Das Gold der Maori / Kauri Trilogie Bd.1
Roman
Eine farbenprächtige
Neuseelandsaga.
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Produktinformationen zu „Das Gold der Maori / Kauri Trilogie Bd.1 “
Eine farbenprächtige
Neuseelandsaga.
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Klappentext zu „Das Gold der Maori / Kauri Trilogie Bd.1 “
Kathleen und Michael wollen Irland verlassen. Das heimlich verlobte Paar schmiedet Pläne von einem besseren Leben in der neuen Welt. Aber all ihre Träume finden ein jähes Ende: Michael wird als Rebell verurteilt und nach Australien verbannt. Die schwangere Kathleen muss gegen ihren Willen einen Viehhändler heiraten und mit ihm nach Neuseeland auswandern ...Michael gelingt schließlich mit Hilfe der einfallsreichen Lizzie die Flucht aus der Strafkolonie, und das Schicksal verschlägt die beiden ebenfalls nach Neuseeland. Seine große Liebe Kathleen kann er allerdings nicht vergessen ...
Lese-Probe zu „Das Gold der Maori / Kauri Trilogie Bd.1 “
Das Gold der Maori von Sarah LarkWÜRDE
Irland, Wicklow County
1846 - 1847
Kapitel 1
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Mary Kathleens Herz klopfte heftig, aber sie zwang sich, langsam zu gehen, bis sie außer Sicht des Herrenhauses war. Nicht dass ihr wirklich jemand nachgeblickt hätte. Und selbst wenn die Köchin etwas ahnte - gegen das, was die alte Grainné vom Haushalt der reichen Wetherbys abzweigte, zählten zwei Teekuchen gar nichts.
Mary Kathleen fürchtete denn auch keine wirklichen Verfolger, als sie sich jetzt zitternd hinter eine der Steinmauern kauerte, die hier, wie überall in Irland, die Felder begrenzten. Sie boten Schutz gegen den Wind und neugierige Blicke, aber vor ihren Schuldgefühlen konnten sie Kathleen nicht schützen.
Sie, Mary Kathleen, die Musterschülerin des Bibelunterrichts von Father O'Brien, sie, die bei der Firmung stolz den Namen der Gottesmutter ihrem eigenen vorangesetzt hatte - sie hatte gestohlen!
Kathleen konnte immer noch nicht fassen, was da über sie gekommen war, aber als sie das Tablett mit den Teekuchen in die Räume der vornehmen Lady Wetherby getragen hatte, war ihr Verlangen geradezu übermächtig geworden. Scones, frisch gebacken aus weißem Mehl und nicht minder weißem Zucker, serviert mit Marmelade, die nicht einfach aus Beeren gekocht worden, sondern in hübschen kleinen Gläsern aus England gekommen war. Laut der Aufschrift, die Kathleen mühsam entzifferte, wurde sie aus »Orangen« hergestellt. Was immer das war - sicher schmeckte es köstlich!
Kathleen brauchte all ihre Kraft, die Kuchenplatte vorsichtig zwischen Lady Wetherby und ihrer Besucherin auf dem Teetisch zu platzieren, zu knicksen und höflich »Bitte sehr, Madam!« zu flüstern, ohne dabei zu sabbern wie der Hund des Schäfers. Bei dem Gedanken daran musste sie hysterisch kichern. Aber sie war fast ein bisschen stolz auf sich gewesen, als sie zurück in die Küche ging - wo die alte Grainné sich gerade eines der leckeren Küchlein schmecken ließ. Natürlich ohne Kathleen oder dem Küchenmädchen auch nur einen Krümel davon abzugeben.
»Mädchen !«, pflegte Grainné zu predigen, »ihr könnt eurem Herrgott schon genug dafür danken, dass ihr diese Anstellung im Herrenhaus ergattert habt. Da fällt immerhin mal ein Kanten Brot für euch ab. Jetzt, in der Zeit, in der die Kartoffeln auf den Feldern verfaulen und die Menschen hungern, kann das euer Leben retten !«
Kathleen sah dies durchaus ein - ihre Familie war ohnehin vom Glück begünstigt. Als Schneider verdiente ihr Vater immer ein wenig Geld. Die O'Donnells waren nicht allein auf die Kartoffeln angewiesen, die Kathleens Mutter und die Geschwister auf ihrem winzigen Acker zogen. Wenn die Not zu groß wurde, nahm James O'Donnell von seinen wenigen Ersparnissen und kaufte Lord Wetherby oder seinem Verwalter Mr. Trevallion eine Handvoll Korn ab. Kathleen hatte keinen Grund zu stehlen - und doch hatte sie es getan. Warum mussten Lady Wetherby und ihre Freundin aber auch zwei der Teekuchen übrig lassen? Warum hielten sie kein Auge darauf, während Mary Kathleen den Tisch abräumte? Die Damen waren ins Musikzimmer gegangen, wo Lady Wetherby Klavier gespielt hatte. Die restlichen Scones interessierten sie nicht, und Grainné, das hatte Kathleen gewusst, würde auch nicht misstrauisch werden. Lady Wetherby war jung und ein Leckermaul. Sie ließ selten Naschereien zurückgehen.
Also hatte Kathleen es getan. Sie hatte die Scones in den Taschen ihrer schmucken Dienstbotenuniform und später zwischen den Falten ihres verschlissenen blauen Kleides versteckt - und zu guter Letzt einen weiteren Diebstahl begangen, indem sie das fast leere Marmeladenglas einsteckte, statt es auf Grainnés Geheiß auszuspülen. Nun war das eine lässliche Sünde, sie würde es sauber zurückbringen, wenn sie es ausgekratzt hatte. Der Diebstahl der Scones jedoch würde ihr auf der Seele brennen, bis sie am Samstag bei Father O'Brien beichten konnte. Wenn sie sich überhaupt traute, es zu beichten. Sie wusste, dass sie vor Scham im Boden versinken würde.
