Das Glück trägt Cowboystiefel
Eine wahre Liebesgeschichte
»Ich war beschwipst von seinen Muskeln. Besoffen von seiner Männlichkeit.«
Mein Name ist Ree. Man nennt mich auch The Pioneer Woman. Vor vielen Jahren, nachdem ich einige Zeit dort gelebt und gearbeitet hatte, verließ ich das wirklich großartige Los...
Mein Name ist Ree. Man nennt mich auch The Pioneer Woman. Vor vielen Jahren, nachdem ich einige Zeit dort gelebt und gearbeitet hatte, verließ ich das wirklich großartige Los...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Glück trägt Cowboystiefel “
Klappentext zu „Das Glück trägt Cowboystiefel “
»Ich war beschwipst von seinen Muskeln. Besoffen von seiner Männlichkeit.«Mein Name ist Ree. Man nennt mich auch The Pioneer Woman. Vor vielen Jahren, nachdem ich einige Zeit dort gelebt und gearbeitet hatte, verließ ich das wirklich großartige Los Angeles. Ich war auf der Flucht aus einer totgelaufenen Beziehung zu einem Surfer. Bevor ich weiter nach Chicago ziehen wollte, um dort ein neues Leben zu beginnen, plante ich einen Zwischenstopp bei meinen Eltern in Oklahoma ein. Dort, zu Hause, traf ich auf einen Cowboy in Wrangler Jeans, und es war um mich geschehen. Seine eisblauen Augen ließen mich selbst vergessen. Bevor ich wieder klar denken konnte, hatte ich meine Chicago-Pläne über den Haufen geworfen. Ich heiratete den Cowboy, brachte seine Kinder zur Welt und verscheuche seitdem die Kühe von meiner Veranda auf seiner Ranch irgendwo im Hinterland des Wilden Westens.
Vier Kinder und 13 Jahre später weiß ich immer noch nicht, was ich hier eigentlich will.
Ich weiß nur eines: Hier gehöre ich hin.
Lese-Probe zu „Das Glück trägt Cowboystiefel “
Das Glück trägt Cowboystiefel von Ree Drummond1. Es war einmal im Mittleren Westen
... mehr
Lass es gut sein, dachte ich. Ich lag auf meinem Bett in dem Haus, in dem ich groß geworden war. Damals hielt ich mich in meiner Heimatstadt in Oklahoma auf, weil ich mir selbst einen Boxenstopp auferlegt hatte. Ich versank in einem Sumpf aus Papier: Studienführer, überarbeitete Versionen meines Lebenslaufs, Listen mit freien Wohnungen in Chicago und ein Modekatalog von J. Crew, aus dem ich mir gerade einen Wintermantel aus Wollgabardine für fünfhundert Dollar bestellt hatte. Und zwar einen in Olivgrün, nicht Schokoladenbraun, denn ich habe rote Haare, und in Chicago, das war mir gerade wieder eingefallen, war es doch ein bisschen kühler als in Los Angeles, wo ich noch bis vor wenigen Wochen gelebt hatte. Die ganze Woche war ich schwer beschäftigt gewesen - lesen, suchen, formulieren, shoppen, bestellen - und nun völlig ausgelaugt. Meine Augen tränten vom vielen Lesen, mein Mittelfinger war ganz verschrumpelt vom Befeuchten, um schneller die Seiten durchblättern zu können, meine Lieblings-Flauschsocken waren schmuddelig und verschwitzt, weil meine Füße schon seit zwei vollen Tagen darin steckten. Ich brauchte eine Pause.
Ich beschloss, zur J-Bar zu fahren, einer einfachen Kneipe im Ort, wo sich einige Freunde von früher zu einem weihnachtlichen Umtrunk verabredet hatten. Eigentlich hatte ich kurz vorher abgesagt, denn ich hatte ja noch so viele enorm wichtige Dinge zu erledigen, doch jetzt erschien mir das Glas Chardonnay nicht nur verlockend, sondern notwendig. Unverzichtbar. Leider sah ich völlig verwahrlost aus - das ist der Nachteil, wenn man sein Zimmer über achtundvierzig Stunden lang nicht verlässt. Nicht dass ich jemanden hätte beeindrucken müssen. Schließlich war ich hier aufgewachsen, in diesem durchaus hübschen und auch relativ wohlhabenden Städtchen, das aber nicht unbedingt ein Ort war, wo man sich aufbrezeln musste, nur um ein Glas Wein trinken zu gehen.
Also wusch ich mir einfach das Gesicht, tuschte mir schnell die Wimpern schwarz - ein absolutes Muss für eine Frau mit roten Haaren, blasser Haut und hellen Augen - und befreite mein Haar aus dem schlaffen Pferdeschwanz. Dann schlüpfte ich in einen ausgeblichenen hellblauen Rollkragenpullover und meine zerrissene Lieblingsjeans, trug noch ein bisschen Lippenbalsam auf und rauschte aus der Tür. Schon eine Viertelstunde später befand ich mich in der Gesellschaft meiner alten Freunde und eines Glases Chardonnay und genoss das angesäuselte Gefühl, das nicht nur der erste Alkohol am Abend hervorruft, sondern auch die angenehme Vertrautheit, mit Menschen zusammen zu sein, die man schon seit Ewigkeiten kennt.
