ALDI - Einfach billig
Ein ehemaliger Manager packt aus. Vorw. v. Günter Wallraff
Aldi setzt Maßstäbe - auch im Negativen, wie der ehemalige Aldi-Süd-Manager Andreas Straub aufzeigt: extrem hoher Arbeitsdruck, Einschüchterung, Willkür, perfide Überwachungsmethoden und Spitzeleien.
"Ein mutiges und...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „ALDI - Einfach billig “
Aldi setzt Maßstäbe - auch im Negativen, wie der ehemalige Aldi-Süd-Manager Andreas Straub aufzeigt: extrem hoher Arbeitsdruck, Einschüchterung, Willkür, perfide Überwachungsmethoden und Spitzeleien.
"Ein mutiges und aufrüttelndes Buch, das nach sofortigen Veränderungen verlangt."
Günter Wallraff
Klappentext zu „ALDI - Einfach billig “
Aldi - das ist das Vorbild aller Discounter und für viele Kunden inzwischen Kult. Aldi setzt Maßstäbe. Auch im Negativen, wie der ehemalige Aldi-Süd-Manager Andreas Straub in diesem Buch enthüllt. Extrem hoher Arbeitsdruck, Einschüchterung und Willkür, Entlassungen als Personalpolitik, perfide Überwachungsmethoden und Spitzeleien, Kostendruck und umfassende Kontrolle: Straub liefert einen schockierenden Alltagsbericht aus der Innenwelt der Billigpreise. «Ein mutiges und aufrüttelndes Buch, das nach sofortigen Veränderungen verlangt.»Günter Wallraff
Lese-Probe zu „ALDI - Einfach billig “
ALDI - Einfach billig von Andreas Straub ... mehr
Zum Geleit
Was Sie jetzt lesen, habe ich nicht geplant zu schreiben. Aber irgendwann, nachdem ich ein wenig Abstand von meiner Tätigkeit bei Aldi Süd hatte, wurde mit klar, dass ich meine Erlebnisse und Erfahrungen aufschreiben muss. Ich hatte mich verändert. Mein Manager-Job bei Aldi hatte mich verändert. Und nicht zum Guten. Ich schreibe über meine persönlichen Erfahrungen. Aber nicht nur. «Aldi - Einfach billig» ist ein auf zahlreichen Belegen, Dokumenten, umfangreichen Notizen und Tagebucheinträgen basierendes Memoire. Sämtliche Inhalte und noch die kuriosesten Geschichten, die jetzt folgen, beruhen zumeist auf meinen Erlebnissen oder bisweilen zumindest auf detaillierten Berichten. Ich habe sie nachgeprüft, im Nachhinein recherchiert und dann nach bestem Wissen und Gewissen aufgeschrieben. Von Günter Wallraff habe ich gelernt, dass gerade ein Buch, welches Missstände aufdeckt, spannend und unterhaltsam geschrieben sein sollte. Ich versuche, es so zu schreiben, dass es einer möglichst großen Leserschaft zugänglich wird. Unter anderem deshalb verwende ich viel wörtliche Rede. Sie stellt indessen keine Zitation im strengen Sinne dar. Die Dialoge wurden zwar möglichst detailgetreu, basierend auf meiner Erinnerung und den Aufzeichnungen, niedergeschrieben, dennoch dienen sie vorwiegend dazu, die Ereignisse «miterlebbar » zu machen. Meine Leser sollen hautnah dabei sein. Natürlich habe ich alle Namen geändert, die in diesem Buch vorkommen. Das gilt auch für charakteristische Beschreibungen der vorkommenden Personen. Nichts davon ist erfunden, aber bisweilen habe ich früheren Kollegen Merkmale zugeschrieben, die zu anderen gehören. Persönlichkeitsschutz war mir wichtig. Es geht mir nicht darum, diese Menschen bloßzustellen. Es soll deutlich werden, was die Arbeitsbedingungen bei Aldi, die ich erlebt habe, mit Menschen machen. Ich habe deshalb auch jeden Hinweis vermieden, der Außenstehenden - und sicher auch den meisten «Insidern» - verraten könnte, an welchen Orten der Bericht spielt. Auch dass dieses Buch in der Gegenwart geschrieben ist, dient der besseren Einfühlung und Verständlichkeit. Diese Gegenwart dauerte von 2007 bis 2011. In der Zeit war ich bei Aldi beschäftigt, genauer: in einer von über 30 Regionalgesellschaften bei Aldi Süd. Auf diese Zeit und diese Region beziehen sich meine Beschreibungen von Strukturen, Bedingungen und Abläufen. Details mögen sich geändert haben, das Große und Ganze wohl nicht. Der Leser wird hoffentlich schnell merken, dass ich keinerlei «Rachegefühle» gegen Aldi und meine früheren Kolleginnen und Kollegen hege. Ich schreibe dies nicht zuletzt, weil ich es mir heute erlauben kann. Und so viele andere, die unter diesen Bedingungen leiden, bedauerlicherweise eben nicht. Andreas Straub, März 2012
Billig kostet!
