Cassia & Ky - Die Ankunft
Band 3
Hochemotional und aufwühlend!
Nachdem sich Cassia und Ky wiedergefunden haben, schließen sie sich der Erhebung an, die das System stürzen will. Doch dann müssen sie sich trennen. In der Hauptstadt trifft Cassia auf...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Cassia & Ky - Die Ankunft “
Hochemotional und aufwühlend!
Nachdem sich Cassia und Ky wiedergefunden haben, schließen sie sich der Erhebung an, die das System stürzen will. Doch dann müssen sie sich trennen. In der Hauptstadt trifft Cassia auf Xander, der als Funktionär für die Gesellschaft arbeitet. Kann sie ihm jetzt noch vertrauen?
Klappentext zu „Cassia & Ky - Die Ankunft “
Nach den Spiegel-Bestsellern "Die Auswahl" und "Die Flucht":Der dritte Band der Erfolgsserie "Cassia & Ky"
Wenn jemand stirbt, den du liebst - würdest du den retten, der ihn getötet hat?
Stell dir vor, du konntest fliehen - vor dem System, das dir befohlen hat, wie du leben und wen du lieben sollst. Unter Lebensgefahr hast du deine Liebe wiedergefunden - eine Liebe, die das System töten wollte.
Jetzt willst du das System besiegen, doch dafür musst du zurück. Zurück in dein altes Leben. Zurück zu einem Geheimnis, das tief in dir verborgen ist.
Es wird alles verändern.
Dein Leben.
Deine Liebe.
"Die Liebesgeschichte um Cassia und Ky ist eine Liebesgeschichte des neuen Jahrtausends. Eine junge und moderne Science-Fiction-Oper, die ihresgleichen sucht!"
Alex Dengler, denglers-buchkritik.de
In den zerklüfteten Schluchten der Canyons hat Cassia nicht nur ihre große Liebe Ky wiedergefunden - sondern auch die Erhebung, eine Untergrundbewegung, die das System stürzen will. Als sich beide der Erhebung anschließen, müssen sie sich jedoch trennen. Ky wird auf einem Stützpunkt in einer Äußeren Provinz zum Piloten ausgebildet und Cassia in die Hauptstadt beordert. Dort trifft sie auf Xander, der als Funktionär für die Gesellschaft arbeitet. Kann sie sich ihm anvertrauen?
Als eine tödliche Seuche ausbricht und die gesamte Bevölkerung zu vernichten droht, muss Cassia eine Entscheidung treffen ...
Lese-Probe zu „Cassia & Ky - Die Ankunft “
Cassia & Ky - Die Ankunft von Ally CondieErster Teil
Der Pilot
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KAPITEL 1
XANDER
Jeden Morgen geht die Sonne auf, färbt die Erde rot, und ich denke: Dies könnte der Tag sein, an dem sich alles ändert. Vielleicht wird heute die Gesellschaft fallen. Doch dann bricht erneut die Nacht herein, und wir alle warten noch immer. Doch ich weiß: Der Steuermann ist real.
Bei Sonnenuntergang nähern sich drei Funktionäre dem Eingang eines kleinen Hauses. Das Haus gleicht zum Verwechseln allen anderen in der Straße: zwei Läden an jedem der drei Fenster auf der Vorderseite, eine Eingangstreppe mit fünf Stufen und ein kleiner, stacheliger Dornenbusch rechts neben dem Gartenweg.
Der älteste Funktionär, ein Mann mit grauem Haar, hebt die Hand, um anzuklopfen.
Eins. Zwei. Drei.
Die Funktionäre stehen so dicht vor der Glasscheibe, dass ich das aufgenähte Abzeichen auf der rechten Uniformbrusttasche des jüngsten Funktionärs erkennen kann. Es ist leuchtend rot und sieht aus wie ein Blutstropfen.
Ich lächle. Er auch. Denn der Funktionär bin ich.
Früher wurde die Ernennung zum Funktionär mit einem großen Fest und einer Zeremonie in der Stadthalle gefeiert. Die Kandidaten brachten ihre Eltern, Partnerinnen oder Partner mit. Aber die Ernennungsfeierlichkeit ist keine der drei großen Zeremonien - wie das Willkommensbankett, das Paarungsbankett oder das Abschiedsbankett -, und so ist sie nicht mehr das, was sie einmal war. Die Gesellschaft versucht zu sparen, überall da, wo es möglich ist. Und sie gehen wohl davon aus, dass angehende Funktionäre loyal genug sind, sich nicht darüber zu beschweren, dass ihre Zeremonie etwas von ihrer Festlichkeit einbüßt.
Bei meiner Ernennung stand ich dort zusammen mit vier anderen, jeder von uns in einer neuen weißen Uniform. Der Oberfunktionär heftete mir mein erstes Abzeichen an: den roten Kreis, der das Gesundheitsministerium repräsentiert. Dann schworen wir alle den Eid auf die Gesellschaft, wobei unsere Stimmen unter der Kuppel des fast leeren Saales widerhallten, und versprachen, unser von der Gesellschaft ermitteltes Potential auszuschöpfen. Das war alles. Mir machte es nichts aus, dass die Zeremonie nichts Besonderes war, denn ich bin nicht wirklich ein Funktionär. Der bin ich nur nach außen, denn meine wahre Loyalität gilt der Erhebung.
Ein Mädchen in einem lilafarbenen Ballkleid eilt hinter uns den Bürgersteig entlang. Ich sehe ihr Spiegelbild in der Scheibe. Sie hält den Kopf gesenkt, als hoffe sie, dass wir sie nicht bemerken. Ihre Eltern folgen kurz darauf. Die drei sind unterwegs zur nächsten Airtrain-Halte-stelle. Heute ist der Fünfzehnte, also findet heute Abend das Paarungsbankett statt. Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass ich gemeinsam mit Cassia die Treppe zur Stadthalle hinaufgeschritten bin. Jetzt sind wir beide weit von unserer Heimat Oria entfernt.
Eine Frau öffnet die Haustür. Sie hält ihr kleines Baby im Arm. Ihm sollen wir seinen Namen geben. »Bitte treten Sie ein«, sagt sie. »Wir haben Sie schon erwartet.« Sie sieht müde aus, obwohl dies einer der glücklichsten Tage ihres Lebens sein sollte. Zwar wird das Thema in der Gesellschaft kaum diskutiert, aber hier in den Äußeren Provinzen ist das Leben härter. Es scheint, als konzentrierten sich die Ressourcen auf die Provinz Central und dünnten sich zu den Rändern der Gesellschaft hin immer weiter aus. Alles hier in Camas, einer der entlegensten Provinzen, ist irgendwie schmutzig und abgenutzt.