Da sah ich ihn - einen Cowboy - am anderen Ende des Raums. Er war groß, kräftig und geheimnisvoll, trank Bier aus der Flasche, trug Jeans und, das fiel mir sofort ins Auge, Cowboystiefel. Und dann dieses Haar: Dieses Prachtstück von einem Kerl hatte sehr kurzes silbergraues Haar - viel zu grau für sein jung wirkendes Gesicht, aber gerade grau genug, dass ich sofort an Cary Grant in Der unsichtbare Dritte denken musste, und schon ging meine Phantasie mit mir durch. Lieber Himmel, was war das für eine Erscheinung, dieser verwegene Marlboro Man da hinten. Ich starrte ihn noch ein paar Minuten an, dann atmete ich tief durch und stand auf. Ich wollte unbedingt seine Hände sehen.
Unauffällig schlenderte ich zur Bar, wo er an der Theke lehnte. Zur Tarnung stibitzte ich vier Kirschen von einem Tablett und legte sie auf eine Papierserviette. Heimlich schielte ich auf seine Hände. Sie waren groß und kräftig. Bingo.
Ehe ich mich versah, waren wir mitten im Gespräch.
Er war Rinderzüchter in vierter Generation und lebte auf einer Ranch, über eine Stunde von meiner kultivierten Heimatgemeinde entfernt. Sein Ururgroßvater war Ende des 19. Jahrhunderts aus Schottland eingewandert und im Lauf der Jahre bis in die Mitte des Landes vorgestoßen. Dort lernte er ein einheimisches Mädchen kennen, heiratete sie und wurde ein erfolgreicher Kaufmann. Seine Söhne waren die ersten in der Familie, die um die Jahrhundertwende Land erwarben und Rinder hielten, und ihre Nachkommen konnten sich schließlich in der gesamten Region als erfolgreiche Viehzüchter durchsetzen.
Von alldem wusste ich natürlich nichts, als ich an jenem Abend in der Kneipe vor ihm stand, mit meinen spitzen, teuren Stiefeln von Donald Pliner scharrte und mich nervös umschaute. Zu Boden blickte. Zu meinen Freunden hinübersah. Mich zusammenriss, um nicht allzu offensichtlich in seine eisblau-grünen Augen zu starren oder, noch schlimmer, vor Begierde zu sabbern. Außerdem hatte ich an dem Abend noch viel zu erledigen: Prospekte studieren, meinen Lebenslauf erneut überarbeiten, meine geliebten schwarzen Pumps putzen, eine Pflegemaske auftragen, vielleicht zum tausendsten Mal mein West-Side-Story-Video gucken. Doch ehe ich mich versah, war eine Stunde vergangen, dann zwei. Wir redeten bis spät in die Nacht, und der Raum um uns herum verschwamm, so wie in der West Side Story, als Tony und Maria sich in der vollen Disco zum ersten Mal begegnen. Tonight, tonight, it all began tonight. I saw you and the world went away.
Meine Freunde kicherten und tranken Wein an dem Tisch, an dem ich sie zurückgelassen hatte; sie merkten nicht, dass ihre rothaarige Freundin soeben vom Blitz getroffen worden war.
Bevor ich innerlich zum zweiten Mal den Refrain des Liedes anstimmen konnte, verkündete plötzlich mein Tony - der geheimnisvolle Cowboy - , er müsse jetzt gehen. Gehen?, dachte ich. Wohin? Es gibt doch keinen anderen Ort auf dieser Erde als diese verrauchte Kneipe ... oder? Für ihn offenbar schon: Sein Bruder und er wollten in ihrem kleinen Heimatort einen Weihnachtstruthahn für Bedürftige braten. Hmm. Nett ist er also auch noch, dachte ich und verspürte einen Stich.
»Tschüs«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln. Und damit stapfte er in seinen wunderbaren Stiefeln aus der J-Bar. Ich sah seiner dunkelblauen Wrangler hinterher, in der ein Körper steckte, der offenbar aus Granit gemeißelt war. Ich musste schlucken, hatte irgendwas im Hals und konnte trotz des Qualms in der Bar noch seinen Geruch wahrnehmen. Ich wusste nicht mal, wie er hieß. Hoffentlich nicht Billy Bob, wie alle Cowboys, dachte ich.
Ich war mir sicher, dass er mich am nächsten Morgen anrufen würde, vielleicht um 9.34 Uhr. Die Stadt war nicht besonders groß, er konnte mich also ausfindig machen, wenn er wollte. Aber er rief nicht an. Nicht um 11.13 Uhr, nicht um 14.49 Uhr, auch nicht zu irgendeiner anderen Uhrzeit an jenem Tag, in jener Woche oder in jenem Monat. Wann immer ich mir während dieser Zeit erlaubte, an seine Augen zu denken, an seine muskulösen Oberarme, an die zurückhaltende, ruhige Art, die ihn so stark von all den dummen Stadtjungs unterschied, mit denen ich mich in den vergangenen Jahren abgegeben hatte, stieg Enttäuschung in mir auf. Eigentlich war es sowieso egal, sagte ich mir. Ich wollte nach Chicago. In eine neue Stadt. In ein neues Leben. Es war total sinnlos, jetzt mit jemandem von hier etwas anzufangen, und dann auch noch mit einem frühzeitig ergrauten Cowboy in Wrangler-Jeans. Cowboys reiten schließlich auf Pferden, tragen Halstücher, pinkeln im Freien und schnitzen Holz. Sie nennen ihre Kinder Dolly und Travis und hören Countrymusic.