Vorwort von Günter Wallraff
Ein 27-jähriger, studierter Betriebswirt schreibt ein Buch? Vieles kann man da erwarten, aber nicht das hier. Andreas Straub ist ein politisch interessierter Zeitgenosse, allerdings keiner, der sich für «die da unten» besonders engagiert oder gar am kapitalistischem System Grundsätzliches auszusetzen gehabt hätte. Bei Aldi, so findet er nach dem Studium, ist Schwung drin. Er heuert dort an und wird mit 23 Jahren einer der jüngsten Bereichsleiter des Konzerns, eine Art Leitender Angestellter mit der Befugnis, Mitarbeiter zu entlassen. «Ich war vom Discountprinzip fasziniert», sagt er über seine Einstellung. Und jetzt stellt er Aldi, die Mutter aller Discounter, als Urübel hin? Obwohl Aldi doch wirklich nicht Lidl oder Schlecker ist! Das sind die Schmuddelkinder der Branche. Aber Aldi! Aldi ist doch der Saubermann, wenn auch der Saubermann unter den Billigheimern. Aber auch dieser Discounter, zu dem geizgeile pelzbehangene Damen ebenso laufen wie die mit jedem Euro rechnenden Hartz-IV-Empfänger, hat reichlich viel Dreck am Stecken. Oder anders gesagt: Leider sorgt auch Aldi dafür, dass es seinen Beschäftigten sehr dreckig gehen kann, wenn sie dort ihr Brot verdienen müssen. Das Preisdiktat für Firmen, die von so einem Discountmoloch abhängig sind, wird nicht zuletzt auch von der «Geiz ist Geil-Mentalität» und somit von uns Konsumenten gefordert und gefördert. Daraus resultiert eine Abwärtsspirale, die unmittelbare Konsequenzen für die Qualität der Waren und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten hat. Denn die Niedrigpreispolitik - das ist ja der Kern dieses Prinzips - wirkt sich auf vielfältige Weise fatal aus. Zum einen für die Zuliefererbetriebe, einschließlich der Logistikunternehmen und der Landwirte. Denn ihnen diktieren die Einzelhandelskonzerne, die 90 Prozent des Marktes beherrschen1, die Produktionsbedingungen: billig, billig, billig. Das hat sogar das Europäische Parlament auf den Plan gerufen; es beklagt die negativen Folgen der Supermarktmacht für die Arbeitsbedingungen in der Nahrungsmittelindustrie, für die Landwirtschaft und für die Umwelt.2 Und zwar hierzulande sowie besonders auch bei Zuliefererbetrieben in den Ländern des Südens. In der EU-Erklärung heißt es, «dass große Supermärkte ihre Kaufkraft dazu missbrauchen, die an Zulieferer (sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU) bezahlten Preise auf unhaltbare Niveaus zu drücken und ihnen unfaire Bedingungen zu diktieren». Dieser Missbrauch habe «nachteilige Folgewirkungen sowohl auf die Qualität der Beschäftigung als auch auf den Umweltschutz». Denn die Einkäufer der Supermärkte erzwingen durch erpresserische Preisdiktate bei den Bauern hochindustrialisierten Ackerbau und Billigviehzucht - beides zerstört die Böden, verunreinigt das Wasser und die Luft. Auf diese Weise machen die Supermärkte zwar die Ernährung billig - aber auf Kosten der Gesundheit. So sind die Produkte vom Acker und aus dem Stall häufig mit Spritzmitteln und Antibiotika belastet. Werden sie industriell weiterverarbeitet, erzwingt das Billigprinzip von den Nahrungsmittelherstellern höchst durchrationalisierte Massenproduktion, bei der nicht nur regionale Vielfalt und die regionale Anbindung an Produzenten verloren geht. Mit dem Einsatz von Konservierungsmitteln, Geschmacksverstärkern, Aromastoffen und diversen Zusatzprodukten aus der Chemieküche - alle natürlich von den einschlägigen Behörden zugelassen - kommen Lebensmittel auf unseren Tisch, die häufig nicht gesundheitsförderlich sind.3 Die Bundesländer haben deshalb sogar eine eigene Internetseite eingerichtet, auf der sie ständig aktuelle Warnungen vor dem Verzehr bestimmter Lebensmittel veröffentlichen, www.lebensmittelwarnung.de.4 Es ist zum Gruseln. Und es ist eben auch eine Folge des «Discountprinzips ». Genauso wie die dauerhaften Niedrigstlöhne in den Zuliefererbetrieben in China, der Türkei oder sonstwo eine Folge der Marktmacht der Discounter sind. In diesen Ländern lässt zum Beispiel auch Aldi Textilien nähen. Und behauptet, mit Monatslöhnen von 30 Euro bei 12 Stunden täglicher Höchstleistungsarbeit habe er nichts zu tun (so berichtet der Aldi-Check des WDR, nachzuhören bei you tube5). Nicht zuletzt zahlen die Beschäftigten des Einzelhandels beim «Discountprinzip» drauf: die Arbeits- und Lohnbedingungen sind im gesamten Einzelhandel miserabel. Auch wenn Aldi besser zahlt als mancher Konkurrent: die brutale Personalpolitik sorgt immer wieder für negative Schlagzeilen. So strahlte der NDR vor zwei Jahren eine Dokumentation über den Discounter aus6, in der Beschäftigte darüber klagen, wie sie schikaniert und gemaßregelt wurden. Auch der Aldi-Check des WDR berichtet von unbezahlten Überstunden, unbezahlten Pausen und unbezahlten Vor- und Nacharbeiten. Eine exakte Arbeitszeiterfassung gebe es bei Aldi nicht, Aldi sei auch nicht daran interessiert. Andreas Straub gehört nicht zum Kreis derer, die das schon immer wussten. Gerade das macht seine Geschichte, die er hier erzählt, so glaubwürdig und wertvoll. Man kann ihm eben weder vorwerfen, er sei einer von diesen typischen Kritikastern und habe ja schon immer nur das Negative sehen wollen. Noch kann man ihm vorhalten, er wolle sich nachträglich an seinem Arbeitgeber rächen, weil er seinen Job verloren habe. Dafür ist sein Buch zu sachlich, zu faktenreich und erkennbar ohne jeden Versuch geschrieben, sich im Nachhinein zu rechtfertigen. Dazu hätte es Anlass gegeben. Denn Andreas Straub hat ja den harten Stil des Hauses Aldi eine ganze Zeit lang mit gemacht. Schon seine ersten Tage beginnen in einem Klima von Einschüchterung und Denunziation, die ihm die Augen hätten öffnen können. Gut, dass er sie geschlossen hielt, möchte ich sagen, sonst würden wir nicht erfahren, dass der Zusammenschiss, den sein kleiner Vorgesetzter vom größeren Vorgesetzten einzustecken hatte, tatsächlich Alltag war. Besonders die sogenannten «Trennungsgespräche» - das erste hat Straub an seinem zweiten Tag miterleben dürfen - haben bei Aldi nach dem Zeugnis des Autors etwas derart Verachtendes und Zerstörerisches an sich, dass selbst mir beim Lesen der Atem stockte. Das Ziel dieser Gespräche: Der Angegriffene soll freiwillig aufgeben, Aldi will keinen Kündigungsschutzprozess, in dem sich das Unternehmen öffentlich vor Gericht rechtfertigen muss. Der «Überflüssige» soll einen Aufhebungsvertrag unterschreiben, Schweigegebot inklusive. Dann gibt es für die Personalverantwortlichen keine Scherereien mehr. Gegenüber Straub brüstet sich der Verkaufsleiter ganz ungeniert: «Unzählige habe ich rausgenommen. Ich habe noch nie die Freisetzung eines Mitarbeiters bereut. Es war immer richtig und gerechtfertigt.» Ich will nicht weiter vorgreifen. Lesen Sie selbst. Sie werden bei Ihrem nächsten Aldi-Filialbesuch, sollten Sie doch wieder rückfällig werden, anders in die Runde schauen, den Beschäftigten wissender und verständnisvoller begegnen. Vielleicht entschließen Sie sich auch, fortan zur Konkurrenz zu gehen. Ach nein, Unsinn, dort ist es ja auch nicht besser. Das wissen wir zum Beispiel von Ulrike Schramm de Robertis, seit sie 2010 ihr Buch «Ihr kriegt mich nicht klein» veröffentlicht hat.8 Die Einzelhändlerin hat fünf Kinder, einen bewundernswerten Kampfesmut und eine Lebensfreude, von der sich ihre Kolleginnen immer wieder anstecken ließen und die auch die Fernsehzuschauer bewundern konnten, als die erste Betriebsrätin des Lebensmitteldiscounters Lidl in den Talkshows von Maischberger bis Anne Will auftrat. Schikanieren, anschreien, um Überstundenvergütung betrügen, bespitzeln, überwachen, ja sogar testklauen - von solchen Methoden hat auch sie geschrieben. Es sind die Methoden, denen heute im Prinzip fast alle Beschäftigten im Einzelhandel ausgesetzt sind, wenn sie unter der Fuchtel großer Konzerne wie der Lidl/Schwarz-Gruppe, Tengelmann/Plus/ Kik/Schlecker oder Aldi stehen. Nicht jeder muss das schon erlebt haben. Aber die Gefahr, gezielt gemobbt zu werden, besteht zu jeder Zeit. Und das weiß, wer dort arbeitet, und das macht sie oder ihn gefügig. Andreas Straub hat sozusagen von einer «höheren» Warte aus erlebt, und später selbst erlitten und analysiert, dass solche Erfahrungen nicht auf einzelne Choleriker oder ein paar besonders gemeine Vorgesetzte zurückzuführen sind. Straub schildert uns, wie im mittleren Management dieser Firmen ganz zwangsläufig und bewusst ein «Führungs»-Stil herausgebildet wird, der verantwortlich für das harsche bis brutale Regime in den Filialen ist, in manchmal ekelerregenden Formen. Bei Aldi werden zum Beispiel sogenannte «Testkäufe» durchgeführt, um die Fehlerquote bei den Kassiererinnen und Kassierern festzustellen. Dabei ist es durchaus möglich, Beschäftige an den Kassen gezielt «hereinzulegen», etwa, indem in einen Karton mit Nudeln das ein oder andere Produkt gepackt wird, das ähnlich aussieht, aber teurer ist. Je nach «Schärfe» der Kontrolle, so Straub, können 10 bis 20 Prozent Fehler «produziert» werden. «Die Testkäufe bringen für Aldi einen sehr angenehmen Nebeneffekt. Durch die konsequente Abmahnpolitik sind viele Mitarbeiterakten mit gerichtsrelevantem Material ‹angefüttert›. Selbst wenn nur eine oder zwei Abmahnungen vorliegen, ist es in den Trennungsprozessen besser, als gar keine zu haben. So können Kassenkräfte leicht ‹freigesetzt› werden.» Auch er habe zahlreiche Abmahnungen geschrieben, bekennt Andreas Straub. Filialleiter zur Übung, Bereichsleiter, Jahresgehalt 80 000 Euro, Prokurist in spe - auf diesen, nach oben zeigenden, Aldi-Hierarchieebenen bewegte sich der Autor dieses Buches. Unten mussten die Verkäufer und Verkäuferinnen, die die Umsätze machen, ausbaden, was oben verhackstückt und ausgeheckt wurde. Und es ging und geht immer um dasselbe: Steigerung der Umsätze und Verringerung der Kosten. Kosten können durch billigere Einkäufe gesenkt werden - das ist das Geschäft der Einkaufsabteilung und Thema für ein Fortsetzungsbuch. Für die Verkaufsabteilung heißt Kostensenkung in erster Linie: die Personalkosten verringern, älteren, teureren Beschäftigten kündigen, die anderen zu Höchstleistungen antreiben und jeden Ansatz von Gegenwehr unter den Beschäftigten unterbinden. Ein ehemaliger Regionalverkaufsleiter eines Konkurrenzdiscounters berichtet mir beispielsweise, wie dort teilweise mit unliebsamen Mitarbeitern verfahren wird. In einem besonders eklatanten Fall erhielt er von seinem Vorgesetzten die Anweisung, einer langjährigen Betriebsrätin, die «weggeschossen » werden sollte, eine Flasche Schnaps in die Tasche zu legen, die sie in ihrem Spind deponiert hatte. Beim Verlassen der Filiale musste sie eine Taschenkontrolle über sich ergehen lassen, bei der sie «des Diebstahls überführt» wurde. Sie wurde fristlos entlassen. Der verantwortliche Regionalleiter, der mir diesen und ähnliche Fälle gebeichtet hat und selber daran psychisch zerbrochen ist, bemüht sich nun um Wiedergutmachung. Als Erstes bereite ich ein Treffen mit der gekündigten Mitarbeiterin vor. Auch mehrere Aldi-Angestellte erzählen mir während meiner Recherchen von grausamen Zuständen. Sie berichten von Mobbing, Strafversetzungen, Einschüchterungsversuchen und willkürlichen Schikanen. Es sind viele und individuelle Fälle, sogenannte «Einzelfälle». Doch drängt sich da der Eindruck auf, hinter den immer gleichen Geschichten steckt Methode und System. Straubs Buch jedenfalls zeigt die Strukturen und Zusammenhänge auf. Als Manager erhielt er Einblicke, die der Öffentlichkeit bislang verwehrt blieben. Bislang. In den meisten Filialen von Aldi Süd existieren keine Betriebsräte. In den Filialen, die Andreas Straub unter sich hatte, gab es auch keine. Am Ende seines Buches fordert er, dass bei Aldi und den anderen Einzelhandelsriesen endlich Interessenvertretungen der Arbeitnehmer gegründet werden müssen. Ich stimme ihm da voll zu. Zwar gibt es bei Aldi Nord Betriebsräte, jedoch gilt ihre interne Stellung als äußerst schwach. Die Einzelhandelskonzerne behandeln ihre Beschäftigten nämlich auch deshalb so überdurchschnittlich schlecht, weil sie, landauf, landab betriebsratsfreie Zonen schaffen. Bei Aldi nicht anders; der Aldi-Check des WDR berichtete zum Beispiel von einer versuchten Betriebsratswahl in München, die unter anderem dadurch verhindert wurde, dass Leitende Angestellte von Aldi Süd ihre Mitarbeiter gedrängt haben, gegen die Wahl zu stimmen und zwar auf einer Versammlung, zu der mehr als dreißig Mitarbeiter per Taxi auf Firmenkosten hingekarrt wurden.9 Aber zu einer erfolgreichen Betriebsratsarbeit gehört auch, dass die Beschäftigten sich in Gewerkschaften zusammenschließen. Andreas Straub hat manches Mal mit ansehen müssen, wie erfolgreich einzelne