Autoren und Apparate
Die Geschichte des Copyrights im Medienwandel
Von der Schwierigkeit, geistige Arbeit rechtlich zu sichern
Das Copyright ist unter Beschuss. Ob Filesharing oder Google, neue technische Erfindungen und Akteure bringen in Bedrängnis, was einstmals als Wert der geistigen Arbeit rechtlich gesichert...
Das Copyright ist unter Beschuss. Ob Filesharing oder Google, neue technische Erfindungen und Akteure bringen in Bedrängnis, was einstmals als Wert der geistigen Arbeit rechtlich gesichert...
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Produktinformationen zu „Autoren und Apparate “
Klappentext zu „Autoren und Apparate “
Von der Schwierigkeit, geistige Arbeit rechtlich zu sichern Das Copyright ist unter Beschuss. Ob Filesharing oder Google, neue technische Erfindungen und Akteure bringen in Bedrängnis, was einstmals als Wert der geistigen Arbeit rechtlich gesichert worden ist. Doch ist das neu? Monika Dommann zeigt in ihrer fulminanten Studie, dass es schon immer einen Konflikt zwischen Autoren und Apparaten gab. Sie schildert die Entwicklung in den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien und arbeitet an zwei exemplarischen Fällen, Fotokopie und Musikaufnahme, die komplexe Gemengelage der Rechte und Interessen aller Beteiligten von 1850 bis heute heraus. Ihr Buch zeigt, wie alt die neuen Probleme sind und wie fragil der rechtliche Schutz geistigen Eigentums ist. Ein unverzichtbarer Blick in die Geschichte, um die Gegenwart zu begreifen.
Lese-Probe zu „Autoren und Apparate “
Autoren und Apparate von Dommann, MonikaDie Geschichte des Copyrights im Medienwandel
Musiknoten
Zwischen Nationalismus und Freihandel
»Nicht jeder Autor ist Capitalist; nicht jeder, ja die Minderzahl ist befähigt, auch ausser dem literarischen oder artistischen Fache, zu dem ihn seine Sonder-Natur oft unwiderstehlich bestimmte, für Erwerb zu arbeiten.« Johann Vesque von Püttlingen (1864)
Vom Nachdruck zur Autorschaft
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Von Michel Foucault stammt der Vorschlag, der für die nachfolgende Arbeit grundlegend ist, das Recht auf seine mannigfaltigen epistemologischen Dimensionen hin zu untersuchen. Michel Foucaults produktive Erschütterung der Rechts- und Kriminalitätsgeschichte kann nicht hoch genug bewertet werden; dies trifft ebenso für die Geschichte und die Theorie des Copyrights zu. Foucault erfasste die gesellschaftliche Brisanz des Autorkonzepts sehr früh, als er 1969 programmatisch die Frage stellte, was ein Autor sei. Er identifizierte Autorschaft als zentralen »Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes-, Ideen- und Literaturgeschichte, auch in der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte«.
Die Fokussierung der historischen Beschäftigung mit Copyrights auf die Entstehung juristischer und ästhetischer Autorkonzepte im 18. Jahrhundert folgte in einem gewissen Sinn dem im Recht bis heute gepflegten Ursprungsmythos des zivilisierten Autors im 18. Jahrhundert. Bis zu diesem Zeitpunkt sicherten sich Verleger das Recht zur Publikation mittels Privilegien, die ihnen von den Herrschaftsträgern gewährt wurden. Allerdings gab es im 15. Jahrhundert bereits vereinzelt Praktiken zum Gebrauch von Autorschaft zur Kontrolle von Nachdruck durch Künstler: Albrecht Dürer hatte in den 1490er Jahren sein Monogramm dazu verwendet, um Kontrolle über den Produktionsprozess seiner Drucke zu erlangen, und auch Schriftsteller klagten bereits im 16. Jahrhundert gegen Plagiate und beanspruchten ausschließliche Veröffentlichungsrechte. Die Nachdruckprivilegien wurden vom Souverän selbst erteilt. Dass dabei häufig die Privilegiengabe von der Zustimmung der Zensurbehörde abhängig gemacht wurde, liegt auf der Hand. Das englische Statute of Anne von 1710 wird im Recht gemeinhin als Anfang des Autorrechts bezeichnet. Es konstituierte ein Copyright, das im Kern eine Beschränkung der alten Monopoltradition beinhaltete und zunächst für 14 Jahre gewährt wurde (mit der Option einer Verlängerung um weitere 14 Jahre). Die Figur des Autors, als jene Person, auf dem das Copyright basierte, wurde dabei zentral, doch wurde sie auch von den Verlegerinteressen inkorporiert. Die Geburt des Autors im 18. Jahrhundert, so hat Martha Woodmansee für Deutschland gezeigt, trug die Handschrift von Schriftstellern, die angesichts der sozioökonomischen und soziokulturellen Umwälzungen ihre soziale, ökonomische und symbolische Position abzusichern versuchten. Dabei haben sich ästhetische und rechtliche Diskurse im 18. Jahrhundert gegenseitig beeinflusst: Juristisches Wissen hat die ästhetischen Auffassungen in Literatur, Kunst und Musik des 18. Jahrhunderts maßgeblich geprägt. Rechtskonzepte waren nicht einfach ein Ausdruck der romantischen Kultur, sondern sie haben diese genuin durch die Rechtspraxis mitgestaltet. Und sie waren auch geprägt durch den Wandel der Drucktechniken, wie Heinrich Bosses im Freiburger Kontext in der Inkubationsphase der neuen deutschen Medienwissenschaft verfasste Studie zur »Entstehung des Urheberrechts aus dem Geiste der Goethezeit« betont hat: Die »Werkherrschaft«, jene spezifische Beziehung zwischen Urheber und Werk, die sich in Deutschland in Urheberrechtsreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts institutionalisierte, ist auch vor dem Hintergrund der Einführung der Rotationsmaschine zu betrachten, welche die Drucktechnik Mitte des 19. Jahrhunderts mechanisierte und massiv beschleunigte.
