Anstiftung zum Innehalten
Innehalten das ist oft leichter gesagt als getan. Wie oft nehmen wir uns vor, bestimmte Dinge nicht mehr so wichtig zu nehmen. Wie oft "verpatzen" wir kostbare Augenblicke, weil wir immer irgendetwas nachjagen. Alfred Komarek plädiert für eine...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Anstiftung zum Innehalten “
Innehalten das ist oft leichter gesagt als getan. Wie oft nehmen wir uns vor, bestimmte Dinge nicht mehr so wichtig zu nehmen. Wie oft "verpatzen" wir kostbare Augenblicke, weil wir immer irgendetwas nachjagen. Alfred Komarek plädiert für eine erfüllte Muße als edelste Form der Bewegung, für den Mut, nichts zu tun und viel geschehen zu lassen.
Klappentext zu „Anstiftung zum Innehalten “
So einfach ist das nicht, mit dem Innehalten. Jene, die viel Zeit dafür hätten, wollen nicht, und jene, die wollen, finden keine Zeit dafür, oder nur selten. Zu Letzteren gehört öfter als ihm lieb ist der Autor, der sein neuestes Buch daher auch als Streitschrift gegen sich selbst sieht. Seine Leserinnen und Leser erwartet keine betuliche Anweisung, sondern eine Anstiftung, ein vergnügt und boshaft geschnürtes Bündel aus Themen und Geschichten, die Lust darauf machen, nicht allzu wichtig zu nehmen, was sich wichtig macht in unserem Leben, dem Irrglauben abzuschwören, dass alles jederzeit sofort zu geschehen hat. Komarek fordert aber auch noch spitzzüngig und zuweilen satirisch andere Spielarten des Innehaltens ein: den bedachtsamen Umgang miteinander, mit der Sprache, und, und
Lese-Probe zu „Anstiftung zum Innehalten “
Anstiftung zum Innehalten von Alfred KomarekIch war mit dreißig relativ jung und ziemlich alt. Mit fünfundsechzig bin ich, subjektiv betrachtet, relativ alt und ziemlich jung. Meine frühen Radio-Geschichten mag ich noch heute und einige der neueren Texte wären mir auch schon damals nicht fremd gewesen. Mein berufliches und persönliches Selbstverständnis hat sich also nicht wesentlich geändert, das Bild im Spiegel natürlich schon. Dennoch darf ich mit dem – laut Lexikon – „letzten Lebensabschnitt vor dem hohen Greisenalter“ zufrieden sein. Dazu war allerdings viel Ausdauer und jede Menge Glück vonnöten. Die Existenz eines freiberuflichen Schriftstellers ist der eines Seiltänzers ohne Netz verdammt ähnlich, und zuweilen fehlt auch noch das Seil. Andererseits: Manager werden müde und schäbig, Autoren werden würdig und schmücken sich mit Patina. Die Lebensmitte hingegen ist für unsereinen viel problematischer als das Alter: An einer der vielen verbalen Angeln, die in den vergangenen Jahrzehnten von mir ins Wasser getaucht wurden, zupft ja doch immer wieder ein nahrhafter oder auch ehrender Fang. Ich kenne viele, die mit vierzig in schönen Chefbüros die schöne Aussicht über die Stadt und auf ihre berufliche Zukunft genossen haben und sich heute, frühzeitig pensioniert oder gar arbeitslos, der Bewältigung ihrer Freizeit widmen müssen. Mit vierzig lief ich, nach langen Beisl- Abenden riechend, jedem, aber auch wirklich jedem Auftrag hinterher, belächelt von den erfolgreich Etablierten. Heute bedränge ich sie lustvoll insistierend mit der Lektüre meiner Bücher. Kein Grund für billigen Triumph: Es war eben gerade noch rechtzeitig das Glück zur Stelle gewesen, und es hätte auch ganz anders kommen können, erbärmlich anders. Dann zählte ich heute,
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vorausgesetzt ich lebte noch, zu jenen Alten, die verspielt haben und denen kaum noch Kraft bleibt, das Blatt zu wenden, es sei denn, jemand käme, um dabei zu helfen. Reichtum an Erfahrungen kann erdrückend schwer sein. Doch es genügt auch schon, nach einem er - eignisarmen Leben in einen ereignislosen Ruhestand gestoßen zu werden, wunschlos, ohne Neugierde und Fantasie, bar jeder Perspektive. Nicht wirklich zu bedauern, doch im Grunde genommen auch recht ärmlich, leben jene Alten, die mit ihrem Alter nicht zurecht kommen. Sie sorgen in Discos für rührende Pointen, machen es Verkäuferinnen in Herrenmode-Boutiquen schwer, bei der Anprobe ernst zu bleiben, und verstecken vor ihren im Sinne des Wortes atemberaubend jungen Frauen die Prostata-Tabletten. Ihr weibliches Gegenstück, wenn nicht geliftet, dann zugespachtelt, gewährt Einblicke, die keiner sehen will, und liest Kontaktanzeigen im Falter.