Mary Kathleen bereute ihre Sünde jetzt schon zutiefst - obwohl sie die Scones noch nicht einmal gegessen hatte. Aber sie verzehrte sich nach ihrem Geschmack und ihrem Duft. Gott, hilf mir !, durchfuhr es sie, während sie überlegte, ob sie die Sünde abschwächen konnte, indem sie ihren jüngeren Geschwistern die Teekuchen schenkte. Das wäre zumindest tätige Reue gewesen - und eine viel härtere Strafe als das Herunterbeten von zwanzig Ave Maria. Aber die Kinder würden sich zweifellos mit ihrer Leckerei großtun, und wenn Kathleens Eltern von der Sache erführen ...
Nein, das kam nicht infrage !
Und dann wurde es noch schlimmer ! Während Kathleen fromm darüber nachdachte, wie sie ihre Sünde büßen konnte, blitzte ein Wunsch in ihr auf, der ihr Herz angstvoll schneller schlagen ließ. Oder schuldbewusster? Oder einfach ... freudiger?
Sie konnte die Teekuchen mit Michael teilen ! Michael Drury, dem Bauernsohn von nebenan, der mit seiner Familie in einem noch winzigeren, noch verräucherteren und noch armseligeren Cottage wohnte als Kathleen. Michael hatte an diesem Tag sicher noch gar nichts gegessen, außer vielleicht ein paar Kornähren, auf denen die Jungen herumkauten, während sie die Ernte für Lord Wetherby einbrachten. Schon das galt als ein Verbrechen, das Mr. Trevallion mit Schlägen ahndete, wenn er sie dabei erwischte.
Das Korn war für die Herren, die Kartoffeln waren für die Knechte. Und wenn die Kartoffeln auf den Feldern verfaulten, dann mussten die Bauern eben sehen, wo sie blieben. Die meisten fanden sich damit ab. Michaels Mutter zum Beispiel sah die rätselhafte Kartoffelfäule als Strafe Gottes und versuchte in täglichen Gebeten herauszufinden, was den Herrn so erzürnt hatte, dass er dieses Elend über sie brachte. Michael und ein paar andere junge Männer erregten sich über Mr. Trevallion und Lord Wetherby, die erfreut eine reiche Weizenernte einfuhren, während die Kinder der Pächter verhungerten.
Mary Kathleen dachte versonnen an Michaels verwegenen Gesichtsausdruck, wenn er auf die Landlords schimpfte, seine gerunzelte Stirn unter dem wirren, dunklen Haar und das Blitzen seiner leuchtend blauen Augen. Ob Gott es wirklich als Buße ansah, wenn sie die Scones mit ihrem Freund teilte? Zweifellos stillte sie damit seinen Hunger - aber auch ihr Verlangen, mit dem großen, hageren jungen Mann zusammen zu sein. Seine tiefe Stimme betörte sie. Sie sehnte sich nach der Berührung seiner Hände und danach, sich in seinen Armen zu verlieren.
Als die Zeiten noch besser gewesen waren, hatte Michael zusammen mit seinem Vater und dem alten Paddy Murphy zum Tanz aufgespielt - am Samstagabend oder beim alljährlichen Erntefest. Die Dörfler hatten die Beine geschwungen, getrunken und gelacht, und später am Abend hatte Michael Drury Balladen gesungen und Kathleen O'Donnell dabei angesehen ...
Aber inzwischen hatte niemand mehr die Kraft zu tanzen. Und Kevin Drury und Paddy Murphy waren längst in den Bergen verschwunden. Gerüchten zufolge betrieben sie dort eine florierende Whiskeybrennerei. Man sagte, dass Michael die Flaschen unter der Hand in Wicklow verkaufte. Kathleens Vater wollte jedenfalls nichts mit den Drurys zu tun haben, und er hatte seine Älteste streng gerügt, als er sie am Sonntag nach der Kirche mit Michael sprechen sah.
»Aber ich glaube, Michael will um mich werben !«, hatte Kathleen errötend protestiert. »Ganz ... ganz offiziell und ehrenvoll ... «
Schneider O'Donnell schnaubte, seine hohe, schlanke Gestalt bebte vor Missbilligung. »Wann hat ein Drury jemals etwas offiziell und ehrenvoll betrieben? Die ganze Familie besteht nur aus Lumpenpack: Fiedler und Flötenspieler und Whiskeybrenner. Galgenvögel allesamt. Schon den Großvater wollten sie in die Kolonien schicken. So wenig ich die Engländer schätze: Hier hätten sie eine gute Tat begangen ! Aber der Kerl ist ja ab nach Galway und von da aus Gott weiß wohin. Desgleichen sein nichtsnutziger Sohn ! Kaum wird denen der Boden zu heiß, da verziehen sie sich - wobei keiner weniger als fünf Kinder hinterlassen hat ! Lass die Augen von dem Drury-Jungen, Kathie, und erst recht die Finger ! Du kannst hier jeden haben, hübsch wie du bist !«
Kathleen war wieder errötet, aber dieses Mal aus Scham darüber, dass ihr Vater sie hübsch nannte. Das war in Father O'Briens Augen schon anrüchig genug. Eine Jungfrau solle tugendhaft sein und fleißig, sagte er immer, und auf keinen Fall solle sie ihre Reize zur Schau stellen.
Wobei es in Mary Kathleens Fall nicht einfach war, das zu vermeiden. Sie konnte sich ja nicht ständig verstecken, um den Männern den Blick auf ihr zartes Gesicht, ihr honigblondes, weiches Haar und ihre aufreizend grünen Augen zu verwehren. Mit dem dunklen Grün der Glens vor Sonnenuntergang hatte Michael deren Farbe verglichen. Und manchmal, wenn sich Freude und Überraschung in Kathleens Augen spiegelten, erkannte er Funken darin, die wie das erste Grün des Frühlings auf den Weiden leuchteten.
Oh, Michael verstand sich auf Schmeicheleien ! Und Kathleen wollte nicht glauben, dass er wirklich so ein Galgenvogel war, wie ihr Vater meinte. Schließlich arbeitete er jeden Tag hart auf den Feldern von Lord Wetherby. Zudem fiedelte er am Wochenende in Wicklows Pubs, wohin er weit laufen musste, wenn ihm nicht jemand sein Maultier oder seinen Esel lieh. Manchmal fand sich Roony O'Rearke, der Gärtner der Wetherbys, dazu bereit. Roony galt als Säufer, aber Kathleen wollte eine Verbindung zwischen schwarz gebranntem Whiskey und dem Verleih von O'Rearkes Esel gar nicht erst annehmen !
