Christine
Roman
Für Arnie ist es Liebe auf den ersten Blick. Christine hat Klasse, Ausstrahlung, und mit ein bißchen Bastelei würde sie auch wieder schön - der 1958er Plymouth braucht nur jemanden, der ihr sein Herz schenkt. Christine wird Arnies Leben verändern. Doch...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Christine “
Für Arnie ist es Liebe auf den ersten Blick. Christine hat Klasse, Ausstrahlung, und mit ein bißchen Bastelei würde sie auch wieder schön - der 1958er Plymouth braucht nur jemanden, der ihr sein Herz schenkt. Christine wird Arnies Leben verändern. Doch nicht nur zum Guten ... Stephen Kings wohl berühmtester Thriller, von Starregisseur John Carpenter kongenial verfilmt.
Klappentext zu „Christine “
Ein Meisterwerk der modernen HorrorliteraturEine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung: Arnie liebt seine Freundin Leigh und »Christine«, seinen 1958er Plymouth Fury. Aber das Auto lebt. Und es ist tödlich eifersüchtig.
Verfilmt von Starregisseur John Carpenter.
Lese-Probe zu „Christine “
Christine von Stephen KingAus dem Amerikanischen von Bodo Baumann
Prolog
Dies ist die Geschichte einer Dreiecksbeziehung, könnte
man sagen - Arnie Cunningham, Leigh Cabot und, natürlich,
Christine. Aber Sie sollten wissen, dass Christine zuerst
kam. Sie war Arnies erste Liebe, und obwohl ich nicht
meine Hand dafür ins Feuer legen möchte (denn mit zweiundzwanzig
kann der Mensch sich ja noch irren), möchte
ich doch sagen, dass Christine seine einzige wahre Liebe
gewesen ist. Deshalb ist diese Liebesgeschichte für mich
eine Tragödie.
Arnie und ich wuchsen im gleichen Viertel auf, besuchten
gemeinsam die Owen Andrews Grammar School, dann die
Darby Junior High und schließlich die Libertyville High.
Vermutlich war es hauptsächlich mir zu verdanken, dass
Arnie auf der Highschool nicht unter die Räder kam. Ich
war nämlich ein ziemlich harter Brocken auf der Schule -
ja, ich weiß, dafür kann man sich nichts kaufen. Als Kapitän
der Football- und Baseballmannschaft und Ass der
Schulschwimmstaffel bekommt man fünf Jahre nach dem
Schulabgang nicht mal mehr ein Bier spendiert - aber damals
konnte Arnie dank meines breiten Kreuzes überleben.
Er musste eine Menge einstecken; aber umgebracht wurde
er nicht.
... mehr
Wissen Sie, er war der geborene Verlierer. Jede Highschool
hat davon mindestens zwei. Das ist ein ungeschriebenes
Gesetz hierzulande. Einen männlichen Verlierer, einen
weiblichen. Jedermanns Prügelknabe oder Fußabstreifer.
Du hast einen schlechten Tag, eine Fünf in Mathe, einen
Streit mit deinem alten Herrn und Hausarrest übers Wochenende?
Überhaupt kein Problem. Such dir einen von
diesen traurigen Säcken, die durch die Korridore schleichen
wie arme Sünder, und lass sie dafür büßen. Manchmal geht
so ein armer Sack sogar dabei drauf, wenn auch nicht physisch,
so doch in jeder anderen Hinsicht. Hin und wieder
finden sie was, woran sie sich festhalten können, und sie
überleben. Arnie hatte mich. Und dann hatte er Christine.
Leigh kam später.
Das wollte ich zum besseren Verständnis vorausschicken.
Arnie war der geborene Außenseiter. Bei den Sportlern
war er schon wegen seiner Statur abgemeldet - eins achtundsiebzig
groß und so dürr, dass er nur mit nassen Klamotten
und schweren Armeestiefeln knapp über sechzig
Kilo auf die Waage brachte. Auch bei den Highschool-Strebern
(die in einem Kaff wie Libertyville sowieso schon als
Außenseiter gemieden wurden) kam er nicht an, weil er auf
keinem Gebiet wirklich Bescheid wusste. Arnie war intelligent,
doch sein Gehirn hatte keine ausgeprägte Begabung
für irgendwas - wenn es sich nicht gerade um Autos und
Motoren handelte. Da war er groß drin. Als Mechaniker
war der Junge unschlagbar, gewissermaßen der geborene
Autonarr. Doch seine Eltern, die beide an der Universität in
Horlicks unterrichteten, konnten sich ihren Sohn, der bei
seinem Stanford-Binet-Intelligenztest hervorragend abgeschnitten
hatte und zur höchsten IQ-Gruppe gehörte, nicht
in Monteurkluft vorstellen. Er durfte froh sein, dass sie ihm
wenigstens erlaubten, als Wahlfach den Kurs in Automechanik
Nr. I, II und III zu belegen. Und selbst um diese Erlaubnis
hatte er hart kämpfen müssen. Bei den Kiffern war
er abgemeldet, weil er nicht kiffte. Und bei den Halbstarken,
die auf hautenge Jeans und Lucky Strikes standen, war
er abgemeldet, weil er keinen Alkohol vertrug. Und weil er
gleich flennte, wenn man ihm eine scheuerte.
