Bruno / Bruno, Chef de police Bd.1
Der Polizist und Gourmet Bruno Courrèges wird zu einem Mordfall gerufen. Ein algerischer Immigrant und Kriegsveteran wurde umgebracht. Schnell schalten sich die nationalen Polizeibehörden ein. Doch Bruno macht sich unabhängig und nutzt...
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Produktinformationen zu „Bruno / Bruno, Chef de police Bd.1 “
Der Polizist und Gourmet Bruno Courrèges wird zu einem Mordfall gerufen. Ein algerischer Immigrant und Kriegsveteran wurde umgebracht. Schnell schalten sich die nationalen Polizeibehörden ein. Doch Bruno macht sich unabhängig und nutzt seine Beziehungen, um allein in dem Fall zu ermitteln.
Klappentext zu „Bruno / Bruno, Chef de police Bd.1 “
Bruno Courrèges Polizist, Gourmet, Sporttrainer und begehrtester Junggeselle von Saint-Denis wird an den Tatort eines Mordes gerufen. Ein algerischer Einwanderer, dessen Kinder in der Ortschaft wohnen, ist tot aufgefunden worden. Das Opfer ist ein Kriegsveteran, Träger des Croix de Guerre, und weil das Verbrechen offenbar rassistische Hintergründe hat, werden auch nationale Polizeibehörden eingeschaltet, die Bruno von den Ermittlungen ausschließen wollen. Doch der nutzt seine Ortskenntnisse und Beziehungen, ermittelt auf eigene Faust und deckt die weit in der Vergangenheit wurzelnden Ursachen des Verbrechens auf.
Lese-Probe zu „Bruno / Bruno, Chef de police Bd.1 “
Bruno – Chef de police von Martin Walker 1 An einem strahlenden Maimorgen, so früh, dass über der großen Flussbiegung noch Nebelreste hingen, hielt ein weißer Kleintransporter mit dunkelblauen Seitenstreifen auf der Anhöhe über dem französischen Städtchen Saint-Denis. Ein Mann stieg aus. Er ging an den Straßenrand, reckte sich und ließ die vertraute Aussicht auf sich wirken. Er war noch jung, und seine geschmeidigen, energischen Bewegungen zeugten von guter Kondition. Aber als er die Arme sinken ließ, fingerte er doch besorgt an seiner Taille herum, wo er immer zuerst Fett ansetzte – vor allem im Frühling, wenn die Rugbysaison schon zu Ende war und die Jagdzeit eben erst begann. Von seiner Uniform trug er nur das hellblaue Hemd mit Schulterklappen, gebügelt, aber ohne Krawatte, dazu schwarze Stiefel und die marineblaue Hose. Sein dichtes dunkles Haar war kurz geschnitten, die braunen Augen blickten verschmitzt, und die vollen Lippen unter dem sorgfältig gestutzten kleinen Schnauzbart lachten sichtlich gern. Auf dem Dienstabzeichen an seinem Hemd und seitlich am Kleintransporter standen die Worte ›policeemunicipale‹.. Eine ziemlich staubige Schirmmütze lag nachlässig hingeworfen auf dem Beifahrersitz.
