Angeklagt
Zehn spektakuläre Fälle - als Richter am Schwurgericht
Warum hat der unbescholtene Familienvater seinen Untermieter erschlagen? Wieso hat der verliebte Mann seine hochschwangere Frau erstochen?
Als Richter an einem Schwurgericht hat Robert Glinski es in der Regel mit besonders schwierigen...
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Produktinformationen zu „Angeklagt “
Warum hat der unbescholtene Familienvater seinen Untermieter erschlagen? Wieso hat der verliebte Mann seine hochschwangere Frau erstochen?
Als Richter an einem Schwurgericht hat Robert Glinski es in der Regel mit besonders schwierigen Krininalfällen zu tun.
Spannende Einblicke in die heikle Urteilsfindung der Justiz.
Klappentext zu „Angeklagt “
Warum hat der unbescholtene Familienvater seinen Untermieter erschlagen? Ist die junge Frau wirklich vergewaltigt worden, oder hat sie etwas zu verbergen? Wieso hat der verliebte Mann seine hochschwangere Freundin erstochen? In zehn von ihm verhandelten Fällen beschreibt der Richter Robert Glinski Motive und Umstände, die gewöhnliche Menschen zu Schwerverbrechern machen. Ein spannender Einblick in die Urteilsfindung der Justiz.Lese-Probe zu „Angeklagt “
Angeklagt von Robert GlinskiEin Fahrrad für Peggy
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Der folgende Fall ist leider alles andere als ein Einzelfall - wieder einmal wurde eine ältere Frau Opfer eines Mordes. Dieses Opferprofil taucht kriminologisch betrachtet zu häufig auf, als dass man es bloßem Zufall zuschreiben könnte. Alte Menschen, vor allem alleinstehende Frauen, sind »beliebte« Opfer aller möglichen Arten von Kriminalität, weil die Täter von ihnen ein geringeres Maß an Gegenwehr erwarten.
Im Oktober 2008 wurde die dreiundsiebzigjährige Rentnerin Else Lührs von ihrer Tochter tot im Schlafzimmer ihres Hauses aufgefunden. Die rüstige und lebensfrohe Frau hatte als einzige Mieterin in einem einsam gelegenen Ensemble von fünfgeschossigen Plattenbauten in der Nähe von Schönebeck gewohnt; ihre Wohnung lag im ersten Stock. Früher hatten hier die Arbeiter eines nahe gelegenen Volkseigenen Betriebs gelebt, seit Mitte der neunziger Jahre standen die übrigen Wohnungen leer.
An der Art, wie Else Lührs dalag, erkannte die Tochter sofort, dass ihre Mutter keines natürlichen Todes gestorben sein konnte, und rief die Polizei. Der Verdacht der Tochter bestätigte sich schnell. Die Spurensicherung des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt stellte fest, dass die Wohnungstür aufgebrochen worden war. Zudem wirkte die Wohnung durchsucht: Sämtliche Schranktüren standen offen, jemand hatte offenbar wahllos Gegenstände herausgenommen und in den Schränken auf dem dort reichlich vorhandenen Staub frische Griffspuren hinterlassen. Das größte Durcheinander herrschte in der Küche, wo mehrere Gegenstände und sogar Möbel herumlagen. Schon das allein legte den Verdacht nahe, dass es in der Küche zum Kampfgeschehen zwischen Else Lührs und dem Täter gekommen war. Neben einem umgekippten Stuhl entdeckten die Polizeibeamten aber auch Kotspuren auf den Bodenfliesen. Die Kotanhaftungen fanden sich an mehreren Stellen und waren jeweils in eine Richtung verschmiert - zum angrenzenden Schlafzimmer hin. Dies alles sprach dafür, dass Else Lührs nicht im Schlafzimmer, sondern in der Wohnküche getötet und danach an den Beinen an ihren späteren Auffindeort geschleift worden war. Dazu passte auch der Anblick der Toten. Ihr Nachthemd war so weit hochgerutscht, dass es ihren Genitalbereich entblößte, und der Stoff wies ebenso wie mehrere Körperstellen der Toten Kotflecken auf. Neben diesen Spuren an Tatort und Opfer, die uns in der späteren Hauptverhandlung die Rekonstruktion des Tatablaufs ermöglichten, machten die Beamten von der Spurensicherung noch eine ungewöhnliche Entdeckung: An der Scheide der Getöteten klebten Reste von Walnussschalen. War dies ein Indiz dafür, dass wir es mit einem Sexualmörder zu tun hatten? Dieser Umstand schien darauf hinzudeuten, nicht aber der oben beschriebene Zustand der Wohnung, der eher einen Raubmord als Motiv des Täters vermuten ließ.