Kompositionen im Wettkampf der Nationen
Die frühneuzeitlichen Druckprivilegien deckten auch die Musik ab. Allerdings nur deshalb, weil Noten als Druckerzeugnisse vor Nachdruck geschützt waren. Das französische Gesetz von 1793 erwähnte erstmals die Kompositionen explizit, anderswo wurden Komponisten erst in den 1830er und 1840er Jahren zu Autoren erklärt: in den USA im Copyright Act of 1831, in Preußen 1837 im »Gesetz zum Schutz des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung «, in Großbritannien im Copyright Act of 1842 und in Österreich 1847 im »Patent zum Schutze des literarisch-artistischen Eigenthums gegen unbefugte Veröffentlichung, Nachdruck und Nachbildung«. Das mit den frühneuzeitlichen Privilegien verbundene Konzept des Nachdrucks wurde in der Folge zu einem Konzept der Vervielfältigung umgedeutet, das dem Komponisten den Schutz des integralen Werks zuordnete.
Im Folgenden sollen die Entstehungskontexte dieses neuen juristisch geprägten Vervielfältigungskonzepts und die ihnen zugrundeliegenden kulturellen Codes analysiert werden. So sehr im Recht diese Veränderungen als Kontinuum bezeichnet werden, so sehr die Juristen dabei die Analogien betonen, müssen sie aus historischer Sicht als Einschnitt oder eigentlicher Bruch bezeichnet werden: Erstens wurde ein bislang ästhetischjuristisch geprägter Diskurs zunehmend ökonomisch-juristisch überlagert. Und zweitens entstanden mit der mechanischen Musik Musikmedien jenseits der gewohnten Vermittlung in der Sprache der Notenschrift und außerhalb der Aufmerksamkeit und der Kontrolle des Verlagssystems.
Die neuen juristischen Konzepte für Musik sind im Kontext von Auseinandersetzungen um nationale Gesetzgebungsprozesse und der Internationalisierung von Copyrights zu betrachten. In Frankreich gerieten beispielsweise die Vaudeville- Künstler in die Kritik, weil sie in ihren Stücken und Chorgesängen Passagen aus dem Repertoire der Opéra comique oder anderer Vaudevillists übernahmen und dabei durch einen ministerialen Erlass von 1807 gestützt waren. Der französische Staat begann Mitte des 19. Jahrhunderts zudem im Ausland systematisch gegen »Contrefaçon« vorzugehen und pochte auf eine reziproke Anerkennung von Autorrechten. Auch das preußische Gesetz von 1837 zum Eigentum an den Werken der Wissenschaft und Kunst konnte von den Autoren all jener Staaten in Anspruch genommen werden, die den preußischen Publikationen Schutz gewährten. Das Recht auf »Nachdruck« und »Vervielfältigung« stand dem Autor (»während seines Lebens«) und seinen Erben (während dreißig Jahren) zu und war übertragbar: »Jede neue Vervielfältigung, wenn sie ohne Genehmigung des dazu ausschliesslich Berechtigten (...) geschieht, heisst Nachdruck und ist verboten.« Das Recht galt auch für musikalische Kompositionen. Dabei wurden Kompositionen strenger geschützt als Texte: Während das »wörtliche Anführen einzelner Stellen eines bereits gedruckten Werkes« bei Texten nicht als Vervielfältigung bezeichnet wurde, waren bei Kompositionen auch »Auszüge, Arrangements für einzelne Instrumente oder sonstige Bearbeitungen, die nicht als eigenthümliche Kompositionen betrachtet werden können«, verboten.
Das österreichische Gesetz sprach die Eigentumsrechte dem »Urheber« eines »Werks« zu, »demjenigen, welcher sie ursprünglich verfasst oder verfertigt hat«. Der Schutz war im Kaiserreich und im Gebiet des Deutschen Bundes gültig. Das Recht, »mit seinem Erzeugnisse nach Willkür zu verfügen, dasselbe in beliebiger Form zu vervielfältigen und zu veröffentlichen « sowie »ganz oder auch teilweise auf andere zu übertragen«, stand auch Bestellern, Herausgebern und Unternehmern sowie Erben und Rechtsnachfolgern zu. Das österreichische Gesetz ließ eine liberalere Verwendung von Musik durch andere Komponisten zu als das preußische: In Österreich war es erlaubt, »Thematas musikalischer Compositionen« zu benutzen und die »Variationen, Phantasien, Etüden, Pot-Pourris« und »Arrangements« zu verwenden.
