Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2
Thriller | Kate Burkholder ermittelt bei den Amischen: Band 2 der SPIEGEL-Bestseller-Reihe. Deutsche Erstausgabe
Sie töteten alle Mitglieder der Familie Plank. Die Leichen des Vaters und der beiden Söhne fand man im Wohnhaus, die der Mutter und des Babys auf dem Weg zur Scheune. Doch niemand war auf das vorbereitet, was sie in der Scheune fanden. Die beiden...
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Produktinformationen zu „Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2 “
Sie töteten alle Mitglieder der Familie Plank. Die Leichen des Vaters und der beiden Söhne fand man im Wohnhaus, die der Mutter und des Babys auf dem Weg zur Scheune. Doch niemand war auf das vorbereitet, was sie in der Scheune fanden. Die beiden Mädchen, gefoltert und misshandelt. Die Familie gehörte zur amischen Gemeinde in Painters Mill, Ohio, sie lebten getreu ihren Glaubensgrundsätzen von Schlichtheit und Bescheidenheit, waren gottesfürchtige Leute. Fernab von den Verführungen der Zivilisation. Oder enthüllt das Tagebuch der ältesten Tochter eine andere Wahrheit? Spannungsgeladen und aufregend: Auch der zweite Thriller mit Polizeichefin Kate Burkholder ist Nervenkitzel pur. Ein Thriller, der Gänsehaut garantiert!
Klappentext zu „Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2 “
Sie töteten alle Mitglieder der Familie Plank. Die Leichen des Vaters und der beiden Söhne fand man im Wohnhaus, die der Mutter und des Babys auf dem Weg zur Scheune. Doch niemand war auf das vorbereitet, was sie in der Scheune fanden. Die beiden Mädchen, gefoltert und misshandelt. Die Familie gehörte zur amischen Gemeinde in Painters Mill, Ohio, sie lebten getreu ihren Glaubensgrundsätzen von Schlichtheit und Bescheidenheit, waren gottesfürchtige Leute. Fernab von den Verführungen der Zivilisation. Oder enthüllt das Tagebuch der ältesten Tochter eine andere Wahrheit?Spannungsgeladen und aufregend: Auch der zweite Thriller mit Polizeichefin Kate Burkholder ist Nervenkitzel pur. Ein Thriller, der Gänsehaut garantiert!
Lese-Probe zu „Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2 “
Blutige Stille von Linda Castillo1. KAPITEL
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Die letzte Tasse Kaffee hätte Officer Chuck »Skid« Skidmore sich besser sparen sollen. Und es wäre ja auch bei nur einer geblieben, würde im Diner nicht Brandy arbeiten, die neue Kellnerin. Verdammt süß, die Kleine! Also hatte er seine gesamte Pause an der Theke abgesessen und sich mit Koffein vollgepumpt wie ein Zehnjähriger mit Kool-Aid. Was Brandy ziemlich gut zu gefallen schien, denn sie hatte ihm ständig nachgeschenkt und ihn mit ihrem Girlie-Geplauder und üppigem Dekolleté unterhalten.
Seit ihn Chief Burkholder vor zwei Monaten zur Nachtschicht eingeteilt hatte, aß er jeden Abend im LaDonna's Diner. Er hasste es, nachts zu arbeiten, respektierte aber die Entscheidung seiner Vorgesetzten. Aber er wollte unbedingt wieder zurück zur Tagschicht.
Skid bog mit dem Streifenwagen in die Hogbath Road ab, einem einsamen Stück Landstraße, die von Norden her von Miller's Woods und südlich von einem Maisfeld begrenzt wurde. Mit knirschenden Reifen blieb er auf dem Schotterstreifen am Rand stehen und suchte im Handschuhfach nach seinen Marlboro Lights, als sich knisternd das Funkgerät meldete.
»Drei-Zwei-Vier. Bist du 10-8? Pause zu Ende?«
Mona arbeitete nachts in der Telefonzentrale und war der einzige Mensch, mit dem er sich um diese Zeit unterhalten konnte - jedenfalls nach Betriebsschluss des Diners. Sie hatte ihn viele Nächte vor dem Tod durch Langeweile bewahrt. »Ja, bin im Dienst.«
»Und, hast du mit ihr geredet?«
»Korrekt.«
»Habt ihr euch verabredet?«
Skid stieß die Tür auf, um den Streifenwagen nicht vollzuräuchern, und zündete sich eine Zigarette an. »Also das geht dich doch wirklich nichts an.«
»Du bist doch derjenige, der seit zwei Monaten von nichts anderem redet.«
»Sie ist zu jung für mich.«
»Seit wann hat dich das je gestört?«
»Du blockierst die Leitung.«
Mona lachte. »Du bist ein Feigling.«
Er zog an seiner Zigarette und wünschte, ihr nie davon erzählt zu haben, dass er in Brandy verknallt war. »Wie du meinst.« »Rauchst du etwa?«
Lautlos formte er das Wort Scheiße.
