Berühmtheiten
aus Kunst, Kultur und Wissenschaft, die
einen interessanten Einblick in die Geschichte und
Gegenwart Wiens gewähren. Außerdem, so wird
auf dem Prospekt betont, kann gleichzeitig damit
ein Naturrefugium besichtigt werden, Heimstätte
vieler seltener und sogar vom Aussterben bedrohter
Tierarten wie etwa dem Feldhamster, der sich
zwischen den Gräbern tummelt und manchmal
sogar in frisch ausgeschaufelte Gruben fällt, von
wo er dann vom Totengräber mühsam befreit werden
muss. Außerdem würden von den Fremdenführern
und Führerinnen ernste und humorvolle
Anekdoten serviert, um dem Friedhof auch heitere
Seiten abzugewinnen.
Auch das Totenglöckerl läutet immer noch den
ganzen Tag, der Konduktwagen mit größerem oder
kleinerem Gefolge je nach dem Ansehen des Verstorbenen,
begleitet von echtem oder gespieltem
Schmerz je nach der Liebe, die gegeben und empfangen
wurde, bewegt sich langsam durch die Gräberreihen,
vorbei an den trauernden Genien, den
Rundtempelchen und Mausoleen, den steinernen
Sarkophagen, Putten, antiken Grabaltären und Grüften
mit neoromanischen Säulenkapitellen bis hinaus
an die Peripherie, wo ein frisches Grab ausgeschaufelt
wurde, daneben, oder auch an anderer Stelle,
noch eins, und noch eins, und wieder eins. Denn es
ist immer noch viel Platz auf dem Zentralfriedhof. So
viele, meint der Totengräber, können gar nicht sterben,
dass der Zentralfriedhof je überfüllt sein wird.
Darauf haben die Wiener Stadtväter in den Sechzigerjahren
des vergangenen Jahrhunderts schon
geachtet, als der Beschluss gefasst wurde, sämtliche
Friedhöfe Wiens aufzulösen und stattdessen ein
großes, gemeinschaftliches Gräberfeld anzulegen.
Dass dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden
sein würde, dürfte damals schon den zuständigen
Behörden geschwant haben, denn 1869 beantragten
einige Gemeinderäte, statt des Zentralfriedhofs
vielleicht doch lieber mehrere kleine Friedhöfe
zu planen, „da mit der Durchführung des Zentralfriedhofs
große und zahlreiche Kalamitäten verbunden
seien“. Aber diese – wie sich später herausstellte
– wohlbegründete Warnung wurde in
den Wind geschlagen, man dachte an den Staatssäckel
– und nahm die Kalamitäten in Kauf. Die
Kaiser-Ebersdorfer Gründe wurden um 600.000
Gulden gekauft, weitere 2,4 Millionen Gulden für
den Bau bewilligt, die zwei Frankfurter Architekten
Mylius und Bluntschli mit der Ausführung betraut –
und damit begann die Geschichte des Wiener Zentralfriedhofs,
die mit gutem Grund in die Annalen
eingegangen ist.
Da gab es vorerst Schwierigkeiten mit der Entfernung
vom Stadtzentrum, die unter anderem eine
völlige Veränderung des gewohnten Begräbnisrituals
verlangte. War es bisher üblich gewesen, den
Verstorbenen mit möglichst prächtigem Geleite vorerst
zur Einsegnung in die Kirche und anschließend
zum Friedhof zu bringen, so fand ab jetzt die
„schöne Leich“ nur noch bis zur Pfarre statt, von
dort mussten die „Leichen nur in geschlossenen Todtenwagen,
ohne Fackelträger, Musik etc. direkt auf
den Friedhof befördert werden“, wie es in einer Verordnung
der k. k. n. ö. Statthalterei heißt.
Ein eigenes Kapitel bildete auch der damals in
sämtlichen heimischen Blättern heftig diskutierte
sogenannte „Konfessionenstreit“. Ursprünglich von
der Gemeinde als „interkonfessioneller Friedhof“
gedacht, der sämtlichen Glaubensrichtungen offenstehen
sollte, wurde der Zentralfriedhof schließlich
zu einem rein katholischen Gräberfeld mit einem
protestantischen, jüdischen, russisch-orthodoxen,
griechisch-orthodoxen und muslimischen Anhang.
