Best of Schule
Zum Weinen lustig, zum Lachen traurig
NMS, AHS, Elite-, Gesamt-, Baum- oder gar keine Schule? Alle reden über das, was draufstehen soll, Niki Glattauer sagt, was drin ist. Der Bestsellerautor schildert auf humorvolle Weise das nicht immer lustige Leben hinter geschlossenen Klassentüren. Er...
lieferbar
versandkostenfrei
Buch (Gebunden)
22.00 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Best of Schule “
Klappentext zu „Best of Schule “
NMS, AHS, Elite-, Gesamt-, Baum- oder gar keine Schule? Alle reden über das, was draufstehen soll, Niki Glattauer sagt, was drin ist. Der Bestsellerautor schildert auf humorvolle Weise das nicht immer lustige Leben hinter geschlossenen Klassentüren. Er bricht eine Lanze für die Lehrerinnen (Männer mitgemeint) und legt den Kreidefinger in die Wunden des Systems.- Jessica, nimm deine Deutschsachen heraus!- Das Wörterbuch auch? Ich hab das Wörterbuch nämlich zu Hause vergessen.- Du hast dein Wörterbuch nach Hause mitgenommen? Das freut mich! Für welche Aufgabe hast du es denn gebraucht?- Aufgabe?- Ich meine, wofür hast du es gebraucht?- Nicht ich. Mein Bruder. Fürs Fliegenklatschen. Er sagt, dafür braucht manein Buch. Und selber hat er keines mehr.- Willst du mir damit sagen, dass dein Bruder keine eigenen Bücher hat?- Schon, aber es ist ihm aus dem Fenster gefallen. Leider war es dann hin.
Lese-Probe zu „Best of Schule “
Nikki Glattauer - Best of Schule3 Von prüden Lehrerinnen und anderen Trotteln
Ich war noch nicht lange Lehrer, da stieß ich beim Zeitunglesen
über folgende Typisierung von Einwanderern in Österreich:
a) Sie leben überproportional häufig an der Armutsgrenze.
b) Sie arbeiten in der Regel unter ihrem Ausbildungsniveau.
c) Sie finden schlechte Arbeitsbedingungen vor.
d) Sie haben kaum innerbetriebliche Aufstiegschancen.
Ich hatte eines meiner ersten Aha-Erlebnisse: Wie bei uns.
Wenn du dir als Junglehrerin deinen Gehaltszettel anschaust,
dann hast du auch das Gefühl, an der Armutsgrenze zu leben.
Du findest katastrophale Arbeitsbedingungen vor. Du arbeitest,
wie du bald feststellst, nicht nur unter, sondern vor allem neben
deinem Ausbildungsniveau. Und du hast keinerlei Aufstiegschancen
(es sei denn, du unterrichtest Turn..., „Bewegung und
Sport", und machst deine Schüler gerade mit der Sprossenwand
bekannt). Gut, die meisten von uns leben nicht an der Armutsgrenze,
denn die meisten von uns sind Frauen, und als solche
haben sie meist Männer, die nicht an der Armutsgrenze leben.
Aber da gibt es auch noch so etwas wie die „psychische Armutsgrenze":
Als AHS-„Professorin" gehörst du für die Eltern deiner
Schüler wenigstens noch zum sozialen Mittelstand, aber schon
als Hauptpardonneuemittelschullehrerin (später mehr über das
„trojanische Pferd" NMS) bist du nur noch bedingt gesellschaftsfähig.
Und wer an einer Polytechnischen oder einer Berufsschule
arbeitet, spielt sowieso in der Regionalliga.
Privates Anbahnungsgespräch beim vorsommerlichen Umtrunk
beim Nachbarn:
... mehr
-- Und was machen Sie, hübsche Frau, ich meine, beruflich?
-- Ich bin Lehrerin.
-- Aha, dann bereiten Sie Ihre Schüler wohl gerade auf die
Matura vor, gaudeamus igitur, wenn ich so sagen darf ...
ach, die gute, alte AHS.
-- Nein, auf das AMS bereite ich sie vor. So viele Menschen
mit Haaren auf dem Kopf gibt es in Österreich gar nicht,
wie bei uns jedes Jahr Friseurinnen werden wollen.
-- Verzeihen, aber das verstehe ich je...?
-- Ich unterrichte an einem Poly.
-- Oh.
Und schönen Abend noch ...
Gar nicht zu reden von den noch niedrigeren Rängen. Sag einmal
da draußen, dass du Elementarpädagogin bist. Schon beim
Aussprechen dieses Wortes brechen sie sich die Zunge. Dann begreifen
sie irgendwann, dass du in einem Kindergarten arbeitest,
und loben dich dafür, wie toll die Tanten ihrer Kleinen das Adventkranzbinden
immer hinkriegen.
-- Und auch noch den ganzen Tag mit ihnen spielen müssen!
Was ihr alles leistet, ein Wahnsinn ...!
-- Wir spielen nicht mit ihnen, wir arbeiten mit ihnen.
-- Wie meinen?
-- Nix. Und Tanten sind wir auch keine. Grüß Gott.
Und gib niemals zu, dass du Sonderschullehrerin bist! Als Frau
stecken sie dich in die Lade „Ute Bock mit Piercing", als Mann
wirst du für ein zu groß gewachsenes Depperl gehalten, und alle
warten darauf, dass du beim nächsten Satz zu stottern oder zu
zuzeln beginnst. Also immer fest tarnen und täuschen, wenn du
Sonderschullehrerin bist.
Zurück zum fiktiven Frühlingsfest des Nachbarn.
-- Und was tun Sie so?
-- Primär schlafen, fernschauen, essen und trinken. Sie nicht?
-- (Hohoho, hahaha) Ich meine beruflich.
-- Inklusions- und Integrationspädagogik.
-- Aha, interessant.
-- Ja.
-- Und wo, wenn ich fragen darf? An einem größeren Institut?
-- Kann man so sagen.
Weil wir gerade dabei sind: Seit 2015 heißt das, was früher „Sonderschule"
hieß und später in „Sonderpädagogisches Zentrum"
(SPZ) umgetauft wurde (ohne dass sich außer dem Türschild
groß etwas geändert hätte), nein, nicht wieder Sonderschule,
sondern „Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik" (ZIS)
- freilich auch, ohne dass sich dabei groß etwas geändert hätte.
Nicht, dass diese jetzt für mehr oder weniger Kinder zuständig
wären9; nicht, dass sich die Klientel in einer ZIS anders zusammensetzen
würde als vorher in einem SPZ (gefühlte 99 Prozent
Zuwanderer-Kinder); nicht, dass Gymnasien jetzt mehr als
früher mit Integrations- oder gar Inklusionsklassen aushelfen
würden (gerade einmal ein Dutzend AHS-I-Klassen gibt es im
Land). Hauptsache, das Stiefkind bekommt alle paar Jahre einen
neuen Namen.10
Es ist wie bei den Schultypen. Früher Volksschule, Hauptschule,
Gymnasium. Aus. Heute: VS, BRG, BRWG, HS, WMS,
NMS, SPZ, ZIS, Poly, FMS, BS, BHS, BMS, BHMS. Früher Kochen.
