Bevor der Abend kommt
Verzweifelt macht sich Cindy Carver auf die Suche nach ihrer Tochter Julia. Das bildschöne Mädchen träumte von der großen Karriere und war eines Tages plötzlich verschwunden. Und Cindy weiß ganz genau: Wenn sie ihre Tochter lebend wieder sehen will, zählt...
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Verzweifelt macht sich Cindy Carver auf die Suche nach ihrer Tochter Julia. Das bildschöne Mädchen träumte von der großen Karriere und war eines Tages plötzlich verschwunden. Und Cindy weiß ganz genau: Wenn sie ihre Tochter lebend wieder sehen will, zählt jetzt jede Sekunde.
Der neue, packende Psycho-Thriller von Bestsellerautorin Joy Fielding: Spannung vom Feinsten - von der ersten bis zur letzten Seite!
Der verzweifelte Versuch einer Mutter, ihre spurlos verschwundene Tochter wiederzufinden, wird zu einem Wettlauf mit der Zeit.
Joy Fieldings Romane verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum 7 Millionen Mal.
Bevor der Abend kommt vonJoy Fielding
LESEPROBE
Der Morgen begann wie so oft mit einem Streit. Als es späterwichtig wurde, sich an den genauen Ablauf der Ereignisse zu erinnern und daran,wie alles so mühelos außer Kontrolle geraten war, sollte Cindy angestrengtversuchen, sich zu vergegenwärtigen, worüber genau sie und ihre ältere Tochtergestritten hatten. Den Hund, die Dusche, die bevorstehende Hochzeit ihrerNichte - alles würde völlig belanglos klingen, nicht wert, dass man laut wurdeund erhöhten Blutdruck bekam. Ein Schwall von Worten, der über ihre Köpfehinwegwehte wie ein plötzlicher Sturm, Schäden verursachte, die Fundamente aberintakt ließ. Jedenfalls bestimmt nichts Außergewöhnliches. Der Beginn einesnormalen Tages. Zumindest hatte es da noch so ausgesehen.
(Regieanweisung: Cindy in dem schmuddeligen grünblauenFrottébademantel, den sie sich gekauft hatte, kurz nachdem Tom gegangen war,kommt aus ihrem Schlafzimmer und trocknet sich ihr kinnlanges, braunes Haar ab;Julia am anderen Ende des Flures im ersten Stock, ein gelb-weiß gestreiftesHandtuch um den Körper gewickelt, läuft vor der Badezimmertür zwischen ihremZimmer und dem ihrer Schwester auf und ab, Ungeduld brodelt aus ihremgertenschlanken, ein Meter achtzig langen Körper wie Lava aus einem Vulkan;Elvis, der permanent struppige, apricotfarbene Wheaten-Terrier, den Julia beiihrem Wiedereinzug zu Hause vor knapp einem Jahr mitgebracht hat, bellt undhüpft in die Luft schnappend neben ihr hoch.)
»Heather, was in Gottes Namen machst du da drinnen?« Juliahämmerte an die Badezimmertür, erhielt keine Antwort und hämmerte erneut.
»Hört sich an, als würde sie duschen«, bemerkte Cindy undbereute noch im selben Moment, sich überhaupt eingemischt zu haben.
Julia starrte ihre Mutter unter dem Mob ihrer aschblondenHaare hinweg an, die sie jeden Morgen mühsam glatt föhnte, um jede Andeutungihrer natürlichen Locken zu tilgen. »Offensichtlich.«
Cindy staunte, dass ein Wort so viel Gehässigkeittransportieren, so viel Verachtung mitteilen konnte. »Ich bin sicher, sie istgleich fertig.«
»Sie ist schon seit einer halben Stunde da drinnen. Und fürmich ist dann kein heißes Wasser mehr übrig.«
»Es ist bestimmt noch jede Menge heißes Wasser da.«
Julia schlug mit der Faust ein drittes Mal gegen dieBadezimmertür.
»Hör auf, Julia. Wenn du nicht aufpasst, machst du sie nochkaputt.«
»Ja, klar. Als ob ich eine Tür einschlagen könnte.« Wie zumBeweis hämmerte sie erneut gegen die Tür.
