Aufregend war es immer
Journalisten-Legende Hugo Portisch legt mit „Aufregend war es immer" endlich seine Autobiografie vor. Viele Jahre lang erklärte der wohl bekannteste österreichische Journalist seiner Zeit uns auf...
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Produktinformationen zu „Aufregend war es immer “
Journalisten-Legende Hugo Portisch legt mit „Aufregend war es immer" endlich seine Autobiografie vor. Viele Jahre lang erklärte der wohl bekannteste österreichische Journalist seiner Zeit uns auf unnachahmliche Art die Welt - ob als Kurier-Chef, ORF-Sonderkorrespondent oder in seinen Büchern. In „Aufregend war es immer" gelingt es Portisch in gewohnt faszinierender Manier seine Erlebnisse in die Beschreibung der großen Weltpolitik einzubetten. Mit Erinnerungen, auf die wohl nur ein Journalist seiner Größe zurückblicken kann, erweckt er so mehr als ein halbes Jahrhundert Weltgeschehen zum Leben.
Klappentext zu „Aufregend war es immer “
Hugo Portisch ist einer der großen Journalisten der Gegenwart.Kosmopolit, Humanist und überzeugter Europäer.
Mit seinen Erinnerungen erweckt er mehr als ein halbes Jahrhundert Weltgeschehen zum Leben.
Lese-Probe zu „Aufregend war es immer “
Hugo Portisch - Aufregend war es immerZwölf Jahre ...
Zwölf Jahre, so sagt mein Verleger, hat er auf dieses Buch warten
müssen. Das stimmt, und ich wollte ihn noch lange warten lassen.
Denn nichts fällt mir schwerer, als über mich zu schreiben. Das
»Ich« in meinen »So sah ich«-Büchern war zwar immer vorhanden,
aber eben nur ein »Ich« als Berichterstatter, der erzählt, was
er gehört, gesehen, erlebt und sich dazu eine eigene Meinung gebildet
hat. Eine Biografie - da soll ich nun mich selber sehen.
Kann man das? Ja, das haben schon so viele getan. Leser wollen
miterleben, was der Verfasser erlebt hat, wollen auch erfahren,
was er sich dabei gedacht hat, sagt mein Verleger. Sagt auch
Christine Graf, die 35 Jahre lang alle meine Fernsehdokumentationen
als Produktionsleiterin betreut hat. Sagt vor allem meine
Frau. So habe ich dieses Buch nun doch geschrieben.
Chronologisch - nach Jahren geordnet. Meine Geschichte
folgt der Zeitgeschichte, nimmt Bedacht auf das jeweilige Geschehen
in Österreich und in der Welt. So wechseln die Schauplätze
meines Lebens mit den Schauplätzen des Weltgeschehens, aber
auch meine jeweiligen beruflichen Aufgaben. Bei all diesen Aufgaben
aber bin ich immer eines geblieben: Journalist.
Mit der »Elektrische« nach Wien
Preßburg - Vorort mit großer Geschichte
Diese Erfahrung habe ich immer wieder gemacht. Wenn man
mich fragte, wo ich geboren wurde, und ich sagte Preßburg, gab
es Erstaunen und manchmal auch Unverständnis. So als hätte es
zwischen Wien und Preßburg immer schon einen Eisernen Vorhang
gegeben. Doch als ich dort geboren wurde und aufwuchs,
war Preßburg ein Vorort von Wien. Von Preßburg fuhr man mit
der »Elektrische« genannten Straßenbahn in die Wiener Oper, als
Kinder besuchten wir mit der
... mehr
»Elektrische« den Prater und den
Tiergarten in Schönbrunn. Das Burgtheater und das Theater in
der Josefstadt gaben regelmäßig Gastspiele in Preßburg.
Preßburg, ein Vorort von Wien, aber auch eine Stadt mit großer
eigener Geschichte. Eine Stadt, die drei Namen hatte: Preßburg
auf Deutsch, Pozsony auf Ungarisch, Bratislava auf Slowakisch.