»Du hast gesagt, du hörst auf.«
»Ich hab gesagt, ich höre entweder mit dem Trinken oder dem Rauchen auf. Aber ganz bestimmt nicht mit beidem auf einmal.« Er inhalierte tief. »Schon gar nicht, wenn ich zur Nachtschicht verdonnert bin.«
»Vielleicht ist der Chief ja noch sauer wegen der alten Dame, die du verprügelt hast.«
»Ich hab sie nicht verprügelt. Die alte Kuh war stockbesoffen.« »Sie war zweiundsechzig Jahre alt.«
»Und splitterfasernackt.«
Mona kicherte. »Du kriegst immer die besten Einsätze.«
»Erinner mich bloß nicht daran. Der Anblick ihres runzligen Arsches hat bei mir bleibende Schäden hinterlassen.« Er seufzte, von seiner Blase daran erinnert, warum er überhaupt angehalten hatte. »Ich geh jetzt mal pinkeln.«
»So genau wollte ich es nun auch nicht wissen.« Sie legte auf.
Grinsend stieg Skid aus. Die Grillen verstummten, als er um den Wagen zum Straßengraben ging. Trockene Maisstängel raschelten in der leichten Brise, und ein voller Oktobermond tauchte das hohe Getreidesilo und Scheunendach einer nahe gelegenen Amisch-Farm in gelbes Licht. Es war so still, dass er sogar das Quakkonzert der Frösche vom vierhundert Meter entfernten Wildcat Creek hören konnte. Skid erleichterte sich und versuchte, nicht an die lange Nacht zu denken, die vor ihm lag. Er würde mit der Chefin reden. Er hatte die Nase voll von diesem Geisterstunden-Job. Er wollte wieder tagsüber arbeiten.
Er zog gerade den Reißverschluss zu, als ihn ein seltsames Geräusch aufhorchen ließ. Das klingt wie der Ruf eines Kälbchens nach seiner Mutter, dachte er, oder wie ein jaulender Hund, der von einem Auto angefahren worden ist. Doch als das Geräusch wiederkehrte, wusste er, dass es weder das eine noch das andere war. Seine Nackenhaare sträubten sich. Irgendwo da draußen schrie ein Mann.
Die Hand auf der .38er im Hüftholster, suchte sein Blick die Gegend jenseits des flüsternden und seufzenden Maisfeldes ab. Der dritte Schrei versetzte ihn endgültig in Panik. »Was zum Teufel ...?«
Er riss die Tür des Streifenwagens auf, beugte sich hinein, stellte das Blaulicht an und ließ die Sirene ein paar Mal aufheulen. Dann tastete er nach dem Ansteckmikrophon an seinem Kragen und drückte drauf.
»Mona, bin hier draußen in der Nähe der Plank-Farm. Hab ein 10-88.« Das war der Code für verdächtige Aktivitäten.
»Was ist passiert?«
»Irgendein Irrer schreit wie am Spieß.«
»Seltsam.« Sie schwieg einen Moment. »Wer ist es?«
»Keine Ahnung, aber ich glaube, es kommt vom Haus. Ich fahr hin und sehe mal nach.«
»Verstanden.«
Skid stieg in den Wagen, fuhr los und bog auf die Schotterstraße ein, die zum Haus führte. Die Planks waren Amische, und die Amischen lebten für gewöhnlich ruhig und zurückgezogen.
Die meisten begannen ihr Tagewerk vor Sonnenaufgang und waren im Bett, bevor andere Leute ihr Abendessen beendet hatten. Skid konnte sich niemanden vorstellen, der um diese Uhrzeit noch draußen sein könnte, um Lärm zu machen. Wenn zu dieser Stunde jemand so rumschrie, war es entweder ein besoffener Teenager in seiner Rumspringa - der Zeit, die man Jugendlichen zum Austoben zugestand, bevor sie der Glaubensgemeinschaft beitraten -, oder es hatte einen Unfall gegeben.