... mehr
Hinten im Wagen standen, eingekeilt zwischen einer Brechstange und einem Gewirr von Starterkabeln, ein Korb mit frischen Eiern und ein zweiter mit den ersten Gartenerbsen. Außerdem waren da zwei Tennisschläger, ein Paar Rugbystiefel, Turnschuhe und eine große prall gefüllte Sporttasche, in deren Schulterriemen die Ersatzschnur einer Angelrute verheddert war. Noch weiter hinten kam auch noch ein Verbandskasten zum Vorschein, außerdem eine kleine Werkzeugkiste, eine Wolldecke sowie ein Picknickkorb mit Tellern und Gläsern, Salz- und Pfefferstreuern, einer Knobauchknolle und einem Laguiole-Taschenmesser mit Horngriff und Korkenzieher. Unter dem Fahrersitz versteckt lag das Geschenk eines befreundeten Bauern: eine Flasche nicht ganz legal gebrannter Schnaps, aus dem der Polizist, wenn am St.-Katharinen-Tag die grünen Walnüsse geerntet wurden, seinen Privatvorrat an vin de noix ansetzen wollte. Benoît Courrèges, Polizeichef der 2900-SeelenGemeinde Saint-Denis, gemeinhin bekannt als Bruno, war stets auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Oder auf fast alle. Er verzichtete auf den breiten Gürtel mit Halfter samt Pistole, Handschellen und Stablampe, mit Schlüsseln, Notizbuch und all den übrigen Utensilien, mit denen sich die meisten anderen französischen Polizisten abschleppten. Ein solcher Gürtel lag auch nicht in seinem Wagen. Zwar würde sich irgendwo aus dem Durcheinander im Heck ein Paar alter Handschellen zutage fördern lassen, doch wo sich der Schlüssel dazu befand, hatte Bruno längst vergessen. Immerhin besaß er eine Stablampe, für die er schon seit Tagen neue Batterien kaufen wollte. Im Handschuhfach schließlich steckten mehrere Stifte und ein Notizbuch, das allerdings bis jetzt nur Kochrezepte enthielt sowie das Protokoll der letzten Mitgliederversammlung des Tennisvereins und eine Liste mit den Namen und Telefonnummern der Minimes, der Knirpse, die sich bei ihm zum Rugbytraining angemeldet hatten.
Brunos Dienstwaffe, eine ziemlich alte MAB 9mm Halbautomatik, lag im Safe seines Büros in der mairie und wurde nur einmal im Jahr zum Schießtraining auf dem Polizeischießstand in Périgueux herausgeholt. In seinen acht Jahren bei der police municipale hatte er sie genau dreimal im Einsatz getragen: das erste Mal, als in der Nachbargemeinde ein tollwütiger Hund gesichtet und die gesamte Polizei in Alarmbereitschaft versetzt worden war; das zweite Mal, als der französische Präsident auf dem Weg zu den berühmten Höhlenmalereien von Lascaux über Saint-Denis gefahren war, um seinen alten Freund Gérard Mangin zu begrüßen, den Bürgermeister und somit Brunos Vorgesetzten. Mit seiner Pistole bewaffnet hatte Bruno vor der mairie Wache gestanden, dem Staatsoberhaupt einen zackigen Gruß entrichtet und sich mit dessen sehr viel schwerer bewaffneten Bodyguards unterhalten, wobei sich herausstellte, dass er einen von ihnen aus seiner Armeezeit kannte. Seinen dritten Einsatz mit der Waffe hatte ein boxendes Känguru erzwungen, das aus einem Zirkus ausgerissen war und die Gegend unsicher gemacht hatte ... doch das war eine andere Geschichte. Nie hatte Bruno im Dienst tatsächlich schießen müssen, und darauf war er insgeheim sehr stolz. Während der Jagdsaison zog er allerdings wie die meisten anderen Männer (und nicht wenige Frauen) der Gemeinde von SaintDenis fast täglich mit der Flinte los – und wenn er nicht gerade der notorisch scheuen, aber besonders schmackhaften bécasse nachpirschte, traf er in der Regel auch.
Bruno schaute zufrieden auf seine Stadt hinab, und wie so oft verweilte sein Blick zunächst auf dem glitzernden Lichtspiel der Sonne in den Strudeln der Vézère vor den alten steinernen Brückenbögen, wanderte weiter zum hell blinkenden Wetterhahn auf dem Kirchturm, dann zu dem Adler über dem Kriegerdenkmal, wo er sich heute Punkt zwölf zu einer Gedenkveranstaltung einfinden musste, und dann hinüber auf die reflektierenden Windschutzscheiben und Chromteile der Autos und Wohnwagen auf dem Parkplatz hinter dem Krankenhaus.