»Julia «
»Mutter «
Patt, dachte Cindy. Wie üblich. So war es zwischen ihnenbeiden gewesen, seit Julia zwei Jahre alt war und sich gesträubt hatte, dasweiße Rüschenkleid anzuziehen, dass Cindy ihr zum Geburtstag gekauft hatte.Selbst nachdem Cindy ihre Niederlage eingestanden und ihr erklärt hatte, siekönne anziehen, was sie wolle, hatte die störrische Kleine sich geweigert, anihrer eigenen Party teilzunehmen.
Mittlerweile waren neunzehn Jahre vergangen, Julia war einundzwanzig,und nichts hatte sich geändert.
»Bist du mit dem Hund draußen gewesen?«, fragte Cindy.
»Wann hätte ich denn das machen sollen?«
Cindy gab sich Mühe, den sarkastischen Unterton in derStimme ihrer Tochter zu überhören. »Nach dem Aufstehen, so wie es sich gehört.«
Julia verdrehte ihre großen grünen Augen zur Decke.
»Wir hatten eine Abmachung«, erinnerte Cindy sie.
»Ich gehe später mit ihm raus.«
»Er ist schon die ganze Nacht hier drinnen eingesperrt.Wahrscheinlich muss er dringend raus.«
»Er kommt schon klar.«
»Ich will keine weiteren Unfälle.«
»Dann geh du doch mit ihm«, fauchte Julia. »Ich bin nichtgerade passend gekleidet für einen Spaziergang.«
»Sei nicht so stur.«
»Sei nicht so anal.«
»Julia «
»Mutter «
Patt.
Julia schlug mit der flachen Hand gegen die Badezimmertür.»Okay, Schluss jetzt. Alle raus aus dem Becken.«
Cindy empfand die Schwingung von Julias Hand auf der Tür wieeine Ohrfeige. Sie fasste sich an die Wange und spürte das Brennen. »Dasreicht, Julia. Sie kann dich nicht hören.«
»Das macht sie absichtlich. Sie weiß, dass ich heute einwichtiges Casting habe.«
»Du hast ein Casting.«
»Für Michael Kinsolvings neuen Film. Er ist wegen desFilmfestivals in der Stadt und hat sich zu einem Casting für junge Talente ausder Gegend bereit erklärt.«
»Das ist ja toll.«
»Dad hat es arrangiert.«
Cindy zwang sich zu einem Lächeln mit zusammengebissenenZähnen.
»Du machst es schon wieder.« Julia imitierte den gequältenGesichtsausdruck ihrer Mutter. »Wenn du jedes Mal einen Anfall kriegst, wennich Dad erwähne «
»Ich kriege keinen Anfall.«
»Die Scheidung ist jetzt sieben Jahre her, Mom. Komm drüberweg.«
»Ich versichere dir, dass ich gründlich über deinen Vaterweg bin.«
Julia zog eine ihrer dünnen, sorgfältig gezupftenAugenbrauen hoch. »Wie auch immer, sie suchen eine Unbekannte, waswahrscheinlich heißt, dass jedes Mädchen in Nordamerika die Rolle haben will.Heather, Herrgott noch mal«, brüllte Julia, während die Dusche stotterndversiegte. »Du bist nicht die Einzige, die hier wohnt!«
Cindy starrte auf den dicken cremefarbenen Läufer. Es warnoch nicht ganz ein Jahr her, dass Julia beschlossen hatte, nach sieben JahrenZusammenleben mit ihrem Vater, zu ihrer Mutter und ihrer Schwesterheimzukehren, und das auch nur, weil die neue Frau ihres Vaters zu verstehengegeben hatte, dass das 450-Quadratmeter-Penthouse mit Seeblick für drei Personenzu klein war. Julia hatte ihrer Mutter ebenso deutlich gemacht, dass sie nurvorübergehend und aus finanzieller Notwendigkeit wieder zu Hause eingezogen warund sich eine eigene Wohnung nehmen würde, sobald ihre geplanteSchauspielkarriere begonnen hatte. Cindy hatte ihre Tochter dankbar mit offenenArmen aufgenommen, um die verpasste Zeit, all die verlorenen Jahrewettzumachen, dass sogar der Anblick von Julias widerspenstigem, auf denWohnzimmerteppich pinkelndem Hund ihre anfängliche Begeisterung nicht dämpfenkonnte.