Dass dabei weit mehr als der Schutz von Autoreninteressen im Spiel war und Urheberrechte auch als nationale Instrumente und kulturelle Kampfmaßnahmen dienten, zeigt sich 1853 in den Diskussionen um die Revision des österreichischen Gesetzes von 1846, die in Kreisen der Handels- und Gewerbekammer, der Schriftsteller, Verleger, Buch- und Musikalienhändler stattfanden. Die von Frankreich geforderte gegenseitige Anerkennung von Autorrechten wurde hingegen in Österreich wegen des strengeren Schutzes des literarischen und künstlerischen Eigentums in Frankreich und der starken Position des französischen Musikhandels als Gefahr für die Interessen der österreichischen Komponisten und Musikalienhändler verworfen. Die Diskussion um Autorrechte war vom Antagonismus gegenüber Frankreich geprägt: Autorrechte dienten als Kampfmittel gegen die kulturelle Anziehungskraft Frankreichs, gegen die Dominanz der französischen Musik (welche »vermöge der Verbreitung der französischen Sprache auch außerhalb Frankreichs verkäuflich sind«) und gegen die Marktstärke der französischen Verleger (»bereits sei es Tatsache, dass sich Künstler von Bedeutung nach Paris wenden, um daselbst ihre Werke zu verlegen«). Es ging um ein Kalkül zwischen dem Schutz der österreichischen Exportschlager (»die Compositionen von Beethoven, Schubert, Proch, Strauss und anderen «) und freier Hand für die kleinen Fische der »inländische[n] Industrie«. Die Kommission empfahl deshalb, auf diplomatischem Wege von Fall zu Fall über die gegenseitige internationale Anerkennung der Rechte zu entscheiden.
Werke als Werte
In den Gesetzen waren die Musikrechte bloß sehr knapp umrissen worden. In den 1860er Jahren begannen juristische und ökonomische Kommentare, sie detaillierter zu diskutieren. Dabei änderte sich auch der Ton: Die ästhetisch-rechtliche Perspektive wurde von rechtlich-ökonomischen Betrachtungsweisen überlagert. Der Wiener Jurist und Komponist Johann Vesque von Püttlingen verfasste 1864 die erste Monographie über »musicalische Autorrecht(e)«. Der Staatsbeamte adeligen Ursprungs, der auch Opern, Messen und Lieder komponierte, formulierte ein Werkkonzept für Musik, das dem Komponisten eine bürgerliche Berufsexistenz sichern sollte. Er betrachtete Kompositionen in den Parametern potentieller Verwertungsoptionen: Während sich literarische Fragmente nicht zur »Speculation« (etwa durch gesonderte Drucke) eigneten, liege auch in den »Musikstücke(n) kleinster Dimension« ein ökonomischer Wert. Nicht die Orchester- Partitur, sondern der Klavierauszug und Opernmotive würden »vom grossen Publikum gesucht« und dies »verwerte « das Werk: »Während von der Orchester-Partitur nur wenige Exemplare zum Behufe der öffentlichen Aufführung abgesetzt und solche Partituren eben deswegen gar nicht im Druck verlegt, sondern nur in Abschriften verwendet werden, wird der Klavierauszug in Tausenden von Exemplaren verbreitet, und bringt dem Componisten reichlich Vorteil.« Weil »oft einzelne, glücklich erfundene Melodien sich einer so allgemeinen Beliebtheit erfreuen«, sei es im Interesse des Publikums und des Komponisten, »dieselben als selbstständige Kunstwerke zu veröffentlichen«. Der komponierende Jurist wollte musikalische Autorrechte als Vermögensrechte mit umfassenden Verfügungsrechten formuliert sehen, die auch Bruchstücke von musikalischen Werken (Arrangements oder kurze Ausschnitte) mit einschlossen. Es ging ihm um die Werte von Werken (ihre »pecuniäre Verwerthung«) oder anders formuliert: um Rechtsschutz für kapitalistische Komponisten.
Ein Jahr früher, 1863, hatte der deutsche Nationalökonom Karl Richter eine ökonomische Begründung des Autorrechts formuliert. Richter legitimierte das »Recht auf Verwertung« für Werke der Wissenschaft und Kunst mit ihrem Beitrag für Fortschritt und Entwicklung. Wissenschaft und Kunst seien »bedeutende Faktoren in der Zivilisation« und »die geistige Arbeit eine Bedingung für wirtschaftliche Entwicklung«. Die Musik bedürfe des völkerrechtlichen Schutzes besonders, weil sie im Gegensatz zur Literatur universell verständlich und darum allgemein verfügbar sei und keine kulturellen Grenzen ihrer Ausbeutung Schranken setzten. Richter vertrat eine Art Preistheorie geistiger Arbeit: Je mehr »Bildung« und »hohe allgemeine Gesittung« vorherrsche, desto niedriger werde der »Werth desselben im Verkehr sich stellen«. Er implizierte mit dieser Vorstellung sinkender Preise geistiger Arbeit die Notwendigkeit ihres Schutzes im Recht.
Was im preußischen Recht bereits angedeutet worden war, wurde bei Karl Richter vollzogen: die Verabschiedung vom Nachdruckkonzept: »Dieses Wort hat heute eigentlich nur ein historisches Recht, denn die erste Rechtsverletzung, welche man als solche anerkannte, war in der Tat eben nur das ausbeutende Nachdrucken eines gedruckten Buches oder Schriftwerkes.« Er erklärte »das unberechtigte und somit verbrecherische Eingreifen in das ausschließliche Recht der Verwertung der Werke der Kunst und Wissenschaft« als den Kern des Verbrechens. Vervielfältigung und Verwertung werden in dieser Argumentation kurzgeschlossen.
Josef Kohler, der im 19. Jahrhundert maßgeblich daran beteiligt war, die autorrechtlichen Prinzipien des 20. Jahrhunderts auszuformulieren, grenzte das neue Autorrecht dezidiert gegenüber den alten Privilegien (Nachdruckrechte für Verleger) ab. Er begründete diese Differenzsetzung ebenfalls mit einem ökonomischen Argument, jenem der Wertschöpfung: Privilegien seien Gewerberechte gewesen, die der Staat der Allgemeinheit entzogen und Einzelnen übertragen habe, währenddem jemand, der ein Werk schreibe, das Volksvermögen um den Betrag des ökonomischen Wertes dieses Gutes bereichere. Das ihm zustehende Autorrecht sei ein Alleinrecht, das sich auf dieses »neu erzeugte Gut« beziehe.
