Bulu - Der afrikanische Wunderhund
Guru auf vier Pfoten – ein kleiner afrikanischer Hund lehrt Liebe, Mitgefühl, Respekt und Würde
Er ist nur ein kleiner Jack-Russell-Mischling, doch in seiner Brust schlägt ein riesengroßes Herz: Als ihn das...
Er ist nur ein kleiner Jack-Russell-Mischling, doch in seiner Brust schlägt ein riesengroßes Herz: Als ihn das...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Bulu - Der afrikanische Wunderhund “
Guru auf vier Pfoten – ein kleiner afrikanischer Hund lehrt Liebe, Mitgefühl, Respekt und Würde
Er ist nur ein kleiner Jack-Russell-Mischling, doch in seiner Brust schlägt ein riesengroßes Herz: Als ihn das Ehepaar Tolan in die Wildnis vom Sambia mitnimmt, entwickelt sich Bulu zu einem wahren Wunderhund: Tapfer riskiert er sein Leben für seine Besitzer, nimmt sich verwaisten Tierbabys an und scheut auch nicht vor Kämpfen mit gefährlichen Dschungelbewohnern zurück.
Die wahre Geschichte dieses seelenvollen Hundes steckt voller Lebensweisheit; wer Bulu kennenlernt, wird ihn sofort ins Herz schließen.
Er ist nur ein kleiner Jack-Russell-Mischling, doch in seiner Brust schlägt ein riesengroßes Herz: Als ihn das Ehepaar Tolan in die Wildnis vom Sambia mitnimmt, entwickelt sich Bulu zu einem wahren Wunderhund: Tapfer riskiert er sein Leben für seine Besitzer, nimmt sich verwaisten Tierbabys an und scheut auch nicht vor Kämpfen mit gefährlichen Dschungelbewohnern zurück.
Die wahre Geschichte dieses seelenvollen Hundes steckt voller Lebensweisheit; wer Bulu kennenlernt, wird ihn sofort ins Herz schließen.
Klappentext zu „Bulu - Der afrikanische Wunderhund “
Auf einer Krokodilfarm im Sambia geboren, ist Bulu von Anfang an anders als andere Hunde: ungewöhnlich ruhig für seine Rasse. Scheinbar verschlossen. Niemand will ihn. Doch für Anna und Steve Tolan, die aus England in den afrikanischen Busch gezogen sind, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie taufen den Welpen Bulu – der wilde Hund. Als Bulu im Busch aufwächst, blüht er auf. Er entdeckt seine Berufung als Beschützer von verwaisten Tierbabys. Unerschrocken verteidigt er sie gegen ungleiche Angreifer wie Löwen, Giftschlangen und Krokodile … Bulus Geschichte beweist, dass Hunde einzigartige Wesen und zu Liebe und Mitgefühl fähig sind. Sie zeigt, wie alle Lebewesen miteinander verbunden sind, wie viel wir Menschen von Tieren lernen können – und dass die Welt ein bisschen besser wäre, wenn wir alle wie der kleine Wunderhund füreinander einstehen würden.
Lese-Probe zu „Bulu - Der afrikanische Wunderhund “
Bulu - Der afrikanische Wunderhund von Dick HoustonDies ist eine wahre Geschichte ...
Das erste Mal bin ich Bulu vor mehreren Jahren im Luangwa- Tal in Sambia begegnet, und zwar im Hauptquartier der Anti-Wilderei-Kampagne der South Luangwa Conservation Society. Die SLCS ist eine gemeinnützige Einrichtung, die sich im Naturschutz und bei der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen engagiert. In meiner Funktion als Präsident von Elefence International (einer Elefantenschutzorganisation) traf ich mich damals mit Rachel McRobb, Vorstand der SLCS, und der Rangertruppe der SLCS. Wir besprachen gerade unsere Pläne, für die Rangers eine Anti-Wilderei-Basis zu bauen, als sich am Funkgerät Anna Tolan vom Chipembele Wildlife Education Center mit einem Hilferuf aus einem benachbarten Dorf meldete. Eine Hyäne hatte sich in einer Schlinge verfangen. Das Tier lebte, doch der Draht hatte sich tief in seinen Hals eingegraben. Ein vor Ort anwesender Mitarbeiter der sambischen Naturschutzbehörde Zambia Wildlife Authority (ZAWA) hatte Anna Tolan sein Funkgerät zur Verfügung gestellt.
Wir fuhren an den Ort des Geschehens; Rachel stieg aus. Innerhalb weniger Minuten hatte sie die Medikamentendosis berechnet, die Injektionsspritze vorbereitet und ein Betäubungsgewehr damit geladen. Dann näherte sie sich der Hyäne bis auf wenige Meter, kniete sich hin, zielte und feuerte ab. Plop. Der Pfeil traf die linke Hüfte des Tiers. Fünf Minuten später war die Hyäne bewusstlos. Mit einer großen Drahtzange schnitt Rachel die Schlinge auf und befreite das Tier.
... mehr
Der ZAWA-Beamte gab uns die Genehmigung, die Hyäne zur Behandlung ins Chipembele-Zentrum zu bringen. Eine Stunde später erreichten wir das Naturschutzzentrum. Aus der Eingangshalle eines langen Betongebäudes trat ein Mann und begrüßte uns. Es war Annas Mann Steve. Gemeinsam trugen wir die bewusstlose Hyäne in ein Gehege. Es hatte einen 90 Zentimeter hohen Sockel aus Stein, darüber Maschendraht, der an Stützpfosten befestigt war. Wir legten das unglückselige Tier auf den Boden. Rachel untersuchte den Hals der Hyäne und sah, dass die Verletzung nicht lebensgefährlich war. Sie säuberte die Wunde und spritzte dem Tier ein Antibiotikum. Nach ihrer vollständigen Genesung würde die Hyäne wieder in die Wildnis entlassen werden.
Als ich mich umdrehte, um den Stall zu verlassen, sah ich, wie etwas durch den Maschendraht spähte. Es war ein weißer Hund mit brauner Zeichnung und einem spitzen Gesicht. Er stand auf seinen Pfoten aufrecht gegen die Steinmauer gelehnt und beobachtete die Hyäne. Dann richtete der Hund seinen Blick auf mich und musterte mich. »Das ist Bulu«, grinste Steve, der mein Erstaunen bemerkte. »Ich mache euch miteinander bekannt.«
Von diesem Augenblick an war ich in Bulu verliebt. Steve, Anna und ich wurden bald enge Freunde, und ich erfuhr Bulus unglaubliche Geschichte. Im Laufe der Jahre hatte ich das Glück, ihn im Dschungel in voller Aktion zu erleben. Sie werden es in diesem Buch selbst erfahren - Bulu ist einer der außergewöhnlichsten Hunde, die jemals gelebt haben. Dick Houston Mai 2010
1
Schafft euch ja keinen Hund an, wenn ihr im afrikanischen Busch leben wollt« - Mitch warnte Steve und Anna eindringlich, als sie im Schatten ihres Pavillons - mit Blick über den Fluss Luangwa - saßen. »Freunde von mir haben ihren Hund vor einigen Jahren durch einen Leoparden verloren. Er schnappte ihn ihnen direkt von der Veranda weg.« Mitch schaute zum Fluss, wo ein Krokodil auf eine Sandbank kroch. »Seit beinahe 40 Jahren führe ich im Luangwa-Tal Safaris durch. Und ich habe noch nie erlebt, dass ein Haustier hier länger als ein paar Monate überlebt hat.« Er zeigte auf das Nilpferd, das mitten im Fluss in der brütenden Hitze grummelte und schnaubte. »Muss ich euch wirklich daran erinnern?« Er schaute die beiden eindringlich an: »Der sambische Busch ist voller Gefahren.«
»Anna und ich haben durchaus eine gewisse Ahnung von Gefahren«, sagte Steve und zwinkerte Anna zu, die gerade Tee in kleine Blechtassen einschenkte. Die beiden lächelten, als sie zu ihrem afrikanischen »Haus« hinüberschauten, das knapp 50 Meter vom Pavillon entfernt lag. Es war eine runde Einraumhütte, ein Rondavel, aus Holz und Stroh mit einem strohgedeckten Dach. Wie ein riesiger runder Sandkuchen ruhte es unter einem wilden Mangobaum. Im Inneren schwitzte ein kerosinbetriebener Kühlschrank, der verderbliche Lebensmittel kühlte. Auf einem alten Propangaskocher bereiteten sie ihre Mahlzeiten zu, und die Dusche hinter einer Stellwand aus Korbgeflecht wurde mit Flusswasser gespeist. Wenn sie vergaßen, die Tür zu schließen, kamen Kobras auf Besuch. Manchmal ließen sich Skorpione vom Moskitonetz auf ihr Bett fallen. Löwengebrüll erschütterte die Strohwände. Doch trotz aller Gefahren liebten Steve und Anna das Leben im wilden sambischen Luangwa-Tal: Sie lebten ihren Traum.
»Trotzdem«, beharrte Mitch, »ist das kein Ort für einen Hund.« »Nun, Mitch«, Anna blieb hartnäckig »hast du nicht gerade gesagt, dass auf der alten Krokodilfarm Welpen zu verkaufen sind?«
»Ihr seid wirklich fest entschlossen, stimmt's?« Mitch schüttelte den Kopf und strich sein langes weißes Haar zurück.