Nachdem sich die Tür hinter uns geschlossen hat, zeigt uns die Mutter den kleinen Jungen. »Er ist jetzt sieben Tage alt«, erzählt sie, obwohl wir das natürlich schon wissen. Deswegen sind wir hier. Die feierliche Namensgebung findet immer genau eine Woche nach der Geburt statt.
Das Kind hält die Augen geschlossen, doch wir wissen, dass sie tiefblau sind. Das steht in unseren Daten. Haarfarbe: braun. Wir wissen auch, dass er zum errechneten Termin geboren wurde und sich unter der fest gewickelten Decke zehn Finger und zehn Zehen verbergen. Die Gewebeprobe, die ihm nach der Geburt im medizinischen Zentrum entnommen wurde, war exzellent.
»Sind Sie bereit?«, fragt Funktionär Brewer, der von uns den höchsten Rang hat. Wie immer schwingt in seiner Stimme genau die richtige Mischung von Wohlwollen und Autorität mit. Er hat das schon Hunderte Male gemacht. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob Funktionär Brewer der Steuermann sein könnte. Es würde jedenfalls zu ihm passen, und er ist sehr diszipliniert und effektiv. Doch jeder könnte der Steuermann sein.
Die Eltern nicken auf Brewers Frage hin.
»Laut unseren Unterlagen fehlt ein Geschwisterkind«, bemerkt die Zweithöchste, Funktionärin Lei, mit ihrer sanften Stimme. »Möchten Sie, dass Ihr Sohn bei der Zeremonie anwesend ist?«
»Er war nach dem Essen so müde«, antwortet die Mutter entschuldigend. »Er konnte kaum noch die Augen offen halten, da habe ich ihn schon zu Bett gebracht.«
»Aber das ist doch völlig in Ordnung«, beruhigt sie Funktionärin Lei. Da der kleine Junge erst knapp über zwei Jahre alt ist - wobei zwei Jahre als der ideale Abstand zwischen Geschwistern gelten -, ist seine Anwesenheit nicht erforderlich. Er würde sich später wahrscheinlich ohnehin nicht an das Ereignis erinnern.
»Welchen Namen haben Sie ausgewählt?« Funktionär Brewer nähert sich dem Terminal in der Diele.
»Ory«, sagt die Mutter.
Funktionär Brewer gibt den Namen ein, und die Mutter dreht das Baby dem Bildschirm zu. »Ory«, wiederholt Funktionär Brewer. »Und als zweiten Vornamen?«
»Burton«, sagt der Vater. »Das ist in unserer Familie so üblich.«
Funktionärin Lei lächelt. »Was für ein hübscher Name!«
»Schauen Sie sich mal an, wie es aussieht«, fordert Funktionär Brewer die Eltern auf, und diese nähern sich, um sich den Namen des Babys anzusehen: ORY BURTON FARNSWORTH. Unter dem Schriftzug verläuft der Bar-code, den die Gesellschaft ihm zugeteilt hat. Wenn er ein planmäßiges Leben führt, wird die Gesellschaft nach seinem Tod mit diesem Barcode auch die letzte Gewebeprobe markieren, die auf seinem Abschiedsbankett entnommen wird.
Aber so lange wird es die Gesellschaft nicht mehr geben. »Falls Sie keine Änderungswünsche haben«, sagt Funktionär Brewer, »schicke ich ihn jetzt ab.«
Mutter und Vater überprüfen noch einmal den Namen. Die Mutter lächelt und hält das Baby noch ein wenig näher vor den Bildschirm des Terminals, als könne es seinen eigenen Namen lesen.
Funktionär Brewer sieht mich an und sagt: »Funktionär Carrow, Zeit für die Tablette.«
Das ist meine Aufgabe. Ich nicke und öffne den Metallbehälter.
»Wir müssen ihm die Tablette vor dem Terminal verabreichen«, erinnere ich die Eltern. Die Mutter hält den Kleinen noch ein wenig höher, so dass sein Gesicht für die Aufzeichnungen der Terminalkamera deutlich sichtbar ist.
Mir haben diese kleinen Immunisierungstabletten, die bei der Zeremonie zur Namensgebung verabreicht werden, schon immer gut gefallen. Sie sind rund und wie aus drei winzigen bunten Kuchenstücken zusammengesetzt: ein Drittel blau, ein Drittel grün und ein Drittel rot. Obwohl die Wirkung dieser Tablette vollkommen anders ist als die der drei Tabletten, die Ory später stets bei sich tragen wird, repräsentieren die Farben das Leben, das er in der Gesellschaft führen wird. Die Immunisierungstablette sieht fröhlich, kindgerecht und bunt aus und erinnert mich an die Farbpaletten auf unseren Bildschirmen in der Primarschule.
Die Gesellschaft verabreicht diese Tabletten allen Babys, um sie vor Krankheiten und Infektionen zu schützen. Sie sind auch für die Allerkleinsten leicht einzunehmen, denn sie lösen sich im Mund sofort auf. Diese Methode ist wesentlich humaner als die Schutzimpfungen früherer Gesellschaften, bei denen mit einer Nadel in die Haut des Babys gestochen wurde. Sogar die Erhebung plant, nach dem Umsturz die Immunisierung beizubehalten, wenn auch mit einigen Änderungen.
Das Baby regt sich, als ich die Tablette auswickle. »Könnten Sie ihm bitte den Mund öffnen?«, frage ich die Mutter.
Sie nickt. Als sie es versucht, dreht das Baby den Kopf, macht Sauggeräusche und will trinken. Wir alle lachen, und als der Kleine den Mund öffnet, lasse ich rasch die Tablette hineinfallen. Sie löst sich sofort auf der Zunge auf. Jetzt muss er nur noch schlucken, und das tut er, als hätte er nur auf seinen Einsatz gewartet.
»Ory Burton Farnsworth«, deklamiert Funktionär Brewer, »wir heißen dich in der Gesellschaft willkommen.« »Danke«, antworten die Eltern im Chor.
Der Austausch hat reibungslos geklappt, wie immer.