Allmählich kam Leben in das friedliche Bild. Die ersten Gäste steuerten auf Fauquets Café zu, und selbst von der fernen Anhöhe aus hörte Bruno das Metallrollo klappern, das vor Lespinasse’ tabac hochgezogen wurde, wo man außer Zigaretten auch Angelzeug, Waffen und Munition kaufen konnte. Ein nicht gerade gesundheitsförderndes Sortiment, dachte Bruno.
Auch ohne hinsehen zu müssen, wusste Bruno, dass Madame Lespinasse jetzt den Laden öffnete und sich ihr Mann als erster Gast im Café ein kleines Glas Weißwein genehmigte, dem er im Laufe des Tages noch viele für den angenehmen Dauerrausch folgen lassen würde. Bruno wusste auch, dass bei Fauquet wie immer die gleiche Runde alter Herren beieinanderhockte. Sie studierten Listen der Sportwetten und schlürften ihren ersten petit blanc, während die Mitarbeiter der mairie an ihren Croissants knabberten, Kaffee tranken und die Schlagzeilen der aktuellen Ausgabe der Sud-Ouest lasen. Er wusste, dass Schuster Bachelot bei Fauquet an seinem Morgengläschen nippte, während sein Erzfeind und Nachbar Jean-Pierre, der den Fahrradladen führte, sein Tagwerk in Ivans Café de la Libération begann. Ihre Feindschaft ging auf die Tage der Résistance zurück, als der eine einer kommunistischen Gruppe und der andere der Armée secrète von de Gaulle angehört hatte. Bruno erinnerte sich nicht mehr, wer welchem Lager zuzuordnen war. Er wusste nur, dass die beiden seit dem Krieg kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt hatten und das Gleiche von ihren Angehörigen verlangten, denen sie allenfalls ein frostiges bonjour erlaubten. Außerdem wurde gemunkelt, dass beide Männer seit Jahren heimlich und unbeirrt versuchten, die Ehefrau des anderen zu verführen. Der Bürgermeister hatte Bruno einmal bei einem Glas Wein anvertraut, er sei überzeugt davon, dass beide, Bachelot wie auch Jean-Pierre, ihr Ziel erreicht hätten. Bruno war allerdings lange genug Polizist, um den meisten Gerüchten über Seitensprünge zu misstrauen, und als jemand, der in delikaten Dingen selbst streng auf Verschwiegenheit achtete, räumte er anderen dasselbe Recht auf Diskretion ein.
All diese kleinen Eigenheiten von Saint-Denis waren Bruno so vertraut wie seine eigenen morgendlichen Routinen: seine von Radio Périgord begleitete Frühgymnastik, das Duschbad mit Spezialshampoos zur Vorbeugung gegen Haarausfall und der nach grünen Äpfeln duftenden Seife, dann das Hühnerfüttern, während der Kaffee kochte, und schließlich das gemeinsame Frühstück mit seinem Hund Gigi – getoastete Baguettescheiben vom Vortag.
Bruno blickte zu den Höhlen in den Kalksteinfelsen jenseits des kleinen Wasserlaufs, der vor der Stadt in die Vézère mündete. Diese unheimlichen Höhlen mit ihren uralten Zeichnungen und Gemälden lockten Wissenschaftler und Touristen aus aller Welt in dieses Tal, vom Verkehrsamt als ›Wiege der Menschheit‹ bezeichnet, weil es angeblich der am längsten kontinuierlich bewohnte Kulturraum Europas war. Hier lebten Menschen seit 40 000 Jahren; Eiszeiten und Hitzeperioden, Überflutungen, Kriege und Hungersnöte hatten sie nicht vertreiben können. Bruno verstand die Verbundenheit mit diesem Ort, obwohl er sich vorstellen konnte, dass es auch anderswo sehenswerte Höhlen mit einzigartigen Felszeichnungen gab.
