Briefsteller
Roman
Eine Liebe über die Zeiten hinweg
Eine Frau, ein Mann, eine Sommerliebe. Sascha und Wolodja werden durch einen Krieg getrennt und können sich nur Briefe schreiben. Sie erzählen einander darin von allem und jedem: von Kindheit, Familie,...
Eine Frau, ein Mann, eine Sommerliebe. Sascha und Wolodja werden durch einen Krieg getrennt und können sich nur Briefe schreiben. Sie erzählen einander darin von allem und jedem: von Kindheit, Familie,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Briefsteller “
Eine Liebe über die Zeiten hinweg
Eine Frau, ein Mann, eine Sommerliebe. Sascha und Wolodja werden durch einen Krieg getrennt und können sich nur Briefe schreiben. Sie erzählen einander darin von allem und jedem: von Kindheit, Familie, Alltag, von Freud und Leid. Ein normaler Briefwechsel zweier Liebender - bis sich beim Leser Zweifel regen und klar wird, dass die Zeit der beiden ver-rückt ist, dass sie durch Raum und Zeit getrennt sind. Sie lebt in der Gegenwart, er kämpft im Boxeraufstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen chinesische Rebellen. Er stirbt in einem der ersten Gefechte dieses halb vergessenen Krieges, aber seine Briefe kommen weiterhin an. Sie heiratet, verliert ein Kind - und schreibt ihm unbeirrt weiter, als ob eine Parallelwelt bestünde, als ob die Zeit keine Rolle spielte, ebenso wenig wie der Tod.
Ein großer, anrührender Liebesroman, der die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz behandelt und der durch die Macht des Wortes die Gesetze von Zeit und Raum außer Kraft setzt.
Eine Frau, ein Mann, eine Sommerliebe. Sascha und Wolodja werden durch einen Krieg getrennt und können sich nur Briefe schreiben. Sie erzählen einander darin von allem und jedem: von Kindheit, Familie, Alltag, von Freud und Leid. Ein normaler Briefwechsel zweier Liebender - bis sich beim Leser Zweifel regen und klar wird, dass die Zeit der beiden ver-rückt ist, dass sie durch Raum und Zeit getrennt sind. Sie lebt in der Gegenwart, er kämpft im Boxeraufstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen chinesische Rebellen. Er stirbt in einem der ersten Gefechte dieses halb vergessenen Krieges, aber seine Briefe kommen weiterhin an. Sie heiratet, verliert ein Kind - und schreibt ihm unbeirrt weiter, als ob eine Parallelwelt bestünde, als ob die Zeit keine Rolle spielte, ebenso wenig wie der Tod.
Ein großer, anrührender Liebesroman, der die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz behandelt und der durch die Macht des Wortes die Gesetze von Zeit und Raum außer Kraft setzt.
Klappentext zu „Briefsteller “
Eine Liebe über die Zeiten hinwegEine Frau, ein Mann, eine Sommerliebe. Sascha und Wolodja werden durch einen Krieg getrennt und können sich nur Briefe schreiben. Sie erzählen einander darin von allem und jedem: von Kindheit, Familie, Alltag, von Freud und Leid. Ein normaler Briefwechsel zweier Liebender - bis sich beim Leser Zweifel regen und klar wird, dass die Zeit der beiden ver-rückt ist, dass sie durch Raum und Zeit getrennt sind. Sie lebt in der Gegenwart, er kämpft im Boxeraufstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen chinesische Rebellen. Er stirbt in einem der ersten Gefechte dieses halb vergessenen Krieges, aber seine Briefe kommen weiterhin an. Sie heiratet, verliert ein Kind - und schreibt ihm unbeirrt weiter, als ob eine Parallelwelt bestünde, als ob die Zeit keine Rolle spielte, ebenso wenig wie der Tod.
Ein großer, anrührender Liebesroman, der die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz behandelt und der durch die Macht des Wortes die Gesetze von Zeit und Raum außer Kraft setzt.
Lese-Probe zu „Briefsteller “
Briefsteller von Maichail Schischkin... mehr
Wie ich die Zeitung von gestern aufschlage, steht da etwas über Dich und mich.
Da steht: Am Anfang wird wieder das Wort sein. Während sie den Kindern in der Schule immer noch die alte Geschichte auftischen, dass es zuerst einen großen Knall gab und alles, was da war, in Fetzen flog.