Alle anderen, die das rettende Ufer eines weitgehend sorgenfreien, lebenswerten und selbstbewussten Alters erreichen durften, haben es gut, machen es sich mehr oder weniger einfallsreich bequem oder brechen sogar zu neuen Ufern auf. Doch sie tun es nahezu unbemerkt, wenn sie nicht gerade Künstler, Seitenblicke-Hauptdarsteller oder Multimillionäre sind – beiderlei Geschlechts, versteht sich.
Fünfzig plus taugt allenfalls zum Thema von Lebenshilfe-Büchern. Darin lesen dann jene, die es ohnehin wissen, dass sie finanzstark, konsumfreudig und qualitätsbewusst sind, wenn nicht gar dem Luxus hold. Sie sind bereit, in Lebensfreude zu investieren, wagen viel für neue Erfahrungen, haben Sex, revolutionäre Gedanken, unverschämte Träume und denken nicht daran, sich für die Lust an diesem und jenem zu genieren. Das lesen sie also, die grauen Wölfinnen und Wölfe, nicken zustimmend, doch kaum jemand liest mit.
Wir schwimmen nicht im Mainstream, die Primetime ist nicht unsere Zeit. Jene, für die das Ende näher ist als der Anfang, stehen, sitzen, liegen, bewegen sich am Rande. So wie das Ausgedinge in bäuerlichen Familien zusehends an Bedeutung verliert, gewinnt es in der übrigen Gesellschaft unter anderen Bezeichnungen an Gewicht. Der bis hin zur Infantilität und solange es nur irgendwie geht jugendlichen Spaßgesellschaft werden betuliche Grüppchen hinzugefügt, in denen die herzigen Oldies dann auf Reisen gehen oder Veranstaltungen aller Art, meist belehrender oder erhebender Natur, besuchen, jeweils fein unter ihresgleichen. Zum Lohn dürfen sie Seniorenrabatte entgegennehmen oder auch einmal Einzelzimmer ohne Strafgebühr bewohnen. Hauptsache ist, dass die nicht mehr ganz so Jungen in den ihnen zugewiesenen Reservaten bleiben. Diese zwangsweise Unterbringung in der weder gewünschten noch benötigten Gruppe findet ihr Gegenstück übrigens in der unauffälligen Verwahrung von Kleinkindern, die ja doch nur beim Shoppen oder Skaten stören würden, beim Meeting, beim Date – eigentlich immer und überall.