Unten am Flussufer sah er die verrückte Engländerin, die nach ihrem allmorgendlichen Ausritt ihr Pferd tränkte. Wie immer war sie äußerst sorgfältig gekleidet, trug blank polierte schwarze Stiefel, eine beigefarbene Reithose und ein schwarzes Jackett. Unter der schwarzen Reitkappe wucherte rotbraunes Haar wie ein Fuchsschwanz hervor. Bruno fragte sich, warum sie bei allen die verrückte Engländerin hieß. Auf ihn machte sie einen ganz und gar vernünftigen Eindruck, und ihr kleines Gästehaus schien sie ebenfalls bestens zu führen. Sogar ihr Französisch war durchaus verständlich, was von dem der wenigsten anderen Engländer, die sich hier niedergelassen hatten, behauptet werden konnte. Er schaute auf die Straße, die dem Flusslauf folgte, sah die ersten Bauern mit ihren Lastwagen zum Wochenmarkt fahren und fand, dass es allmählich Zeit wurde, seinen Dienst anzutreten. Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte die ihm vertraute Nummer des Bahnhofshotels.
»Sind sie bei dir aufgekreuzt, Marie?«, fragte er. »Sie waren gestern auf dem Markt von Saint-Alvère, müssten also in der Gegend sein.«
»Nein, Bruno. Hier waren nur die Jungs vom Museumsprojekt und ein spanischer Lastwagenfahrer«, antwortete die Wirtin. »Weißt du noch? Als sie das letzte Mal hier waren und nichts gefunden haben, wollten sie sich in Périgueux ein Auto mieten, um dich damit von ihrer Spur abzubringen. Verdammte Gestapo.«
Bruno spielte mit den eu-Inspektoren, die auf den französischen Märkten die Hygieneverordnungen für Lebensmittel durchzusetzen versuchten, ein Katz-und-Maus-Spiel; er fühlte sich in erster Linie seiner Gemeinde, ihrem Markt und Bürgermeister verpfichtet, weniger den geschriebenen Gesetzen Frankreichs, zumal wenn diese tatsächlich aus Brüssel stammten. Gegen Hygiene war zwar nichts einzuwenden, aber die Bauern der Gemeinde von Saint-Denis stellten ihre pâté de foie gras und ihre rillettes de porc schon seit Jahrhunderten her, und dass ihnen irgendwelche fremden Bürokraten vorschrieben, unter welchen Bedingungen sie ihre Gänseleberpastete und ihren durch langes Schmoren und Rühren von Fleisch- und Fettresten des Schweins gewonnenen Brotaufstrich verkaufen durften, passte ihnen überhaupt nicht. Also hatte Bruno zusammen mit anderen Mitgliedern der regionalen police municipale ein komplexes Frühwarnsystem entwickelt, um die Markthändler rechtzeitig alarmieren zu können, wenn Kontrollen zu erwarten waren.
Die Inspektoren – in einer Gegend Frankreichs, die der deutschen Besatzung entschieden Widerstand geleistet hatte, gemeinhin Gestapo genannt – waren zu ihrem ersten Kontrollbesuch in einem Auto mit roten belgischen Nummernschildern auf den Märkten des Périgord aufgekreuzt. Beim zweiten Besuch, vor dem Bruno gewarnt hatte, waren alle vier Reifen plattgestochen worden. Daraufhin kamen sie in einem Auto aus Paris mit den Endziffern 75 auf dem Kennzeichen. Aber auch sie bekamen es mit der Résistance zu tun, und Bruno fürchtete schon, dass die Gegenmaßnahmen vor Ort außer Kontrolle geraten könnten. Er ahnte sehr wohl, wer für die platten Reifen verantwortlich war, und hatte mit ein paar mahnenden Worten unter vier Augen die Wogen zu glätten versucht. Gewaltakte waren überflüssig, solange das hiesige Frühwarnsystem gewährleisten konnte, dass die nicht eu-konformen Waren von den Märkten verschwunden waren, bis die Inspektoren eintrafen. In der Folgezeit änderten die Inspektoren ihre Taktik. Sie kamen mit dem Zug und quartierten sich in den jeweiligen Bahnhofshotels ein. Doch sie wurden von den Hotelbetreibern auf den ersten Blick erkannt, und die hatten alle jede Menge Cousins und Zulieferer, die crottins aus Ziegenkäse und foie gras herstellten, Marmeladen und Speiseöle, gewürzt mit Walnüssen oder Trüffeln, Butter und Joghurt, pâtés und mousses und confits, dank deren das Périgord als das Herzstück der gastronomischen Kultur Frankreichs galt – zumindest für Lokalpatrioten wie Bruno und seinen einzigen Vorgesetzten, den Bürgermeister von Saint-Denis, sowie alle gewählten Ratsmitglieder der Gemeinde und selbst für Montsouris, den Kommunisten. Bruno verstand es deshalb auch als seinen amtlichen Auftrag, Nachbarn und Freunde vor den Idioten aus Brüssel in Schutz zu nehmen, die sich unter gutem Essen allenfalls Miesmuscheln und Pommes frites vorstellen konnten und dann auch noch edle Kartoffeln mit Fertigmayonnaise verhunzten.