Und das kam so: in seiner Sitzung vom 13. Oktober
1874 beschloss der Wiener Gemeinderat, dass der
Zentralfriedhof nach süddeutschem Vorbild, das
eine Einweihung durch die Geistlichen verschiedener
Konfessionen gemeinsam vorsah, als konfessionslos
zu betrachten sei, und die „Stadtvertretung
daher die Vornahme irgendwelcher kirchlicher
Einweihungszeremonien gelegentlich der Eröffnung
nicht veranlassen werde“. Was prompt einen Protest
des erzbischöflichen Konsistoriums zur Folge hatte,
worauf der Stadtrat sich beeilte zu versichern, dass
damit keinesfalls eine Einweihung nicht zugelassen
werden sollte, sie solle lediglich nicht veranlasst
werden. Nach diesem, nach allen möglichen Seiten
14
hin auslegbaren Orakelspruch begann eine totale
Verwirrung auszubrechen, die in hitzige Debatten
mündete, deren absoluter Siedepunkt erreicht
wurde, als die israelische Kultusgemeinde ihren
eigenen Friedhof zugewiesen bekam. „Warum die
und wir nicht!“, ereiferten sich die christlich Orthodoxen,
und der patriotische katholische Volksverein
für Nieder-Österreich empörte sich, dass man „uns
Katholiken mit Dieben, Mördern, Selbstmördern und
Konfessionslosen gemeinsam verscharren“ möchte,
wohingegen die Juden unter sich bleiben dürften.
Schließlich, nachdem wenige Tage vor Eröffnung
des Friedhofes noch immer keine Klarheit geschaffen
worden war, geschah folgendes: Am 31. Oktober
1874, also einen Tag vor der Eröffnung, betrat zu
früher, nebliger Stunde der Domdechant mit spärlichem
Gefolge den Zentralfriedhof. Zu dem bereits
am vorherigen Abend auf möglichst unauffällige Art
und Weise seitlich vom Haupteingang aufgestellten,
kaum mannshohen Kreuz aus Gusseisen wurden
noch rasch vier Kreuze aus Holzlatten gezimmert
und im rechten Winkel in die vier entlegensten
Ecken des Friedhofes gesteckt. Dann wurde an der
Spitze ebenso wie an jedem Arm des Kreuzes ein
Nagel eingeschlagen und darauf eine Wachskerze
befestigt, während auf dem eisernen Kreuz fünf
Wachskerzen brannten. Nach solcherart getroffenen
Vorbereitungen wurde diese Einweihungszeremonie
in „aller Stille und ohne Vertreter des Gemeinderates“
vollzogen, „während die Jäger, die auf dem
benachbarten Felde Hasen jagten, sich nicht stören
ließen“. Später stellte sich heraus, dass die Statthalterei,
entgegen dem Beschluss des Gemeinderates,
der ausschließlich katholischen Einweihung zuge15
stimmt hatte, was demnach den rein katholischen
Friedhof zur Folge hatte. Die damit vor vollendete
Tatsachen gestellte Öffentlichkeit reagierte unterschiedlich
– der Befriedigung kirchlicher Kreise
stand der Unmut der Liberalen gegenüber: „Wir hätten
gewünscht, dass die Eröffnung der neuen Ruhestätte
in anderer Weise stattgefunden hätte, als dies
nun der Fall ist. Denn keinerlei Erwartungen, welche
man an dieses für die Entwicklung der Reichshauptstadt
wichtige Ereignis knüpft, ist befriedigt. Wir hatten
die Hoffnung, in dem neuen Central-Friedhof ein
Denkmal zu errichten, welches interconfessionellen
Charakters, den Frieden, welcher glücklicherweise
zwischen den verschiedenen Confessionen in unserer
Stadt herrscht, zum wahren Ausdruck bringen sollte,
indeß die Engherzigkeit der Religions-Parteien Scheidewände
aufrichtet zwischen den Todten ...“, schreibt
die „Neue Freie Presse“.
Und die „Humoristischen Blätter“ widmeten
diesem Ereignis folgendes Gedicht:
... Neue Felder, neue Stätten Haben wir
dem Tod bereitet Und am Orte künft’gen
Friedens Man soeben lustig streitet:
Wie man uns ’re letzten Reste Nach den
Konfessionen bette Dienet nicht dieselbe
Erde Allen dort zur Ruhestätte? ...
Heute allerdings bietet der Zentralfriedhof sämtlichen
Konfessionen eine Ruhestatt. Es gibt neben
dem evangelischen und jüdischen Friedhof einen
muslimischen, buddhistischen, griechisch-russischserbisch-
rumänisch-bulgarisch-syrisch-koptischorthodoxen
Friedhof, außerdem einen islamischen,
muslimisch-ägyptischen Friedhofsbereich und einen
weiteren für die Mormonen. Die allgemeine Globalisierung
hat auch den Zentralfriedhof geprägt, die
Wiener sind hier keinesfalls mehr unter sich.