Alten auch durchaus attraktive Produkte angeboten: raubtierförmige Autos als Ersatz für die schwindende Libido oder weihevolle Edelkarossen, auf halbem Wege zwischen rollendem Salon und mobilem Luxussarg. Je hinfälliger der Leib ist, desto feiner sind die Stoffe, die ihn umhüllen, je mehr der Körper dem jugendlichen Ebenmaß entwächst, desto aufwändiger wird geschneidert. Der Verdacht lässt sich nicht ganz beiseite schieben, dass derlei Produkte zwar begehrenswert sind, aber doch auch eine gute Portion Zynismus transportieren. Nicht Wünsche werden befriedigt, sondern die Kompensation von echten oder behaupteten Mängeln lockt zum Griff in die Geldtasche.
Natürlich nimmt sich auch die Unterhaltungsindustrie des Themas an und meist sind es Sänger und Sängerinnen, die den längst überschrittenen eigenen Zenit tapfer verdrängen und von ausgeflippten Alten singen oder von Großmüttern, die sich fetzige Jünglinge unter den brüchigen Nagel reißen. Ich kenne, ein paar Chansons ausgenommen, nur ein Beispiel aus der Popmusik, das sich ernsthaft und formal anspruchsvoll mit dem Themen Alter, Zu - wendung und Liebe auseinandersetzt: „When I’m sixty four“. Inzwischen gehören auch die Herren McCartney und Ringo Starr zu den Alten, John Lennon und George Harrison weilen bei den Vätern.
Am besten sind die Grauköpfe im Film vertreten. Aber auch dort tun sie gut daran, etwas Besonderes zu sein: einsam und verbittert, einsam und rache - durstig, einsam und schrullig, einsam und genial, einsam und weise – in idealer Kombination mit abgeklärt – oder zweisam und skurril.
Ein Anrecht auf selbstbestimmtes Leben individueller Prägung, das auch noch respektvolle Beachtung findet, haben jenseits der Fünfzig meist nur Prominente oder Außenseiter. Die Übrigen werden einfach älter und somit weniger wichtig und weniger interessant. Andererseits wird das Alter schöngelogen, dass sich die Balken biegen. Was ein angeblich so kostbarer Schatz an Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten wert ist, erkennen Fachkräfte aller Art, wenn sie trotz lebenslangen Lernens plötzlich freigestellt sind. Elder Statesmen jeglicher Couleur werden nicht zu allseits geachteten oder geehrten Ratgebern, sondern erlangen bestenfalls präsidialen und damit fast ausschließlich repräsentativen Ruhm oder dürfen sich milde belächelt im parteilichen Vereinsleben ein ganz klein wenig wichtig machen. Bedeutend sind sie dann wieder an runden Geburtstagen und in den Grabreden. Groß - mütter und Großväter, geschweige denn Schwieger - eltern, sind keineswegs dazu berufen, mit verhaltener Gebärde und Lebensweisheit in homöopathischen Dosen am Geschick ihrer Familie teilzuhaben. Nur der vorübergehende Nutzen als Haushaltshilfe und Kinderbewahrer macht sie für eine Weile mäßig attraktiv. Auch der Genuss des angeblich wohlverdienten Ruhestandes erweist sich häufig als zunehmend mühsamer Kampf gegen die Langeweile, der bald in Resignation und Lethargie mündet. Süßes Nichtstun nach saurer Arbeit funktioniert einfach nicht, weil das Arbeitsleben auch viele schöne und spannende Aspekte hat und das Nichtstun auch viele frustrierende, sinnlose. Den Alterslügen stehen nicht wenige Alterswahrheiten gegenüber. Besonders unangenehm: Nicht nur der Körper ist abgenutzt, auch der Intellekt. Im günstigsten Fall kann es gelingen, diesen Mangel durchemsige Übung, vor allem aber durch den zunehmend geschickteren und auch listenreicheren Umgang mit schwindenden geistigen Rohstoffen einigermaßen wettzumachen.