Jetzt versuchten es die Inspektoren also mit einer neuen Finte: Sie inszenierten ihren Überfall mit einem vor Ort gemieteten Auto, um nicht aufzufallen und später mit intakten Reifen wieder verschwinden zu können. Gestern war es ihnen in Saint-Alvère tatsächlich gelungen, vier Strafprotokolle auszustellen. Auf dem Markt von Saint-Denis aber, mit seiner fast 700-jährigen Tradition, würden sie keinen Er folg haben, nicht wenn Bruno seine Leute schützen konnte.
Er warf einen letzten Blick auf den kleinen ihm anvertrauten Winkel des Paradieses, atmete seine Heimatluft tief ein und wappnete sich für den Tag.
Copyright © Walker und Watson Ltd 2008
Übersetzung:»Michael Windgassen«
Oder auf fast alle. Er verzichtete auf den breiten Gürtel mit Halfter samt Pistole, Handschellen und Stablampe, mit Schlüsseln, Notizbuch und all den übrigen Utensilien, mit denen sich die meisten anderen französischen Polizisten abschleppten. Ein solcher Gürtel lag auch nicht in seinem Wagen. Zwar würde sich irgendwo aus dem Durcheinander im Heck ein Paar alter Handschellen zutage fördern lassen, doch wo sich der Schlüssel dazu befand, hatte Bruno längst vergessen. Immerhin besaß er eine Stablampe, für die er schon seit Tagen neue Batterien kaufen wollte. Im Handschuhfach schließlich steckten mehrere Stifte und ein Notizbuch, das allerdings bis jetzt nur Kochrezepte enthielt sowie das Protokoll der letzten Mitgliederversammlung des Tennisvereins und eine Liste mit den Namen und Telefonnummern der Minimes, der Knirpse, die sich bei ihm zum Rugbytraining angemeldet hatten.
Brunos Dienstwaffe, eine ziemlich alte MAB 9mm Halbautomatik, lag im Safe seines Büros in der mairie und wurde nur einmal im Jahr zum Schießtraining auf dem Polizeischießstand in Périgueux herausgeholt. In seinen acht Jahren bei der police municipale hatte er sie genau dreimal im Einsatz getragen: das erste Mal, als in der Nachbargemeinde ein tollwütiger Hund gesichtet und die gesamte Polizei in Alarmbereitschaft versetzt worden war; das zweite Mal, als der französische Präsident auf dem Weg zu den berühmten Höhlenmalereien von Lascaux über Saint-Denis gefahren war, um seinen alten Freund Gérard Mangin zu begrüßen, den Bürgermeister und somit Brunos Vorgesetzten. Mit seiner Pistole bewaffnet hatte Bruno vor der mairie Wache gestanden, dem Staatsoberhaupt einen zackigen Gruß entrichtet und sich mit dessen sehr viel schwerer bewaffneten Bodyguards unterhalten, wobei sich herausstellte, dass er einen von ihnen aus seiner Armeezeit kannte. Seinen dritten Einsatz mit der Waffe hatte ein boxendes Känguru erzwungen, das aus einem Zirkus ausgerissen war und die Gegend unsicher gemacht hatte ... doch das war eine andere Geschichte. Nie hatte Bruno im Dienst tatsächlich schießen müssen, und darauf war er insgeheim sehr stolz. Während der Jagdsaison zog er allerdings wie die meisten anderen Männer (und nicht wenige Frauen) der Gemeinde von SaintDenis fast täglich mit der Flinte los – und wenn er nicht gerade der notorisch scheuen, aber besonders schmackhaften bécasse nachpirschte, traf er in der Regel auch.