Mehr als zwei Jahrhunderte, von 1526 bis 1724, war
Preßburg die Hauptstadt des Königlichen Ungarns, als in Budapest
die Türken herrschten. Preßburg war die Krönungsstadt für
zehn österreichische Kaiser und deren Gemahlinnen, die im Preßburger
Martinsdom zu ungarischen Königen und Königinnen
gekrönt wurden. Die Prominenteste unter ihnen war Maria Theresia,
sie ließ die (heute wiederhergestellte) Preßburger Burg ausbauen,
ihre Residenz als Königin von Ungarn. Und in Preßburg
wurde die erste deutschsprachige Zeitung Ungarns gegründet, im
Jahre 1764, die »Preßburger Zeitung«. Kein Provinzblatt, eine
Hauptstadtzeitung, zuletzt erschien sie zweimal täglich als Morgen-
und Abendzeitung und sieben Mal in der Woche. Die Weltpolitik,
die Geschehnisse in Mitteleuropa standen im Mittelpunkt
der Berichterstattung. Dazu fast täglich ein Leitartikel. Später
auch die Tagesprogramme von Radio Preßburg, Wien und Budapest.
Die Zeitung wandte sich an die deutschsprachige Bevölkerung,
zu der sich damals auch die meisten jüdischen Mitbürger
bekannten.
Preßburg und die Slowakei blieben bei Ungarn bis zum Ende
des Ersten Weltkriegs. 1918, als die österreichisch-ungarische
Monarchie zerbrach, wurden Preßburg und die Slowakei Teile der
tschechoslowakischen Republik.
Die Dreisprachigkeit war der Stadt also mit auf den Weg gegeben.
Genau genommen kam noch eine vierte Sprache hinzu.
Vor dem Antisemitismus und den Pogromen in Galizien und der
Ukraine flohen immer wieder jüdische Bürger nach Preßburg wie
nach Wien, wo sie Schutz suchten und unter den Kaisern und
Königen der Habsburger auch fanden. Jiddisch wurde also vielfach
auch in Preßburg gesprochen. Dieses Neben- und Miteinander
von drei, ja vier Ethnien gab der Stadt einen ganz besonderen
Charakter. Miteinander auszukommen, sich gegenseitig zu respektieren,
war nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine
Selbstverständlichkeit. Wenn es dennoch zu Spannungen zwischen
den Sprachgruppen kam, dann wurden diese von außen hereingetragen:
1918, als man das österreichisch-ungarische Erbe im
Sinne der neuen tschechoslowakischen Staatlichkeit verdrängen
wollte. Danach durch die Forderungen Ungarns, die neue Grenzziehung
rückgängig zu machen. Und 1938, als mit dem Münchner
Abkommen das Deutsche Reich an das andere Donauufer
vis-à-vis der Stadt rückte. Das waren die Rahmenbedingungen,
unter denen bis 1939 die »Preßburger Zeitung« erschien.
Mein Vater Emil, aufgewachsen in St. Pölten, 1918 heimgekehrt
aus der russischen Kriegsgefangenschaft, antwortete auf ein
Inserat der »Preßburger Zeitung« und nahm dort die Stelle eines
Redakteurs an. 1920 heiratete er meine Mutter Hedi. 1924 wurde
mein Vater Chefredakteur der Zeitung, 1921 kam mein Bruder
Emil, 1927 kam ich zur Welt.
Im Jahr 2012 ließ die ungarische Nationalbibliothek, mit
Unterstützung der Preßburger Universitätsbibliothek und unter
der Leitung von Jan Strasetter aus München, die »Preßburger
Zeitung« vom ersten Tag ihres Erscheinens 1764 an digitalisieren.
