Ein Vampir kommt selten allein / Dark One Bd.6
Roman
Ein Leben mit Ehemann und Kindern - das ist Pias Traum.Doch bisher ist noch kein Traummann in Sicht. Pia bucht eine Single-Tour durch Europa. Und trifft in Island auf zwei attraktive Männer. Sie ahnt jedoch nicht, dass die mysteriösen Fremden in Wahrheit Vampire sind.
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Produktinformationen zu „Ein Vampir kommt selten allein / Dark One Bd.6 “
Ein Leben mit Ehemann und Kindern - das ist Pias Traum.Doch bisher ist noch kein Traummann in Sicht. Pia bucht eine Single-Tour durch Europa. Und trifft in Island auf zwei attraktive Männer. Sie ahnt jedoch nicht, dass die mysteriösen Fremden in Wahrheit Vampire sind.
Klappentext zu „Ein Vampir kommt selten allein / Dark One Bd.6 “
Ein Leben in der Vorstadt mit Ehemann und Kindern? Für manche ein Albtraum, aber für Pia Thomason der Stoff ihrer Tagträume. Nun naht ihr vierzigster Geburtstag, und der Traummann ist immer noch nicht in Sicht. Pia entschließt sich zu einem radikalen Schritt: Sie bucht eine Single-Tour durch das romantische Europa. Leider sind die wenigen Männer, die an der Reise teilnehmen, nicht nach ihrem Geschmack. Im Gegensatz zu den beiden attraktiven Männern, denen Pia in einem isländischen Städtchen begegnet. Sie ahnt jedoch nicht, dass die mysteriösen Fremden in Wahrheit Vampire sind ...
Lese-Probe zu „Ein Vampir kommt selten allein / Dark One Bd.6 “
Ein Vampir kommt selten allein von Katie MacAlister2
„Ist sie weg?“
„Moment!“ Audrey, unsere Reiseleiterin und Mitbesitzerin von Sergeant Patty’s Lonely Hearts Club Tours, schaute vorsichtig hinter der Statue eines Wikingerforschers hervor und sondierte die unmittelbare Umgebung. Die meisten Menschen saßen auf der Wiese und bestaunten mit vielen „Oohs“ und „Aahs“ das prächtige Spektakel am nicht minder farbenfrohen Nachthimmel. Kinder liefen mit Wunderkerzen umher, und die Feuerwerkskörper projizierten glitzernde Bilder in die Luft, die jeweils nach ein paar Sekunden in einen schillernden Funkenregen zerfielen. Ein leichter Wind wehte vom Wasser herüber und vertrieb den beißenden Rauch, der sich im Park ausbreitete.
„Ich glaube, sie steht da hinten auf der anderen Seite. Sie ist schon den ganzen Abend hinter mir her – bestimmt, weil sie sich wieder über dieses und jenes beschweren will.“
„Sie schien nicht sehr erfreut zu sein, dass der Ausflug ausgefallen ist“, entgegnete ich.
„Nicht sehr erfreut?“ Audrey schnaubte. „Sie hat mich so lange damit genervt, wie schade es ist, das Feuerwerk zu verpassen, dass ich den Ausflug schließlich ihr zuliebe abgeblasen habe. Sie sollte also höchst erfreut sein! Oh Gott, jetzt hat sie Magda und Ray entdeckt. Die Armen haben sie noch nicht gesehen, und sie rennt schnurstracks auf sie zu. Ich wünschte, ich könnte ihr einfach ihr Geld zurückgeben und sie rauswerfen, aber wenn ich anfange, Kunden zu vergraulen, bekommt Patty einen Tobsuchtsanfall!“
Ich tätschelte Audreys Arm. „Du hast mein ganzes Mitgefühl, und ich wünschte, ich könnte dir irgendwie behilflich sein bei dieser aufsässigen Person, aber von Denise habe ich selbst die Nase gestrichen voll. Ich glaube, ich verziehe mich ins
... mehr
Hotel.“
Sie sah mich bestürzt an. „Ach, Pia, geh nicht! Das Feuerwerk ist noch nicht vorbei, und danach gibt es wieder Musik. Du willst dir doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, einen gut aussehenden
Wikinger kennenzulernen, oder?“
Ich dachte an meinen gescheiterten Annäherungsversuch auf dem Marktplatz und schenkte Audrey ein grimmiges Lächeln. „Heute Abend verzichte ich lieber. Aber dir wünsche ich noch viel Spaß!“
„Es tut mir leid, wenn Denise dir die Laune verdorben hat“, entgegnete sie betroffen.
„Das muss es nicht, du kannst ja nichts dafür. Keine Sorge, mit Denise komme ich schon klar – ich bin ja schließlich erwachsen.
Weißt du, ich bin einfach nur ein bisschen müde, nachdem wir heute Morgen in Reykjavík waren und ich dann noch den ganzen Nachmittag hier herumgelaufen bin. Alles Liebe zum Isländischen Unabhängigkeitstag!“
„Dir auch“, entgegnete sie und sah mir zerknirscht hinterher, als ich mit eiligen Schritten auf den Ausgang des Parks zusteuerte. Das Städtchen war wirklich nicht groß und der Weg zum Hotel nicht weit, aber das Zentrum war ein einziges Labyrinth aus engen, verwinkelten Gassen, in dem ich mich hoffnungslos verirrte. Ich musste erst wieder zurück zu dem immer noch hell erleuchteten Marktplatz, um mich zu orientieren. Dann ging ich eine Straße hinunter, von der ich hoffte, dass sie zu unserem
kleinen Hotel führte.
Als ich durch eine dunkle Gasse eilte, die mir verdächtig bekannt vorkam – war ich hier nicht eben erst gewesen? –, trat plötzlich direkt vor mir eine dunkle Gestalt aus einer Tür. Ich sprang mit einem Aufschrei zur Seite und stieß unsanft mit der Schulter gegen die Hauswand.
Der Mann sagte etwas zu mir, das ich nicht verstand, während ich mir an die Brust fasste und mein wild schlagendes Herz zu beruhigen versuchte. „Mein Gott, Sie haben mich vielleicht erschreckt! Ich hätte fast einen Infarkt gekriegt! Passen Sie doch auf!“
Die dunkle Gestalt blieb einen Moment regungslos stehen, dann bewegte sie sich in den Lichtkegel der Straßenlaterne. „Verzeihen Sie bitte, Madam“, sagte er mit einem starken isländischen Akzent auf Englisch. „Ich habe Sie nicht gesehen. Hier, Ihre Bücher!“
„Ist ja noch mal gut gegangen“, entgegnete ich, während ich hastig die Sachen zusammensuchte, die aus meiner Tasche gefallen waren.
„Sie sind Touristin, ja?“, fragte der Mann.