Die Tür zu Heathers Zimmer ging auf, und ein Teenager ineinem knielangen lila Nachthemd mit kleinen rosa Herzchen blinzelte verschlafenin den Flur. Zarte lange Finger schoben ungebändigte Locken aus dem schmalenBotticelli-Gesicht und rieben die sommersprossengesprenkelte Stupsnase. »Wasist denn das für ein Lärm?«, fragte das Mädchen, während Elvis hochsprang, umihr Kinn abzulecken.
»Oh, verdammt noch mal«, murmelte Julia wütend, als sie ihreSchwester sah, und trat mit dem nackten Fuß gegen die Badezimmertür. »Duncan,beweg deinen knochigen Arsch da raus.«
»Julia «
»Mutter «
»Duncans Arsch ist nicht knochig«, meinte Heather.
»Ich kann nicht glauben, dass ich zu spät zu meinem Castingkomme, weil der schwachsinnige Freund meiner Schwester meine Dusche benutzt.«
»Es ist nicht deine Dusche, er ist nicht schwachsinnig, under wohnt schon länger hier als du«, protestierte Heather.
»Ein Riesenfehler«, sagte Julia und sah ihre Muttervorwurfsvoll an.
»Sagt wer?«
»Dad.«
Cindys Lippen verzogen sich mechanisch zu dem künstlichenLächeln, mit dem sie jede Erwähnung ihres Ex-Mannes kommentierte. »Damit fangenwir jetzt lieber nicht an.«
»Fiona findet das auch«, beharrte Julia. »Sie sagt, sie kannnicht verstehen, was dich geritten hat, ihn hier einziehen zu lassen.«
»Ich hoffe, du hast dem dämlichen Spatzenhirn gesagt, siesoll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.« Die wütenden Worte drängtenförmlich über Cindys Lippen, selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie sienicht zurückhalten können.
»Mom!« Heather riss entsetzt ihre dunkelblauen Augen auf.
»Also wirklich, Mutter«, sagte Julia und verdrehte ihregrünen Augen erneut zur Decke.
Es war das »wirklich«, was Cindy den Rest gab. Es traf siewie ein Pfeil ins Herz, und sie musste sich an der Wand abstützen. Und alswollte auch er noch dringend seinen Kommentar abgeben, hob Elvis ein Bein undpinkelte gegen die Badezimmertür.
»Oh nein!«
Cindy starrte ihre ältere Tochter wütend an.
»Guck mich nicht so an. Du warst schließlich diejenige, diegeflucht und ihn damit so aufgeregt hat.«
»Mach es einfach weg.«
»Ich habe keine Zeit, es wegzumachen. Mein Vorsprechterminist um elf Uhr.«
»Es ist halb neun!«
»Du hast ein Casting?«, fragte Heather ihre Schwester.
»Michael Kinsolving ist zum Filmfestival in der Stadt undhat beschlossen, ein paar Schauspielerinnen von hier für seinen neuen Film zucasten. Dad hat es arrangiert.«
»Cool«, meinte Heather, und erneut verzogen sich CindysLippen zu einem frostigen Lächeln.
Die Badezimmertür ging auf und entließ eine Dampfwolke inden Flur, gefolgt von der großen, schlanken Gestalt Duncan Rossis. Seine dunkleHaare fielen ihm in die verschmitzten braunen Augen, und er trug nichts weiterals ein kleines weißgelbes Handtuch um die Hüften und ein schräges Lächeln imGesicht. Rasch verschwand er in dem Zimmer, das er sich seit beinahe zweiJahren mit Cindys jüngerer Tochter teilte. Die ursprüngliche Verabredung warnatürlich gewesen, dass er einen leeren Raum im Keller bezog, ein Arrangement,das ganze drei Monate gehalten hatte. Weitere drei Monate leugneten alleBeteiligten das Offensichtliche, nämlich dass Duncan sich in Heathers Zimmerschlich, sobald Cindy eingeschlafen war, um morgens wieder zurückzuschleichen,bevor sie aufwachte, bis schließlich alle aufhörten, sich etwas vorzumachen,ohne dass Duncans endgültiger Umzug in den ersten Stock je erwähnt worden wäre.
