Café Heimat
Café Heimat - das ist die Erforschung der eigenen Familie, vom Rampenlicht der legendären Kaffeerösterei Jacobs bis ins Schattenreich von Verfolgung und Emigration. Auf der Suche nach ihren eigenen Wurzeln unternimmt Louise Jacobs eine bewegende Zeitreise durch das 20. Jahrhundert.
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Café Heimat - das ist die Erforschung der eigenen Familie, vom Rampenlicht der legendären Kaffeerösterei Jacobs bis ins Schattenreich von Verfolgung und Emigration. Auf der Suche nach ihren eigenen Wurzeln unternimmt Louise Jacobs eine bewegende Zeitreise durch das 20. Jahrhundert.
Café Heimat von Louise Jacobs
LESEPROBE
Prolog
Ich bin 22.Diese Reise war ich meinen Vorfahren und mir selbst längst schuldig. Ich folge verschüttetenund vergessenen Spuren nach Hamburg und Arizona, zu den Gräbern meinerVorfahren in Rio de Janeiro und in New York.
Wer warWalther Jacobs? Diese Frage führt mich zurück an den Anfang meiner Erinnerungan Familie.
Diejüdischen Spuren mütterlicherseits führen mich nach Hamburg, wo ich mit demArchivar, Herrn Sielemann, die Geburtsurkunden und Gemeindebücher im Keller desStaatsarchivs durchblättere. Die blauen Akten meines Urgroßvaters sehe ichmehrere Male im Lesesaal ein sowie ein Biographisches Lexikon der Sepharden in Hamburg, in welchem ich unter denFamiliennamen Cohen, Luria, Ferro und zahlreichenanderen auch die Jessuruns finde. Die Wege führenmich nach New York an das Grab meines Urgroßvaters Fritz Moritz alias FredMilton, auf einen Friedhof in Queens. Die Reise bringt mich erstmals nachArizona zu seiner Tochter Eva, zu seinem Humidor, zuseiner Briefmarkensammlung. Eva erzählt mir Geschichten von ihm, manche lassenmich schmunzeln und manche bestürzen mich. War ich sonst nur alle drei Jahre inBremen bei meiner Großmutter Ann, besuche ich sie jetzt häufiger, sitze aufihrem Sofa und blättere in einem alten Kochbuch meiner Urgroßmutter Else. Annerzählt nur ungern von der schweren Zeit der Familie in Amerika. An Elses Grabin Rio de Janeiro wird mir klar, wie weit eine Diaspora sein kann, nicht mehrmessbar in Raum und Zeit.
Ich begegnein Bremen, Zürich und München den Hinterbliebenen meines Großvatersväterlicherseits und jenen, die Walther Jacobs kannten und sich gerne an ihnerinnern. Ich höre seine Sekretärin mit leuchtenden Augen von dem freundlichenund verbindlichen Herrn sprechen. Ich sitze meiner Tante gegenüber, die mitverlorenem Blick Halt sucht, während sie von ihrem Vater spricht, der sie niein den Arm genommen hat und der auf ihre Ausbildung keinen Wert legte.
Ich solltedieses Buch nicht schreiben. Nie war die Geschichte unserer Familie bei uns einThema. Ich wuchs als Deutsche in einem viersprachigen Binnenland auf, mit fünfGeschwistern und liebevollen Eltern. Ohne Alpen und die Leidenschaft fürsSkifahren, ohne Pfadfinder, ohne Gletscherwanderungen und schlaflose Nächte inBerghütten wäre ich nicht die Deutsche, die ich heute so schweizerisch bin.Eines aber fehlte mir in dieser Heimat - es waren die Vorfahren. In Zürichhatte die Familie keine Wurzeln, keine Geschichte - mir fehlten familiäreTraditionen, um mich dort heimisch zu fühlen.
Um zu lebenmusste ich wissen, wer wo, wann und woran gestorben war. Die Vergangenheitbegann in meine Gegenwart einzudringen.
»Sag mal,hast du eigentlich spanische Vorfahren?«, fragte michmein Freund eines Abends.
»Was?«, rief ich aus. »Spanien? Wir sind ein norddeutschesBauerngeschlecht.«
»Du hastmit Sicherheit spanische Vorfahren.«
Wie konntees sein, dass ich mit 22 Jahren nicht wusste, woher ich kam? Ich fühlte michnicht zum ersten Mal in meinem Leben verloren, doch diesmal wusste ich endlichwarum.
SeineBeharrlichkeit und meine unbehagliche Ahnung von fremden Ursprüngenveranlassten mich zum ersten Mal in meinem Leben, meine Mutter danach zufragen:
»Könnte essein, dass wir spanische Vorfahren haben?« Mit ihrerAntwort tat sich der dünne Boden eigener Vergangenheit unter meinen Füßen auf.Die Reise ins Ungewisse, ins Unbekannte hatte begonnen.
Da tauchtenplötzlich Rabbiner aus Venedig auf, Pilger aus Lissabon. Erstmals sah ich einBild meiner Urgroßmutter Else und erfuhr den Namen meines Urgroßvaters. Fürjedes dieser Details wagte ich mich auf das Minenfeld der Erinnerung. Ich warwie im Rausch: Das ist das Blut, das in mir fließt, das sind meine Gene! Essind also die Sepharden, die spanischen Juden. Essind die Bauern aus Borgfeld mit Sau, Kuh und Hof.