»Wenn Anna sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt es kein Zurück.« Steve lachte. »Warum sonst, glaubst du, haben wir England verlassen, um hier zu leben?«
»Okay, ihr müsst es wissen. Gestern war ich bei Hank auf der Krokodilfarm. Sein Wurf hat fünf Welpen. Vier sind verkauft, aber den letzten will niemand. Der Vater war ein Jack Russell. Terrier sind gewöhnlich Energiebündel und sehr lebhaft. Aber dieser da ist nicht so. Er ist anders. Er reagiert nicht so, wie man es erwartet. Er ist zu ruhig. Seine Beine sind zu lang, und außerdem hat er ein spitzes Gesicht. Ihr solltet euch besser nach einem anderen Hund umschauen.«
Anna dachte einen Moment nach. »Warum sollen wir weitersuchen? « Sie lehnte sich in ihrem Canvasstuhl zurück, verschränkte die Arme und schaute Mitch an. »Das klingt so, als ob dieser Hund anders ist.«
»Ja, ich glaube, auf irgendeine Art ist er das.« Mitch zuckte mit den Achseln. »Also, wenn ihr den Hund nehmt, müsst ihr das wissen. Ein Hund wird euch nichts als Kummer bereiten. Früher oder später wird er von einer Tsetsefliege gestochen und mit den Trypanosoma-Parasiten infi ziert werden. Dann bekommt er die Schlafkrankheit. Die meisten Wildtiere sind immun dagegen. Bei Haustieren ist die Krankheit in Afrika aber Todesursache Nummer eins.« Er griff nach der Teekanne. »Und behaltet ihn im Auge. Trotz allem hat er Terrierblut in sich. Wenn er im Busch hinter etwas herjagt, kann er gefressen werden.«
Der Landrover schwankte wie ein betrunkenes Rhinozeros zwischen Schlaglöchern und Fahrrinnen auf der verschlammten Straße hin und her. Es war November, der Beginn der Regenzeit. Steve und Anna bogen auf einen schmalen Weg ein, auf dem frisches Gras sprießte. Ein verblasstes Schild »KROKODILFARM « war durch das grüne Gebüsch hindurch zu erkennen. Die alten Zementbecken, in denen einst Krokodile gehalten wurden, waren von Unkraut überwuchert und hatten durch die darunter verlaufenden Wurzeln Risse bekommen. Die Krokodilzucht war ehemals wegen der Tierhäute betrieben worden. Inzwischen war das Geschäft bankrott gegangen, und die Tiere waren verschwunden. Nun sollten auf dem Grundstück Unterkünfte für Touristen entstehen. Afrikanische Arbeiter standen auf Leitern und flochten neue Dächer für die Hütten.
Steve parkte den Landrover neben einem eingeschossigen Haus mit rotem Blechdach. Hank, ein untersetzter Mann mit weiten Shorts, trat aus der Eingangshalle, um sie zu begrüßen. »Tut mir leid, Freunde, aber wir haben keine Krokodile mehr auf Lager«, scherzte er.
Anna lachte, als sie und Steve aus dem Wagen stiegen. »Wir wollten uns eigentlich auch einen Hund anschauen.«
»Nur noch einer übrig«, sagte Hank. »Ein Rüde. Kommt, schaut ihn an.« Hank führte sie hinein. Er öffnete die Tür zu einem schwach beleuchteten Raum und zog den Vorhang am Fenster auf. »Da ist er.« Auf dem Boden stand ein alter Pappkarton, ausgelegt mit einer weißen Decke.
Als sich ihre Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, wurde eine braune Pfote auf der Decke sichtbar. Sie umrahmte den Kopf eines weißen Welpen. Der Hund lag zusammengerollt auf der Seite und schlief. Der einzelne braune Fleck auf seinem Rücken wirkte, als sei er von einem Pinsel herabgetropft. »Er ist so winzig«, sagte Anna sanft, als sie ihn vorsichtig hochnahm und in ihre Arme schmiegte.
Steve betrachtete ihn genau. »Sein Gesicht - irgendetwas ist damit. Es wirkt so vertraut. Ich weiß nicht, was es genau ist.« Anna schaute zu Steve, der ihr nun zulächelte. Auch sie lächelte . »Hank, ich glaube, wir nehmen ihn«, sagte sie. »Was sind wir dir schuldig?«
»Ein Abendessen bei euch - mich mal richtig satt essen. Ich hole euch einen neuen Karton, in dem ihr ihn mitnehmen könnt.«
»Das ist nicht nötig.« Anna kuschelte den Welpen eng an ihre Brust. »Ich habe Martys Korb mitgebracht.«
»Marty?«, fragte Hank.
»Ein alter Freund, den wir ihn England zurücklassen mussten «, antwortete Anna mit dünner Stimme.
»Oh, ich verstehe.« Hank nickte verständnisvoll. »Das war bestimmt ein sehr lieber alter Freund.«
Steve steuerte den Landrover über die Straße, die parallel zum Fluss verlief, nach Hause. Anna saß neben ihm und hielt den Weidenkorb mit dem Hund auf ihrem Schoß. Sie legte ihre Hand auf den warmen kleinen Bauch des Welpen und erinnerte sich an die Zeit vor 15 Jahren. Damals brachten sie und Steve Marty - in demselben Weidenkorb - nach Hause in ihr Häuschen in Oxford. Marty war ein Border-Collie-Welpe, klug, hellwach und vom ersten Tag an treu und anhänglich. Während der nächsten 15 Jahre begleitete er Anna und Steve überallhin. Im letzten Jahr jedoch mussten sie, kurz bevor sie England verlassen und in ihr neues Zuhause in Sambia umsiedeln wollten, eine schwere Entscheidung treffen. Marty war zu alt; er hätte die Reise nicht überstanden. Sie mussten ihn in der Obhut von Annas betagten Eltern zurücklassen.
Jetzt überdachte Anna nochmals die Sache mit diesem Welpen. Würde sie ihn wirklich in Gefahr bringen? Am Flussufer, in der Nähe des Hauses, lagerten ständig Pavianhorden. Die Männchen mit ihren 15 Zentimeter langen Schneidezähnen waren bekannt dafür, Impalasbabys (Schwarzfersenantilopen) zu jagen und zu töten. Warzenschweinmütter schlitzten mit ihren dolchartigen Fangzähnen brutal jede Hyäne auf, die ihren Babys zu nahe kam. Nachts tauchten Flusspferde auf, leise wie U-Boote, um am Ufer zu fressen. Wie konnte sie nur annehmen, dass ein Welpe im Busch überleben würde? Dachte sie bei ihrem Wunsch, einen Hund zu haben, nur an sich? Ein harter Stoß, verursacht durch ein Schlagloch auf der Straße, unterbrach ihre Bedenken. Der Landrover schoss unkontrolliert nach vorne. Der Welpe schlief weiter.
»Das ist ja kaum zu glauben, dass er dabei nicht aufgewacht ist«, sagte Steve.
Anna schaute ins Körbchen hinein. »Du glaubst nicht, dass sie recht hatten mit dem, was sie über ihn sagten, nicht wahr?«
»Recht womit?«
»Dass er anders ist. Dass er vielleicht nicht viel Persönlichkeit besitzt?«
Steve griff hinüber und legte seine Hand auf den Kopf des Welpen. »Du weißt, es besteht ein Riesenunterschied zwischen Persönlichkeit und Charakter. Meine Mutter sagte immer, dass stille Wasser tief sind.«
Anna lächelte und dachte, wie typisch es für Steve war, Dinge zu sehen, die andere Menschen übersahen. Sie betrachtete ihn, während er sich auf die Straße konzentrierte. Er hatte sich nicht sehr verändert, seit sie ihn vor 17 Jahren kennengelernt hatte. Sein kurz geschnittenes Haar ergraute nun zwar schnell, aber er besaß immer noch sein lässiges Lächeln und seinen jungenhaften Sinn für Humor. Sie erschauderte, als sie daran dachte, dass sie ihn beinahe verloren hätte.
Während der Landrover die Straße entlangruckelte, dachte sie über ihre erste Begegnung nach. Sie waren damals beide Polizeibeamte in Slough, England, und arbeiteten in derselben Schicht. Als sie sich näher kennenlernten, stellten sie fest, dass sie sich beide für Tiere und Naturexkursionen begeisterten. Anna besaß ein Diplom in Umweltwissenschaften und hatte sich sehr gewünscht, beruflich in Projekten zum Schutz von Wildtieren zu arbeiten. Aber sie hatte keine Stelle in diesem Bereich gefunden. Sie vertraute Steve einen Wunsch an, den sie schon als Mädchen gehabt hatte. Der Traum, nach Afrika zu gehen und wilde Tiere zu erleben. Auch Steve war der Meinung, dass Afrika das größtmögliche Abenteuer wäre. Sie sprachen davon, eines Tages gemeinsam dorthin zu reisen.
Dann folgten aufregende Ereignisse. Steve wurde von Slough in das Thames Valley Police Department in Oxford versetzt. Als er abreiste, dachte Anna, sie würde ihn niemals wiedersehen. Doch einige Monate später kam Steve für eine Zeugenaussage nach Slough zurück. Als die beiden sich auf der Polizeiwache wiedersahen, wurde ihnen bewusst, wie sehr sie einander vermisst hatten. Zwei Wochen später waren sie verlobt, einige Monate später heirateten sie und ließen sich in Oxford nieder. Bald danach bekam Anna den Auftrag, verdeckte Ermittlungen zum Aufspüren von Diebesgut - Möbel, Schmuck und Gemälde - aufzunehmen. Dieser neue Detektivjob half dem Paar, auf ihren afrikanischen Traum zu sparen. Sie hatten vor, jedes Jahr ein Stück des riesigen Kontinents während ihres einmonatigen Urlaubs zu erkunden.
Anna hielt das Hundekörbchen fest, als Steve beschleunigte, um ein ein Meter langes Schlammloch zu überwinden. Wasser spritzte über den Kühler. Die Straße schlängelte sich hier durch dichten Mopanenwald. Die schmetterlingsförmigen Blätter bewegten sich im Wind. Anna kannte jede Besonderheit der abgeschiedenen Straße, die neben dem Luangwa-Fluss verlief; am gegenüberliegenden Ufer lag der Nationalpark. Doch die Wildtiere ignorierten die Parkgrenzen und bewegten sich über das Wasser frei hin und her. Anna und Steve liebten die Ursprünglichkeit des Flusses - der einzige in ganz Afrika, der von Dämmen verschont geblieben war.
Sie erinnerte sich daran, wie sie diese Straße das erste Mal befahren hatten. Es war während einer ihrer vielen Exkursionen in Afrika. Sie waren im Kongo, in Ghana, im Senegal, in Kenia, Tansania, Namibia, Botswana und vielen anderen afrikanischen Ländern gewesen. Und dann trafen sie in einem Jahr eine schicksalshafte Entscheidung. Sie wollten Sambia erkunden. Von Sambias Hauptstadt Lusaka aus fuhren sie ostwärts über eine holprige Straße zum Südluangwa-Nationalpark. Dank der Abgeschiedenheit und der katastrophalen Straßen verirrten sich nur wenige Besucher jemals hierher. Als sie das Ende der Klippen im Muchingagebirge, der Muchinga- Steilstufe, erreichten - sie bilden die westliche Begrenzung des Luangwa-Tals -, war es Liebe auf den ersten Blick. Sie blickten 600 Meter in die Tiefe. Ein smaragdgrünes Meer aus Baumkronen breitete sich über eine endlose Wildnis aus - Aberhunderte von Quadratkilometern Wälder, Lagunen und offene Graslandebenen. Etwa 50 Kilometer entfernt schlängelte sich ein Fluss durch diesen verborgenen Garten Eden. Als sie das Tal erreichten, waren sie überwältigt. In keiner anderen Gegend Afrikas, die sie bereist hatten, gab es so viele verschiedene Tierarten an einem Ort. Hier lebten Tausende Büffel, Giraffen, Zebras, Kudus, Zobel, Elenantilopen, Wasserböcke, Geparden und mehr Leoparden pro Quadratkilometer als an jedem anderen Ort in Afrika. Es gab über 400 Vogelarten. Im Luangwa-Fluss lebten proportional die meisten Flusspferde und Krokodile auf dem Kontinent. Das Tal hatte eine Population von 8000 Rhinozerossen hervorgebracht; es war berühmt geworden wegen seiner unglaublichen Anzahl an Elefanten, eine Population von über 100 000 Tieren. Die Einheimischen hatten Luangwa treffenderweise das Tal der Elefanten genannt.