Damals allerdings erhitzte dieser Konfessionenstreit
die Gemüter gewaltig, und der Zentralfriedhof
begann endgültig ein Stein des Anstoßes zu werden,
wilde Gerüchte entstanden und verbreiteten sich mit
Windeseile. So beanstandete etwa der katholische
„Volksfreund“, dass sich der Friedhof „in der Nähe
des Schindangers von Kledering“ befinde, und forderte
– nicht ohne sich zuvor für die harte, die Pietät
des P. T. Publikums verletzende Formulierung zu
entschuldigen – eine Verlegung des Schindangers
aus der unmittelbaren Nähe des Friedhofs, zumal
„die Legionen von Ratten, welche der Anger von Kledering
gezüchtet hat, bis an das zum Friedhof angekaufte
Gebiet ihre Minengänge gegraben haben“.
Am meisten in Harnisch gebracht wurden die
Wiener jedoch durch das „würde- und pietätlose
Aussehen“ des Zentralfriedhofes am Tage seiner
Eröffnung, dem 1. November 1874. Es ist recht interessant
und aufschlussreich, sich die damaligen
Reaktionen der Öffentlichkeit zu vergegenwärtigen,
wie sie in den Gazetten zum Ausdruck kamen:
„Also das ist der freilich nur provisorische Eingang
zum Zentralfriedhof der Reichshaupt- und Residenzstadt
Wien?!!!“, schreibt am 28. Oktober 1874 das
„Illustrierte Wiener Extrablatt“. „Ein schmaler, einstöckiger
Trakt simpelster Bauart für den Totengräber
auf der einen, ein ebensolcher schmaler, einstöckiger
Trakt simpelster Bauart für den Gärtner auf
der anderen Seite – und in der Mitte die aus Holtz
zusammengezimmerte, im lustigsten Schweizer17
style gehaltene Wartehalle. Wie sich die Facade dieses
hölzernen, den Eingang bildenden Mitteltraktes,
auf dessen Dach eigentlich ein paar ‚Fahnln‘ gehören,
präsentiert? Ungefähr wie ‚Präuscher’s Museum‘
oder ‚Kratky-Baschit’s Zaubertheater‘ im Prater.
Der Dornbacher Bahnhof der Pferdeeisenbahn ist
im Vergleiche ein monumentaler Prachtbau.“ Weiters
beschwert sich der Berichterstatter über die
mangelhaften Vorbereitungen, wenige Tage vor der
Eröffnung werde an der „Wartehalle“ immer noch
gearbeitet, auch die neue Tramwaylinie sei noch
nicht in Betrieb genommen:
„Volle vier Jahre hatte man Zeit, dem Friedhofe
eine würdige Gestaltung zu verleihen, Bäume zu
pflanzen und Gartenanlagen herzustellen – und
was ist geschehen? Nichts! Eine trostlose, öde Wüste
ohne Baum und ohne Strauch ist unser neues großes
Leichenfeld
...“ Fünf Tage später, also am 3. November
1874, befasst sich dasselbe Blatt erneut mit diesem
Thema:
„Die famose Wartehalle ... ist wirklich fertig
geworden und wurde vorgestern ihrer Bestimmung
übergeben. Zur besonderen Verschönerung stellte
man in derselben drei lange, eichenfarbene angestrichene
Tische und an jeden derselben sechs Stühle
auf. Durch diese hinzugekommenen edlen, aber einfachen
Einrichtungsstücke machte die ‚Halle‘ nun
vollständig den Eindruck eines ‚Extrazimmers‘ bei
einem Buschenschänken in Hernals oder Währing.
‚Aber ganz wia beim G’schwandner‘, rief ein
urwüchsiger Bewohner der westlichen Vororte.
‚Du hörst, zu was haben’s denn dö drei
g’schnappigen Tischerl her’gstellt?‘ fragte ein wißbegieriger
Lerchenfelder seinen Begleiter. ‚Dös wirst
do leicht kapir’n! Wann ma lang auf d’Leich warten
muaß, daß ma tarokieren kann‘, lautete die Auskunft.“
Die „Neue Freie Presse“ hingegen beklagte sich
über die „Wüstenei ... auf welcher das Auge Alles vermißt,
was sonst die Ruhestätten der Todten schmückt
... da gibt es natürlich noch keine Kunstwerke, keine
historisch gewordenen Grabdenkmale ... auch Gartenanlagen
und Bauten, wie sie dem schweigenden
Ernste des Camposanto entsprechen, wird man dort
noch vergeblich suchen ... nicht einmal eine dürftige
Gartenanlage ist den ersten Todten und ihrem
Trauergefolge
gewidmet, und dieses letztere muß sich
bei seinem Liebeswerk zum Aufenthalte in Holzbaracken
bequemen ...“
Als ebenso unwirtlich und „der Würde des Augenblicks“
nicht angemessen werden von den Gazetten
die ersten Begräbnisse geschildert.