Das Mädchen stand auf und machte sich auf den Weg ins Dorf. Ein Wäldchen trennte das Anwesen der Wetherbys von den Cottages ihrer Pächter. Die Landlords mochten nicht direkt von ihrem Besitz auf die Behausungen ihrer Knechte und Hausangestellten blicken. Langsam fühlte Kathleen sich besser - was sicher auch damit zu tun hatte, dass sie ihre Schritte nicht direkt in Richtung Dorf und zum Cottage ihrer Familie wandte, sondern zu den oberhalb der Hütten gelegenen Weizenfeldern. Die Männer würden dort noch arbeiten, aber langsam ging die Sonne unter. Trevallion musste sie bald nach Hause schicken.
Die Dämmerung stürzte den eifrigen Verwalter stets in einen Zwiespalt: Einerseits reichte das Licht noch zum Arbeiten, und Lord Wetherby hatte schließlich nichts zu verschenken, andererseits begünstigte das Zwielicht Diebstähle. Die Arbeiter ließen Ähren in ihren Taschen verschwinden oder versteckten sie hinter den Steinmauern, um sie später in der Dunkelheit zu holen.
Kathleen hoffte, dass Trevallion seine Männer an diesem Abend früh heimschickte, auch wenn dann noch ärgerer Hunger in den Cottages herrschte. Schließlich warteten die Familien hoffnungsvoll auf die Ausbeute der Väter und Brüder. Nicht einmal Father O'Brien konnte das Vorgehen der Pächter ernsthaft verdammen, obwohl er ihnen natürlich stets Sühnegebete auferlegte, wenn sie ihre kleinen Diebstähle beichteten. Die braven Familienväter verbrachten folglich den halben Sonntag auf Knien in der Kirche. Junge Männer wie Michael streiften derweil über die Felder und versuchten, ungeachtet der Augen des Lords und der Lady, die den Sonntag mit Freunden zum Ausreiten und Jagen nutzten, noch ein paar Ähren zu stibitzen.
Und tatsächlich schien der Vollmond, der gerade über den Bergen aufging, um die Dämmerung abzulösen, Trevallions Furcht vor Diebstählen zu verstärken. Die Männer, ihre Frauen und Kinder würden die versteckten Ähren im Mondlicht leicht finden, das wusste er, und ein paar ganz Verzweifelte würden versuchen, die Nacht zu Raubzügen zu nutzen. Kathleen vermutete, dass der über-eifrige Verwalter ein frühes Abendbrot und ein Nickerchen plante, bevor er die halbe Nacht Patrouille ritt.
Das junge Mädchen musste sich bezwingen, nicht vor Trevallion auszuspucken, als er ihr hoch auf dem Bock des letzten Erntewagens sitzend entgegenkam, während die übermüdeten Arbeiter sich zu Fuß von den Feldern nach Hause schleppten.
»Holla, die kleine Mary Kathleen !«, begrüßte der Verwalter sie leutselig. »Was suchst du hier, Goldlöckchen? Hat man dich im Haus schon entlassen? Einen schönen Lenz macht ihr euch da in der Küche ! Ich wette, die alte Grainné versorgt nicht nur sich, sondern die Familien all ihrer Kinder und Kindeskinder mit dem Brot Seiner Lordschaft !«
»Seine Lordschaft isst wohl mehr Kuchen ... «, tönte es aus der Gruppe der Landarbeiter, die müde hinter Trevallions Wagen herschlurften.
Kathleen erkannte die Stimme Bill Raffertys, eines Sohnes der Köchin Grainné. Billy war nicht der Klügste, aber bauernschlau, und er gefiel sich in der Rolle des Narren.
» ... was Sie am besten wissen sollten, Trevallion !«, fuhr Billy fort. »Oder essen Sie nicht an seinem Tisch?«
Die Bemerkung wurde mit lautem Gelächter quittiert. Tatsächlich behandelte der englische Lord seinen irischen Verwalter kaum besser als seine Pächter. Natürlich hatte Trevallion eine Sonderstellung und musste nicht hungern. Aber die Achtung seines Herrn genoss er nicht, und auf keinen Fall war die Rede davon, ihn wo-möglich selbst in den Adelsstand zu erheben, wie es Verwaltern sehr großer Besitzungen ab und an zuteil wurde. Lord Wetherby war von Adel, seine Familie galt in England jedoch als unbedeutend. Die Besitztümer in Irland stammten aus der Mitgift seiner Gattin und waren eher klein.
»Mein Tisch ist jedenfalls reich gedeckt !«, gab Trevallion zurück. »Auch mit Kuchen, kleine Kathleen, falls du dir also einen Mann wünscht, der dir etwas bieten kann ... «
Kathleen errötete zutiefst. Aber nein, der Kerl konnte nichts von den Teekuchen wissen, die Löcher in die Taschen ihres Kleides zu brennen schienen ! Sie durfte sich nur nicht schuldbewusst zeigen ! Tugendhaft schlug sie die Augen nieder. Kathleen antwortete grundsätzlich nicht, wenn Trevallion sie ansprach, erst recht nicht, wenn er solch ungehörige Anspielungen machte. Zu oft hörte man von Mädchen, die dem Laster in den Armen der Verwalter ihrer Herren verfielen - wobei Kathleen sich nicht vorstellen konnte, dass es sich hier um die Sünde der Wollust handelte.
Trevallion hatte eigentlich nichts an sich, was ein Mädchen reizen konnte. Er war klein, drahtig und rothaarig wie ein Leprechaun, aber ihm fehlte der Witz der mythischen Waldschrate, denen die etwas begüterteren Iren Häuser in ihren Gärten bauten, um sich ihrer Hilfe bei der Landarbeit - und mehr noch beim Whiskeybrennen - zu versichern. Finsterster Aberglaube natürlich, wie Father O'Brien erklärte, bevor er den jüngsten Kindern im Unterricht das nächste Märchen über die frechen, grün gewandeten Gesellen erzählte.