Es besaß einen besonderen Zauber. Anna erinnerte sich an die letzte Nacht ihres Urlaubs vor der Rückkehr nach England. Sie kampierten unter freiem Sternenhimmel am Flussufer, als sie in der Ferne ein schwaches Grollen hörten: ein schauderhafter Ton, den sie mehr fühlten als hörten - ein rufendes Roaar! ... uummf ... roaar ... uummf. Sie rief sich jedes Detail in Erinnerung, als wäre es eine Szene aus einem Lieblingsfilm. Dieser Abend war der Wendepunkt in ihrem Leben gewesen.
»Horch«, hatte Steve gesagt: »Löwen!« Roaar!...uummf... roaar ... uummf. Er stand vor dem Lagerfeuer, seine Augen glänzten vor Aufregung. »Wir müssen hier leben, Anna.« Er drehte sich um und schaute sie an, wie sie in ihrem Klappstuhl saß und Kaffee schlürfte. »Wie sollen wir jemals in unser altes Leben in Oxford zurückfinden?«
Anna wusste, dass Steve Safaris liebte, aber sie war überrascht, dass er in Afrika leben wollte. »Steve«, sagte sie, »denk mal praktisch. Wie haben unsere Berufe, unser Zuhause ...«
»Praktisch denken ist was für Banker«, unterbrach er sie. »Ich werde hier ein Haus bauen.«
»Aber du hast noch nie ein Haus gebaut!«
»Dann werde ich es lernen.«
»Nun sag schon, woraus willst du es bauen? Stroh und Schilf?«
Sie lachten über sich selbst. Seine Idee schien so fragil wie das Haus, das er bauen wollte.
»Ich denke, das ist ein bisschen unrealistisch.« Steve schaute hoch zu den Sternen; von dort schien das Rufen der Löwen zu kommen. »Aber ... das Leben ist kurz. Man plant immer für die Zukunft. Niemand lebt nur im Augenblick.«
Wie kaltes Wasser erstickte die Frage der praktischen Umsetzbarkeit den Ausbruch von Steves Spontaneität im Keim. Ihre Polizeijobs warteten, und Rechnungen mussten bezahlt werden, doch die Glut des Traums glühte noch nach. Bis lange in die Nacht sprachen sie über die Möglichkeit, nach ihrer Pensionierung in Luangwa zu leben. Doch der Ruhestand schien Lichtjahre entfernt zu sein. Und dann, nach ihrer Rückkehr, kam eines Tages das Schicksal ins Spiel.
Steve hatte Dienst und erhielt einen Notruf. Er lief zu seinem Streifenwagen und fuhr los. Mit hoher Geschwindigkeit stieß sein Wagen mit einem anderen Fahrzeug zusammen und prallte direkt auf eine Mauer. Steve erlitt schwere Verletzungen an Rücken und Hals. Seine Verletzungen waren so schwer, dass er nicht mehr als Polizist arbeiten konnte. Er wurde wegen Invalidität in den Ruhestand versetzt.
Mehrere Wochen nach dem Unfall erinnerte sich Anna an Steves Worte. Als Steves Genesung allmählich Fortschritte machte, wurde ihnen klar, dass es jetzt an der Zeit war, im Hier und Jetzt zu leben. Anna quittierte ihren Dienst bei der Polizei, sie verkauften all ihre materiellen Besitztümer und machten Pläne, wie sie sich in Sambia dauerhaft niederlassen konnten.
»Steve«, sagte Anna, »erinnerst du dich, wie die Leute zunächst reagierten, als wir sagten, dass wir auswandern und in Afrika leben wollen?«
»Natürlich! Die meisten sagten, das klinge echt verrückt. Die Höflicheren sagten, es würde sich schon nach etwas Besonderem anhören.«
Anna griff ins Hundekörbchen und nahm den Welpen hoch. »Anders, bist du das?«, flüsterte sie, als sie sein Gesicht eng an ihres hielt. »Wie sollen wir dich nennen?« Die Augen des Welpen blieben geschlossen. Sie schaute durch die Windschutzscheibe und sah ein Stück des Flusses durch die Bäume glitzern.
Der Landrover bog in den vertrauten Weg zu ihrer Strohhütte ein. Als sie zum Stehen kamen, fühlte Anna sich unbehaglich. Sie konnte das Grunzen der Flusspferde hören. Es erinnerte sie an Mitchs Warnungen hinsichtlich eines Hundes. Er wird euch nichts als Kummer bereiten.
2
Das ist dein neues Zuhause, kleiner Freund«, sagte Steve, als er die Zündung des Landrovers abschaltete. »Keine Villa - aber der Blick ist einzigartig.« Anna setzte den Welpen zurück ins Körbchen. Dann öffnete sie die Tür und stieg aus, um ihre Beine auszustrecken. Sie blinzelte in die untergehende Sonne, die durch die Wälder jenseits des Flusses schien. Als sie in den Wagen zurückblickte, war sie überrascht. Der Welpe war aus dem Körbchen herausgeklettert. Er stand auf dem Sitz und schaute sie an. Seine Augen, die die schräg einfallenden Sonnenstrahlen reflektierten, glitzerten bernsteinfarben.
»Schau dir das an. Er mustert dich.« Steve legte seine Arme um Anna, während er den Welpen beobachtete. »Ich kann mir nicht helfen, aber ich meine, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben.«
»Auf einem ägyptischen Grab vielleicht?« Anna staunte, während sie das kleine Gesicht studierte. »Seine Augen sind gezeichnet wie die eines Pharaos.«
Anna nahm den Welpen vom Sitz und versuchte, ihn in ihren Armen zu halten, aber er wand sich und wollte hinunter auf den Boden. Sie setzte ihn vorsichtig auf dem Boden ab. Er drehte seinen Kopf in Richtung des Winds und sog seinen ersten Duft vom Luangwa ein. Dann watschelte er auf wackeligen Beinen in Richtung Fluss; Steve und Anna folgten ihm.
Wiiik, wiiik, wiiik. Ein Adler glitt tief zwischen den Bäumen hindurch, mit seinen Krallen umklammerte er einen Fisch. Der Welpe schaute ruhig auf, seine Augen folgten der schwungvollen Flugspur des Adlers.
»Hast du das gesehen?«, fragte Steve, als er sich an den sandigen Uferdamm setzte. »Der Kleine ist nicht einmal zusammengezuckt. «
»Genau das bereitet mir Sorge. Es gibt hier so viele Raubvögel: Adler, Milane, Falken. Einmal habe ich gesehen, wie ein Kampfadler abends in der Nähe des Flusses einen Mungo einkreiste. Mir nichts, dir nichts, packte der Adler ihn, und weg war er.«
Der Welpe wandte seinen Kopf in Richtung der Flusspferde in der Mitte des Flusses. Ihr Grunzen wurde vom Wind weitergetragen. Hummpf, hummpf, hummpf. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf einen Wasservogel, der mit gesenktem Schnabel über die Wasseroberfläche glitt, auf der Jagd nach Fischen. Der Welpe war von allem, was er beobachtete, fasziniert.
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Steve. »Vor einigen Monaten, flussabwärts. Ich verfolgte gerade menschliche Fußspuren im Sand: Elfenbeinjäger. Ihre Abdrücke überlagerten die Spur eines alten Elefantenbullen. In dem düsteren Licht war es schwer, etwas zu erkennen, und ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich schaute nach links durch die Dornbüsche und erschrak, als mich etwas anstarrte: intelligente Augen, die aufmerksam aus einem breiten Gesicht schauten. Es war ein Wildhund. Seine runden Ohren wachsam wie Radar. Hinter ihm konnte ich noch das weglaufende Rudel erkennen, ziemlich unscharf allerdings. Aber er bewegte sich nicht. Wir starrten uns einfach an. Seine Augen waren wie dunkler Bernstein. « Steve richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Welpen und dann auf Anna. »Du weißt doch, dass das Wort für Wildhund in der lokalen Nyanjasprache Bulu lautet?«
Steve öffnete die knarrende Tür ihres Hauses. Innen war es dunkel; nach den Regenfällen roch es nach feuchtem Heu. Mit einem Streichholz entzündete er eine der Gaslaternen. Er pumpte, bis sie lebhaft fl ackerte. Honigfarbenes Licht gab langsam den Blick frei auf einen kreisförmigen Raum, ausgestattet mit einfachem Mobiliar. Neben dem alten Ofen standen vier handgefertigte Stühle um einen Tisch mit Blechtellern, Töpfen und Pfannen. Ein blauer Überwurf mit afrikanischem Druckmuster lag über den Matratzen eines Doppelbetts, daneben befand sich ein Fenster mit Blick zum Fluss. Die Bretter eines schiefen Bücherregals bogen sich unter Bänden über Naturgeschichte, Forschung, Entdeckungen und Paläontologie. An einer anderen Wand befand sich eine Art Vorratskammer, vollgepackt mit Konserven mit Milch, Corned Beef, Bohnen, Butter, Öl, Marmelade sowie verbeulte Blechdosen mit Mehl, Kaffee, Keksen, Tee und Zucker. Eine abgenutzte Ledercoach, in der Mitte durchgesessen, stand neben dem großen Wasserkühler aus Keramik. Ein undichter Brausekopf lugte über dem Raumteiler aus Weidengeflecht hervor, der das »Badezimmer« abtrennte. Ein Jagdgewehr, eine Winchester Magnum, lag auf einer Wandgarderobe; darunter gestapelt zwei verbeulte Munitionskoffer. Kameras und Ferngläser hingen an Haken neben der Tür. Rot gemusterte Vorhänge brachten ein wenig Farbe an die braunen Wände aus Stroh. Das hohe gewölbte Dach - es sah aus wie das Innere eines Zauberhuts - ließ die Hitze hochsteigen, sodass der Raum kühl blieb.