„Im Verlaufe einer halben Stunde 7 Leichen – für
den Anfang ein schöner Erfolg, auf jeden Fall aber ein
Geschäft“, schreibt das „Illustrierte Wiener Extrablatt“,
und weiter heißt es zynisch:
„Die Leidtragenden selber mußten sich mit ihrem
Schmerze ziemlich kurz fassen, denn kaum waren die
ersten Tränen ihren Augen entquollen, kaum hatten
sie die ersten Schollen auf den Sarg des theuren
Dahingeschiedenen fallen lassen, mußten sie wieder
vom Rande des gemeinschaftlichen Grabes weg,
denn Platz machen, hieß es, weil bereits ein neuer
Toter herbeigebracht wurde, und neue Leidtragende
kamen, die auch weinen und auch Erdschollen hinabwerfen
wollten.“
Die Begräbnisstätten jener ersten Toten, die an
diesem denkwürdigen Tag der Eröffnung beigesetzt
wurden, sind heute – sie wurden mehrheitlich
in Schachtgräbern beerdigt – nicht mehr vorhanden.
Lediglich das Grab eines Jakob Zelzer, der in
einem Einzelgrab bestattet wurde, existiert noch.
Es befindet sich rechts vom Verwaltungsgebäude,
und der verwitterte Grabstein bezeugt heute noch
jene bürgerliche Wohlhabenheit, die für ein „besseres
Begräbnis“ Voraussetzung war.
© Haymon Verlag
wie der Wiener seinem Tod begegnet, wie er ihn
anpackt oder umgeht, wie er ihn feiert mit jedem
Pomp und jeder Prachtentfaltung, ein überdimensioniertes,
spektakuläres Finale. Aber auch wie er
ihn verdrängt an die Oberfläche sensationslüsterner
Allgemeinheiten und banaler Tratschsucht. In
einer Zeit, die den Tod zu ihrem Tabu erklärt hat,
gewinnen derartige Betrachtungen eine besondere
Bedeutung.
Hilde Schmölzer
Gemma Friedhof schaun …
Mit einladender Geste empfängt eine fünf Meter
hohe Christusstatue aus Stein den Besucher der Gaststätte
„Concordia“, gegenüber Tor I am Zentralfriedhof.
Sie wurde nach dem Entwurf des berühmten
Bildhauers Thorwaldson geschaffen, der Name „Concordia“
hingegen bezieht sich auf eines der größten
Bestattungsunternehmens Wiens im 19. und der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie ein Relikt
aus vergangener Zeit wirkt das niedere Gebäude mit
der großen Holzveranda und dem weitläufigen Gastgarten
zwischen modernen Gebäuden und Geschäften.
Schließlich steht es auch unter Denkmalschutz,
immerhin 1881 gegründet und mit einer interessanten
Geschichte als ehemaliges Hofsteinmetzunternehmen.
Sorgfältig renoviert, ohne den ursprünglichen
Charakter zu zerstören, beherbergt es heute
neben dem Restaurant einen Literatursalon, eine
kleine Galerie und ein Seminarzentrum, versteht
sich also als „Kulturinstitution“ sozusagen.
Die „Concordia“, meint die Standlfrau bei Tor II,
während sie ihren Blumenschmuck eilfertig Vorübergehenden
anpreist, die ist wenigstens noch
bodenständig, hingegen die drei weiteren Wirtshäuser
am Zentralfriedhof – Verachtung liegt in
ihrem Blick – von „Ausländern“ geführt werden.
Das will ihr gar nicht gefallen, da fehle schließlich
die echt wienerische Tradition bei der Zubereitung
einer kulinarischen Leichenfeier.
Das finden offenbar auch andere Gäste, denn
immerhin kann sich einzig die „Concordia“ nicht
über mangelnden Besuch beklagen. Trauergesellschaften
bis zu 40 oder 50 Personen sind hier
keine Seltenheit, bei stimmungsvollem Kerzenlicht
(selbst am Tag sind die Räume schummrig) unter
einer stilgerechten Kuppel aus blau-weißem Glas.
Davon können die anderen Wirte nur träumen, der
Rückgang der Gäste in den letzten Jahren, so heißt
es allgemein, sei deutlich zu spüren.
Aber in der „Concordia“ eilt die Kellnerin nach
wie vor abgehetzt von einem Tisch zum anderen,
recht ausgelassen wird hier oft gefeiert, vor allem
die Jungen, so meint sie während einer kleinen
Pause, möchten das Leben im Angesicht des Todes
noch genießen. Aber natürlich, es stimmt schon,
früher kamen auch in der „Concordia“ mehr Leute
zum großen Leichenschmaus, auch hier geht das
Geschäft nicht mehr so gut wie in alten Zeiten.