Und dann gibt es diesen feinen Schleier, der sich schon in mittleren Jahren über jegliches Empfinden legt, erst, um unerträglichen Schmerz oder verzehrendes Glück vorsichtig zu mildern, dann, dichter geworden, um emotionalen Überschwang in Vernunft zu verwandeln. Später wird der Schleier zu einer Trennwand aus Milchglas, hinter der sich nur noch erahnen lässt, was uns niederschmettern, aufwühlen, mitreißen oder umwerfen könnte. Natürlich lässt sich diese Wand durchbrechen, aber die Scherben sind gefährlich scharf und ob die vielen nunmehr befreiten Engel und Teufel zu ertragen sein werden, ist schwer zu sagen.
Ich wage auch zu behaupten, dass es sehr wenige glückliche alte Paare gibt. Viele geduldige, duldsame, die es gelernt haben, miteinander umzugehen, das ja. Aber zärtliche, neugierige Paare, immer noch hungrig nach Glück und neuen Erfahrungen? Alter reduziert Leben, Innenleben wie Außenleben. Alter macht nicht weise und tolerant, sondern eigensinnig, streitbar, starrsinnig, besserwisserisch. Schlechte Eigenschaften bekommen im Alter schärfere Konturen. Gute Eigenschaften verkommen zur Attitüde. Klar, dass es eindrucksvolle Ausnahmen gibt. Sie fallen auf, weil sie so selten sind. Helmut A. Gansterer, auch so ein Alter, schreibt in seinem bemerkenswerten Buch Das Lernen. Der Geist. Die Siege. einen tröstlichen Satz: „Anspruchsvoll und schöpferisch zu leben ist vielleicht das einzige Mittel, mit dem Phänomen ZEIT zu Rande zu kommen. Die Chinesen glauben gar, man könne damit die Todesfurcht besiegen.“ Anschließend zitiert er Anselm Feuerbach: „Jetzt, mit 70 Jahren, begreife ich, dass nur die schöpferischen Momente wirklich zählten. Alles Andere war Beiwerk.“
Das bringt mich auf die Freude an meinem kreativen Beruf, trotz aller Schinderei, trotz der immer währenden Angst zu versagen und steter Zweifel am Wert des Geschriebenen. Ich habe die beneidenswerte Möglichkeit, mein Leben aus mir heraus zu gestalten und damit auch noch mein Auskommen zu finden.
Unter den vielen Glücksfällen, die mein Unglück stets ein wenig überwogen, war die Bekanntschaft, ja vorsichtige Freundschaft mit dem schon respektvoll erwähnten Hans Weigel. Eines Herbsttages stand er in Maria Enzersdorf vor mir, blinzelte durch zwei übereinander geschobene Brillen und sprach: „Die Gläser sind beschlagen. Ich kann Sie nicht gut sehen. Aber noch hässlicher als ich können Sie nicht sein.“ Zwei Jahre später trat ich dann, wie oft zuvor, in sein Arbeitszimmer. Er saß an der Schreibmaschine, wendete sich mir zu und sagte den letzten Satz, den ich von ihm hören sollte: „Ich fange eben mein neues Buch an. Fertig wird es nicht mehr werden.“ Was für ein schöner Satz, welch schöner Beruf.
Zugegeben: Die Möglichkeiten, sich mit einem schöpferischen Beruf die Existenz auf Dauer zu sichern, sind rar. Aber die Möglichkeiten, kreativ mit seinem Beruf, mit der Zeit nach dem Beruf, mit sich selbst, mit seinen Mitmenschen umzugehen, sind für alle intakt. Mehr noch: Wenn das zunehmende Alter vieles fortnimmt, entstehen Leerräume, die auch als Freiräume zu begreifen sind, Freiräume für nunmehr ungehinderte, ungehemmte Kreativität, die überdies auch noch vom Diktat der einträglichen Nutzanwendung befreit ist. Es ist denkbar mühsam, die Zeit totzuschlagen, doch es bereitet sehr viel mehr Lust, sie im Augenblick der Schöpfung zu negieren. Solche Augenblicke fallen nicht wie reife Äpfel vom Baum, sie wollen errungen, erträumt, erspielt, erkämpft, gestohlen, ersehnt werden, immer wieder aufs Neue. Das Ergebnis: machtvolle Lust, reiche Lust, zeitlose Lust, neue alte Lust.