Über Trevallion gab es nichts derart Komisches zu berichten. Er war vollkommen unterwürfig gegenüber der englischen Herrschaft und hart und boshaft gegenüber deren Pächtern. Selbst wenn der Lord und die Lady gar nicht auf ihren Besitztümern in Irland weilten, was die meiste Zeit des Jahres betraf, ließ er nicht, wie andere Verwalter, fünfe gerade sein. Besonders in Zeiten wie diesen schauten sie schon mal weg, wenn die Männer auf Jagd gingen oder ein Teil des Obstes und Gemüses aus den Gärten der Herrschaft in den Töpfen der Pächterfrauen landete. Trevallion kämpfte um jede Karotte, jeden Apfel und jede Bohne vom Land seines Herrn, der eigentlich nur zur Ernte und zur Jagdsaison erschien. Die Menschen hassten ihn, und wenn sich ein Mädchen einem Mann wie ihm hingab, so geschah es sicher nicht aus Liebe, sondern nur aus Not.
»Oder hast du gar einen Galan hier auf den Feldern?«, fragte Trevallion jetzt mit tückischem Blinzeln. »Gibt es da etwas, das ich wissen müsste als Ohr und Auge des Herrn?«
Hochzeiten mussten vom Landlord genehmigt werden, und der hörte natürlich gern auf die Einflüsterungen Trevallions.
Kathleen würdigte auch diese Fragen keiner Antwort.
»Nun, ich denke, ich werde demnächst mal ein Wörtchen reden mit O'Donnell, dem Schneider ... «, bemerkte Trevallion noch, bevor er Kathleen endlich gehen ließ. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie er sich die Lippen leckte.
Kathleens Herz klopfte heftig. Der Kerl wollte nicht wirklich um sie werben? Ihr Vater sprach immer wieder von einer »guten Partie«, mit der Kathleen dank ihrer Schönheit ihr Glück machen würde, solange sie nur brav und tugendhaft auf den richtigen Mann wartete. Aber damit war doch nicht Trevallion gemeint? Bevor sie diesen Widerling heiraten würde, nähme sie den Schleier !
Kathleen blieb mit gesenktem Kopf am Wegrand stehen und ließ den Erntewagen und die Männer vorbei. Sie wusste, dass Michael sich bald unauffällig absetzen würde, und ging weiter, bis sie Schutz hinter den Steinmauern fand, die das frisch abgeerntete Feld einfassten. Das Mädchen begann, das Land auf vergessene Ähren abzusuchen.
Wie erwartet wurde Kathleen nicht fündig - Trevallion war gründlich. Sie verspürte glühende Wut auf den bösartigen kleinen Mann, als sie jetzt die ersten hungrigen Kinder vom Dorf zu den Feldern hinaufkommen sah. Alle würden versuchen, hier noch letzte Reste von Weizen zu finden, und alle würden enttäuscht werden.
In diesem Moment lachte Kathleen jedoch das Glück. Michael näherte sich, scheinbar ziellos schlendernd, dem Stoppelfeld. Er sah natürlich die Kinder und Frauen, weshalb er so tat, als bemerke er Kathleen nicht. Stattdessen winkte er ihr nur unmerklich zu, ihm zu folgen. Kathleen tat es unauffällig, sie wusste ohnehin, wohin er sie führte.
Ihr Schlupfwinkel war eine winzige Bucht, unterhalb der Siedlung bei den Feldern am Fluss. Hier stand hoch das Schilf am Ufer, und eine mächtige Weide ließ ihre Äste ins Wasser hängen. Sie schützten den kleinen Strand vor neugierigen Blicken vom Wasser aus, wie das Schilf die Verliebten von Land aus versteckte. Kathleen wusste, dass es Sünde war, sich hier mit einem jungen Mann zu treffen - dazu mit einem, den James O'Donnell gar nicht billigte, obwohl er so schöne Worte sprechen konnte. Aber irgendetwas in ihr bestand darauf, es trotzdem zu tun. Irgendetwas wollte den freudlosen Tagen der Arbeit im Herrenhaus und der abendlichen und in der letzten Zeit zudem vergeblichen Schufterei auf dem Land ihres Vaters ein bisschen Glück abringen ...
Michael saß rittlings auf einem niedrigen Ast des freundlichen Baumes, als Kathleen eintraf. Seine Augen leuchteten bei ihrem Anblick auf. Er löste sich mit geschmeidigen Bewegungen von seinem erhöhten Sitz.
»Das süßeste Mädchen Irlands - und es gehört nur mir !«, rief er bewundernd mit seiner weichen Stimme. »Man preist die irischen Rosen, aber nur wer die Lilien kennt, kann ermessen, was Schönheit ist !«
Kathleen errötete und senkte den Blick, aber Michael griff nach ihren Händen und küsste sie. Er zog sie an sein Herz und damit auch das Mädchen näher zu sich. Sehr vorsichtig und sehr zärtlich küsste er seine Stirn und wartete, bis es ihm letztlich auch die Lippen bot. Michael legte sanft seine Arme um Kathleen.
»Vorsichtig !«, wisperte sie nervös. »Du ... ich hab was mitgebracht, und ich will nicht, dass du es zerdrückst !«
Bevor Michael sie an sich pressen konnte, nestelte sie die Teekuchen aus der Tasche ihres Kleides, dazu das Marmeladenglas. Der junge Mann, heißhungrig nach der schweren Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, musterte das Gebäck mit begehrlichen Blicken. Aber Michael Drury war nicht gierig. Er ließ sich Zeit mit Genüssen aller Art und deponierte die Leckerei zunächst auf einem großen Blatt in einer Astgabel der Weide. Dann fuhr er fort, Kathleen zu küssen, langsam, vorsichtig.
Kathleen hatte nie Angst vor ihm gehabt. Die Wisperei der anderen Mädchen, die teilweise schon verlobt waren und sich vor der Hochzeitsnacht fürchteten, verstand sie nicht. Michael, darauf vertraute sie fest, würde ihr niemals wehtun. Auch jetzt verlor sie sich kurze Zeit in seiner Umarmung, seinem erdigen Geruch nach der Arbeit auf dem Feld, seiner kühlen Haut, auf der sein Schweiß schon getrocknet war. Aber dann löste sich Michael. Eindringlich schaute er auf Kathleens gestohlene Scones.
»Das riecht gut !«, seufzte er.
Sie lächelte und war plötzlich gar nicht mehr so hungrig. »Du riechst gut !«, flüsterte sie.