Anna stand draußen und schaute in den wilden Mangobaum neben dem Haus. Hunderte gelber Früchte stachen gegen den sich verdunkelnden Himmel ab. Plop, plop: Ein paar Mangos fi elen aufs Dach. Der Welpe schaute hoch, blieb wie angewurzelt sitzen, als sie auf den Boden rollten. Anna schmiegte sein kleines Gesicht an ihre Wange. »Bald werden die Elefanten hier sein, Bulu.« Sie bückte sich und hob eine Mango auf. »Das ist ihr Lieblingsessen.«
Anna ging hinein. Am Küchentisch öffnete Steve eine Konservenbüchse. »Heute Abend gibt es Fastfood«, sagte er. »Bohnen auf Butterbrot.«
Anna setzte Bulu auf den kühlen Zementboden. Sofort trottete er hinüber, um einen von Steves Sandalen zu untersuchen. Anna ging hinaus, um den Hundekorb aus dem Landrover zu holen. Als sie zurückkam, war Bulu fest eingeschlafen; sein Kopf lag auf Steves Sandale.
»Häuptling Kakumbi kommt in zwei Tagen«, sagte Steve und strich Butter auf sein Brot. »Ich bin ein wenig nervös. Hoffen wir, dass er uns das Land verpachtet. Unsere Zukunft hier hängt von seiner Entscheidung ab.«
»Wir bieten ihm dann besser etwas anders an als Bohnen«, sagte Anna und setzte sich an den Tisch.
»Ja, Bohnen sind wirklich nichts Besonderes.« Steve grinste. »Lass uns einen Braii machen. Aber wir brauchen eine neue Propangasflasche für den Grill. Ich werde morgens gleich losfahren und eine kaufen. Und ich versuche auch, frische Brassen zu bekommen - der leckerste Fisch der Welt. Dann noch auf den Markt und frisches Obst und Gemüse kaufen.«
»Alles muss richtig festlich sein.« Anna schaute zu den Regalen, auf denen Stapel mit sorgfältig zusammengefalteter Kleidung und Decken lagen. »Ich lege die lila Batiktischdecke auf. Aber ich frage mich, ob wir genug -«
»- Süßigkeiten haben!« Steve unterbrach sie, während er einen Klecks Bohnen auf sein Brot gab.
»Ja, wir müssen süße Leckereien anbieten.« Sie schaute hinüber zu Bulu, der auf der Sandale sein Nickerchen machte. »Ich überlege mir noch, was ich zubereiten kann.«
Anna stand vom Tisch auf. Bulu rührte sich nicht, als sie ihn mit dem Schuh in das Hundekörbchen legte. »Ich denke, du brauchst auch ein neues Paar Sandalen.«
Vanillesüßer Mopanerauch erfüllte die Morgenluft und weckte Anna aus dem Schlaf. »Beweg dich!« Steve brachte ihr Tee. Sein Haar war noch feucht vom Duschen. »Ich habe die alte Tonne angefeuert. Sollte noch genügend heißes Wasser für dich da sein.« Er nahm seine Jacke und die Schlüssel. »Bin am Spätnachmittag wieder da.« Er eilte zur Tür hinaus und vergaß, sie hinter sich zu schließen.
Anna schob das Moskitonetz zurück und stand auf. Bulu döste noch auf Steves Sandale. Sie kniete sich neben das Hundekörbchen und küsste ihn auf seine kleine Nase. Er öffnete die Augen. »Zeit für dein Frühstück.« Am Küchentisch verquirlte Anna eine Mischung aus Eigelb und Milch. Gerade als sie den Napf auf den Boden stellte, richtete sich Bulu auf. Gierig schleckte er sein ganzes Fressen auf. Sie lachte, als er sich danach sofort wieder auf Steves Sandale legte und die Augen schloss.
Anna ging nun unter die Dusche. Sie mischte das heiße Wasser mit kaltem Wasser aus den Fässern draußen und nahm Shampoo und Seife. Das Prasseln des auf den Boden spritzenden Wassers übertönte den Schrei eines nahen Adlers. Kurz danach drehte sie den Hahn zu, trocknete sich ab, schlüpfte in ihr Khaki-Shirt und die Shorts und ging zurück in den Raum. Bulu war nirgends zu sehen. Sie schaute unter dem Bett. Da war er nicht. »Bulu? Wo bist du?« Ihre Augen überblickten rasch den Raum. Dann sah sie die halb offene Tür. Sie dachte an den kreischenden Adler und rannte hinaus. »Bulu? Bulu?«, rief sie und schaute nach links und nach rechts. Nichts. Sie versuchte, nicht in Panik zu geraten, als sie die sandige, feuchte Erde absuchte. Wo waren seine Spuren? Endlich fand sie sie, kaum sichtbar zwischen dem Kreuz und Quer von Pavian-, Antilopen- und Ginsterkatzenspuren. Sie führten vom Haus weg hin zum Fluss - wo er ungeschützt dem offenen Himmel ausgesetzt wäre!
Anna lief schnell und versuchte, die Spuren nicht aus den Augen zu verlieren. Aus dem Dickicht gelangte sie nun zum offenen Ufer. Und da sah sie Bulu. Völlig ruhig saß er am Ufer. Mit seitwärts geneigtem Kopf beobachtete er ein Pavianrudel, das etwa 40 Meter vom Rande des Wassers entfernt war. Im Knöchelgang lief das Rudel das Flussbett entlang. Die Babys ritten auf den Rücken ihrer Mütter. Große, muskulöse Männchen bildeten mit ihrem Machogehabe die Nachhut.
Als die Männchen Anna erspähten, begannen sie zu bellen. Wie eine Diebesbande, ertappt bei einem Überfall, brüllten und balgten sie sich am Strand.
Anna nahm den winzigen Welpen hoch und hielt ihn eng an sich. »Bulu«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Oh, Bulu, du darfst niemals allein in den Busch gehen.«
3
Wot, wot, wot, wot, wot - das Rotschnabeltoko-Pärchen im Mangobaum zeterte. Irgendetwas eschreckte es. Anna bereitete gerade den Braii für den Abend vor und stellte Speisen auf den Tisch im Pavillon. Sie blickte auf. Dort, wo sie stand, konnte sie nur die Spitze des Baums sehen. Bulu, der in einem Klappstuhl am Tisch lag, hob den Kopf und nahm Witterung auf. Er stellte sich aufrecht hin und gab ein tiefes Knurren von sich, dann ein leichtes Bellen.
»Was ist denn das, Bulu? Bisher habe ich von dir noch keinen Mucks gehört! Du kannst ja sprechen.« Anna lachte. »Das ist nur ein Rotschnabeltoko-Pärchen.« WOT, WOT, WOT, WOT. Das Alarmgeschrei wurde lauter, als sie auf die höheren Äste flatterten. »Was in aller Welt erschreckt sie? Komm, wir schauen nach.«
Anna nahm Bulu und lief zum Haus. Plötzlich schossen die Rotschnabeltokos aus dem Baum, und die Äste begannen zu zittern wie bei einem Erdbeben. Eine wahre Kaskade von Früchten regnete gerade in dem Moment auf das Dach, in dem Anna hinter das Haus trat. Ihr Herz stockte. Kaum zehn Meter von ihr entfernt befand sich das Hinterteil eines Elefanten! Lichtstrahlen leuchteten jede Falte seiner sackartigen Lederhaut aus, seinen schaukelnden Bauch und seine Beine. Sie glänzten wie dunkle Schokolade, nass vom Durchqueren des Flusses. Der gewaltige Kopf des Bullen steckte im Baum, sein Rüssel wand sich wie ein Python um die oberen Äste. Da sie windabwärts stand, hatte er Anna noch nicht gewittert.
Anna hielt Bulu fest, sie fühlte, wie sein kleines Herz schnell schlug. Lautlos bewegte sie sich langsam rückwärts. Der Elefant rüttelte noch heftiger an den Ästen. Der Baum wurde eine Art riesige Pinata, die den Boden mit Mangos übersäte. Anna schlich weiter rückwärts um das Haus herum, bis sie außer Sicht war. Dann lief sie schnell zum Pavillon. Sie sank in ihren Stuhl, als das Adrenalin ihre Knie schwach werden ließ. Bulu schaute zurück zum Baum und knurrte.
Die Dämmerung senkte sich über die Landschaft. Anna trat aus dem Haus; in einer Hand trug sie einen großen Weidenkorb mit Essen, in der anderen Bulu. Am Pavillon setzte sie Bulu auf einen Stuhl und stellte den Korb auf den Tisch. In der Ferne konnte sie das Rumpeln des Landrovers hören. Häuptling Kakumbi war auf dem Weg zu ihnen. Sie war angespannt. Würde der Häuptling ihnen das Land verpachten, damit sie ein Zentrum für Wildtiere aufbauen konnten? Wenn nicht, müssten sie dann das Tal verlassen?
Anna schaute sich im Pavillon um. Eifrig beschäftigte sie sich mit der Tischdekoration. Sie zündete die Kerzen auf dem Tisch an und die Laternen, die vom Dach herabhingen. Dann ging sie hinaus, um nach dem Braii zu sehen und nach dem Holz für das Lagerfeuer. Der Himmel war klar. Ein Regenguss am Nachmittag hatte glücklicherweise bald wieder aufgehört. Sie stellte drei Safaristühle auf. Steve hatte gemeint, das Flussufer sei der ideale Ort, um mit dem Häuptling dieses Gespräch zu führen. Neben dem Holzstapel war über einen hüfthohen Erdwall eine Plane gespannt. Später am Abend wollten sie sie aufdecken und zeigen, was darunter lag.