Wie bei Tötungsdelikten üblich, erschien am Tatort nahezu zeitgleich mit der Polizei auch eine Rechtsmedizinerin von der Universität, mit der wir in der Vergangenheit schon in einer Vielzahl ähnlicher Fälle zusammengearbeitet hatten. Für die Aufklärung von Tötungsdelikten ist es ungemein wichtig, dass diese spezialisierten Ärzte die Leiche am Tatort so schnell wie möglich in Augenschein nehmen, denn nur so können sie die Todeszeit zumindest halbwegs exakt bestimmen. Dies hängt damit zusammen, dass sich die ungefähre Todeszeit zum einen an charakteristischen Merkmalen der Leiche, wie etwa Totenflecken und Ausbildung der Totenstarre, zum anderen an deren Auskühlung ablesen lässt. Der lebende Mensch hat eine Körpertemperatur von etwa 37 Grad. Sobald er gestorben ist, kühlt sein Körper in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur und der Bekleidung relativ gleichmäßig ab. Das heißt, dass man von diesen beiden Werten auf den Zeitpunkt zurückrechnen kann, bis zu dem das Opfer noch gelebt hat. Da aber die Umgebungstemperatur Schwankungen ausgesetzt ist, sei es durch geöffnete Fenster oder die Anwesenheit eines mehrköpfigen Ermittlerteams, gerät die Bestimmung des Todeszeitpunktes immer mehr ins Spekulative, je später die für die Berechnung notwendigen Daten erhoben werden können.
Die für unseren Fall viel entscheidenderen Erkenntnisse gewann die Rechtsmedizinerin aber erst durch eine gründliche Leichenschau und die anschließende Obduktion des Opfers. Ihre Ergebnisse, die sie uns später auch in der Hauptverhandlung vortrug, bestätigten die bereits bei der ersten Tatortanalyse gemachten Hypothesen zum Tatablauf. Durch die Obduktion ließen sich Unterblutungen in der Haut des Halses sowie in der Halsmuskulatur und Brüche am Kehlkopfgerüst feststellen. Das hieß, der Tod war durch Kompression der Halsweichteile eingetreten. Der Täter hatte Else Lührs erwürgt. Das Verletzungsbild wies darauf hin, dass er ihr einen Arm oder ein Bein an die Kehle gelegt und dann zugedrückt hatte. Auch das von den Kriminalbeamten vermutete Kampfgeschehen wurde rechtsmedizinisch bestätigt, da die Leichenschau neben den unmittelbar todesursächlichen Verletzungen weitere Verletzungen zutage gefördert hatte, die auf ein derartiges Kampfgeschehen schließen ließen. Unterblutungen an der Wange, der Unterlippe, am Rücken, an den Armen und Beinen sowie an beiden Gesäßhälften waren nach Einschätzung der Expertin auf die Anwendung sogenannter stumpfer Gewalt (wie zum Beispiel nach Sturz oder Schlägen mit einer Faust oder einem - stumpfen - Gegenstand) zurückzuführen. Und auch das Mysterium der Walnussschalen konnte die Rechtsmedizinerin lichten. In der Scheide der Toten hatte sie zwei ganze Walnüsse gefunden, Teile der Schale waren sogar in die Harnblase geraten.
Die Rechtsmedizinerin hielt es für ausgeschlossen, dass sich Else Lührs die Walnüsse selbst eingeführt haben könnte, das Einführen solcher Fremdkörper in die Harnröhre sei viel zu schmerzhaft. Nach der Obduktion stand also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit fest, dass der Täter Else Lührs auch geschändet hatte.
Aber wer war der Täter? Die Spuren am Tatort sagten zwar einiges über das Tatgeschehen aus, lieferten der Polizei aber keinen Verdächtigen.