O ja, und bei den Mädchen war er ebenfalls abgemeldet.
In seinem Drüsenhaushalt herrschte die reine Anarchie. Ich
meine, bei Arnie konnte man vor lauter Pickeln das Gesicht
kaum noch sehen. Er versuchte zwar, mindestens fünfmal
am Tag die Dinger mit dem Waschlappen wegzuscheuern,
ging wenigstens zwei Dutzend Mal pro Woche unter die
Dusche und kaufte sich jedes Mittelchen, das vom Fernsehen
oder der Wissenschaft gegen Akne angepriesen wurde,
aber nichts half. Arnies Gesicht sah aus wie eine doppelt
belegte Pizza, und er musste sich schon früh darauf gefasst
machen, dass er sein ganzes Leben lang mit Kratern und
Narben im Gesicht herumlaufen würde.
Ich mochte ihn trotzdem. Der Junge hatte Humor, witzige
Einfälle und einen wachen Verstand, der immer an etwas
herumknobelte, etwas austüftelte oder kleine Spielchen erfand,
die das reinste Gehirnjogging waren. Es war Arnie,
der mir, als ich sieben war, zeigte, wie man eine Ameisenfarm
anlegen musste, und wir verbrachten fast den ganzen
Sommer damit, diese kleinen Biester zu beobachten, fasziniert
von ihrem Fleiß und ihrer todernsten Verbissenheit.
Es war Arnies Idee, dass wir uns eines Nachts, als wir zehn
Jahre alt waren, in die Reitställe an der Route 17 schlichen,
dort einen Eimer voller Pferdeäpfel klauten und ihn dann
auf dem Rasen vor dem Libertyville-Motel unter dem Hintern
der riesigen Pferdeplastik wieder auskippten. Er weihte
mich in das Schach- und später in das Pokerspiel ein. Er
zeigte mir, wie ich beim Scrabble die höchste Punktzahl herausholen
konnte. Sobald es draußen regnete, dachte ich
immer sofort an Arnie, jedenfalls bis zu dem Tag, als ich
mich zum ersten Mal verliebte (na ja, eher verguckte - sie
war Cheerleaderin und hatte einen fantastischen Körper, in
den ich ganz bestimmt verliebt war, obwohl ich Arnie nicht
hundertprozentig widersprechen konnte, als er mich darauf
hinwies, dass sie einen Verstand von der Tiefe und Resonanz
einer Shaun-Cassidy-Single besitze) -, weil Arnie
wusste, wie man aus verregneten Tagen genauso wie beim
Scrabble das Bestmögliche herausholen konnte. Vielleicht
ist das eine Methode, wie man wirklich einsame Menschen
erkennen kann ... Sie wissen, wie man sich an verregneten
Tagen auf vernünftige Weise die Zeit vertreibt. Man kann
sie immer telefonisch erreichen. Sie sind immer zu Hause.
Absolut immer.
Was mich betrifft, so brachte ich ihm das Schwimmen
bei, nahm ihn mit zum Krafttraining und überredete ihn,
Grünzeug zu essen, damit er ein bisschen Muskelfleisch ansetzte.
Im Jahr vor der Senior Highschool beschaffte ich
ihm in Libertyville einen Job beim Straßenbau - wir mussten
beide hart kämpfen, bis seine Eltern damit einverstanden
waren. Sie betrachteten sich zwar als große Freunde
der Farmarbeiter in Kalifornien und der Stahlarbeiter hier
in dem Kaff, doch sie waren entsetzt bei dem Gedanken,
dass ihr hochbegabter Sohn (ich erinnere noch mal an den
Stanford-Binet-Intelligenztest) sich die Hände schmutzig
machen und den Buckel in der Sonne verbrennen könnte.