Auch die Standlfrauen mit ihren großen und
kleinen Blumenbouquets, den reichlich mit goldenen
Engeln und Putten verzierten Grablichtern
und den kleinen weinenden Gips-Engerln beklagen
diese moderne, Trauer-feindliche Zeit. Früher, da
wurden 25 bis 30 Bouquets pro Tag verkauft, jetzt
sind es vielleicht drei. Kein Wunder, dass auch das
Angebot gesunken ist, von etwa 21 Blumenständen
vor 20 oder 30 Jahren blieben lediglich neun.
Nicht einmal zu Allerheiligen sei noch das große
Geschäft zu machen, ein bissl mehr ist natürlich
schon los auf dem großen Platz vor dem Haupteingang,
die Zahl der Blumenstände würde sich
dann verdoppeln. Auch einen Maroniverkäufer und
einen Würstelstand gibt es dann, Knabbergebäck
und eine große Auswahl alkoholfreier Getränke.
Trotzdem sei das kein Vergleich zur guten alten
Zeit, als die Toten noch ganz anders geehrt wurden,
mit aufwendigen Blumenkränzen und kunstvollen
Gestecken. Heute, sagt die Standlfrau verächtlich,
des glauben’s net, wie viele Gräber verwahrlost
sind. Keine Zeit haben’s halt mehr, die
Leut, nur die ganz Alten, die auch bald hier liegen
werden und die meist viel Zeit haben, die kommen
immer noch.
Dafür aber gibt es jetzt täglich Führungen unter
dem Motto: „Verkauft’s mei Gwand, ich fahr’ in
Himmel“ (der Spruch wird dem Volksdichter selig
Ferdinand Sauter zugeschrieben), die das „Erlebnis
Zentralfriedhof“ dem interessierten Besucher
nahe bringen sollen. Schließlich handelt es sich
bei dieser „bedeutendsten Begräbnisstätte Wiens“,
und dem zweitgrößten Friedhof Europas um eine
Art Kulturdenkmal. Dafür sorgen die zahlreichen
Begräbnisstätten und Ehrengräber von Berühmtheiten
aus Kunst, Kultur und Wissenschaft, die
einen interessanten Einblick in die Geschichte und
Gegenwart Wiens gewähren. Außerdem, so wird
auf dem Prospekt betont, kann gleichzeitig damit
ein Naturrefugium besichtigt werden, Heimstätte
vieler seltener und sogar vom Aussterben bedrohter
Tierarten wie etwa dem Feldhamster, der sich
zwischen den Gräbern tummelt und manchmal
sogar in frisch ausgeschaufelte Gruben fällt, von
wo er dann vom Totengräber mühsam befreit werden
muss. Außerdem würden von den Fremdenführern
und Führerinnen ernste und humorvolle
Anekdoten serviert, um dem Friedhof auch heitere
Seiten abzugewinnen.
Auch das Totenglöckerl läutet immer noch den
ganzen Tag, der Konduktwagen mit größerem oder
kleinerem Gefolge je nach dem Ansehen des Verstorbenen,
begleitet von echtem oder gespieltem
Schmerz je nach der Liebe, die gegeben und empfangen
wurde, bewegt sich langsam durch die Gräberreihen,
vorbei an den trauernden Genien, den
Rundtempelchen und Mausoleen, den steinernen
Sarkophagen, Putten, antiken Grabaltären und Grüften
mit neoromanischen Säulenkapitellen bis hinaus
an die Peripherie, wo ein frisches Grab ausgeschaufelt
wurde, daneben, oder auch an anderer Stelle,
noch eins, und noch eins, und wieder eins. Denn es
ist immer noch viel Platz auf dem Zentralfriedhof. So
viele, meint der Totengräber, können gar nicht sterben,
dass der Zentralfriedhof je überfüllt sein wird.
Darauf haben die Wiener Stadtväter in den Sechzigerjahren
des vergangenen Jahrhunderts schon
geachtet, als der Beschluss gefasst wurde, sämtliche
Friedhöfe Wiens aufzulösen und stattdessen ein
großes, gemeinschaftliches Gräberfeld anzulegen.
Dass dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden
sein würde, dürfte damals schon den zuständigen
Behörden geschwant haben, denn 1869 beantragten
einige Gemeinderäte, statt des Zentralfriedhofs
vielleicht doch lieber mehrere kleine Friedhöfe
zu planen, „da mit der Durchführung des Zentralfriedhofs
große und zahlreiche Kalamitäten verbunden
seien“. Aber diese – wie sich später herausstellte
– wohlbegründete Warnung wurde in
den Wind geschlagen, man dachte an den Staatssäckel
– und nahm die Kalamitäten in Kauf. Die
Kaiser-Ebersdorfer Gründe wurden um 600.000
Gulden gekauft, weitere 2,4 Millionen Gulden für
den Bau bewilligt, die zwei Frankfurter Architekten
Mylius und Bluntschli mit der Ausführung betraut –
und damit begann die Geschichte des Wiener Zentralfriedhofs,
die mit gutem Grund in die Annalen
eingegangen ist.