Michael schüttelte lachend den Kopf. »Weit gefehlt, meine Liebste, ich stinke ! Und ich denke, ich sollte mich waschen, bevor du mich wie einen Gentleman zum Tee bittest ... «
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Mary Kathleens Herz klopfte heftig, aber sie zwang sich, langsam zu gehen, bis sie außer Sicht des Herrenhauses war. Nicht dass ihr wirklich jemand nachgeblickt hätte. Und selbst wenn die Köchin etwas ahnte - gegen das, was die alte Grainné vom Haushalt der reichen Wetherbys abzweigte, zählten zwei Teekuchen gar nichts.
Mary Kathleen fürchtete denn auch keine wirklichen Verfolger, als sie sich jetzt zitternd hinter eine der Steinmauern kauerte, die hier, wie überall in Irland, die Felder begrenzten. Sie boten Schutz gegen den Wind und neugierige Blicke, aber vor ihren Schuldgefühlen konnten sie Kathleen nicht schützen.
Sie, Mary Kathleen, die Musterschülerin des Bibelunterrichts von Father O'Brien, sie, die bei der Firmung stolz den Namen der Gottesmutter ihrem eigenen vorangesetzt hatte - sie hatte gestohlen!
Kathleen konnte immer noch nicht fassen, was da über sie gekommen war, aber als sie das Tablett mit den Teekuchen in die Räume der vornehmen Lady Wetherby getragen hatte, war ihr Verlangen geradezu übermächtig geworden. Scones, frisch gebacken aus weißem Mehl und nicht minder weißem Zucker, serviert mit Marmelade, die nicht einfach aus Beeren gekocht worden, sondern in hübschen kleinen Gläsern aus England gekommen war. Laut der Aufschrift, die Kathleen mühsam entzifferte, wurde sie aus »Orangen« hergestellt. Was immer das war - sicher schmeckte es köstlich!
Kathleen brauchte all ihre Kraft, die Kuchenplatte vorsichtig zwischen Lady Wetherby und ihrer Besucherin auf dem Teetisch zu platzieren, zu knicksen und höflich »Bitte sehr, Madam!« zu flüstern, ohne dabei zu sabbern wie der Hund des Schäfers. Bei dem Gedanken daran musste sie hysterisch kichern. Aber sie war fast ein bisschen stolz auf sich gewesen, als sie zurück in die Küche ging - wo die alte Grainné sich gerade eines der leckeren Küchlein schmecken ließ. Natürlich ohne Kathleen oder dem Küchenmädchen auch nur einen Krümel davon abzugeben.
»Mädchen !«, pflegte Grainné zu predigen, »ihr könnt eurem Herrgott schon genug dafür danken, dass ihr diese Anstellung im Herrenhaus ergattert habt. Da fällt immerhin mal ein Kanten Brot für euch ab. Jetzt, in der Zeit, in der die Kartoffeln auf den Feldern verfaulen und die Menschen hungern, kann das euer Leben retten !«
Kathleen sah dies durchaus ein - ihre Familie war ohnehin vom Glück begünstigt. Als Schneider verdiente ihr Vater immer ein wenig Geld. Die O'Donnells waren nicht allein auf die Kartoffeln angewiesen, die Kathleens Mutter und die Geschwister auf ihrem winzigen Acker zogen. Wenn die Not zu groß wurde, nahm James O'Donnell von seinen wenigen Ersparnissen und kaufte Lord Wetherby oder seinem Verwalter Mr. Trevallion eine Handvoll Korn ab. Kathleen hatte keinen Grund zu stehlen - und doch hatte sie es getan. Warum mussten Lady Wetherby und ihre Freundin aber auch zwei der Teekuchen übrig lassen? Warum hielten sie kein Auge darauf, während Mary Kathleen den Tisch abräumte? Die Damen waren ins Musikzimmer gegangen, wo Lady Wetherby Klavier gespielt hatte. Die restlichen Scones interessierten sie nicht, und Grainné, das hatte Kathleen gewusst, würde auch nicht misstrauisch werden. Lady Wetherby war jung und ein Leckermaul. Sie ließ selten Naschereien zurückgehen.
Also hatte Kathleen es getan. Sie hatte die Scones in den Taschen ihrer schmucken Dienstbotenuniform und später zwischen den Falten ihres verschlissenen blauen Kleides versteckt - und zu guter Letzt einen weiteren Diebstahl begangen, indem sie das fast leere Marmeladenglas einsteckte, statt es auf Grainnés Geheiß auszuspülen. Nun war das eine lässliche Sünde, sie würde es sauber zurückbringen, wenn sie es ausgekratzt hatte. Der Diebstahl der Scones jedoch würde ihr auf der Seele brennen, bis sie am Samstag bei Father O'Brien beichten konnte. Wenn sie sich überhaupt traute, es zu beichten. Sie wusste, dass sie vor Scham im Boden versinken würde.
Mary Kathleen bereute ihre Sünde jetzt schon zutiefst - obwohl sie die Scones noch nicht einmal gegessen hatte. Aber sie verzehrte sich nach ihrem Geschmack und ihrem Duft. Gott, hilf mir !, durchfuhr es sie, während sie überlegte, ob sie die Sünde abschwächen konnte, indem sie ihren jüngeren Geschwistern die Teekuchen schenkte. Das wäre zumindest tätige Reue gewesen - und eine viel härtere Strafe als das Herunterbeten von zwanzig Ave Maria. Aber die Kinder würden sich zweifellos mit ihrer Leckerei großtun, und wenn Kathleens Eltern von der Sache erführen ...
Nein, das kam nicht infrage !
Und dann wurde es noch schlimmer ! Während Kathleen fromm darüber nachdachte, wie sie ihre Sünde büßen konnte, blitzte ein Wunsch in ihr auf, der ihr Herz angstvoll schneller schlagen ließ. Oder schuldbewusster? Oder einfach ... freudiger?
Sie konnte die Teekuchen mit Michael teilen ! Michael Drury, dem Bauernsohn von nebenan, der mit seiner Familie in einem noch winzigeren, noch verräucherteren und noch armseligeren Cottage wohnte als Kathleen. Michael hatte an diesem Tag sicher noch gar nichts gegessen, außer vielleicht ein paar Kornähren, auf denen die Jungen herumkauten, während sie die Ernte für Lord Wetherby einbrachten. Schon das galt als ein Verbrechen, das Mr. Trevallion mit Schlägen ahndete, wenn er sie dabei erwischte.