In Wahrheit hatte Cindy kein Problem damit, dass Heather undDuncan miteinander schliefen. Duncan war ihr ehrlich sympathisch, er warrücksichtsvoll und hilfsbereit im Haus und hatte es sogar geschafft, seininneres Gleichgewicht und seine gute Laune zu bewahren, als auf der anderenSeite des Flurs der Mahlstrom namens Julia eingezogen war. Sowohl Duncan als auchHeather waren nette, verantwortungsbewusste Jugendliche, die seit ihrem erstenJahr auf der Highschool zusammen waren und seither von Heirat gesprochenhatten.
Das war das Einzige, was Cindy bisweilen wirklich Sorgenmachte.
Manchmal betrachtete sie Duncan und ihre Tochter, währenddie beiden beim Frühstück Zeitung lasen - Honey Nut Cheerios für ihn, CinnemonToast Crunch für sie - und dachte, dass die beiden beinahe zu vertraut undgesetzt miteinander waren. Sie staunte, dass Heather sich so bereitwillig aufein sicheres und fast spießiges Leben einließ, und fragte sich, ob es etwasdamit zu tun hatte, dass sie ein Scheidungskind war. »Warum hat sie es soeilig, sich zu binden? Sie ist erst neunzehn. Sie geht aufs College. Sie solltesich durch die Gegend schlafen«, hatte Cindy ihren Freundinnen neulich zu derenEntsetzen anvertraut. »Na ja, wann soll sie es denn sonst machen?«, hatte siehinzugefügt und dabei an ihre eigene unfreiwillige Enthaltsamkeit gedacht.
Cindy konnte die Affären, die sie seit ihrer Scheidunggehabt hatte, an einer Hand abzählen, zwei in der unmittelbaren Folge von Tomsabrupter Entscheidung, sie wegen einer anderen Frau zu verlassen, einer Frau,die er dann für eine dritte Frau sitzen gelassen hatte, als seine Scheidung vonCindy rechtskräftig wurde. Sieben Jahre voller anderer Frauen, dachte Cindyjetzt, und jede jünger und aufgetakelter als ihre Vorgängerin. Torten imDutzend billiger, dachte sie und spürte, wie sie die Zähne aufeinander biss.Und dann kam die kleine Fiona, das frischeste Törtchen von allen. Verdammt, siewar bloß acht Jahre älter als Julia, noch nicht einmal eine Torte, sondern bloßein Keks!
© in der Verlagsgruppe Random House
Übersetzung: Kristian Lutze
Autoren-Porträt von Joy Fielding
Schon mitacht Jahren wollte Joy Fieldingnichts anderes als Schriftstellerin werden. Ihre erste Story allerdings, diesie damals an eine Magazin schickte, wurde abgelehnt. In der Highschool- und College-Zeit verfolgte sie ihr Ziel weiter. Mit demPsychothriller "Lauf, Jane, lauf" gelang ihr der internationale Durchbruch. Joy Fielding lebt mit ihrem Mannund ihren beiden Töchtern in Toronto.
Interview mit JoyFielding
In "Bevorder Abend kommt" verschwindet Julia, die 21-jährige Tochter von CindyCarver, plötzlich und ohne eine Spur zu hinterlassen. Für Cindy beginnt damitein Albtraum, doch am Ende geht sie gestärkt aus der Geschichte hervor. GlaubenSie, dass solche extremen Erlebnisse einen Menschen reifen lassen?
Ja, ich glaube, Extremsituationen können eine solche Entwicklungzur Folge haben. Man kann aber durchaus auch eine starke Persönlichkeit sein,ohne solche Situationen durchlebt zu haben. Wenn man ein Mensch ist, der leichtvergisst, wirkt eine extreme Erfahrung möglicherweise nur eine bestimmte Zeitlang nach, ohne dass man sich wirklich verändert. Wahrscheinlicher aber ist,dass ein extremes Erlebnis einen entweder stärker macht - oder zerstört. DerVerlust eines Kindes etwa kann einen Menschen ruinieren. Er kann aber auchseine Stärke zum Vorschein bringen, obwohl sich ein solcher Verlust natürlichnie völlig überwinden lässt. Wenn man ein Kind verliert, geht immer auch einStück von einem selbst verloren. Für immer.
