Das glühende Grab
Island-Krimi. Deutsche Erstausgabe
In Island werden bei Ausgrabungen drei Leichen und ein abgetrennter Kopf gefunden. Wer steckt hinter der grausamen Tat?
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Produktinformationen zu „Das glühende Grab “
In Island werden bei Ausgrabungen drei Leichen und ein abgetrennter Kopf gefunden. Wer steckt hinter der grausamen Tat?
Klappentext zu „Das glühende Grab “
Auf den isländischen Westmännerinseln werden bei Ausgrabungen im Sommer 2007 drei Leichen und ein abgetrennter Kopf gefunden. Sie liegen im Keller des Elternhauses von Markús Magnússon, das bei einem Vulkanausbruch vor mehr als dreißig Jahren verschüttet wurde. Da Markús die Ausgrabung unbedingt verhindern wollte, steht er plötzlich unter Mordverdacht: Hat er als Jugendlicher drei Menschen getötet und verstümmelt? Rechtsanwältin Dóra glaubt an Markús' Unschuld. Doch dann wird noch eine Leiche entdeckt ...
Lese-Probe zu „Das glühende Grab “
Das glühende Grab von Yrsa Sigurdardöttir 1. KapitelMontag 9. Juli 2007 »Markús wird doch wohl nicht den Keller aufräumen? Schon komisch, dass er unbedingt als Erster runterwollte – da ist doch nichts als Gerümpel.«
Dóra Guðmundsdóttir lächelte dem Archäologen Hjörtur Friðriksson, der schweigend neben ihr stand, höflich zu. Die Sache ging langsam wirklich zu weit. Dóra fühlte sich zunehmend unwohl; Brandgeruch und Asche reizten ihre Schleimhäute, und sie befürchtete, dass das Dach jeden Moment einstürzen würde. Auf dem Weg durchs Haus hatten sie an einer Stelle, wo das Dach nachgegeben hatte, einen riesigen Ascheberg auf dem Teppich umrunden müssen, bei dessen Anblick Dóra den Verschluss ihres Schutzhelms festgezurrt hatte. Nervös schaute sie auf die Uhr. Ein dumpfer Knall drang aus dem Keller. Was machte der Mann da bloß? Markús hatte gemeint, er bräuchte nur einen kurzen Moment, aber weder Dóra noch dem Archäologen war klar, wie er diese vage Zeitangabe definierte. »Er kommt bestimmt gleich«, sagte sie wenig überzeugt und musterte die kaputte Kellertür. Dann warf sie einen verstohlenen Blick auf die Zimmerdecke, bereit loszurennen.
... mehr
»Mach dir keine Sorgen.« Hjörtur zeigte nach oben. »Wenn das Dach nicht mehr tragen würde, wäre es schon längst eingebrochen.« Er seufzte und strich sich über das unrasierte Kinn. »Hast du eine Ahnung, was er da eigentlich macht?« Dóra verneinte. Sie wollte mit einem Unbeteiligten nicht über die Absichten ihres Mandanten spekulieren.
»Er muss doch irgendwas erzählt haben. Wir haben uns schon den Kopf darüber zerbrochen. Ich glaube, es hat was mit Pornos zu tun. Die anderen denken das auch.«
Dóra zuckte mit den Schultern. Daran hatte sie natürlich auch schon gedacht. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, was so heikel sein mochte, dass es keinem Unbekannten in die Hände fallen durfte. Ein Kurzfilm mit einer Bettszene von den Herrschaften des Hauses? Wohl kaum. In den 70ern hatte fast niemand eine Filmkamera besessen. Außerdem war es fraglich, ob solche Filme die Katastrophe unbeschadet überstanden hätten. Und Markús Magnússon war gerade mal fünfzehn gewesen, als das Haus unter Lava und Asche begraben worden war. Trotzdem musste es einen triftigen Grund dafür geben, warum er unbedingt als Erster in den Keller wollte. Dóra seufzte. Warum musste sie sich immer wieder mit solchen Spinnern rumschlagen? Sie kannte keinen Anwalt, der so viele skurrile Fälle und Mandanten hatte wie sie. Sie nahm sich vor, Markús zu fragen – falls er jemals wieder aus dem Keller auftauchte –, warum er ausgerechnet ihre kleine Kanzlei ausgewählt hatte, als er die Ausgrabungen gerichtlich verbieten lassen wollte. Sie steckte die Nase in ihren Rollkragenpulli und versuchte, durch den Stoff zu atmen. Schon besser. Hjörtur grinste.