Funktionärin Lei sieht mich an und lächelt. Das lange Haar fällt ihr seidenglatt über die Schulter. Manchmal frage ich mich, ob sie auch zur Rebellion gehört und weiß, was ich tue - ich ersetze die Tabletten der Gesellschaft durch die, die ich von der Erhebung erhalten habe. Fast jedes Kind, das in den letzten zwei Jahren in den Äußeren Provinzen geboren wurde, hat seine Immunisierung durch die Erhebung empfangen. Schon andere vor mir haben mit dem allmählichen Austausch begonnen.
Dank der Erhebung wird der kleine Junge nicht nur gegen die meisten Krankheiten immun sein. Auch die rote Tablette wird keine Wirkung bei ihm zeigen, so dass die Gesellschaft ihm nicht seine Erinnerungen rauben kann. Jemand hat das für mich getan, als ich ein Baby war, ebenso wie für Ky und wahrscheinlich auch für Cassia.
Schon vor Jahren hat die Erhebung die Pharmafabriken infiltriert, in denen die Tabletten hergestellt werden. Neben den Medikamenten für die Gesellschaft werden auch die für die Erhebung dort produziert. Unsere Tabletten bieten den Kindern denselben Schutz wie das Medikament der Gesellschaft, dazu aber noch die Immunität gegen die rote Tablette sowie ein paar andere Extras.
Zur Zeit meiner Geburt hatte die Erhebung noch nicht genügend Ressourcen, um Tabletten für alle zu produzieren. Deshalb mussten sie einige von uns auswählen, unter dem Gesichtspunkt, wer eventuell später nützlich für sie sein könnte. Doch inzwischen gibt es genug für alle.
Die Erhebung ist für alle da.
Und sie wird nicht scheitern - wir werden nicht scheitern!
Auf dem schmalen Bürgersteig gehen Funktionär Brewer, Funktionärin Lei und ich hintereinander zum Aircar. Eine weitere Familie mit einer Tochter im feinen Ballkleid eilt die Straße entlang. Die Mutter sagt aufgebracht zum Vater: »Ich habe dir immer wieder gesagt ...«, doch dann erblickt sie uns und verstummt.
»Hallo«, grüßen wir im Vorbeigehen. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Wann sehen Sie Ihre Partnerin wieder?«, fragt Funktionärin Lei.
»Das weiß ich nicht«, antworte ich. »Die Gesellschaft hat den Termin unserer nächsten Terminal-Unterhaltung noch nicht festgelegt.«
Funktionärin Lei ist ein wenig älter als ich, mindestens aber einundzwanzig, weil sie bereits ihren Ehevertrag gefeiert hat. Doch seitdem ich sie kenne, ist ihr Mann als Soldat irgendwo an den äußersten Grenzen stationiert. Ich kann sie nicht fragen, wann er zurückkehrt, denn solche Informationen sind streng geheim. Wahrscheinlich weiß Funktionärin Lei selbst nicht einmal, wann sie ihn zurückerwarten kann.
Die Gesellschaft wünscht nicht, dass wir Außenstehenden von unserer Arbeit erzählen. Cassia weiß, dass ich Funktionär bin, kennt aber keine Einzelheiten. Funktionäre arbeiten in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft.
Die Gesellschaft bildet uns im medizinischen Zentrum für verschiedene Berufe aus. Die Medics kennt jeder, weil sie Krankheiten diagnostizieren und Menschen heilen können. Daneben gibt es Chirurgen, Pharmakologen, Krankenschwestern und Ärzte wie mich. Uns Ärzte setzt die Gesellschaft in den unterschiedlichsten Gebieten der Medizin ein, wie zum Beispiel in der Verwaltung des medizinischen Zentrums. Ich wurde für die Immunisierung der Babys und für die Entnahme der Gewebeproben bei Abschiedsbanketten eingeteilt. Die Gesellschaft behauptet, dies sei eine der verantwortungsvollsten Aufgaben, die ein Funktionär ausüben könne. Eine Grundausbildung in den wichtigsten medizinischen Bereichen durchläuft jeder von uns.
»Welche Farbe hat sie gewählt?«, fragt Funktionärin Lei, als wir uns dem Aircar nähern.
Im ersten Moment bin ich irritiert, doch dann wird mir klar, dass sie Cassias Kleid meint. »Sie hat Grün gewählt«, antworte ich. »Sie sah wunderschön aus.«
Plötzlich ertönt ein Schrei, und wir drehen uns alle drei wie auf Kommando um. Der Vater des Babys kommt so schnell er kann auf uns zugerannt. »Unser älterer Sohn wird einfach nicht wach!«, ruft er. »Ich bin in sein Zimmer gegangen, um nach ihm zu sehen und - irgendetwas stimmt nicht mit ihm!«
»Rufen Sie über Terminal einen Medic!«, antwortet Funktionär Brewer, und wir eilen zurück ins Haus. Ohne anzuklopfen laufen wir hinein und weiter durch zu den Schlafzimmern. Funktionärin Lei lehnt sich ängstlich an die Wand, bevor Funktionär Brewer die Kinderzimmertür öffnet. »Alles in Ordnung?«, frage ich. Sie nickt.
»Hallo?«, ruft Funktionär Brewer.
Die Mutter blickt zu uns auf, das Gesicht aschfahl. Sie hat das Baby noch auf dem Arm. Ihr anderes Kind im Bett reagiert nicht. Er liegt auf der Seite, mit dem Rücken zu uns. Er atmet, aber langsam. Seine Zivilkleider sitzen am Hals etwas locker, so dass man seine Haut sieht. Die Hautfarbe wirkt ganz normal, doch zwischen seinen Schulterblättern entdecke ich ein kleines rotes Mal, und ich spüre eine Welle des Mitleids und der freudigen Erregung zugleich.
Das ist der Anfang!
Die Erhebung hat prophezeit, so würde er sich ankündigen.
Ich muss mich beherrschen, um nicht die anderen im Zimmer anzusehen. Wer außer mir weiß Bescheid? Gehört sonst noch jemand zur Erhebung? Wissen noch andere darüber Bescheid, wie die Rebellion aussehen wird?
Die Inkubationszeit kann unterschiedlich sein, doch wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist, verschlechtert sich wird einfach nicht wach!«, ruft er. »Ich bin in sein Zimmer gegangen, um nach ihm zu sehen und - irgendetwas stimmt nicht mit ihm!«
»Rufen Sie über Terminal einen Medic!«, antwortet Funktionär Brewer, und wir eilen zurück ins Haus. Ohne anzuklopfen laufen wir hinein und weiter durch zu den Schlafzimmern. Funktionärin Lei lehnt sich ängstlich an die Wand, bevor Funktionär Brewer die Kinderzimmertür öffnet. »Alles in Ordnung?«, frage ich. Sie nickt.