"Bevor derAbend kommt" ist der erste Ihrer Romane, der in Ihrer Heimatstadt Torontospielt. Wie kommt es, dass Sie nach vielen Romanen "in" den USA jetztnach Toronto "zurückkehren"?
Ich hatte einfach das Gefühl, dass die Zeit reif dafür war, eineGeschichte in Toronto anzusiedeln. Bei uns gibt es zum Beispiel jedes Jahr das InternationaleFilmfestival - ein wunderbarer Hintergrund für eine Story! Toronto ist eine hochinteressante Stadt, und es gibt nicht viele Romane, die hier spielen. Undnatürlich hat mir diese Wahl manches erleichtert. Ich kenne die Stadt.Andererseits, wenn es dann ins Detail geht, merkt man, dass man Straßennamennicht kennt oder über Einbahnstraßen nicht Bescheid weiß. Gebäude, deren Namenman zu kennen glaubte, heißen gar nicht so, wie man immer dachte. In derToronto Reference Library zum Beispiel bin ich vorhernoch nie gewesen. Als ich sie betrat, war sie eine komplett neue Welt für mich.Auf diese Weise habe ich meine Heimatstadt neu entdeckt.
Und Toronto passte einfach hervorragend zur Story. Ich versucheimmer, die Handlungsorte so zu wählen, dass sie zur Geschichte passen. Vielemeiner früheren Romane spielen in großen amerikanischen Städten, wo sichMenschen sehr leicht verlieren können, oft isoliert und entfremdet leben. Diese"Landschaft" der amerikanischen Großstädte war perfekt für das, wasich erzählen wollte. In Toronto habe ich mich einfach immer zu wohl gefühlt.Ich hatte nie das Gefühl, dass man sich hier in derselben Art und Weiseverlieren könnte. Als ich mit "Bevor der Abend kommt" begann, dachteich: "Ja, jetzt ist die Zeit für Toronto gekommen." Das Filmfestivalals Hintergrund passte, und auch die Frau, die ihre Stadt kennt und liebt - bisihre Tochter plötzlich verschwindet und sie überhaupt nichts mehr weiß. Durchdie Suche nach ihrem Kind erfährt sie schließlich, wer sie selbst eigentlichist.
Sie leben mitIhren beiden Töchtern und Ihrem Mann in Toronto, Ihre ältere Tochter beginntgerade, als Schauspielerin zu arbeiten. So gibt es einige Parallelen zu"Bevor der Abend kommt". Identifizieren Sie sich mit IhrenProtagonisten? Lassen sich wirkliche und fiktionale Welt immer problemlosauseinanderhalten?
Natürlich verwende ich Motive und Erfahrungen aus meinem Lebenauch als Stoff für meine Bücher. Und ich identifiziere mich auch mit meinenCharakteren. Ich versuche immer, ihnen so viel von mir zu geben, wie ich kann.Aber ich verwechsle niemals Fiktion und Realität. Ich weiß, wer ich bin, undich weiß, wer meine Charaktere sind. Ich kontrolliere alles in ihrer Welt. Siebedrohen mich nicht, ich verliere mich nicht in ihnen. Manchmal helfen sie mir,Probleme anzugehen, die irgendwo in meinem Kopf herumspuken und nach einerLösung verlangen. Natürlich lerne ich sehr viel über mich, während ich an einemBuch arbeite. Noch mehr erfahre ich aber, wenn ich zurückschaue, meine Bücherlese und feststelle, dass mich ein Thema lange Zeit beschäftigt hat, ohne dassich es selbst so deutlich gemerkt hätte. Ich fange meine Bücher ja nicht miteinem Vorsatz an wie "Jetzt untersuche ich Entfremdung" oder"Dieses Mal geht es mir um die Suche nach dem Selbst". Aber es gibt,egal wie der Plot im Detail aussieht, im Hintergrund immer bestimmte Themenoder Fragen, die für mich beim Schreiben wichtig sind.