Auf halber Strecke zum Haus tauchte aus dem Schatten plötzlich ein Mann auf der Straße auf, und Skid musste voll abbremsen. Der Wagen schlingerte und verfehlte ihn nur knapp. »Verdammte Scheiße!«
Der Mann tastete sich am Wagen entlang und blieb mit den Händen auf der Motorhaube stehen, die Augen so groß wie Tennisbälle. Skid kannte ihn nicht, doch der volle Bart und flachkrempige Hut zeigten eindeutig, dass er der Amisch-Gemeinde angehörte. Er schob den Schalthebel auf Parken und stieg aus. »Was zum Teufel machen Sie denn da? Ich hätte Sie fast überfahren!«
Der Mann atmete schwer und zitterte wie Espenlaub, und obwohl es Oktober war, glänzten seine Wangen schweißnass. Skid fragte sich, ob er vielleicht auf einem Drogentrip war.
»Mein Gott!«, sagte der Mann auf Pennsylvaniadeutsch.
Skid verstand den Dialekt der Amischen nicht, was in dem Fall völlig unwichtig war, so verängstigt wie der Kerl schien. Ganz egal, was hier vor sich ging, er durfte diesen abgedrehten Typen keinesfalls näher kommen lassen. Wer wusste schon, ob er auf Crack war oder irgendwo ein Messer einstecken hatte. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck, Kumpel. Und die Hände bleiben da, wo ich sie sehen kann.«
Der Mann hob die Hände. Er zitterte noch immer, was selbst aus zwei Metern Entfernung nicht zu übersehen war. Seine Brust hob und senkte sich, und es waren Tränen - kein Schweiß -, die auf seinen Wangen glänzten. »Wie heißen Sie?«, fragte Skid.
»Reuben Zimmerman!«, stieß er hervor.
Angst und Entsetzen standen ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Mund bewegte sich, aber es kamen keine Worte heraus.
»Beruhigen Sie sich, Sir. Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Zimmerman zeigte zum Farmhaus, wobei seine Hand flatterte wie eine Fahne im Wind. »Amos Plank. Die Kinder. Da ist überall Blut. Sie sind tot!«
Der Typ war bestimmt verrückt. »Wie viele Leute?«
»Ich weiß es nicht. Ich hab ... Amos und die Jungen gesehen. Auf dem Fußboden. Tot. Ich bin weggelaufen.«
»Sonst haben Sie niemanden gesehen?«
»Nein.«
Skid blickte zum Farmhaus. Es lag still da, alle Fenster waren dunkel. Er drückte auf sein Ansteckmikrophon. »Mona, ich hab vielleicht ein 10-16 hier.« 10-16 stand für häusliche Gewalt. »Ich sehe mir das mal an.«
»Meinst du die Planks?«
»Korrekt.«
»Soll ich das Sheriffbüro anrufen, dass sie einen Deputy schicken?«
»Ich guck mir das erst mal selber an. Kannst du Reuben Zimmerman durch LEADS laufen lassen?« LEADS war die Abkürzung für eine Datenbank der Polizeibehörden, in der alle noch nicht vollzogenen Haftbefehle aufgelistet waren.
»Verstanden.« Im Hintergrund hörte er das Klappern einer Tastatur. »Sei vorsichtig, ja?«, sagte Mona.
»Klar.«
Skid wollte so schnell wie möglich zum Haus und forderte den Mann auf, die Hände wieder auf den Wagen zu legen.
Zimmerman wirkte irritiert. »Ich hab nichts Verbotenes gemacht.«
»Das ist Vorschrift. Ich taste Sie ab, und die Handschellen sind zu Ihrem und zu meinem Schutz. Okay?«
Als wäre ihm klar, dass er keine Wahl hatte, drehte Zimmer-man sich um und stützte die Hände auf den Streifenwagen. Skid tastete ihn rasch ab, Taschen, Socken und sogar zwischen den Beinen. Dann legte er ihm die Handschellen an. »Was machen Sie um diese Uhrzeit hier draußen?«
»Ich helfe beim Melken. Die Arbeit fängt um vier Uhr an.« »Und ich dachte immer, meine Arbeitszeit wäre beschissen.« Der Mann sah ihn verwirrt an.