„Ja.“ Ich fand ihn sympathisch. Er hatte Sommersprossen im Gesicht und diese fröhliche, offene Ausstrahlung, die so typisch für die Isländer zu sein schien. „Aber leider bin ich nur ein paar Tage hier. Oh, danke!“ Ich klemmte mir meine Tasche unter den Arm und nahm ihm die Bücher ab.
Er bückte sich noch einmal und hob etwas auf. Als er es mir geben wollte, erstarrte er. Ich schaute überrascht auf den Gegenstand in seiner Hand: ein schmales Seidenband mit einem kleinen ovalen, leicht milchigen Stein daran, der von innen heraus blaugrün schimmerte.
„Oh, wie hübsch“, sagte ich und nahm den Stein, um ihn mir genauer anzusehen. „Was ist das? Ein Opal?“
„Das ist ein Mondstein“, entgegnete der Mann mit erstickter Stimme.
Das Band sah aus wie ein Lesezeichen, an dem ein Glücksbringer oder Talisman befestigt war. So etwas hatte ich schon einmal gesehen.
„Er ist wunderschön. Ist das aus einem von meinen Büchern gerutscht? Dann muss ich es gleich morgen dem Buchhändler zurückbringen.
Er hat wahrscheinlich gar nicht gewusst, dass es …“
Der Mann fing plötzlich an zu lachen. „Sie haben mir nicht gesagt, wer Sie sind“, sagte er und kicherte noch vor sich hin, als er mich am Arm fasste, um mich aus der Gasse zu führen.
„Und ich habe Sie tatsächlich für eine ganz normale Touristin gehalten!“
„Äh …“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es wäre mir komisch vorgekommen, ihm zu versichern, dass ich in der Tat ganz normal war, doch mich beschlich der Verdacht, dass der nette Isländer mich mit jemandem verwechselte. „Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor.“
„Kein Missverständnis“, entgegnete er strahlend, und seine Freude schien echt zu sein. „Wir haben Sie bereits erwartet. Der Zenit sagte, Sie kommen heute, und wir dachten, Sie träfen schon früher ein. Ich vermute, Sie hielten es für notwendig, Ihre Tarnung als Touristin noch eine Weile aufrechtzuerhalten.“
„Okay, jetzt reden wir wirklich aneinander vorbei.“ Ich blieb stehen, denn allmählich wurde mir die Sache unheimlich. „Ich heiße Pia Thomason, und ich bin wirklich eine ganz normale Touristin.“
„Pia? Haha! Das ist gut, sehr gut“, sagte er bewundernd, nahm erneut meinen Arm und drängte mich sanft zum Weitergehen.
„Ich bin Mattias. Ich bin der Sakristan.“
„Wie bitte?“, fragte ich, denn das Wort war mir unbekannt. War ich eine böse Amerikanerin, wenn ich mich von ihm losriss und so schnell ich konnte zurück zum Park lief? Da praktisch sämtliche Bewohner der Stadt dem Feuerwerk am Wasser beiwohnten, waren die Straßen völlig verlassen.
„Das bedeutet … Wie erkläre ich es Ihnen am besten? Ich bin der Wächter, verstehen Sie?“
„Der Wächter? So etwas wie ein Türsteher?“, fragte ich etwas außer Puste, denn Mattias zog mich sanft, aber beharrlich eine steile Kopfsteinpflastergasse hoch. „Oder ein Hotelportier?“
„Nein, nein, jetzt sind Sie auf der falschen Fährte. Ich bin der Sakristan der Bruderschaft des Gesegneten Lichts.“
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was die vorherrschende Religion in dieser Gegend war, aber es fiel mir nicht ein. „Ah, ich vermute, es handelt sich um eine Glaubensgemeinschaft?“
Er kicherte wieder. „Sie wollen die Unwissende spielen? Gut, dann spiele ich mit. Es ist in der Tat eine Religion, eine sehr alte.
Sie hat ihren Ursprung im Baskenland. Einst waren wir als Ilargi bekannt, aber heute tragen wir den Namen der Bruderschaft. Es gibt uns seit Anbeginn der Finsternis.“
„Ilargi?“, fuhr ich erstaunt auf und sah dem Mann ins Gesicht, der mich zielstrebig durch die Gasse zerrte. „Dann haben Sie mit dem Wald vor der Stadt zu tun? Wo die Ruine ist?“
„Mit welchem Wald?“ Er zog seine hellen Augenbrauen zusammen.
„Ich verstehe nicht. Wollen Sie mich auf die Probe stellen?“
Ich blieb ruckartig stehen und zwang ihn ein zweites Mal, stehen zu bleiben. Er sah mich verwirrt an, doch ich entdeckte keine Anzeichen von Feindseligkeit oder gar Wahnsinn in seinem Gesichtsausdruck. Offenbar hatte er mich tatsächlich mit jemandem verwechselt. „Es tut mir leid, Mattias, aber ich glaube wirklich, Sie haben die Falsche. Ich verstehe nicht die Hälfte von dem, was Sie sagen.“
„Mir tut es leid! Mein Englisch ist nicht besonders gut.“
„Ihr Englisch ist besser als meins! Sie haben nur missverstanden, was ich gesagt habe, und ich habe keine Ahnung, was Ihre Antworten zu bedeuten haben. Beispielsweise weiß ich nicht, wohin Sie mich gerade führen.“
„Wir sind schon da“, entgegnete er und zeigte auf eine kleine Kirche aus grauem Stein, die am oberen Ende der Straße stand.
Beim Anblick des Gotteshauses entspannte ich mich ein wenig, weil ich spürte, dass Mattias, obwohl er einen reichlich verwirrten Eindruck machte, keine Bedrohung für mich darstellte.
Ist das Ihre Kirche?“
„Ja. Ich bringe Sie hinein.“
Ich zögerte und überlegte, wie ich ihm begreiflich machen sollte, dass ich nicht diejenige war, für die er mich hielt. „Kommen Sie nur“, sagte er, ergriff meine Hand und führte mich die Treppe zum Eingang hoch. „Ich bin der Sakristan. Ich bin die Sonne.“
„Die Sonne?“, fragte ich verdutzt und nahm die Kirche argwöhnisch in Augenschein, doch sie sah völlig normal aus.
„Ja, genau“, entgegnete er und zeigte nach oben. „Die Sonne am Himmelszelt.“
„Oh, verstehe. Sie … äh … Sie denken, Sie sind die Sonne?“
„Ja.“
Ich studierte den Mann, der mich in die Kirche führte, unauffällig aus dem Augenwinkel. Er sah wirklich nicht verrückt aus, aber wenn er sich für die Sonne hielt, war es vielleicht besser, einfach mitzuspielen, bis ich eine Gelegenheit fand, mich davonzustehlen. Das Innere der Kirche trug einigermaßen zur Beruhigung meiner Nerven bei. Es entsprach so ziemlich dem, was ich aufgrund meiner Besuche anderer alter isländischer Kirchen erwartet hatte: Es gab einen kleinen Vorraum, von dem aus es in das eigentliche Kirchenschiff ging. In der Mitte und an den Seiten der Bänke führten schmale Gänge nach vorn zum Altar. Erst auf der Hälfte des Mittelgangs merkte ich, dass etwas nicht stimmte.