»Hallo?«, ruft Funktionär Brewer.
Die Mutter blickt zu uns auf, das Gesicht aschfahl. Sie hat das Baby noch auf dem Arm. Ihr anderes Kind im Bett reagiert nicht. Er liegt auf der Seite, mit dem Rücken zu uns. Er atmet, aber langsam. Seine Zivilkleider sitzen am Hals etwas locker, so dass man seine Haut sieht. Die Hautfarbe wirkt ganz normal, doch zwischen seinen Schulterblättern entdecke ich ein kleines rotes Mal, und ich spüre eine Welle des Mitleids und der freudigen Erregung zugleich.
Das ist der Anfang!
Die Erhebung hat prophezeit, so würde er sich ankündigen.
Ich muss mich beherrschen, um nicht die anderen im Zimmer anzusehen. Wer aufer mir weiß Bescheid? Gehört sonst noch jemand zur Erhebung? Wissen noch andere darüber Bescheid, wie die Rebellion aussehen wird?
Die Inkubationszeit kann unterschiedlich sein, doch wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist, verschlechtert sich der Zustand des Patienten rapide. Die Sprache wird schleppend, der Patient wird schwächer, bis ein fast komatöser Status erreicht ist. Die auffälligsten Zeichen der Seuche sind ein oder mehrere kleine rote Male auf dem Rücken des Patienten. Wenn sich die Seuche einmal großflächig in der Bevölkerung ausgebreitet hat und nicht länger von der Gesellschaft verborgen werden kann, beginnt die Erhebung.
»Was ist das?«, fragt die Mutter. »Ist er krank?«
Wieder reagieren wir alle drei gleichzeitig. Funktionärin Lei fühlt den Puls des Kindes, und Funktionär Brewer wendet sich der Mutter zu, während ich versuche, ihr die Sicht auf das reglos im Bett liegende Kind zu versperren. Solange ich nicht ganz sicher weiß, dass die Erhebung beginnt, muss ich mich wie gewohnt verhalten.
»Er atmet«, antwortet Funktionär Brewer.
»Sein Puls ist in Ordnung«, bemerkt Funktionärin Lei. »Die Medics sind gleich da«, sage ich.
»Können Sie ihm denn gar nicht helfen?«, fragt die Mutter. »Ihm ein Medikament geben, ihn behandeln ...«
»Tut mir leid«, erwiderte Funktionär Brewer. »Er muss zuerst ins medizinische Zentrum gebracht werden, bevor man etwas tun kann.«
»Aber er atmet gleichmäßig, und sein Puls ist in Ordnung«, beruhige ich die Mutter. Keine Sorge, hätte ich am liebsten hinzugefügt. Die Erhebung hat ein Heilmittel. Ich hoffe, sie bemerkt den zuversichtlichen Tonfall in meiner Stimme. Leider kann ich ihr nicht offen sagen, woher ich weiß, dass alles gut werden wird.
Das ist es. Der Beginn der Erhebung.
Wenn die Erhebung an die Macht kommt, können wir selbst über unser Leben bestimmen. Wer weiß, was dann geschieht? Als ich Cassia damals zum ersten Mal geküsst habe, hat sie nach Luft geschnappt, wahrscheinlich vor Überraschung. Nicht wegen des Kusses: den hatte sie erwartet. Nein, sie war wohl eher überrascht darüber, wie er sich anfühlte.
Sobald wir uns wiedersehen, werde ich es ihr sagen, von Angesicht zu Angesicht sagen: Cassia, ich liebe dich und möchte dich zur Frau haben. Was fehlt dir, um genauso zu empfinden? Eine ganz neue Welt?
Denn das ist genau das, was wir haben werden.
Die Mutter nähert sich ihrem Kind ein wenig. »Es ist nur ...«, sagt sie mit erstickter Stimme. »Er ist so still!«
KAPITEL 2
CASSIA
Ky hat versprochen, sich heute Abend mit mir am See zu treffen.
Diesmal küsse ich ihn zuerst.
Und dann drückt er mich so fest an sich, dass die Gedichte, die ich unter meinem Hemd an meinem Herzen trage, rascheln, so leise, dass nur wir beide es hören. Sein Herzschlag, der Rhythmus seines Atems, der Ton und das Timbre seiner Stimme klingen wie Musik in meinen Ohren, so dass ich am liebsten laut singen würde.
Er wird mir erzählen, wo er gewesen ist.
Ich werde ihm erzählen, wo ich hingehen will.
Ich strecke die Arme aus und überprüfe, ob auch nichts Verräterisches unter den Ärmeln meines Hemdes hervorschaut, denn unter meinen formlosen Zivilkleidern schmiegt sich heute rote Seide weich an meinen Körper. Ich trage eines der Hundert Kleider, das bei den Händlern aufgetaucht ist - wahrscheinlich Diebesgut. Den Preis, den ich dafür bezahlt habe - ein Gedicht -, war es allemal wert. Wie schön es ist, einen so leuchtend bunten Stoff ans Licht halten und über den Kopf streifen zu können! Wie leicht ich mich darin fühle!
Ich arbeite als Sortiererin für die Gesellschaft hier in der Hauptstadt der Provinz Central, aber insgeheim bin ich für die Erhebung im Einsatz und handle mit den Archivisten. Nach außen hin bin ich ein braves Mitglied der Gesellschaft in Zivilkleidung, doch darunter trage ich Seide und Papier auf der Haut.
Ich habe festgestellt, dass sich die Gedichte am leichtesten transportieren lassen, indem ich sie mir um die Taille oder um die Handgelenke binde. Natürlich trage ich nicht alle meine Gedichte bei mir, sondern habe einen Platz gefunden, an dem ich die meisten verstecken kann. Einige möchte ich jedoch niemals missen.
Ich öffne meinen Tablettenbehälter. Alle Tabletten sind da: grün, blau, rot. Und noch etwas. Ein winziger Papierschnipsel, auf den ich die Worte erinnere dick notiert habe. Sollte ich je dazu gezwungen werden, die rote Tablette zu nehmen, schiebe ich diesen Zettel in meinen Ärmel, und wenn ich dann in den Behälter sehe, weiß ich, dass man mir meine Erinnerungen geraubt hat.