Wir Richter sind in polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungshandlungen nur selten involviert, und zwar nur dann, wenn im Rahmen dieser Ermittlungen erhebliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Beschuldigten erfolgen sollen. Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen, bestimmte körperliche Untersuchungen und vor allem eine Verwahrung in Untersuchungshaft setzen stets eine richterliche Entscheidung voraus. Im Übrigen ist die Staatsanwaltschaft, wie man sagt, die Herrin des Ermittlungsverfahrens. Sie ist es, die sich der Polizei als »Erfüllungsgehilfin« bedient. Während der Tätersuche sind Gerichte also noch nicht beteiligt, deshalb erfahren wir den Ermittlungsgang erst im Nachhinein durch die Verfahrensakte.
Die Polizisten begannen naheliegenderweise damit, die engsten Angehörigen der Verstorbenen zu vernehmen. Auch wir haben sie alle später in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen. Von ihnen erfuhren wir, dass Else Lührs eine ungemein vorsichtige Person gewesen war, die sowohl die Haustür als auch ihre Wohnungstür stets verschlossen hielt. Offenbar ging sie bei ihrer abgelegenen Wohnlage selbst davon aus, dass sie sich vor ungebetenem Besuch so gut wie möglich schützen musste. Gleichzeitig erzählte ihre Tochter aber auch, dass die alte Frau eine Geldkassette in ihrer Wohnung aufbewahrte, weil sie über das Jahr das Geld ansparte, von dem sie zu Weihnachten ihre Familie großzügig beschenkte. In der Geldkassette sammelten sich zum Jahresende hin immer einige hundert Euro. Bei der Tatortuntersuchung der Polizei war die Kassette leer gewesen. Das legte den Schluss nahe, dass der Täter das Bargeld an sich genommen hatte.
Den entscheidenden Hinweis auf den möglichen Täter lieferte allerdings die jüngere Schwester des Opfers. Else habe sie am Vortag ihres Todes angerufen und ihr ziemlich aufgeregt geschildert, wie sich kurz vorher ein Mann zusammen mit seiner Frau eine der leerstehenden Wohnungen in ihrem Haus angesehen hatte. Die beiden hatten bei Else geklingelt, um sich von ihr einen Zollstock auszuleihen. Else habe den Mann sehr unsympathisch gefunden und daher gehofft, dass er nicht tatsächlich in das Haus einzieht.
Die Polizisten hatten einen ersten Ermittlungsansatz. Da das gesamte Anwesen kommunales Eigentum war, kontaktierten sie die zuständige Mitarbeiterin der Gemeinde und erfuhren von ihr, dass sich ein gewisser Maik Kolze für eine der Wohnungen interessiert und sie ihm für eine selbständige Besichtigung Haus- und Wohnungsschlüssel überlassen hatte.
Bei seiner ersten Befragung gab Maik Kolze an, dass er zwar die Wohnung zusammen mit seiner Frau besichtigt und dabei auch Else Lührs getroffen habe, danach sei er aber sofort nach Hause gefahren und habe das Haus nicht mehr verlassen. Was er in diesem Moment nicht wusste: Die Polizeibeamten hatten routinemäßig an allen in einem bestimmten Radius gelegenen Tankstellen nach besonderen Vorkommnissen gefragt und sich dabei auch gezielt erkundigt, ob ein Mann namens Maik Kolze in der Nacht dort gewesen war. Und tatsächlich: Der Mitarbeiter einer Tankstelle konnte sich noch gut erinnern, dass Maik Kolze mitten in der Nacht mit dem Fahrrad an der Tankstelle erschienen war, eine Flasche Whiskey und Zigaretten gekauft und anschließend ein Taxi bestellt hatte.
Der Mann kannte den Hartz-IV-Bezieher von zahlreichen Besuchen und hatte sich entsprechend darüber gewundert, als Kolze mit einem 100-Euro-Schein bezahlte und für das Taxi gleich mit einem weiteren 100-Euro-Schein »herumwedelte«. Außerdem, so der Tankwart, hatten in dem Fahrradkorb ein Bierfass und eine Großpackung Chlorbleiche gelegen. Maik Kolze erklärte ihm von sich aus, er hätte bei einem Preisausschreiben einen hohen Geldbetrag gewonnen. Beim Warten auf das Taxi leerte Kolze fast die komplette Whiskeyflasche und übergab sich hinter der Tankstelle. Nachdem die Polizei den Taxifahrer ausfindig gemacht hatte, passten dessen Angaben - auch die zur ungefähren Uhrzeit - ohne Einschränkung in die Geschichte des Tankstellenmitarbeiters.