Die Kirche war zwar mit Kreuzen und anderen christlichen Symbolen geschmückt, doch diese waren mit schwarzen Tüchern verhüllt, die mit silbernen Halbmonden bestickt waren.
„Oh, oh“, sagte ich leise und entzog Mattias meine Hand.
War ich etwa an irgendeine merkwürdige Sekte geraten? Gab es überhaupt merkwürdige Sekten in Island? Ich hatte gedacht, die Isländer seien Heiden gewesen, bevor sich das Christentum in Skandinavien ausgebreitet hatte. Ob es sich um einen heidnischen Kult handelte? „Ich glaube, ich habe genug gesehen!“
„Mattias?“, rief in diesem Moment eine Frau, die hinter dem Altar aus einer Tür kam. Sie war im mittleren Alter, hatte grau meliertes Haar und beobachtete mich mit Argusaugen, als sie auf uns zugeeilt kam und dabei auf Isländisch auf Mattias einredete.
„Kristjana, ich habe die Zorya mitgebracht“, unterbrach Mattias sie. „Sie ist Engländerin.“
„Amerikanerin, und ich heiße auch nicht Zorya. Mein Name ist Pia, und es tut mir furchtbar leid, aber ich denke, Mattias hat mich mit jemandem verwechselt“, erklärte ich der Frau. Sie sah völlig normal und geistig gesund aus, regelrecht harmlos und irgendwie großmütterlich – bis auf ihre dunklen Augen. Sie musterte mich eine Weile mit ernstem Blick, bevor sie Mattias eine Frage stellte.
„Ich bin mir sicher“, entgegnete er. „Sie trägt den Stein.“
„Sie meinen das hier?“, fragte ich und hielt das Lesezeichen hoch.
Kristjana machte große Augen, dann nickte sie. „Willkommen in unserem Haus, Zorya!“
„Ah, jetzt dämmert es mir“, sagte ich und ließ den schimmernden Stein an dem Seidenband hin und her schwingen. „Es liegt daran, nicht wahr? Das ist der Grund für das Missverständnis.
Dann freut es mich, Ihnen sagen zu können, dass dieser Stein mir nicht gehört.“
„Nein, natürlich nicht. Er gehört niemandem, aber Sie sind jetzt seine Hüterin, und Sie müssen gut auf ihn aufpassen. Es wartet sehr viel Arbeit auf Sie“, entgegnete Kristjana steif und wies auf die Tür hinter dem Altar. „Kommen Sie bitte mit, damit wir schnell die erste Zeremonie vorbereiten können. Wir hatten Sie schon früher erwartet.“
Ich sah mich unauffällig um und stellte erleichtert fest, dass die Eingangstür noch halb offen stand. In der Hoffnung, dass man mir meine Absicht nicht ansah, trat ich ein paar Schritte zurück und breitete die Hände aus. „Das ist wirklich eine wunderschöne Kirche. Besonders gefallen mir die kleinen Monde überall, sehr hübsch! Ist das ein Symbol Ihrer Gemeinschaft?“
Mattias runzelte die Stirn, und Kristjana musterte mich mit starrer Miene. Ich hoffte, die beiden merkten nicht, wie ich mich mit winzigen Schritten rückwärts auf den Ausgang zubewegte.
„Wir sind zwar Kinder des Mondes, aber wir huldigen ihm nicht“, sagte Kristjana. „Wir haben das Licht in uns, und wir tragen es in die Welt, um sie zu reinigen.“
Ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Ich hatte es tatsächlich geschafft, mit einer Person verwechselt zu werden, deren Besuch offenbar von dieser sonderbaren heidnischen Sekte erwartet worden war. Die beiden wirkten zwar nicht gefährlich, aber ich hielt es für schlauer, sie nicht gegen mich aufzubringen, bevor ich mein Heil in der Flucht suchen konnte. „Sie tragen das Licht in die Welt? Sie tun also Gutes?“, fragte ich freundlich.
„Durch uns befreit das Licht die Welt von der Finsternis“,
entgegnete Kristjana. Sie sprach in einem leichten Singsang, als zitiere sie aus einer Art Katechismus. „Durch uns befreit das Licht die Welt von dem Bösen.“
„Das tut wahrhaftig not“, entgegnete ich und schob mich wieder ein paar Schritte Richtung Tür. Wenn die beiden mitbekommen hatten, dass der Abstand zwischen uns immer größer wurde, so ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
„Die Zorya der Mitternacht bündelt das Licht und nutzt seine Macht in unser aller Namen.“
„Dieses Wort haben Sie eben schon einmal benutzt“, sagte ich und setzte eine neugierige Miene auf, während ich noch einmal zwei Schritte rückwärts ging und hinter mir nach der Tür tastete, doch ich hatte sie immer noch nicht erreicht. „Was ist denn eine Zorya?“
Kristjana verzog keine Miene, doch Mattias sah mich irritiert an, bevor er den Blick wieder auf seine Kameradin richtete.
„Es gibt drei Zoryas, die über den Himmel herrschen. Morgen-, Abend- und Mitternachtsstern werden sie in der Mythologie genannt, und in der westlichen Welt bezeichnet man sie auch als Auroras, aber wir von der Bruderschaft nennen sie bei ihrem wahren Namen.“
„Auroras. Das ist hochinteressant.“ Es handelte sich also eindeutig um einen heidnischen Kult. Wer sonst würde Lichterscheinungen und den Mond anbeten?
„Der Überlieferung nach stirbt die Sonne allnächtlich in den Armen der Zorya der Mitternacht und wird jeden Morgen wiedergeboren. Deshalb müssen Sie sich noch heute Nacht vermählen.“
„Hoppla!“, sagte ich und blieb ruckartig stehen. „Mich vermählen? Wie bitte?“
„Sie müssen sich mit dem Sakristan vermählen, mit der Sonne“, sagte Kristjana und nickte in Mattias’ Richtung. „Die Zorya hat nur wenig Macht, bevor sie einen Mann ehelicht und von der Bruderschaft anerkannt wird.“
„Sie sprechen von heiraten, oder?“, fragte ich und überlegte, ob die Englischkenntnisse dieser Leute tatsächlich so gut waren, wie ich gedacht hatte.