Mit einem Festakt an der Universität in Preßburg-Bratislava wurde
das große Unterfangen gewürdigt und dabei des ersten und des
letzten Chefredakteurs der »Preßburger Zeitung« gedacht. Der
letzte war mein Vater. Ich war eingeladen, die Festrede zu halten,
und nutzte die Gelegenheit, viele der Leitartikel zu lesen, die mein
Vater für diese Zeitung geschrieben hatte. So konnte ich nachvollziehen,
welche Linie mein Vater dieser Zeitung vorgegeben hatte
und mit welcher Haltung er sich den politischen Stürmen der damaligen
Zeit stellte. Und die war eindeutig, aber für ein deutschsprachiges
Blatt in der Tschechoslowakei gar nicht so selbstverständlich.
Denn die Mehrzahl der deutschsprachigen Bürger Preßburgs
trauerte noch der österreichisch-ungarischen Monarchie nach
und hätte es lieber gesehen, wenn Preßburg nicht tschechoslowakisch
geworden, sondern ungarisch geblieben wäre. Nicht mein
Vater. Das Wichtigste für ihn war die Demokratie und damit die
tschechoslowakische Republik - mit Ausnahme der Schweiz bald
die einzige Demokratie in Mitteleuropa. Immer wieder forderte er
von seiner Leserschaft daher auch dieses Bekenntnis zur Republik.
Aber er mahnte gerade deshalb auch die Prager Regierung, nicht
die Fehler der Habsburgermonarchie zu wiederholen, nämlich die
nationalen Minderheiten zu beherrschen, statt sie mitregieren zu
lassen. Dieses Recht auf Gleichberechtigung forderte er für alle
Minderheiten in der Republik ein, für die Slowaken, die Deutschen
und die Magyaren. In allen drei Volksgruppen gab es zunehmend
Auflehnung gegen den Prager Zentralismus.
Den Slowaken war im sogenannten Vertrag von Pittsburgh in
Pennsylvania, USA, 1918 vom künftigen Präsidenten der Tschechoslowakei,
Tomáš G. Masaryk, die volle Autonomie im tschechoslowakischen
Staat zugesichert worden. In Pennsylvania gab
es eine große slowakische Volksgruppe, die vielen Slowaken und
deren Nachfahren, die aus der ungarischen Unterdrückung nach
Amerika ausgewandert waren. Sie hatten politischen Einfluss. Der
amerikanische Präsident Woodrow Wilson setzte sich nicht zuletzt
deshalb auch für die Gründung der Tschechoslowakei ein.
Masaryk wurde der erste Präsident dieser neuen Republik. Am
20. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages von Pittsburgh,
1938, erhoben die Slowaken die Forderung nach voller Autonomie,
die ihnen zugesichert, aber bisher von Prag nicht gewährt
worden war. Die in der Slowakei lebenden Ungarn stimmten zur
gleichen Zeit in den Chor der Nationalisten in Ungarn ein: »Nein,
nein, niemals!« und »Alles zurück«, mit dem sie die ehemals ungarischen
Gebiete der Monarchie zurückforderten, zumindest
jene Teile, in denen vor allem Ungarn lebten. Also Teile der Slowakei.
Die Deutschen in den Sudetengebieten, in Mährisch-Schlesien
und Südmähren, die 1918/19 bei Österreich bleiben wollten, aber
nicht durften, stellten zwar im Prager Parlament mehr Abgeordnete
als jede der anderen Parteien, wurden jedoch zur Mitwirkung
an der Regierung nicht eingeladen. Und schon gab es Lockrufe
der Nationalsozialisten, wie sie auch in Österreich zu hören
waren: »Heim ins Reich.«
All das beunruhigte meinen Vater sehr. Leitartikel um Leitartikel
schrieb er zur Verteidigung der Republik und der Demokratie.