Bestimmt bin ich nicht die Erste, die auf so eine Idee gekommen ist. Wie viele meiner Mitmenschen wissen etwas, was sie nicht wissen sollten - nicht was sie verloren haben, aber dass sie verloren haben?
Mir bleibt nur die Hoffnung, dass ich nichts vergesse und ebenso resistent gegen die Wirkung der Tablette bin wie Indie, Xander und Ky.
Die Gesellschaft denkt, dass die rote Tablette bei mir wirkt. Aber sie wissen nicht alles. Was die Gesellschaft angeht, bin ich natürlich nie in den Äußeren Provinzen gewesen. Weder habe ich Canyons durchquert noch nachts unter einem funkelnden Sternenzelt, umtost von silbriger Gischt, einen Fluss bezwungen. So weit bekannt ist, war ich nie weg.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
KAPITEL 1
XANDER
Jeden Morgen geht die Sonne auf, färbt die Erde rot, und ich denke: Dies könnte der Tag sein, an dem sich alles ändert. Vielleicht wird heute die Gesellschaft fallen. Doch dann bricht erneut die Nacht herein, und wir alle warten noch immer. Doch ich weiß: Der Steuermann ist real.
Bei Sonnenuntergang nähern sich drei Funktionäre dem Eingang eines kleinen Hauses. Das Haus gleicht zum Verwechseln allen anderen in der Straße: zwei Läden an jedem der drei Fenster auf der Vorderseite, eine Eingangstreppe mit fünf Stufen und ein kleiner, stacheliger Dornenbusch rechts neben dem Gartenweg.
Der älteste Funktionär, ein Mann mit grauem Haar, hebt die Hand, um anzuklopfen.
Eins. Zwei. Drei.
Die Funktionäre stehen so dicht vor der Glasscheibe, dass ich das aufgenähte Abzeichen auf der rechten Uniformbrusttasche des jüngsten Funktionärs erkennen kann. Es ist leuchtend rot und sieht aus wie ein Blutstropfen.
Ich lächle. Er auch. Denn der Funktionär bin ich.
Früher wurde die Ernennung zum Funktionär mit einem großen Fest und einer Zeremonie in der Stadthalle gefeiert. Die Kandidaten brachten ihre Eltern, Partnerinnen oder Partner mit. Aber die Ernennungsfeierlichkeit ist keine der drei großen Zeremonien - wie das Willkommensbankett, das Paarungsbankett oder das Abschiedsbankett -, und so ist sie nicht mehr das, was sie einmal war. Die Gesellschaft versucht zu sparen, überall da, wo es möglich ist. Und sie gehen wohl davon aus, dass angehende Funktionäre loyal genug sind, sich nicht darüber zu beschweren, dass ihre Zeremonie etwas von ihrer Festlichkeit einbüßt.
Bei meiner Ernennung stand ich dort zusammen mit vier anderen, jeder von uns in einer neuen weißen Uniform. Der Oberfunktionär heftete mir mein erstes Abzeichen an: den roten Kreis, der das Gesundheitsministerium repräsentiert. Dann schworen wir alle den Eid auf die Gesellschaft, wobei unsere Stimmen unter der Kuppel des fast leeren Saales widerhallten, und versprachen, unser von der Gesellschaft ermitteltes Potential auszuschöpfen. Das war alles. Mir machte es nichts aus, dass die Zeremonie nichts Besonderes war, denn ich bin nicht wirklich ein Funktionär. Der bin ich nur nach außen, denn meine wahre Loyalität gilt der Erhebung.
Ein Mädchen in einem lilafarbenen Ballkleid eilt hinter uns den Bürgersteig entlang. Ich sehe ihr Spiegelbild in der Scheibe. Sie hält den Kopf gesenkt, als hoffe sie, dass wir sie nicht bemerken. Ihre Eltern folgen kurz darauf. Die drei sind unterwegs zur nächsten Airtrain-Halte-stelle. Heute ist der Fünfzehnte, also findet heute Abend das Paarungsbankett statt. Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass ich gemeinsam mit Cassia die Treppe zur Stadthalle hinaufgeschritten bin. Jetzt sind wir beide weit von unserer Heimat Oria entfernt.
Eine Frau öffnet die Haustür. Sie hält ihr kleines Baby im Arm. Ihm sollen wir seinen Namen geben. »Bitte treten Sie ein«, sagt sie. »Wir haben Sie schon erwartet.« Sie sieht müde aus, obwohl dies einer der glücklichsten Tage ihres Lebens sein sollte. Zwar wird das Thema in der Gesellschaft kaum diskutiert, aber hier in den Äußeren Provinzen ist das Leben härter. Es scheint, als konzentrierten sich die Ressourcen auf die Provinz Central und dünnten sich zu den Rändern der Gesellschaft hin immer weiter aus. Alles hier in Camas, einer der entlegensten Provinzen, ist irgendwie schmutzig und abgenutzt.
Nachdem sich die Tür hinter uns geschlossen hat, zeigt uns die Mutter den kleinen Jungen. »Er ist jetzt sieben Tage alt«, erzählt sie, obwohl wir das natürlich schon wissen. Deswegen sind wir hier. Die feierliche Namensgebung findet immer genau eine Woche nach der Geburt statt.
Das Kind hält die Augen geschlossen, doch wir wissen, dass sie tiefblau sind. Das steht in unseren Daten. Haarfarbe: braun. Wir wissen auch, dass er zum errechneten Termin geboren wurde und sich unter der fest gewickelten Decke zehn Finger und zehn Zehen verbergen. Die Gewebeprobe, die ihm nach der Geburt im medizinischen Zentrum entnommen wurde, war exzellent.
»Sind Sie bereit?«, fragt Funktionär Brewer, der von uns den höchsten Rang hat. Wie immer schwingt in seiner Stimme genau die richtige Mischung von Wohlwollen und Autorität mit. Er hat das schon Hunderte Male gemacht. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob Funktionär Brewer der Steuermann sein könnte. Es würde jedenfalls zu ihm passen, und er ist sehr diszipliniert und effektiv. Doch jeder könnte der Steuermann sein.
Die Eltern nicken auf Brewers Frage hin.