© by Styria Regional in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien – Graz – Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten.
Alle anderen, die das rettende Ufer eines weitgehend sorgenfreien, lebenswerten und selbstbewussten Alters erreichen durften, haben es gut, machen es sich mehr oder weniger einfallsreich bequem oder brechen sogar zu neuen Ufern auf. Doch sie tun es nahezu unbemerkt, wenn sie nicht gerade Künstler, Seitenblicke-Hauptdarsteller oder Multimillionäre sind – beiderlei Geschlechts, versteht sich.
Fünfzig plus taugt allenfalls zum Thema von Lebenshilfe-Büchern. Darin lesen dann jene, die es ohnehin wissen, dass sie finanzstark, konsumfreudig und qualitätsbewusst sind, wenn nicht gar dem Luxus hold. Sie sind bereit, in Lebensfreude zu investieren, wagen viel für neue Erfahrungen, haben Sex, revolutionäre Gedanken, unverschämte Träume und denken nicht daran, sich für die Lust an diesem und jenem zu genieren. Das lesen sie also, die grauen Wölfinnen und Wölfe, nicken zustimmend, doch kaum jemand liest mit.
Wir schwimmen nicht im Mainstream, die Primetime ist nicht unsere Zeit. Jene, für die das Ende näher ist als der Anfang, stehen, sitzen, liegen, bewegen sich am Rande. So wie das Ausgedinge in bäuerlichen Familien zusehends an Bedeutung verliert, gewinnt es in der übrigen Gesellschaft unter anderen Bezeichnungen an Gewicht. Der bis hin zur Infantilität und solange es nur irgendwie geht jugendlichen Spaßgesellschaft werden betuliche Grüppchen hinzugefügt, in denen die herzigen Oldies dann auf Reisen gehen oder Veranstaltungen aller Art, meist belehrender oder erhebender Natur, besuchen, jeweils fein unter ihresgleichen. Zum Lohn dürfen sie Seniorenrabatte entgegennehmen oder auch einmal Einzelzimmer ohne Strafgebühr bewohnen. Hauptsache ist, dass die nicht mehr ganz so Jungen in den ihnen zugewiesenen Reservaten bleiben. Diese zwangsweise Unterbringung in der weder gewünschten noch benötigten Gruppe findet ihr Gegenstück übrigens in der unauffälligen Verwahrung von Kleinkindern, die ja doch nur beim Shoppen oder Skaten stören würden, beim Meeting, beim Date – eigentlich immer und überall.
Alten auch durchaus attraktive Produkte angeboten: raubtierförmige Autos als Ersatz für die schwindende Libido oder weihevolle Edelkarossen, auf halbem Wege zwischen rollendem Salon und mobilem Luxussarg. Je hinfälliger der Leib ist, desto feiner sind die Stoffe, die ihn umhüllen, je mehr der Körper dem jugendlichen Ebenmaß entwächst, desto aufwändiger wird geschneidert. Der Verdacht lässt sich nicht ganz beiseite schieben, dass derlei Produkte zwar begehrenswert sind, aber doch auch eine gute Portion Zynismus transportieren. Nicht Wünsche werden befriedigt, sondern die Kompensation von echten oder behaupteten Mängeln lockt zum Griff in die Geldtasche.
Natürlich nimmt sich auch die Unterhaltungsindustrie des Themas an und meist sind es Sänger und Sängerinnen, die den längst überschrittenen eigenen Zenit tapfer verdrängen und von ausgeflippten Alten singen oder von Großmüttern, die sich fetzige Jünglinge unter den brüchigen Nagel reißen. Ich kenne, ein paar Chansons ausgenommen, nur ein Beispiel aus der Popmusik, das sich ernsthaft und formal anspruchsvoll mit dem Themen Alter, Zu - wendung und Liebe auseinandersetzt: „When I’m sixty four“. Inzwischen gehören auch die Herren McCartney und Ringo Starr zu den Alten, John Lennon und George Harrison weilen bei den Vätern.