„Ja, Zoryas werden immer vermählt. So verlangt es der Brauch.“
In diesem Moment beschlich mich ein furchtbarer Verdacht, und ich war verärgert, doch zugleich auch erleichtert. „Das hat sich der Reiseveranstalter ausgedacht, nicht wahr? Sie sind gar keine skurrile Sekte – Sie veranstalten diesen mystischen Hokuspokus nur, um mich darüber hinwegzutäuschen, dass es sich hier um ein Blind Date handelt, oder?“
„Die Bruderschaft ist ernsthaft darum bemüht, die Welt vom Bösen zu befreien“, entgegnete Kristjana etwas ungehalten. „Oh ja, natürlich.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, und meine Verärgerung gewann allmählich die Oberhand über die Erleichterung, dass ich es nicht mit irgendwelchen Spinnern zu tun hatte. Wie sehr sie sich auch bemühten, ich war nicht bereit, an dieser albernen Inszenierung mitzuwirken. „Sie können Audrey von mir sagen, dass ich das nicht besonders lustig finde. Ich mache zwar eine Singlereise, aber ich bin nicht so verzweifelt, dass ich bei einem Rollenspiel mitmache, wie gut der mir zugedachte Partner auch aussieht.“
Mattias’ Stirn glättete sich. „Sie sind mollig, aber das mag ich. Wir werden in sexueller Hinsicht sehr gut miteinander harmonieren“, verkündete er lächelnd.
„Hm-hm“, machte ich, weil ich nicht wusste, ob ich beleidigt oder amüsiert sein sollte. Zumindest musste ich mir keine Sorgen mehr darüber machen, dass eine sonderbare Sekte Gott weiß was
für Rituale mit mir durchführen wollte.
„Ich bin ein sehr guter Liebhaber“, versicherte Mattias mir, der es offenbar für nötig hielt, dieses Thema zu vertiefen.
„Nun, ich fühle mich wirklich sehr geschmeichelt, aber wie gesagt, so verzweifelt bin ich nicht. Nicht, dass ich verzweifelt sein müsste, um mit Ihnen ins Bett zu steigen, Mattias, aber ich bin sicher, Sie wissen, was ich meine.“
„Nein, ich glaube nicht“, entgegnete er und runzelte erneut die Stirn.
Ich ging nicht näher darauf ein und wich mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht noch ein weiteres Stück zurück. „Also, es war nett mit Ihnen, aber ich denke, ich mache mich wieder auf den Weg. Ich werde Audrey auf jeden Fall sagen, wie gut Sie Ihre Sache gemacht haben. Und danke für das Kompliment! Es freut mich immer zu hören, dass es auch Männer gibt, die nicht auf Hungerhaken stehen. Gute Nacht!“
Die beiden sahen mir verblüfft nach, als ich auf dem Absatz kehrtmachte und zur Tür hinausmarschierte. Entweder hatten sie angenommen, dass ihre schauspielerischen Fähigkeiten ausreichten, um mich zu täuschen, oder Audrey hatte ihnen gesagt, ich sei eine leichte Beute und einsam genug, um so gut wie alles mitzumachen, wenn nur ein Date mit einem gut aussehenden
Mann dabei heraussprang.
Letzteres kam der Wahrheit jedoch erschreckend nah. „Immerhin hast du eine Reise gebucht, bei der die Leute verkuppelt werden sollen. Noch verzweifelter geht es ja kaum mehr!“, sagte ich zu mir. Das Selbstgespräch nahm jedoch ein abruptes Ende, als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Mattias stand in der Kirchentür. Die ältere Frau drängte an ihm vorbei, zeigte auf mich und gab ihm einen Befehl. Er sah sie überrascht an, doch dann lief er die Treppe hinunter. Als ich sein entschlossenes Gesicht sah, schoss mein Adrenalinspiegel blitzartig in die Höhe.
Und wenn Audrey dieses Happening doch nicht organisiert hatte? Zweifel stiegen in mir auf. Was, wenn es sich tatsächlich um eine unheimliche Sekte handelte, die ernsthaft glaubte, dass ich einen wildfremden Mann heiraten würde, nur weil ich ein merkwürdiges Lesezeichen in meinem Buch gefunden hatte?
„So ein Mist!“, fluchte ich, wies mein Gehirn an, das Denken einzustellen, und setzte mich in Bewegung. Ich flitzte die Straße hinunter und bog an der nächsten Ecke in eine dunkle Gasse ab, weil ich hoffte, Mattias auf diese Weise abschütteln zu können, obwohl er viel fitter war als ich und sich wahrscheinlich auch besser in der Stadt auskannte. Ich rannte um ein paar Mülltonnen herum und erreichte kurz darauf eine heller beleuchtete Straße. Als ich plötzlich Reifen quietschen hörte und einen Meter vor mir ein Wagen zum Stehen kam, schrie ich erschrocken auf, doch ich blieb nicht stehen, um mich zu entschuldigen, sondern nahm meinen Verstand zusammen und verschwand zwischen zwei hohen Häusern in einer verwinkelten, engen Gasse.
Hinter mir hörte ich einen Mann etwas rufen. Dieser verfluchte Mattias mit seinen langen Beinen! Ich war völlig außer Atem und bekam bereits Seitenstechen.
„Bitte lass mich heil davonkommen, bitte lass mich heil davonkommen“, betete ich im Takt meiner hämmernden Schritte vor mich hin, während ich durch die Altstadt irrte und verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, Mattias irgendwie abzuhängen. Als ich an einer anderen Kirche vorbeikam, entdeckte ich eine schmale Treppe, die unter den brückenartigen Aufgang zum Hauptportal führte. Ich flitzte die Stufen hinunter, kauerte mich unter die Brücke und schlug die Hände vor den Mund, damit
man mich nicht bis nach oben keuchen hörte.
Ein paar Sekunden später tauchte ein Schatten neben mir auf der Treppe auf, hielt einen Moment inne und huschte dann weiter Richtung Marktplatz. Ich zählte bis zehn und hielt die Luft an, bis schwarze Punkte vor meinen Augen zu tanzen begannen. Dann kroch ich vorsichtig aus meinem Versteck, spähte über die Brücke auf die Straße und saugte gierig den dringend benötigten Sauerstoff in mich auf.
Ich sah, wie auf der Straße zum Park immer mehr Menschen auftauchten. Manche gingen zu ihren Autos, andere zu der Bühne auf dem Marktplatz, von wo der Soundcheck einer Band zu hören war. „Das Feuerwerk ist anscheinend vorbei“, sagte ich zu mir. „Also warte ich noch einen Moment, und dann sind hier jede Menge Leute, die mir Deckung geben können. Das klingt doch ziemlich clever!“
„Entschuldigen Sie, können Sie uns helfen?“, sagte leise jemand hinter mir.
Ich wirbelte um die eigene Achse und klammerte mich Halt suchend an das Brückengeländer, weil mir zum zweiten Mal innerhalb von einer Stunde beinahe das Herz stehen geblieben wäre. „Heiliger Strohsack! Sind Sie noch … Sie haben mich … zu … äh …“
Der Mann und die Frau, die vor mir standen, hatten auf den ersten Blick eigentlich nichts an sich, was eine erwachsene, halbwegs intelligente Frau dazu bringen konnte, zu einer stotternden Idiotin zu mutieren, aber genau das geschah in diesem Moment.