Wenn sich also im 19. Jahrhundert eine Ökonomisierung des Autorrechtsdiskurses abzeichnete, muss diese Entwicklung vor dem Hintergrund zweier gegenläufiger Tendenzen betrachtet werden: Einerseits der Erleichterung und Beschleunigung des Welthandels durch den Abbau von Zollschranken, der Aufweichung des Protektionismus sowie technischen Neuerungen wie die Dampfschifffahrt, die Eisenbahn oder die Telegraphie. Und andererseits durch die Ausdehnung, nationale Vereinheitlichung und internationale Harmonisierung von Normen zum Schutze des literarischen und künstlerischen Eigentums. Die institutionelle Verankerung der völkerrechtlichen Bestrebungen wurde durch ein belgisches Komitee von literarischen Interessenvertretern in den 1850er Jahren initiiert und mündete schließlich 1886 in die Gründung der Berner Konvention. Doch diese ökonomische Fundierung, konzeptionelle Erweiterung und Internationalisierung des Autorrechts war begleitet durch Akte der Abgrenzung und des Ausschlusses musikalischer Praktiken aus diesem boomenden Rechtsbereich. Die Ausdehnung der Copyrights Mitte des 19. Jahrhunderts beinhaltete nämlich auch einen Bruch mit mündlichen Traditionen des Kulturschaffens.
Autoren gegen Traditionen
Die Begriffe »Urheber«/»Autor« und »Tradition« entwickelten sich seit dem 18. Jahrhundert in einem Spannungsverhältnis zueinander. Im Autorrechtsdiskurs verdichtete sich die Grundannahme der Moderne, dass etwas Neues nicht von Gott oder den Vorfahren übernommen und nicht in Gemeinschaften erzeugt, sondern von einem Individuum geschaffen werde. Der in der deutschen Sprache im Zusammenhang mit Autorrechten zentrale Begriff des »Urhebers« verweist etymologisch zunächst auf Gott, den primären Schöpfer, Erschaffer der Welt, derjenige, »der eine Sache zuerst anfanget, und von dem sie also entweder gänzlich, oder doch grossenteils, allemahl aber anfänglich herrühret«. Die Denkfigur des »Urhebers« ist ex negativo in Abgrenzung zur »Tradition« formuliert worden. »Tradition « wurde Mitte des 18. Jahrhunderts in Johann Heinrich Zedlers Universallexikon wie folgt umschrieben: »Tradition, lat. Traditio, ist auch so viel wie eine Erzählung, die man nur von Hören sagen weiss, nirgends aber von einem Schriftsteller aufgezeichnet findet.« Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm findet sich der Hinweis auf den französischen Ursprung des Begriffs (»traditionnel = entlehnt«), der dann zunehmend negativ bewertet wurde: Was »überliefert« wurde, ist »herkömmlich«, »üblich« und deshalb »überkommen «, ein Topos, der sich in Redewendungen wie »Eine neue gemeinsame Bildungsatmosphäre entwickelte sich (...) im Gegensatz gegen die traditionellen Anschauungen und Erkenntnisse« niederschlägt. Der Begriff des »Modernen« wurde hingegen Mitte des 19. Jahrhunderts, darauf wies Hans-Ulrich Gumbrecht hin, als Kontrast zum »Unveränderlichen« und »Ewigen« neu besetzt. Der Dichter Charles Baudelaire formulierte 1859 in »Le peintre de la vie moderne« eine ästhetische Theorie der Modernität, die er mit einem neuen Zeitempfinden in Zusammenhang brachte: Modern sei das Vorübergehende, das Transitorische und Flüchtige: »Le modernité, c'est le transitoire, le fugitif, le contingent«.
Solche Vorstellungen des Neuen waren auch konstitutiv im musikalischen Autorrecht. Vesque von Püttlingen begründete die Autorrechtsansprüche mit den »Melodien«, welche den »individuellen Kern eines Musikstücks« enthielten und schöpferische Erfindungskraft des Tonsetzers »beurkunden«, wie er sich ausdrückte. Melodien - »glückliche Eingebungen des schaffenden Geistes« - seien »individuell«, »eigentümlich« und würden sich durch »das Gepräge der Neuheit kennbar von jeder andern Melodie« unterscheiden.
Die Autorrechte wurden im 19. Jahrhundert in einem Atemzug mit zivilisatorischer Entwicklung genannt, und die Bemühungen um eine Internationalisierung des literarischen und geistigen Eigentums, die 1886 in die Berner Konvention mündeten, nahmen direkt Rekurs auf Fortschrittsideen. Im Einladungsschreiben des Organisationskomitees zur vorbereitenden Konferenz der Berner Konvention aus dem Jahr 1858 war vom »concours d'hommes distingués de tous les pays, mettant en commun leur savoir et leur amour du progrès« die Rede, und dieser fortschrittsbezogene Pathos schwang im Diskurs über das geistige Eigentum immer mit. Die Autorrechte wurden als Errungenschaft des »europäischen Kulturkreises der civilisierten Staaten« gepriesen, was immer auch gegen das »amerikanische, auf dem Gebiet der geistigen Thätigkeit geduldeten, Banditenwesen« gerichtet war, weil das amerikanische Copyright bis zum Beitritt der USA zur Berner Konvention im Jahr 1988 nur für in den USA hergestellte Werke galt.