Am besten sind die Grauköpfe im Film vertreten. Aber auch dort tun sie gut daran, etwas Besonderes zu sein: einsam und verbittert, einsam und rache - durstig, einsam und schrullig, einsam und genial, einsam und weise – in idealer Kombination mit abgeklärt – oder zweisam und skurril.
Ein Anrecht auf selbstbestimmtes Leben individueller Prägung, das auch noch respektvolle Beachtung findet, haben jenseits der Fünfzig meist nur Prominente oder Außenseiter. Die Übrigen werden einfach älter und somit weniger wichtig und weniger interessant. Andererseits wird das Alter schöngelogen, dass sich die Balken biegen. Was ein angeblich so kostbarer Schatz an Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten wert ist, erkennen Fachkräfte aller Art, wenn sie trotz lebenslangen Lernens plötzlich freigestellt sind. Elder Statesmen jeglicher Couleur werden nicht zu allseits geachteten oder geehrten Ratgebern, sondern erlangen bestenfalls präsidialen und damit fast ausschließlich repräsentativen Ruhm oder dürfen sich milde belächelt im parteilichen Vereinsleben ein ganz klein wenig wichtig machen. Bedeutend sind sie dann wieder an runden Geburtstagen und in den Grabreden. Groß - mütter und Großväter, geschweige denn Schwieger - eltern, sind keineswegs dazu berufen, mit verhaltener Gebärde und Lebensweisheit in homöopathischen Dosen am Geschick ihrer Familie teilzuhaben. Nur der vorübergehende Nutzen als Haushaltshilfe und Kinderbewahrer macht sie für eine Weile mäßig attraktiv. Auch der Genuss des angeblich wohlverdienten Ruhestandes erweist sich häufig als zunehmend mühsamer Kampf gegen die Langeweile, der bald in Resignation und Lethargie mündet. Süßes Nichtstun nach saurer Arbeit funktioniert einfach nicht, weil das Arbeitsleben auch viele schöne und spannende Aspekte hat und das Nichtstun auch viele frustrierende, sinnlose. Den Alterslügen stehen nicht wenige Alterswahrheiten gegenüber. Besonders unangenehm: Nicht nur der Körper ist abgenutzt, auch der Intellekt. Im günstigsten Fall kann es gelingen, diesen Mangel durchemsige Übung, vor allem aber durch den zunehmend geschickteren und auch listenreicheren Umgang mit schwindenden geistigen Rohstoffen einigermaßen wettzumachen.
Und dann gibt es diesen feinen Schleier, der sich schon in mittleren Jahren über jegliches Empfinden legt, erst, um unerträglichen Schmerz oder verzehrendes Glück vorsichtig zu mildern, dann, dichter geworden, um emotionalen Überschwang in Vernunft zu verwandeln. Später wird der Schleier zu einer Trennwand aus Milchglas, hinter der sich nur noch erahnen lässt, was uns niederschmettern, aufwühlen, mitreißen oder umwerfen könnte. Natürlich lässt sich diese Wand durchbrechen, aber die Scherben sind gefährlich scharf und ob die vielen nunmehr befreiten Engel und Teufel zu ertragen sein werden, ist schwer zu sagen.