»Vergessen Sie's.« Skid öffnete die hintere Wagentür und ließ ihn einsteigen. »Auf geht's.«
Er selbst glitt hinters Steuer, startete den Motor und fuhr los. Im Rückspiegel sah er Staub aufwirbeln, der im Schein des Rücklichts rot leuchtete, und vor ihm zeichneten sich die Umrisse des massiven Farmhauses und Getreidesilos in der einsetzenden Morgendämmerung ab. Von dieser Bilderbuchfarm hätte Skid nun wirklich keine Probleme erwartet. Er lebte schon seit vier Jahren in Painters Mill, und abgesehen von ein paar unbedeutenden Ordnungswidrigkeiten - einmal hatten sich zwei Jungen mit ihren Buggys auf der Hauptstraße ein Rennen geliefert -, waren die Amischen nahezu perfekte Bürger. Aber Skid war schon lange genug Polizist, um zu wissen, dass es für jede Regel auch Ausnahmen gab.
Vor dem Haus parkte er hinter dem Buggy, wobei sein Scheinwerfer das »Langsam fahrendes Vehikel«-Schild anleuchtete. Das Wohngebäude zu seiner Rechten lag im Dunkeln, und es sah nicht so aus, als wäre schon jemand darin aufgestanden. Er wandte sich Zimmerman zu. »Wie sind Sie reingekommen?«
»Die Hintertür ist nicht abgeschlossen«, antwortete er.
Skid griff sich die Stablampe und stieg aus. Auf dem Weg holte er seine .38er aus dem Holster. Auf der hinteren Veranda klopfte er mit der MagLite an die Tür. »Hier ist die Polizei«, rief er. »Machen Sie auf.«
In dem Moment fiel sein Blick auf die dunkle Schmiere am Türknauf. Er richtete den Strahl der Lampe darauf. Es sah aus wie Blut. Ein Handabdruck. Skid leuchtete über die Veranda. Da war noch mehr Blut. Dunkle Tropfen glänzten im Schein des Mondes. Auf den Stufen führten blutige Fußspuren hinunter zum Gehweg, der zur Scheune führte.
»Mist!« Skid drehte den Knauf und stieß die Tür auf. Mit klopfendem Herzen betrat er die Küche. Adrenalin durchflutete seinen Körper, und die Adern unter der Haut pulsierten wie Gleichstrom. »Hier ist die Polizei«, rief er wieder. »Mr und Mrs Plank?«
Das Haus war so still und dunkel wie ein Film aus den zwanziger Jahren. Skid wünschte, es gäbe irgendwo einen Lichtschalter, und verfluchte die Ablehnung der Amisch-Leute von modernem Komfort. Graues Mondlicht fiel durch das Fenster über der Spüle, ließ einfache Holzschränke und einen Tisch mit blauweiß karierter Decke erkennen, in dessen Mitte eine dunkle Laterne stand.
»Hallo? Hier ist die Polizei. Ist jemand zu Hause?« Auf halbem Weg durch die Küche bemerkte er den unangenehmen Geruch, der aber nicht an vergammelte Lebensmittel, Müll oder Haustiere erinnerte, sondern an ein verstopftes Klo.
Skid betrat das Wohnzimmer. Hier war der Gestank noch intensiver. Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken, als der Strahl seiner Taschenlampe auf eine Männergestalt fiel. Ein Ami-scher in blauem Arbeitshemd, Hosen mit Hosenträgern, auf dem Bauch liegend, der zur Seite gedrehte Kopf in einer tellergroßen Blutlache.
»Verdammte Scheiße.«
Skid starrte den Mann wie gebannt an. Er hatte eine große Wunde am Hinterkopf, Blut sickerte von seinem linken Ohr in den Vollbart und tropfte weiter in die Lache auf dem Boden. Seine blutige Zunge hing aus dem offenen Mund wie eine fette Schnecke.
Er hoffte, dass Zimmerman sich in der Anzahl der Opfer geirrt hatte und dort hinten auf dem Boden Wäsche zum Flicken lag; oder Futterbeutel, die jemand aus der Scheune hereingeholt hatte. Doch die Hoffnung wurde zunichtegemacht, als im Schein der Lampe zwei weitere leblose Körper sichtbar wurden. Ein Halbwüchsiger, der schwarze Hosen mit Hosenträgern trug. Und ein kleiner, rothaariger Junge, der in einer so großen Lache Blutes lag, dass sie unmöglich aus diesem schmächtigen Kinderkörper stammen konnte. Beiden hatte man in den Hinterkopf geschossen. Beiden hatte man die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Skid sah sofort, dass sie tot waren, das musste er nicht noch überprüfen.
Er war schon seit fast zehn Jahren Polizist, zuerst in Ann Arbor, Michigan, und jetzt hier in Painters Mill. Er hatte schon einige Tote gesehen, bei Autounfällen, Schusswechseln oder Messerstechereien. Doch nichts hatte ihn auf diesen Anblick hier vorbereitet.