MeineMutter musste vierzig werden, bis die ersten Bücher über das Judentum ihren Wegin unsere Bibliothek fanden. Erst heute spricht mein Vater über das »BremerBrot mit Würfelschinken «, das sich mein Großvater ins Büro mitnahm und beieiner Tasse Kaffee um zehn Uhr aß, das Butterbrotpapier hob er immer auf. Ichweiß heute, was mir als Kind und Jugendliche fehlte: dass ich nie auch nur einWort mit Walther Jacobs, meinem Großvater, gewechselt hatte, an das ich micherinnern könnte, dass ich nie verstand, warum meine Mutter in Nicaragua geborenwar, ihre Mutter aber in Bremen lebte - und wir in der Schweiz. Ich fragte nichtdanach, weil niemand fragte. Der Normalzustand war, dass meine Großmuttervielleicht zweimal im Jahr bei uns war. Von meinem Opa Jacobs erreichte michjährlich zum Geburtstag ein Brief mit einem Geldschein und einem Foto vonseinem Haus. Der Normalzustand war das Nicht-Sprechen, war die Unantastbarkeitder Vergangenheit.
Zu erfahrenund zu erzählen ist für mich seit Beginn der Recherche zu einer Orgie desSchwelgens geworden. Einen Bissen nach dem anderen kaue ich, schmecke ich,anschließend kommt das Schlucken und das Verdauen. Diese Art derNahrungsaufnahme kann niemals zur Völlerei werden, denn Wissbegierde soll nieim Leben gesättigt sein - je mehr ich erzähle, desto unerträglicher wird meinHunger. So erfahre ich, dass meine Großmutter mütterlicherseits, Ann Grobien, geborene Jessurun, 1938mit ihrer Familie aus Hamburg nach Lissabon geflüchtet ist und von dort aus1941 weiter nach New York getrieben wurde. Ann kehrte erst in den sechzigerJahren über Nicaragua, wo meine Mutter geboren ist, zurück nach Bremen. IhreSchwester Eva sowie Anns Eltern kamen nie wieder nach Deutschland zurück.
Icherfahre, dass die verschwiegene Seite meines Großvaters, Walther Jacobs,ursprünglich von einem bremischen Bauerngeschlecht aus Borgfeld abstammt, dessenWurzeln bis 1550 zurückzuverfolgen sind.
Würde manmich fragen, ob ich mich als Jacobs fühle oder als Jessurun,ich würde antworten: als Jessurun. Würde man michaber fragen, ob ich mich als Jacobs oder Grobien - sohieß die Familie meines Großvaters mütterlicherseits - fühle, so würde ichantworten: als Jacobs.
Als Jessurun fühle ich mich, weil ich spüre, gewisse Dingevererben sich, nicht nur in Charakter oder Aussehen, sondern auch in der Weise,wie ich fühle und empfinde. Der Einfluss der JessurunschenWurzeln ist einfach da, in meinem Blut.
Stelle ichmir heute die Frage: »Wie hältst dus eigentlich mit dem Jüdisch-Sein?«, antworte ich: »Früher fühlte ich mich jüdisch, jetzt binich es.«
Und ich bineine Jacobs, weil mich die Leidenschaft für das Bäuerliche, das Ländlicheprägt, für Pferde und nicht zuletzt für Kaffee.
Auf derStammtafel der Familie Jacobs steht an der Spitze einer breiten Pyramide vonNamen und Daten Claus Jacobs, geboren in Borgfeld um 1550, und dahinter inKlammern: Baumann in Borgfeld. Nachweislich hat die Familie Jacobs also seitdem 16. Jahrhundert in Borgfeld ein eigenes Gehöft.
VonGeneration zu Generation erbte immer der älteste Sohn den Hof, und der jüngere- sofern es einen gab - zog in die Stadt, um zu arbeiten.
So erginges auch den beiden Brüdern Walther und Daniel Jacobs rund 400 Jahre später.Daniel, der Erstgeborene, übernahm von seinem Vater Jacob den Hof und Waltherzog nach Bremen, um dort bei seinem Onkel Johann, ebenfalls ein Zweitgeborener,im Spezialgeschäft für »Caffee, Thee,Cacao, Chocoladen und Biscuits« zu arbeiten. Walther war 21 Jahre alt, als OnkelJohann seinen Neffen nach New York in die Lehre schickte. Zwei Jahre später kamer zurück und trat 1930 in die Firma Johann Jacobs & Company ein. Er würde erstmalsein Corporate Design, ein für den Kunden wieder erkennbares Logo und einenWerbeslogan für die Marke Jacobs Kaffee entwickeln. Seither stiegen dieVerkaufszahlen der Firma Jacobs und sie war auf dem Weg zum Erfolg.
© UllsteinBuchverlage
- Autor: Louise Jacobs
- 2007, 10. Aufl., 400 Seiten, 21 Abbildungen, Maße: 11,9 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548369693
- ISBN-13: 9783548369693
- Erscheinungsdatum: 12.09.2007
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