Aber dann muss das alles ja schon vor dem Knall existiert haben: alle noch unausgesprochenen Wörter und alle sichtbaren und unsichtbaren Galaxien. So wie dem Sand schon das künftige Glas innewohnt, Sandkörner sind Samenkörner für dieses Fenster hier, vor dem gerade ein Junge vorbeiläuft, der sich seinen Fußball vorne unter das Trikot geklemmt hat.
So ein Knäuel aus Wärme und Licht.
Und dieses Ding - mit Stübchen und Bübchen: nicht Tür noch Tor fühm ein und aus, wie heißt nun dieses kleine Haus? - war ungefähr wie ein Fußball so groß, sagt die Wissenschaft. Oder wie eine Melone. Die Bübchen darin waren wir. Und all das reifte heran und tat dicke und wollte mit Macht heraus.
Die Urmelone platzte.
Die Samen stoben in alle Winde und sprossen.
Ein Kemlein keimte aus und wurde Baum, der Schatten seines Astes schurrt über unser Fensterbrett.
Ein anderes wurde zur Erinnerung eines Mädchens, das ein Junge sein wollte. Einst ging es zum Kinderfasching als gestiefelter Kater, aber alle wollten es immer nur am Schwanz ziehen und gaben nicht länger Ruh, bis sie ihn abgerissen hatten und das Mädchen den Schwanz in der Hand mit sich herumtragen musste.
Ein drittes Kernlein, das vor Zeiten auf fruchtbaren Boden fiel, wurde zum Jüngling, welcher es gern hatte, wenn ich ihm den Rücken kraulte, und Lügen nicht ausstehen konnte, besonders wenn sie von allen Tribünen schallten: dass es keinen Tod gebe und geschriebene Worte eine Art Straßenbahn zur Unsterblichkeit seien.
Dem Horoskop der Druiden nach warer Mohrrübe.
Bevor er sein Tagebuch und alle Manuskripte verbrannte, schrieb er noch einen letzten, furchtbar komischen Satz: »Die Gabe hat mich verlassen.« Ich konnte ihn gerade noch lesen, bevor Du mir das Heft aus den Händen rissest.
Wir standen am Feuer und hoben die Hände gegen die Hitze vors Gesicht, sahen auf die Fingerknochen, die sich im durchscheinenden roten Fleisch abzeichneten. Ascheflocken rieselten auf uns herab - verbrannte Seiten, noch warm.
Ja, das war mir fast entfallen - bis zu dem Tag, wo sich alles, was da ist, wieder in einem Punkt zusammenzieht.
Rübchenbübchen, wo magst Du gerade sein?
Und übrigens, wie kommt mir das vor? Die dumme Jule strengt sich an und schickt ihm Briefe, doch Monsieur Saint¬Preux in seiner Hartherzigkeit begnügt sich mit ein paar launigen Kurzbotschaften - teils in Versen, worin sich Seelen auf Makrelen reimt, Munition auf Sublimation, verschissenes Loch auf Lächeln der Mona Lisa (weißt Du übrigens, worüber sie lächelt? Ich hab es, glaube ich, heraus), Nabel auf Babel und Gott auf Kompott.
Mein Geliebter!
Warum hast Du das getan?
Ich muss mir nur noch einen Krieg aussuchen. Aber daran wird es nicht scheitern. Solcher Segen liegt dem keuschen Vaterland ja doch am Herzen und genauso den befreundeten Reichen: Kaum blättert man die Zeitung auf, schon werden Babys aufs Bajonett gespießt und alte Frauen vergewaltigt. Ein unschuldig getöteter Zarensohn im Matrosenanzug weckt dabei immer noch am meisten Mitleid. Alte, Frauen und Kinder, das geht zum einen Ohr rein, zum anderen raus, ein Matrosenanzug ist was anderes.
Bin nur ein armer Solotambour, o Abendlied, o Glockenklang, die Heimat ruft.
Auf der Einberufungsstelle wurde die Berufung ausgegeben: Jedem sein Waterloo!
Wohl wahr.
Der Militärarzt der Musterungskommission - riesiger knorriger Kahlschädel - sah mich an mit forschendem Blick.