»Großer Gott.« Er tastete nach seinem Ansteckmikrophon, überrascht, wie sehr seine Hand zitterte. »Mona, ich bin im Farmhaus der Planks. Ruf den Chief an. Sag ihr, hier hat's ein Blutbad gegeben, mit mehreren Toten. Alle erschossen.« Seine Stimme versagte. »Scheiße.«
»Brauchst du einen Krankenwagen?«
Er sah in die starren Augen und auf die riesige Blutlache und wusste, dass er den Anblick so schnell nicht vergessen würde. »Schick nur den Coroner, Mona. Für die hier kommt jede Hilfe zu spät.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Die letzte Tasse Kaffee hätte Officer Chuck »Skid« Skidmore sich besser sparen sollen. Und es wäre ja auch bei nur einer geblieben, würde im Diner nicht Brandy arbeiten, die neue Kellnerin. Verdammt süß, die Kleine! Also hatte er seine gesamte Pause an der Theke abgesessen und sich mit Koffein vollgepumpt wie ein Zehnjähriger mit Kool-Aid. Was Brandy ziemlich gut zu gefallen schien, denn sie hatte ihm ständig nachgeschenkt und ihn mit ihrem Girlie-Geplauder und üppigem Dekolleté unterhalten.
Seit ihn Chief Burkholder vor zwei Monaten zur Nachtschicht eingeteilt hatte, aß er jeden Abend im LaDonna's Diner. Er hasste es, nachts zu arbeiten, respektierte aber die Entscheidung seiner Vorgesetzten. Aber er wollte unbedingt wieder zurück zur Tagschicht.
Skid bog mit dem Streifenwagen in die Hogbath Road ab, einem einsamen Stück Landstraße, die von Norden her von Miller's Woods und südlich von einem Maisfeld begrenzt wurde. Mit knirschenden Reifen blieb er auf dem Schotterstreifen am Rand stehen und suchte im Handschuhfach nach seinen Marlboro Lights, als sich knisternd das Funkgerät meldete.
»Drei-Zwei-Vier. Bist du 10-8? Pause zu Ende?«
Mona arbeitete nachts in der Telefonzentrale und war der einzige Mensch, mit dem er sich um diese Zeit unterhalten konnte - jedenfalls nach Betriebsschluss des Diners. Sie hatte ihn viele Nächte vor dem Tod durch Langeweile bewahrt. »Ja, bin im Dienst.«
»Und, hast du mit ihr geredet?«
»Korrekt.«
»Habt ihr euch verabredet?«
Skid stieß die Tür auf, um den Streifenwagen nicht vollzuräuchern, und zündete sich eine Zigarette an. »Also das geht dich doch wirklich nichts an.«
»Du bist doch derjenige, der seit zwei Monaten von nichts anderem redet.«
»Sie ist zu jung für mich.«
»Seit wann hat dich das je gestört?«
»Du blockierst die Leitung.«
Mona lachte. »Du bist ein Feigling.«
Er zog an seiner Zigarette und wünschte, ihr nie davon erzählt zu haben, dass er in Brandy verknallt war. »Wie du meinst.« »Rauchst du etwa?«
Lautlos formte er das Wort Scheiße.
»Du hast gesagt, du hörst auf.«
»Ich hab gesagt, ich höre entweder mit dem Trinken oder dem Rauchen auf. Aber ganz bestimmt nicht mit beidem auf einmal.« Er inhalierte tief. »Schon gar nicht, wenn ich zur Nachtschicht verdonnert bin.«
»Vielleicht ist der Chief ja noch sauer wegen der alten Dame, die du verprügelt hast.«
»Ich hab sie nicht verprügelt. Die alte Kuh war stockbesoffen.« »Sie war zweiundsechzig Jahre alt.«
»Und splitterfasernackt.«
Mona kicherte. »Du kriegst immer die besten Einsätze.«
»Erinner mich bloß nicht daran. Der Anblick ihres runzligen Arsches hat bei mir bleibende Schäden hinterlassen.« Er seufzte, von seiner Blase daran erinnert, warum er überhaupt angehalten hatte. »Ich geh jetzt mal pinkeln.«
»So genau wollte ich es nun auch nicht wissen.« Sie legte auf.