Sprich: das absolute Gegenteil von mir.
Sechs Monate vorher saß ich mit J in einer Sushi-Bar und teilte ihm mit, dass ich Los Angeles verlassen würde: »Ich fahr jetzt erst mal zu meinen Eltern, ich brauche einen Boxenstopp.« Nervös probierte er seinen Seeigel.
Ich hatte sechs Jahre in L. A. gelebt und vier davon mit ihm verbracht. Als Erstsemester war ich in diese riesengroße Metropole gekommen und hatte in den folgenden Jahren alles in mich aufgesogen, was sie in kulinarischer Hinsicht, an Shopping-Möglichkeiten und sonstigen städtischen Annehmlichkeiten zu bieten hatte. Da ich aus dem eher ruhigen Mittleren Westen stammte, kam ich mir vor wie im Schlaraffenland. Die vier Jahre, die ich an der University of Southern California studierte, standen nicht nur im Zeichen von Seminaren, Prüfungen und Hausarbeiten, sondern auch von zufälligen Begegnungen mit Stars, leckerem Essen und Jungs. Ich hatte schon alles erlebt - ich hatte auf dem Sunset Strip gefeiert, Sean Penn mit Madonna im Kino gesehen, James Garner im Fahrstuhl geküsst und die Unruhen nach dem Urteil im Rodney-King-Prozess überlebt. Und seltsamerweise wusste ich plötzlich an jenem Abend, als ich mit J in der Sushi-Bar saß, dass ich genug hatte.
Nicht von Los Angeles. Sondern von J.
Der süße südkalifornische Surfer-Typ, der mir gegenübersaß, hatte keine Ahnung, dass es ein Amerika östlich der Mojave-Wüste gab. Seit dem College waren wir unzertrennlich gewesen, doch jetzt, vier Jahre später, verkündete ich zwischen Gurken-Maki und Tamago, dass ich Los Angeles verlassen und nach Hause fahren würde, anstatt ihm nach San Francisco zu folgen, wo er eine Woche zuvor einen neuen Job als Ingenieur angenommen hatte. Er hatte zugesagt, weil es für ihn eine tolle Chance war, außerdem war er davon ausgegangen, dass ich mitkommen würde; das schien der nächste logische Schritt für ein Paar zu sein, das seit vier Jahren zusammen war. Zuerst hatte ich das auch gewollt. Doch in der Woche nach seiner Zusage hatte ich das Gefühl, mein gesunder Menschenverstand würde mich heftig an den Schultern rütteln.
Ich wollte nicht länger in Kalifornien leben. Ich wollte nicht länger mit J zusammen sein. Ich wollte weg. Es hatte damit angefangen, dass ich eine schwache Sehnsucht nach meinem alten Leben verspürt hatte, die immer stärker geworden war, und als J seinen neuen Job annahm, war ich mir ganz sicher, dass ich zurück in den Mittleren Westen wollte. Vielleicht nach Chicago. Das wäre näher dran an zu Hause - ich bräuchte nicht einen ganzen Tag mit ein- oder zweimal Umsteigen, sondern es wäre nur ein kurzer Flug. Ich wollte wieder näher bei meiner Familie, bei meinen Freunden sein.
Außerdem passte das Klima besser zu meiner Gesichtsfarbe.
Vor allem aber wollte ich raus aus dem Würgegriff einer Beziehung, die in eine Sackgasse münden würde, wie es im Buche steht. Wenn ich jetzt nicht ging, würde es bloß noch schwieriger werden.
»Ich komme nicht mit«, verkündete ich. »Es fühlt sich einfach nicht richtig an«, sagte ich, und dann ging es weiter mit abgeschmackten Sprüchen:
»Ich kann nicht einfach so mit dir kommen.«
»Ich muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.«
»Ich weiß gar nicht, warum ich eigentlich noch hier bin.«
Aus meinem Mund kam ein jämmerliches Klischee nach dem anderen, zäh wie die Wasabi-Paste, die ich in meine Sojasoße rührte. Es war grässlich, wie ich mich anhörte.
»Ich fahre für eine Weile zu meinen Eltern ... Ich hab das Gefühl, ich muss erst mal einen klaren Kopf bekommen«, fuhr ich fort.
»Aber du kommst doch bald wieder, oder?« J trank ein großes Glas Sake.
J.
Irgendwie war er schwer von Begriff.