Kollegen von ihren Vorgesetzten fertig gemacht wurden. Der Grund: In der Filiale bestand keinerlei Solidaritäts- und Verantwortungsgefühl füreinander. Jeder duckte sich weg, jeder hoffte, dass er nicht der nächste sein würde, und viel zu viele waren bereit, denjenigen fallen zu lassen, den der Chef gerade zum Abschuß freigegeben hatte. Ich komme deshalb noch einmal auf Ulrike Schramm de Robertis zurück. Sie hat erfahren, dass ein Konzern zum Nachgeben gezwungen werden kann und zum Beispiel Betriebsratswahlen dulden musste - und dann sogar eine wie sie als Vorsitzende. Die Angst der Oberen vor solcher Gegenwehr, das erleben selbstbewusste Beschäftigte hautnah, nimmt mitunter lächerliche Züge an. Sie legt die zentrale Schwäche einer Personalpolitik bloß, die Methoden der psychologischen Kriegsführung und des Mobbing einsetzt. Wenn diese Methoden nämlich nicht ziehen, wenn Kündigungsvorhaben der Personalmanager und ihre Attacken auf Mitarbeiter nicht so laufen, wie sie es sich vorstellen, Mitarbeiter sich zur Wehr setzen oder sich gegenseitig beistehen, reagieren sie verunsichert, sind plötzlich mit ihrem Latein am Ende, stehen kleinlaut und armselig da. Es ist erstmal ein Zeitgewinn, bis sie dann unter Umständen zum nächsten Schlag ausholen. Wenn bis dahin keine Verteidigungslinie unter den Beschäftigten steht, wird es existenziell gefährlich. Das hat auch Andreas Straub zu spüren bekommen. Als sein Verkaufsleiter ihn, der zunehmend selbstbewusster wurde und mit Gegenargumenten aufwartete, aus dem Unternehmen weg zu mobben begann, reagierte er verschreckt, verstört und wurde schließlich krank. So wie es Zigtausenden ergeht. Der leitende Psychologe einer psychosomatischen Klinik, die sich auf die Behandlung von Mobbingbetroffenen spezialisiert hat, betreut eine wachsende Zahl von Patienten, die Opfer systematischer Verfolgung an ihrem Arbeitsplatz geworden sind. Mit Methoden, die das Selbstwertgefühl zerstören sollen, den Betroffenen sozial isolieren und in Angst und Schrecken versetzen sollen, damit er schließlich aufgibt und nicht länger auf seine Rechte pocht. Und sei es auch nur das Recht auf ein faires Arbeitsgerichtsverfahren. Dieser Klinikpsychologe sagte mir über die Folgen: «Diese zielgerichteten systematischen Feindseligkeiten und Attacken führen längerfristig gesehen zu einer Art Lähmung. Die Patienten können sich gegen die Zermürbungsstrategie ihres Arbeitgebers oder der Vorgesetzten nicht mehr wehren. Das mündet schließlich in Angststörungen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Und kann bis hin zum sozialen Tod führen.» Dass nicht nur der soziale Tod, sondern sogar Selbstmord die Folge solcher Unternehmensunkultur sein kann, ist am Beispiel der französischen Telekom europaweit bekannt geworden. Die Zahl der Selbstmorde in diesem Unternehmen stieg infolge der knallharten Sanierungspolitik rapide an und wurde, wenigstens in Frankreich, zu einem öffentlich diskutierten Skandal. In Deutschland gibt es keine Meldepflicht von Selbstmorden in Unternehmen wie in Frankreich. Aber auch aus deutschen Konzernen der Telekommunikation und verwandten Branchen erreichen mich immer wieder Hilferufe von psychisch Angeschlagenen, die nicht mehr weiterwissen. Auch eine Form von Wachstum, die ihre Ursachen im herrschenden ökonomischen Wachstumswahn hat, in der Jagd nach immer mehr Umsatz, immer weniger Kosten und immer mehr Profit. Da existieren in einigen Konzernen «Rankinglisten » von sogenannten «Minderleistern», die genau wissen (sollen), dass von ihnen jährlich eine festgelegte Quote (z. B. 10 Prozent) zu «entsorgen» ist. Während ich das niederschreibe, vertraut sich mir ein weiterer Personaler an, den eine große Einzelhandelskette einkaufen wollte. Kein Billigdiscounter, sondern ein «seriöser» Konzern. Er wurde angehalten, Mitarbeitern, die die Firma loswerden wollte, «mit einer Strafanzeige bei der Polizei zu drohen.» Das sei «gerade in ländlichen Filialen ein starkes Druckmittel», wurde ihm klar gemacht. Dem Personaler wurde nahegelegt, er solle den Kündigungsopfern vorhalten, «was denn die Nachbarn dann von Ihnen denken würden» ... Sind diejenigen, die all das verantworten, schlechte Menschen? Sicher auch. Aber wie sind sie so geworden? Entscheidend ist, dass der Zwang, die Shareholder oder, wie im Falle von Aldi, die Privateigentümer eines Konzerns zu bedienen und das Betriebsergebnis optimal zu steigern, sie zu moralisch verwerflichen, manchmal sogar kriminellen Handlungen treibt. Vielleicht wären solche Arbeitgeber froh, wenn es gar keine Kündigungsschutzbestimmungen mehr gäbe, die sie beachten müssten. Dann müssten sie auch nicht derart brutal handeln, tricksen, lügen und Psychoterror ausüben. Aber da es noch nicht so weit ist, greifen sie zu allen denkbaren Methoden, um den Kündigungsschutz auszuhebeln. Und wer das nicht mitmacht, zeigt eben Führungsschwäche, ist ein «Weichei». Andreas Straub hat versucht, als er nach einem Jahr Einarbeitungszeit schließlich selber Bereichsleiter wird, einen weniger rabiaten Weg bei Aldi einzuschlagen. Nicht der übliche Draufschläger zu werden und trotzdem die Umsatz- und Renditezahlen einzufahren. Er hat sich damit keine Freunde gemacht. Sie haben sich letztlich seiner entledigt, weil er den Stil des Hauses nicht übernommen hat. Die typische Aldi- «Einigung», ein Aufhebungsvertrag nach firmeneigenem Muster, hat bei Straub nicht funktioniert, er hat vor Gericht einen Vergleich erstritten. Andreas Straub stand unter erheblichem persönlichen Druck, als er sein Buch niederschrieb. Aus seinem privatesten Umfeld bekam er heftige Kritik zu hören; er solle die Schreiberei sein lassen, ein solches Buch wäre eine unverfrorene Anklage, er werde nie wieder eine Arbeit als Führungskraft bekommen. Freundschaften gingen in die Brüche, er trennte sich von Menschen (wahrscheinlich den richtigen!), denen er sich nahe glaubte, als er sich nach gründlicher Selbstprüfung und Bedenkzeit zur Veröffentlichung dieses Buches entschloss. Ein mutiges und aufrüttelndes Buch, das nach sofortigen Veränderungen verlangt. Es sollte nicht zuletzt uns Konsumenten zum bewussten Kaufverhalten veranlassen und ... kaum anzunehmen: Aldi zur grundlegenden Änderung seiner Personalpolitik. «Billig», das ist jedem nach der Lektüre dieses Buches bewusst, «billig» - für dieses Prinzip zahlen andere drauf!