Die beiden waren eindeutig ein Paar, denn die Frau, eine zierliche Person mit großen, traurigen Augen, klammerte sich an den Arm des Mannes, während sie, unter der breiten Krempe ihres Glockenhuts hervorspähend, zu mir aufblickte. Sie trug ein Kleid mit tief sitzender Taille, er einen altmodischen Anzug und einen Filzhut. Was mich allerdings aus dem Konzept gebracht hatte, war die Tatsache, dass die beiden durchsichtig waren und bläulich schimmernde, leicht verschwommene Konturen hatten, die mich an die geisterhaften Bildstörungen alter Fernsehgeräte erinnerten.
Geister!, hallte es immer lauter durch meinen Kopf.
„Wir haben uns verirrt. Können Sie uns helfen?“, sagte die Frau und sah zu ihrem Mann auf. „Äh …“ Zögernd streckte ich die Hand aus, und als meine Finger einfach durch den Arm des Mannes hindurchglitten, wobei ich lediglich ein leichtes Kribbeln verspürte, bekam ich eine Gänsehaut.
© 2009 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Sie sah mich bestürzt an. „Ach, Pia, geh nicht! Das Feuerwerk ist noch nicht vorbei, und danach gibt es wieder Musik. Du willst dir doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, einen gut aussehenden
Wikinger kennenzulernen, oder?“
Ich dachte an meinen gescheiterten Annäherungsversuch auf dem Marktplatz und schenkte Audrey ein grimmiges Lächeln. „Heute Abend verzichte ich lieber. Aber dir wünsche ich noch viel Spaß!“
„Es tut mir leid, wenn Denise dir die Laune verdorben hat“, entgegnete sie betroffen.
„Das muss es nicht, du kannst ja nichts dafür. Keine Sorge, mit Denise komme ich schon klar – ich bin ja schließlich erwachsen.
Weißt du, ich bin einfach nur ein bisschen müde, nachdem wir heute Morgen in Reykjavík waren und ich dann noch den ganzen Nachmittag hier herumgelaufen bin. Alles Liebe zum Isländischen Unabhängigkeitstag!“
„Dir auch“, entgegnete sie und sah mir zerknirscht hinterher, als ich mit eiligen Schritten auf den Ausgang des Parks zusteuerte. Das Städtchen war wirklich nicht groß und der Weg zum Hotel nicht weit, aber das Zentrum war ein einziges Labyrinth aus engen, verwinkelten Gassen, in dem ich mich hoffnungslos verirrte. Ich musste erst wieder zurück zu dem immer noch hell erleuchteten Marktplatz, um mich zu orientieren. Dann ging ich eine Straße hinunter, von der ich hoffte, dass sie zu unserem
kleinen Hotel führte.
Als ich durch eine dunkle Gasse eilte, die mir verdächtig bekannt vorkam – war ich hier nicht eben erst gewesen? –, trat plötzlich direkt vor mir eine dunkle Gestalt aus einer Tür. Ich sprang mit einem Aufschrei zur Seite und stieß unsanft mit der Schulter gegen die Hauswand.
Der Mann sagte etwas zu mir, das ich nicht verstand, während ich mir an die Brust fasste und mein wild schlagendes Herz zu beruhigen versuchte. „Mein Gott, Sie haben mich vielleicht erschreckt! Ich hätte fast einen Infarkt gekriegt! Passen Sie doch auf!“
Die dunkle Gestalt blieb einen Moment regungslos stehen, dann bewegte sie sich in den Lichtkegel der Straßenlaterne. „Verzeihen Sie bitte, Madam“, sagte er mit einem starken isländischen Akzent auf Englisch. „Ich habe Sie nicht gesehen. Hier, Ihre Bücher!“
„Ist ja noch mal gut gegangen“, entgegnete ich, während ich hastig die Sachen zusammensuchte, die aus meiner Tasche gefallen waren.
„Sie sind Touristin, ja?“, fragte der Mann.
„Ja.“ Ich fand ihn sympathisch. Er hatte Sommersprossen im Gesicht und diese fröhliche, offene Ausstrahlung, die so typisch für die Isländer zu sein schien. „Aber leider bin ich nur ein paar Tage hier. Oh, danke!“ Ich klemmte mir meine Tasche unter den Arm und nahm ihm die Bücher ab.
Er bückte sich noch einmal und hob etwas auf. Als er es mir geben wollte, erstarrte er. Ich schaute überrascht auf den Gegenstand in seiner Hand: ein schmales Seidenband mit einem kleinen ovalen, leicht milchigen Stein daran, der von innen heraus blaugrün schimmerte.
„Oh, wie hübsch“, sagte ich und nahm den Stein, um ihn mir genauer anzusehen. „Was ist das? Ein Opal?“
„Das ist ein Mondstein“, entgegnete der Mann mit erstickter Stimme.
Das Band sah aus wie ein Lesezeichen, an dem ein Glücksbringer oder Talisman befestigt war. So etwas hatte ich schon einmal gesehen.
„Er ist wunderschön. Ist das aus einem von meinen Büchern gerutscht? Dann muss ich es gleich morgen dem Buchhändler zurückbringen.
Er hat wahrscheinlich gar nicht gewusst, dass es …“
Der Mann fing plötzlich an zu lachen. „Sie haben mir nicht gesagt, wer Sie sind“, sagte er und kicherte noch vor sich hin, als er mich am Arm fasste, um mich aus der Gasse zu führen.
„Und ich habe Sie tatsächlich für eine ganz normale Touristin gehalten!“
„Äh …“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es wäre mir komisch vorgekommen, ihm zu versichern, dass ich in der Tat ganz normal war, doch mich beschlich der Verdacht, dass der nette Isländer mich mit jemandem verwechselte. „Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor.“
„Kein Missverständnis“, entgegnete er strahlend, und seine Freude schien echt zu sein. „Wir haben Sie bereits erwartet. Der Zenit sagte, Sie kommen heute, und wir dachten, Sie träfen schon früher ein. Ich vermute, Sie hielten es für notwendig, Ihre Tarnung als Touristin noch eine Weile aufrechtzuerhalten.“
„Okay, jetzt reden wir wirklich aneinander vorbei.“ Ich blieb stehen, denn allmählich wurde mir die Sache unheimlich. „Ich heiße Pia Thomason, und ich bin wirklich eine ganz normale Touristin.“
„Pia? Haha! Das ist gut, sehr gut“, sagte er bewundernd, nahm erneut meinen Arm und drängte mich sanft zum Weitergehen.
„Ich bin Mattias. Ich bin der Sakristan.“
„Wie bitte?“, fragte ich, denn das Wort war mir unbekannt. War ich eine böse Amerikanerin, wenn ich mich von ihm losriss und so schnell ich konnte zurück zum Park lief? Da praktisch sämtliche Bewohner der Stadt dem Feuerwerk am Wasser beiwohnten, waren die Straßen völlig verlassen.