Heute „Ernährung und Hauswirtschaft". Früher „Turnen".
Heute wie gesagt „Bewegung und Sport". Nachdem es zwei Generationen
lang „Leibesübungen" geheißen hat, und dabei hat
noch nie einer NICHT Turnen dazu gesagt. Oder Musik, also
korrekt „Musikerziehung", ME. Man darf gespannt sein, ab
wann ME nicht mehr Musik heißen wird, sondern so etwas wie
„Tonhaftes Erleben und Wiedergeben".
Aber zurück zum Stottern. Ist uns Lehrerinnen durchaus bekannt.
Allerdings bringen heutzutage nicht wir unsere Schüler
zum Stottern, sondern umgekehrt sie uns.
Integrationsklasse einer NMS. Zeichenstunde.
-- Jacqueline, nicht dass ich prüde bin, aber ...
-- Was sind Sie nicht?
-- Egal jetzt. Was ich sagen will, ist: Ich nehme es locker, dass
du seit Schulanfang nur Kreise malst, egal, welches Thema
wir haben, aber warum nennst du sie jedes Mal „Sexecks"?
-- Sie haben ja gesagt, wir sollen unsere Zeichnungen sigan...
sigin... beschriften.
-- Okay, du nennst deine Kreise also Sechsecke. Das meinst
du ja vermutlich, Sechsecke, mit ch und in der Mehrzahl
mit e und nicht mit s.
-- Das sind keine Ecken und das sind auch keine Sechsecke,
Oida, das ist Bier!
-- ?
-- Na, sechs Dosen. Sexecks. Ich finde das den urgeilen Namen.
-- Sie meint Sixpacks, Herr Lehrer.
-- Kusch, Oida! Und schleimen brauchst bei dem da vorn
auch nicht!
-- Jacqueline, ich mach dir einen Vorschlag: Du bringst ab jetzt
ein bisschen Abwechslung in dein künstlerisches OEuvre, dafür
kriegst du für deine Zeichnungen ab jetzt einen eigenen
Künstlernamen. „Sixpack". Was hältst du davon?
-- Voll super! Das muss ich am Abend dem Heimleiter sagen,
dass Sie mir das erlauben. Der nimmt mir das Bier nämlich
immer weg, er sagt, ich bin jetzt schon ein Alki.
-- Nein, das musst du am Abend deinem Heimleiter nicht sagen,
Jacqueline, besser, wir machen das anony... geheim.
-- Haben Sie vielleicht Angst vor meinem Heimleiter? Oida!
Der hat Angst vor meinem Heimleiter! Voll der Lulu da
vorn ...!
So in etwa beginnen die später im Text beschriebenen Schlachten
hinter verschlossenen Türen, überhaupt, wenn sich alle Beteiligten
bereits in einer achten oder neunten UE befinden. Für
Nichtlehrer: Schultage werden in UEs (Unterrichtseinheiten)
und nicht in Stunden angegeben, weil Unterrichtsstunden ja nur
50 Minuten dauern. Die erste UE beginnt - Schulautonomie hin,
Schulautonomie her - in 90 Prozent aller Schulen um 08.00 Uhr,
die zehnte endet also knapp vor Christa Kummer. In diesem Fall:
Nomen est omen. Denn zu dieser Zeit wehen alle noch Anwesenden
nur noch auf Halbmast.
Überhaupt, wenn der Tag schon eher mau angefangen hat:
Bereits um sieben der Kampf um die eine Kaffeemaschine. Ab
halb acht der Kampf mit dem einen Kopiergerät. Und spätestens
ab dreiviertel acht der Kampf gegen das eine Telefon. Es läutet,
und keine deiner Kolleginnen greift zum Hörer. Dann steht aber
plötzlich deine Chefin neben dir und schaut dich an mit diesem
Blick, bei dem dir sowieso immer ganz hm wird, und schon hast
du den Hörer in der Hand.
Grüß G... - Aha. Wen suchen Sie? - Von wem die Mutter? - Jovani...
wie? Welche Klasse? - Eine dritte oder vierte Klasse. Mehr
wissen Sie nicht? - Gut. Und wen suchen Sie jetzt? - Grabauer, sagen
Sie? Tut mir leid, gibt es bei uns nicht. Meinen Sie vielleicht den
Herrn Glattauer? Das wäre ich nämlich selb... - Nein? Eine Frau.
Aha! Die Frau Grohmann, vielleicht? - Gruber? - Weissenberger?
- Auch nicht. Moment. Ich frage einmal eine der Kolle... Wie?
Sie sind von der Schule angerufen worden? Okay, Moment! (Ruf
ins Lehrerinnenzimmer: Hat wer von euch eine Mutter angerufen,
dritte oder vierte Klasse ...? Alle schauen gleichzeitig weg.
Du wiederholst die Frage, einige Kolleginnen stehen auf, gehen
aus dem Zimmer, andere beginnen zu smsen.) Nein, tut mir leid,
meine Kolleginnen können mir jetzt leider auch nicht weiterhelfen,
aber vielleicht kann ich ... wenn Sie mir nur sagen würden ... -
Nein, ich bin nicht der Hausmeister.
Zehnte Einheit also. Zeichenstunde. Irgendwann rückt Kevin
mit einem Problem heraus, an dem er offenbar sehr intensiv gekiefelt
hat, gezeichnet hat er nämlich bis dahin nichts:
-- Wie viel verdienen Sie eigentlich, Herr Lehrer?
-- Glaub mir, Kevin, das willst du gar nicht wissen.
-- Weniger als 1500 Euro, stimmt's? Ich mein, netto.
-- Woher kennst du plötzlich den Ausdruck netto? Und ... wie
kommst du jetzt auf weniger als 1500?
-- Ich hab gehört, wie die Frau Professor Löschnak mit der
Frau Professor Friedl über Sie gesprochen hat. Die Lösch...
Fraufessor Löschnak hat gesagt, Sie sind arm, weil Sie weniger
als 1500 verdienen, obwohl Sie schon so alt sind.
-- Wenn die L... Frau Professor Löschnak das gesagt hat ...
-- Mein Vater sagt, wer weniger als 1500 Euro verdient und
trotzdem arbeiten geht, ist selber schuld.
-- „Selber schuld", hat dein Vater gesagt?
-- Eigentlich hat er was anderes gesagt.
-- Aha? Und was?
-- Er hat „Trottel" gesagt.
Und weil wir jetzt schon bei Trottel sind: Im März 2015 widmete
der „lustigste Lehrer Österreichs"11, nämlich mein Kollege und
Kabarettist Markus Hauptmann, seine Kolumne in meiner Lieblingsgewerkschaftszeitung
(mit dem geilen Namen „APSFSG")
thematisch den regelmäßig zweitschönsten Momenten eines
schnöden Lehrerinnenlebens - den Lehrer-Konferenzen.