Das Korn war für die Herren, die Kartoffeln waren für die Knechte. Und wenn die Kartoffeln auf den Feldern verfaulten, dann mussten die Bauern eben sehen, wo sie blieben. Die meisten fanden sich damit ab. Michaels Mutter zum Beispiel sah die rätselhafte Kartoffelfäule als Strafe Gottes und versuchte in täglichen Gebeten herauszufinden, was den Herrn so erzürnt hatte, dass er dieses Elend über sie brachte. Michael und ein paar andere junge Männer erregten sich über Mr. Trevallion und Lord Wetherby, die erfreut eine reiche Weizenernte einfuhren, während die Kinder der Pächter verhungerten.
Mary Kathleen dachte versonnen an Michaels verwegenen Gesichtsausdruck, wenn er auf die Landlords schimpfte, seine gerunzelte Stirn unter dem wirren, dunklen Haar und das Blitzen seiner leuchtend blauen Augen. Ob Gott es wirklich als Buße ansah, wenn sie die Scones mit ihrem Freund teilte? Zweifellos stillte sie damit seinen Hunger - aber auch ihr Verlangen, mit dem großen, hageren jungen Mann zusammen zu sein. Seine tiefe Stimme betörte sie. Sie sehnte sich nach der Berührung seiner Hände und danach, sich in seinen Armen zu verlieren.
Als die Zeiten noch besser gewesen waren, hatte Michael zusammen mit seinem Vater und dem alten Paddy Murphy zum Tanz aufgespielt - am Samstagabend oder beim alljährlichen Erntefest. Die Dörfler hatten die Beine geschwungen, getrunken und gelacht, und später am Abend hatte Michael Drury Balladen gesungen und Kathleen O'Donnell dabei angesehen ...
Aber inzwischen hatte niemand mehr die Kraft zu tanzen. Und Kevin Drury und Paddy Murphy waren längst in den Bergen verschwunden. Gerüchten zufolge betrieben sie dort eine florierende Whiskeybrennerei. Man sagte, dass Michael die Flaschen unter der Hand in Wicklow verkaufte. Kathleens Vater wollte jedenfalls nichts mit den Drurys zu tun haben, und er hatte seine Älteste streng gerügt, als er sie am Sonntag nach der Kirche mit Michael sprechen sah.
»Aber ich glaube, Michael will um mich werben !«, hatte Kathleen errötend protestiert. »Ganz ... ganz offiziell und ehrenvoll ... «
Schneider O'Donnell schnaubte, seine hohe, schlanke Gestalt bebte vor Missbilligung. »Wann hat ein Drury jemals etwas offiziell und ehrenvoll betrieben? Die ganze Familie besteht nur aus Lumpenpack: Fiedler und Flötenspieler und Whiskeybrenner. Galgenvögel allesamt. Schon den Großvater wollten sie in die Kolonien schicken. So wenig ich die Engländer schätze: Hier hätten sie eine gute Tat begangen ! Aber der Kerl ist ja ab nach Galway und von da aus Gott weiß wohin. Desgleichen sein nichtsnutziger Sohn ! Kaum wird denen der Boden zu heiß, da verziehen sie sich - wobei keiner weniger als fünf Kinder hinterlassen hat ! Lass die Augen von dem Drury-Jungen, Kathie, und erst recht die Finger ! Du kannst hier jeden haben, hübsch wie du bist !«
Kathleen war wieder errötet, aber dieses Mal aus Scham darüber, dass ihr Vater sie hübsch nannte. Das war in Father O'Briens Augen schon anrüchig genug. Eine Jungfrau solle tugendhaft sein und fleißig, sagte er immer, und auf keinen Fall solle sie ihre Reize zur Schau stellen.
Wobei es in Mary Kathleens Fall nicht einfach war, das zu vermeiden. Sie konnte sich ja nicht ständig verstecken, um den Männern den Blick auf ihr zartes Gesicht, ihr honigblondes, weiches Haar und ihre aufreizend grünen Augen zu verwehren. Mit dem dunklen Grün der Glens vor Sonnenuntergang hatte Michael deren Farbe verglichen. Und manchmal, wenn sich Freude und Überraschung in Kathleens Augen spiegelten, erkannte er Funken darin, die wie das erste Grün des Frühlings auf den Weiden leuchteten.
Oh, Michael verstand sich auf Schmeicheleien ! Und Kathleen wollte nicht glauben, dass er wirklich so ein Galgenvogel war, wie ihr Vater meinte. Schließlich arbeitete er jeden Tag hart auf den Feldern von Lord Wetherby. Zudem fiedelte er am Wochenende in Wicklows Pubs, wohin er weit laufen musste, wenn ihm nicht jemand sein Maultier oder seinen Esel lieh. Manchmal fand sich Roony O'Rearke, der Gärtner der Wetherbys, dazu bereit. Roony galt als Säufer, aber Kathleen wollte eine Verbindung zwischen schwarz gebranntem Whiskey und dem Verleih von O'Rearkes Esel gar nicht erst annehmen !
Das Mädchen stand auf und machte sich auf den Weg ins Dorf. Ein Wäldchen trennte das Anwesen der Wetherbys von den Cottages ihrer Pächter. Die Landlords mochten nicht direkt von ihrem Besitz auf die Behausungen ihrer Knechte und Hausangestellten blicken. Langsam fühlte Kathleen sich besser - was sicher auch damit zu tun hatte, dass sie ihre Schritte nicht direkt in Richtung Dorf und zum Cottage ihrer Familie wandte, sondern zu den oberhalb der Hütten gelegenen Weizenfeldern. Die Männer würden dort noch arbeiten, aber langsam ging die Sonne unter. Trevallion musste sie bald nach Hause schicken.
Die Dämmerung stürzte den eifrigen Verwalter stets in einen Zwiespalt: Einerseits reichte das Licht noch zum Arbeiten, und Lord Wetherby hatte schließlich nichts zu verschenken, andererseits begünstigte das Zwielicht Diebstähle. Die Arbeiter ließen Ähren in ihren Taschen verschwinden oder versteckten sie hinter den Steinmauern, um sie später in der Dunkelheit zu holen.