Einige Wochen später betrat ich das Haus meiner Eltern. Obwohl ich eigentlich ein eher blasser, sommersprossiger Typ bin, hatte meine Haut nach mehreren Jahren in L. A. zwangsläufig einen goldbraunen Ton angenommen, schließlich war ich dort immer zu Fuß zum Auto gegangen. Ich ließ mein kalifornisches Gepäck im Flur fallen, stürzte die Treppe hinauf und warf mich bäuchlings auf das Bett in meinem Zimmer. Fast augenblicklich schlief ich ein und verließ in der folgenden Woche kaum einmal die Geborgenheit meiner ausgeblichenen, kuscheligen pfirsichfarbenen Laken. Puggy Sue, der von mir heiß geliebte Familienhund, kuschelte sich an mich und rührte sich tagelang nicht vom Fleck, und die weichen Samtohren des Mopses waren der perfekte Trost für mein verwirrtes, unentschlossenes Herz.
Ab und zu setzte sich mein Bruder Mike zu mir. Er war anderthalb Jahre älter als ich und hatte nichts Besseres zu tun. Aufgrund einer Entwicklungsstörung begnügte er sich gern damit, mir über den Kopf zu streicheln, mir zu sagen, wie hübsch ich sei, oder mir mitzuteilen, dass er morgens zum Frühstück Brötchen mit Fleischsoße oder ein »K-K-Käseomelett« gegessen hatte. Ich lauschte ihm, als handelte es sich um die jährliche Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation. Es tat so gut, zu Hause zu sein! Irgendwann bat Mike mich dann, ihn zur Feuerwache Nr. 3 zu bringen, wo er regelmäßig herumhing, und jedes Mal lehnte ich mit der Begründung ab, ich sei zu beschäftigt. Dann zog er beleidigt von dannen, und ich schlief noch ein bisschen. Es war herrlich.
Manchmal war ich lange genug wach, um ein bisschen durch die wunderbaren alten Zeitschriften auf meinem Nachttisch zu blättern - eine Ausgabe von Seventeen hatte Phoebe Cates auf dem Cover, die in den Achtzigern mit Teeniefilmen berühmt geworden war - , meine Nägel zu feilen oder einfach nur dazuliegen und die zarten weißen Blümchen auf meiner grauen Tapete in Gedanken neu zu ordnen, so wie ich es immer als kleines Mädchen getan hatte.
Manchmal weinte ich auch: Ich hatte einfach unheimlich viel in J investiert. Obwohl ich mich für stark und selbstbewusst gehalten hatte, war ich in Kalifornien kläglich abhängig von ihm geworden. Ich schämte mich, dass ich mich an diesen Trott gewöhnt hatte - dass ich in jenen tiefen Graben von Unsicherheit und Angst gefallen war, ein Schicksal, das so viele junge Frauen zwangsläufig einmal im Leben ereilt. Einmal ... wenn sie Glück haben. Ich weinte aber auch vor Erleichterung. Es fühlte sich an, als hätte ich jahrelang die Luft angehalten und könnte nun endlich ausatmen. Tagelang atmete ich einfach nur durch. Ich weinte, weil ich J verlassen hatte, zum Glück nicht andersherum, was wirklich mies gewesen wäre.
Ich weinte, weil er süß war und ich mich an ihn gewöhnt hatte.
Ich weinte, weil er mir fehlte.
Um Zeit totzuschlagen, begleitete ich meine Großmutter Ga-Ga zum Abendessen mit ihren besten Freundinnen, die sich einmal in der Woche in ihrer dreißig Kilometer entfernten Heimatstadt trafen. Dieses Essen fand regelmäßig dienstags abends im Ideal Café statt, und sie hatten mich dazu eingeladen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass mein erstes Treffen mit Ga-Ga, Ruthie, Delphia und Dorothy so mörderisch aufreibend werden würde; ich bestellte vegetarische Beilagen wie Kartoffelbrei und grüne Bohnen und sah den Damen dabei zu, wie sie so abscheuliche Gerichte wie Leber mit Zwiebeln, paniertes Beefsteak und Hackbraten verdrückten, während sie über das bevorstehende Kirchenfest plauderten, darüber, wie viel die pensionierten Lehrer bei ihrem Kuchenbasar eingenommen hatten und wie groß die Kinder aus der Nachbarschaft geworden waren. Am Ende teilten sie sich alle gemeinsam zwei Stück Pie - immer Rhabarber und Zitronenbaiser - , derweil bestellte ich mir noch eine Cola light und blickte ständig auf die Uhr. Ich konnte nicht fassen, wie wichtig sie das alles fanden. War ihnen denn überhaupt nicht klar, wie klein ihre Stadt war? Und wie groß Los Angeles? Wussten sie gar nichts von der weiten Welt da draußen? Langweilten sie sich nie? Ich liebte Ga-Ga wirklich von Herzen, aber ihr Kleinstadtleben war für mich fast unmöglich zu ertragen. Ich war für Größeres bestimmt.
Sehr viel Größeres.
Als sie ihren Pie vertilgt hatten, verabschiedeten wir uns voneinander, und ich fuhr nach Hause, wo ich zwei weitere Tage im Bett verbrachte.