Und dann, am Ende der Sommerferien, sah Arnie Christine
zum ersten Mal und verliebte sich in sie. Ich war an
dem Tag bei ihm - wir waren gerade auf dem Heimweg
von der Arbeitsstelle -, und ich bin jederzeit bereit, falls
nötig, vor dem Thron des allmächtigen Gottes zu schwören,
dass die Sache sich so, wie ich sie berichte, zugetragen
hat. Himmel, es war Liebe auf den ersten Blick. Es hätte ein
Spaß werden können, wenn es nicht so traurig und später
geradezu unheimlich gewesen wäre. Ja, und man hätte darüber
lachen können, wenn es nicht so schlimm gewesen
wäre.
Wie schlimm?
Es fing schlimm an und wurde schnell schlimmer.
TEIL EINS
Dennis - Lieder zum
Autofahren
1
Liebe auf den ersten Blick
Hey, looky there!
Across the street!
There's a car made just for me,
To own that car would be a luxury ...
That car's fine-lookin, man,
That's somethin else.
- EDDIE COCHRAN
»O mein Gott!«, rief mein Freund Arnie Cunningham plötzlich
ganz laut.
»Was ist los?«, fragte ich. Seine Augen waren hinter den
stahlgefassten Brillengläsern weit aufgerissen, die gewölbte
Hand verdeckte teilweise seinen Mund, und beim Umschauen
verrenkte er den Kopf, als hätte er keine Wirbel, sondern
einen Satz Kugellager im Genick.
»Halt den Wagen an, Dennis! Fahr zurück!«
»Was ist denn ...«
»Fahr zurück, ich möchte sie noch einmal anschauen.«
Plötzlich begriff ich. »O Mann, vergiss es«, sagte ich.
»Wenn du diese ... diese Rostlaube meinst, an der wir gerade
vorbeikamen ...«
»Fahr zurück!«, schrie er mich förmlich an.
Okay, ich tat ihm den Gefallen, da ich glaubte, Arnie
wollte sich nur einen Jux machen. Aber davon konnte keine
Rede sein. Es hatte ihn erwischt. Liebe auf den ersten Blick.
Sie war ein schlechter Witz, und was Arnie an jenem Tag
in ihr sah, werde ich wohl nie erfahren. Die linke Hälfte der
Windschutzscheibe war gesprungen und hatte ein staubverklebtes
Spinnwebenmuster. Die rechte hintere Ecke des Dachs
war eingedrückt, und hässliche Roststellen nisteten im Lack.
Die hintere Stoßstange war amputiert, der Kofferdeckel
klaffte, und die Polsterwatte blutete vorn und hinten aus
mehreren Schlitzen in der Sitzverkleidung, als hätte jemand
mit einem Messer darin herumgesäbelt. Ein Reifen war platt,
die anderen so blank, dass schon das Nylongewebe durch
das Gummi hindurchschimmerte. Am schlimmsten war die
dunkle Öllache unter dem Motorblock.
Arnie hatte sich in einen 1958er Plymouth Fury verliebt,
in einen von diesen langen Schlitten mit Haifischflossen an
den Kotflügeln. Hinter der rechten Hälfte der Windschutzscheibe,
die nur verstaubt und nicht geborsten war, lag
ein altes, von der Sonne vergilbtes Pappschild mit der kaum
noch leserlichen Aufschrift: ZU VERKAUFEN!
»Schau dir ihre Linien und Kurven an, Dennis!«, flüsterte
Arnie. Er lief um den Schlitten herum wie ein Besessener.
Sein verschwitztes Haar wippte strähnig auf und ab. Er
rüttelte an der rechten hinteren Tür, und sie gab ächzend
nach.
»Arnie, du willst mich auf den Arm nehmen, nicht wahr?«,
sagte ich. »Oder du hast einen Sonnenstich. Bitte sag, dass
du einen Sonnenstich hast. Ich bring dich sofort nach
Hause, dann packst du dich unter die Klimaanlage und wir
vergessen das Ganze, okay?« Aber ich wusste, dass ich mir
nur den Mund fusselig reden würde. Ich sah ihm an, dass
er diesmal nicht den Clown spielte. Er war so vernarrt in
diese Kiste, dass es mir fast unheimlich wurde.
Er machte sich nicht einmal die Mühe, mir zu antworten.
Ein heißer muffiger Luftschwall, der nach Öl, Schimmel
und fortgeschrittener Materialzersetzung roch, schlug
uns aus der offenen Wagentür entgegen. Arnie schien auch
das nicht zu bemerken. Er kroch in den Schlitten hinein
und setzte sich auf die verschlissene und aufgeschlitzte
Rückbank. Vor zwanzig Jahren musste das Polster rot gewesen
sein. Nun war es ein verwaschenes Rosa.