Grinsend stieg Skid aus. Die Grillen verstummten, als er um den Wagen zum Straßengraben ging. Trockene Maisstängel raschelten in der leichten Brise, und ein voller Oktobermond tauchte das hohe Getreidesilo und Scheunendach einer nahe gelegenen Amisch-Farm in gelbes Licht. Es war so still, dass er sogar das Quakkonzert der Frösche vom vierhundert Meter entfernten Wildcat Creek hören konnte. Skid erleichterte sich und versuchte, nicht an die lange Nacht zu denken, die vor ihm lag. Er würde mit der Chefin reden. Er hatte die Nase voll von diesem Geisterstunden-Job. Er wollte wieder tagsüber arbeiten.
Er zog gerade den Reißverschluss zu, als ihn ein seltsames Geräusch aufhorchen ließ. Das klingt wie der Ruf eines Kälbchens nach seiner Mutter, dachte er, oder wie ein jaulender Hund, der von einem Auto angefahren worden ist. Doch als das Geräusch wiederkehrte, wusste er, dass es weder das eine noch das andere war. Seine Nackenhaare sträubten sich. Irgendwo da draußen schrie ein Mann.
Die Hand auf der .38er im Hüftholster, suchte sein Blick die Gegend jenseits des flüsternden und seufzenden Maisfeldes ab. Der dritte Schrei versetzte ihn endgültig in Panik. »Was zum Teufel ...?«
Er riss die Tür des Streifenwagens auf, beugte sich hinein, stellte das Blaulicht an und ließ die Sirene ein paar Mal aufheulen. Dann tastete er nach dem Ansteckmikrophon an seinem Kragen und drückte drauf.
»Mona, bin hier draußen in der Nähe der Plank-Farm. Hab ein 10-88.« Das war der Code für verdächtige Aktivitäten.
»Was ist passiert?«
»Irgendein Irrer schreit wie am Spieß.«
»Seltsam.« Sie schwieg einen Moment. »Wer ist es?«
»Keine Ahnung, aber ich glaube, es kommt vom Haus. Ich fahr hin und sehe mal nach.«
»Verstanden.«
Skid stieg in den Wagen, fuhr los und bog auf die Schotterstraße ein, die zum Haus führte. Die Planks waren Amische, und die Amischen lebten für gewöhnlich ruhig und zurückgezogen.
Die meisten begannen ihr Tagewerk vor Sonnenaufgang und waren im Bett, bevor andere Leute ihr Abendessen beendet hatten. Skid konnte sich niemanden vorstellen, der um diese Uhrzeit noch draußen sein könnte, um Lärm zu machen. Wenn zu dieser Stunde jemand so rumschrie, war es entweder ein besoffener Teenager in seiner Rumspringa - der Zeit, die man Jugendlichen zum Austoben zugestand, bevor sie der Glaubensgemeinschaft beitraten -, oder es hatte einen Unfall gegeben.
Auf halber Strecke zum Haus tauchte aus dem Schatten plötzlich ein Mann auf der Straße auf, und Skid musste voll abbremsen. Der Wagen schlingerte und verfehlte ihn nur knapp. »Verdammte Scheiße!«
Der Mann tastete sich am Wagen entlang und blieb mit den Händen auf der Motorhaube stehen, die Augen so groß wie Tennisbälle. Skid kannte ihn nicht, doch der volle Bart und flachkrempige Hut zeigten eindeutig, dass er der Amisch-Gemeinde angehörte. Er schob den Schalthebel auf Parken und stieg aus. »Was zum Teufel machen Sie denn da? Ich hätte Sie fast überfahren!«
Der Mann atmete schwer und zitterte wie Espenlaub, und obwohl es Oktober war, glänzten seine Wangen schweißnass. Skid fragte sich, ob er vielleicht auf einem Drogentrip war.
»Mein Gott!«, sagte der Mann auf Pennsylvaniadeutsch.
Skid verstand den Dialekt der Amischen nicht, was in dem Fall völlig unwichtig war, so verängstigt wie der Kerl schien. Ganz egal, was hier vor sich ging, er durfte diesen abgedrehten Typen keinesfalls näher kommen lassen. Wer wusste schon, ob er auf Crack war oder irgendwo ein Messer einstecken hatte. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck, Kumpel. Und die Hände bleiben da, wo ich sie sehen kann.«
Der Mann hob die Hände. Er zitterte noch immer, was selbst aus zwei Metern Entfernung nicht zu übersehen war. Seine Brust hob und senkte sich, und es waren Tränen - kein Schweiß -, die auf seinen Wangen glänzten. »Wie heißen Sie?«, fragte Skid.
»Reuben Zimmerman!«, stieß er hervor.
Angst und Entsetzen standen ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Mund bewegte sich, aber es kamen keine Worte heraus.