»Glaub mir, man gewöhnt sich dran. Dauert allerdings ein paar Tage.«
Dóra verdrehte die Augen. »Er will sich doch wohl verdammt nochmal nicht häuslich da unten niederlassen«, murmelte sie in ihren Pulli. Dann zog sie den Kragen herunter und lächelte Hjörtur an. Es war ihm zu verdanken, wie gut es bis jetzt gelaufen war und dass sie um eine einstweilige Verfügung herumgekommen waren – was so oder so nur von kurzem Erfolg gekrönt gewesen wäre, da Markús und seine Familie keinen Anspruch mehr auf das Haus hatten. Es war samt Inhalt im Besitz der Stadt Vestmannæyjabær; darüber brauchte man gar nicht zu diskutieren, ob wohl Markús es versucht hatte. In erster Linie hatte er sich mit Hjörtur Friðriksson herumgestritten, der nun neben Dóra stand. Er war Leiter des Projekts Pompeji des Nordens, bei dem mehrere Häuser ausgegraben wurden, die 1973 beim Vulkanausbruch in Heimæy von Asche verschüttet worden waren. Dóra hatte sich telefonisch und per E-Mail bereits ausführlich mit dem Mann ausgetauscht und konnte ihn gut leiden. Er brauchte zwar ziemlich lange, bis er zum Punkt kam, war aber kooperativ und hatte sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen, als sich Markús ihm gegenüber mehrfach unverschämt verhalten hatte. Dóras Mandant hatte sich geweigert, Gründe anzugeben, warum er gegen die Ausgrabung seines Elternhauses war, hatte permanent über die Unantastbarkeit der Privatsphäre schwadroniert und den Fall in jeglicher Hinsicht verkompliziert. Irgendwann hatte Dóra Hjörtur entnervt gefragt, ob er nicht einfach irgendein anderes Haus ausgraben könnte, es waren ja schließlich genug da. Aber das kam nicht in Frage, da Markús’ Elternhaus eines der wenigen Betonhäuser vor Ort war und die Katastrophe deshalb besser überstanden hatte als andere. Es war schließlich nicht Sinn der Sache, Ruinen auszubuddeln.
Bei Dóras Recherchen, wie sich die Ausgrabung durch eine einstweilige Verfügung stoppen lassen könnte, hatte sich herausgestellt, dass es Markús nur um den Keller ging. Also hatte Hjörtur den Vorschlag gemacht, das Haus sollte ausgegraben und durchlüftet werden, und anschließend dürfte Markús als Erster den Keller betreten und alles daraus mitnehmen, was er wollte.
Und nun standen sie da, der Archäologe und die Rechtsanwältin, und starrten die kaputte Kellertür an, während der Mann, der 1973 noch ein Teenager gewesen war, eine Etage tiefer mit einem schrecklichen Geheimnis kämpfte.
»Na endlich!« Dóra hörte Schritte auf der Kellertreppe.
»Hoffentlich hat er auch alles gefunden«, sagte Hjörtur zaghaft, »was passiert, wenn er mit leeren Händen wieder raufkommt?«
Dóra schaute zur Tür.
Gespannt beobachteten sie, wie sich die Türklinke bewegte. Aber die Tür öffnete sich nur einen winzigen Spalt. Verwundert schauten sich die beiden an. »Markús«, sagte Dóra ruhig, »stimmt was nicht?«
»Kannst du mal kommen?«, erklang eine dumpfe Stimme von der anderen Seite der Tür. Der schwache Schein seiner Taschenlampe schoss plötzlich über den Boden und fiel auf Dóras Füße.