Ich langte mit der Hand hinein, griff mir ein paar Bäusche
von der herausquellenden Polsterwatte und blies sie
dann vom Handrücken. »Der Schlitten muss zufällig im
Weg gestanden haben, als die russische Armee mit ihren
Panzern auf Berlin zurollte«, sagte ich.
Nun stellte er endlich fest, dass ich auch noch da war.
»Ja ... ja. Aber man könnte sie wieder flottmachen. Sie
könnte ... sie könnte in alter Pracht erstrahlen. Ein heißer
Ofen, Dennis. Ein Prachtstück. Ein echter ...«
»He, he! Was treibt ihr beide denn da?«
Es war ein alter Knabe, der aussah, als erlebte er seinen
na, sagen wir mal - siebzigsten Sommer. Vielleicht war es
auch erst sein achtundsechzigster. Jedenfalls wirkte dieser
Typ auf mich wie ein Mann, der wenig Spaß verstand. Über
einem Kranz aus langen, schmuddeligen Haaren breitete
sich Schuppenflechte auf seinem ansonsten kahlen Schädel aus.
Er trug billige Leinenschuhe und eine grüne Altmännerhose,
darüber kein Hemd, sondern etwas mit Haken und
Ösen, das wie ein Frauenmieder aussah. Als er näher her
ankam, identifizierte ich das Mieder als Stützkorsett. Dem
Aussehen nach musste er es, grob über den Daumen gepeilt,
das letzte Mal am Todestag von Lyndon B. Johnson
gewechselt haben.
»Was treibt ihr Bengels dort?«, erkundigte der Alte sich
noch einmal mit schriller, scharfer Stimme.
»Sir, ist das Ihr Wagen?«, fragte Arnie ihn. Wobei mir
die Frage ziemlich überflüssig vorkam. Der Plymouth stand
auf dem Rasen vor einem Nachkriegs-Einfamilienhaus,
aus dem der alte Mann gekommen war. Der Rasen war in
einem grauenhaften Zustand, aber in Relation zum Plymouth
im Vordergrund schnitt er noch ganz gut ab.
»Und wenn es so wäre?«, erkundigte sich der Greis.
»Ich« - Arnie musste schlucken - »ich möchte ihn kaufen.«
Die Augen des Alten begannen zu funkeln. Das cholerische
Rot auf seinem Gesicht wich einem diabolisch-hinterhältigen
Schimmer in seinen Augen und einem hungrigen
Grinsen in den Mundwinkeln, das sich zu einem strahlenden
hinterhältigen Lächeln entwickelte. Das war der
Moment, glaube ich - der entscheidende Augenblick, wo
ich ein kaltes Kribbeln im Magen spürte. Das war der Moment
- just der Augenblick, wo ich Arnie am liebsten eins
über den Schädel gezogen und ihn zu meinem Wagen zurückgeschleppt
hätte. Es war nicht nur dieser tückische Silberblick
des Alten, der mich warnte, sondern das, was sich
dahinter versteckte.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, meinte der
Alte grinsend und hielt Arnie die Hand hin, die dieser sofort
ergriff. »LeBay ist mein Name. Roland D. LeBay, ehemaliger
Soldat der U. S. Army.«
»Arnie Cunningham.«
Das Händeschütteln wollte kein Ende nehmen, und der
Typ gönnte mir dabei auch ein Kopfnicken. Ich war nur
Statist. Er hatte seinen Fisch schon an der Angel. Er brauchte
ihn nur noch auszunehmen.
»Wie viel?«, fragte Arnie. Und dann setzte er atemlos
hinzu: »Was Sie auch dafür verlangen - Sie verkaufen sie
immer noch unter ihrem Preis.«
Ich stöhnte innerlich. Arnie bot ihm nicht nur sein Portemonnaie
an, sondern auch noch sein Scheckheft.
Einen Augenblick lang kam LeBays siegesgewisses Grinsen
ins Wanken, und seine Augen verengten sich misstrauisch.