Bruno schaute zufrieden auf seine Stadt hinab, und wie so oft verweilte sein Blick zunächst auf dem glitzernden Lichtspiel der Sonne in den Strudeln der Vézère vor den alten steinernen Brückenbögen, wanderte weiter zum hell blinkenden Wetterhahn auf dem Kirchturm, dann zu dem Adler über dem Kriegerdenkmal, wo er sich heute Punkt zwölf zu einer Gedenkveranstaltung einfinden musste, und dann hinüber auf die reflektierenden Windschutzscheiben und Chromteile der Autos und Wohnwagen auf dem Parkplatz hinter dem Krankenhaus.
Allmählich kam Leben in das friedliche Bild. Die ersten Gäste steuerten auf Fauquets Café zu, und selbst von der fernen Anhöhe aus hörte Bruno das Metallrollo klappern, das vor Lespinasse’ tabac hochgezogen wurde, wo man außer Zigaretten auch Angelzeug, Waffen und Munition kaufen konnte. Ein nicht gerade gesundheitsförderndes Sortiment, dachte Bruno.
Auch ohne hinsehen zu müssen, wusste Bruno, dass Madame Lespinasse jetzt den Laden öffnete und sich ihr Mann als erster Gast im Café ein kleines Glas Weißwein genehmigte, dem er im Laufe des Tages noch viele für den angenehmen Dauerrausch folgen lassen würde. Bruno wusste auch, dass bei Fauquet wie immer die gleiche Runde alter Herren beieinanderhockte. Sie studierten Listen der Sportwetten und schlürften ihren ersten petit blanc, während die Mitarbeiter der mairie an ihren Croissants knabberten, Kaffee tranken und die Schlagzeilen der aktuellen Ausgabe der Sud-Ouest lasen. Er wusste, dass Schuster Bachelot bei Fauquet an seinem Morgengläschen nippte, während sein Erzfeind und Nachbar Jean-Pierre, der den Fahrradladen führte, sein Tagwerk in Ivans Café de la Libération begann. Ihre Feindschaft ging auf die Tage der Résistance zurück, als der eine einer kommunistischen Gruppe und der andere der Armée secrète von de Gaulle angehört hatte. Bruno erinnerte sich nicht mehr, wer welchem Lager zuzuordnen war. Er wusste nur, dass die beiden seit dem Krieg kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt hatten und das Gleiche von ihren Angehörigen verlangten, denen sie allenfalls ein frostiges bonjour erlaubten. Außerdem wurde gemunkelt, dass beide Männer seit Jahren heimlich und unbeirrt versuchten, die Ehefrau des anderen zu verführen. Der Bürgermeister hatte Bruno einmal bei einem Glas Wein anvertraut, er sei überzeugt davon, dass beide, Bachelot wie auch Jean-Pierre, ihr Ziel erreicht hätten. Bruno war allerdings lange genug Polizist, um den meisten Gerüchten über Seitensprünge zu misstrauen, und als jemand, der in delikaten Dingen selbst streng auf Verschwiegenheit achtete, räumte er anderen dasselbe Recht auf Diskretion ein.
All diese kleinen Eigenheiten von Saint-Denis waren Bruno so vertraut wie seine eigenen morgendlichen Routinen: seine von Radio Périgord begleitete Frühgymnastik, das Duschbad mit Spezialshampoos zur Vorbeugung gegen Haarausfall und der nach grünen Äpfeln duftenden Seife, dann das Hühnerfüttern, während der Kaffee kochte, und schließlich das gemeinsame Frühstück mit seinem Hund Gigi – getoastete Baguettescheiben vom Vortag.