»Ich? Ich soll da runterkommen?« Sie warf Hjörtur einen verständnislosen Blick zu.
»Ja«, antwortete Markús mit einem seltsamen Tonfall. »Ich bräuchte mal deine Einschätzung.«
»Meine Einschätzung?«, wiederholte Dóra, um Zeit zu schinden.
»Ja. Juristisch.«
»Ich kann dir jederzeit meine Einschätzung geben, Markús. Mit uns Rechtsanwälten verhält es sich allerdings so, dass wir nicht alles, womit wir uns beschäftigen, am eigenen Leib erleben müssen. Es gibt keinen Grund, mit dir da runterzuklettern. Sag mir, worum es geht, und ich gebe dir eine schriftliche Beurteilung in meinem Büro.«
»Du musst mitkommen. Ich brauche keine schriftliche Beurteilung. Eine mündliche genügt.« Er schwieg einen Moment. »Bitte. Komm kurz runter.« Markús’ Stimme hatte noch nie so sanft geklungen – ganz anders als seine übliche Arroganz und Großspurigkeit.
Hjörtur wirkte nicht gerade begeistert, nickte ihr aber zu. Dóra zögerte. Sie hatte nicht die geringste Lust auf noch mehr Dunkelheit und Mief, aber sie mussten die Sache hier und jetzt abschließen. Dóra riss sich zusammen. »Na gut.« Hjörtur gab ihr seine Taschenlampe. »Ich komme mit runter.« Dóra öffnete die Tür so weit, dass sie durch den Spalt passte. Markús stand leichenblass auf der Treppe, und der Schein ihrer Taschenlampen tauchte alles in ein gespenstisches Licht. Sie schluckte. Hier war es noch stickiger und staubiger. »Was willst du mir zeigen? Beeil dich.«
Markús stieg die Treppe hinab in die Finsternis. Der Schein seiner Taschenlampe konnte gegen den Staub und die Asche nicht viel ausrichten, sodass das Ende der Treppe nicht zu sehen war. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Markús wirkte unnatürlich ruhig. »Du musst mir glauben, dass ich nicht hergekommen bin, um das ... – Dóra, du musst die Ausgrabung unbedingt stoppen und das Haus wieder zuschütten lassen.«
Dóra beleuchtete ihre Füße mit der Taschenlampe. Sie wollte auf keinen Fall auf der Treppe ausrutschen und kopfüber in den Keller stürzen. »Ist es etwas, wovon du nichts wusstest?«
»Ja, könnte man so sagen. Wenn ich das hätte verbergen wollen, hätte ich eine Ausgrabung niemals zugelassen. Das kannst du mir glauben.« Markús war auf dem Kellerfußboden angelangt. »Ich glaube, jetzt sitze ich wirklich in der Klemme.«
Dóra nahm die letzte Treppenstufe und stellte sich neben ihn. »Was meinst du denn?«, fragte sie und leuchtete in alle Richtungen. Das Wenige, was sie erkennen konnte, schien völlig harmlos zu sein: ein alter Schlitten, ein verbeulter Vogelkäfig, unzählige Kisten und jede Menge mit Ruß und Staub überzogener Krempel.
»Komm mit. « Markús führte sie zu einer Trennwand und richtete seine Taschenlampe auf den Boden.
Dóra kniff die Augen zusammen, konnte aber nur drei graue Aschehaufen erkennen und ließ den Schein ihrer Taschenlampe darüberwandern. Es dauerte eine Weile, bis es ihr dämmerte – woraufhin ihr fast die Taschenlampe aus der Hand gerutscht wäre. »Um Gottes willen.« Automatisch richtete sie das Licht auf die drei Gesichter, eins nach dem anderen. Eingefallene Wangen, tiefe Augenhöhlen, weit geöffnete Münder, wie Mumien. »Was sind das für Leute?«
»Ich weiß es doch auch nicht!«, sagte Markús entgeistert. »Spielt das eine Rolle? Jedenfalls sind sie schon ziemlich lange tot. « Er hielt sich die Nase zu, obwohl kein Leichengeruch in der Luft lag, verzog das Gesicht und schaute weg.