»Du hast für die Menschen nur Verachtung übrig«, stellte er fest. »Ich war auch einmal so, weißt du. Bei meinem ersten Krankenhauspraktikum war ich in deinem Alter. Eines Tages bekamen wir einen Obdachlosen rein, den hatte ein Auto angefahren. Er lebte noch, war aber arg zugerichtet. Man gab sich nicht groß Mühe mit dem Alten. Es war klar, dass er niemandem wichtig war, kein Hahn würde nach ihm krähen. Er stank und starrte vor Dreck, hatte Läuse, Geschwüre. Man legte ihn abseits, möglichst weit weg, damit er nichts besudelte. Dort sollte er sein Leben aushauchen. Und ich sollte hinterher den Dreck wegmachen, die Leiche waschen und ins Schauhaus bringen. Alle gingen weg, ließen mich mit ihm allein. Und ich ging erst mal eine rauchen. Dachte: Wieso mache ich das hier eigentlich? Was geht dieser Alte mich an? Wozu ist er überhaupt gut? Während ich rauchte, tat er uns den Gefallen und starb. Und während ich ihm notdürftig Blut und Eiter abwischte, um ihn schleunigst in die Kühlkammer zu bugsieren, da kam mir der Gedanke: Vielleicht ist er ja auch Vater von irgendwem? ... Ich schleppte eine Schüssel heißes Wasser an und begann ihn zu waschen. Der Körper war alt und verwahrlost, das blanke Elend. Den hatte seit Jahren keiner gestreichelt. Und ich wusch ihm die Füße, die grässlich verkrüppelten Zehen, fast ohne Nägel - die hatte der Fußpilz weggefressen. Mit dem Schwamm wusch ich alle seine Narben und offenen Wunden aus, und dabei redete ich leise mit ihm: Na, Alter, das Leben hats nicht gut mit dir gemeint, wie? Ist schon hart, wenn einen keiner liebt. Wie fühlt man sich auf der Straße, in deinem Alter, so als streunender Hund? Aber jetzt hat das ja alles ein Ende. Ruh dich aus. Jetzt ist alles gut. Nichts tut mehr weh, keiner kann dich hetzen ... So hab ich den gewaschen und mit ihm geredet. Keine Ahnung, ob ihm das im Tod geholfen hat, aber mir hat es im Leben sehr geholfen.«
Ach, meine Saschenka!
Liebster Wolodenka!
Ich sehe der Sonne beim Untergehen zu und denke -
womöglich tust auch Du das gerade? Dann wären wir also
beieinander.
Welch eine Stille ringsumher.
Welch ein Himmel!
Der Holunder da treibt auch Weltempfindung.
In solchen Momenten scheint es, als wüssten die Bäume
alles, könnten es nur genauso wenig sagen wie wir.
Und auf einmal spürst du ganz deutlich, dass Worte und Gedanken aus demselben Stoff sind wie diese Glut am Himmel, oder überhaupt dieselbe Glut, nur gespiegelt in der Pfütze da, oder meine Hand mit dem verbundenen Daumen, ach, könntest Du all das jetzt sehen!
Ja, stell Dir vor, ich war so geschickt, mir mit dem Brotmesser in den Daumen zu schneiden, bis in den Nagel hinein. Ich habe recht und schlecht einen Verband angelegt und zuletzt Augen und Nase daraufgemalt. Fertig war der kleine Däumling. Mit dem rede ich schon den ganzen Abend über Dich.
Ich habe Deine erste Karte wiedergelesen. Ja, ja, ja: Alles reimt sich, das ist wahr! Man muss sich bloß umschauen. Überall Reime! Hier die sichtbare Welt und da - wenn du die Augen schließt - die unsichtbare. Hier die Zeiger der Uhr, da der Reim auf sie: Strombus, die Meeresschnecke, aus der ein Aschenbecher wurde. Hier die Kiefer, deren Ast am Himmel unentwegt etwas zu flicken hat - dort auf dem Regal ein Kräutlein aus der Apotheke, geeignet, Winde zu vertreiben. Hier mein verbundener Daumen - bestimmt bleibt da jetzt eine Narbe fürs Leben - und als Reim darauf derselbe Daumen, nur vor meiner Geburt oder wenn ich mal nicht mehr bin, was vermutlich dasselbe ist. Alles ist mit allem in der Welt verreimt. Die Reime halten die Welt zusammen wie Nägel, bis an die Köpfe sind sie hineingetrieben, damit ja nichts auseinanderfällt.