»Laut unseren Unterlagen fehlt ein Geschwisterkind«, bemerkt die Zweithöchste, Funktionärin Lei, mit ihrer sanften Stimme. »Möchten Sie, dass Ihr Sohn bei der Zeremonie anwesend ist?«
»Er war nach dem Essen so müde«, antwortet die Mutter entschuldigend. »Er konnte kaum noch die Augen offen halten, da habe ich ihn schon zu Bett gebracht.«
»Aber das ist doch völlig in Ordnung«, beruhigt sie Funktionärin Lei. Da der kleine Junge erst knapp über zwei Jahre alt ist - wobei zwei Jahre als der ideale Abstand zwischen Geschwistern gelten -, ist seine Anwesenheit nicht erforderlich. Er würde sich später wahrscheinlich ohnehin nicht an das Ereignis erinnern.
»Welchen Namen haben Sie ausgewählt?« Funktionär Brewer nähert sich dem Terminal in der Diele.
»Ory«, sagt die Mutter.
Funktionär Brewer gibt den Namen ein, und die Mutter dreht das Baby dem Bildschirm zu. »Ory«, wiederholt Funktionär Brewer. »Und als zweiten Vornamen?«
»Burton«, sagt der Vater. »Das ist in unserer Familie so üblich.«
Funktionärin Lei lächelt. »Was für ein hübscher Name!«
»Schauen Sie sich mal an, wie es aussieht«, fordert Funktionär Brewer die Eltern auf, und diese nähern sich, um sich den Namen des Babys anzusehen: ORY BURTON FARNSWORTH. Unter dem Schriftzug verläuft der Bar-code, den die Gesellschaft ihm zugeteilt hat. Wenn er ein planmäßiges Leben führt, wird die Gesellschaft nach seinem Tod mit diesem Barcode auch die letzte Gewebeprobe markieren, die auf seinem Abschiedsbankett entnommen wird.
Aber so lange wird es die Gesellschaft nicht mehr geben. »Falls Sie keine Änderungswünsche haben«, sagt Funktionär Brewer, »schicke ich ihn jetzt ab.«
Mutter und Vater überprüfen noch einmal den Namen. Die Mutter lächelt und hält das Baby noch ein wenig näher vor den Bildschirm des Terminals, als könne es seinen eigenen Namen lesen.
Funktionär Brewer sieht mich an und sagt: »Funktionär Carrow, Zeit für die Tablette.«
Das ist meine Aufgabe. Ich nicke und öffne den Metallbehälter.
»Wir müssen ihm die Tablette vor dem Terminal verabreichen«, erinnere ich die Eltern. Die Mutter hält den Kleinen noch ein wenig höher, so dass sein Gesicht für die Aufzeichnungen der Terminalkamera deutlich sichtbar ist.
Mir haben diese kleinen Immunisierungstabletten, die bei der Zeremonie zur Namensgebung verabreicht werden, schon immer gut gefallen. Sie sind rund und wie aus drei winzigen bunten Kuchenstücken zusammengesetzt: ein Drittel blau, ein Drittel grün und ein Drittel rot. Obwohl die Wirkung dieser Tablette vollkommen anders ist als die der drei Tabletten, die Ory später stets bei sich tragen wird, repräsentieren die Farben das Leben, das er in der Gesellschaft führen wird. Die Immunisierungstablette sieht fröhlich, kindgerecht und bunt aus und erinnert mich an die Farbpaletten auf unseren Bildschirmen in der Primarschule.
Die Gesellschaft verabreicht diese Tabletten allen Babys, um sie vor Krankheiten und Infektionen zu schützen. Sie sind auch für die Allerkleinsten leicht einzunehmen, denn sie lösen sich im Mund sofort auf. Diese Methode ist wesentlich humaner als die Schutzimpfungen früherer Gesellschaften, bei denen mit einer Nadel in die Haut des Babys gestochen wurde. Sogar die Erhebung plant, nach dem Umsturz die Immunisierung beizubehalten, wenn auch mit einigen Änderungen.
Das Baby regt sich, als ich die Tablette auswickle. »Könnten Sie ihm bitte den Mund öffnen?«, frage ich die Mutter.
Sie nickt. Als sie es versucht, dreht das Baby den Kopf, macht Sauggeräusche und will trinken. Wir alle lachen, und als der Kleine den Mund öffnet, lasse ich rasch die Tablette hineinfallen. Sie löst sich sofort auf der Zunge auf. Jetzt muss er nur noch schlucken, und das tut er, als hätte er nur auf seinen Einsatz gewartet.
»Ory Burton Farnsworth«, deklamiert Funktionär Brewer, »wir heißen dich in der Gesellschaft willkommen.« »Danke«, antworten die Eltern im Chor.
Der Austausch hat reibungslos geklappt, wie immer.
Funktionärin Lei sieht mich an und lächelt. Das lange Haar fällt ihr seidenglatt über die Schulter. Manchmal frage ich mich, ob sie auch zur Rebellion gehört und weiß, was ich tue - ich ersetze die Tabletten der Gesellschaft durch die, die ich von der Erhebung erhalten habe. Fast jedes Kind, das in den letzten zwei Jahren in den Äußeren Provinzen geboren wurde, hat seine Immunisierung durch die Erhebung empfangen. Schon andere vor mir haben mit dem allmählichen Austausch begonnen.
Dank der Erhebung wird der kleine Junge nicht nur gegen die meisten Krankheiten immun sein. Auch die rote Tablette wird keine Wirkung bei ihm zeigen, so dass die Gesellschaft ihm nicht seine Erinnerungen rauben kann. Jemand hat das für mich getan, als ich ein Baby war, ebenso wie für Ky und wahrscheinlich auch für Cassia.
Schon vor Jahren hat die Erhebung die Pharmafabriken infiltriert, in denen die Tabletten hergestellt werden. Neben den Medikamenten für die Gesellschaft werden auch die für die Erhebung dort produziert. Unsere Tabletten bieten den Kindern denselben Schutz wie das Medikament der Gesellschaft, dazu aber noch die Immunität gegen die rote Tablette sowie ein paar andere Extras.
Zur Zeit meiner Geburt hatte die Erhebung noch nicht genügend Ressourcen, um Tabletten für alle zu produzieren. Deshalb mussten sie einige von uns auswählen, unter dem Gesichtspunkt, wer eventuell später nützlich für sie sein könnte. Doch inzwischen gibt es genug für alle.
Die Erhebung ist für alle da.
Und sie wird nicht scheitern - wir werden nicht scheitern!
Auf dem schmalen Bürgersteig gehen Funktionär Brewer, Funktionärin Lei und ich hintereinander zum Aircar. Eine weitere Familie mit einer Tochter im feinen Ballkleid eilt die Straße entlang. Die Mutter sagt aufgebracht zum Vater: »Ich habe dir immer wieder gesagt ...«, doch dann erblickt sie uns und verstummt.