Dóra hingegen konnte ihren Blick nicht von den Leichen abwenden. Markús hatte vollkommen recht: Es sah alles andere als gut für ihn aus. »Was, bitteschön, wolltest du denn verbergen, wenn nicht das hier?«, fragte sie und fügte hastig hinzu: »Das Haus zuschütten zu lassen, so als wäre nichts passiert, kannst du vergessen!« Warum war immer alles so kompliziert? Hätte der Mann nicht einfach mit einem Arm voller verstaubter Pornofilme aus dem Keller kommen können? Sie richtete ihre Taschenlampe auf Markús. »Jetzt sag schon.« Ihr war unwohl zumute, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, war es nichts Amüsantes. »Schlimmer als das kann’s ja nicht sein.«
Markús schwieg einen Moment. Dann räusperte er sich und beleuchtete eine Stelle direkt neben ihnen. »Ich kann das alles erklären«, sagte er, ohne hinzuschauen.
»Das ist ja ... « Dóra ließ ihre Taschenlampe fallen.
© S. Fischer Verlag
Übersetzung: Tina Flecken
»Er muss doch irgendwas erzählt haben. Wir haben uns schon den Kopf darüber zerbrochen. Ich glaube, es hat was mit Pornos zu tun. Die anderen denken das auch.«
Dóra zuckte mit den Schultern. Daran hatte sie natürlich auch schon gedacht. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, was so heikel sein mochte, dass es keinem Unbekannten in die Hände fallen durfte. Ein Kurzfilm mit einer Bettszene von den Herrschaften des Hauses? Wohl kaum. In den 70ern hatte fast niemand eine Filmkamera besessen. Außerdem war es fraglich, ob solche Filme die Katastrophe unbeschadet überstanden hätten. Und Markús Magnússon war gerade mal fünfzehn gewesen, als das Haus unter Lava und Asche begraben worden war. Trotzdem musste es einen triftigen Grund dafür geben, warum er unbedingt als Erster in den Keller wollte. Dóra seufzte. Warum musste sie sich immer wieder mit solchen Spinnern rumschlagen? Sie kannte keinen Anwalt, der so viele skurrile Fälle und Mandanten hatte wie sie. Sie nahm sich vor, Markús zu fragen – falls er jemals wieder aus dem Keller auftauchte –, warum er ausgerechnet ihre kleine Kanzlei ausgewählt hatte, als er die Ausgrabungen gerichtlich verbieten lassen wollte. Sie steckte die Nase in ihren Rollkragenpulli und versuchte, durch den Stoff zu atmen. Schon besser. Hjörtur grinste.
»Glaub mir, man gewöhnt sich dran. Dauert allerdings ein paar Tage.«
Dóra verdrehte die Augen. »Er will sich doch wohl verdammt nochmal nicht häuslich da unten niederlassen«, murmelte sie in ihren Pulli. Dann zog sie den Kragen herunter und lächelte Hjörtur an. Es war ihm zu verdanken, wie gut es bis jetzt gelaufen war und dass sie um eine einstweilige Verfügung herumgekommen waren – was so oder so nur von kurzem Erfolg gekrönt gewesen wäre, da Markús und seine Familie keinen Anspruch mehr auf das Haus hatten. Es war samt Inhalt im Besitz der Stadt Vestmannæyjabær; darüber brauchte man gar nicht zu diskutieren, ob wohl Markús es versucht hatte. In erster Linie hatte er sich mit Hjörtur Friðriksson herumgestritten, der nun neben Dóra stand. Er war Leiter des Projekts Pompeji des Nordens, bei dem mehrere Häuser ausgegraben wurden, die 1973 beim Vulkanausbruch in Heimæy von Asche verschüttet worden waren. Dóra hatte sich telefonisch und per E-Mail bereits ausführlich mit dem Mann ausgetauscht und konnte ihn gut leiden. Er brauchte zwar ziemlich lange, bis er zum Punkt kam, war aber kooperativ und hatte sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen, als sich Markús ihm gegenüber mehrfach unverschämt verhalten hatte. Dóras Mandant hatte sich geweigert, Gründe anzugeben, warum er gegen die Ausgrabung seines Elternhauses war, hatte permanent über die Unantastbarkeit der Privatsphäre schwadroniert und den Fall in jeglicher Hinsicht verkompliziert. Irgendwann hatte Dóra Hjörtur entnervt gefragt, ob er nicht einfach irgendein anderes Haus ausgraben könnte, es waren ja schließlich genug da. Aber das kam nicht in Frage, da Markús’ Elternhaus eines der wenigen Betonhäuser vor Ort war und die Katastrophe deshalb besser überstanden hatte als andere. Es war schließlich nicht Sinn der Sache, Ruinen auszubuddeln.