„Das bedeutet … Wie erkläre ich es Ihnen am besten? Ich bin der Wächter, verstehen Sie?“
„Der Wächter? So etwas wie ein Türsteher?“, fragte ich etwas außer Puste, denn Mattias zog mich sanft, aber beharrlich eine steile Kopfsteinpflastergasse hoch. „Oder ein Hotelportier?“
„Nein, nein, jetzt sind Sie auf der falschen Fährte. Ich bin der Sakristan der Bruderschaft des Gesegneten Lichts.“
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was die vorherrschende Religion in dieser Gegend war, aber es fiel mir nicht ein. „Ah, ich vermute, es handelt sich um eine Glaubensgemeinschaft?“
Er kicherte wieder. „Sie wollen die Unwissende spielen? Gut, dann spiele ich mit. Es ist in der Tat eine Religion, eine sehr alte.
Sie hat ihren Ursprung im Baskenland. Einst waren wir als Ilargi bekannt, aber heute tragen wir den Namen der Bruderschaft. Es gibt uns seit Anbeginn der Finsternis.“
„Ilargi?“, fuhr ich erstaunt auf und sah dem Mann ins Gesicht, der mich zielstrebig durch die Gasse zerrte. „Dann haben Sie mit dem Wald vor der Stadt zu tun? Wo die Ruine ist?“
„Mit welchem Wald?“ Er zog seine hellen Augenbrauen zusammen.
„Ich verstehe nicht. Wollen Sie mich auf die Probe stellen?“
Ich blieb ruckartig stehen und zwang ihn ein zweites Mal, stehen zu bleiben. Er sah mich verwirrt an, doch ich entdeckte keine Anzeichen von Feindseligkeit oder gar Wahnsinn in seinem Gesichtsausdruck. Offenbar hatte er mich tatsächlich mit jemandem verwechselt. „Es tut mir leid, Mattias, aber ich glaube wirklich, Sie haben die Falsche. Ich verstehe nicht die Hälfte von dem, was Sie sagen.“
„Mir tut es leid! Mein Englisch ist nicht besonders gut.“
„Ihr Englisch ist besser als meins! Sie haben nur missverstanden, was ich gesagt habe, und ich habe keine Ahnung, was Ihre Antworten zu bedeuten haben. Beispielsweise weiß ich nicht, wohin Sie mich gerade führen.“
„Wir sind schon da“, entgegnete er und zeigte auf eine kleine Kirche aus grauem Stein, die am oberen Ende der Straße stand.
Beim Anblick des Gotteshauses entspannte ich mich ein wenig, weil ich spürte, dass Mattias, obwohl er einen reichlich verwirrten Eindruck machte, keine Bedrohung für mich darstellte.
Ist das Ihre Kirche?“
„Ja. Ich bringe Sie hinein.“
Ich zögerte und überlegte, wie ich ihm begreiflich machen sollte, dass ich nicht diejenige war, für die er mich hielt. „Kommen Sie nur“, sagte er, ergriff meine Hand und führte mich die Treppe zum Eingang hoch. „Ich bin der Sakristan. Ich bin die Sonne.“
„Die Sonne?“, fragte ich verdutzt und nahm die Kirche argwöhnisch in Augenschein, doch sie sah völlig normal aus.
„Ja, genau“, entgegnete er und zeigte nach oben. „Die Sonne am Himmelszelt.“
„Oh, verstehe. Sie … äh … Sie denken, Sie sind die Sonne?“
„Ja.“
Ich studierte den Mann, der mich in die Kirche führte, unauffällig aus dem Augenwinkel. Er sah wirklich nicht verrückt aus, aber wenn er sich für die Sonne hielt, war es vielleicht besser, einfach mitzuspielen, bis ich eine Gelegenheit fand, mich davonzustehlen. Das Innere der Kirche trug einigermaßen zur Beruhigung meiner Nerven bei. Es entsprach so ziemlich dem, was ich aufgrund meiner Besuche anderer alter isländischer Kirchen erwartet hatte: Es gab einen kleinen Vorraum, von dem aus es in das eigentliche Kirchenschiff ging. In der Mitte und an den Seiten der Bänke führten schmale Gänge nach vorn zum Altar. Erst auf der Hälfte des Mittelgangs merkte ich, dass etwas nicht stimmte.
Die Kirche war zwar mit Kreuzen und anderen christlichen Symbolen geschmückt, doch diese waren mit schwarzen Tüchern verhüllt, die mit silbernen Halbmonden bestickt waren.
„Oh, oh“, sagte ich leise und entzog Mattias meine Hand.
War ich etwa an irgendeine merkwürdige Sekte geraten? Gab es überhaupt merkwürdige Sekten in Island? Ich hatte gedacht, die Isländer seien Heiden gewesen, bevor sich das Christentum in Skandinavien ausgebreitet hatte. Ob es sich um einen heidnischen Kult handelte? „Ich glaube, ich habe genug gesehen!“
„Mattias?“, rief in diesem Moment eine Frau, die hinter dem Altar aus einer Tür kam. Sie war im mittleren Alter, hatte grau meliertes Haar und beobachtete mich mit Argusaugen, als sie auf uns zugeeilt kam und dabei auf Isländisch auf Mattias einredete.
„Kristjana, ich habe die Zorya mitgebracht“, unterbrach Mattias sie. „Sie ist Engländerin.“
„Amerikanerin, und ich heiße auch nicht Zorya. Mein Name ist Pia, und es tut mir furchtbar leid, aber ich denke, Mattias hat mich mit jemandem verwechselt“, erklärte ich der Frau. Sie sah völlig normal und geistig gesund aus, regelrecht harmlos und irgendwie großmütterlich – bis auf ihre dunklen Augen. Sie musterte mich eine Weile mit ernstem Blick, bevor sie Mattias eine Frage stellte.
„Ich bin mir sicher“, entgegnete er. „Sie trägt den Stein.“
„Sie meinen das hier?“, fragte ich und hielt das Lesezeichen hoch.
Kristjana machte große Augen, dann nickte sie. „Willkommen in unserem Haus, Zorya!“
„Ah, jetzt dämmert es mir“, sagte ich und ließ den schimmernden Stein an dem Seidenband hin und her schwingen. „Es liegt daran, nicht wahr? Das ist der Grund für das Missverständnis.