Lydia Goehr hat argumentiert, dass Kompositionen bis um etwa 1800 im Dienste der Aufführungen standen, was sich darin manifestierte, dass auf den Notendrucken der Anlass der Komposition und das Datum der Aufführung aufgeführt waren. Nach 1800 kam es zu einem Paradigmenwechsel in der Musikaufführungspraxis, als Komponisten wie Ludwig van Beethoven und Hector Berlioz präzisere Anleitungen in ihren Notationen anbrachten und das Tempo, den Rhythmus und die Instrumentierung genau festlegten. Gemäß dem neuen Ideal hatte die Aufführung sich um »Werktreue« zu bemühen. Die schriftliche Aufzeichnung wurde zur Autorität und die Notierung zum Instrument des Komponisten gegen die Improvisation.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Von Michel Foucault stammt der Vorschlag, der für die nachfolgende Arbeit grundlegend ist, das Recht auf seine mannigfaltigen epistemologischen Dimensionen hin zu untersuchen. Michel Foucaults produktive Erschütterung der Rechts- und Kriminalitätsgeschichte kann nicht hoch genug bewertet werden; dies trifft ebenso für die Geschichte und die Theorie des Copyrights zu. Foucault erfasste die gesellschaftliche Brisanz des Autorkonzepts sehr früh, als er 1969 programmatisch die Frage stellte, was ein Autor sei. Er identifizierte Autorschaft als zentralen »Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes-, Ideen- und Literaturgeschichte, auch in der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte«.
Die Fokussierung der historischen Beschäftigung mit Copyrights auf die Entstehung juristischer und ästhetischer Autorkonzepte im 18. Jahrhundert folgte in einem gewissen Sinn dem im Recht bis heute gepflegten Ursprungsmythos des zivilisierten Autors im 18. Jahrhundert. Bis zu diesem Zeitpunkt sicherten sich Verleger das Recht zur Publikation mittels Privilegien, die ihnen von den Herrschaftsträgern gewährt wurden. Allerdings gab es im 15. Jahrhundert bereits vereinzelt Praktiken zum Gebrauch von Autorschaft zur Kontrolle von Nachdruck durch Künstler: Albrecht Dürer hatte in den 1490er Jahren sein Monogramm dazu verwendet, um Kontrolle über den Produktionsprozess seiner Drucke zu erlangen, und auch Schriftsteller klagten bereits im 16. Jahrhundert gegen Plagiate und beanspruchten ausschließliche Veröffentlichungsrechte. Die Nachdruckprivilegien wurden vom Souverän selbst erteilt. Dass dabei häufig die Privilegiengabe von der Zustimmung der Zensurbehörde abhängig gemacht wurde, liegt auf der Hand. Das englische Statute of Anne von 1710 wird im Recht gemeinhin als Anfang des Autorrechts bezeichnet. Es konstituierte ein Copyright, das im Kern eine Beschränkung der alten Monopoltradition beinhaltete und zunächst für 14 Jahre gewährt wurde (mit der Option einer Verlängerung um weitere 14 Jahre). Die Figur des Autors, als jene Person, auf dem das Copyright basierte, wurde dabei zentral, doch wurde sie auch von den Verlegerinteressen inkorporiert. Die Geburt des Autors im 18. Jahrhundert, so hat Martha Woodmansee für Deutschland gezeigt, trug die Handschrift von Schriftstellern, die angesichts der sozioökonomischen und soziokulturellen Umwälzungen ihre soziale, ökonomische und symbolische Position abzusichern versuchten. Dabei haben sich ästhetische und rechtliche Diskurse im 18. Jahrhundert gegenseitig beeinflusst: Juristisches Wissen hat die ästhetischen Auffassungen in Literatur, Kunst und Musik des 18. Jahrhunderts maßgeblich geprägt. Rechtskonzepte waren nicht einfach ein Ausdruck der romantischen Kultur, sondern sie haben diese genuin durch die Rechtspraxis mitgestaltet. Und sie waren auch geprägt durch den Wandel der Drucktechniken, wie Heinrich Bosses im Freiburger Kontext in der Inkubationsphase der neuen deutschen Medienwissenschaft verfasste Studie zur »Entstehung des Urheberrechts aus dem Geiste der Goethezeit« betont hat: Die »Werkherrschaft«, jene spezifische Beziehung zwischen Urheber und Werk, die sich in Deutschland in Urheberrechtsreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts institutionalisierte, ist auch vor dem Hintergrund der Einführung der Rotationsmaschine zu betrachten, welche die Drucktechnik Mitte des 19. Jahrhunderts mechanisierte und massiv beschleunigte.
Kompositionen im Wettkampf der Nationen
Die frühneuzeitlichen Druckprivilegien deckten auch die Musik ab. Allerdings nur deshalb, weil Noten als Druckerzeugnisse vor Nachdruck geschützt waren. Das französische Gesetz von 1793 erwähnte erstmals die Kompositionen explizit, anderswo wurden Komponisten erst in den 1830er und 1840er Jahren zu Autoren erklärt: in den USA im Copyright Act of 1831, in Preußen 1837 im »Gesetz zum Schutz des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung «, in Großbritannien im Copyright Act of 1842 und in Österreich 1847 im »Patent zum Schutze des literarisch-artistischen Eigenthums gegen unbefugte Veröffentlichung, Nachdruck und Nachbildung«. Das mit den frühneuzeitlichen Privilegien verbundene Konzept des Nachdrucks wurde in der Folge zu einem Konzept der Vervielfältigung umgedeutet, das dem Komponisten den Schutz des integralen Werks zuordnete.