»Beruhigen Sie sich, Sir. Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Zimmerman zeigte zum Farmhaus, wobei seine Hand flatterte wie eine Fahne im Wind. »Amos Plank. Die Kinder. Da ist überall Blut. Sie sind tot!«
Der Typ war bestimmt verrückt. »Wie viele Leute?«
»Ich weiß es nicht. Ich hab ... Amos und die Jungen gesehen. Auf dem Fußboden. Tot. Ich bin weggelaufen.«
»Sonst haben Sie niemanden gesehen?«
»Nein.«
Skid blickte zum Farmhaus. Es lag still da, alle Fenster waren dunkel. Er drückte auf sein Ansteckmikrophon. »Mona, ich hab vielleicht ein 10-16 hier.« 10-16 stand für häusliche Gewalt. »Ich sehe mir das mal an.«
»Meinst du die Planks?«
»Korrekt.«
»Soll ich das Sheriffbüro anrufen, dass sie einen Deputy schicken?«
»Ich guck mir das erst mal selber an. Kannst du Reuben Zimmerman durch LEADS laufen lassen?« LEADS war die Abkürzung für eine Datenbank der Polizeibehörden, in der alle noch nicht vollzogenen Haftbefehle aufgelistet waren.
»Verstanden.« Im Hintergrund hörte er das Klappern einer Tastatur. »Sei vorsichtig, ja?«, sagte Mona.
»Klar.«
Skid wollte so schnell wie möglich zum Haus und forderte den Mann auf, die Hände wieder auf den Wagen zu legen.
Zimmerman wirkte irritiert. »Ich hab nichts Verbotenes gemacht.«
»Das ist Vorschrift. Ich taste Sie ab, und die Handschellen sind zu Ihrem und zu meinem Schutz. Okay?«
Als wäre ihm klar, dass er keine Wahl hatte, drehte Zimmer-man sich um und stützte die Hände auf den Streifenwagen. Skid tastete ihn rasch ab, Taschen, Socken und sogar zwischen den Beinen. Dann legte er ihm die Handschellen an. »Was machen Sie um diese Uhrzeit hier draußen?«
»Ich helfe beim Melken. Die Arbeit fängt um vier Uhr an.« »Und ich dachte immer, meine Arbeitszeit wäre beschissen.« Der Mann sah ihn verwirrt an.
»Vergessen Sie's.« Skid öffnete die hintere Wagentür und ließ ihn einsteigen. »Auf geht's.«
Er selbst glitt hinters Steuer, startete den Motor und fuhr los. Im Rückspiegel sah er Staub aufwirbeln, der im Schein des Rücklichts rot leuchtete, und vor ihm zeichneten sich die Umrisse des massiven Farmhauses und Getreidesilos in der einsetzenden Morgendämmerung ab. Von dieser Bilderbuchfarm hätte Skid nun wirklich keine Probleme erwartet. Er lebte schon seit vier Jahren in Painters Mill, und abgesehen von ein paar unbedeutenden Ordnungswidrigkeiten - einmal hatten sich zwei Jungen mit ihren Buggys auf der Hauptstraße ein Rennen geliefert -, waren die Amischen nahezu perfekte Bürger. Aber Skid war schon lange genug Polizist, um zu wissen, dass es für jede Regel auch Ausnahmen gab.
Vor dem Haus parkte er hinter dem Buggy, wobei sein Scheinwerfer das »Langsam fahrendes Vehikel«-Schild anleuchtete. Das Wohngebäude zu seiner Rechten lag im Dunkeln, und es sah nicht so aus, als wäre schon jemand darin aufgestanden. Er wandte sich Zimmerman zu. »Wie sind Sie reingekommen?«
»Die Hintertür ist nicht abgeschlossen«, antwortete er.
Skid griff sich die Stablampe und stieg aus. Auf dem Weg holte er seine .38er aus dem Holster. Auf der hinteren Veranda klopfte er mit der MagLite an die Tür. »Hier ist die Polizei«, rief er. »Machen Sie auf.«
In dem Moment fiel sein Blick auf die dunkle Schmiere am Türknauf. Er richtete den Strahl der Lampe darauf. Es sah aus wie Blut. Ein Handabdruck. Skid leuchtete über die Veranda. Da war noch mehr Blut. Dunkle Tropfen glänzten im Schein des Mondes. Auf den Stufen führten blutige Fußspuren hinunter zum Gehweg, der zur Scheune führte.