Dann freut es mich, Ihnen sagen zu können, dass dieser Stein mir nicht gehört.“
„Nein, natürlich nicht. Er gehört niemandem, aber Sie sind jetzt seine Hüterin, und Sie müssen gut auf ihn aufpassen. Es wartet sehr viel Arbeit auf Sie“, entgegnete Kristjana steif und wies auf die Tür hinter dem Altar. „Kommen Sie bitte mit, damit wir schnell die erste Zeremonie vorbereiten können. Wir hatten Sie schon früher erwartet.“
Ich sah mich unauffällig um und stellte erleichtert fest, dass die Eingangstür noch halb offen stand. In der Hoffnung, dass man mir meine Absicht nicht ansah, trat ich ein paar Schritte zurück und breitete die Hände aus. „Das ist wirklich eine wunderschöne Kirche. Besonders gefallen mir die kleinen Monde überall, sehr hübsch! Ist das ein Symbol Ihrer Gemeinschaft?“
Mattias runzelte die Stirn, und Kristjana musterte mich mit starrer Miene. Ich hoffte, die beiden merkten nicht, wie ich mich mit winzigen Schritten rückwärts auf den Ausgang zubewegte.
„Wir sind zwar Kinder des Mondes, aber wir huldigen ihm nicht“, sagte Kristjana. „Wir haben das Licht in uns, und wir tragen es in die Welt, um sie zu reinigen.“
Ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Ich hatte es tatsächlich geschafft, mit einer Person verwechselt zu werden, deren Besuch offenbar von dieser sonderbaren heidnischen Sekte erwartet worden war. Die beiden wirkten zwar nicht gefährlich, aber ich hielt es für schlauer, sie nicht gegen mich aufzubringen, bevor ich mein Heil in der Flucht suchen konnte. „Sie tragen das Licht in die Welt? Sie tun also Gutes?“, fragte ich freundlich.
„Durch uns befreit das Licht die Welt von der Finsternis“,
entgegnete Kristjana. Sie sprach in einem leichten Singsang, als zitiere sie aus einer Art Katechismus. „Durch uns befreit das Licht die Welt von dem Bösen.“
„Das tut wahrhaftig not“, entgegnete ich und schob mich wieder ein paar Schritte Richtung Tür. Wenn die beiden mitbekommen hatten, dass der Abstand zwischen uns immer größer wurde, so ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
„Die Zorya der Mitternacht bündelt das Licht und nutzt seine Macht in unser aller Namen.“
„Dieses Wort haben Sie eben schon einmal benutzt“, sagte ich und setzte eine neugierige Miene auf, während ich noch einmal zwei Schritte rückwärts ging und hinter mir nach der Tür tastete, doch ich hatte sie immer noch nicht erreicht. „Was ist denn eine Zorya?“
Kristjana verzog keine Miene, doch Mattias sah mich irritiert an, bevor er den Blick wieder auf seine Kameradin richtete.
„Es gibt drei Zoryas, die über den Himmel herrschen. Morgen-, Abend- und Mitternachtsstern werden sie in der Mythologie genannt, und in der westlichen Welt bezeichnet man sie auch als Auroras, aber wir von der Bruderschaft nennen sie bei ihrem wahren Namen.“
„Auroras. Das ist hochinteressant.“ Es handelte sich also eindeutig um einen heidnischen Kult. Wer sonst würde Lichterscheinungen und den Mond anbeten?
„Der Überlieferung nach stirbt die Sonne allnächtlich in den Armen der Zorya der Mitternacht und wird jeden Morgen wiedergeboren. Deshalb müssen Sie sich noch heute Nacht vermählen.“
„Hoppla!“, sagte ich und blieb ruckartig stehen. „Mich vermählen? Wie bitte?“
„Sie müssen sich mit dem Sakristan vermählen, mit der Sonne“, sagte Kristjana und nickte in Mattias’ Richtung. „Die Zorya hat nur wenig Macht, bevor sie einen Mann ehelicht und von der Bruderschaft anerkannt wird.“
„Sie sprechen von heiraten, oder?“, fragte ich und überlegte, ob die Englischkenntnisse dieser Leute tatsächlich so gut waren, wie ich gedacht hatte.
„Ja, Zoryas werden immer vermählt. So verlangt es der Brauch.“
In diesem Moment beschlich mich ein furchtbarer Verdacht, und ich war verärgert, doch zugleich auch erleichtert. „Das hat sich der Reiseveranstalter ausgedacht, nicht wahr? Sie sind gar keine skurrile Sekte – Sie veranstalten diesen mystischen Hokuspokus nur, um mich darüber hinwegzutäuschen, dass es sich hier um ein Blind Date handelt, oder?“
„Die Bruderschaft ist ernsthaft darum bemüht, die Welt vom Bösen zu befreien“, entgegnete Kristjana etwas ungehalten. „Oh ja, natürlich.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, und meine Verärgerung gewann allmählich die Oberhand über die Erleichterung, dass ich es nicht mit irgendwelchen Spinnern zu tun hatte. Wie sehr sie sich auch bemühten, ich war nicht bereit, an dieser albernen Inszenierung mitzuwirken. „Sie können Audrey von mir sagen, dass ich das nicht besonders lustig finde. Ich mache zwar eine Singlereise, aber ich bin nicht so verzweifelt, dass ich bei einem Rollenspiel mitmache, wie gut der mir zugedachte Partner auch aussieht.“
Mattias’ Stirn glättete sich. „Sie sind mollig, aber das mag ich. Wir werden in sexueller Hinsicht sehr gut miteinander harmonieren“, verkündete er lächelnd.
„Hm-hm“, machte ich, weil ich nicht wusste, ob ich beleidigt oder amüsiert sein sollte. Zumindest musste ich mir keine Sorgen mehr darüber machen, dass eine sonderbare Sekte Gott weiß was
für Rituale mit mir durchführen wollte.
„Ich bin ein sehr guter Liebhaber“, versicherte Mattias mir, der es offenbar für nötig hielt, dieses Thema zu vertiefen.
„Nun, ich fühle mich wirklich sehr geschmeichelt, aber wie gesagt, so verzweifelt bin ich nicht. Nicht, dass ich verzweifelt sein müsste, um mit Ihnen ins Bett zu steigen, Mattias, aber ich bin sicher, Sie wissen, was ich meine.“
„Nein, ich glaube nicht“, entgegnete er und runzelte erneut die Stirn.
Ich ging nicht näher darauf ein und wich mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht noch ein weiteres Stück zurück. „Also, es war nett mit Ihnen, aber ich denke, ich mache mich wieder auf den Weg. Ich werde Audrey auf jeden Fall sagen, wie gut Sie Ihre Sache gemacht haben. Und danke für das Kompliment! Es freut mich immer zu hören, dass es auch Männer gibt, die nicht auf Hungerhaken stehen. Gute Nacht!“
Die beiden sahen mir verblüfft nach, als ich auf dem Absatz kehrtmachte und zur Tür hinausmarschierte. Entweder hatten sie angenommen, dass ihre schauspielerischen Fähigkeiten ausreichten, um mich zu täuschen, oder Audrey hatte ihnen gesagt, ich sei eine leichte Beute und einsam genug, um so gut wie alles mitzumachen, wenn nur ein Date mit einem gut aussehenden
Mann dabei heraussprang.