Als sie den Grill anzündete, fuhr der Landrover die Zufahrt hoch. Häuptling Kakumbi saß neben Steve. Anna strich ihren blauen Kaftan glatt und richtete sich auf. Steve parkte, stieg aus und öffnete dem Häuptling die Tür. Elegant in ein grünes Baumwollhemd und weiße Hosen mit Bügelfalte gekleidet, war Häuptling Kakumbi eine noble Erscheinung. Er sprach fließend Englisch und war sehr gebildet. Er war ein redegewandter, weiser Mann. Anna ging auf ihn zu, legte ihre Hände aneinander und deutete einen Knicks an. Es war der traditionelle sambische Gruß, der tiefen Respekt ausdrückt. »Häuptling Kakumbi, Steve und ich heißen Sie herzlich willkommen. Danke, dass Sie gekommen sind, um unser Anliegen anzuhören.«
Häuptling Kakumbi verbeugte sich leicht. »Ich freue mich darauf.«
Anna und Steve begleiteten den Häuptling in den Pavillon und baten ihn, Platz zu nehmen. Doch Häuptling Kakumbi zögerte plötzlich; er schaute auf seinen Ehrenplatz. Bulu saß dort und starrte den Häuptling an! »Oh, es tut mir so leid!«, Anna entschuldigte sich und dachte daran, dass es in manchen afrikanischen Kulturen als Beleidigung gilt, wenn sich ein Hund in der Nähe eines Esstischs aufhält. Häuptling Kakumbi schaute Bulu noch einen Moment lang intensiv an, als ob er ihn genau erforschen würde. Dann richtete er seine durchdringenden Augen auf Anna und Steve: »Sehr ungewöhnlich. Ich habe noch niemals einen solchen Hund gesehen. Er kuscht nicht wie die anderen Hunde in den Dörfern. In seinen Augen zeigt sich Mut und auch etwas Geistiges, etwas wie eine Seele.«
»Er hat Mut und eine Seele«, sagte Anna, erleichtert, dass der Häuptling nicht beleidigt war. »Er ist bereits allein losgezogen, um die Gegend zu erkunden. Er heißt Bulu.« Sie beugte sich rasch vor und nahm ihn hoch. »Ich bringe ihn ins Haus zurück.«
»Das ist nicht nötig.« Häuptling Kakumbi legte seine Hand auf den Kopf des Welpen. »Ein Bulu ist frei und unabhängig.«
Also setzte Anna Bulu auf einen anderen Stuhl in der Nähe des Tischs. Sie lächelte Steve zu, wohlwissend, dass Bulu den Häuptling für sich eingenommen hat.
Übersetzung: Jeanette Stark-Städele
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Der ZAWA-Beamte gab uns die Genehmigung, die Hyäne zur Behandlung ins Chipembele-Zentrum zu bringen. Eine Stunde später erreichten wir das Naturschutzzentrum. Aus der Eingangshalle eines langen Betongebäudes trat ein Mann und begrüßte uns. Es war Annas Mann Steve. Gemeinsam trugen wir die bewusstlose Hyäne in ein Gehege. Es hatte einen 90 Zentimeter hohen Sockel aus Stein, darüber Maschendraht, der an Stützpfosten befestigt war. Wir legten das unglückselige Tier auf den Boden. Rachel untersuchte den Hals der Hyäne und sah, dass die Verletzung nicht lebensgefährlich war. Sie säuberte die Wunde und spritzte dem Tier ein Antibiotikum. Nach ihrer vollständigen Genesung würde die Hyäne wieder in die Wildnis entlassen werden.
Als ich mich umdrehte, um den Stall zu verlassen, sah ich, wie etwas durch den Maschendraht spähte. Es war ein weißer Hund mit brauner Zeichnung und einem spitzen Gesicht. Er stand auf seinen Pfoten aufrecht gegen die Steinmauer gelehnt und beobachtete die Hyäne. Dann richtete der Hund seinen Blick auf mich und musterte mich. »Das ist Bulu«, grinste Steve, der mein Erstaunen bemerkte. »Ich mache euch miteinander bekannt.«
Von diesem Augenblick an war ich in Bulu verliebt. Steve, Anna und ich wurden bald enge Freunde, und ich erfuhr Bulus unglaubliche Geschichte. Im Laufe der Jahre hatte ich das Glück, ihn im Dschungel in voller Aktion zu erleben. Sie werden es in diesem Buch selbst erfahren - Bulu ist einer der außergewöhnlichsten Hunde, die jemals gelebt haben. Dick Houston Mai 2010
1
Schafft euch ja keinen Hund an, wenn ihr im afrikanischen Busch leben wollt« - Mitch warnte Steve und Anna eindringlich, als sie im Schatten ihres Pavillons - mit Blick über den Fluss Luangwa - saßen. »Freunde von mir haben ihren Hund vor einigen Jahren durch einen Leoparden verloren. Er schnappte ihn ihnen direkt von der Veranda weg.« Mitch schaute zum Fluss, wo ein Krokodil auf eine Sandbank kroch. »Seit beinahe 40 Jahren führe ich im Luangwa-Tal Safaris durch. Und ich habe noch nie erlebt, dass ein Haustier hier länger als ein paar Monate überlebt hat.« Er zeigte auf das Nilpferd, das mitten im Fluss in der brütenden Hitze grummelte und schnaubte. »Muss ich euch wirklich daran erinnern?« Er schaute die beiden eindringlich an: »Der sambische Busch ist voller Gefahren.«
»Anna und ich haben durchaus eine gewisse Ahnung von Gefahren«, sagte Steve und zwinkerte Anna zu, die gerade Tee in kleine Blechtassen einschenkte. Die beiden lächelten, als sie zu ihrem afrikanischen »Haus« hinüberschauten, das knapp 50 Meter vom Pavillon entfernt lag. Es war eine runde Einraumhütte, ein Rondavel, aus Holz und Stroh mit einem strohgedeckten Dach. Wie ein riesiger runder Sandkuchen ruhte es unter einem wilden Mangobaum. Im Inneren schwitzte ein kerosinbetriebener Kühlschrank, der verderbliche Lebensmittel kühlte. Auf einem alten Propangaskocher bereiteten sie ihre Mahlzeiten zu, und die Dusche hinter einer Stellwand aus Korbgeflecht wurde mit Flusswasser gespeist. Wenn sie vergaßen, die Tür zu schließen, kamen Kobras auf Besuch. Manchmal ließen sich Skorpione vom Moskitonetz auf ihr Bett fallen. Löwengebrüll erschütterte die Strohwände. Doch trotz aller Gefahren liebten Steve und Anna das Leben im wilden sambischen Luangwa-Tal: Sie lebten ihren Traum.
»Trotzdem«, beharrte Mitch, »ist das kein Ort für einen Hund.« »Nun, Mitch«, Anna blieb hartnäckig »hast du nicht gerade gesagt, dass auf der alten Krokodilfarm Welpen zu verkaufen sind?«
»Ihr seid wirklich fest entschlossen, stimmt's?« Mitch schüttelte den Kopf und strich sein langes weißes Haar zurück.
»Wenn Anna sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt es kein Zurück.« Steve lachte. »Warum sonst, glaubst du, haben wir England verlassen, um hier zu leben?«
»Okay, ihr müsst es wissen. Gestern war ich bei Hank auf der Krokodilfarm. Sein Wurf hat fünf Welpen. Vier sind verkauft, aber den letzten will niemand. Der Vater war ein Jack Russell. Terrier sind gewöhnlich Energiebündel und sehr lebhaft. Aber dieser da ist nicht so. Er ist anders. Er reagiert nicht so, wie man es erwartet. Er ist zu ruhig. Seine Beine sind zu lang, und außerdem hat er ein spitzes Gesicht. Ihr solltet euch besser nach einem anderen Hund umschauen.«
Anna dachte einen Moment nach. »Warum sollen wir weitersuchen? « Sie lehnte sich in ihrem Canvasstuhl zurück, verschränkte die Arme und schaute Mitch an. »Das klingt so, als ob dieser Hund anders ist.«
»Ja, ich glaube, auf irgendeine Art ist er das.« Mitch zuckte mit den Achseln. »Also, wenn ihr den Hund nehmt, müsst ihr das wissen. Ein Hund wird euch nichts als Kummer bereiten. Früher oder später wird er von einer Tsetsefliege gestochen und mit den Trypanosoma-Parasiten infi ziert werden. Dann bekommt er die Schlafkrankheit. Die meisten Wildtiere sind immun dagegen. Bei Haustieren ist die Krankheit in Afrika aber Todesursache Nummer eins.« Er griff nach der Teekanne. »Und behaltet ihn im Auge. Trotz allem hat er Terrierblut in sich. Wenn er im Busch hinter etwas herjagt, kann er gefressen werden.«
Der Landrover schwankte wie ein betrunkenes Rhinozeros zwischen Schlaglöchern und Fahrrinnen auf der verschlammten Straße hin und her. Es war November, der Beginn der Regenzeit. Steve und Anna bogen auf einen schmalen Weg ein, auf dem frisches Gras sprießte. Ein verblasstes Schild »KROKODILFARM « war durch das grüne Gebüsch hindurch zu erkennen. Die alten Zementbecken, in denen einst Krokodile gehalten wurden, waren von Unkraut überwuchert und hatten durch die darunter verlaufenden Wurzeln Risse bekommen. Die Krokodilzucht war ehemals wegen der Tierhäute betrieben worden. Inzwischen war das Geschäft bankrott gegangen, und die Tiere waren verschwunden. Nun sollten auf dem Grundstück Unterkünfte für Touristen entstehen. Afrikanische Arbeiter standen auf Leitern und flochten neue Dächer für die Hütten.
Steve parkte den Landrover neben einem eingeschossigen Haus mit rotem Blechdach. Hank, ein untersetzter Mann mit weiten Shorts, trat aus der Eingangshalle, um sie zu begrüßen. »Tut mir leid, Freunde, aber wir haben keine Krokodile mehr auf Lager«, scherzte er.
Anna lachte, als sie und Steve aus dem Wagen stiegen. »Wir wollten uns eigentlich auch einen Hund anschauen.«
»Nur noch einer übrig«, sagte Hank. »Ein Rüde. Kommt, schaut ihn an.« Hank führte sie hinein. Er öffnete die Tür zu einem schwach beleuchteten Raum und zog den Vorhang am Fenster auf. »Da ist er.« Auf dem Boden stand ein alter Pappkarton, ausgelegt mit einer weißen Decke.
Als sich ihre Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, wurde eine braune Pfote auf der Decke sichtbar. Sie umrahmte den Kopf eines weißen Welpen. Der Hund lag zusammengerollt auf der Seite und schlief. Der einzelne braune Fleck auf seinem Rücken wirkte, als sei er von einem Pinsel herabgetropft. »Er ist so winzig«, sagte Anna sanft, als sie ihn vorsichtig hochnahm und in ihre Arme schmiegte.