Als Hitler, Mussolini, der britische Premierminister Chamberlain
und der französische Ministerpräsident Daladier im Herbst
1938 ohne Beiziehung der Tschechoslowakei in München die
Abtretung der Sudetengebiete an Hitlerdeutschland beschlossen,
schrieb mein Vater in seinem Leitartikel in der »Preßburger Zeitung
«: »In dieser finstersten Stunde gibt es keinen ehrlichen Demokraten,
der durch die in München besiegelte Regelung des
tschechoslowakischen Problems nicht aufs Tiefste erschüttert
wäre. Trauer herrscht nicht allein in den Herzen der Demokraten
aller Nationen, die in der Tschechoslowakei leben, ehrliches
Mitempfinden strömt uns auch von den wahren Demokraten in
ganz Europa zu.«
Doch es sollte viel schlimmer kommen. Für Hitler war die
Abtretung der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei
nur der erste Schritt. Im März 1939 beorderte Hitler den
tschechoslowakischen Präsidenten Emil Hácha nach Berlin und
drohte ihm mit Krieg, wenn er sich seinen Forderungen nicht
beugen würde. Diese dramatische Unterredung endete mit der
Erklärung Háchas, er lege das »Schicksal des tschechischen Volkes
in die Hände des Führers und Reichskanzlers des Deutschen
Reiches«. Zur gleichen Zeit forderten der Gauleiter von Wien, Baldur
von Schirach, und Hitlers Statthalter in Österreich, Seyß-Inquart,
den Ministerpräsidenten der slowakischen Regionalregierung,
Jozef Tiso, auf, die Selbstständigkeit der Slowakei zu
reklamieren und sie als eigenen Staat auszurufen. Die Zerschlagung
der Tschechoslowakei war also eine koordinierte, von Berlin
und Wien ausgeführte Aktion. Am 15. März 1939 marschierten
Hitlers Truppen in Böhmen und Mähren ein, in Preßburg
erklärte
Tiso die Slowakei zum selbstständigen Staat.
Zu dieser Katastrophe konnte mein Vater in der »Preßburger
Zeitung« nicht mehr Stellung nehmen. Er war zwar deren Chefredakteur,
nicht aber ihr Eigentümer. Eigentümer war jene Gruppe
von Verlegern, zu denen auch das angesehene »Prager Tagblatt«,
das »Brünner Tagblatt« und die Mährisch-Ostrauer »Morgenpost«
zählten. Die Verleger waren jüdisch. Diese Zeitungen wurden über
Nacht enteignet, mein Vater als Chefredakteur der »Preßburger
Zeitung« abgesetzt und das Erscheinen der Zeitung eingestellt.
Ich weiß nicht, ob es noch am gleichen oder erst am nächsten
Tag war, jedenfalls erschienen einige Männer in ziviler Kleidung
in unserer Wohnung und führten eine Hausdurchsuchung durch.
Ich sehe noch die aufgerissenen Schubladen und Kastentüren vor
mir und wie die Männer Kleider und Wäsche auf den Boden warfen.
Mein Vater war nicht zu Hause, er kam erst Stunden später
aus der Redaktion zurück, in der er sich von seinen Mitarbeitern
verabschiedet hatte. Drei der zwölf Redakteure waren Juden,
zwei von ihnen, Löwy und Bauer, flohen noch am selben Tag und
schafften es später nach Palästina - das allerdings erfuhren wir
erst nach dem Krieg, als sie uns Briefe aus Israel schickten. Der
Dritte, Donath, schaffte es nicht und wurde später in einem der
Vernichtungslager ermordet.
Aber die »Preßburger Zeitung« erschien dann doch noch einmal
»unter neuer Leitung«. Mit folgender Erklärung: »Unter dem
Druck der großen Umwälzung, die in den letzten Tagen vor sich
gegangen ist, musste aus technischen Gründen vorübergehend
das Erscheinen der ›Preßburger Zeitung‹ eingestellt werden. Nun
hat der Verlag unter der neuen Leitung beschlossen, dieselbe wieder
erscheinen zu lassen. Allerdings nicht mehr wie bisher wird
die jüdische ›Intelligenz‹ das Blatt gestalten und Gift in das Volk
träufeln, sondern nationalsozialistischer Gestaltungswille und
nationalsozialistisches Gedankengut wird die Zeitung zum Instrument
des Großdeutschen Reiches machen ... Preßburger! Freiheit
und Friede ist angebrochen, die neue Leitung grüßt Euch mit
dem Gruß, der dem deutschen Volke heilig ist: ›Heil Hitler!‹ K.L.«
Trotz »neuer Leitung« und »Heil Hitler« erschien die »Preßburger
Zeitung« nur noch wenige Wochen, dann wurde sie zugunsten
des nationalsozialistischen »Grenzboten« eingestellt. Zu
diesem Zeitpunkt besuchte ich die zweite Klasse des einzigen
deutschsprachigen Gymnasiums in Preßburg. Die Aufregung unter
den Schülerinnen und Schülern war groß. Als staatliches Gymnasium
der gestern noch existierenden tschechoslowakischen Republik
war es eine liberale und demokratisch geführte Schule.