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH
Zum Geleit
Was Sie jetzt lesen, habe ich nicht geplant zu schreiben. Aber irgendwann, nachdem ich ein wenig Abstand von meiner Tätigkeit bei Aldi Süd hatte, wurde mit klar, dass ich meine Erlebnisse und Erfahrungen aufschreiben muss. Ich hatte mich verändert. Mein Manager-Job bei Aldi hatte mich verändert. Und nicht zum Guten. Ich schreibe über meine persönlichen Erfahrungen. Aber nicht nur. «Aldi - Einfach billig» ist ein auf zahlreichen Belegen, Dokumenten, umfangreichen Notizen und Tagebucheinträgen basierendes Memoire. Sämtliche Inhalte und noch die kuriosesten Geschichten, die jetzt folgen, beruhen zumeist auf meinen Erlebnissen oder bisweilen zumindest auf detaillierten Berichten. Ich habe sie nachgeprüft, im Nachhinein recherchiert und dann nach bestem Wissen und Gewissen aufgeschrieben. Von Günter Wallraff habe ich gelernt, dass gerade ein Buch, welches Missstände aufdeckt, spannend und unterhaltsam geschrieben sein sollte. Ich versuche, es so zu schreiben, dass es einer möglichst großen Leserschaft zugänglich wird. Unter anderem deshalb verwende ich viel wörtliche Rede. Sie stellt indessen keine Zitation im strengen Sinne dar. Die Dialoge wurden zwar möglichst detailgetreu, basierend auf meiner Erinnerung und den Aufzeichnungen, niedergeschrieben, dennoch dienen sie vorwiegend dazu, die Ereignisse «miterlebbar » zu machen. Meine Leser sollen hautnah dabei sein. Natürlich habe ich alle Namen geändert, die in diesem Buch vorkommen. Das gilt auch für charakteristische Beschreibungen der vorkommenden Personen. Nichts davon ist erfunden, aber bisweilen habe ich früheren Kollegen Merkmale zugeschrieben, die zu anderen gehören. Persönlichkeitsschutz war mir wichtig. Es geht mir nicht darum, diese Menschen bloßzustellen. Es soll deutlich werden, was die Arbeitsbedingungen bei Aldi, die ich erlebt habe, mit Menschen machen. Ich habe deshalb auch jeden Hinweis vermieden, der Außenstehenden - und sicher auch den meisten «Insidern» - verraten könnte, an welchen Orten der Bericht spielt. Auch dass dieses Buch in der Gegenwart geschrieben ist, dient der besseren Einfühlung und Verständlichkeit. Diese Gegenwart dauerte von 2007 bis 2011. In der Zeit war ich bei Aldi beschäftigt, genauer: in einer von über 30 Regionalgesellschaften bei Aldi Süd. Auf diese Zeit und diese Region beziehen sich meine Beschreibungen von Strukturen, Bedingungen und Abläufen. Details mögen sich geändert haben, das Große und Ganze wohl nicht. Der Leser wird hoffentlich schnell merken, dass ich keinerlei «Rachegefühle» gegen Aldi und meine früheren Kolleginnen und Kollegen hege. Ich schreibe dies nicht zuletzt, weil ich es mir heute erlauben kann. Und so viele andere, die unter diesen Bedingungen leiden, bedauerlicherweise eben nicht. Andreas Straub, März 2012
Billig kostet!
Vorwort von Günter Wallraff
Ein 27-jähriger, studierter Betriebswirt schreibt ein Buch? Vieles kann man da erwarten, aber nicht das hier. Andreas Straub ist ein politisch interessierter Zeitgenosse, allerdings keiner, der sich für «die da unten» besonders engagiert oder gar am kapitalistischem System Grundsätzliches auszusetzen gehabt hätte. Bei Aldi, so findet er nach dem Studium, ist Schwung drin. Er heuert dort an und wird mit 23 Jahren einer der jüngsten Bereichsleiter des Konzerns, eine Art Leitender Angestellter mit der Befugnis, Mitarbeiter zu entlassen. «Ich war vom Discountprinzip fasziniert», sagt er über seine Einstellung. Und jetzt stellt er Aldi, die Mutter aller Discounter, als Urübel hin? Obwohl Aldi doch wirklich nicht Lidl oder Schlecker ist! Das sind die Schmuddelkinder der Branche. Aber Aldi! Aldi ist doch der Saubermann, wenn auch der Saubermann unter den Billigheimern. Aber auch dieser Discounter, zu dem geizgeile pelzbehangene Damen ebenso laufen wie die mit jedem Euro rechnenden Hartz-IV-Empfänger, hat reichlich viel Dreck am Stecken. Oder anders gesagt: Leider sorgt auch Aldi dafür, dass es seinen Beschäftigten sehr dreckig gehen kann, wenn sie dort ihr Brot verdienen müssen. Das Preisdiktat für Firmen, die von so einem Discountmoloch abhängig sind, wird nicht zuletzt auch von der «Geiz ist Geil-Mentalität» und somit von uns Konsumenten gefordert und gefördert. Daraus resultiert eine Abwärtsspirale, die unmittelbare Konsequenzen für die Qualität der Waren und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten hat. Denn die Niedrigpreispolitik - das ist ja der Kern dieses Prinzips - wirkt sich auf vielfältige Weise fatal aus. Zum einen für die Zuliefererbetriebe, einschließlich der Logistikunternehmen und der Landwirte. Denn ihnen diktieren die Einzelhandelskonzerne, die 90 Prozent des Marktes beherrschen1, die Produktionsbedingungen: billig, billig, billig. Das hat sogar das Europäische Parlament auf den Plan gerufen; es beklagt die negativen Folgen der Supermarktmacht für die Arbeitsbedingungen in der Nahrungsmittelindustrie, für die Landwirtschaft und für die Umwelt.2 Und zwar hierzulande sowie besonders auch bei Zuliefererbetrieben in den Ländern des Südens. In der EU-Erklärung heißt es, «dass große Supermärkte ihre Kaufkraft dazu missbrauchen, die an Zulieferer (sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU) bezahlten Preise auf unhaltbare Niveaus zu drücken und ihnen unfaire Bedingungen zu diktieren». Dieser Missbrauch habe «nachteilige Folgewirkungen sowohl auf die Qualität der Beschäftigung als auch auf den Umweltschutz». Denn die Einkäufer der Supermärkte erzwingen durch erpresserische Preisdiktate bei den Bauern hochindustrialisierten Ackerbau und Billigviehzucht - beides zerstört die Böden, verunreinigt das Wasser und die Luft. Auf