Da gab es vorerst Schwierigkeiten mit der Entfernung
vom Stadtzentrum, die unter anderem eine
völlige Veränderung des gewohnten Begräbnisrituals
verlangte. War es bisher üblich gewesen, den
Verstorbenen mit möglichst prächtigem Geleite vorerst
zur Einsegnung in die Kirche und anschließend
zum Friedhof zu bringen, so fand ab jetzt die
„schöne Leich“ nur noch bis zur Pfarre statt, von
dort mussten die „Leichen nur in geschlossenen Todtenwagen,
ohne Fackelträger, Musik etc. direkt auf
den Friedhof befördert werden“, wie es in einer Verordnung
der k. k. n. ö. Statthalterei heißt.
Ein eigenes Kapitel bildete auch der damals in
sämtlichen heimischen Blättern heftig diskutierte
sogenannte „Konfessionenstreit“. Ursprünglich von
der Gemeinde als „interkonfessioneller Friedhof“
gedacht, der sämtlichen Glaubensrichtungen offenstehen
sollte, wurde der Zentralfriedhof schließlich
zu einem rein katholischen Gräberfeld mit einem
protestantischen, jüdischen, russisch-orthodoxen,
griechisch-orthodoxen und muslimischen Anhang.
Und das kam so: in seiner Sitzung vom 13. Oktober
1874 beschloss der Wiener Gemeinderat, dass der
Zentralfriedhof nach süddeutschem Vorbild, das
eine Einweihung durch die Geistlichen verschiedener
Konfessionen gemeinsam vorsah, als konfessionslos
zu betrachten sei, und die „Stadtvertretung
daher die Vornahme irgendwelcher kirchlicher
Einweihungszeremonien gelegentlich der Eröffnung
nicht veranlassen werde“. Was prompt einen Protest
des erzbischöflichen Konsistoriums zur Folge hatte,
worauf der Stadtrat sich beeilte zu versichern, dass
damit keinesfalls eine Einweihung nicht zugelassen
werden sollte, sie solle lediglich nicht veranlasst
werden. Nach diesem, nach allen möglichen Seiten
14
hin auslegbaren Orakelspruch begann eine totale
Verwirrung auszubrechen, die in hitzige Debatten
mündete, deren absoluter Siedepunkt erreicht
wurde, als die israelische Kultusgemeinde ihren
eigenen Friedhof zugewiesen bekam. „Warum die
und wir nicht!“, ereiferten sich die christlich Orthodoxen,
und der patriotische katholische Volksverein
für Nieder-Österreich empörte sich, dass man „uns
Katholiken mit Dieben, Mördern, Selbstmördern und
Konfessionslosen gemeinsam verscharren“ möchte,
wohingegen die Juden unter sich bleiben dürften.
Schließlich, nachdem wenige Tage vor Eröffnung
des Friedhofes noch immer keine Klarheit geschaffen
worden war, geschah folgendes: Am 31. Oktober
1874, also einen Tag vor der Eröffnung, betrat zu
früher, nebliger Stunde der Domdechant mit spärlichem
Gefolge den Zentralfriedhof. Zu dem bereits
am vorherigen Abend auf möglichst unauffällige Art
und Weise seitlich vom Haupteingang aufgestellten,
kaum mannshohen Kreuz aus Gusseisen wurden
noch rasch vier Kreuze aus Holzlatten gezimmert
und im rechten Winkel in die vier entlegensten
Ecken des Friedhofes gesteckt. Dann wurde an der
Spitze ebenso wie an jedem Arm des Kreuzes ein
Nagel eingeschlagen und darauf eine Wachskerze
befestigt, während auf dem eisernen Kreuz fünf
Wachskerzen brannten. Nach solcherart getroffenen
Vorbereitungen wurde diese Einweihungszeremonie
in „aller Stille und ohne Vertreter des Gemeinderates“
vollzogen, „während die Jäger, die auf dem
benachbarten Felde Hasen jagten, sich nicht stören
ließen“. Später stellte sich heraus, dass die Statthalterei,
entgegen dem Beschluss des Gemeinderates,
der ausschließlich katholischen Einweihung zuge15
stimmt hatte, was demnach den rein katholischen
Friedhof zur Folge hatte. Die damit vor vollendete
Tatsachen gestellte Öffentlichkeit reagierte unterschiedlich
– der Befriedigung kirchlicher Kreise
stand der Unmut der Liberalen gegenüber: „Wir hätten
gewünscht, dass die Eröffnung der neuen Ruhestätte
in anderer Weise stattgefunden hätte, als dies
nun der Fall ist. Denn keinerlei Erwartungen, welche
man an dieses für die Entwicklung der Reichshauptstadt
wichtige Ereignis knüpft, ist befriedigt. Wir hatten
die Hoffnung, in dem neuen Central-Friedhof ein
Denkmal zu errichten, welches interconfessionellen
Charakters, den Frieden, welcher glücklicherweise
zwischen den verschiedenen Confessionen in unserer
Stadt herrscht, zum wahren Ausdruck bringen sollte,
indeß die Engherzigkeit der Religions-Parteien Scheidewände
aufrichtet zwischen den Todten ...“, schreibt
die „Neue Freie Presse“.