Doch eines schönen Tages sprang ich einfach aus den Federn und blickte nicht mehr zurück. Worüber hatte ich mich eigentlich zu beklagen? Ich hatte ein bisschen Geld auf der hohen Kante und, solange ich so bequem umsonst bei meinen Eltern in ihrem Haus am Golfplatz wohnen konnte, keine nennenswerten Ausgaben. Ich hatte alle Zeit der Welt, um mich auf Chicago vorzubereiten. Und J, mein ständiger Begleiter in den vergangenen 1460 Tagen (plus / minus ein paar Stunden), war nirgends zu sehen. Es dauerte nicht lange, bis mir wieder klar wurde, wie jung ich war, und allmählich wurde mir bewusst, dass ich mit meinen Mitte zwanzig tun und lassen konnte, was ich wollte.
Auch wenn J das noch nicht so recht begriffen hatte.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Lass es gut sein, dachte ich. Ich lag auf meinem Bett in dem Haus, in dem ich groß geworden war. Damals hielt ich mich in meiner Heimatstadt in Oklahoma auf, weil ich mir selbst einen Boxenstopp auferlegt hatte. Ich versank in einem Sumpf aus Papier: Studienführer, überarbeitete Versionen meines Lebenslaufs, Listen mit freien Wohnungen in Chicago und ein Modekatalog von J. Crew, aus dem ich mir gerade einen Wintermantel aus Wollgabardine für fünfhundert Dollar bestellt hatte. Und zwar einen in Olivgrün, nicht Schokoladenbraun, denn ich habe rote Haare, und in Chicago, das war mir gerade wieder eingefallen, war es doch ein bisschen kühler als in Los Angeles, wo ich noch bis vor wenigen Wochen gelebt hatte. Die ganze Woche war ich schwer beschäftigt gewesen - lesen, suchen, formulieren, shoppen, bestellen - und nun völlig ausgelaugt. Meine Augen tränten vom vielen Lesen, mein Mittelfinger war ganz verschrumpelt vom Befeuchten, um schneller die Seiten durchblättern zu können, meine Lieblings-Flauschsocken waren schmuddelig und verschwitzt, weil meine Füße schon seit zwei vollen Tagen darin steckten. Ich brauchte eine Pause.
Ich beschloss, zur J-Bar zu fahren, einer einfachen Kneipe im Ort, wo sich einige Freunde von früher zu einem weihnachtlichen Umtrunk verabredet hatten. Eigentlich hatte ich kurz vorher abgesagt, denn ich hatte ja noch so viele enorm wichtige Dinge zu erledigen, doch jetzt erschien mir das Glas Chardonnay nicht nur verlockend, sondern notwendig. Unverzichtbar. Leider sah ich völlig verwahrlost aus - das ist der Nachteil, wenn man sein Zimmer über achtundvierzig Stunden lang nicht verlässt. Nicht dass ich jemanden hätte beeindrucken müssen. Schließlich war ich hier aufgewachsen, in diesem durchaus hübschen und auch relativ wohlhabenden Städtchen, das aber nicht unbedingt ein Ort war, wo man sich aufbrezeln musste, nur um ein Glas Wein trinken zu gehen.
Also wusch ich mir einfach das Gesicht, tuschte mir schnell die Wimpern schwarz - ein absolutes Muss für eine Frau mit roten Haaren, blasser Haut und hellen Augen - und befreite mein Haar aus dem schlaffen Pferdeschwanz. Dann schlüpfte ich in einen ausgeblichenen hellblauen Rollkragenpullover und meine zerrissene Lieblingsjeans, trug noch ein bisschen Lippenbalsam auf und rauschte aus der Tür. Schon eine Viertelstunde später befand ich mich in der Gesellschaft meiner alten Freunde und eines Glases Chardonnay und genoss das angesäuselte Gefühl, das nicht nur der erste Alkohol am Abend hervorruft, sondern auch die angenehme Vertrautheit, mit Menschen zusammen zu sein, die man schon seit Ewigkeiten kennt.
Da sah ich ihn - einen Cowboy - am anderen Ende des Raums. Er war groß, kräftig und geheimnisvoll, trank Bier aus der Flasche, trug Jeans und, das fiel mir sofort ins Auge, Cowboystiefel. Und dann dieses Haar: Dieses Prachtstück von einem Kerl hatte sehr kurzes silbergraues Haar - viel zu grau für sein jung wirkendes Gesicht, aber gerade grau genug, dass ich sofort an Cary Grant in Der unsichtbare Dritte denken musste, und schon ging meine Phantasie mit mir durch. Lieber Himmel, was war das für eine Erscheinung, dieser verwegene Marlboro Man da hinten. Ich starrte ihn noch ein paar Minuten an, dann atmete ich tief durch und stand auf. Ich wollte unbedingt seine Hände sehen.
Unauffällig schlenderte ich zur Bar, wo er an der Theke lehnte. Zur Tarnung stibitzte ich vier Kirschen von einem Tablett und legte sie auf eine Papierserviette. Heimlich schielte ich auf seine Hände. Sie waren groß und kräftig. Bingo.
Ehe ich mich versah, waren wir mitten im Gespräch.