diese Weise machen die Supermärkte zwar die Ernährung billig - aber auf Kosten der Gesundheit. So sind die Produkte vom Acker und aus dem Stall häufig mit Spritzmitteln und Antibiotika belastet. Werden sie industriell weiterverarbeitet, erzwingt das Billigprinzip von den Nahrungsmittelherstellern höchst durchrationalisierte Massenproduktion, bei der nicht nur regionale Vielfalt und die regionale Anbindung an Produzenten verloren geht. Mit dem Einsatz von Konservierungsmitteln, Geschmacksverstärkern, Aromastoffen und diversen Zusatzprodukten aus der Chemieküche - alle natürlich von den einschlägigen Behörden zugelassen - kommen Lebensmittel auf unseren Tisch, die häufig nicht gesundheitsförderlich sind.3 Die Bundesländer haben deshalb sogar eine eigene Internetseite eingerichtet, auf der sie ständig aktuelle Warnungen vor dem Verzehr bestimmter Lebensmittel veröffentlichen, www.lebensmittelwarnung.de.4 Es ist zum Gruseln. Und es ist eben auch eine Folge des «Discountprinzips ». Genauso wie die dauerhaften Niedrigstlöhne in den Zuliefererbetrieben in China, der Türkei oder sonstwo eine Folge der Marktmacht der Discounter sind. In diesen Ländern lässt zum Beispiel auch Aldi Textilien nähen. Und behauptet, mit Monatslöhnen von 30 Euro bei 12 Stunden täglicher Höchstleistungsarbeit habe er nichts zu tun (so berichtet der Aldi-Check des WDR, nachzuhören bei you tube5). Nicht zuletzt zahlen die Beschäftigten des Einzelhandels beim «Discountprinzip» drauf: die Arbeits- und Lohnbedingungen sind im gesamten Einzelhandel miserabel. Auch wenn Aldi besser zahlt als mancher Konkurrent: die brutale Personalpolitik sorgt immer wieder für negative Schlagzeilen. So strahlte der NDR vor zwei Jahren eine Dokumentation über den Discounter aus6, in der Beschäftigte darüber klagen, wie sie schikaniert und gemaßregelt wurden. Auch der Aldi-Check des WDR berichtet von unbezahlten Überstunden, unbezahlten Pausen und unbezahlten Vor- und Nacharbeiten. Eine exakte Arbeitszeiterfassung gebe es bei Aldi nicht, Aldi sei auch nicht daran interessiert. Andreas Straub gehört nicht zum Kreis derer, die das schon immer wussten. Gerade das macht seine Geschichte, die er hier erzählt, so glaubwürdig und wertvoll. Man kann ihm eben weder vorwerfen, er sei einer von diesen typischen Kritikastern und habe ja schon immer nur das Negative sehen wollen. Noch kann man ihm vorhalten, er wolle sich nachträglich an seinem Arbeitgeber rächen, weil er seinen Job verloren habe. Dafür ist sein Buch zu sachlich, zu faktenreich und erkennbar ohne jeden Versuch geschrieben, sich im Nachhinein zu rechtfertigen. Dazu hätte es Anlass gegeben. Denn Andreas Straub hat ja den harten Stil des Hauses Aldi eine ganze Zeit lang mit gemacht. Schon seine ersten Tage beginnen in einem Klima von Einschüchterung und Denunziation, die ihm die Augen hätten öffnen können. Gut, dass er sie geschlossen hielt, möchte ich sagen, sonst würden wir nicht erfahren, dass der Zusammenschiss, den sein kleiner Vorgesetzter vom größeren Vorgesetzten einzustecken hatte, tatsächlich Alltag war. Besonders die sogenannten «Trennungsgespräche» - das erste hat Straub an seinem zweiten Tag miterleben dürfen - haben bei Aldi nach dem Zeugnis des Autors etwas derart Verachtendes und Zerstörerisches an sich, dass selbst mir beim Lesen der Atem stockte. Das Ziel dieser Gespräche: Der Angegriffene soll freiwillig aufgeben, Aldi will keinen Kündigungsschutzprozess, in dem sich das Unternehmen öffentlich vor Gericht rechtfertigen muss. Der «Überflüssige» soll einen Aufhebungsvertrag unterschreiben, Schweigegebot inklusive. Dann gibt es für die Personalverantwortlichen keine Scherereien mehr. Gegenüber Straub brüstet sich der Verkaufsleiter ganz ungeniert: «Unzählige habe ich rausgenommen. Ich habe noch nie die Freisetzung eines Mitarbeiters bereut. Es war immer richtig und gerechtfertigt.» Ich will nicht weiter vorgreifen. Lesen Sie selbst. Sie werden bei Ihrem nächsten Aldi-Filialbesuch, sollten Sie doch wieder rückfällig werden, anders in die Runde schauen, den Beschäftigten wissender und verständnisvoller begegnen. Vielleicht entschließen Sie sich auch, fortan zur Konkurrenz zu gehen. Ach nein, Unsinn, dort ist es ja auch nicht besser. Das wissen wir zum Beispiel von Ulrike Schramm de Robertis, seit sie 2010 ihr Buch «Ihr kriegt mich nicht klein» veröffentlicht hat.8 Die Einzelhändlerin hat fünf Kinder, einen bewundernswerten Kampfesmut und eine Lebensfreude, von der sich ihre Kolleginnen immer wieder anstecken ließen und die auch die Fernsehzuschauer bewundern konnten, als die erste Betriebsrätin des Lebensmitteldiscounters Lidl in den Talkshows von Maischberger bis Anne Will auftrat. Schikanieren, anschreien, um Überstundenvergütung betrügen, bespitzeln, überwachen, ja sogar testklauen - von solchen Methoden hat auch sie geschrieben. Es sind die Methoden, denen heute im Prinzip fast alle Beschäftigten im Einzelhandel ausgesetzt sind, wenn sie unter der Fuchtel großer Konzerne wie der Lidl/Schwarz-Gruppe, Tengelmann/Plus/ Kik/Schlecker oder Aldi stehen. Nicht jeder muss das schon erlebt haben. Aber die Gefahr, gezielt gemobbt zu werden, besteht zu jeder Zeit. Und das weiß, wer dort arbeitet, und das macht sie oder ihn gefügig. Andreas Straub hat sozusagen von einer «höheren» Warte aus erlebt, und später selbst erlitten und analysiert, dass solche Erfahrungen nicht auf einzelne Choleriker oder ein paar besonders gemeine Vorgesetzte zurückzuführen sind. Straub schildert uns, wie im mittleren Management dieser Firmen ganz zwangsläufig und bewusst ein «Führungs»-Stil herausgebildet wird, der verantwortlich für das harsche bis brutale Regime in den Filialen ist, in