»Mist!« Skid drehte den Knauf und stieß die Tür auf. Mit klopfendem Herzen betrat er die Küche. Adrenalin durchflutete seinen Körper, und die Adern unter der Haut pulsierten wie Gleichstrom. »Hier ist die Polizei«, rief er wieder. »Mr und Mrs Plank?«
Das Haus war so still und dunkel wie ein Film aus den zwanziger Jahren. Skid wünschte, es gäbe irgendwo einen Lichtschalter, und verfluchte die Ablehnung der Amisch-Leute von modernem Komfort. Graues Mondlicht fiel durch das Fenster über der Spüle, ließ einfache Holzschränke und einen Tisch mit blauweiß karierter Decke erkennen, in dessen Mitte eine dunkle Laterne stand.
»Hallo? Hier ist die Polizei. Ist jemand zu Hause?« Auf halbem Weg durch die Küche bemerkte er den unangenehmen Geruch, der aber nicht an vergammelte Lebensmittel, Müll oder Haustiere erinnerte, sondern an ein verstopftes Klo.
Skid betrat das Wohnzimmer. Hier war der Gestank noch intensiver. Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken, als der Strahl seiner Taschenlampe auf eine Männergestalt fiel. Ein Ami-scher in blauem Arbeitshemd, Hosen mit Hosenträgern, auf dem Bauch liegend, der zur Seite gedrehte Kopf in einer tellergroßen Blutlache.
»Verdammte Scheiße.«
Skid starrte den Mann wie gebannt an. Er hatte eine große Wunde am Hinterkopf, Blut sickerte von seinem linken Ohr in den Vollbart und tropfte weiter in die Lache auf dem Boden. Seine blutige Zunge hing aus dem offenen Mund wie eine fette Schnecke.
Er hoffte, dass Zimmerman sich in der Anzahl der Opfer geirrt hatte und dort hinten auf dem Boden Wäsche zum Flicken lag; oder Futterbeutel, die jemand aus der Scheune hereingeholt hatte. Doch die Hoffnung wurde zunichtegemacht, als im Schein der Lampe zwei weitere leblose Körper sichtbar wurden. Ein Halbwüchsiger, der schwarze Hosen mit Hosenträgern trug. Und ein kleiner, rothaariger Junge, der in einer so großen Lache Blutes lag, dass sie unmöglich aus diesem schmächtigen Kinderkörper stammen konnte. Beiden hatte man in den Hinterkopf geschossen. Beiden hatte man die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Skid sah sofort, dass sie tot waren, das musste er nicht noch überprüfen.
Er war schon seit fast zehn Jahren Polizist, zuerst in Ann Arbor, Michigan, und jetzt hier in Painters Mill. Er hatte schon einige Tote gesehen, bei Autounfällen, Schusswechseln oder Messerstechereien. Doch nichts hatte ihn auf diesen Anblick hier vorbereitet.
»Großer Gott.« Er tastete nach seinem Ansteckmikrophon, überrascht, wie sehr seine Hand zitterte. »Mona, ich bin im Farmhaus der Planks. Ruf den Chief an. Sag ihr, hier hat's ein Blutbad gegeben, mit mehreren Toten. Alle erschossen.« Seine Stimme versagte. »Scheiße.«
»Brauchst du einen Krankenwagen?«
Er sah in die starren Augen und auf die riesige Blutlache und wusste, dass er den Anblick so schnell nicht vergessen würde. »Schick nur den Coroner, Mona. Für die hier kommt jede Hilfe zu spät.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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Autoren-Porträt von Linda Castillo
Linda Castillo wuchs in Dayton im US-Bundesstaat Ohio auf, schrieb bereits in ihrer Jugend ihren ersten Roman und arbeitete viele Jahre als Finanzmanagerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit »Die Zahlen der Toten« (2010), dem ersten Kriminalroman mit Polizeichefin Kate Burkholder. Linda Castillo kennt die Welt der Amischen seit ihrer Kindheit und ist regelmäßig zu Gast bei amischen Gemeinden. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und zwei Pferden auf einer Ranch in Texas. Helga Augustin hat in Frankfurt am Main Neue Philologie studiert. Von 1986 - 1991 studierte sie an der City University of New York und schloss ihr Studium mit einem Magister in Liberal Studies mit dem Schwerpunkt 'Translations' ab. Die Übersetzerin lebt in Frankfurt am Main.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Castillo
- 2011, 11. Aufl., 400 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Helga Augustin
- Übersetzer: Helga Augustin
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596184517
- ISBN-13: 9783596184514
- Erscheinungsdatum: 06.06.2011
Kommentar zu "Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2"