Im Folgenden sollen die Entstehungskontexte dieses neuen juristisch geprägten Vervielfältigungskonzepts und die ihnen zugrundeliegenden kulturellen Codes analysiert werden. So sehr im Recht diese Veränderungen als Kontinuum bezeichnet werden, so sehr die Juristen dabei die Analogien betonen, müssen sie aus historischer Sicht als Einschnitt oder eigentlicher Bruch bezeichnet werden: Erstens wurde ein bislang ästhetischjuristisch geprägter Diskurs zunehmend ökonomisch-juristisch überlagert. Und zweitens entstanden mit der mechanischen Musik Musikmedien jenseits der gewohnten Vermittlung in der Sprache der Notenschrift und außerhalb der Aufmerksamkeit und der Kontrolle des Verlagssystems.
Die neuen juristischen Konzepte für Musik sind im Kontext von Auseinandersetzungen um nationale Gesetzgebungsprozesse und der Internationalisierung von Copyrights zu betrachten. In Frankreich gerieten beispielsweise die Vaudeville- Künstler in die Kritik, weil sie in ihren Stücken und Chorgesängen Passagen aus dem Repertoire der Opéra comique oder anderer Vaudevillists übernahmen und dabei durch einen ministerialen Erlass von 1807 gestützt waren. Der französische Staat begann Mitte des 19. Jahrhunderts zudem im Ausland systematisch gegen »Contrefaçon« vorzugehen und pochte auf eine reziproke Anerkennung von Autorrechten. Auch das preußische Gesetz von 1837 zum Eigentum an den Werken der Wissenschaft und Kunst konnte von den Autoren all jener Staaten in Anspruch genommen werden, die den preußischen Publikationen Schutz gewährten. Das Recht auf »Nachdruck« und »Vervielfältigung« stand dem Autor (»während seines Lebens«) und seinen Erben (während dreißig Jahren) zu und war übertragbar: »Jede neue Vervielfältigung, wenn sie ohne Genehmigung des dazu ausschliesslich Berechtigten (...) geschieht, heisst Nachdruck und ist verboten.« Das Recht galt auch für musikalische Kompositionen. Dabei wurden Kompositionen strenger geschützt als Texte: Während das »wörtliche Anführen einzelner Stellen eines bereits gedruckten Werkes« bei Texten nicht als Vervielfältigung bezeichnet wurde, waren bei Kompositionen auch »Auszüge, Arrangements für einzelne Instrumente oder sonstige Bearbeitungen, die nicht als eigenthümliche Kompositionen betrachtet werden können«, verboten.
Das österreichische Gesetz sprach die Eigentumsrechte dem »Urheber« eines »Werks« zu, »demjenigen, welcher sie ursprünglich verfasst oder verfertigt hat«. Der Schutz war im Kaiserreich und im Gebiet des Deutschen Bundes gültig. Das Recht, »mit seinem Erzeugnisse nach Willkür zu verfügen, dasselbe in beliebiger Form zu vervielfältigen und zu veröffentlichen « sowie »ganz oder auch teilweise auf andere zu übertragen«, stand auch Bestellern, Herausgebern und Unternehmern sowie Erben und Rechtsnachfolgern zu. Das österreichische Gesetz ließ eine liberalere Verwendung von Musik durch andere Komponisten zu als das preußische: In Österreich war es erlaubt, »Thematas musikalischer Compositionen« zu benutzen und die »Variationen, Phantasien, Etüden, Pot-Pourris« und »Arrangements« zu verwenden.
Dass dabei weit mehr als der Schutz von Autoreninteressen im Spiel war und Urheberrechte auch als nationale Instrumente und kulturelle Kampfmaßnahmen dienten, zeigt sich 1853 in den Diskussionen um die Revision des österreichischen Gesetzes von 1846, die in Kreisen der Handels- und Gewerbekammer, der Schriftsteller, Verleger, Buch- und Musikalienhändler stattfanden. Die von Frankreich geforderte gegenseitige Anerkennung von Autorrechten wurde hingegen in Österreich wegen des strengeren Schutzes des literarischen und künstlerischen Eigentums in Frankreich und der starken Position des französischen Musikhandels als Gefahr für die Interessen der österreichischen Komponisten und Musikalienhändler verworfen. Die Diskussion um Autorrechte war vom Antagonismus gegenüber Frankreich geprägt: Autorrechte dienten als Kampfmittel gegen die kulturelle Anziehungskraft Frankreichs, gegen die Dominanz der französischen Musik (welche »vermöge der Verbreitung der französischen Sprache auch außerhalb Frankreichs verkäuflich sind«) und gegen die Marktstärke der französischen Verleger (»bereits sei es Tatsache, dass sich Künstler von Bedeutung nach Paris wenden, um daselbst ihre Werke zu verlegen«). Es ging um ein Kalkül zwischen dem Schutz der österreichischen Exportschlager (»die Compositionen von Beethoven, Schubert, Proch, Strauss und anderen «) und freier Hand für die kleinen Fische der »inländische[n] Industrie«. Die Kommission empfahl deshalb, auf diplomatischem Wege von Fall zu Fall über die gegenseitige internationale Anerkennung der Rechte zu entscheiden.