»Hallo«, grüßen wir im Vorbeigehen. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Wann sehen Sie Ihre Partnerin wieder?«, fragt Funktionärin Lei.
»Das weiß ich nicht«, antworte ich. »Die Gesellschaft hat den Termin unserer nächsten Terminal-Unterhaltung noch nicht festgelegt.«
Funktionärin Lei ist ein wenig älter als ich, mindestens aber einundzwanzig, weil sie bereits ihren Ehevertrag gefeiert hat. Doch seitdem ich sie kenne, ist ihr Mann als Soldat irgendwo an den äußersten Grenzen stationiert. Ich kann sie nicht fragen, wann er zurückkehrt, denn solche Informationen sind streng geheim. Wahrscheinlich weiß Funktionärin Lei selbst nicht einmal, wann sie ihn zurückerwarten kann.
Die Gesellschaft wünscht nicht, dass wir Außenstehenden von unserer Arbeit erzählen. Cassia weiß, dass ich Funktionär bin, kennt aber keine Einzelheiten. Funktionäre arbeiten in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft.
Die Gesellschaft bildet uns im medizinischen Zentrum für verschiedene Berufe aus. Die Medics kennt jeder, weil sie Krankheiten diagnostizieren und Menschen heilen können. Daneben gibt es Chirurgen, Pharmakologen, Krankenschwestern und Ärzte wie mich. Uns Ärzte setzt die Gesellschaft in den unterschiedlichsten Gebieten der Medizin ein, wie zum Beispiel in der Verwaltung des medizinischen Zentrums. Ich wurde für die Immunisierung der Babys und für die Entnahme der Gewebeproben bei Abschiedsbanketten eingeteilt. Die Gesellschaft behauptet, dies sei eine der verantwortungsvollsten Aufgaben, die ein Funktionär ausüben könne. Eine Grundausbildung in den wichtigsten medizinischen Bereichen durchläuft jeder von uns.
»Welche Farbe hat sie gewählt?«, fragt Funktionärin Lei, als wir uns dem Aircar nähern.
Im ersten Moment bin ich irritiert, doch dann wird mir klar, dass sie Cassias Kleid meint. »Sie hat Grün gewählt«, antworte ich. »Sie sah wunderschön aus.«
Plötzlich ertönt ein Schrei, und wir drehen uns alle drei wie auf Kommando um. Der Vater des Babys kommt so schnell er kann auf uns zugerannt. »Unser älterer Sohn wird einfach nicht wach!«, ruft er. »Ich bin in sein Zimmer gegangen, um nach ihm zu sehen und - irgendetwas stimmt nicht mit ihm!«
»Rufen Sie über Terminal einen Medic!«, antwortet Funktionär Brewer, und wir eilen zurück ins Haus. Ohne anzuklopfen laufen wir hinein und weiter durch zu den Schlafzimmern. Funktionärin Lei lehnt sich ängstlich an die Wand, bevor Funktionär Brewer die Kinderzimmertür öffnet. »Alles in Ordnung?«, frage ich. Sie nickt.
»Hallo?«, ruft Funktionär Brewer.
Die Mutter blickt zu uns auf, das Gesicht aschfahl. Sie hat das Baby noch auf dem Arm. Ihr anderes Kind im Bett reagiert nicht. Er liegt auf der Seite, mit dem Rücken zu uns. Er atmet, aber langsam. Seine Zivilkleider sitzen am Hals etwas locker, so dass man seine Haut sieht. Die Hautfarbe wirkt ganz normal, doch zwischen seinen Schulterblättern entdecke ich ein kleines rotes Mal, und ich spüre eine Welle des Mitleids und der freudigen Erregung zugleich.
Das ist der Anfang!
Die Erhebung hat prophezeit, so würde er sich ankündigen.
Ich muss mich beherrschen, um nicht die anderen im Zimmer anzusehen. Wer außer mir weiß Bescheid? Gehört sonst noch jemand zur Erhebung? Wissen noch andere darüber Bescheid, wie die Rebellion aussehen wird?
Die Inkubationszeit kann unterschiedlich sein, doch wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist, verschlechtert sich wird einfach nicht wach!«, ruft er. »Ich bin in sein Zimmer gegangen, um nach ihm zu sehen und - irgendetwas stimmt nicht mit ihm!«
»Rufen Sie über Terminal einen Medic!«, antwortet Funktionär Brewer, und wir eilen zurück ins Haus. Ohne anzuklopfen laufen wir hinein und weiter durch zu den Schlafzimmern. Funktionärin Lei lehnt sich ängstlich an die Wand, bevor Funktionär Brewer die Kinderzimmertür öffnet. »Alles in Ordnung?«, frage ich. Sie nickt.
»Hallo?«, ruft Funktionär Brewer.
Die Mutter blickt zu uns auf, das Gesicht aschfahl. Sie hat das Baby noch auf dem Arm. Ihr anderes Kind im Bett reagiert nicht. Er liegt auf der Seite, mit dem Rücken zu uns. Er atmet, aber langsam. Seine Zivilkleider sitzen am Hals etwas locker, so dass man seine Haut sieht. Die Hautfarbe wirkt ganz normal, doch zwischen seinen Schulterblättern entdecke ich ein kleines rotes Mal, und ich spüre eine Welle des Mitleids und der freudigen Erregung zugleich.
Das ist der Anfang!
Die Erhebung hat prophezeit, so würde er sich ankündigen.
Ich muss mich beherrschen, um nicht die anderen im Zimmer anzusehen. Wer aufer mir weiß Bescheid? Gehört sonst noch jemand zur Erhebung? Wissen noch andere darüber Bescheid, wie die Rebellion aussehen wird?
Die Inkubationszeit kann unterschiedlich sein, doch wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist, verschlechtert sich der Zustand des Patienten rapide. Die Sprache wird schleppend, der Patient wird schwächer, bis ein fast komatöser Status erreicht ist. Die auffälligsten Zeichen der Seuche sind ein oder mehrere kleine rote Male auf dem Rücken des Patienten. Wenn sich die Seuche einmal großflächig in der Bevölkerung ausgebreitet hat und nicht länger von der Gesellschaft verborgen werden kann, beginnt die Erhebung.