Und was das Erstaunliche ist: Diese Reime waren immer schon da, von Anfang an, man kann sie sich gar nicht ausdenken. So wie man sich, sagen wir, eine gewöhnliche Mücke nicht ausdenken kann oder diese Wolke da, aus der Sparte der Langstreckenflieger. Sich die simpelsten Dinge auszudenken übersteigt alle Fantasie, verstehst Du?
Bei wem stand das von den glücksüchtigen Leuten? Das ist gut gesagt! Süchtig nach Glück - das bin ich.
Außerdem ertappe ich mich in letzter Zeit dabei, dass ich Deine Gesten imitiere. Deine Art zu sprechen. Dass ich die Welt mit Deinen Augen sehe. Denke wie Du, schreibe wie Du.
Immerzu sehe ich unseren Sommer vor mir.
Unsere morgendlichen »Etüden in Öl«: schmelzende Butter auf getoastetem Brot ...
Unser Tisch unterm Flieder, die Wachstuchdecke mit dem braunen Dreieck, weißt Du noch? Ein Abdruck vom heißen Bügeleisen.
Und dann das, woran Du Dich garantiert nicht erinnern kannst, die Erinnerung gehört mir allein: wie Du am Morgen über die Wiese läufst, und hinter Dir bleibt etwas wie eine leuchtende Skispur in der Sonne zurück.
Und erst die Düfte aus dem Garten! Die so dicht und dick in der Luft hängen wie eine Emulsion, man meint sie sich als Likör ins Glas zapfen zu können.
Und alles um einen her scheint nur das eine im Kopf zu haben: Man läuft durch Wald und Feld und wird unentwegt bestäubt und besamt. Die Socken von Grassamen wie überzogen.
Und weißt Du noch, wie wir den Hasen im Feld fanden mit abgeschnittenen Läufen, er war in den Mähbalken gekommen. Kühe, braunäugig.
Ziegenkötel auf dem Schlängelpfad.
Und unsere Talsperre: trüber Grund, blühende Fäulnis, alles voll Froschlaich. Silberkarpfen springen wie stößige Böcklein den Himmel an. Man steigt aus dem Wasser und zupft sich die Schlingpflanzen von der Haut.
Ich strecke mich zum Sonnenbad aus, lege mir das Hemd übers Gesicht, der Wind knattert leise, es klingt wie gestärkte Bettwäsche. Plötzlich ein Kitzeln im Nabel, ich öffne die Augen: Das bist Du! Lässt mir aus der Faust in dünnem Strahl Sand auf den Bauch rieseln.
Auf dem Weg nach Hause testet der Wind die Bäume und uns auf Segelfähigkeit.
Wir lesen Falläpfel auf - die ersten, noch sauren, gut fürs Kompott -, bewerfen uns damit.
Gezackter Wald im Abendrot.
Und mitten in der Nacht weckt uns die zuschnappende Mausefalle.
© by Deutsche Verlags Anstalt
Übersetzung : Andreas Tretner
Wie ich die Zeitung von gestern aufschlage, steht da etwas über Dich und mich.
Da steht: Am Anfang wird wieder das Wort sein. Während sie den Kindern in der Schule immer noch die alte Geschichte auftischen, dass es zuerst einen großen Knall gab und alles, was da war, in Fetzen flog.
Aber dann muss das alles ja schon vor dem Knall existiert haben: alle noch unausgesprochenen Wörter und alle sichtbaren und unsichtbaren Galaxien. So wie dem Sand schon das künftige Glas innewohnt, Sandkörner sind Samenkörner für dieses Fenster hier, vor dem gerade ein Junge vorbeiläuft, der sich seinen Fußball vorne unter das Trikot geklemmt hat.
So ein Knäuel aus Wärme und Licht.
Und dieses Ding - mit Stübchen und Bübchen: nicht Tür noch Tor fühm ein und aus, wie heißt nun dieses kleine Haus? - war ungefähr wie ein Fußball so groß, sagt die Wissenschaft. Oder wie eine Melone. Die Bübchen darin waren wir. Und all das reifte heran und tat dicke und wollte mit Macht heraus.