Er war Rinderzüchter in vierter Generation und lebte auf einer Ranch, über eine Stunde von meiner kultivierten Heimatgemeinde entfernt. Sein Ururgroßvater war Ende des 19. Jahrhunderts aus Schottland eingewandert und im Lauf der Jahre bis in die Mitte des Landes vorgestoßen. Dort lernte er ein einheimisches Mädchen kennen, heiratete sie und wurde ein erfolgreicher Kaufmann. Seine Söhne waren die ersten in der Familie, die um die Jahrhundertwende Land erwarben und Rinder hielten, und ihre Nachkommen konnten sich schließlich in der gesamten Region als erfolgreiche Viehzüchter durchsetzen.
Von alldem wusste ich natürlich nichts, als ich an jenem Abend in der Kneipe vor ihm stand, mit meinen spitzen, teuren Stiefeln von Donald Pliner scharrte und mich nervös umschaute. Zu Boden blickte. Zu meinen Freunden hinübersah. Mich zusammenriss, um nicht allzu offensichtlich in seine eisblau-grünen Augen zu starren oder, noch schlimmer, vor Begierde zu sabbern. Außerdem hatte ich an dem Abend noch viel zu erledigen: Prospekte studieren, meinen Lebenslauf erneut überarbeiten, meine geliebten schwarzen Pumps putzen, eine Pflegemaske auftragen, vielleicht zum tausendsten Mal mein West-Side-Story-Video gucken. Doch ehe ich mich versah, war eine Stunde vergangen, dann zwei. Wir redeten bis spät in die Nacht, und der Raum um uns herum verschwamm, so wie in der West Side Story, als Tony und Maria sich in der vollen Disco zum ersten Mal begegnen. Tonight, tonight, it all began tonight. I saw you and the world went away.
Meine Freunde kicherten und tranken Wein an dem Tisch, an dem ich sie zurückgelassen hatte; sie merkten nicht, dass ihre rothaarige Freundin soeben vom Blitz getroffen worden war.
Bevor ich innerlich zum zweiten Mal den Refrain des Liedes anstimmen konnte, verkündete plötzlich mein Tony - der geheimnisvolle Cowboy - , er müsse jetzt gehen. Gehen?, dachte ich. Wohin? Es gibt doch keinen anderen Ort auf dieser Erde als diese verrauchte Kneipe ... oder? Für ihn offenbar schon: Sein Bruder und er wollten in ihrem kleinen Heimatort einen Weihnachtstruthahn für Bedürftige braten. Hmm. Nett ist er also auch noch, dachte ich und verspürte einen Stich.
»Tschüs«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln. Und damit stapfte er in seinen wunderbaren Stiefeln aus der J-Bar. Ich sah seiner dunkelblauen Wrangler hinterher, in der ein Körper steckte, der offenbar aus Granit gemeißelt war. Ich musste schlucken, hatte irgendwas im Hals und konnte trotz des Qualms in der Bar noch seinen Geruch wahrnehmen. Ich wusste nicht mal, wie er hieß. Hoffentlich nicht Billy Bob, wie alle Cowboys, dachte ich.
Ich war mir sicher, dass er mich am nächsten Morgen anrufen würde, vielleicht um 9.34 Uhr. Die Stadt war nicht besonders groß, er konnte mich also ausfindig machen, wenn er wollte. Aber er rief nicht an. Nicht um 11.13 Uhr, nicht um 14.49 Uhr, auch nicht zu irgendeiner anderen Uhrzeit an jenem Tag, in jener Woche oder in jenem Monat. Wann immer ich mir während dieser Zeit erlaubte, an seine Augen zu denken, an seine muskulösen Oberarme, an die zurückhaltende, ruhige Art, die ihn so stark von all den dummen Stadtjungs unterschied, mit denen ich mich in den vergangenen Jahren abgegeben hatte, stieg Enttäuschung in mir auf. Eigentlich war es sowieso egal, sagte ich mir. Ich wollte nach Chicago. In eine neue Stadt. In ein neues Leben. Es war total sinnlos, jetzt mit jemandem von hier etwas anzufangen, und dann auch noch mit einem frühzeitig ergrauten Cowboy in Wrangler-Jeans. Cowboys reiten schließlich auf Pferden, tragen Halstücher, pinkeln im Freien und schnitzen Holz. Sie nennen ihre Kinder Dolly und Travis und hören Countrymusic.
Sprich: das absolute Gegenteil von mir.
Sechs Monate vorher saß ich mit J in einer Sushi-Bar und teilte ihm mit, dass ich Los Angeles verlassen würde: »Ich fahr jetzt erst mal zu meinen Eltern, ich brauche einen Boxenstopp.« Nervös probierte er seinen Seeigel.