Kathleen hoffte, dass Trevallion seine Männer an diesem Abend früh heimschickte, auch wenn dann noch ärgerer Hunger in den Cottages herrschte. Schließlich warteten die Familien hoffnungsvoll auf die Ausbeute der Väter und Brüder. Nicht einmal Father O'Brien konnte das Vorgehen der Pächter ernsthaft verdammen, obwohl er ihnen natürlich stets Sühnegebete auferlegte, wenn sie ihre kleinen Diebstähle beichteten. Die braven Familienväter verbrachten folglich den halben Sonntag auf Knien in der Kirche. Junge Männer wie Michael streiften derweil über die Felder und versuchten, ungeachtet der Augen des Lords und der Lady, die den Sonntag mit Freunden zum Ausreiten und Jagen nutzten, noch ein paar Ähren zu stibitzen.
Und tatsächlich schien der Vollmond, der gerade über den Bergen aufging, um die Dämmerung abzulösen, Trevallions Furcht vor Diebstählen zu verstärken. Die Männer, ihre Frauen und Kinder würden die versteckten Ähren im Mondlicht leicht finden, das wusste er, und ein paar ganz Verzweifelte würden versuchen, die Nacht zu Raubzügen zu nutzen. Kathleen vermutete, dass der über-eifrige Verwalter ein frühes Abendbrot und ein Nickerchen plante, bevor er die halbe Nacht Patrouille ritt.
Das junge Mädchen musste sich bezwingen, nicht vor Trevallion auszuspucken, als er ihr hoch auf dem Bock des letzten Erntewagens sitzend entgegenkam, während die übermüdeten Arbeiter sich zu Fuß von den Feldern nach Hause schleppten.
»Holla, die kleine Mary Kathleen !«, begrüßte der Verwalter sie leutselig. »Was suchst du hier, Goldlöckchen? Hat man dich im Haus schon entlassen? Einen schönen Lenz macht ihr euch da in der Küche ! Ich wette, die alte Grainné versorgt nicht nur sich, sondern die Familien all ihrer Kinder und Kindeskinder mit dem Brot Seiner Lordschaft !«
»Seine Lordschaft isst wohl mehr Kuchen ... «, tönte es aus der Gruppe der Landarbeiter, die müde hinter Trevallions Wagen herschlurften.
Kathleen erkannte die Stimme Bill Raffertys, eines Sohnes der Köchin Grainné. Billy war nicht der Klügste, aber bauernschlau, und er gefiel sich in der Rolle des Narren.
» ... was Sie am besten wissen sollten, Trevallion !«, fuhr Billy fort. »Oder essen Sie nicht an seinem Tisch?«
Die Bemerkung wurde mit lautem Gelächter quittiert. Tatsächlich behandelte der englische Lord seinen irischen Verwalter kaum besser als seine Pächter. Natürlich hatte Trevallion eine Sonderstellung und musste nicht hungern. Aber die Achtung seines Herrn genoss er nicht, und auf keinen Fall war die Rede davon, ihn wo-möglich selbst in den Adelsstand zu erheben, wie es Verwaltern sehr großer Besitzungen ab und an zuteil wurde. Lord Wetherby war von Adel, seine Familie galt in England jedoch als unbedeutend. Die Besitztümer in Irland stammten aus der Mitgift seiner Gattin und waren eher klein.
»Mein Tisch ist jedenfalls reich gedeckt !«, gab Trevallion zurück. »Auch mit Kuchen, kleine Kathleen, falls du dir also einen Mann wünscht, der dir etwas bieten kann ... «
Kathleen errötete zutiefst. Aber nein, der Kerl konnte nichts von den Teekuchen wissen, die Löcher in die Taschen ihres Kleides zu brennen schienen ! Sie durfte sich nur nicht schuldbewusst zeigen ! Tugendhaft schlug sie die Augen nieder. Kathleen antwortete grundsätzlich nicht, wenn Trevallion sie ansprach, erst recht nicht, wenn er solch ungehörige Anspielungen machte. Zu oft hörte man von Mädchen, die dem Laster in den Armen der Verwalter ihrer Herren verfielen - wobei Kathleen sich nicht vorstellen konnte, dass es sich hier um die Sünde der Wollust handelte.
Trevallion hatte eigentlich nichts an sich, was ein Mädchen reizen konnte. Er war klein, drahtig und rothaarig wie ein Leprechaun, aber ihm fehlte der Witz der mythischen Waldschrate, denen die etwas begüterteren Iren Häuser in ihren Gärten bauten, um sich ihrer Hilfe bei der Landarbeit - und mehr noch beim Whiskeybrennen - zu versichern. Finsterster Aberglaube natürlich, wie Father O'Brien erklärte, bevor er den jüngsten Kindern im Unterricht das nächste Märchen über die frechen, grün gewandeten Gesellen erzählte.
Über Trevallion gab es nichts derart Komisches zu berichten. Er war vollkommen unterwürfig gegenüber der englischen Herrschaft und hart und boshaft gegenüber deren Pächtern. Selbst wenn der Lord und die Lady gar nicht auf ihren Besitztümern in Irland weilten, was die meiste Zeit des Jahres betraf, ließ er nicht, wie andere Verwalter, fünfe gerade sein. Besonders in Zeiten wie diesen schauten sie schon mal weg, wenn die Männer auf Jagd gingen oder ein Teil des Obstes und Gemüses aus den Gärten der Herrschaft in den Töpfen der Pächterfrauen landete. Trevallion kämpfte um jede Karotte, jeden Apfel und jede Bohne vom Land seines Herrn, der eigentlich nur zur Ernte und zur Jagdsaison erschien. Die Menschen hassten ihn, und wenn sich ein Mädchen einem Mann wie ihm hingab, so geschah es sicher nicht aus Liebe, sondern nur aus Not.
»Oder hast du gar einen Galan hier auf den Feldern?«, fragte Trevallion jetzt mit tückischem Blinzeln. »Gibt es da etwas, das ich wissen müsste als Ohr und Auge des Herrn?«
Hochzeiten mussten vom Landlord genehmigt werden, und der hörte natürlich gern auf die Einflüsterungen Trevallions.