Und die „Humoristischen Blätter“ widmeten
diesem Ereignis folgendes Gedicht:
... Neue Felder, neue Stätten Haben wir
dem Tod bereitet Und am Orte künft’gen
Friedens Man soeben lustig streitet:
Wie man uns ’re letzten Reste Nach den
Konfessionen bette Dienet nicht dieselbe
Erde Allen dort zur Ruhestätte? ...
Heute allerdings bietet der Zentralfriedhof sämtlichen
Konfessionen eine Ruhestatt. Es gibt neben
dem evangelischen und jüdischen Friedhof einen
muslimischen, buddhistischen, griechisch-russischserbisch-
rumänisch-bulgarisch-syrisch-koptischorthodoxen
Friedhof, außerdem einen islamischen,
muslimisch-ägyptischen Friedhofsbereich und einen
weiteren für die Mormonen. Die allgemeine Globalisierung
hat auch den Zentralfriedhof geprägt, die
Wiener sind hier keinesfalls mehr unter sich.
Damals allerdings erhitzte dieser Konfessionenstreit
die Gemüter gewaltig, und der Zentralfriedhof
begann endgültig ein Stein des Anstoßes zu werden,
wilde Gerüchte entstanden und verbreiteten sich mit
Windeseile. So beanstandete etwa der katholische
„Volksfreund“, dass sich der Friedhof „in der Nähe
des Schindangers von Kledering“ befinde, und forderte
– nicht ohne sich zuvor für die harte, die Pietät
des P. T. Publikums verletzende Formulierung zu
entschuldigen – eine Verlegung des Schindangers
aus der unmittelbaren Nähe des Friedhofs, zumal
„die Legionen von Ratten, welche der Anger von Kledering
gezüchtet hat, bis an das zum Friedhof angekaufte
Gebiet ihre Minengänge gegraben haben“.
Am meisten in Harnisch gebracht wurden die
Wiener jedoch durch das „würde- und pietätlose
Aussehen“ des Zentralfriedhofes am Tage seiner
Eröffnung, dem 1. November 1874. Es ist recht interessant
und aufschlussreich, sich die damaligen
Reaktionen der Öffentlichkeit zu vergegenwärtigen,
wie sie in den Gazetten zum Ausdruck kamen:
„Also das ist der freilich nur provisorische Eingang
zum Zentralfriedhof der Reichshaupt- und Residenzstadt
Wien?!!!“, schreibt am 28. Oktober 1874 das
„Illustrierte Wiener Extrablatt“. „Ein schmaler, einstöckiger
Trakt simpelster Bauart für den Totengräber
auf der einen, ein ebensolcher schmaler, einstöckiger
Trakt simpelster Bauart für den Gärtner auf
der anderen Seite – und in der Mitte die aus Holtz
zusammengezimmerte, im lustigsten Schweizer17
style gehaltene Wartehalle. Wie sich die Facade dieses
hölzernen, den Eingang bildenden Mitteltraktes,
auf dessen Dach eigentlich ein paar ‚Fahnln‘ gehören,
präsentiert? Ungefähr wie ‚Präuscher’s Museum‘
oder ‚Kratky-Baschit’s Zaubertheater‘ im Prater.