Ich hatte sechs Jahre in L. A. gelebt und vier davon mit ihm verbracht. Als Erstsemester war ich in diese riesengroße Metropole gekommen und hatte in den folgenden Jahren alles in mich aufgesogen, was sie in kulinarischer Hinsicht, an Shopping-Möglichkeiten und sonstigen städtischen Annehmlichkeiten zu bieten hatte. Da ich aus dem eher ruhigen Mittleren Westen stammte, kam ich mir vor wie im Schlaraffenland. Die vier Jahre, die ich an der University of Southern California studierte, standen nicht nur im Zeichen von Seminaren, Prüfungen und Hausarbeiten, sondern auch von zufälligen Begegnungen mit Stars, leckerem Essen und Jungs. Ich hatte schon alles erlebt - ich hatte auf dem Sunset Strip gefeiert, Sean Penn mit Madonna im Kino gesehen, James Garner im Fahrstuhl geküsst und die Unruhen nach dem Urteil im Rodney-King-Prozess überlebt. Und seltsamerweise wusste ich plötzlich an jenem Abend, als ich mit J in der Sushi-Bar saß, dass ich genug hatte.
Nicht von Los Angeles. Sondern von J.
Der süße südkalifornische Surfer-Typ, der mir gegenübersaß, hatte keine Ahnung, dass es ein Amerika östlich der Mojave-Wüste gab. Seit dem College waren wir unzertrennlich gewesen, doch jetzt, vier Jahre später, verkündete ich zwischen Gurken-Maki und Tamago, dass ich Los Angeles verlassen und nach Hause fahren würde, anstatt ihm nach San Francisco zu folgen, wo er eine Woche zuvor einen neuen Job als Ingenieur angenommen hatte. Er hatte zugesagt, weil es für ihn eine tolle Chance war, außerdem war er davon ausgegangen, dass ich mitkommen würde; das schien der nächste logische Schritt für ein Paar zu sein, das seit vier Jahren zusammen war. Zuerst hatte ich das auch gewollt. Doch in der Woche nach seiner Zusage hatte ich das Gefühl, mein gesunder Menschenverstand würde mich heftig an den Schultern rütteln.
Ich wollte nicht länger in Kalifornien leben. Ich wollte nicht länger mit J zusammen sein. Ich wollte weg. Es hatte damit angefangen, dass ich eine schwache Sehnsucht nach meinem alten Leben verspürt hatte, die immer stärker geworden war, und als J seinen neuen Job annahm, war ich mir ganz sicher, dass ich zurück in den Mittleren Westen wollte. Vielleicht nach Chicago. Das wäre näher dran an zu Hause - ich bräuchte nicht einen ganzen Tag mit ein- oder zweimal Umsteigen, sondern es wäre nur ein kurzer Flug. Ich wollte wieder näher bei meiner Familie, bei meinen Freunden sein.
Außerdem passte das Klima besser zu meiner Gesichtsfarbe.
Vor allem aber wollte ich raus aus dem Würgegriff einer Beziehung, die in eine Sackgasse münden würde, wie es im Buche steht. Wenn ich jetzt nicht ging, würde es bloß noch schwieriger werden.
»Ich komme nicht mit«, verkündete ich. »Es fühlt sich einfach nicht richtig an«, sagte ich, und dann ging es weiter mit abgeschmackten Sprüchen:
»Ich kann nicht einfach so mit dir kommen.«
»Ich muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.«
»Ich weiß gar nicht, warum ich eigentlich noch hier bin.«
Aus meinem Mund kam ein jämmerliches Klischee nach dem anderen, zäh wie die Wasabi-Paste, die ich in meine Sojasoße rührte. Es war grässlich, wie ich mich anhörte.
»Ich fahre für eine Weile zu meinen Eltern ... Ich hab das Gefühl, ich muss erst mal einen klaren Kopf bekommen«, fuhr ich fort.
»Aber du kommst doch bald wieder, oder?« J trank ein großes Glas Sake.
J.
Irgendwie war er schwer von Begriff.
Einige Wochen später betrat ich das Haus meiner Eltern. Obwohl ich eigentlich ein eher blasser, sommersprossiger Typ bin, hatte meine Haut nach mehreren Jahren in L. A. zwangsläufig einen goldbraunen Ton angenommen, schließlich war ich dort immer zu Fuß zum Auto gegangen. Ich ließ mein kalifornisches Gepäck im Flur fallen, stürzte die Treppe hinauf und warf mich bäuchlings auf das Bett in meinem Zimmer. Fast augenblicklich schlief ich ein und verließ in der folgenden Woche kaum einmal die Geborgenheit meiner ausgeblichenen, kuscheligen pfirsichfarbenen Laken. Puggy Sue, der von mir heiß geliebte Familienhund, kuschelte sich an mich und rührte sich tagelang nicht vom Fleck, und die weichen Samtohren des Mopses waren der perfekte Trost für mein verwirrtes, unentschlossenes Herz.
Ab und zu setzte sich mein Bruder Mike zu mir. Er war anderthalb Jahre älter als ich und hatte nichts Besseres zu tun. Aufgrund einer Entwicklungsstörung begnügte er sich gern damit, mir über den Kopf zu streicheln, mir zu sagen, wie hübsch ich sei, oder mir mitzuteilen, dass er morgens zum Frühstück Brötchen mit Fleischsoße oder ein »K-K-Käseomelett« gegessen hatte. Ich lauschte ihm, als handelte es sich um die jährliche Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation. Es tat so gut, zu Hause zu sein! Irgendwann bat Mike mich dann, ihn zur Feuerwache Nr. 3 zu bringen, wo er regelmäßig herumhing, und jedes Mal lehnte ich mit der Begründung ab, ich sei zu beschäftigt. Dann zog er beleidigt von dannen, und ich schlief noch ein bisschen. Es war herrlich.