Ja, natürlich habe ich eine Tochter, die auch Schauspielerinwerden möchte und ziemlich genau aussieht wie Julia. Aber sie ist nicht Julia!Julia ist ein bisschen wie meine Tochter, aber sie ist auch auf monströse Weisemit sich selbst verstrickt - was auf meine Tochter zum Glück nicht zutrifft,die zwar auch viel mit sich beschäftigt ist, aber eben nicht mehr, als es für eineschöne, junge Frau in ihrem Alter normal ist. Sie ist kein Monster - meistensjedenfalls nicht.
Ist das Schreibenein Vergnügen für Sie oder bedeutet es vor allem Arbeit?
Meistens freue ich mich aufs Schreiben. Es macht mir Spaß - aberes ist auch harte Arbeit. Ich sitze dann vier, sechs oder mehr Stunden pro Tagam Computer und stehe ziemlich unter Druck. Es gilt ja, aus nichts etwas zumachen, etwas zu erfinden, was noch nicht existiert. Manchmal weiß ich nicht,wie eine Geschichte weitergehen soll, und da werde ich natürlich ziemlichunruhig. Aber letztlich kann ich mir nichts vorstellen, was mir mehr Spaßmachen würde. Es ist ein herrlicher Luxus, mir meine Zeit frei einteilen zukönnen - um dann eine Story zu erfinden! Und das Schreiben lässt auch Raum fürandere Dinge im Leben, zum Beispiel das Reisen. Ich habe es immer geliebt, mitPuppen zu spielen und sie in eine Geschichte einzubinden. Ja, das Schreibenmacht mir immer noch sehr, sehr viel Spaß!
In "Bevorder Abend kommt" spielt auch das Toronto Filmfestival eine Rolle. DieProtagonistin Cindy antwortet auf die Frage, was für Filme sie mag: Sex undGewalt. Teilen Sie ihre Vorlieben?
Ja, das ist Joy Fielding,die da aus Cindy spricht. Ich gehe jedes Jahr zum Filmfestival. Dieses Jahrhabe ich innerhalb von sieben oder acht Tagen 25 Filme gesehen. Es warherrlich, obwohl nur die Hälfte der Filme wirklich gut war. Aber ja, ich magFilme, in denen es um Sex und Gewalt geht. Keine Splatter-Filmenatürlich, und auch viele Filme, in denen es um Sex geht, sind nicht wirklicherfreulich.
In "Schlafnicht, wenn es dunkel wird" sieht sich die Krankenschwester Terry Painter zunehmend von ihrer jungen Untermieterin bedroht.Das Buch knistert geradezu vor Spannung, die Atmosphäre erinnert beinahe aneinen Hitchcock-Film. Haben Sie manchmal einen Film vor Augen, wenn Sie IhreBücher schreiben?
Ein Roman erscheint mir oft wie ein langsam in Bildern und Szenenentstehender Film. Hitchcock schätze ich sehr. Ich glaube, er war es auch, der einmalgesagt hat: Entweder man schockiert die Leute, oder man baut eine Spannung auf.Ein Schock ist nur ein kurzer Augenblick, eine Spannung entwickelt sich dagegensehr langsam. Das behutsame Aufbauen von Spannung ist in der Regel, glaube ich,die bessere, erfolgreichere Methode. Ich möchte, dass der Leser die Bedrohunglangsam immer näher kommen fühlt. Aber man braucht auch Schocks. In "Schlafnicht, wenn es dunkel wird" gibt es beides, die untergründige Spannung und dieSchockmomente. Manchmal werden meine Bücher mit Hitchcock-Filmen verglichen,und dann fühle ich mich natürlich sehr geschmeichelt.
Ihre Bücher sind echte"page turner".Mögen Sie es sonst auch spannend?
Ehrlich gesagt, suche ich Spannungen nicht besonders. Natürlichgibt es trotzdem immer wieder welche, aber mir wäre meist lieber, sie wärennicht da. Aber wenn ich mir einen Film anschaue oder ein Buch lese, dann sucheich die Spannung. Sie ist der Grund dafür, dass man weitersieht oder -liest.Mich interessieren schwierige Situationen. Ich möchte sehen, wie die Charakteresie zu lösen versuchen. Und wenn sie interessant genug sind, dann bleibe ichauch dran, will sehen, was sie tun und was mit ihnen geschieht.