Kathleen würdigte auch diese Fragen keiner Antwort.
»Nun, ich denke, ich werde demnächst mal ein Wörtchen reden mit O'Donnell, dem Schneider ... «, bemerkte Trevallion noch, bevor er Kathleen endlich gehen ließ. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie er sich die Lippen leckte.
Kathleens Herz klopfte heftig. Der Kerl wollte nicht wirklich um sie werben? Ihr Vater sprach immer wieder von einer »guten Partie«, mit der Kathleen dank ihrer Schönheit ihr Glück machen würde, solange sie nur brav und tugendhaft auf den richtigen Mann wartete. Aber damit war doch nicht Trevallion gemeint? Bevor sie diesen Widerling heiraten würde, nähme sie den Schleier !
Kathleen blieb mit gesenktem Kopf am Wegrand stehen und ließ den Erntewagen und die Männer vorbei. Sie wusste, dass Michael sich bald unauffällig absetzen würde, und ging weiter, bis sie Schutz hinter den Steinmauern fand, die das frisch abgeerntete Feld einfassten. Das Mädchen begann, das Land auf vergessene Ähren abzusuchen.
Wie erwartet wurde Kathleen nicht fündig - Trevallion war gründlich. Sie verspürte glühende Wut auf den bösartigen kleinen Mann, als sie jetzt die ersten hungrigen Kinder vom Dorf zu den Feldern hinaufkommen sah. Alle würden versuchen, hier noch letzte Reste von Weizen zu finden, und alle würden enttäuscht werden.
In diesem Moment lachte Kathleen jedoch das Glück. Michael näherte sich, scheinbar ziellos schlendernd, dem Stoppelfeld. Er sah natürlich die Kinder und Frauen, weshalb er so tat, als bemerke er Kathleen nicht. Stattdessen winkte er ihr nur unmerklich zu, ihm zu folgen. Kathleen tat es unauffällig, sie wusste ohnehin, wohin er sie führte.
Ihr Schlupfwinkel war eine winzige Bucht, unterhalb der Siedlung bei den Feldern am Fluss. Hier stand hoch das Schilf am Ufer, und eine mächtige Weide ließ ihre Äste ins Wasser hängen. Sie schützten den kleinen Strand vor neugierigen Blicken vom Wasser aus, wie das Schilf die Verliebten von Land aus versteckte. Kathleen wusste, dass es Sünde war, sich hier mit einem jungen Mann zu treffen - dazu mit einem, den James O'Donnell gar nicht billigte, obwohl er so schöne Worte sprechen konnte. Aber irgendetwas in ihr bestand darauf, es trotzdem zu tun. Irgendetwas wollte den freudlosen Tagen der Arbeit im Herrenhaus und der abendlichen und in der letzten Zeit zudem vergeblichen Schufterei auf dem Land ihres Vaters ein bisschen Glück abringen ...
Michael saß rittlings auf einem niedrigen Ast des freundlichen Baumes, als Kathleen eintraf. Seine Augen leuchteten bei ihrem Anblick auf. Er löste sich mit geschmeidigen Bewegungen von seinem erhöhten Sitz.
»Das süßeste Mädchen Irlands - und es gehört nur mir !«, rief er bewundernd mit seiner weichen Stimme. »Man preist die irischen Rosen, aber nur wer die Lilien kennt, kann ermessen, was Schönheit ist !«
Kathleen errötete und senkte den Blick, aber Michael griff nach ihren Händen und küsste sie. Er zog sie an sein Herz und damit auch das Mädchen näher zu sich. Sehr vorsichtig und sehr zärtlich küsste er seine Stirn und wartete, bis es ihm letztlich auch die Lippen bot. Michael legte sanft seine Arme um Kathleen.
»Vorsichtig !«, wisperte sie nervös. »Du ... ich hab was mitgebracht, und ich will nicht, dass du es zerdrückst !«
Bevor Michael sie an sich pressen konnte, nestelte sie die Teekuchen aus der Tasche ihres Kleides, dazu das Marmeladenglas. Der junge Mann, heißhungrig nach der schweren Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, musterte das Gebäck mit begehrlichen Blicken. Aber Michael Drury war nicht gierig. Er ließ sich Zeit mit Genüssen aller Art und deponierte die Leckerei zunächst auf einem großen Blatt in einer Astgabel der Weide. Dann fuhr er fort, Kathleen zu küssen, langsam, vorsichtig.
Kathleen hatte nie Angst vor ihm gehabt. Die Wisperei der anderen Mädchen, die teilweise schon verlobt waren und sich vor der Hochzeitsnacht fürchteten, verstand sie nicht. Michael, darauf vertraute sie fest, würde ihr niemals wehtun. Auch jetzt verlor sie sich kurze Zeit in seiner Umarmung, seinem erdigen Geruch nach der Arbeit auf dem Feld, seiner kühlen Haut, auf der sein Schweiß schon getrocknet war. Aber dann löste sich Michael. Eindringlich schaute er auf Kathleens gestohlene Scones.
»Das riecht gut !«, seufzte er.
Sie lächelte und war plötzlich gar nicht mehr so hungrig. »Du riechst gut !«, flüsterte sie.
Michael schüttelte lachend den Kopf. »Weit gefehlt, meine Liebste, ich stinke ! Und ich denke, ich sollte mich waschen, bevor du mich wie einen Gentleman zum Tee bittest ... «
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Autoren-Porträt von Sarah Lark
Sarah Lark, geb. 1958, studierte Psychologie und promovierte über das Thema 'agträume'. Nebenbei arbeitete sie lange Jahre als Reiseleiterin. Schon immer war sie fasziniert von den Sehnsuchtsorten dieser Erde. Ihre fesselnden Neuseelandromane fanden sofort ein großes Lesepublikum und sind Dauerbrenner auf der Bestsellerliste. Sarah Lark ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Schriftstellerin. Sie lebt in Spanien. Unter dem Autorennamen Ricarda Jordan entführt sie ihre Leser auch ins farbenprächtige Mittelalter.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sarah Lark
- 2011, 5. Aufl., 736 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 340416590X
- ISBN-13: 9783404165902
- Erscheinungsdatum: 07.11.2011
Kommentar zu "Das Gold der Maori / Kauri Trilogie Bd.1"