Steve betrachtete ihn genau. »Sein Gesicht - irgendetwas ist damit. Es wirkt so vertraut. Ich weiß nicht, was es genau ist.« Anna schaute zu Steve, der ihr nun zulächelte. Auch sie lächelte . »Hank, ich glaube, wir nehmen ihn«, sagte sie. »Was sind wir dir schuldig?«
»Ein Abendessen bei euch - mich mal richtig satt essen. Ich hole euch einen neuen Karton, in dem ihr ihn mitnehmen könnt.«
»Das ist nicht nötig.« Anna kuschelte den Welpen eng an ihre Brust. »Ich habe Martys Korb mitgebracht.«
»Marty?«, fragte Hank.
»Ein alter Freund, den wir ihn England zurücklassen mussten «, antwortete Anna mit dünner Stimme.
»Oh, ich verstehe.« Hank nickte verständnisvoll. »Das war bestimmt ein sehr lieber alter Freund.«
Steve steuerte den Landrover über die Straße, die parallel zum Fluss verlief, nach Hause. Anna saß neben ihm und hielt den Weidenkorb mit dem Hund auf ihrem Schoß. Sie legte ihre Hand auf den warmen kleinen Bauch des Welpen und erinnerte sich an die Zeit vor 15 Jahren. Damals brachten sie und Steve Marty - in demselben Weidenkorb - nach Hause in ihr Häuschen in Oxford. Marty war ein Border-Collie-Welpe, klug, hellwach und vom ersten Tag an treu und anhänglich. Während der nächsten 15 Jahre begleitete er Anna und Steve überallhin. Im letzten Jahr jedoch mussten sie, kurz bevor sie England verlassen und in ihr neues Zuhause in Sambia umsiedeln wollten, eine schwere Entscheidung treffen. Marty war zu alt; er hätte die Reise nicht überstanden. Sie mussten ihn in der Obhut von Annas betagten Eltern zurücklassen.
Jetzt überdachte Anna nochmals die Sache mit diesem Welpen. Würde sie ihn wirklich in Gefahr bringen? Am Flussufer, in der Nähe des Hauses, lagerten ständig Pavianhorden. Die Männchen mit ihren 15 Zentimeter langen Schneidezähnen waren bekannt dafür, Impalasbabys (Schwarzfersenantilopen) zu jagen und zu töten. Warzenschweinmütter schlitzten mit ihren dolchartigen Fangzähnen brutal jede Hyäne auf, die ihren Babys zu nahe kam. Nachts tauchten Flusspferde auf, leise wie U-Boote, um am Ufer zu fressen. Wie konnte sie nur annehmen, dass ein Welpe im Busch überleben würde? Dachte sie bei ihrem Wunsch, einen Hund zu haben, nur an sich? Ein harter Stoß, verursacht durch ein Schlagloch auf der Straße, unterbrach ihre Bedenken. Der Landrover schoss unkontrolliert nach vorne. Der Welpe schlief weiter.
»Das ist ja kaum zu glauben, dass er dabei nicht aufgewacht ist«, sagte Steve.
Anna schaute ins Körbchen hinein. »Du glaubst nicht, dass sie recht hatten mit dem, was sie über ihn sagten, nicht wahr?«
»Recht womit?«
»Dass er anders ist. Dass er vielleicht nicht viel Persönlichkeit besitzt?«
Steve griff hinüber und legte seine Hand auf den Kopf des Welpen. »Du weißt, es besteht ein Riesenunterschied zwischen Persönlichkeit und Charakter. Meine Mutter sagte immer, dass stille Wasser tief sind.«
Anna lächelte und dachte, wie typisch es für Steve war, Dinge zu sehen, die andere Menschen übersahen. Sie betrachtete ihn, während er sich auf die Straße konzentrierte. Er hatte sich nicht sehr verändert, seit sie ihn vor 17 Jahren kennengelernt hatte. Sein kurz geschnittenes Haar ergraute nun zwar schnell, aber er besaß immer noch sein lässiges Lächeln und seinen jungenhaften Sinn für Humor. Sie erschauderte, als sie daran dachte, dass sie ihn beinahe verloren hätte.
Während der Landrover die Straße entlangruckelte, dachte sie über ihre erste Begegnung nach. Sie waren damals beide Polizeibeamte in Slough, England, und arbeiteten in derselben Schicht. Als sie sich näher kennenlernten, stellten sie fest, dass sie sich beide für Tiere und Naturexkursionen begeisterten. Anna besaß ein Diplom in Umweltwissenschaften und hatte sich sehr gewünscht, beruflich in Projekten zum Schutz von Wildtieren zu arbeiten. Aber sie hatte keine Stelle in diesem Bereich gefunden. Sie vertraute Steve einen Wunsch an, den sie schon als Mädchen gehabt hatte. Der Traum, nach Afrika zu gehen und wilde Tiere zu erleben. Auch Steve war der Meinung, dass Afrika das größtmögliche Abenteuer wäre. Sie sprachen davon, eines Tages gemeinsam dorthin zu reisen.
Dann folgten aufregende Ereignisse. Steve wurde von Slough in das Thames Valley Police Department in Oxford versetzt. Als er abreiste, dachte Anna, sie würde ihn niemals wiedersehen. Doch einige Monate später kam Steve für eine Zeugenaussage nach Slough zurück. Als die beiden sich auf der Polizeiwache wiedersahen, wurde ihnen bewusst, wie sehr sie einander vermisst hatten. Zwei Wochen später waren sie verlobt, einige Monate später heirateten sie und ließen sich in Oxford nieder. Bald danach bekam Anna den Auftrag, verdeckte Ermittlungen zum Aufspüren von Diebesgut - Möbel, Schmuck und Gemälde - aufzunehmen. Dieser neue Detektivjob half dem Paar, auf ihren afrikanischen Traum zu sparen. Sie hatten vor, jedes Jahr ein Stück des riesigen Kontinents während ihres einmonatigen Urlaubs zu erkunden.
Anna hielt das Hundekörbchen fest, als Steve beschleunigte, um ein ein Meter langes Schlammloch zu überwinden. Wasser spritzte über den Kühler. Die Straße schlängelte sich hier durch dichten Mopanenwald. Die schmetterlingsförmigen Blätter bewegten sich im Wind. Anna kannte jede Besonderheit der abgeschiedenen Straße, die neben dem Luangwa-Fluss verlief; am gegenüberliegenden Ufer lag der Nationalpark. Doch die Wildtiere ignorierten die Parkgrenzen und bewegten sich über das Wasser frei hin und her. Anna und Steve liebten die Ursprünglichkeit des Flusses - der einzige in ganz Afrika, der von Dämmen verschont geblieben war.
Sie erinnerte sich daran, wie sie diese Straße das erste Mal befahren hatten. Es war während einer ihrer vielen Exkursionen in Afrika. Sie waren im Kongo, in Ghana, im Senegal, in Kenia, Tansania, Namibia, Botswana und vielen anderen afrikanischen Ländern gewesen. Und dann trafen sie in einem Jahr eine schicksalshafte Entscheidung. Sie wollten Sambia erkunden. Von Sambias Hauptstadt Lusaka aus fuhren sie ostwärts über eine holprige Straße zum Südluangwa-Nationalpark. Dank der Abgeschiedenheit und der katastrophalen Straßen verirrten sich nur wenige Besucher jemals hierher. Als sie das Ende der Klippen im Muchingagebirge, der Muchinga- Steilstufe, erreichten - sie bilden die westliche Begrenzung des Luangwa-Tals -, war es Liebe auf den ersten Blick. Sie blickten 600 Meter in die Tiefe. Ein smaragdgrünes Meer aus Baumkronen breitete sich über eine endlose Wildnis aus - Aberhunderte von Quadratkilometern Wälder, Lagunen und offene Graslandebenen. Etwa 50 Kilometer entfernt schlängelte sich ein Fluss durch diesen verborgenen Garten Eden. Als sie das Tal erreichten, waren sie überwältigt. In keiner anderen Gegend Afrikas, die sie bereist hatten, gab es so viele verschiedene Tierarten an einem Ort. Hier lebten Tausende Büffel, Giraffen, Zebras, Kudus, Zobel, Elenantilopen, Wasserböcke, Geparden und mehr Leoparden pro Quadratkilometer als an jedem anderen Ort in Afrika. Es gab über 400 Vogelarten. Im Luangwa-Fluss lebten proportional die meisten Flusspferde und Krokodile auf dem Kontinent. Das Tal hatte eine Population von 8000 Rhinozerossen hervorgebracht; es war berühmt geworden wegen seiner unglaublichen Anzahl an Elefanten, eine Population von über 100 000 Tieren. Die Einheimischen hatten Luangwa treffenderweise das Tal der Elefanten genannt.
Es besaß einen besonderen Zauber. Anna erinnerte sich an die letzte Nacht ihres Urlaubs vor der Rückkehr nach England. Sie kampierten unter freiem Sternenhimmel am Flussufer, als sie in der Ferne ein schwaches Grollen hörten: ein schauderhafter Ton, den sie mehr fühlten als hörten - ein rufendes Roaar! ... uummf ... roaar ... uummf. Sie rief sich jedes Detail in Erinnerung, als wäre es eine Szene aus einem Lieblingsfilm. Dieser Abend war der Wendepunkt in ihrem Leben gewesen.
»Horch«, hatte Steve gesagt: »Löwen!« Roaar!...uummf... roaar ... uummf. Er stand vor dem Lagerfeuer, seine Augen glänzten vor Aufregung. »Wir müssen hier leben, Anna.« Er drehte sich um und schaute sie an, wie sie in ihrem Klappstuhl saß und Kaffee schlürfte. »Wie sollen wir jemals in unser altes Leben in Oxford zurückfinden?«
Anna wusste, dass Steve Safaris liebte, aber sie war überrascht, dass er in Afrika leben wollte. »Steve«, sagte sie, »denk mal praktisch. Wie haben unsere Berufe, unser Zuhause ...«
»Praktisch denken ist was für Banker«, unterbrach er sie. »Ich werde hier ein Haus bauen.«
»Aber du hast noch nie ein Haus gebaut!«
»Dann werde ich es lernen.«
»Nun sag schon, woraus willst du es bauen? Stroh und Schilf?«
Sie lachten über sich selbst. Seine Idee schien so fragil wie das Haus, das er bauen wollte.