Die Urmelone platzte.
Die Samen stoben in alle Winde und sprossen.
Ein Kemlein keimte aus und wurde Baum, der Schatten seines Astes schurrt über unser Fensterbrett.
Ein anderes wurde zur Erinnerung eines Mädchens, das ein Junge sein wollte. Einst ging es zum Kinderfasching als gestiefelter Kater, aber alle wollten es immer nur am Schwanz ziehen und gaben nicht länger Ruh, bis sie ihn abgerissen hatten und das Mädchen den Schwanz in der Hand mit sich herumtragen musste.
Ein drittes Kernlein, das vor Zeiten auf fruchtbaren Boden fiel, wurde zum Jüngling, welcher es gern hatte, wenn ich ihm den Rücken kraulte, und Lügen nicht ausstehen konnte, besonders wenn sie von allen Tribünen schallten: dass es keinen Tod gebe und geschriebene Worte eine Art Straßenbahn zur Unsterblichkeit seien.
Dem Horoskop der Druiden nach warer Mohrrübe.
Bevor er sein Tagebuch und alle Manuskripte verbrannte, schrieb er noch einen letzten, furchtbar komischen Satz: »Die Gabe hat mich verlassen.« Ich konnte ihn gerade noch lesen, bevor Du mir das Heft aus den Händen rissest.
Wir standen am Feuer und hoben die Hände gegen die Hitze vors Gesicht, sahen auf die Fingerknochen, die sich im durchscheinenden roten Fleisch abzeichneten. Ascheflocken rieselten auf uns herab - verbrannte Seiten, noch warm.
Ja, das war mir fast entfallen - bis zu dem Tag, wo sich alles, was da ist, wieder in einem Punkt zusammenzieht.
Rübchenbübchen, wo magst Du gerade sein?
Und übrigens, wie kommt mir das vor? Die dumme Jule strengt sich an und schickt ihm Briefe, doch Monsieur Saint¬Preux in seiner Hartherzigkeit begnügt sich mit ein paar launigen Kurzbotschaften - teils in Versen, worin sich Seelen auf Makrelen reimt, Munition auf Sublimation, verschissenes Loch auf Lächeln der Mona Lisa (weißt Du übrigens, worüber sie lächelt? Ich hab es, glaube ich, heraus), Nabel auf Babel und Gott auf Kompott.
Mein Geliebter!
Warum hast Du das getan?
Ich muss mir nur noch einen Krieg aussuchen. Aber daran wird es nicht scheitern. Solcher Segen liegt dem keuschen Vaterland ja doch am Herzen und genauso den befreundeten Reichen: Kaum blättert man die Zeitung auf, schon werden Babys aufs Bajonett gespießt und alte Frauen vergewaltigt. Ein unschuldig getöteter Zarensohn im Matrosenanzug weckt dabei immer noch am meisten Mitleid. Alte, Frauen und Kinder, das geht zum einen Ohr rein, zum anderen raus, ein Matrosenanzug ist was anderes.
Bin nur ein armer Solotambour, o Abendlied, o Glockenklang, die Heimat ruft.
Auf der Einberufungsstelle wurde die Berufung ausgegeben: Jedem sein Waterloo!
Wohl wahr.
Der Militärarzt der Musterungskommission - riesiger knorriger Kahlschädel - sah mich an mit forschendem Blick.