Werke als Werte
In den Gesetzen waren die Musikrechte bloß sehr knapp umrissen worden. In den 1860er Jahren begannen juristische und ökonomische Kommentare, sie detaillierter zu diskutieren. Dabei änderte sich auch der Ton: Die ästhetisch-rechtliche Perspektive wurde von rechtlich-ökonomischen Betrachtungsweisen überlagert. Der Wiener Jurist und Komponist Johann Vesque von Püttlingen verfasste 1864 die erste Monographie über »musicalische Autorrecht(e)«. Der Staatsbeamte adeligen Ursprungs, der auch Opern, Messen und Lieder komponierte, formulierte ein Werkkonzept für Musik, das dem Komponisten eine bürgerliche Berufsexistenz sichern sollte. Er betrachtete Kompositionen in den Parametern potentieller Verwertungsoptionen: Während sich literarische Fragmente nicht zur »Speculation« (etwa durch gesonderte Drucke) eigneten, liege auch in den »Musikstücke(n) kleinster Dimension« ein ökonomischer Wert. Nicht die Orchester- Partitur, sondern der Klavierauszug und Opernmotive würden »vom grossen Publikum gesucht« und dies »verwerte « das Werk: »Während von der Orchester-Partitur nur wenige Exemplare zum Behufe der öffentlichen Aufführung abgesetzt und solche Partituren eben deswegen gar nicht im Druck verlegt, sondern nur in Abschriften verwendet werden, wird der Klavierauszug in Tausenden von Exemplaren verbreitet, und bringt dem Componisten reichlich Vorteil.« Weil »oft einzelne, glücklich erfundene Melodien sich einer so allgemeinen Beliebtheit erfreuen«, sei es im Interesse des Publikums und des Komponisten, »dieselben als selbstständige Kunstwerke zu veröffentlichen«. Der komponierende Jurist wollte musikalische Autorrechte als Vermögensrechte mit umfassenden Verfügungsrechten formuliert sehen, die auch Bruchstücke von musikalischen Werken (Arrangements oder kurze Ausschnitte) mit einschlossen. Es ging ihm um die Werte von Werken (ihre »pecuniäre Verwerthung«) oder anders formuliert: um Rechtsschutz für kapitalistische Komponisten.
Ein Jahr früher, 1863, hatte der deutsche Nationalökonom Karl Richter eine ökonomische Begründung des Autorrechts formuliert. Richter legitimierte das »Recht auf Verwertung« für Werke der Wissenschaft und Kunst mit ihrem Beitrag für Fortschritt und Entwicklung. Wissenschaft und Kunst seien »bedeutende Faktoren in der Zivilisation« und »die geistige Arbeit eine Bedingung für wirtschaftliche Entwicklung«. Die Musik bedürfe des völkerrechtlichen Schutzes besonders, weil sie im Gegensatz zur Literatur universell verständlich und darum allgemein verfügbar sei und keine kulturellen Grenzen ihrer Ausbeutung Schranken setzten. Richter vertrat eine Art Preistheorie geistiger Arbeit: Je mehr »Bildung« und »hohe allgemeine Gesittung« vorherrsche, desto niedriger werde der »Werth desselben im Verkehr sich stellen«. Er implizierte mit dieser Vorstellung sinkender Preise geistiger Arbeit die Notwendigkeit ihres Schutzes im Recht.
Was im preußischen Recht bereits angedeutet worden war, wurde bei Karl Richter vollzogen: die Verabschiedung vom Nachdruckkonzept: »Dieses Wort hat heute eigentlich nur ein historisches Recht, denn die erste Rechtsverletzung, welche man als solche anerkannte, war in der Tat eben nur das ausbeutende Nachdrucken eines gedruckten Buches oder Schriftwerkes.« Er erklärte »das unberechtigte und somit verbrecherische Eingreifen in das ausschließliche Recht der Verwertung der Werke der Kunst und Wissenschaft« als den Kern des Verbrechens. Vervielfältigung und Verwertung werden in dieser Argumentation kurzgeschlossen.
Josef Kohler, der im 19. Jahrhundert maßgeblich daran beteiligt war, die autorrechtlichen Prinzipien des 20. Jahrhunderts auszuformulieren, grenzte das neue Autorrecht dezidiert gegenüber den alten Privilegien (Nachdruckrechte für Verleger) ab. Er begründete diese Differenzsetzung ebenfalls mit einem ökonomischen Argument, jenem der Wertschöpfung: Privilegien seien Gewerberechte gewesen, die der Staat der Allgemeinheit entzogen und Einzelnen übertragen habe, währenddem jemand, der ein Werk schreibe, das Volksvermögen um den Betrag des ökonomischen Wertes dieses Gutes bereichere. Das ihm zustehende Autorrecht sei ein Alleinrecht, das sich auf dieses »neu erzeugte Gut« beziehe.
Wenn sich also im 19. Jahrhundert eine Ökonomisierung des Autorrechtsdiskurses abzeichnete, muss diese Entwicklung vor dem Hintergrund zweier gegenläufiger Tendenzen betrachtet werden: Einerseits der Erleichterung und Beschleunigung des Welthandels durch den Abbau von Zollschranken, der Aufweichung des Protektionismus sowie technischen Neuerungen wie die Dampfschifffahrt, die Eisenbahn oder die Telegraphie. Und andererseits durch die Ausdehnung, nationale Vereinheitlichung und internationale Harmonisierung von Normen zum Schutze des literarischen und künstlerischen Eigentums. Die institutionelle Verankerung der völkerrechtlichen Bestrebungen wurde durch ein belgisches Komitee von literarischen Interessenvertretern in den 1850er Jahren initiiert und mündete schließlich 1886 in die Gründung der Berner Konvention. Doch diese ökonomische Fundierung, konzeptionelle Erweiterung und Internationalisierung des Autorrechts war begleitet durch Akte der Abgrenzung und des Ausschlusses musikalischer Praktiken aus diesem boomenden Rechtsbereich. Die Ausdehnung der Copyrights Mitte des 19. Jahrhunderts beinhaltete nämlich auch einen Bruch mit mündlichen Traditionen des Kulturschaffens.