Bruno blickte zu den Höhlen in den Kalksteinfelsen jenseits des kleinen Wasserlaufs, der vor der Stadt in die Vézère mündete. Diese unheimlichen Höhlen mit ihren uralten Zeichnungen und Gemälden lockten Wissenschaftler und Touristen aus aller Welt in dieses Tal, vom Verkehrsamt als ›Wiege der Menschheit‹ bezeichnet, weil es angeblich der am längsten kontinuierlich bewohnte Kulturraum Europas war. Hier lebten Menschen seit 40 000 Jahren; Eiszeiten und Hitzeperioden, Überflutungen, Kriege und Hungersnöte hatten sie nicht vertreiben können. Bruno verstand die Verbundenheit mit diesem Ort, obwohl er sich vorstellen konnte, dass es auch anderswo sehenswerte Höhlen mit einzigartigen Felszeichnungen gab.
Unten am Flussufer sah er die verrückte Engländerin, die nach ihrem allmorgendlichen Ausritt ihr Pferd tränkte. Wie immer war sie äußerst sorgfältig gekleidet, trug blank polierte schwarze Stiefel, eine beigefarbene Reithose und ein schwarzes Jackett. Unter der schwarzen Reitkappe wucherte rotbraunes Haar wie ein Fuchsschwanz hervor. Bruno fragte sich, warum sie bei allen die verrückte Engländerin hieß. Auf ihn machte sie einen ganz und gar vernünftigen Eindruck, und ihr kleines Gästehaus schien sie ebenfalls bestens zu führen. Sogar ihr Französisch war durchaus verständlich, was von dem der wenigsten anderen Engländer, die sich hier niedergelassen hatten, behauptet werden konnte. Er schaute auf die Straße, die dem Flusslauf folgte, sah die ersten Bauern mit ihren Lastwagen zum Wochenmarkt fahren und fand, dass es allmählich Zeit wurde, seinen Dienst anzutreten. Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte die ihm vertraute Nummer des Bahnhofshotels.
»Sind sie bei dir aufgekreuzt, Marie?«, fragte er. »Sie waren gestern auf dem Markt von Saint-Alvère, müssten also in der Gegend sein.«
»Nein, Bruno. Hier waren nur die Jungs vom Museumsprojekt und ein spanischer Lastwagenfahrer«, antwortete die Wirtin. »Weißt du noch? Als sie das letzte Mal hier waren und nichts gefunden haben, wollten sie sich in Périgueux ein Auto mieten, um dich damit von ihrer Spur abzubringen. Verdammte Gestapo.«
Bruno spielte mit den eu-Inspektoren, die auf den französischen Märkten die Hygieneverordnungen für Lebensmittel durchzusetzen versuchten, ein Katz-und-Maus-Spiel; er fühlte sich in erster Linie seiner Gemeinde, ihrem Markt und Bürgermeister verpfichtet, weniger den geschriebenen Gesetzen Frankreichs, zumal wenn diese tatsächlich aus Brüssel stammten. Gegen Hygiene war zwar nichts einzuwenden, aber die Bauern der Gemeinde von Saint-Denis stellten ihre pâté de foie gras und ihre rillettes de porc schon seit Jahrhunderten her, und dass ihnen irgendwelche fremden Bürokraten vorschrieben, unter welchen Bedingungen sie ihre Gänseleberpastete und ihren durch langes Schmoren und Rühren von Fleisch- und Fettresten des Schweins gewonnenen Brotaufstrich verkaufen durften, passte ihnen überhaupt nicht. Also hatte Bruno zusammen mit anderen Mitgliedern der regionalen police municipale ein komplexes Frühwarnsystem entwickelt, um die Markthändler rechtzeitig alarmieren zu können, wenn Kontrollen zu erwarten waren.