Mädchen und Buben in derselben Klasse, katholische, protestantische
und jüdische Kinder. Daheim hatten sich wohl die Eltern
schon die Frage gestellt, wie lange das noch so bleiben werde. Es
blieb noch bis zum Schulschluss im Juni dieses Jahres 1939. Als
ich im Herbst in die nächste Klasse kam, gab es keine jüdischen
Mitschüler mehr. Dies wurde uns vom Direktor der Schule, der
den Namen Meznik trug, persönlich mitgeteilt.
© 2015 Ecowin Verlag
Tiergarten in Schönbrunn. Das Burgtheater und das Theater in
der Josefstadt gaben regelmäßig Gastspiele in Preßburg.
Preßburg, ein Vorort von Wien, aber auch eine Stadt mit großer
eigener Geschichte. Eine Stadt, die drei Namen hatte: Preßburg
auf Deutsch, Pozsony auf Ungarisch, Bratislava auf Slowakisch.
Mehr als zwei Jahrhunderte, von 1526 bis 1724, war
Preßburg die Hauptstadt des Königlichen Ungarns, als in Budapest
die Türken herrschten. Preßburg war die Krönungsstadt für
zehn österreichische Kaiser und deren Gemahlinnen, die im Preßburger
Martinsdom zu ungarischen Königen und Königinnen
gekrönt wurden. Die Prominenteste unter ihnen war Maria Theresia,
sie ließ die (heute wiederhergestellte) Preßburger Burg ausbauen,
ihre Residenz als Königin von Ungarn. Und in Preßburg
wurde die erste deutschsprachige Zeitung Ungarns gegründet, im
Jahre 1764, die »Preßburger Zeitung«. Kein Provinzblatt, eine
Hauptstadtzeitung, zuletzt erschien sie zweimal täglich als Morgen-
und Abendzeitung und sieben Mal in der Woche. Die Weltpolitik,
die Geschehnisse in Mitteleuropa standen im Mittelpunkt
der Berichterstattung. Dazu fast täglich ein Leitartikel. Später
auch die Tagesprogramme von Radio Preßburg, Wien und Budapest.
Die Zeitung wandte sich an die deutschsprachige Bevölkerung,
zu der sich damals auch die meisten jüdischen Mitbürger
bekannten.
Preßburg und die Slowakei blieben bei Ungarn bis zum Ende
des Ersten Weltkriegs. 1918, als die österreichisch-ungarische
Monarchie zerbrach, wurden Preßburg und die Slowakei Teile der
tschechoslowakischen Republik.
Die Dreisprachigkeit war der Stadt also mit auf den Weg gegeben.
Genau genommen kam noch eine vierte Sprache hinzu.
Vor dem Antisemitismus und den Pogromen in Galizien und der
Ukraine flohen immer wieder jüdische Bürger nach Preßburg wie
nach Wien, wo sie Schutz suchten und unter den Kaisern und
Königen der Habsburger auch fanden. Jiddisch wurde also vielfach
auch in Preßburg gesprochen. Dieses Neben- und Miteinander
von drei, ja vier Ethnien gab der Stadt einen ganz besonderen
Charakter. Miteinander auszukommen, sich gegenseitig zu respektieren,
war nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine
Selbstverständlichkeit. Wenn es dennoch zu Spannungen zwischen
den Sprachgruppen kam, dann wurden diese von außen hereingetragen:
1918, als man das österreichisch-ungarische Erbe im
Sinne der neuen tschechoslowakischen Staatlichkeit verdrängen
wollte. Danach durch die Forderungen Ungarns, die neue Grenzziehung
rückgängig zu machen. Und 1938, als mit dem Münchner
Abkommen das Deutsche Reich an das andere Donauufer
vis-à-vis der Stadt rückte. Das waren die Rahmenbedingungen,
unter denen bis 1939 die »Preßburger Zeitung« erschien.