So nach 4 bis 8 Stunden (gemeint: Konferenz) ist dann endlich ein
Ende in Sicht. Jeder ist schon am Sprung, sofern er nicht vor lauter
Langeweile, mit dem Gesicht voraus, ohnmächtig unter dem
Tisch liegt. Aber es ist doch irgendwie ein Licht am Ende des
Tunnels zu sehen. Und in diesem Moment spricht dann die Frau
Direktor/der Herr Direktor die verhängnisvollen Sätze: Kommen
wir nun zum Allfälligen. Möchte noch irgendjemand etwas sagen?
Und wir alle wissen: Es gibt noch gaaanz viele Irgendjemande,
die noch gaaaanz dringend irgendetwas sagen wollen.
(...) Eine der Kolleginnen steht auf und regt an, dass die Kinder
einmal die Lehrer beurteilen sollen. Ich hab das auch einmal probiert.
Ich habe einmal die Schüler einer zweiten Klasse gebeten,
mich schriftlich zu beurteilen. Ich habe das aber relativ bald abgebrochen,
nachdem mich ein Kind gefragt hat, wie man „Trottel"
schreibt ...
4 Der Lehrer in der Gummizelle
2010: Schulautonomie war noch nicht einmal ein Schlagwort,
die NMS ein pädagogisches Küken, Modellregionen für eine
„gemeinsame Schule" Zukunftsmusik und die Notwendigkeit
einer Bildungsreform nur in den Köpfen von ein paar gefährlichen
Spinnern wie dem Ex-Finanzminister und Industriellen
Hannes Androsch, Nationalbankdirektor Claus Raidl, Caritas-
Präsident Michael Landau vorhanden bzw. als Forderung in
den Schlachtplänen subversiver Banden wie der Industriellenvereinigung,
der Arbeiterkammer, des Rechnungshofs, der katholischen
Sozialakademie, der Diakonie, des AMS usw. - da
besuchte Österreichs damals noch nicht weißhaariger Langzeit-,
inzwischen Ex-Kanzler Werner Faymann eine Neue Mittelschule,
und zwar den damals schon sehr spärlich sprießenden
gymnasialen Teil der Angelegenheit.12 Die Redakteurin des
„Standard" war zufällig auch dort und protokollierte den Frontbesuch
später in ihrem Blatt13: „An diesem Donnerstag herrscht
in der 1B ,Stationenbetrieb‘. Offenes Lernen zum Thema ,Winter
und Weihnachten‘. Die Kinder übersetzen ,Rudolph the red-
nosed Reindeer‘ (...) und basteln Rentiere aus Papier - bis der
berühmte Mann im Klassenzimmer auftaucht."
Ein solches Szenario kommt der gelernten Lehrerin bekannt
vor. Auch bei uns herrscht für gewöhnlich Stationenbetrieb,
wenn „schulfremde Personen" auf Besuch kommen. Da machen
wir nicht groß Unterschiede zwischen den weniger schulfremden
(wenn zum Beispiel an Tagen der halboffenen Türen die Kolleginnen
von der Volksschule mit ihren lieben Kleinen kommen)
oder den doch ziemlich schulfremden wie Journalistinnen oder
eben Politikerinnen. Allerdings geriete unsere nichtgymnasiale
Klientel bei dem Versuch, „Rudolph the rednosed Reindeer" zu
übersetzen, spätestens nach dem Wort „Rudolf " schwer ins Trudeln
und brächte damit den ganzen Stationenbetrieb zum Erliegen.
Wir leben damit. „My name is Kevin, I am thirteen" ist
für das Leben draußen schließlich auch nicht nichts, überhaupt,
wenn Kevin wirklich „thirteen" sagt und nicht „thirty" oder „förti"
oder „dörti", oder was auch immer dabei rauskommt, wenn
man seine Zunge nicht ordentlich zwischen die Schneidezähne
fläzt, sondern sonstwohin.
-- Herr Lehrer, der Ali hat zu mir fick dich gesagt!
-- Hab ich nicht, du Schlampe, ich hab fick gesagt. Fick and
fin.
-- ?
-- Manuela, krieg dich wieder ein, Ali wollte dick und dünn
sagen.
-- Was, beleidigen soll ich mich auch noch lassen, und Sie sagen
ihm nicht einmal was ...!?
Weiter im Schulreport mit dem Kanzler. „Es braucht nur eine
kurze Stippvisite durchs Lehrerzimmer, damit der Kanzler im
Gespräch mit ein paar Lehrern und Schülern berichten kann:
,Das Zimmer der Lehrer ist zu klein.‘ (...) ,Darauf wollte ich Sie
ansprechen‘, sagt eine Lehrerin. ,Es ist wirklich schwierig (...) Ich
mache ein Heft auf, und meine Kollegin muss ihren Tisch räumen,
weil ich ihn zur Hälfte abdecke.‘"
Worauf ich damit hinauswill: 125.000 Lehrerinnen - das bedeutet
125.000 Tragikomödien, in denen die Hauptdarsteller -
noch einmal: das sind neben den Schülern die Lehrerinnen dort,
denn sie sind es, die täglich die Bühnen betreten müssen, die die
Schulwelt bedeuten - nicht selten am Rande des Nervenzusammenbruchs
stehen. Wie eine Online-Befragung unter aufgerundet
tausend Pflichtschullehrerinnen ergab, fühlt sich ein Drittel
von ihnen von Burn-out bedroht. Zehn Prozent „sehr stark",
weitere zwölf Prozent „stark". Nur knapp mehr als ein Drittel,
36 Prozent, gab an, „kein Risiko" zu verspüren. Als Hauptgrund
für die ungewöhnlich hohe Burn-out-Rate nannte die Studie -
Lärm.
Lärm wie solchen von Majka zum Beispiel. Majka, 13, ist
stimmlich eine Kreuzung von Mausi Lugner und Birgit Sarata
mit einem Schuss Helmut Zilk. Majka spricht nicht, sie sprudelt
und tost. Wie ein Wasserfall. Ohne Unterlass. Und mit gefühlten
100 bis 200 Dezibel. Wenn Majka zu sprech fallen beginnt,
kommt man sich vor wie auf der „Maid of the Mist" unter den
Niagarafällen. Gesegnet also jedes Jahr der Winter mit seinen
die Stimmbänder attackierenden grippalen Infekten. Leider sind
gegen die Kehlkopf-Kombi Lugner/Sarata/Zilk sogar Viren und
Bakterien chancenlos:
-- Majka, ich habe gehört, du hast Husten und Halsweh und
kannst kaum spr...
-- Geht-schon-stellen-Sie-sich-vor-was-mir-vorhin-passiertist-
Sie-kennen-doch-Jessica-aus-der-4A-Jessica-hat-einen-
Brud...
26
-- Au!