Der folgende Fall ist leider alles andere als ein Einzelfall - wieder einmal wurde eine ältere Frau Opfer eines Mordes. Dieses Opferprofil taucht kriminologisch betrachtet zu häufig auf, als dass man es bloßem Zufall zuschreiben könnte. Alte Menschen, vor allem alleinstehende Frauen, sind »beliebte« Opfer aller möglichen Arten von Kriminalität, weil die Täter von ihnen ein geringeres Maß an Gegenwehr erwarten.
Im Oktober 2008 wurde die dreiundsiebzigjährige Rentnerin Else Lührs von ihrer Tochter tot im Schlafzimmer ihres Hauses aufgefunden. Die rüstige und lebensfrohe Frau hatte als einzige Mieterin in einem einsam gelegenen Ensemble von fünfgeschossigen Plattenbauten in der Nähe von Schönebeck gewohnt; ihre Wohnung lag im ersten Stock. Früher hatten hier die Arbeiter eines nahe gelegenen Volkseigenen Betriebs gelebt, seit Mitte der neunziger Jahre standen die übrigen Wohnungen leer.
An der Art, wie Else Lührs dalag, erkannte die Tochter sofort, dass ihre Mutter keines natürlichen Todes gestorben sein konnte, und rief die Polizei. Der Verdacht der Tochter bestätigte sich schnell. Die Spurensicherung des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt stellte fest, dass die Wohnungstür aufgebrochen worden war. Zudem wirkte die Wohnung durchsucht: Sämtliche Schranktüren standen offen, jemand hatte offenbar wahllos Gegenstände herausgenommen und in den Schränken auf dem dort reichlich vorhandenen Staub frische Griffspuren hinterlassen. Das größte Durcheinander herrschte in der Küche, wo mehrere Gegenstände und sogar Möbel herumlagen. Schon das allein legte den Verdacht nahe, dass es in der Küche zum Kampfgeschehen zwischen Else Lührs und dem Täter gekommen war. Neben einem umgekippten Stuhl entdeckten die Polizeibeamten aber auch Kotspuren auf den Bodenfliesen. Die Kotanhaftungen fanden sich an mehreren Stellen und waren jeweils in eine Richtung verschmiert - zum angrenzenden Schlafzimmer hin. Dies alles sprach dafür, dass Else Lührs nicht im Schlafzimmer, sondern in der Wohnküche getötet und danach an den Beinen an ihren späteren Auffindeort geschleift worden war. Dazu passte auch der Anblick der Toten. Ihr Nachthemd war so weit hochgerutscht, dass es ihren Genitalbereich entblößte, und der Stoff wies ebenso wie mehrere Körperstellen der Toten Kotflecken auf. Neben diesen Spuren an Tatort und Opfer, die uns in der späteren Hauptverhandlung die Rekonstruktion des Tatablaufs ermöglichten, machten die Beamten von der Spurensicherung noch eine ungewöhnliche Entdeckung: An der Scheide der Getöteten klebten Reste von Walnussschalen. War dies ein Indiz dafür, dass wir es mit einem Sexualmörder zu tun hatten? Dieser Umstand schien darauf hinzudeuten, nicht aber der oben beschriebene Zustand der Wohnung, der eher einen Raubmord als Motiv des Täters vermuten ließ.