»Was ist das?«, fragt die Mutter. »Ist er krank?«
Wieder reagieren wir alle drei gleichzeitig. Funktionärin Lei fühlt den Puls des Kindes, und Funktionär Brewer wendet sich der Mutter zu, während ich versuche, ihr die Sicht auf das reglos im Bett liegende Kind zu versperren. Solange ich nicht ganz sicher weiß, dass die Erhebung beginnt, muss ich mich wie gewohnt verhalten.
»Er atmet«, antwortet Funktionär Brewer.
»Sein Puls ist in Ordnung«, bemerkt Funktionärin Lei. »Die Medics sind gleich da«, sage ich.
»Können Sie ihm denn gar nicht helfen?«, fragt die Mutter. »Ihm ein Medikament geben, ihn behandeln ...«
»Tut mir leid«, erwiderte Funktionär Brewer. »Er muss zuerst ins medizinische Zentrum gebracht werden, bevor man etwas tun kann.«
»Aber er atmet gleichmäßig, und sein Puls ist in Ordnung«, beruhige ich die Mutter. Keine Sorge, hätte ich am liebsten hinzugefügt. Die Erhebung hat ein Heilmittel. Ich hoffe, sie bemerkt den zuversichtlichen Tonfall in meiner Stimme. Leider kann ich ihr nicht offen sagen, woher ich weiß, dass alles gut werden wird.
Das ist es. Der Beginn der Erhebung.
Wenn die Erhebung an die Macht kommt, können wir selbst über unser Leben bestimmen. Wer weiß, was dann geschieht? Als ich Cassia damals zum ersten Mal geküsst habe, hat sie nach Luft geschnappt, wahrscheinlich vor Überraschung. Nicht wegen des Kusses: den hatte sie erwartet. Nein, sie war wohl eher überrascht darüber, wie er sich anfühlte.
Sobald wir uns wiedersehen, werde ich es ihr sagen, von Angesicht zu Angesicht sagen: Cassia, ich liebe dich und möchte dich zur Frau haben. Was fehlt dir, um genauso zu empfinden? Eine ganz neue Welt?
Denn das ist genau das, was wir haben werden.
Die Mutter nähert sich ihrem Kind ein wenig. »Es ist nur ...«, sagt sie mit erstickter Stimme. »Er ist so still!«
KAPITEL 2
CASSIA
Ky hat versprochen, sich heute Abend mit mir am See zu treffen.
Diesmal küsse ich ihn zuerst.
Und dann drückt er mich so fest an sich, dass die Gedichte, die ich unter meinem Hemd an meinem Herzen trage, rascheln, so leise, dass nur wir beide es hören. Sein Herzschlag, der Rhythmus seines Atems, der Ton und das Timbre seiner Stimme klingen wie Musik in meinen Ohren, so dass ich am liebsten laut singen würde.
Er wird mir erzählen, wo er gewesen ist.
Ich werde ihm erzählen, wo ich hingehen will.
Ich strecke die Arme aus und überprüfe, ob auch nichts Verräterisches unter den Ärmeln meines Hemdes hervorschaut, denn unter meinen formlosen Zivilkleidern schmiegt sich heute rote Seide weich an meinen Körper. Ich trage eines der Hundert Kleider, das bei den Händlern aufgetaucht ist - wahrscheinlich Diebesgut. Den Preis, den ich dafür bezahlt habe - ein Gedicht -, war es allemal wert. Wie schön es ist, einen so leuchtend bunten Stoff ans Licht halten und über den Kopf streifen zu können! Wie leicht ich mich darin fühle!
Ich arbeite als Sortiererin für die Gesellschaft hier in der Hauptstadt der Provinz Central, aber insgeheim bin ich für die Erhebung im Einsatz und handle mit den Archivisten. Nach außen hin bin ich ein braves Mitglied der Gesellschaft in Zivilkleidung, doch darunter trage ich Seide und Papier auf der Haut.
Ich habe festgestellt, dass sich die Gedichte am leichtesten transportieren lassen, indem ich sie mir um die Taille oder um die Handgelenke binde. Natürlich trage ich nicht alle meine Gedichte bei mir, sondern habe einen Platz gefunden, an dem ich die meisten verstecken kann. Einige möchte ich jedoch niemals missen.
Ich öffne meinen Tablettenbehälter. Alle Tabletten sind da: grün, blau, rot. Und noch etwas. Ein winziger Papierschnipsel, auf den ich die Worte erinnere dick notiert habe. Sollte ich je dazu gezwungen werden, die rote Tablette zu nehmen, schiebe ich diesen Zettel in meinen Ärmel, und wenn ich dann in den Behälter sehe, weiß ich, dass man mir meine Erinnerungen geraubt hat.
Bestimmt bin ich nicht die Erste, die auf so eine Idee gekommen ist. Wie viele meiner Mitmenschen wissen etwas, was sie nicht wissen sollten - nicht was sie verloren haben, aber dass sie verloren haben?
Mir bleibt nur die Hoffnung, dass ich nichts vergesse und ebenso resistent gegen die Wirkung der Tablette bin wie Indie, Xander und Ky.
Die Gesellschaft denkt, dass die rote Tablette bei mir wirkt. Aber sie wissen nicht alles. Was die Gesellschaft angeht, bin ich natürlich nie in den Äußeren Provinzen gewesen. Weder habe ich Canyons durchquert noch nachts unter einem funkelnden Sternenzelt, umtost von silbriger Gischt, einen Fluss bezwungen. So weit bekannt ist, war ich nie weg.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Ally Condie
Ally Condie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Salt Lake City, USA. Nach dem Studium unterrichtete sie mehrere Jahre lang Englische Literatur in New York, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Die phänomenal fesselnde Serie »Cassia & Ky« wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt und war ein überwältigender internationaler Erfolg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ally Condie
- 2013, 4. Aufl., 608 Seiten, Maße: 15,2 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Stefanie Schäfer
- Verlag: Fischer FJB
- ISBN-10: 3841421512
- ISBN-13: 9783841421517
- Erscheinungsdatum: 07.01.2013
Rezension zu „Cassia & Ky - Die Ankunft “
Glaubhafte Figurenentwicklungen, langersehnte Antworten, raffinierte Wendungen, die Auflösung der Dreiecksbeziehung und Spannung pur. Kurzum: ein gelungenes Finale! Bücher 20130301
Pressezitat
Glaubhafte Figurenentwicklungen, langersehnte Antworten, raffinierte Wendungen, die Auflösung der Dreiecksbeziehung und Spannung pur. Kurzum: ein gelungenes Finale! Bücher 20130301
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