Die Inspektoren – in einer Gegend Frankreichs, die der deutschen Besatzung entschieden Widerstand geleistet hatte, gemeinhin Gestapo genannt – waren zu ihrem ersten Kontrollbesuch in einem Auto mit roten belgischen Nummernschildern auf den Märkten des Périgord aufgekreuzt. Beim zweiten Besuch, vor dem Bruno gewarnt hatte, waren alle vier Reifen plattgestochen worden. Daraufhin kamen sie in einem Auto aus Paris mit den Endziffern 75 auf dem Kennzeichen. Aber auch sie bekamen es mit der Résistance zu tun, und Bruno fürchtete schon, dass die Gegenmaßnahmen vor Ort außer Kontrolle geraten könnten. Er ahnte sehr wohl, wer für die platten Reifen verantwortlich war, und hatte mit ein paar mahnenden Worten unter vier Augen die Wogen zu glätten versucht. Gewaltakte waren überflüssig, solange das hiesige Frühwarnsystem gewährleisten konnte, dass die nicht eu-konformen Waren von den Märkten verschwunden waren, bis die Inspektoren eintrafen. In der Folgezeit änderten die Inspektoren ihre Taktik. Sie kamen mit dem Zug und quartierten sich in den jeweiligen Bahnhofshotels ein. Doch sie wurden von den Hotelbetreibern auf den ersten Blick erkannt, und die hatten alle jede Menge Cousins und Zulieferer, die crottins aus Ziegenkäse und foie gras herstellten, Marmeladen und Speiseöle, gewürzt mit Walnüssen oder Trüffeln, Butter und Joghurt, pâtés und mousses und confits, dank deren das Périgord als das Herzstück der gastronomischen Kultur Frankreichs galt – zumindest für Lokalpatrioten wie Bruno und seinen einzigen Vorgesetzten, den Bürgermeister von Saint-Denis, sowie alle gewählten Ratsmitglieder der Gemeinde und selbst für Montsouris, den Kommunisten. Bruno verstand es deshalb auch als seinen amtlichen Auftrag, Nachbarn und Freunde vor den Idioten aus Brüssel in Schutz zu nehmen, die sich unter gutem Essen allenfalls Miesmuscheln und Pommes frites vorstellen konnten und dann auch noch edle Kartoffeln mit Fertigmayonnaise verhunzten.
Jetzt versuchten es die Inspektoren also mit einer neuen Finte: Sie inszenierten ihren Überfall mit einem vor Ort gemieteten Auto, um nicht aufzufallen und später mit intakten Reifen wieder verschwinden zu können. Gestern war es ihnen in Saint-Alvère tatsächlich gelungen, vier Strafprotokolle auszustellen. Auf dem Markt von Saint-Denis aber, mit seiner fast 700-jährigen Tradition, würden sie keinen Er folg haben, nicht wenn Bruno seine Leute schützen konnte.
Er warf einen letzten Blick auf den kleinen ihm anvertrauten Winkel des Paradieses, atmete seine Heimatluft tief ein und wappnete sich für den Tag.
Copyright © Walker und Watson Ltd 2008
Übersetzung:»Michael Windgassen«
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Autoren-Porträt von Martin Walker
Martin Walker, geboren 1947 in Schottland, ist Schriftsteller, Historiker und politischer Journalist. Er lebt in Washington und im Périgord und war 25 Jahre lang bei der britischen Tageszeitung 'The Guardian'. Heute ist er im Vorstand eines Think-Tanks für Topmanager in Washington. Seine 'Bruno'-Romane erscheinen in 18 Sprachen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Walker
- 2010, 28. Aufl., 352 Seiten, Maße: 11,3 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael Windgassen
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257240465
- ISBN-13: 9783257240467
- Erscheinungsdatum: 19.05.2010
Pressezitat
»Man hätte kaum eine Stunde in anregenderer Unterhaltung verbringen können als mit dem gebürtigen Schotten.« Walter Meier / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung
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