-- Tut-Ihnen-was-weh? Dann-müssen-Sie-nämlich-soforteine-
Tasse-Tee-meine-Mutter-sagt ...
-- Majka! Du! Du tust mir weh! Solltest du nicht deinen kranken
Hals schonen? Weißt du eigentlich, dass es Menschen
gibt, die du anstecken könntest, wenn du sie ununterbrochen
vollquatscht?
-- Ich-hab-geglaubt-gute-Lehrer-freuen-sich-wenn-ihre-Schüler-
trotzdem-in-die-Schule-kommen-wenn-sie-krank-sindund
...
-- Nein, Majka. Gute Lehrer freuen sich nicht, wenn kranke
Kinder trotzdem in die Schule kommen. Definitiv nicht.
Spätestens gegen Ende des ersten Semesters drehst du dann
durch und wirst unhöflich. Majka, schweig! Majka, aus! Majka,
kusch! Wobei, kusch sagst du als Pädagogin natürlich nicht.
Nie.
Echt nicht.
Auf „derstandard.at" fand sich eines schönen Sommers ein Bericht,
der über Umwege dem „New Yorker" entnommen war. Titel:
„Gummizelle für Lehrer". Hier ein Auszug:
Sie spielen Karten und Schach, lesen Zeitschriften, schlafen oder
plaudern einfach mit ihren Kollegen über Gott und die Welt. Rund
600 Lehrer in New York sehen kein Klassenzimmer mehr von innen.
Stattdessen sind sie zum Nichtstun in oft fensterlosen, im
Sommer überhitzten und im Winter überheizten Zimmern ohne
Ventilation und mit niedrigen Decken verdammt. Telefonieren,
am Computer arbeiten oder Musik hören ist untersagt.
Das sind die berühmt-berüchtigten „Rubber rooms". Täglich
treffen sich hier kaltgestellte Lehrer, verbringen sieben Stunden
am Tag, monatelang, manche über Jahre, voll bezahlt und gelangweilt.
Der Grund für die ungewöhnliche Disziplinierung: Sie
dürfen wegen Verfehlungen nicht mehr unterrichten und warten
auf ihre Verhandlung. (...) Dort zu enden ist ein zunehmendes
Problem für die 140.000 Lehrer in der Millionenmetropole. Die
Zahl der suspendierten Lehrer verdoppelte sich seit 2004. Die
Disziplinierung kommt den Steuerzahler teuer zu stehen. Hunderttausend
Dollar kostet ein einjähriger Aufenthalt in einem
„Rubber room" im Schnitt, rechnen Experten. Insgesamt gibt das
Schulsystem jährlich etwa 65 Millionen Dollar für die suspendierten
Lehrer aus. Kritiker argwöhnen, dass die Stadtregierung die
„Rubber rooms" auch eingerichtet hat, um Lehrer dazu zu bringen,
selbst zu kündigen. Doch die wenigsten tun dies. Viele fühlen
sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und abgeschoben.
Sei es, dass sie schon lange im Dienst sind und New Yorks Bildungsverantwortliche
die Lehrerschaft verjüngen wollen. Sei es,
dass sie für einen omnipotenten Rektor zu kritisch waren oder
ihrem Frust in der Klasse freien Lauf ließen. Einem Insassen des
„Lehrer-Knasts", so die New Yorker Tageszeitung [New York Daily
News], sei das Wort „fuck" während des Unterrichts rausgerutscht.
(...)
Ein „fuck" also. Hm. Da könnte man sich über ein schlankes
„Kusch!" auch drübertrauen ...
Im prophylaktischen Kampf gegen die „Gummizelle" setzen
Lehrerinnen unserer Breiten auf den Kuraufenthalt. Über die
Landesgrenzen hinaus bekannt ist die „Medizinisch-psychosomatische
Klinik Roseneck" am Chiemsee in Bayern. 200 Lehrerinnen
(auch aus Österreich) landen dort jährlich zum Zweck
der psychischen Generalüberholung. Es sind nicht nur Lehrerinnen
aus Problemschulen. Gymnasiallehrerinnen sind genau-
so vertreten wie Volksschul- oder Hauptschullehrerinnen. Die
meisten um die 50 Jahre alt. „Wer hierher kommt, hat eine im
Schnitt achtjährige Leidenszeit hinter sich", sagt Prof. Andreas
Hillert, Psychiater, Psychotherapeut und Chefarzt an der Schön-
Klinik Roseneck. Im Internet stößt man auf eine bemerkenswerte
Analyse des Arztes und Buchautors („Burnout - Zeitbombe
oder Luftnummer?", Schattauer-Verlag) über den Ist-Zustand:
LehrerInnen sind in der ambulanten wie der stationären Psychotherapie
als Patienten auffallend häufig. Ärzte und Therapeuten
wissen dies seit vielen Jahren, offen darüber gesprochen wurde
darüber eher selten. (...) In der medizinisch-psychosomatischen
Klinik Roseneck werden im Jahr mehr als 200 LehrerInnen behandelt.
Damit stellen sie die mit Abstand größte Berufsgruppe.
Diagnostisch liegen bei den meisten dieser Patienten depressive
Störungen vor, gefolgt von somatoformen Störungen (subjektiv
erlebten körperlichen Beschwerden ohne nachweisbare medizinische
Ursache), Angststörungen und Tinnitus („Ohrpfeifen").
Mehrheitlich gehen diese LehrerInnen davon aus, dass berufliche
Belastungen in erheblichem Ausmaß zu ihren Beschwerden beitrugen.
Auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht) bis 4 (sehr stark)
wird die diesbezügliche Frage mit 3,3, die Parallelfrage zu privaten
Belastungen signifikant niedriger mit 2,7 beantwortet. Auch
bei der subjektiven Bewertung aktueller Probleme und Konfliktbereiche
steht die Arbeitsbewältigung deutlich vor Partnerschaft
und Familie. Diese Konstellation wird dadurch akzentuiert, dass
im beruflichen Bereich kaum Möglichkeiten gesehen werden,
hier selber positive Veränderungen bewirken zu können."
In Zeitungsinterviews plaudert der Psychotherapeut aus der
Schule. Er weiß von einem Lehrer, der die letzten Jahre an einer
Schule verbracht habe, an der „man nach einem Jahr schon viel
erreicht hätte, wenn sich bestimmte Schüler für ihr Zuspätkommen
wenigstens entschuldigen würden"; er berichtet von einer
Lehrerin, die erzählt, dass in ihrer Stunde einmal ein Schüler
aufgestanden sei, die Hosen heruntergelassen und zu onanieren
begonnen habe; bei einer Volksschullehrerin seien die Eltern eines
Schülers wochenlang Sturm gelaufen, weil sie eine Empfehlung
für das Gymnasium nicht hatte abgeben wollen. Dann sei
ihr der eigene „Chef " in den Rücken gefallen, usw.