Der Dornbacher Bahnhof der Pferdeeisenbahn ist
im Vergleiche ein monumentaler Prachtbau.“ Weiters
beschwert sich der Berichterstatter über die
mangelhaften Vorbereitungen, wenige Tage vor der
Eröffnung werde an der „Wartehalle“ immer noch
gearbeitet, auch die neue Tramwaylinie sei noch
nicht in Betrieb genommen:
„Volle vier Jahre hatte man Zeit, dem Friedhofe
eine würdige Gestaltung zu verleihen, Bäume zu
pflanzen und Gartenanlagen herzustellen – und
was ist geschehen? Nichts! Eine trostlose, öde Wüste
ohne Baum und ohne Strauch ist unser neues großes
Leichenfeld
...“ Fünf Tage später, also am 3. November
1874, befasst sich dasselbe Blatt erneut mit diesem
Thema:
„Die famose Wartehalle ... ist wirklich fertig
geworden und wurde vorgestern ihrer Bestimmung
übergeben. Zur besonderen Verschönerung stellte
man in derselben drei lange, eichenfarbene angestrichene
Tische und an jeden derselben sechs Stühle
auf. Durch diese hinzugekommenen edlen, aber einfachen
Einrichtungsstücke machte die ‚Halle‘ nun
vollständig den Eindruck eines ‚Extrazimmers‘ bei
einem Buschenschänken in Hernals oder Währing.
‚Aber ganz wia beim G’schwandner‘, rief ein
urwüchsiger Bewohner der westlichen Vororte.
‚Du hörst, zu was haben’s denn dö drei
g’schnappigen Tischerl her’gstellt?‘ fragte ein wißbegieriger
Lerchenfelder seinen Begleiter. ‚Dös wirst
do leicht kapir’n! Wann ma lang auf d’Leich warten
muaß, daß ma tarokieren kann‘, lautete die Auskunft.“
Die „Neue Freie Presse“ hingegen beklagte sich
über die „Wüstenei ... auf welcher das Auge Alles vermißt,
was sonst die Ruhestätten der Todten schmückt
... da gibt es natürlich noch keine Kunstwerke, keine
historisch gewordenen Grabdenkmale ... auch Gartenanlagen
und Bauten, wie sie dem schweigenden
Ernste des Camposanto entsprechen, wird man dort
noch vergeblich suchen ... nicht einmal eine dürftige
Gartenanlage ist den ersten Todten und ihrem
Trauergefolge
gewidmet, und dieses letztere muß sich
bei seinem Liebeswerk zum Aufenthalte in Holzbaracken
bequemen ...“
Als ebenso unwirtlich und „der Würde des Augenblicks“
nicht angemessen werden von den Gazetten
die ersten Begräbnisse geschildert.
„Im Verlaufe einer halben Stunde 7 Leichen – für
den Anfang ein schöner Erfolg, auf jeden Fall aber ein
Geschäft“, schreibt das „Illustrierte Wiener Extrablatt“,
und weiter heißt es zynisch:
„Die Leidtragenden selber mußten sich mit ihrem
Schmerze ziemlich kurz fassen, denn kaum waren die
ersten Tränen ihren Augen entquollen, kaum hatten
sie die ersten Schollen auf den Sarg des theuren
Dahingeschiedenen fallen lassen, mußten sie wieder
vom Rande des gemeinschaftlichen Grabes weg,
denn Platz machen, hieß es, weil bereits ein neuer
Toter herbeigebracht wurde, und neue Leidtragende
kamen, die auch weinen und auch Erdschollen hinabwerfen
wollten.“
Die Begräbnisstätten jener ersten Toten, die an
diesem denkwürdigen Tag der Eröffnung beigesetzt
wurden, sind heute – sie wurden mehrheitlich
in Schachtgräbern beerdigt – nicht mehr vorhanden.
Lediglich das Grab eines Jakob Zelzer, der in
einem Einzelgrab bestattet wurde, existiert noch.
Es befindet sich rechts vom Verwaltungsgebäude,
und der verwitterte Grabstein bezeugt heute noch
jene bürgerliche Wohlhabenheit, die für ein „besseres
Begräbnis“ Voraussetzung war.
© Haymon Verlag
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Autoren-Porträt von Hilde Schmölzer
Hilde Schmölzer, geboren 1937 in Linz, lebt als freie Autorin in Wien. Studium der Publizistik und Kunstgeschichte. 25 Jahre freiberufliche Journalistin und Fotografin in Wien und München. Arbeit für den ORF. Zahlreiche Veröffentlichungen als Sachbuchautorin, u.a. "Die verlorene Geschichte der Frau", "Phänomen Hexe" und "Die Pest in Wien".
Bibliographische Angaben
- Autor: Hilde Schmölzer
- 2015, Überarb. Neuaufl., 164 Seiten, Maße: 11,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Haymon Verlag
- ISBN-10: 3852189756
- ISBN-13: 9783852189758
- Erscheinungsdatum: 17.02.2015
Rezension zu „A schöne Leich “
"So spaßig ist der Tod in Österreich ... Schmölzers Buch ist auch für Nicht-Wiener wichtig ..." Die Zeit, Franz Schuh
Kommentar zu "A schöne Leich"
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