Bei Dóras Recherchen, wie sich die Ausgrabung durch eine einstweilige Verfügung stoppen lassen könnte, hatte sich herausgestellt, dass es Markús nur um den Keller ging. Also hatte Hjörtur den Vorschlag gemacht, das Haus sollte ausgegraben und durchlüftet werden, und anschließend dürfte Markús als Erster den Keller betreten und alles daraus mitnehmen, was er wollte.
Und nun standen sie da, der Archäologe und die Rechtsanwältin, und starrten die kaputte Kellertür an, während der Mann, der 1973 noch ein Teenager gewesen war, eine Etage tiefer mit einem schrecklichen Geheimnis kämpfte.
»Na endlich!« Dóra hörte Schritte auf der Kellertreppe.
»Hoffentlich hat er auch alles gefunden«, sagte Hjörtur zaghaft, »was passiert, wenn er mit leeren Händen wieder raufkommt?«
Dóra schaute zur Tür.
Gespannt beobachteten sie, wie sich die Türklinke bewegte. Aber die Tür öffnete sich nur einen winzigen Spalt. Verwundert schauten sich die beiden an. »Markús«, sagte Dóra ruhig, »stimmt was nicht?«
»Kannst du mal kommen?«, erklang eine dumpfe Stimme von der anderen Seite der Tür. Der schwache Schein seiner Taschenlampe schoss plötzlich über den Boden und fiel auf Dóras Füße.
»Ich? Ich soll da runterkommen?« Sie warf Hjörtur einen verständnislosen Blick zu.
»Ja«, antwortete Markús mit einem seltsamen Tonfall. »Ich bräuchte mal deine Einschätzung.«
»Meine Einschätzung?«, wiederholte Dóra, um Zeit zu schinden.
»Ja. Juristisch.«
»Ich kann dir jederzeit meine Einschätzung geben, Markús. Mit uns Rechtsanwälten verhält es sich allerdings so, dass wir nicht alles, womit wir uns beschäftigen, am eigenen Leib erleben müssen. Es gibt keinen Grund, mit dir da runterzuklettern. Sag mir, worum es geht, und ich gebe dir eine schriftliche Beurteilung in meinem Büro.«
»Du musst mitkommen. Ich brauche keine schriftliche Beurteilung. Eine mündliche genügt.« Er schwieg einen Moment. »Bitte. Komm kurz runter.« Markús’ Stimme hatte noch nie so sanft geklungen – ganz anders als seine übliche Arroganz und Großspurigkeit.