Manchmal genügt es, „Österreich heute" zu schauen. Da rügt
die lang gediente HaSch-Lehrerin eine 17-jährige Schülerin, die
sich an der Tafel dermaßen gebärdet hat, dass sie sie für zumindest
angeglüht hält, etwa so: Sag, bist du betrunken? Es kommt zu
einem Wortwechsel, in dessen Verlauf das gegorene Früchtchen
den Spieß umdreht: Ich soll betrunken sein? Ich glaub, Sie sind betrunken!
Dann fallen unschöne Worte, dem Vernehmen nach auf
beiden Seiten. Ein paar Stunden und Klassen später steht dann
der Vater des Mädchens vor der Lehrerin. Für sie war das Thema
eigentlich längst beendet, doch dann lag plötzlich ihre Brille
auf dem Boden, das Blut rann ihr über das Gesicht und ein paar
Stunden später fand sie sich im Krankenhaus wieder. Kopfwunde!
Gehirnerschütterung! Geschehen in Salzburg. Der Fall war
wie gesagt sogar im Fernsehen. Die Schülerin: Schulwechsel. Die
Lehrerin: Alles wie gehabt. Weil ehrlich, wohin soll sie wechseln
mit 50+?
Wie die weitsichtige Lehrerin rechtzeitig gegensteuert? Zum
Beispiel mit regelmäßigen Beiträgen für eine gedeihliche Eltern-
Lehrerinnen-Beziehung. Und mag die auch noch so sehr Fiktion
sein. Lesen Sie über den erstaunlichen Selbstversuch im nächsten
Kapitel!
© Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co
-- Und was machen Sie, hübsche Frau, ich meine, beruflich?
-- Ich bin Lehrerin.
-- Aha, dann bereiten Sie Ihre Schüler wohl gerade auf die
Matura vor, gaudeamus igitur, wenn ich so sagen darf ...
ach, die gute, alte AHS.
-- Nein, auf das AMS bereite ich sie vor. So viele Menschen
mit Haaren auf dem Kopf gibt es in Österreich gar nicht,
wie bei uns jedes Jahr Friseurinnen werden wollen.
-- Verzeihen, aber das verstehe ich je...?
-- Ich unterrichte an einem Poly.
-- Oh.
Und schönen Abend noch ...
Gar nicht zu reden von den noch niedrigeren Rängen. Sag einmal
da draußen, dass du Elementarpädagogin bist. Schon beim
Aussprechen dieses Wortes brechen sie sich die Zunge. Dann begreifen
sie irgendwann, dass du in einem Kindergarten arbeitest,
und loben dich dafür, wie toll die Tanten ihrer Kleinen das Adventkranzbinden
immer hinkriegen.
-- Und auch noch den ganzen Tag mit ihnen spielen müssen!
Was ihr alles leistet, ein Wahnsinn ...!
-- Wir spielen nicht mit ihnen, wir arbeiten mit ihnen.
-- Wie meinen?
-- Nix. Und Tanten sind wir auch keine. Grüß Gott.
Und gib niemals zu, dass du Sonderschullehrerin bist! Als Frau
stecken sie dich in die Lade „Ute Bock mit Piercing", als Mann
wirst du für ein zu groß gewachsenes Depperl gehalten, und alle
warten darauf, dass du beim nächsten Satz zu stottern oder zu
zuzeln beginnst. Also immer fest tarnen und täuschen, wenn du
Sonderschullehrerin bist.
Zurück zum fiktiven Frühlingsfest des Nachbarn.
-- Und was tun Sie so?
-- Primär schlafen, fernschauen, essen und trinken. Sie nicht?
-- (Hohoho, hahaha) Ich meine beruflich.
-- Inklusions- und Integrationspädagogik.
-- Aha, interessant.
-- Ja.
-- Und wo, wenn ich fragen darf? An einem größeren Institut?
-- Kann man so sagen.
Weil wir gerade dabei sind: Seit 2015 heißt das, was früher „Sonderschule"
hieß und später in „Sonderpädagogisches Zentrum"
(SPZ) umgetauft wurde (ohne dass sich außer dem Türschild
groß etwas geändert hätte), nein, nicht wieder Sonderschule,
sondern „Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik" (ZIS)
- freilich auch, ohne dass sich dabei groß etwas geändert hätte.
Nicht, dass diese jetzt für mehr oder weniger Kinder zuständig
wären9; nicht, dass sich die Klientel in einer ZIS anders zusammensetzen
würde als vorher in einem SPZ (gefühlte 99 Prozent
Zuwanderer-Kinder); nicht, dass Gymnasien jetzt mehr als
früher mit Integrations- oder gar Inklusionsklassen aushelfen
würden (gerade einmal ein Dutzend AHS-I-Klassen gibt es im
Land). Hauptsache, das Stiefkind bekommt alle paar Jahre einen
neuen Namen.10
Es ist wie bei den Schultypen. Früher Volksschule, Hauptschule,
Gymnasium. Aus. Heute: VS, BRG, BRWG, HS, WMS,
NMS, SPZ, ZIS, Poly, FMS, BS, BHS, BMS, BHMS. Früher Kochen.
Heute „Ernährung und Hauswirtschaft". Früher „Turnen".
Heute wie gesagt „Bewegung und Sport". Nachdem es zwei Generationen
lang „Leibesübungen" geheißen hat, und dabei hat
noch nie einer NICHT Turnen dazu gesagt. Oder Musik, also
korrekt „Musikerziehung", ME. Man darf gespannt sein, ab
wann ME nicht mehr Musik heißen wird, sondern so etwas wie
„Tonhaftes Erleben und Wiedergeben".
Aber zurück zum Stottern. Ist uns Lehrerinnen durchaus bekannt.
Allerdings bringen heutzutage nicht wir unsere Schüler
zum Stottern, sondern umgekehrt sie uns.
Integrationsklasse einer NMS. Zeichenstunde.
-- Jacqueline, nicht dass ich prüde bin, aber ...
-- Was sind Sie nicht?
-- Egal jetzt. Was ich sagen will, ist: Ich nehme es locker, dass
du seit Schulanfang nur Kreise malst, egal, welches Thema
wir haben, aber warum nennst du sie jedes Mal „Sexecks"?
-- Sie haben ja gesagt, wir sollen unsere Zeichnungen sigan...
sigin... beschriften.
-- Okay, du nennst deine Kreise also Sechsecke. Das meinst
du ja vermutlich, Sechsecke, mit ch und in der Mehrzahl
mit e und nicht mit s.
-- Das sind keine Ecken und das sind auch keine Sechsecke,
Oida, das ist Bier!
-- ?
-- Na, sechs Dosen. Sexecks. Ich finde das den urgeilen Namen.
-- Sie meint Sixpacks, Herr Lehrer.
-- Kusch, Oida! Und schleimen brauchst bei dem da vorn
auch nicht!
-- Jacqueline, ich mach dir einen Vorschlag: Du bringst ab jetzt
ein bisschen Abwechslung in dein künstlerisches OEuvre, dafür
kriegst du für deine Zeichnungen ab jetzt einen eigenen
Künstlernamen. „Sixpack". Was hältst du davon?