manchmal ekelerregenden Formen. Bei Aldi werden zum Beispiel sogenannte «Testkäufe» durchgeführt, um die Fehlerquote bei den Kassiererinnen und Kassierern festzustellen. Dabei ist es durchaus möglich, Beschäftige an den Kassen gezielt «hereinzulegen», etwa, indem in einen Karton mit Nudeln das ein oder andere Produkt gepackt wird, das ähnlich aussieht, aber teurer ist. Je nach «Schärfe» der Kontrolle, so Straub, können 10 bis 20 Prozent Fehler «produziert» werden. «Die Testkäufe bringen für Aldi einen sehr angenehmen Nebeneffekt. Durch die konsequente Abmahnpolitik sind viele Mitarbeiterakten mit gerichtsrelevantem Material ‹angefüttert›. Selbst wenn nur eine oder zwei Abmahnungen vorliegen, ist es in den Trennungsprozessen besser, als gar keine zu haben. So können Kassenkräfte leicht ‹freigesetzt› werden.» Auch er habe zahlreiche Abmahnungen geschrieben, bekennt Andreas Straub. Filialleiter zur Übung, Bereichsleiter, Jahresgehalt 80 000 Euro, Prokurist in spe - auf diesen, nach oben zeigenden, Aldi-Hierarchieebenen bewegte sich der Autor dieses Buches. Unten mussten die Verkäufer und Verkäuferinnen, die die Umsätze machen, ausbaden, was oben verhackstückt und ausgeheckt wurde. Und es ging und geht immer um dasselbe: Steigerung der Umsätze und Verringerung der Kosten. Kosten können durch billigere Einkäufe gesenkt werden - das ist das Geschäft der Einkaufsabteilung und Thema für ein Fortsetzungsbuch. Für die Verkaufsabteilung heißt Kostensenkung in erster Linie: die Personalkosten verringern, älteren, teureren Beschäftigten kündigen, die anderen zu Höchstleistungen antreiben und jeden Ansatz von Gegenwehr unter den Beschäftigten unterbinden. Ein ehemaliger Regionalverkaufsleiter eines Konkurrenzdiscounters berichtet mir beispielsweise, wie dort teilweise mit unliebsamen Mitarbeitern verfahren wird. In einem besonders eklatanten Fall erhielt er von seinem Vorgesetzten die Anweisung, einer langjährigen Betriebsrätin, die «weggeschossen » werden sollte, eine Flasche Schnaps in die Tasche zu legen, die sie in ihrem Spind deponiert hatte. Beim Verlassen der Filiale musste sie eine Taschenkontrolle über sich ergehen lassen, bei der sie «des Diebstahls überführt» wurde. Sie wurde fristlos entlassen. Der verantwortliche Regionalleiter, der mir diesen und ähnliche Fälle gebeichtet hat und selber daran psychisch zerbrochen ist, bemüht sich nun um Wiedergutmachung. Als Erstes bereite ich ein Treffen mit der gekündigten Mitarbeiterin vor. Auch mehrere Aldi-Angestellte erzählen mir während meiner Recherchen von grausamen Zuständen. Sie berichten von Mobbing, Strafversetzungen, Einschüchterungsversuchen und willkürlichen Schikanen. Es sind viele und individuelle Fälle, sogenannte «Einzelfälle». Doch drängt sich da der Eindruck auf, hinter den immer gleichen Geschichten steckt Methode und System. Straubs Buch jedenfalls zeigt die Strukturen und Zusammenhänge auf. Als Manager erhielt er Einblicke, die der Öffentlichkeit bislang verwehrt blieben. Bislang. In den meisten Filialen von Aldi Süd existieren keine Betriebsräte. In den Filialen, die Andreas Straub unter sich hatte, gab es auch keine. Am Ende seines Buches fordert er, dass bei Aldi und den anderen Einzelhandelsriesen endlich Interessenvertretungen der Arbeitnehmer gegründet werden müssen. Ich stimme ihm da voll zu. Zwar gibt es bei Aldi Nord Betriebsräte, jedoch gilt ihre interne Stellung als äußerst schwach. Die Einzelhandelskonzerne behandeln ihre Beschäftigten nämlich auch deshalb so überdurchschnittlich schlecht, weil sie, landauf, landab betriebsratsfreie Zonen schaffen. Bei Aldi nicht anders; der Aldi-Check des WDR berichtete zum Beispiel von einer versuchten Betriebsratswahl in München, die unter anderem dadurch verhindert wurde, dass Leitende Angestellte von Aldi Süd ihre Mitarbeiter gedrängt haben, gegen die Wahl zu stimmen und zwar auf einer Versammlung, zu der mehr als dreißig Mitarbeiter per Taxi auf Firmenkosten hingekarrt wurden.9 Aber zu einer erfolgreichen Betriebsratsarbeit gehört auch, dass die Beschäftigten sich in Gewerkschaften zusammenschließen. Andreas Straub hat manches Mal mit ansehen müssen, wie erfolgreich einzelne Kollegen von ihren Vorgesetzten fertig gemacht wurden. Der Grund: In der Filiale bestand keinerlei Solidaritäts- und Verantwortungsgefühl füreinander. Jeder duckte sich weg, jeder hoffte, dass er nicht der nächste sein würde, und viel zu viele waren bereit, denjenigen fallen zu lassen, den der Chef gerade zum Abschuß freigegeben hatte. Ich komme deshalb noch einmal auf Ulrike Schramm de Robertis zurück. Sie hat erfahren, dass ein Konzern zum Nachgeben gezwungen werden kann und zum Beispiel Betriebsratswahlen dulden musste - und dann sogar eine wie sie als Vorsitzende. Die Angst der Oberen vor solcher Gegenwehr, das erleben selbstbewusste Beschäftigte hautnah, nimmt mitunter lächerliche Züge an. Sie legt die zentrale Schwäche einer Personalpolitik bloß, die Methoden der psychologischen Kriegsführung und des Mobbing einsetzt. Wenn diese Methoden nämlich nicht ziehen, wenn Kündigungsvorhaben der Personalmanager und ihre Attacken auf Mitarbeiter nicht so laufen, wie sie es sich vorstellen, Mitarbeiter sich zur Wehr setzen oder sich gegenseitig beistehen, reagieren sie verunsichert, sind plötzlich mit ihrem Latein am Ende, stehen kleinlaut und armselig da. Es ist erstmal ein Zeitgewinn, bis sie dann unter Umständen zum nächsten Schlag ausholen. Wenn bis dahin keine Verteidigungslinie unter den Beschäftigten steht, wird es existenziell gefährlich. Das hat auch Andreas Straub zu spüren bekommen. Als sein Verkaufsleiter ihn, der zunehmend selbstbewusster wurde und mit Gegenargumenten aufwartete, aus