Wie bei Tötungsdelikten üblich, erschien am Tatort nahezu zeitgleich mit der Polizei auch eine Rechtsmedizinerin von der Universität, mit der wir in der Vergangenheit schon in einer Vielzahl ähnlicher Fälle zusammengearbeitet hatten. Für die Aufklärung von Tötungsdelikten ist es ungemein wichtig, dass diese spezialisierten Ärzte die Leiche am Tatort so schnell wie möglich in Augenschein nehmen, denn nur so können sie die Todeszeit zumindest halbwegs exakt bestimmen. Dies hängt damit zusammen, dass sich die ungefähre Todeszeit zum einen an charakteristischen Merkmalen der Leiche, wie etwa Totenflecken und Ausbildung der Totenstarre, zum anderen an deren Auskühlung ablesen lässt. Der lebende Mensch hat eine Körpertemperatur von etwa 37 Grad. Sobald er gestorben ist, kühlt sein Körper in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur und der Bekleidung relativ gleichmäßig ab. Das heißt, dass man von diesen beiden Werten auf den Zeitpunkt zurückrechnen kann, bis zu dem das Opfer noch gelebt hat. Da aber die Umgebungstemperatur Schwankungen ausgesetzt ist, sei es durch geöffnete Fenster oder die Anwesenheit eines mehrköpfigen Ermittlerteams, gerät die Bestimmung des Todeszeitpunktes immer mehr ins Spekulative, je später die für die Berechnung notwendigen Daten erhoben werden können.
Die für unseren Fall viel entscheidenderen Erkenntnisse gewann die Rechtsmedizinerin aber erst durch eine gründliche Leichenschau und die anschließende Obduktion des Opfers. Ihre Ergebnisse, die sie uns später auch in der Hauptverhandlung vortrug, bestätigten die bereits bei der ersten Tatortanalyse gemachten Hypothesen zum Tatablauf. Durch die Obduktion ließen sich Unterblutungen in der Haut des Halses sowie in der Halsmuskulatur und Brüche am Kehlkopfgerüst feststellen. Das hieß, der Tod war durch Kompression der Halsweichteile eingetreten. Der Täter hatte Else Lührs erwürgt. Das Verletzungsbild wies darauf hin, dass er ihr einen Arm oder ein Bein an die Kehle gelegt und dann zugedrückt hatte. Auch das von den Kriminalbeamten vermutete Kampfgeschehen wurde rechtsmedizinisch bestätigt, da die Leichenschau neben den unmittelbar todesursächlichen Verletzungen weitere Verletzungen zutage gefördert hatte, die auf ein derartiges Kampfgeschehen schließen ließen. Unterblutungen an der Wange, der Unterlippe, am Rücken, an den Armen und Beinen sowie an beiden Gesäßhälften waren nach Einschätzung der Expertin auf die Anwendung sogenannter stumpfer Gewalt (wie zum Beispiel nach Sturz oder Schlägen mit einer Faust oder einem - stumpfen - Gegenstand) zurückzuführen. Und auch das Mysterium der Walnussschalen konnte die Rechtsmedizinerin lichten. In der Scheide der Toten hatte sie zwei ganze Walnüsse gefunden, Teile der Schale waren sogar in die Harnblase geraten.
Die Rechtsmedizinerin hielt es für ausgeschlossen, dass sich Else Lührs die Walnüsse selbst eingeführt haben könnte, das Einführen solcher Fremdkörper in die Harnröhre sei viel zu schmerzhaft. Nach der Obduktion stand also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit fest, dass der Täter Else Lührs auch geschändet hatte.
Aber wer war der Täter? Die Spuren am Tatort sagten zwar einiges über das Tatgeschehen aus, lieferten der Polizei aber keinen Verdächtigen.
Wir Richter sind in polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungshandlungen nur selten involviert, und zwar nur dann, wenn im Rahmen dieser Ermittlungen erhebliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Beschuldigten erfolgen sollen. Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen, bestimmte körperliche Untersuchungen und vor allem eine Verwahrung in Untersuchungshaft setzen stets eine richterliche Entscheidung voraus. Im Übrigen ist die Staatsanwaltschaft, wie man sagt, die Herrin des Ermittlungsverfahrens. Sie ist es, die sich der Polizei als »Erfüllungsgehilfin« bedient. Während der Tätersuche sind Gerichte also noch nicht beteiligt, deshalb erfahren wir den Ermittlungsgang erst im Nachhinein durch die Verfahrensakte.