-- Voll super! Das muss ich am Abend dem Heimleiter sagen,
dass Sie mir das erlauben. Der nimmt mir das Bier nämlich
immer weg, er sagt, ich bin jetzt schon ein Alki.
-- Nein, das musst du am Abend deinem Heimleiter nicht sagen,
Jacqueline, besser, wir machen das anony... geheim.
-- Haben Sie vielleicht Angst vor meinem Heimleiter? Oida!
Der hat Angst vor meinem Heimleiter! Voll der Lulu da
vorn ...!
So in etwa beginnen die später im Text beschriebenen Schlachten
hinter verschlossenen Türen, überhaupt, wenn sich alle Beteiligten
bereits in einer achten oder neunten UE befinden. Für
Nichtlehrer: Schultage werden in UEs (Unterrichtseinheiten)
und nicht in Stunden angegeben, weil Unterrichtsstunden ja nur
50 Minuten dauern. Die erste UE beginnt - Schulautonomie hin,
Schulautonomie her - in 90 Prozent aller Schulen um 08.00 Uhr,
die zehnte endet also knapp vor Christa Kummer. In diesem Fall:
Nomen est omen. Denn zu dieser Zeit wehen alle noch Anwesenden
nur noch auf Halbmast.
Überhaupt, wenn der Tag schon eher mau angefangen hat:
Bereits um sieben der Kampf um die eine Kaffeemaschine. Ab
halb acht der Kampf mit dem einen Kopiergerät. Und spätestens
ab dreiviertel acht der Kampf gegen das eine Telefon. Es läutet,
und keine deiner Kolleginnen greift zum Hörer. Dann steht aber
plötzlich deine Chefin neben dir und schaut dich an mit diesem
Blick, bei dem dir sowieso immer ganz hm wird, und schon hast
du den Hörer in der Hand.
Grüß G... - Aha. Wen suchen Sie? - Von wem die Mutter? - Jovani...
wie? Welche Klasse? - Eine dritte oder vierte Klasse. Mehr
wissen Sie nicht? - Gut. Und wen suchen Sie jetzt? - Grabauer, sagen
Sie? Tut mir leid, gibt es bei uns nicht. Meinen Sie vielleicht den
Herrn Glattauer? Das wäre ich nämlich selb... - Nein? Eine Frau.
Aha! Die Frau Grohmann, vielleicht? - Gruber? - Weissenberger?
- Auch nicht. Moment. Ich frage einmal eine der Kolle... Wie?
Sie sind von der Schule angerufen worden? Okay, Moment! (Ruf
ins Lehrerinnenzimmer: Hat wer von euch eine Mutter angerufen,
dritte oder vierte Klasse ...? Alle schauen gleichzeitig weg.
Du wiederholst die Frage, einige Kolleginnen stehen auf, gehen
aus dem Zimmer, andere beginnen zu smsen.) Nein, tut mir leid,
meine Kolleginnen können mir jetzt leider auch nicht weiterhelfen,
aber vielleicht kann ich ... wenn Sie mir nur sagen würden ... -
Nein, ich bin nicht der Hausmeister.
Zehnte Einheit also. Zeichenstunde. Irgendwann rückt Kevin
mit einem Problem heraus, an dem er offenbar sehr intensiv gekiefelt
hat, gezeichnet hat er nämlich bis dahin nichts:
-- Wie viel verdienen Sie eigentlich, Herr Lehrer?
-- Glaub mir, Kevin, das willst du gar nicht wissen.
-- Weniger als 1500 Euro, stimmt's? Ich mein, netto.
-- Woher kennst du plötzlich den Ausdruck netto? Und ... wie
kommst du jetzt auf weniger als 1500?
-- Ich hab gehört, wie die Frau Professor Löschnak mit der
Frau Professor Friedl über Sie gesprochen hat. Die Lösch...
Fraufessor Löschnak hat gesagt, Sie sind arm, weil Sie weniger
als 1500 verdienen, obwohl Sie schon so alt sind.
-- Wenn die L... Frau Professor Löschnak das gesagt hat ...
-- Mein Vater sagt, wer weniger als 1500 Euro verdient und
trotzdem arbeiten geht, ist selber schuld.
-- „Selber schuld", hat dein Vater gesagt?
-- Eigentlich hat er was anderes gesagt.
-- Aha? Und was?
-- Er hat „Trottel" gesagt.
Und weil wir jetzt schon bei Trottel sind: Im März 2015 widmete
der „lustigste Lehrer Österreichs"11, nämlich mein Kollege und
Kabarettist Markus Hauptmann, seine Kolumne in meiner Lieblingsgewerkschaftszeitung
(mit dem geilen Namen „APSFSG")
thematisch den regelmäßig zweitschönsten Momenten eines
schnöden Lehrerinnenlebens - den Lehrer-Konferenzen.
So nach 4 bis 8 Stunden (gemeint: Konferenz) ist dann endlich ein
Ende in Sicht. Jeder ist schon am Sprung, sofern er nicht vor lauter
Langeweile, mit dem Gesicht voraus, ohnmächtig unter dem
Tisch liegt. Aber es ist doch irgendwie ein Licht am Ende des
Tunnels zu sehen. Und in diesem Moment spricht dann die Frau
Direktor/der Herr Direktor die verhängnisvollen Sätze: Kommen
wir nun zum Allfälligen. Möchte noch irgendjemand etwas sagen?
Und wir alle wissen: Es gibt noch gaaanz viele Irgendjemande,
die noch gaaaanz dringend irgendetwas sagen wollen.
(...) Eine der Kolleginnen steht auf und regt an, dass die Kinder
einmal die Lehrer beurteilen sollen. Ich hab das auch einmal probiert.
Ich habe einmal die Schüler einer zweiten Klasse gebeten,
mich schriftlich zu beurteilen. Ich habe das aber relativ bald abgebrochen,
nachdem mich ein Kind gefragt hat, wie man „Trottel"
schreibt ...
4 Der Lehrer in der Gummizelle
2010: Schulautonomie war noch nicht einmal ein Schlagwort,
die NMS ein pädagogisches Küken, Modellregionen für eine
„gemeinsame Schule" Zukunftsmusik und die Notwendigkeit
einer Bildungsreform nur in den Köpfen von ein paar gefährlichen
Spinnern wie dem Ex-Finanzminister und Industriellen
Hannes Androsch, Nationalbankdirektor Claus Raidl, Caritas-
Präsident Michael Landau vorhanden bzw. als Forderung in
den Schlachtplänen subversiver Banden wie der Industriellenvereinigung,
der Arbeiterkammer, des Rechnungshofs, der katholischen
Sozialakademie, der Diakonie, des AMS usw. - da
besuchte Österreichs damals noch nicht weißhaariger Langzeit-,
inzwischen Ex-Kanzler Werner Faymann eine Neue Mittelschule,
und zwar den damals schon sehr spärlich sprießenden
gymnasialen Teil der Angelegenheit.12 Die Redakteurin des
„Standard" war zufällig auch dort und protokollierte den Frontbesuch
später in ihrem Blatt13: „An diesem Donnerstag herrscht
in der 1B ,Stationenbetrieb‘. Offenes Lernen zum Thema ,Winter
und Weihnachten‘. Die Kinder übersetzen ,Rudolph the red-
nosed Reindeer‘ (...) und basteln Rentiere aus Papier - bis der
berühmte Mann im Klassenzimmer auftaucht."