»Ich denke, das ist ein bisschen unrealistisch.« Steve schaute hoch zu den Sternen; von dort schien das Rufen der Löwen zu kommen. »Aber ... das Leben ist kurz. Man plant immer für die Zukunft. Niemand lebt nur im Augenblick.«
Wie kaltes Wasser erstickte die Frage der praktischen Umsetzbarkeit den Ausbruch von Steves Spontaneität im Keim. Ihre Polizeijobs warteten, und Rechnungen mussten bezahlt werden, doch die Glut des Traums glühte noch nach. Bis lange in die Nacht sprachen sie über die Möglichkeit, nach ihrer Pensionierung in Luangwa zu leben. Doch der Ruhestand schien Lichtjahre entfernt zu sein. Und dann, nach ihrer Rückkehr, kam eines Tages das Schicksal ins Spiel.
Steve hatte Dienst und erhielt einen Notruf. Er lief zu seinem Streifenwagen und fuhr los. Mit hoher Geschwindigkeit stieß sein Wagen mit einem anderen Fahrzeug zusammen und prallte direkt auf eine Mauer. Steve erlitt schwere Verletzungen an Rücken und Hals. Seine Verletzungen waren so schwer, dass er nicht mehr als Polizist arbeiten konnte. Er wurde wegen Invalidität in den Ruhestand versetzt.
Mehrere Wochen nach dem Unfall erinnerte sich Anna an Steves Worte. Als Steves Genesung allmählich Fortschritte machte, wurde ihnen klar, dass es jetzt an der Zeit war, im Hier und Jetzt zu leben. Anna quittierte ihren Dienst bei der Polizei, sie verkauften all ihre materiellen Besitztümer und machten Pläne, wie sie sich in Sambia dauerhaft niederlassen konnten.
»Steve«, sagte Anna, »erinnerst du dich, wie die Leute zunächst reagierten, als wir sagten, dass wir auswandern und in Afrika leben wollen?«
»Natürlich! Die meisten sagten, das klinge echt verrückt. Die Höflicheren sagten, es würde sich schon nach etwas Besonderem anhören.«
Anna griff ins Hundekörbchen und nahm den Welpen hoch. »Anders, bist du das?«, flüsterte sie, als sie sein Gesicht eng an ihres hielt. »Wie sollen wir dich nennen?« Die Augen des Welpen blieben geschlossen. Sie schaute durch die Windschutzscheibe und sah ein Stück des Flusses durch die Bäume glitzern.
Der Landrover bog in den vertrauten Weg zu ihrer Strohhütte ein. Als sie zum Stehen kamen, fühlte Anna sich unbehaglich. Sie konnte das Grunzen der Flusspferde hören. Es erinnerte sie an Mitchs Warnungen hinsichtlich eines Hundes. Er wird euch nichts als Kummer bereiten.
2
Das ist dein neues Zuhause, kleiner Freund«, sagte Steve, als er die Zündung des Landrovers abschaltete. »Keine Villa - aber der Blick ist einzigartig.« Anna setzte den Welpen zurück ins Körbchen. Dann öffnete sie die Tür und stieg aus, um ihre Beine auszustrecken. Sie blinzelte in die untergehende Sonne, die durch die Wälder jenseits des Flusses schien. Als sie in den Wagen zurückblickte, war sie überrascht. Der Welpe war aus dem Körbchen herausgeklettert. Er stand auf dem Sitz und schaute sie an. Seine Augen, die die schräg einfallenden Sonnenstrahlen reflektierten, glitzerten bernsteinfarben.
»Schau dir das an. Er mustert dich.« Steve legte seine Arme um Anna, während er den Welpen beobachtete. »Ich kann mir nicht helfen, aber ich meine, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben.«
»Auf einem ägyptischen Grab vielleicht?« Anna staunte, während sie das kleine Gesicht studierte. »Seine Augen sind gezeichnet wie die eines Pharaos.«
Anna nahm den Welpen vom Sitz und versuchte, ihn in ihren Armen zu halten, aber er wand sich und wollte hinunter auf den Boden. Sie setzte ihn vorsichtig auf dem Boden ab. Er drehte seinen Kopf in Richtung des Winds und sog seinen ersten Duft vom Luangwa ein. Dann watschelte er auf wackeligen Beinen in Richtung Fluss; Steve und Anna folgten ihm.
Wiiik, wiiik, wiiik. Ein Adler glitt tief zwischen den Bäumen hindurch, mit seinen Krallen umklammerte er einen Fisch. Der Welpe schaute ruhig auf, seine Augen folgten der schwungvollen Flugspur des Adlers.
»Hast du das gesehen?«, fragte Steve, als er sich an den sandigen Uferdamm setzte. »Der Kleine ist nicht einmal zusammengezuckt. «
»Genau das bereitet mir Sorge. Es gibt hier so viele Raubvögel: Adler, Milane, Falken. Einmal habe ich gesehen, wie ein Kampfadler abends in der Nähe des Flusses einen Mungo einkreiste. Mir nichts, dir nichts, packte der Adler ihn, und weg war er.«
Der Welpe wandte seinen Kopf in Richtung der Flusspferde in der Mitte des Flusses. Ihr Grunzen wurde vom Wind weitergetragen. Hummpf, hummpf, hummpf. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf einen Wasservogel, der mit gesenktem Schnabel über die Wasseroberfläche glitt, auf der Jagd nach Fischen. Der Welpe war von allem, was er beobachtete, fasziniert.
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Steve. »Vor einigen Monaten, flussabwärts. Ich verfolgte gerade menschliche Fußspuren im Sand: Elfenbeinjäger. Ihre Abdrücke überlagerten die Spur eines alten Elefantenbullen. In dem düsteren Licht war es schwer, etwas zu erkennen, und ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich schaute nach links durch die Dornbüsche und erschrak, als mich etwas anstarrte: intelligente Augen, die aufmerksam aus einem breiten Gesicht schauten. Es war ein Wildhund. Seine runden Ohren wachsam wie Radar. Hinter ihm konnte ich noch das weglaufende Rudel erkennen, ziemlich unscharf allerdings. Aber er bewegte sich nicht. Wir starrten uns einfach an. Seine Augen waren wie dunkler Bernstein. « Steve richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Welpen und dann auf Anna. »Du weißt doch, dass das Wort für Wildhund in der lokalen Nyanjasprache Bulu lautet?«
Steve öffnete die knarrende Tür ihres Hauses. Innen war es dunkel; nach den Regenfällen roch es nach feuchtem Heu. Mit einem Streichholz entzündete er eine der Gaslaternen. Er pumpte, bis sie lebhaft fl ackerte. Honigfarbenes Licht gab langsam den Blick frei auf einen kreisförmigen Raum, ausgestattet mit einfachem Mobiliar. Neben dem alten Ofen standen vier handgefertigte Stühle um einen Tisch mit Blechtellern, Töpfen und Pfannen. Ein blauer Überwurf mit afrikanischem Druckmuster lag über den Matratzen eines Doppelbetts, daneben befand sich ein Fenster mit Blick zum Fluss. Die Bretter eines schiefen Bücherregals bogen sich unter Bänden über Naturgeschichte, Forschung, Entdeckungen und Paläontologie. An einer anderen Wand befand sich eine Art Vorratskammer, vollgepackt mit Konserven mit Milch, Corned Beef, Bohnen, Butter, Öl, Marmelade sowie verbeulte Blechdosen mit Mehl, Kaffee, Keksen, Tee und Zucker. Eine abgenutzte Ledercoach, in der Mitte durchgesessen, stand neben dem großen Wasserkühler aus Keramik. Ein undichter Brausekopf lugte über dem Raumteiler aus Weidengeflecht hervor, der das »Badezimmer« abtrennte. Ein Jagdgewehr, eine Winchester Magnum, lag auf einer Wandgarderobe; darunter gestapelt zwei verbeulte Munitionskoffer. Kameras und Ferngläser hingen an Haken neben der Tür. Rot gemusterte Vorhänge brachten ein wenig Farbe an die braunen Wände aus Stroh. Das hohe gewölbte Dach - es sah aus wie das Innere eines Zauberhuts - ließ die Hitze hochsteigen, sodass der Raum kühl blieb.
Anna stand draußen und schaute in den wilden Mangobaum neben dem Haus. Hunderte gelber Früchte stachen gegen den sich verdunkelnden Himmel ab. Plop, plop: Ein paar Mangos fi elen aufs Dach. Der Welpe schaute hoch, blieb wie angewurzelt sitzen, als sie auf den Boden rollten. Anna schmiegte sein kleines Gesicht an ihre Wange. »Bald werden die Elefanten hier sein, Bulu.« Sie bückte sich und hob eine Mango auf. »Das ist ihr Lieblingsessen.«
Anna ging hinein. Am Küchentisch öffnete Steve eine Konservenbüchse. »Heute Abend gibt es Fastfood«, sagte er. »Bohnen auf Butterbrot.«
Anna setzte Bulu auf den kühlen Zementboden. Sofort trottete er hinüber, um einen von Steves Sandalen zu untersuchen. Anna ging hinaus, um den Hundekorb aus dem Landrover zu holen. Als sie zurückkam, war Bulu fest eingeschlafen; sein Kopf lag auf Steves Sandale.
»Häuptling Kakumbi kommt in zwei Tagen«, sagte Steve und strich Butter auf sein Brot. »Ich bin ein wenig nervös. Hoffen wir, dass er uns das Land verpachtet. Unsere Zukunft hier hängt von seiner Entscheidung ab.«
»Wir bieten ihm dann besser etwas anders an als Bohnen«, sagte Anna und setzte sich an den Tisch.
»Ja, Bohnen sind wirklich nichts Besonderes.« Steve grinste. »Lass uns einen Braii machen. Aber wir brauchen eine neue Propangasflasche für den Grill. Ich werde morgens gleich losfahren und eine kaufen. Und ich versuche auch, frische Brassen zu bekommen - der leckerste Fisch der Welt. Dann noch auf den Markt und frisches Obst und Gemüse kaufen.«
»Alles muss richtig festlich sein.« Anna schaute zu den Regalen, auf denen Stapel mit sorgfältig zusammengefalteter Kleidung und Decken lagen. »Ich lege die lila Batiktischdecke auf. Aber ich frage mich, ob wir genug -«
»- Süßigkeiten haben!« Steve unterbrach sie, während er einen Klecks Bohnen auf sein Brot gab.