Die Polizisten begannen naheliegenderweise damit, die engsten Angehörigen der Verstorbenen zu vernehmen. Auch wir haben sie alle später in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen. Von ihnen erfuhren wir, dass Else Lührs eine ungemein vorsichtige Person gewesen war, die sowohl die Haustür als auch ihre Wohnungstür stets verschlossen hielt. Offenbar ging sie bei ihrer abgelegenen Wohnlage selbst davon aus, dass sie sich vor ungebetenem Besuch so gut wie möglich schützen musste. Gleichzeitig erzählte ihre Tochter aber auch, dass die alte Frau eine Geldkassette in ihrer Wohnung aufbewahrte, weil sie über das Jahr das Geld ansparte, von dem sie zu Weihnachten ihre Familie großzügig beschenkte. In der Geldkassette sammelten sich zum Jahresende hin immer einige hundert Euro. Bei der Tatortuntersuchung der Polizei war die Kassette leer gewesen. Das legte den Schluss nahe, dass der Täter das Bargeld an sich genommen hatte.
Den entscheidenden Hinweis auf den möglichen Täter lieferte allerdings die jüngere Schwester des Opfers. Else habe sie am Vortag ihres Todes angerufen und ihr ziemlich aufgeregt geschildert, wie sich kurz vorher ein Mann zusammen mit seiner Frau eine der leerstehenden Wohnungen in ihrem Haus angesehen hatte. Die beiden hatten bei Else geklingelt, um sich von ihr einen Zollstock auszuleihen. Else habe den Mann sehr unsympathisch gefunden und daher gehofft, dass er nicht tatsächlich in das Haus einzieht.
Die Polizisten hatten einen ersten Ermittlungsansatz. Da das gesamte Anwesen kommunales Eigentum war, kontaktierten sie die zuständige Mitarbeiterin der Gemeinde und erfuhren von ihr, dass sich ein gewisser Maik Kolze für eine der Wohnungen interessiert und sie ihm für eine selbständige Besichtigung Haus- und Wohnungsschlüssel überlassen hatte.
Bei seiner ersten Befragung gab Maik Kolze an, dass er zwar die Wohnung zusammen mit seiner Frau besichtigt und dabei auch Else Lührs getroffen habe, danach sei er aber sofort nach Hause gefahren und habe das Haus nicht mehr verlassen. Was er in diesem Moment nicht wusste: Die Polizeibeamten hatten routinemäßig an allen in einem bestimmten Radius gelegenen Tankstellen nach besonderen Vorkommnissen gefragt und sich dabei auch gezielt erkundigt, ob ein Mann namens Maik Kolze in der Nacht dort gewesen war. Und tatsächlich: Der Mitarbeiter einer Tankstelle konnte sich noch gut erinnern, dass Maik Kolze mitten in der Nacht mit dem Fahrrad an der Tankstelle erschienen war, eine Flasche Whiskey und Zigaretten gekauft und anschließend ein Taxi bestellt hatte.
Der Mann kannte den Hartz-IV-Bezieher von zahlreichen Besuchen und hatte sich entsprechend darüber gewundert, als Kolze mit einem 100-Euro-Schein bezahlte und für das Taxi gleich mit einem weiteren 100-Euro-Schein »herumwedelte«. Außerdem, so der Tankwart, hatten in dem Fahrradkorb ein Bierfass und eine Großpackung Chlorbleiche gelegen. Maik Kolze erklärte ihm von sich aus, er hätte bei einem Preisausschreiben einen hohen Geldbetrag gewonnen. Beim Warten auf das Taxi leerte Kolze fast die komplette Whiskeyflasche und übergab sich hinter der Tankstelle. Nachdem die Polizei den Taxifahrer ausfindig gemacht hatte, passten dessen Angaben - auch die zur ungefähren Uhrzeit - ohne Einschränkung in die Geschichte des Tankstellenmitarbeiters.
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Autoren-Porträt von Robert Glinski
Robert Glinski, 38 Jahre alt, ist seit über zehn Jahren Richter in Sachsen-Anhalt und Mitglied der Strafkammer für Schwurgerichtssachen am Landgericht Magdeburg. Seit er dort Kapitalverbrechen verhandelt, hat sich seine Sicht auf die Täter verändert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Robert Glinski
- 2011, 1. Auflage, 256 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548374174
- ISBN-13: 9783548374178
- Erscheinungsdatum: 14.09.2011
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