Manchmal war ich lange genug wach, um ein bisschen durch die wunderbaren alten Zeitschriften auf meinem Nachttisch zu blättern - eine Ausgabe von Seventeen hatte Phoebe Cates auf dem Cover, die in den Achtzigern mit Teeniefilmen berühmt geworden war - , meine Nägel zu feilen oder einfach nur dazuliegen und die zarten weißen Blümchen auf meiner grauen Tapete in Gedanken neu zu ordnen, so wie ich es immer als kleines Mädchen getan hatte.
Manchmal weinte ich auch: Ich hatte einfach unheimlich viel in J investiert. Obwohl ich mich für stark und selbstbewusst gehalten hatte, war ich in Kalifornien kläglich abhängig von ihm geworden. Ich schämte mich, dass ich mich an diesen Trott gewöhnt hatte - dass ich in jenen tiefen Graben von Unsicherheit und Angst gefallen war, ein Schicksal, das so viele junge Frauen zwangsläufig einmal im Leben ereilt. Einmal ... wenn sie Glück haben. Ich weinte aber auch vor Erleichterung. Es fühlte sich an, als hätte ich jahrelang die Luft angehalten und könnte nun endlich ausatmen. Tagelang atmete ich einfach nur durch. Ich weinte, weil ich J verlassen hatte, zum Glück nicht andersherum, was wirklich mies gewesen wäre.
Ich weinte, weil er süß war und ich mich an ihn gewöhnt hatte.
Ich weinte, weil er mir fehlte.
Um Zeit totzuschlagen, begleitete ich meine Großmutter Ga-Ga zum Abendessen mit ihren besten Freundinnen, die sich einmal in der Woche in ihrer dreißig Kilometer entfernten Heimatstadt trafen. Dieses Essen fand regelmäßig dienstags abends im Ideal Café statt, und sie hatten mich dazu eingeladen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass mein erstes Treffen mit Ga-Ga, Ruthie, Delphia und Dorothy so mörderisch aufreibend werden würde; ich bestellte vegetarische Beilagen wie Kartoffelbrei und grüne Bohnen und sah den Damen dabei zu, wie sie so abscheuliche Gerichte wie Leber mit Zwiebeln, paniertes Beefsteak und Hackbraten verdrückten, während sie über das bevorstehende Kirchenfest plauderten, darüber, wie viel die pensionierten Lehrer bei ihrem Kuchenbasar eingenommen hatten und wie groß die Kinder aus der Nachbarschaft geworden waren. Am Ende teilten sie sich alle gemeinsam zwei Stück Pie - immer Rhabarber und Zitronenbaiser - , derweil bestellte ich mir noch eine Cola light und blickte ständig auf die Uhr. Ich konnte nicht fassen, wie wichtig sie das alles fanden. War ihnen denn überhaupt nicht klar, wie klein ihre Stadt war? Und wie groß Los Angeles? Wussten sie gar nichts von der weiten Welt da draußen? Langweilten sie sich nie? Ich liebte Ga-Ga wirklich von Herzen, aber ihr Kleinstadtleben war für mich fast unmöglich zu ertragen. Ich war für Größeres bestimmt.
Sehr viel Größeres.
Als sie ihren Pie vertilgt hatten, verabschiedeten wir uns voneinander, und ich fuhr nach Hause, wo ich zwei weitere Tage im Bett verbrachte.
Doch eines schönen Tages sprang ich einfach aus den Federn und blickte nicht mehr zurück. Worüber hatte ich mich eigentlich zu beklagen? Ich hatte ein bisschen Geld auf der hohen Kante und, solange ich so bequem umsonst bei meinen Eltern in ihrem Haus am Golfplatz wohnen konnte, keine nennenswerten Ausgaben. Ich hatte alle Zeit der Welt, um mich auf Chicago vorzubereiten. Und J, mein ständiger Begleiter in den vergangenen 1460 Tagen (plus / minus ein paar Stunden), war nirgends zu sehen. Es dauerte nicht lange, bis mir wieder klar wurde, wie jung ich war, und allmählich wurde mir bewusst, dass ich mit meinen Mitte zwanzig tun und lassen konnte, was ich wollte.
Auch wenn J das noch nicht so recht begriffen hatte.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von Ree Drummond
Andrea Fischer hat Literaturübersetzen studiert und überträgt seit über fünfundzwanzig Jahren Bücher aus dem britischen und amerikanischen Englisch ins Deutsche, unter anderem die von Lori Nelson Spielman, Michael Chabon und Mary Kay Andrews. Sie lebt und arbeitet im Sauerland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ree Drummond
- 2012, 1. Auflage, 448 Seiten, Maße: 12,8 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Fischer, Andrea
- Übersetzer: Andrea Fischer
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596187591
- ISBN-13: 9783596187591
- Erscheinungsdatum: 21.06.2012
Kommentar zu "Das Glück trägt Cowboystiefel"
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