Ich glaube, er vermutete, dass wir ihn nur verscheißern
wollten. Er suchte auf Arnies arglosem sehnsüchtigen Gesicht
nach Anzeichen von Hinterhältigkeit. Und dann stellte
er Arnie die geradezu mörderisch entwaffnende Frage:
»Hast du schon mal einen eigenen Wagen gehabt, Junge?«
»Er hat einen Mustang Mach II«, sagte ich rasch. »Den
haben ihm seine Eltern gekauft. Mit Hurst-Getriebe und
Turbolader als Sonderausstattung. Der Schlitten bringt schon
im ersten Gang den Asphalt zum Kochen und ...«
»Nein«, sagte Arnie leise, »ich habe erst im Frühjahr
meinen Führerschein gemacht.«
LeBay warf mir einen kurzen, aber vernichtenden Blick
zu und konzentrierte sich dann wieder auf seinen Fisch. Er
stemmte beide Hände gegen sein Stützkorsett und streckte
sich, eine Duftwolke aus saurem Schweiß um sich verbreitend.
»Das Kreuz, das hab ich mir bei der Army verrenkt«,
sagte er. »Musste wegen Invalidität den Abschied nehmen.
Die Ärzte konnten es nicht mehr geradebiegen. Wenn euch
Überarbeitete, vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 03/2011
Copyright © 1983 by Stephen King
Copyright © 1986 der deutschen Übersetzung by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2011
Redaktion: Momo Evers
Umschlaggestaltung: © Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-453-43572-8
www.heyne.de
Wissen Sie, er war der geborene Verlierer. Jede Highschool
hat davon mindestens zwei. Das ist ein ungeschriebenes
Gesetz hierzulande. Einen männlichen Verlierer, einen
weiblichen. Jedermanns Prügelknabe oder Fußabstreifer.
Du hast einen schlechten Tag, eine Fünf in Mathe, einen
Streit mit deinem alten Herrn und Hausarrest übers Wochenende?
Überhaupt kein Problem. Such dir einen von
diesen traurigen Säcken, die durch die Korridore schleichen
wie arme Sünder, und lass sie dafür büßen. Manchmal geht
so ein armer Sack sogar dabei drauf, wenn auch nicht physisch,
so doch in jeder anderen Hinsicht. Hin und wieder
finden sie was, woran sie sich festhalten können, und sie
überleben. Arnie hatte mich. Und dann hatte er Christine.
Leigh kam später.
Das wollte ich zum besseren Verständnis vorausschicken.
Arnie war der geborene Außenseiter. Bei den Sportlern
war er schon wegen seiner Statur abgemeldet - eins achtundsiebzig
groß und so dürr, dass er nur mit nassen Klamotten
und schweren Armeestiefeln knapp über sechzig
Kilo auf die Waage brachte. Auch bei den Highschool-Strebern
(die in einem Kaff wie Libertyville sowieso schon als
Außenseiter gemieden wurden) kam er nicht an, weil er auf
keinem Gebiet wirklich Bescheid wusste. Arnie war intelligent,
doch sein Gehirn hatte keine ausgeprägte Begabung
für irgendwas - wenn es sich nicht gerade um Autos und
Motoren handelte. Da war er groß drin. Als Mechaniker
war der Junge unschlagbar, gewissermaßen der geborene
Autonarr. Doch seine Eltern, die beide an der Universität in
Horlicks unterrichteten, konnten sich ihren Sohn, der bei
seinem Stanford-Binet-Intelligenztest hervorragend abgeschnitten
hatte und zur höchsten IQ-Gruppe gehörte, nicht
in Monteurkluft vorstellen. Er durfte froh sein, dass sie ihm
wenigstens erlaubten, als Wahlfach den Kurs in Automechanik
Nr. I, II und III zu belegen. Und selbst um diese Erlaubnis
hatte er hart kämpfen müssen. Bei den Kiffern war
er abgemeldet, weil er nicht kiffte. Und bei den Halbstarken,
die auf hautenge Jeans und Lucky Strikes standen, war
er abgemeldet, weil er keinen Alkohol vertrug. Und weil er
gleich flennte, wenn man ihm eine scheuerte.
O ja, und bei den Mädchen war er ebenfalls abgemeldet.
In seinem Drüsenhaushalt herrschte die reine Anarchie. Ich
meine, bei Arnie konnte man vor lauter Pickeln das Gesicht
kaum noch sehen. Er versuchte zwar, mindestens fünfmal
am Tag die Dinger mit dem Waschlappen wegzuscheuern,
ging wenigstens zwei Dutzend Mal pro Woche unter die
Dusche und kaufte sich jedes Mittelchen, das vom Fernsehen
oder der Wissenschaft gegen Akne angepriesen wurde,
aber nichts half. Arnies Gesicht sah aus wie eine doppelt
belegte Pizza, und er musste sich schon früh darauf gefasst
machen, dass er sein ganzes Leben lang mit Kratern und
Narben im Gesicht herumlaufen würde.