Ein solches Szenario kommt der gelernten Lehrerin bekannt
vor. Auch bei uns herrscht für gewöhnlich Stationenbetrieb,
wenn „schulfremde Personen" auf Besuch kommen. Da machen
wir nicht groß Unterschiede zwischen den weniger schulfremden
(wenn zum Beispiel an Tagen der halboffenen Türen die Kolleginnen
von der Volksschule mit ihren lieben Kleinen kommen)
oder den doch ziemlich schulfremden wie Journalistinnen oder
eben Politikerinnen. Allerdings geriete unsere nichtgymnasiale
Klientel bei dem Versuch, „Rudolph the rednosed Reindeer" zu
übersetzen, spätestens nach dem Wort „Rudolf " schwer ins Trudeln
und brächte damit den ganzen Stationenbetrieb zum Erliegen.
Wir leben damit. „My name is Kevin, I am thirteen" ist
für das Leben draußen schließlich auch nicht nichts, überhaupt,
wenn Kevin wirklich „thirteen" sagt und nicht „thirty" oder „förti"
oder „dörti", oder was auch immer dabei rauskommt, wenn
man seine Zunge nicht ordentlich zwischen die Schneidezähne
fläzt, sondern sonstwohin.
-- Herr Lehrer, der Ali hat zu mir fick dich gesagt!
-- Hab ich nicht, du Schlampe, ich hab fick gesagt. Fick and
fin.
-- ?
-- Manuela, krieg dich wieder ein, Ali wollte dick und dünn
sagen.
-- Was, beleidigen soll ich mich auch noch lassen, und Sie sagen
ihm nicht einmal was ...!?
Weiter im Schulreport mit dem Kanzler. „Es braucht nur eine
kurze Stippvisite durchs Lehrerzimmer, damit der Kanzler im
Gespräch mit ein paar Lehrern und Schülern berichten kann:
,Das Zimmer der Lehrer ist zu klein.‘ (...) ,Darauf wollte ich Sie
ansprechen‘, sagt eine Lehrerin. ,Es ist wirklich schwierig (...) Ich
mache ein Heft auf, und meine Kollegin muss ihren Tisch räumen,
weil ich ihn zur Hälfte abdecke.‘"
Worauf ich damit hinauswill: 125.000 Lehrerinnen - das bedeutet
125.000 Tragikomödien, in denen die Hauptdarsteller -
noch einmal: das sind neben den Schülern die Lehrerinnen dort,
denn sie sind es, die täglich die Bühnen betreten müssen, die die
Schulwelt bedeuten - nicht selten am Rande des Nervenzusammenbruchs
stehen. Wie eine Online-Befragung unter aufgerundet
tausend Pflichtschullehrerinnen ergab, fühlt sich ein Drittel
von ihnen von Burn-out bedroht. Zehn Prozent „sehr stark",
weitere zwölf Prozent „stark". Nur knapp mehr als ein Drittel,
36 Prozent, gab an, „kein Risiko" zu verspüren. Als Hauptgrund
für die ungewöhnlich hohe Burn-out-Rate nannte die Studie -
Lärm.
Lärm wie solchen von Majka zum Beispiel. Majka, 13, ist
stimmlich eine Kreuzung von Mausi Lugner und Birgit Sarata
mit einem Schuss Helmut Zilk. Majka spricht nicht, sie sprudelt
und tost. Wie ein Wasserfall. Ohne Unterlass. Und mit gefühlten
100 bis 200 Dezibel. Wenn Majka zu sprech fallen beginnt,
kommt man sich vor wie auf der „Maid of the Mist" unter den
Niagarafällen. Gesegnet also jedes Jahr der Winter mit seinen
die Stimmbänder attackierenden grippalen Infekten. Leider sind
gegen die Kehlkopf-Kombi Lugner/Sarata/Zilk sogar Viren und
Bakterien chancenlos:
-- Majka, ich habe gehört, du hast Husten und Halsweh und
kannst kaum spr...
-- Geht-schon-stellen-Sie-sich-vor-was-mir-vorhin-passiertist-
Sie-kennen-doch-Jessica-aus-der-4A-Jessica-hat-einen-
Brud...
26
-- Au!
-- Tut-Ihnen-was-weh? Dann-müssen-Sie-nämlich-soforteine-
Tasse-Tee-meine-Mutter-sagt ...
-- Majka! Du! Du tust mir weh! Solltest du nicht deinen kranken
Hals schonen? Weißt du eigentlich, dass es Menschen
gibt, die du anstecken könntest, wenn du sie ununterbrochen
vollquatscht?
-- Ich-hab-geglaubt-gute-Lehrer-freuen-sich-wenn-ihre-Schüler-
trotzdem-in-die-Schule-kommen-wenn-sie-krank-sindund
...
-- Nein, Majka. Gute Lehrer freuen sich nicht, wenn kranke
Kinder trotzdem in die Schule kommen. Definitiv nicht.
Spätestens gegen Ende des ersten Semesters drehst du dann
durch und wirst unhöflich. Majka, schweig! Majka, aus! Majka,
kusch! Wobei, kusch sagst du als Pädagogin natürlich nicht.
Nie.
Echt nicht.
Auf „derstandard.at" fand sich eines schönen Sommers ein Bericht,
der über Umwege dem „New Yorker" entnommen war. Titel:
„Gummizelle für Lehrer". Hier ein Auszug:
Sie spielen Karten und Schach, lesen Zeitschriften, schlafen oder
plaudern einfach mit ihren Kollegen über Gott und die Welt. Rund
600 Lehrer in New York sehen kein Klassenzimmer mehr von innen.
Stattdessen sind sie zum Nichtstun in oft fensterlosen, im
Sommer überhitzten und im Winter überheizten Zimmern ohne
Ventilation und mit niedrigen Decken verdammt. Telefonieren,
am Computer arbeiten oder Musik hören ist untersagt.
Das sind die berühmt-berüchtigten „Rubber rooms". Täglich
treffen sich hier kaltgestellte Lehrer, verbringen sieben Stunden
am Tag, monatelang, manche über Jahre, voll bezahlt und gelangweilt.