Autoren gegen Traditionen
Die Begriffe »Urheber«/»Autor« und »Tradition« entwickelten sich seit dem 18. Jahrhundert in einem Spannungsverhältnis zueinander. Im Autorrechtsdiskurs verdichtete sich die Grundannahme der Moderne, dass etwas Neues nicht von Gott oder den Vorfahren übernommen und nicht in Gemeinschaften erzeugt, sondern von einem Individuum geschaffen werde. Der in der deutschen Sprache im Zusammenhang mit Autorrechten zentrale Begriff des »Urhebers« verweist etymologisch zunächst auf Gott, den primären Schöpfer, Erschaffer der Welt, derjenige, »der eine Sache zuerst anfanget, und von dem sie also entweder gänzlich, oder doch grossenteils, allemahl aber anfänglich herrühret«. Die Denkfigur des »Urhebers« ist ex negativo in Abgrenzung zur »Tradition« formuliert worden. »Tradition « wurde Mitte des 18. Jahrhunderts in Johann Heinrich Zedlers Universallexikon wie folgt umschrieben: »Tradition, lat. Traditio, ist auch so viel wie eine Erzählung, die man nur von Hören sagen weiss, nirgends aber von einem Schriftsteller aufgezeichnet findet.« Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm findet sich der Hinweis auf den französischen Ursprung des Begriffs (»traditionnel = entlehnt«), der dann zunehmend negativ bewertet wurde: Was »überliefert« wurde, ist »herkömmlich«, »üblich« und deshalb »überkommen «, ein Topos, der sich in Redewendungen wie »Eine neue gemeinsame Bildungsatmosphäre entwickelte sich (...) im Gegensatz gegen die traditionellen Anschauungen und Erkenntnisse« niederschlägt. Der Begriff des »Modernen« wurde hingegen Mitte des 19. Jahrhunderts, darauf wies Hans-Ulrich Gumbrecht hin, als Kontrast zum »Unveränderlichen« und »Ewigen« neu besetzt. Der Dichter Charles Baudelaire formulierte 1859 in »Le peintre de la vie moderne« eine ästhetische Theorie der Modernität, die er mit einem neuen Zeitempfinden in Zusammenhang brachte: Modern sei das Vorübergehende, das Transitorische und Flüchtige: »Le modernité, c'est le transitoire, le fugitif, le contingent«.
Solche Vorstellungen des Neuen waren auch konstitutiv im musikalischen Autorrecht. Vesque von Püttlingen begründete die Autorrechtsansprüche mit den »Melodien«, welche den »individuellen Kern eines Musikstücks« enthielten und schöpferische Erfindungskraft des Tonsetzers »beurkunden«, wie er sich ausdrückte. Melodien - »glückliche Eingebungen des schaffenden Geistes« - seien »individuell«, »eigentümlich« und würden sich durch »das Gepräge der Neuheit kennbar von jeder andern Melodie« unterscheiden.
Die Autorrechte wurden im 19. Jahrhundert in einem Atemzug mit zivilisatorischer Entwicklung genannt, und die Bemühungen um eine Internationalisierung des literarischen und geistigen Eigentums, die 1886 in die Berner Konvention mündeten, nahmen direkt Rekurs auf Fortschrittsideen. Im Einladungsschreiben des Organisationskomitees zur vorbereitenden Konferenz der Berner Konvention aus dem Jahr 1858 war vom »concours d'hommes distingués de tous les pays, mettant en commun leur savoir et leur amour du progrès« die Rede, und dieser fortschrittsbezogene Pathos schwang im Diskurs über das geistige Eigentum immer mit. Die Autorrechte wurden als Errungenschaft des »europäischen Kulturkreises der civilisierten Staaten« gepriesen, was immer auch gegen das »amerikanische, auf dem Gebiet der geistigen Thätigkeit geduldeten, Banditenwesen« gerichtet war, weil das amerikanische Copyright bis zum Beitritt der USA zur Berner Konvention im Jahr 1988 nur für in den USA hergestellte Werke galt.
Lydia Goehr hat argumentiert, dass Kompositionen bis um etwa 1800 im Dienste der Aufführungen standen, was sich darin manifestierte, dass auf den Notendrucken der Anlass der Komposition und das Datum der Aufführung aufgeführt waren. Nach 1800 kam es zu einem Paradigmenwechsel in der Musikaufführungspraxis, als Komponisten wie Ludwig van Beethoven und Hector Berlioz präzisere Anleitungen in ihren Notationen anbrachten und das Tempo, den Rhythmus und die Instrumentierung genau festlegten. Gemäß dem neuen Ideal hatte die Aufführung sich um »Werktreue« zu bemühen. Die schriftliche Aufzeichnung wurde zur Autorität und die Notierung zum Instrument des Komponisten gegen die Improvisation.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Monika Dommann
Monika Dommann, geboren 1966 in Walchwil, Schweiz, studierte Spanisch in Salamanca, Geschichte und Volkswirtschaft in Zürich und forschte und unterrichtete nach der Promotion an den Universitäten Zürich, Luzern, Basel sowie in Washington, Montreal, Wien und Berlin. Seit 2013 ist sie Professorin für Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich.
Bibliographische Angaben
- Autor: Monika Dommann
- 2014, 1. Auflage, 432 Seiten, Maße: 13,4 x 20,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 310015343X
- ISBN-13: 9783100153432
- Erscheinungsdatum: 27.03.2014
Pressezitat
Die Historikerin Monika Dommann beleuchtet in ihrer dichten, flott formulierten Habilitationsschrift mehrere internationale Schauplätze der höchst verschlungenen Geschichte des Urheberrechts. Neue Zürcher Zeitung 20140924
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