Ich wage auch zu behaupten, dass es sehr wenige glückliche alte Paare gibt. Viele geduldige, duldsame, die es gelernt haben, miteinander umzugehen, das ja. Aber zärtliche, neugierige Paare, immer noch hungrig nach Glück und neuen Erfahrungen? Alter reduziert Leben, Innenleben wie Außenleben. Alter macht nicht weise und tolerant, sondern eigensinnig, streitbar, starrsinnig, besserwisserisch. Schlechte Eigenschaften bekommen im Alter schärfere Konturen. Gute Eigenschaften verkommen zur Attitüde. Klar, dass es eindrucksvolle Ausnahmen gibt. Sie fallen auf, weil sie so selten sind. Helmut A. Gansterer, auch so ein Alter, schreibt in seinem bemerkenswerten Buch Das Lernen. Der Geist. Die Siege. einen tröstlichen Satz: „Anspruchsvoll und schöpferisch zu leben ist vielleicht das einzige Mittel, mit dem Phänomen ZEIT zu Rande zu kommen. Die Chinesen glauben gar, man könne damit die Todesfurcht besiegen.“ Anschließend zitiert er Anselm Feuerbach: „Jetzt, mit 70 Jahren, begreife ich, dass nur die schöpferischen Momente wirklich zählten. Alles Andere war Beiwerk.“
Das bringt mich auf die Freude an meinem kreativen Beruf, trotz aller Schinderei, trotz der immer währenden Angst zu versagen und steter Zweifel am Wert des Geschriebenen. Ich habe die beneidenswerte Möglichkeit, mein Leben aus mir heraus zu gestalten und damit auch noch mein Auskommen zu finden.
Unter den vielen Glücksfällen, die mein Unglück stets ein wenig überwogen, war die Bekanntschaft, ja vorsichtige Freundschaft mit dem schon respektvoll erwähnten Hans Weigel. Eines Herbsttages stand er in Maria Enzersdorf vor mir, blinzelte durch zwei übereinander geschobene Brillen und sprach: „Die Gläser sind beschlagen. Ich kann Sie nicht gut sehen. Aber noch hässlicher als ich können Sie nicht sein.“ Zwei Jahre später trat ich dann, wie oft zuvor, in sein Arbeitszimmer. Er saß an der Schreibmaschine, wendete sich mir zu und sagte den letzten Satz, den ich von ihm hören sollte: „Ich fange eben mein neues Buch an. Fertig wird es nicht mehr werden.“ Was für ein schöner Satz, welch schöner Beruf.
Zugegeben: Die Möglichkeiten, sich mit einem schöpferischen Beruf die Existenz auf Dauer zu sichern, sind rar. Aber die Möglichkeiten, kreativ mit seinem Beruf, mit der Zeit nach dem Beruf, mit sich selbst, mit seinen Mitmenschen umzugehen, sind für alle intakt. Mehr noch: Wenn das zunehmende Alter vieles fortnimmt, entstehen Leerräume, die auch als Freiräume zu begreifen sind, Freiräume für nunmehr ungehinderte, ungehemmte Kreativität, die überdies auch noch vom Diktat der einträglichen Nutzanwendung befreit ist. Es ist denkbar mühsam, die Zeit totzuschlagen, doch es bereitet sehr viel mehr Lust, sie im Augenblick der Schöpfung zu negieren. Solche Augenblicke fallen nicht wie reife Äpfel vom Baum, sie wollen errungen, erträumt, erspielt, erkämpft, gestohlen, ersehnt werden, immer wieder aufs Neue. Das Ergebnis: machtvolle Lust, reiche Lust, zeitlose Lust, neue alte Lust.
© by Styria Regional in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien – Graz – Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten.
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Autoren-Porträt von Alfred Komarek
ALFRED KOMAREK, geboren 1945 in Bad Aussee, ist Schriftsteller und Autor zahlreicher Hörfunk- Sendungen ("Melodie exklusiv"), TV-Drehbücher (zuletzt für die ORF-Reihe "Universum") sowie von Sachbüchern und Belletristik. Vier Polt-Romane und die ersten beiden Käfer-Romane wurden bisher von ORF und ARTE für das Fernsehen verfilmt und mit großem Erfolg mehrfach gesendet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alfred Komarek
- 2010, 1., Erstauflage., 160 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Styria
- ISBN-10: 3222132976
- ISBN-13: 9783222132971
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