Der Grund für die ungewöhnliche Disziplinierung: Sie
dürfen wegen Verfehlungen nicht mehr unterrichten und warten
auf ihre Verhandlung. (...) Dort zu enden ist ein zunehmendes
Problem für die 140.000 Lehrer in der Millionenmetropole. Die
Zahl der suspendierten Lehrer verdoppelte sich seit 2004. Die
Disziplinierung kommt den Steuerzahler teuer zu stehen. Hunderttausend
Dollar kostet ein einjähriger Aufenthalt in einem
„Rubber room" im Schnitt, rechnen Experten. Insgesamt gibt das
Schulsystem jährlich etwa 65 Millionen Dollar für die suspendierten
Lehrer aus. Kritiker argwöhnen, dass die Stadtregierung die
„Rubber rooms" auch eingerichtet hat, um Lehrer dazu zu bringen,
selbst zu kündigen. Doch die wenigsten tun dies. Viele fühlen
sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und abgeschoben.
Sei es, dass sie schon lange im Dienst sind und New Yorks Bildungsverantwortliche
die Lehrerschaft verjüngen wollen. Sei es,
dass sie für einen omnipotenten Rektor zu kritisch waren oder
ihrem Frust in der Klasse freien Lauf ließen. Einem Insassen des
„Lehrer-Knasts", so die New Yorker Tageszeitung [New York Daily
News], sei das Wort „fuck" während des Unterrichts rausgerutscht.
(...)
Ein „fuck" also. Hm. Da könnte man sich über ein schlankes
„Kusch!" auch drübertrauen ...
Im prophylaktischen Kampf gegen die „Gummizelle" setzen
Lehrerinnen unserer Breiten auf den Kuraufenthalt. Über die
Landesgrenzen hinaus bekannt ist die „Medizinisch-psychosomatische
Klinik Roseneck" am Chiemsee in Bayern. 200 Lehrerinnen
(auch aus Österreich) landen dort jährlich zum Zweck
der psychischen Generalüberholung. Es sind nicht nur Lehrerinnen
aus Problemschulen. Gymnasiallehrerinnen sind genau-
so vertreten wie Volksschul- oder Hauptschullehrerinnen. Die
meisten um die 50 Jahre alt. „Wer hierher kommt, hat eine im
Schnitt achtjährige Leidenszeit hinter sich", sagt Prof. Andreas
Hillert, Psychiater, Psychotherapeut und Chefarzt an der Schön-
Klinik Roseneck. Im Internet stößt man auf eine bemerkenswerte
Analyse des Arztes und Buchautors („Burnout - Zeitbombe
oder Luftnummer?", Schattauer-Verlag) über den Ist-Zustand:
LehrerInnen sind in der ambulanten wie der stationären Psychotherapie
als Patienten auffallend häufig. Ärzte und Therapeuten
wissen dies seit vielen Jahren, offen darüber gesprochen wurde
darüber eher selten. (...) In der medizinisch-psychosomatischen
Klinik Roseneck werden im Jahr mehr als 200 LehrerInnen behandelt.
Damit stellen sie die mit Abstand größte Berufsgruppe.
Diagnostisch liegen bei den meisten dieser Patienten depressive
Störungen vor, gefolgt von somatoformen Störungen (subjektiv
erlebten körperlichen Beschwerden ohne nachweisbare medizinische
Ursache), Angststörungen und Tinnitus („Ohrpfeifen").
Mehrheitlich gehen diese LehrerInnen davon aus, dass berufliche
Belastungen in erheblichem Ausmaß zu ihren Beschwerden beitrugen.
Auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht) bis 4 (sehr stark)
wird die diesbezügliche Frage mit 3,3, die Parallelfrage zu privaten
Belastungen signifikant niedriger mit 2,7 beantwortet. Auch
bei der subjektiven Bewertung aktueller Probleme und Konfliktbereiche
steht die Arbeitsbewältigung deutlich vor Partnerschaft
und Familie. Diese Konstellation wird dadurch akzentuiert, dass
im beruflichen Bereich kaum Möglichkeiten gesehen werden,
hier selber positive Veränderungen bewirken zu können."
In Zeitungsinterviews plaudert der Psychotherapeut aus der
Schule. Er weiß von einem Lehrer, der die letzten Jahre an einer
Schule verbracht habe, an der „man nach einem Jahr schon viel
erreicht hätte, wenn sich bestimmte Schüler für ihr Zuspätkommen
wenigstens entschuldigen würden"; er berichtet von einer
Lehrerin, die erzählt, dass in ihrer Stunde einmal ein Schüler
aufgestanden sei, die Hosen heruntergelassen und zu onanieren
begonnen habe; bei einer Volksschullehrerin seien die Eltern eines
Schülers wochenlang Sturm gelaufen, weil sie eine Empfehlung
für das Gymnasium nicht hatte abgeben wollen. Dann sei
ihr der eigene „Chef " in den Rücken gefallen, usw.
Manchmal genügt es, „Österreich heute" zu schauen. Da rügt
die lang gediente HaSch-Lehrerin eine 17-jährige Schülerin, die
sich an der Tafel dermaßen gebärdet hat, dass sie sie für zumindest
angeglüht hält, etwa so: Sag, bist du betrunken? Es kommt zu
einem Wortwechsel, in dessen Verlauf das gegorene Früchtchen
den Spieß umdreht: Ich soll betrunken sein? Ich glaub, Sie sind betrunken!
Dann fallen unschöne Worte, dem Vernehmen nach auf
beiden Seiten. Ein paar Stunden und Klassen später steht dann
der Vater des Mädchens vor der Lehrerin. Für sie war das Thema
eigentlich längst beendet, doch dann lag plötzlich ihre Brille
auf dem Boden, das Blut rann ihr über das Gesicht und ein paar
Stunden später fand sie sich im Krankenhaus wieder. Kopfwunde!
Gehirnerschütterung! Geschehen in Salzburg. Der Fall war
wie gesagt sogar im Fernsehen. Die Schülerin: Schulwechsel. Die
Lehrerin: Alles wie gehabt. Weil ehrlich, wohin soll sie wechseln
mit 50+?
Wie die weitsichtige Lehrerin rechtzeitig gegensteuert? Zum
Beispiel mit regelmäßigen Beiträgen für eine gedeihliche Eltern-
Lehrerinnen-Beziehung. Und mag die auch noch so sehr Fiktion
sein. Lesen Sie über den erstaunlichen Selbstversuch im nächsten
Kapitel!
© Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co
... weniger
Autoren-Porträt von Nikolaus (Niki) Glattauer
Glattauer, NikiNiki Glattauer, lebt als Lehrer und Buchautor in Wien und ist Vater zweier Schulkinder. Seine Bücher stehen regelmäßig monatelang auf den Bestsellerlisten, "Mitteilungsheft: Leider hat Lukas ..." wurde mit dem österreichischen "Buchliebling 2014" prämiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nikolaus (Niki) Glattauer
- 2016, 224 Seiten, Maße: 14,3 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Verlag Kremayr & Scheriau
- ISBN-10: 3218010411
- ISBN-13: 9783218010412
- Erscheinungsdatum: 06.09.2016
Kommentar zu "Best of Schule"
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Best of Schule".
Kommentar verfassen