»Ja, wir müssen süße Leckereien anbieten.« Sie schaute hinüber zu Bulu, der auf der Sandale sein Nickerchen machte. »Ich überlege mir noch, was ich zubereiten kann.«
Anna stand vom Tisch auf. Bulu rührte sich nicht, als sie ihn mit dem Schuh in das Hundekörbchen legte. »Ich denke, du brauchst auch ein neues Paar Sandalen.«
Vanillesüßer Mopanerauch erfüllte die Morgenluft und weckte Anna aus dem Schlaf. »Beweg dich!« Steve brachte ihr Tee. Sein Haar war noch feucht vom Duschen. »Ich habe die alte Tonne angefeuert. Sollte noch genügend heißes Wasser für dich da sein.« Er nahm seine Jacke und die Schlüssel. »Bin am Spätnachmittag wieder da.« Er eilte zur Tür hinaus und vergaß, sie hinter sich zu schließen.
Anna schob das Moskitonetz zurück und stand auf. Bulu döste noch auf Steves Sandale. Sie kniete sich neben das Hundekörbchen und küsste ihn auf seine kleine Nase. Er öffnete die Augen. »Zeit für dein Frühstück.« Am Küchentisch verquirlte Anna eine Mischung aus Eigelb und Milch. Gerade als sie den Napf auf den Boden stellte, richtete sich Bulu auf. Gierig schleckte er sein ganzes Fressen auf. Sie lachte, als er sich danach sofort wieder auf Steves Sandale legte und die Augen schloss.
Anna ging nun unter die Dusche. Sie mischte das heiße Wasser mit kaltem Wasser aus den Fässern draußen und nahm Shampoo und Seife. Das Prasseln des auf den Boden spritzenden Wassers übertönte den Schrei eines nahen Adlers. Kurz danach drehte sie den Hahn zu, trocknete sich ab, schlüpfte in ihr Khaki-Shirt und die Shorts und ging zurück in den Raum. Bulu war nirgends zu sehen. Sie schaute unter dem Bett. Da war er nicht. »Bulu? Wo bist du?« Ihre Augen überblickten rasch den Raum. Dann sah sie die halb offene Tür. Sie dachte an den kreischenden Adler und rannte hinaus. »Bulu? Bulu?«, rief sie und schaute nach links und nach rechts. Nichts. Sie versuchte, nicht in Panik zu geraten, als sie die sandige, feuchte Erde absuchte. Wo waren seine Spuren? Endlich fand sie sie, kaum sichtbar zwischen dem Kreuz und Quer von Pavian-, Antilopen- und Ginsterkatzenspuren. Sie führten vom Haus weg hin zum Fluss - wo er ungeschützt dem offenen Himmel ausgesetzt wäre!
Anna lief schnell und versuchte, die Spuren nicht aus den Augen zu verlieren. Aus dem Dickicht gelangte sie nun zum offenen Ufer. Und da sah sie Bulu. Völlig ruhig saß er am Ufer. Mit seitwärts geneigtem Kopf beobachtete er ein Pavianrudel, das etwa 40 Meter vom Rande des Wassers entfernt war. Im Knöchelgang lief das Rudel das Flussbett entlang. Die Babys ritten auf den Rücken ihrer Mütter. Große, muskulöse Männchen bildeten mit ihrem Machogehabe die Nachhut.
Als die Männchen Anna erspähten, begannen sie zu bellen. Wie eine Diebesbande, ertappt bei einem Überfall, brüllten und balgten sie sich am Strand.
Anna nahm den winzigen Welpen hoch und hielt ihn eng an sich. »Bulu«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Oh, Bulu, du darfst niemals allein in den Busch gehen.«
3
Wot, wot, wot, wot, wot - das Rotschnabeltoko-Pärchen im Mangobaum zeterte. Irgendetwas eschreckte es. Anna bereitete gerade den Braii für den Abend vor und stellte Speisen auf den Tisch im Pavillon. Sie blickte auf. Dort, wo sie stand, konnte sie nur die Spitze des Baums sehen. Bulu, der in einem Klappstuhl am Tisch lag, hob den Kopf und nahm Witterung auf. Er stellte sich aufrecht hin und gab ein tiefes Knurren von sich, dann ein leichtes Bellen.
»Was ist denn das, Bulu? Bisher habe ich von dir noch keinen Mucks gehört! Du kannst ja sprechen.« Anna lachte. »Das ist nur ein Rotschnabeltoko-Pärchen.« WOT, WOT, WOT, WOT. Das Alarmgeschrei wurde lauter, als sie auf die höheren Äste flatterten. »Was in aller Welt erschreckt sie? Komm, wir schauen nach.«
Anna nahm Bulu und lief zum Haus. Plötzlich schossen die Rotschnabeltokos aus dem Baum, und die Äste begannen zu zittern wie bei einem Erdbeben. Eine wahre Kaskade von Früchten regnete gerade in dem Moment auf das Dach, in dem Anna hinter das Haus trat. Ihr Herz stockte. Kaum zehn Meter von ihr entfernt befand sich das Hinterteil eines Elefanten! Lichtstrahlen leuchteten jede Falte seiner sackartigen Lederhaut aus, seinen schaukelnden Bauch und seine Beine. Sie glänzten wie dunkle Schokolade, nass vom Durchqueren des Flusses. Der gewaltige Kopf des Bullen steckte im Baum, sein Rüssel wand sich wie ein Python um die oberen Äste. Da sie windabwärts stand, hatte er Anna noch nicht gewittert.
Anna hielt Bulu fest, sie fühlte, wie sein kleines Herz schnell schlug. Lautlos bewegte sie sich langsam rückwärts. Der Elefant rüttelte noch heftiger an den Ästen. Der Baum wurde eine Art riesige Pinata, die den Boden mit Mangos übersäte. Anna schlich weiter rückwärts um das Haus herum, bis sie außer Sicht war. Dann lief sie schnell zum Pavillon. Sie sank in ihren Stuhl, als das Adrenalin ihre Knie schwach werden ließ. Bulu schaute zurück zum Baum und knurrte.
Die Dämmerung senkte sich über die Landschaft. Anna trat aus dem Haus; in einer Hand trug sie einen großen Weidenkorb mit Essen, in der anderen Bulu. Am Pavillon setzte sie Bulu auf einen Stuhl und stellte den Korb auf den Tisch. In der Ferne konnte sie das Rumpeln des Landrovers hören. Häuptling Kakumbi war auf dem Weg zu ihnen. Sie war angespannt. Würde der Häuptling ihnen das Land verpachten, damit sie ein Zentrum für Wildtiere aufbauen konnten? Wenn nicht, müssten sie dann das Tal verlassen?
Anna schaute sich im Pavillon um. Eifrig beschäftigte sie sich mit der Tischdekoration. Sie zündete die Kerzen auf dem Tisch an und die Laternen, die vom Dach herabhingen. Dann ging sie hinaus, um nach dem Braii zu sehen und nach dem Holz für das Lagerfeuer. Der Himmel war klar. Ein Regenguss am Nachmittag hatte glücklicherweise bald wieder aufgehört. Sie stellte drei Safaristühle auf. Steve hatte gemeint, das Flussufer sei der ideale Ort, um mit dem Häuptling dieses Gespräch zu führen. Neben dem Holzstapel war über einen hüfthohen Erdwall eine Plane gespannt. Später am Abend wollten sie sie aufdecken und zeigen, was darunter lag.
Als sie den Grill anzündete, fuhr der Landrover die Zufahrt hoch. Häuptling Kakumbi saß neben Steve. Anna strich ihren blauen Kaftan glatt und richtete sich auf. Steve parkte, stieg aus und öffnete dem Häuptling die Tür. Elegant in ein grünes Baumwollhemd und weiße Hosen mit Bügelfalte gekleidet, war Häuptling Kakumbi eine noble Erscheinung. Er sprach fließend Englisch und war sehr gebildet. Er war ein redegewandter, weiser Mann. Anna ging auf ihn zu, legte ihre Hände aneinander und deutete einen Knicks an. Es war der traditionelle sambische Gruß, der tiefen Respekt ausdrückt. »Häuptling Kakumbi, Steve und ich heißen Sie herzlich willkommen. Danke, dass Sie gekommen sind, um unser Anliegen anzuhören.«
Häuptling Kakumbi verbeugte sich leicht. »Ich freue mich darauf.«
Anna und Steve begleiteten den Häuptling in den Pavillon und baten ihn, Platz zu nehmen. Doch Häuptling Kakumbi zögerte plötzlich; er schaute auf seinen Ehrenplatz. Bulu saß dort und starrte den Häuptling an! »Oh, es tut mir so leid!«, Anna entschuldigte sich und dachte daran, dass es in manchen afrikanischen Kulturen als Beleidigung gilt, wenn sich ein Hund in der Nähe eines Esstischs aufhält. Häuptling Kakumbi schaute Bulu noch einen Moment lang intensiv an, als ob er ihn genau erforschen würde. Dann richtete er seine durchdringenden Augen auf Anna und Steve: »Sehr ungewöhnlich. Ich habe noch niemals einen solchen Hund gesehen. Er kuscht nicht wie die anderen Hunde in den Dörfern. In seinen Augen zeigt sich Mut und auch etwas Geistiges, etwas wie eine Seele.«
»Er hat Mut und eine Seele«, sagte Anna, erleichtert, dass der Häuptling nicht beleidigt war. »Er ist bereits allein losgezogen, um die Gegend zu erkunden. Er heißt Bulu.« Sie beugte sich rasch vor und nahm ihn hoch. »Ich bringe ihn ins Haus zurück.«
»Das ist nicht nötig.« Häuptling Kakumbi legte seine Hand auf den Kopf des Welpen. »Ein Bulu ist frei und unabhängig.«
Also setzte Anna Bulu auf einen anderen Stuhl in der Nähe des Tischs. Sie lächelte Steve zu, wohlwissend, dass Bulu den Häuptling für sich eingenommen hat.
Übersetzung: Jeanette Stark-Städele
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
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Autoren-Porträt von Dick Houston
Dick Houston wurde in Ohio geboren und verbrachte den Großteil seines Lebens in Afrika als Wildführer, Lehrer und Autor. Als Safariführer organisierte er Reisen durch die Sahara, die Regenwälder Zentralafrikas und den afrikanischen Busch. U.a. für die New York Times und die Los Angeles Times schrieb er über afrikanische Themen. Houston ist Mitbegründer von "Elefence International", einer gemeinnützigen Organisation zum Schutz von Elefanten im Sambia.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dick Houston
- 272 Seiten, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863654692
- ISBN-13: 9783863654696
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