Mein Vater Emil, aufgewachsen in St. Pölten, 1918 heimgekehrt
aus der russischen Kriegsgefangenschaft, antwortete auf ein
Inserat der »Preßburger Zeitung« und nahm dort die Stelle eines
Redakteurs an. 1920 heiratete er meine Mutter Hedi. 1924 wurde
mein Vater Chefredakteur der Zeitung, 1921 kam mein Bruder
Emil, 1927 kam ich zur Welt.
Im Jahr 2012 ließ die ungarische Nationalbibliothek, mit
Unterstützung der Preßburger Universitätsbibliothek und unter
der Leitung von Jan Strasetter aus München, die »Preßburger
Zeitung« vom ersten Tag ihres Erscheinens 1764 an digitalisieren.
Mit einem Festakt an der Universität in Preßburg-Bratislava wurde
das große Unterfangen gewürdigt und dabei des ersten und des
letzten Chefredakteurs der »Preßburger Zeitung« gedacht. Der
letzte war mein Vater. Ich war eingeladen, die Festrede zu halten,
und nutzte die Gelegenheit, viele der Leitartikel zu lesen, die mein
Vater für diese Zeitung geschrieben hatte. So konnte ich nachvollziehen,
welche Linie mein Vater dieser Zeitung vorgegeben hatte
und mit welcher Haltung er sich den politischen Stürmen der damaligen
Zeit stellte. Und die war eindeutig, aber für ein deutschsprachiges
Blatt in der Tschechoslowakei gar nicht so selbstverständlich.
Denn die Mehrzahl der deutschsprachigen Bürger Preßburgs
trauerte noch der österreichisch-ungarischen Monarchie nach
und hätte es lieber gesehen, wenn Preßburg nicht tschechoslowakisch
geworden, sondern ungarisch geblieben wäre. Nicht mein
Vater. Das Wichtigste für ihn war die Demokratie und damit die
tschechoslowakische Republik - mit Ausnahme der Schweiz bald
die einzige Demokratie in Mitteleuropa. Immer wieder forderte er
von seiner Leserschaft daher auch dieses Bekenntnis zur Republik.
Aber er mahnte gerade deshalb auch die Prager Regierung, nicht
die Fehler der Habsburgermonarchie zu wiederholen, nämlich die
nationalen Minderheiten zu beherrschen, statt sie mitregieren zu
lassen. Dieses Recht auf Gleichberechtigung forderte er für alle
Minderheiten in der Republik ein, für die Slowaken, die Deutschen
und die Magyaren. In allen drei Volksgruppen gab es zunehmend
Auflehnung gegen den Prager Zentralismus.
Den Slowaken war im sogenannten Vertrag von Pittsburgh in
Pennsylvania, USA, 1918 vom künftigen Präsidenten der Tschechoslowakei,
Tomáš G. Masaryk, die volle Autonomie im tschechoslowakischen
Staat zugesichert worden. In Pennsylvania gab
es eine große slowakische Volksgruppe, die vielen Slowaken und
deren Nachfahren, die aus der ungarischen Unterdrückung nach
Amerika ausgewandert waren. Sie hatten politischen Einfluss. Der
amerikanische Präsident Woodrow Wilson setzte sich nicht zuletzt
deshalb auch für die Gründung der Tschechoslowakei ein.