»Du hast für die Menschen nur Verachtung übrig«, stellte er fest. »Ich war auch einmal so, weißt du. Bei meinem ersten Krankenhauspraktikum war ich in deinem Alter. Eines Tages bekamen wir einen Obdachlosen rein, den hatte ein Auto angefahren. Er lebte noch, war aber arg zugerichtet. Man gab sich nicht groß Mühe mit dem Alten. Es war klar, dass er niemandem wichtig war, kein Hahn würde nach ihm krähen. Er stank und starrte vor Dreck, hatte Läuse, Geschwüre. Man legte ihn abseits, möglichst weit weg, damit er nichts besudelte. Dort sollte er sein Leben aushauchen. Und ich sollte hinterher den Dreck wegmachen, die Leiche waschen und ins Schauhaus bringen. Alle gingen weg, ließen mich mit ihm allein. Und ich ging erst mal eine rauchen. Dachte: Wieso mache ich das hier eigentlich? Was geht dieser Alte mich an? Wozu ist er überhaupt gut? Während ich rauchte, tat er uns den Gefallen und starb. Und während ich ihm notdürftig Blut und Eiter abwischte, um ihn schleunigst in die Kühlkammer zu bugsieren, da kam mir der Gedanke: Vielleicht ist er ja auch Vater von irgendwem? ... Ich schleppte eine Schüssel heißes Wasser an und begann ihn zu waschen. Der Körper war alt und verwahrlost, das blanke Elend. Den hatte seit Jahren keiner gestreichelt. Und ich wusch ihm die Füße, die grässlich verkrüppelten Zehen, fast ohne Nägel - die hatte der Fußpilz weggefressen. Mit dem Schwamm wusch ich alle seine Narben und offenen Wunden aus, und dabei redete ich leise mit ihm: Na, Alter, das Leben hats nicht gut mit dir gemeint, wie? Ist schon hart, wenn einen keiner liebt. Wie fühlt man sich auf der Straße, in deinem Alter, so als streunender Hund? Aber jetzt hat das ja alles ein Ende. Ruh dich aus. Jetzt ist alles gut. Nichts tut mehr weh, keiner kann dich hetzen ... So hab ich den gewaschen und mit ihm geredet. Keine Ahnung, ob ihm das im Tod geholfen hat, aber mir hat es im Leben sehr geholfen.«
Ach, meine Saschenka!
Liebster Wolodenka!
Ich sehe der Sonne beim Untergehen zu und denke -
womöglich tust auch Du das gerade? Dann wären wir also
beieinander.
Welch eine Stille ringsumher.
Welch ein Himmel!
Der Holunder da treibt auch Weltempfindung.
In solchen Momenten scheint es, als wüssten die Bäume
alles, könnten es nur genauso wenig sagen wie wir.
Und auf einmal spürst du ganz deutlich, dass Worte und Gedanken aus demselben Stoff sind wie diese Glut am Himmel, oder überhaupt dieselbe Glut, nur gespiegelt in der Pfütze da, oder meine Hand mit dem verbundenen Daumen, ach, könntest Du all das jetzt sehen!
Ja, stell Dir vor, ich war so geschickt, mir mit dem Brotmesser in den Daumen zu schneiden, bis in den Nagel hinein. Ich habe recht und schlecht einen Verband angelegt und zuletzt Augen und Nase daraufgemalt. Fertig war der kleine Däumling. Mit dem rede ich schon den ganzen Abend über Dich.
Ich habe Deine erste Karte wiedergelesen. Ja, ja, ja: Alles reimt sich, das ist wahr! Man muss sich bloß umschauen. Überall Reime! Hier die sichtbare Welt und da - wenn du die Augen schließt - die unsichtbare. Hier die Zeiger der Uhr, da der Reim auf sie: Strombus, die Meeresschnecke, aus der ein Aschenbecher wurde. Hier die Kiefer, deren Ast am Himmel unentwegt etwas zu flicken hat - dort auf dem Regal ein Kräutlein aus der Apotheke, geeignet, Winde zu vertreiben. Hier mein verbundener Daumen - bestimmt bleibt da jetzt eine Narbe fürs Leben - und als Reim darauf derselbe Daumen, nur vor meiner Geburt oder wenn ich mal nicht mehr bin, was vermutlich dasselbe ist. Alles ist mit allem in der Welt verreimt. Die Reime halten die Welt zusammen wie Nägel, bis an die Köpfe sind sie hineingetrieben, damit ja nichts auseinanderfällt.
Und was das Erstaunliche ist: Diese Reime waren immer schon da, von Anfang an, man kann sie sich gar nicht ausdenken. So wie man sich, sagen wir, eine gewöhnliche Mücke nicht ausdenken kann oder diese Wolke da, aus der Sparte der Langstreckenflieger. Sich die simpelsten Dinge auszudenken übersteigt alle Fantasie, verstehst Du?
Bei wem stand das von den glücksüchtigen Leuten? Das ist gut gesagt! Süchtig nach Glück - das bin ich.