Hjörtur wirkte nicht gerade begeistert, nickte ihr aber zu. Dóra zögerte. Sie hatte nicht die geringste Lust auf noch mehr Dunkelheit und Mief, aber sie mussten die Sache hier und jetzt abschließen. Dóra riss sich zusammen. »Na gut.« Hjörtur gab ihr seine Taschenlampe. »Ich komme mit runter.« Dóra öffnete die Tür so weit, dass sie durch den Spalt passte. Markús stand leichenblass auf der Treppe, und der Schein ihrer Taschenlampen tauchte alles in ein gespenstisches Licht. Sie schluckte. Hier war es noch stickiger und staubiger. »Was willst du mir zeigen? Beeil dich.«
Markús stieg die Treppe hinab in die Finsternis. Der Schein seiner Taschenlampe konnte gegen den Staub und die Asche nicht viel ausrichten, sodass das Ende der Treppe nicht zu sehen war. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Markús wirkte unnatürlich ruhig. »Du musst mir glauben, dass ich nicht hergekommen bin, um das ... – Dóra, du musst die Ausgrabung unbedingt stoppen und das Haus wieder zuschütten lassen.«
Dóra beleuchtete ihre Füße mit der Taschenlampe. Sie wollte auf keinen Fall auf der Treppe ausrutschen und kopfüber in den Keller stürzen. »Ist es etwas, wovon du nichts wusstest?«
»Ja, könnte man so sagen. Wenn ich das hätte verbergen wollen, hätte ich eine Ausgrabung niemals zugelassen. Das kannst du mir glauben.« Markús war auf dem Kellerfußboden angelangt. »Ich glaube, jetzt sitze ich wirklich in der Klemme.«
Dóra nahm die letzte Treppenstufe und stellte sich neben ihn. »Was meinst du denn?«, fragte sie und leuchtete in alle Richtungen. Das Wenige, was sie erkennen konnte, schien völlig harmlos zu sein: ein alter Schlitten, ein verbeulter Vogelkäfig, unzählige Kisten und jede Menge mit Ruß und Staub überzogener Krempel.
»Komm mit. « Markús führte sie zu einer Trennwand und richtete seine Taschenlampe auf den Boden.
Dóra kniff die Augen zusammen, konnte aber nur drei graue Aschehaufen erkennen und ließ den Schein ihrer Taschenlampe darüberwandern. Es dauerte eine Weile, bis es ihr dämmerte – woraufhin ihr fast die Taschenlampe aus der Hand gerutscht wäre. »Um Gottes willen.« Automatisch richtete sie das Licht auf die drei Gesichter, eins nach dem anderen. Eingefallene Wangen, tiefe Augenhöhlen, weit geöffnete Münder, wie Mumien. »Was sind das für Leute?«
»Ich weiß es doch auch nicht!«, sagte Markús entgeistert. »Spielt das eine Rolle? Jedenfalls sind sie schon ziemlich lange tot. « Er hielt sich die Nase zu, obwohl kein Leichengeruch in der Luft lag, verzog das Gesicht und schaute weg.
Dóra hingegen konnte ihren Blick nicht von den Leichen abwenden. Markús hatte vollkommen recht: Es sah alles andere als gut für ihn aus. »Was, bitteschön, wolltest du denn verbergen, wenn nicht das hier?«, fragte sie und fügte hastig hinzu: »Das Haus zuschütten zu lassen, so als wäre nichts passiert, kannst du vergessen!« Warum war immer alles so kompliziert? Hätte der Mann nicht einfach mit einem Arm voller verstaubter Pornofilme aus dem Keller kommen können? Sie richtete ihre Taschenlampe auf Markús. »Jetzt sag schon.« Ihr war unwohl zumute, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, war es nichts Amüsantes. »Schlimmer als das kann’s ja nicht sein.«
Markús schwieg einen Moment. Dann räusperte er sich und beleuchtete eine Stelle direkt neben ihnen. »Ich kann das alles erklären«, sagte er, ohne hinzuschauen.
»Das ist ja ... « Dóra ließ ihre Taschenlampe fallen.
© S. Fischer Verlag
Übersetzung: Tina Flecken
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Autoren-Porträt von Yrsa Sigurdardóttir
Yrsa Sigurdardóttir, geboren 1963, studierte Bauingenieurwesen in Reykjavík und Montreal. Seit 1998 schreibt sie Kinderbücher, und im Jahre 2005 erschien ihr erster Kriminalroman. Ihre Bücher sind mittlerweile in 30 Sprachen übersetzt. Neben dem Schreiben arbeitet sie als Ingenieurin in Reykjavík.Tina Flecken, geboren 1968 in Köln. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Verlagslektorin arbeitet sie seit 2005 als freie Übersetzerin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Yrsa Sigurdardóttir
- 2008, 3. Aufl., 362 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Flecken, Tina
- Übersetzer: Tina Flecken
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596181402
- ISBN-13: 9783596181407
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