Masaryk wurde der erste Präsident dieser neuen Republik. Am
20. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages von Pittsburgh,
1938, erhoben die Slowaken die Forderung nach voller Autonomie,
die ihnen zugesichert, aber bisher von Prag nicht gewährt
worden war. Die in der Slowakei lebenden Ungarn stimmten zur
gleichen Zeit in den Chor der Nationalisten in Ungarn ein: »Nein,
nein, niemals!« und »Alles zurück«, mit dem sie die ehemals ungarischen
Gebiete der Monarchie zurückforderten, zumindest
jene Teile, in denen vor allem Ungarn lebten. Also Teile der Slowakei.
Die Deutschen in den Sudetengebieten, in Mährisch-Schlesien
und Südmähren, die 1918/19 bei Österreich bleiben wollten, aber
nicht durften, stellten zwar im Prager Parlament mehr Abgeordnete
als jede der anderen Parteien, wurden jedoch zur Mitwirkung
an der Regierung nicht eingeladen. Und schon gab es Lockrufe
der Nationalsozialisten, wie sie auch in Österreich zu hören
waren: »Heim ins Reich.«
All das beunruhigte meinen Vater sehr. Leitartikel um Leitartikel
schrieb er zur Verteidigung der Republik und der Demokratie.
Als Hitler, Mussolini, der britische Premierminister Chamberlain
und der französische Ministerpräsident Daladier im Herbst
1938 ohne Beiziehung der Tschechoslowakei in München die
Abtretung der Sudetengebiete an Hitlerdeutschland beschlossen,
schrieb mein Vater in seinem Leitartikel in der »Preßburger Zeitung
«: »In dieser finstersten Stunde gibt es keinen ehrlichen Demokraten,
der durch die in München besiegelte Regelung des
tschechoslowakischen Problems nicht aufs Tiefste erschüttert
wäre. Trauer herrscht nicht allein in den Herzen der Demokraten
aller Nationen, die in der Tschechoslowakei leben, ehrliches
Mitempfinden strömt uns auch von den wahren Demokraten in
ganz Europa zu.«
Doch es sollte viel schlimmer kommen. Für Hitler war die
Abtretung der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei
nur der erste Schritt. Im März 1939 beorderte Hitler den
tschechoslowakischen Präsidenten Emil Hácha nach Berlin und
drohte ihm mit Krieg, wenn er sich seinen Forderungen nicht
beugen würde. Diese dramatische Unterredung endete mit der
Erklärung Háchas, er lege das »Schicksal des tschechischen Volkes
in die Hände des Führers und Reichskanzlers des Deutschen
Reiches«. Zur gleichen Zeit forderten der Gauleiter von Wien, Baldur
von Schirach, und Hitlers Statthalter in Österreich, Seyß-Inquart,
den Ministerpräsidenten der slowakischen Regionalregierung,
Jozef Tiso, auf, die Selbstständigkeit der Slowakei zu
reklamieren und sie als eigenen Staat auszurufen. Die Zerschlagung
der Tschechoslowakei war also eine koordinierte, von Berlin
und Wien ausgeführte Aktion. Am 15. März 1939 marschierten
Hitlers Truppen in Böhmen und Mähren ein, in Preßburg
erklärte
Tiso die Slowakei zum selbstständigen Staat.
Zu dieser Katastrophe konnte mein Vater in der »Preßburger
Zeitung« nicht mehr Stellung nehmen. Er war zwar deren Chefredakteur,
nicht aber ihr Eigentümer. Eigentümer war jene Gruppe
von Verlegern, zu denen auch das angesehene »Prager Tagblatt«,
das »Brünner Tagblatt« und die Mährisch-Ostrauer »Morgenpost«
zählten. Die Verleger waren jüdisch. Diese Zeitungen wurden über
Nacht enteignet, mein Vater als Chefredakteur der »Preßburger
Zeitung« abgesetzt und das Erscheinen der Zeitung eingestellt.
Ich weiß nicht, ob es noch am gleichen oder erst am nächsten
Tag war, jedenfalls erschienen einige Männer in ziviler Kleidung
in unserer Wohnung und führten eine Hausdurchsuchung durch.