Ich mochte ihn trotzdem. Der Junge hatte Humor, witzige
Einfälle und einen wachen Verstand, der immer an etwas
herumknobelte, etwas austüftelte oder kleine Spielchen erfand,
die das reinste Gehirnjogging waren. Es war Arnie,
der mir, als ich sieben war, zeigte, wie man eine Ameisenfarm
anlegen musste, und wir verbrachten fast den ganzen
Sommer damit, diese kleinen Biester zu beobachten, fasziniert
von ihrem Fleiß und ihrer todernsten Verbissenheit.
Es war Arnies Idee, dass wir uns eines Nachts, als wir zehn
Jahre alt waren, in die Reitställe an der Route 17 schlichen,
dort einen Eimer voller Pferdeäpfel klauten und ihn dann
auf dem Rasen vor dem Libertyville-Motel unter dem Hintern
der riesigen Pferdeplastik wieder auskippten. Er weihte
mich in das Schach- und später in das Pokerspiel ein. Er
zeigte mir, wie ich beim Scrabble die höchste Punktzahl herausholen
konnte. Sobald es draußen regnete, dachte ich
immer sofort an Arnie, jedenfalls bis zu dem Tag, als ich
mich zum ersten Mal verliebte (na ja, eher verguckte - sie
war Cheerleaderin und hatte einen fantastischen Körper, in
den ich ganz bestimmt verliebt war, obwohl ich Arnie nicht
hundertprozentig widersprechen konnte, als er mich darauf
hinwies, dass sie einen Verstand von der Tiefe und Resonanz
einer Shaun-Cassidy-Single besitze) -, weil Arnie
wusste, wie man aus verregneten Tagen genauso wie beim
Scrabble das Bestmögliche herausholen konnte. Vielleicht
ist das eine Methode, wie man wirklich einsame Menschen
erkennen kann ... Sie wissen, wie man sich an verregneten
Tagen auf vernünftige Weise die Zeit vertreibt. Man kann
sie immer telefonisch erreichen. Sie sind immer zu Hause.
Absolut immer.
Was mich betrifft, so brachte ich ihm das Schwimmen
bei, nahm ihn mit zum Krafttraining und überredete ihn,
Grünzeug zu essen, damit er ein bisschen Muskelfleisch ansetzte.
Im Jahr vor der Senior Highschool beschaffte ich
ihm in Libertyville einen Job beim Straßenbau - wir mussten
beide hart kämpfen, bis seine Eltern damit einverstanden
waren. Sie betrachteten sich zwar als große Freunde
der Farmarbeiter in Kalifornien und der Stahlarbeiter hier
in dem Kaff, doch sie waren entsetzt bei dem Gedanken,
dass ihr hochbegabter Sohn (ich erinnere noch mal an den
Stanford-Binet-Intelligenztest) sich die Hände schmutzig
machen und den Buckel in der Sonne verbrennen könnte.
Und dann, am Ende der Sommerferien, sah Arnie Christine
zum ersten Mal und verliebte sich in sie. Ich war an
dem Tag bei ihm - wir waren gerade auf dem Heimweg
von der Arbeitsstelle -, und ich bin jederzeit bereit, falls
nötig, vor dem Thron des allmächtigen Gottes zu schwören,
dass die Sache sich so, wie ich sie berichte, zugetragen
hat. Himmel, es war Liebe auf den ersten Blick. Es hätte ein
Spaß werden können, wenn es nicht so traurig und später
geradezu unheimlich gewesen wäre. Ja, und man hätte darüber
lachen können, wenn es nicht so schlimm gewesen
wäre.
Wie schlimm?
Es fing schlimm an und wurde schnell schlimmer.
TEIL EINS
Dennis - Lieder zum
Autofahren
1
Liebe auf den ersten Blick
Hey, looky there!
Across the street!
There's a car made just for me,
To own that car would be a luxury ...
That car's fine-lookin, man,
That's somethin else.
- EDDIE COCHRAN
»O mein Gott!«, rief mein Freund Arnie Cunningham plötzlich
ganz laut.
»Was ist los?«, fragte ich. Seine Augen waren hinter den
stahlgefassten Brillengläsern weit aufgerissen, die gewölbte
Hand verdeckte teilweise seinen Mund, und beim Umschauen
verrenkte er den Kopf, als hätte er keine Wirbel, sondern
einen Satz Kugellager im Genick.