Außerdem ertappe ich mich in letzter Zeit dabei, dass ich Deine Gesten imitiere. Deine Art zu sprechen. Dass ich die Welt mit Deinen Augen sehe. Denke wie Du, schreibe wie Du.
Immerzu sehe ich unseren Sommer vor mir.
Unsere morgendlichen »Etüden in Öl«: schmelzende Butter auf getoastetem Brot ...
Unser Tisch unterm Flieder, die Wachstuchdecke mit dem braunen Dreieck, weißt Du noch? Ein Abdruck vom heißen Bügeleisen.
Und dann das, woran Du Dich garantiert nicht erinnern kannst, die Erinnerung gehört mir allein: wie Du am Morgen über die Wiese läufst, und hinter Dir bleibt etwas wie eine leuchtende Skispur in der Sonne zurück.
Und erst die Düfte aus dem Garten! Die so dicht und dick in der Luft hängen wie eine Emulsion, man meint sie sich als Likör ins Glas zapfen zu können.
Und alles um einen her scheint nur das eine im Kopf zu haben: Man läuft durch Wald und Feld und wird unentwegt bestäubt und besamt. Die Socken von Grassamen wie überzogen.
Und weißt Du noch, wie wir den Hasen im Feld fanden mit abgeschnittenen Läufen, er war in den Mähbalken gekommen. Kühe, braunäugig.
Ziegenkötel auf dem Schlängelpfad.
Und unsere Talsperre: trüber Grund, blühende Fäulnis, alles voll Froschlaich. Silberkarpfen springen wie stößige Böcklein den Himmel an. Man steigt aus dem Wasser und zupft sich die Schlingpflanzen von der Haut.
Ich strecke mich zum Sonnenbad aus, lege mir das Hemd übers Gesicht, der Wind knattert leise, es klingt wie gestärkte Bettwäsche. Plötzlich ein Kitzeln im Nabel, ich öffne die Augen: Das bist Du! Lässt mir aus der Faust in dünnem Strahl Sand auf den Bauch rieseln.
Auf dem Weg nach Hause testet der Wind die Bäume und uns auf Segelfähigkeit.
Wir lesen Falläpfel auf - die ersten, noch sauren, gut fürs Kompott -, bewerfen uns damit.
Gezackter Wald im Abendrot.
Und mitten in der Nacht weckt uns die zuschnappende Mausefalle.
© by Deutsche Verlags Anstalt
Übersetzung : Andreas Tretner
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Autoren-Porträt von Michail Schischkin
Michail Schischkin ist einer der meistgefeierten russischen Autoren der Gegenwart. Er wurde 1961 in Moskau geboren, studierte Linguistik und unterrichtete Deutsch. Seit 1995 lebt er in der Schweiz. Seine Romane »Venushaar« und »Briefsteller« wurden national und international vielfach ausgezeichnet, u.a. erhielt er als einziger alle drei wichtigen Literaturpreise Russlands. 2011 wurde ihm der Internationale Literaturpreis Haus der Kulturen der Welt in Berlin verliehen. Sein Roman »Die Eroberung von Ismail« wurde u.a. mit dem Booker-Prize für das beste russische Buch des Jahres ausgezeichnet. Andreas Tretner, geb. 1959 in Gera, Übersetzer u.a. von Boris Akunin und Vladimir Sorokin, ist schon längst die "deutsche Stimme" von Viktor Pelewin. Zu Pelewins letztem Buch schrieb Wladimir Kaminer: "Die deutsche Fassung ist noch besser als das Original - innovativ und durchgeknallt."
Bibliographische Angaben
- Autor: Michail Schischkin
- 2012, 1. Aufl., 377 Seiten, Maße: 14,8 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Andreas Tretner
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421045526
- ISBN-13: 9783421045522
- Erscheinungsdatum: 26.09.2012
Rezension zu „Briefsteller “
»Michail Schischkin ist ein mächtig ausgreifender Erzähler und Wortgläubiger mit Klassikerpotenz, wie man ihn schon lange nicht mehr sah in der russischen Weltliteratur.« NZZ am Sonntag
Pressezitat
»Michail Schischkin ist ein mächtig ausgreifender Erzähler und Wortgläubiger mit Klassikerpotenz, wie man ihn schon lange nicht mehr sah in der russischen Weltliteratur.« NZZ am Sonntag
Kommentar zu "Briefsteller"
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