Im "wirklichen Leben" gibt es Menschen, die es schaffen,dass sich permanent irgendwelche Dramen um sie herum abspielen. Solche Menschenbetrachte ich lieber aus der Ferne. Natürlich ist es wunderbar, mitinteressanten Menschen zu tun zu haben, und manchmal sind darunter eben auchsolche, die Dramen anziehen. Aber die können ziemlich anstrengend sein. Ich habelieber mit Leuten zu tun, die mir das Leben erleichtern, und nicht mit solchen,die es noch komplizierter machen.
In Ihren Roman gehtes oft nur vordergründig um ein Verbrechen. Die wirkliche Hauptrolle spielt meistdie Psyche der jeweiligen Protagonisten. Wie entwickeln Sie solche Geschichten?
Ein Buch, das einen wirklich fesseln soll, braucht ein Geheimnis,um das sich alles dreht, ein Verbrechen oder irgendein mysteriöses Geschehen.Hinter dieses Geheimnis will man dann unbedingt kommen. Das Interessante fürmich als Autorin ist, vor diesem Hintergrund die Charaktere und ihren Alltag zuentwickeln. Um auch den Leser für meine Protagonisten und ihr Leben zuinteressieren, muss ich ihn aber zunächst für den Plot begeistern, für dasGeheimnis hinter der Geschichte. Wenn das gelingt, kann ich mir die Zeitnehmen, ihm meine Figuren und ihre Psyche nahe zu bringen.
Sie leben inToronto, haben jedoch auch einen Wohnsitz in Palm Beach, Florida. Was schätzenSie dort jeweils?
Toronto ist die Stadt, in der ich geboren wurde, die ich sehr gutkenne, in der ich immer gelebt habe. Es ist wirklich eine wunderbare Stadt!Aber sie hat auch einen verdammt langen Winter. Das Wetter in Florida ist danatürlich viel schöner - obwohl es zuletzt ja vier desaströseHurricanes in Folge gab! Palm Beach ist einfach einerder schönsten Orte der Welt, mit seinen Palmen, dem Meer, der Sonne und dem diamantblauenHimmel. Und die Luft riecht dort so wunderbar! Sobald ich in Florida ankomme, entspanneich. Ich liebe das ganzjährig warme Wetter, ich bin kein Winter-Typ. Und allesgeht viel langsamer, das Leben fühlt sich an wie ein immer währender Urlaub.
Gestern sprachich mit Joachim Fest, dem Hitler-Biografen, der einmal gesagt hat: "Das FaktumHitler ist anthropologisch." Er meinte damit, dass - die entsprechendenhistorischen Bedingungen vorausgesetzt - der Ausbruch einer Barbarei, wie sieDeutschland in der Nazizeit erlebt hat, prinzipiell jederzeit wieder möglichsei. Auch Sie ergründen in Ihren Romanen Abgründe der menschlichen Seele.Stimmen Sie der Einschätzung von Joachim Fest zu?
Ja. Überall auf der Welt geschieht immer wieder Ähnliches. DenkenSie an den Völkermord in Ruanda. Das Potenzial für so etwas ist immer da. Unddann gibt es auch immer wieder schwierige Zeiten, in denen sich viele einenSündenbock wünschen, dem man alles Negative anlasten kann. Ja, es gibt dasBöse, und es gibt menschliche Monster. Einige von ihnen werden als Monstergeboren, aus anderen machen wir Monster. Denken Sie an Kinder, die von Geburtan missbraucht und geschlagen werden und die so von Anfang an keine Chancehaben, sich als Menschen zu entwickeln. Das trifft aber, glaube ich, auf Hitlernicht zu, obwohl ich nicht genug über seine Kindheit weiß. Wirklich interessantan Hitler ist für mich weniger, dass es ein Wesen wie ihn gab, sondernvielmehr, dass eine Gesellschaft existierte, die ihn seinem Wesen gemäß hat wirkenlassen.
Die Fragenstellten Roland Große Holtforth, literaturtest.de.
- Autor: Joy Fielding
- 2003, 416 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Kristian Lutze
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442457343
- ISBN-13: 9783442457342
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