»Halt den Wagen an, Dennis! Fahr zurück!«
»Was ist denn ...«
»Fahr zurück, ich möchte sie noch einmal anschauen.«
Plötzlich begriff ich. »O Mann, vergiss es«, sagte ich.
»Wenn du diese ... diese Rostlaube meinst, an der wir gerade
vorbeikamen ...«
»Fahr zurück!«, schrie er mich förmlich an.
Okay, ich tat ihm den Gefallen, da ich glaubte, Arnie
wollte sich nur einen Jux machen. Aber davon konnte keine
Rede sein. Es hatte ihn erwischt. Liebe auf den ersten Blick.
Sie war ein schlechter Witz, und was Arnie an jenem Tag
in ihr sah, werde ich wohl nie erfahren. Die linke Hälfte der
Windschutzscheibe war gesprungen und hatte ein staubverklebtes
Spinnwebenmuster. Die rechte hintere Ecke des Dachs
war eingedrückt, und hässliche Roststellen nisteten im Lack.
Die hintere Stoßstange war amputiert, der Kofferdeckel
klaffte, und die Polsterwatte blutete vorn und hinten aus
mehreren Schlitzen in der Sitzverkleidung, als hätte jemand
mit einem Messer darin herumgesäbelt. Ein Reifen war platt,
die anderen so blank, dass schon das Nylongewebe durch
das Gummi hindurchschimmerte. Am schlimmsten war die
dunkle Öllache unter dem Motorblock.
Arnie hatte sich in einen 1958er Plymouth Fury verliebt,
in einen von diesen langen Schlitten mit Haifischflossen an
den Kotflügeln. Hinter der rechten Hälfte der Windschutzscheibe,
die nur verstaubt und nicht geborsten war, lag
ein altes, von der Sonne vergilbtes Pappschild mit der kaum
noch leserlichen Aufschrift: ZU VERKAUFEN!
»Schau dir ihre Linien und Kurven an, Dennis!«, flüsterte
Arnie. Er lief um den Schlitten herum wie ein Besessener.
Sein verschwitztes Haar wippte strähnig auf und ab. Er
rüttelte an der rechten hinteren Tür, und sie gab ächzend
nach.
»Arnie, du willst mich auf den Arm nehmen, nicht wahr?«,
sagte ich. »Oder du hast einen Sonnenstich. Bitte sag, dass
du einen Sonnenstich hast. Ich bring dich sofort nach
Hause, dann packst du dich unter die Klimaanlage und wir
vergessen das Ganze, okay?« Aber ich wusste, dass ich mir
nur den Mund fusselig reden würde. Ich sah ihm an, dass
er diesmal nicht den Clown spielte. Er war so vernarrt in
diese Kiste, dass es mir fast unheimlich wurde.
Er machte sich nicht einmal die Mühe, mir zu antworten.
Ein heißer muffiger Luftschwall, der nach Öl, Schimmel
und fortgeschrittener Materialzersetzung roch, schlug
uns aus der offenen Wagentür entgegen. Arnie schien auch
das nicht zu bemerken. Er kroch in den Schlitten hinein
und setzte sich auf die verschlissene und aufgeschlitzte
Rückbank. Vor zwanzig Jahren musste das Polster rot gewesen
sein. Nun war es ein verwaschenes Rosa.
Ich langte mit der Hand hinein, griff mir ein paar Bäusche
von der herausquellenden Polsterwatte und blies sie
dann vom Handrücken. »Der Schlitten muss zufällig im
Weg gestanden haben, als die russische Armee mit ihren
Panzern auf Berlin zurollte«, sagte ich.
Nun stellte er endlich fest, dass ich auch noch da war.
»Ja ... ja. Aber man könnte sie wieder flottmachen. Sie
könnte ... sie könnte in alter Pracht erstrahlen. Ein heißer
Ofen, Dennis. Ein Prachtstück. Ein echter ...«
»He, he! Was treibt ihr beide denn da?«
Es war ein alter Knabe, der aussah, als erlebte er seinen
na, sagen wir mal - siebzigsten Sommer. Vielleicht war es
auch erst sein achtundsechzigster. Jedenfalls wirkte dieser
Typ auf mich wie ein Mann, der wenig Spaß verstand. Über
einem Kranz aus langen, schmuddeligen Haaren breitete
sich Schuppenflechte auf seinem ansonsten kahlen Schädel aus.