dem Unternehmen weg zu mobben begann, reagierte er verschreckt, verstört und wurde schließlich krank. So wie es Zigtausenden ergeht. Der leitende Psychologe einer psychosomatischen Klinik, die sich auf die Behandlung von Mobbingbetroffenen spezialisiert hat, betreut eine wachsende Zahl von Patienten, die Opfer systematischer Verfolgung an ihrem Arbeitsplatz geworden sind. Mit Methoden, die das Selbstwertgefühl zerstören sollen, den Betroffenen sozial isolieren und in Angst und Schrecken versetzen sollen, damit er schließlich aufgibt und nicht länger auf seine Rechte pocht. Und sei es auch nur das Recht auf ein faires Arbeitsgerichtsverfahren. Dieser Klinikpsychologe sagte mir über die Folgen: «Diese zielgerichteten systematischen Feindseligkeiten und Attacken führen längerfristig gesehen zu einer Art Lähmung. Die Patienten können sich gegen die Zermürbungsstrategie ihres Arbeitgebers oder der Vorgesetzten nicht mehr wehren. Das mündet schließlich in Angststörungen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Und kann bis hin zum sozialen Tod führen.» Dass nicht nur der soziale Tod, sondern sogar Selbstmord die Folge solcher Unternehmensunkultur sein kann, ist am Beispiel der französischen Telekom europaweit bekannt geworden. Die Zahl der Selbstmorde in diesem Unternehmen stieg infolge der knallharten Sanierungspolitik rapide an und wurde, wenigstens in Frankreich, zu einem öffentlich diskutierten Skandal. In Deutschland gibt es keine Meldepflicht von Selbstmorden in Unternehmen wie in Frankreich. Aber auch aus deutschen Konzernen der Telekommunikation und verwandten Branchen erreichen mich immer wieder Hilferufe von psychisch Angeschlagenen, die nicht mehr weiterwissen. Auch eine Form von Wachstum, die ihre Ursachen im herrschenden ökonomischen Wachstumswahn hat, in der Jagd nach immer mehr Umsatz, immer weniger Kosten und immer mehr Profit. Da existieren in einigen Konzernen «Rankinglisten » von sogenannten «Minderleistern», die genau wissen (sollen), dass von ihnen jährlich eine festgelegte Quote (z. B. 10 Prozent) zu «entsorgen» ist. Während ich das niederschreibe, vertraut sich mir ein weiterer Personaler an, den eine große Einzelhandelskette einkaufen wollte. Kein Billigdiscounter, sondern ein «seriöser» Konzern. Er wurde angehalten, Mitarbeitern, die die Firma loswerden wollte, «mit einer Strafanzeige bei der Polizei zu drohen.» Das sei «gerade in ländlichen Filialen ein starkes Druckmittel», wurde ihm klar gemacht. Dem Personaler wurde nahegelegt, er solle den Kündigungsopfern vorhalten, «was denn die Nachbarn dann von Ihnen denken würden» ... Sind diejenigen, die all das verantworten, schlechte Menschen? Sicher auch. Aber wie sind sie so geworden? Entscheidend ist, dass der Zwang, die Shareholder oder, wie im Falle von Aldi, die Privateigentümer eines Konzerns zu bedienen und das Betriebsergebnis optimal zu steigern, sie zu moralisch verwerflichen, manchmal sogar kriminellen Handlungen treibt. Vielleicht wären solche Arbeitgeber froh, wenn es gar keine Kündigungsschutzbestimmungen mehr gäbe, die sie beachten müssten. Dann müssten sie auch nicht derart brutal handeln, tricksen, lügen und Psychoterror ausüben. Aber da es noch nicht so weit ist, greifen sie zu allen denkbaren Methoden, um den Kündigungsschutz auszuhebeln. Und wer das nicht mitmacht, zeigt eben Führungsschwäche, ist ein «Weichei». Andreas Straub hat versucht, als er nach einem Jahr Einarbeitungszeit schließlich selber Bereichsleiter wird, einen weniger rabiaten Weg bei Aldi einzuschlagen. Nicht der übliche Draufschläger zu werden und trotzdem die Umsatz- und Renditezahlen einzufahren. Er hat sich damit keine Freunde gemacht. Sie haben sich letztlich seiner entledigt, weil er den Stil des Hauses nicht übernommen hat. Die typische Aldi- «Einigung», ein Aufhebungsvertrag nach firmeneigenem Muster, hat bei Straub nicht funktioniert, er hat vor Gericht einen Vergleich erstritten. Andreas Straub stand unter erheblichem persönlichen Druck, als er sein Buch niederschrieb. Aus seinem privatesten Umfeld bekam er heftige Kritik zu hören; er solle die Schreiberei sein lassen, ein solches Buch wäre eine unverfrorene Anklage, er werde nie wieder eine Arbeit als Führungskraft bekommen. Freundschaften gingen in die Brüche, er trennte sich von Menschen (wahrscheinlich den richtigen!), denen er sich nahe glaubte, als er sich nach gründlicher Selbstprüfung und Bedenkzeit zur Veröffentlichung dieses Buches entschloss. Ein mutiges und aufrüttelndes Buch, das nach sofortigen Veränderungen verlangt. Es sollte nicht zuletzt uns Konsumenten zum bewussten Kaufverhalten veranlassen und ... kaum anzunehmen: Aldi zur grundlegenden Änderung seiner Personalpolitik. «Billig», das ist jedem nach der Lektüre dieses Buches bewusst, «billig» - für dieses Prinzip zahlen andere drauf!
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Autoren-Porträt von Andreas Straub
Andreas Straub, Jahrgang 1984, absolvierte nach dem Abitur ein Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre und war von 2007 bis 2011 zunächst als Trainee, später als Bereichsleiter bei Aldi Süd angestellt. Derzeit betreibt er als Gründer und Geschäftsführer das Modelabel GreySolid (www.greysolid.com) und ist als freier Autor (www.andreasstraub.com) tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andreas Straub
- 2012, 6. Aufl., 333 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499629593
- ISBN-13: 9783499629594
- Erscheinungsdatum: 30.04.2012
Rezension zu „ALDI - Einfach billig “
"Ein mutiges und aufrüttelndes Buch, das nach sofortigen Veränderungen verlangt." (Günter Wallraff)
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