Ich sehe noch die aufgerissenen Schubladen und Kastentüren vor
mir und wie die Männer Kleider und Wäsche auf den Boden warfen.
Mein Vater war nicht zu Hause, er kam erst Stunden später
aus der Redaktion zurück, in der er sich von seinen Mitarbeitern
verabschiedet hatte. Drei der zwölf Redakteure waren Juden,
zwei von ihnen, Löwy und Bauer, flohen noch am selben Tag und
schafften es später nach Palästina - das allerdings erfuhren wir
erst nach dem Krieg, als sie uns Briefe aus Israel schickten. Der
Dritte, Donath, schaffte es nicht und wurde später in einem der
Vernichtungslager ermordet.
Aber die »Preßburger Zeitung« erschien dann doch noch einmal
»unter neuer Leitung«. Mit folgender Erklärung: »Unter dem
Druck der großen Umwälzung, die in den letzten Tagen vor sich
gegangen ist, musste aus technischen Gründen vorübergehend
das Erscheinen der ›Preßburger Zeitung‹ eingestellt werden. Nun
hat der Verlag unter der neuen Leitung beschlossen, dieselbe wieder
erscheinen zu lassen. Allerdings nicht mehr wie bisher wird
die jüdische ›Intelligenz‹ das Blatt gestalten und Gift in das Volk
träufeln, sondern nationalsozialistischer Gestaltungswille und
nationalsozialistisches Gedankengut wird die Zeitung zum Instrument
des Großdeutschen Reiches machen ... Preßburger! Freiheit
und Friede ist angebrochen, die neue Leitung grüßt Euch mit
dem Gruß, der dem deutschen Volke heilig ist: ›Heil Hitler!‹ K.L.«
Trotz »neuer Leitung« und »Heil Hitler« erschien die »Preßburger
Zeitung« nur noch wenige Wochen, dann wurde sie zugunsten
des nationalsozialistischen »Grenzboten« eingestellt. Zu
diesem Zeitpunkt besuchte ich die zweite Klasse des einzigen
deutschsprachigen Gymnasiums in Preßburg. Die Aufregung unter
den Schülerinnen und Schülern war groß. Als staatliches Gymnasium
der gestern noch existierenden tschechoslowakischen Republik
war es eine liberale und demokratisch geführte Schule.
Mädchen und Buben in derselben Klasse, katholische, protestantische
und jüdische Kinder. Daheim hatten sich wohl die Eltern
schon die Frage gestellt, wie lange das noch so bleiben werde. Es
blieb noch bis zum Schulschluss im Juni dieses Jahres 1939. Als
ich im Herbst in die nächste Klasse kam, gab es keine jüdischen
Mitschüler mehr. Dies wurde uns vom Direktor der Schule, der
den Namen Meznik trug, persönlich mitgeteilt.
© 2015 Ecowin Verlag
... weniger
Autoren-Porträt von Hugo Portisch
Hugo Portisch ist einer der bedeutendsten Journalisten Österreichs. Mit seinen Fernsehproduktionen Österreich I und II hat er das Geschichtsbewusstsein einer ganzen Nation geprägt. Die Dokumentation über den 2. Weltkrieg, die er gemeinsam mit Henry Kissinger erstellte, sorgte für weltweites Aufsehen.Das von ihm initiierte Rundfunk-Volksbegehren für die Unabhängigkeit des ORF war das erste und erfolgreichste in der österreichischen Geschichte. Er war jahrelang Chefredakteur des Kurier, später Chefkommentator des ORF und weltpolitischer Kommentator beim Bayerischen Rundfunk. In Anerkennung seiner journalistischen Leistungen wurde er zweimal mit der Goldenen Kamera, dreimal mit der Romy, zweimal mit dem Fernsehpreis der Volksbildung sowie mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels und dem Preis der Concordia ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hugo Portisch
- 432 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 15,4 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ecoWing
- ISBN-10: 371100072X
- ISBN-13: 9783711000729
- Erscheinungsdatum: 16.10.2015
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