Er trug billige Leinenschuhe und eine grüne Altmännerhose,
darüber kein Hemd, sondern etwas mit Haken und
Ösen, das wie ein Frauenmieder aussah. Als er näher her
ankam, identifizierte ich das Mieder als Stützkorsett. Dem
Aussehen nach musste er es, grob über den Daumen gepeilt,
das letzte Mal am Todestag von Lyndon B. Johnson
gewechselt haben.
»Was treibt ihr Bengels dort?«, erkundigte der Alte sich
noch einmal mit schriller, scharfer Stimme.
»Sir, ist das Ihr Wagen?«, fragte Arnie ihn. Wobei mir
die Frage ziemlich überflüssig vorkam. Der Plymouth stand
auf dem Rasen vor einem Nachkriegs-Einfamilienhaus,
aus dem der alte Mann gekommen war. Der Rasen war in
einem grauenhaften Zustand, aber in Relation zum Plymouth
im Vordergrund schnitt er noch ganz gut ab.
»Und wenn es so wäre?«, erkundigte sich der Greis.
»Ich« - Arnie musste schlucken - »ich möchte ihn kaufen.«
Die Augen des Alten begannen zu funkeln. Das cholerische
Rot auf seinem Gesicht wich einem diabolisch-hinterhältigen
Schimmer in seinen Augen und einem hungrigen
Grinsen in den Mundwinkeln, das sich zu einem strahlenden
hinterhältigen Lächeln entwickelte. Das war der
Moment, glaube ich - der entscheidende Augenblick, wo
ich ein kaltes Kribbeln im Magen spürte. Das war der Moment
- just der Augenblick, wo ich Arnie am liebsten eins
über den Schädel gezogen und ihn zu meinem Wagen zurückgeschleppt
hätte. Es war nicht nur dieser tückische Silberblick
des Alten, der mich warnte, sondern das, was sich
dahinter versteckte.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, meinte der
Alte grinsend und hielt Arnie die Hand hin, die dieser sofort
ergriff. »LeBay ist mein Name. Roland D. LeBay, ehemaliger
Soldat der U. S. Army.«
»Arnie Cunningham.«
Das Händeschütteln wollte kein Ende nehmen, und der
Typ gönnte mir dabei auch ein Kopfnicken. Ich war nur
Statist. Er hatte seinen Fisch schon an der Angel. Er brauchte
ihn nur noch auszunehmen.
»Wie viel?«, fragte Arnie. Und dann setzte er atemlos
hinzu: »Was Sie auch dafür verlangen - Sie verkaufen sie
immer noch unter ihrem Preis.«
Ich stöhnte innerlich. Arnie bot ihm nicht nur sein Portemonnaie
an, sondern auch noch sein Scheckheft.
Einen Augenblick lang kam LeBays siegesgewisses Grinsen
ins Wanken, und seine Augen verengten sich misstrauisch.
Ich glaube, er vermutete, dass wir ihn nur verscheißern
wollten. Er suchte auf Arnies arglosem sehnsüchtigen Gesicht
nach Anzeichen von Hinterhältigkeit. Und dann stellte
er Arnie die geradezu mörderisch entwaffnende Frage:
»Hast du schon mal einen eigenen Wagen gehabt, Junge?«
»Er hat einen Mustang Mach II«, sagte ich rasch. »Den
haben ihm seine Eltern gekauft. Mit Hurst-Getriebe und
Turbolader als Sonderausstattung. Der Schlitten bringt schon
im ersten Gang den Asphalt zum Kochen und ...«
»Nein«, sagte Arnie leise, »ich habe erst im Frühjahr
meinen Führerschein gemacht.«
LeBay warf mir einen kurzen, aber vernichtenden Blick
zu und konzentrierte sich dann wieder auf seinen Fisch. Er
stemmte beide Hände gegen sein Stützkorsett und streckte
sich, eine Duftwolke aus saurem Schweiß um sich verbreitend.
»Das Kreuz, das hab ich mir bei der Army verrenkt«,
sagte er. »Musste wegen Invalidität den Abschied nehmen.
Die Ärzte konnten es nicht mehr geradebiegen. Wenn euch
Überarbeitete, vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 03/2011
Copyright © 1983 by Stephen King
Copyright © 1986 der deutschen Übersetzung by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2011
Redaktion: Momo Evers
Umschlaggestaltung: © Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-453-43572-8
www.heyne.de
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Autoren-Porträt von Stephen King
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephen King
- 2011, 896 Seiten, 1 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 11,8 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Bodo Baumann
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453435729
- ISBN-13: 9783453435728
- Erscheinungsdatum: 03.02.2011
Kommentar zu "Christine"