Letzteres kam der Wahrheit jedoch erschreckend nah. „Immerhin hast du eine Reise gebucht, bei der die Leute verkuppelt werden sollen. Noch verzweifelter geht es ja kaum mehr!“, sagte ich zu mir. Das Selbstgespräch nahm jedoch ein abruptes Ende, als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Mattias stand in der Kirchentür. Die ältere Frau drängte an ihm vorbei, zeigte auf mich und gab ihm einen Befehl. Er sah sie überrascht an, doch dann lief er die Treppe hinunter. Als ich sein entschlossenes Gesicht sah, schoss mein Adrenalinspiegel blitzartig in die Höhe.
Und wenn Audrey dieses Happening doch nicht organisiert hatte? Zweifel stiegen in mir auf. Was, wenn es sich tatsächlich um eine unheimliche Sekte handelte, die ernsthaft glaubte, dass ich einen wildfremden Mann heiraten würde, nur weil ich ein merkwürdiges Lesezeichen in meinem Buch gefunden hatte?
„So ein Mist!“, fluchte ich, wies mein Gehirn an, das Denken einzustellen, und setzte mich in Bewegung. Ich flitzte die Straße hinunter und bog an der nächsten Ecke in eine dunkle Gasse ab, weil ich hoffte, Mattias auf diese Weise abschütteln zu können, obwohl er viel fitter war als ich und sich wahrscheinlich auch besser in der Stadt auskannte. Ich rannte um ein paar Mülltonnen herum und erreichte kurz darauf eine heller beleuchtete Straße. Als ich plötzlich Reifen quietschen hörte und einen Meter vor mir ein Wagen zum Stehen kam, schrie ich erschrocken auf, doch ich blieb nicht stehen, um mich zu entschuldigen, sondern nahm meinen Verstand zusammen und verschwand zwischen zwei hohen Häusern in einer verwinkelten, engen Gasse.
Hinter mir hörte ich einen Mann etwas rufen. Dieser verfluchte Mattias mit seinen langen Beinen! Ich war völlig außer Atem und bekam bereits Seitenstechen.
„Bitte lass mich heil davonkommen, bitte lass mich heil davonkommen“, betete ich im Takt meiner hämmernden Schritte vor mich hin, während ich durch die Altstadt irrte und verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, Mattias irgendwie abzuhängen. Als ich an einer anderen Kirche vorbeikam, entdeckte ich eine schmale Treppe, die unter den brückenartigen Aufgang zum Hauptportal führte. Ich flitzte die Stufen hinunter, kauerte mich unter die Brücke und schlug die Hände vor den Mund, damit
man mich nicht bis nach oben keuchen hörte.
Ein paar Sekunden später tauchte ein Schatten neben mir auf der Treppe auf, hielt einen Moment inne und huschte dann weiter Richtung Marktplatz. Ich zählte bis zehn und hielt die Luft an, bis schwarze Punkte vor meinen Augen zu tanzen begannen. Dann kroch ich vorsichtig aus meinem Versteck, spähte über die Brücke auf die Straße und saugte gierig den dringend benötigten Sauerstoff in mich auf.
Ich sah, wie auf der Straße zum Park immer mehr Menschen auftauchten. Manche gingen zu ihren Autos, andere zu der Bühne auf dem Marktplatz, von wo der Soundcheck einer Band zu hören war. „Das Feuerwerk ist anscheinend vorbei“, sagte ich zu mir. „Also warte ich noch einen Moment, und dann sind hier jede Menge Leute, die mir Deckung geben können. Das klingt doch ziemlich clever!“
„Entschuldigen Sie, können Sie uns helfen?“, sagte leise jemand hinter mir.
Ich wirbelte um die eigene Achse und klammerte mich Halt suchend an das Brückengeländer, weil mir zum zweiten Mal innerhalb von einer Stunde beinahe das Herz stehen geblieben wäre. „Heiliger Strohsack! Sind Sie noch … Sie haben mich … zu … äh …“
Der Mann und die Frau, die vor mir standen, hatten auf den ersten Blick eigentlich nichts an sich, was eine erwachsene, halbwegs intelligente Frau dazu bringen konnte, zu einer stotternden Idiotin zu mutieren, aber genau das geschah in diesem Moment.
Die beiden waren eindeutig ein Paar, denn die Frau, eine zierliche Person mit großen, traurigen Augen, klammerte sich an den Arm des Mannes, während sie, unter der breiten Krempe ihres Glockenhuts hervorspähend, zu mir aufblickte. Sie trug ein Kleid mit tief sitzender Taille, er einen altmodischen Anzug und einen Filzhut. Was mich allerdings aus dem Konzept gebracht hatte, war die Tatsache, dass die beiden durchsichtig waren und bläulich schimmernde, leicht verschwommene Konturen hatten, die mich an die geisterhaften Bildstörungen alter Fernsehgeräte erinnerten.
Geister!, hallte es immer lauter durch meinen Kopf.
„Wir haben uns verirrt. Können Sie uns helfen?“, sagte die Frau und sah zu ihrem Mann auf. „Äh …“ Zögernd streckte ich die Hand aus, und als meine Finger einfach durch den Arm des Mannes hindurchglitten, wobei ich lediglich ein leichtes Kribbeln verspürte, bekam ich eine Gänsehaut.
© 2009 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Katie MacAlister
Katie MacAlister begann ihre Karriere als Schriftstellerin mit einem Sachbuch über Software. Da sie darin jedoch weder witzige Dialoge noch romantische Szenen unterbringen durfte, beschloss sie, von nun an nur noch Liebesromane zu schreiben. Seither sind über fünfundzwanzig Romane aus ihrer Feder erschienen, die regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten stürmen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Katie MacAlister
- 2009, 2. Aufl., 352 Seiten, Maße: 12,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Antje Görnig
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802582276
- ISBN-13: 9783802582271
- Erscheinungsdatum: 18.08.2009
Pressezitat
"Die Story wartet mit einer unglaublichen Mischung aus Witz, Abenteuer und Erotik auf." - Buechertreff.de "Wer die Romane von Mary Janice Davidson oder Kerrelyn Sparks mag, wird auch hier seinen Spaß haben." - Fantasyguide.de "Dieses Buch ist spannend, lustig und sehr zu empfehlen!" - Grimoires.de "Eine ausgezeichnete Urlaubslektüre besonders für Frauen. Auch für Fans des Fantasy-Genres bietet "Kein Vampir für eine Nacht" eine willkommene Abwechslung im Leseplan." - Fantasyguide.de "Wer leidenschaftliche Liebesromane schätzt, die mit einem Hauch Phantastik aufgepeppt wurden und vor flotten Sprüchen strotzen, wird seinen Spaß auch an "Vampir im Schottenrock" haben." - Phantastik-News.de
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