Das Hörgerät im Azaleentopf
Das Alter hat zwar so seine Tücken. Dennoch sind die Vorteile nicht zu verleugnen. Das findet zumindest die mittlerweile 87-jährige Autorin. Heitere und mit bissigem Witz garnierte Geschichten über das Alter.
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Produktinformationen zu „Das Hörgerät im Azaleentopf “
Das Alter hat zwar so seine Tücken. Dennoch sind die Vorteile nicht zu verleugnen. Das findet zumindest die mittlerweile 87-jährige Autorin. Heitere und mit bissigem Witz garnierte Geschichten über das Alter.
Klappentext zu „Das Hörgerät im Azaleentopf “
Die betagte Autorin erzählt, wie es wirklich ist, nicht mehr die Jüngste zu sein. Denn auch wenn die Gesellschaft nur ein Ziel zu kennen scheint - so alt wie Methusalem zu werden - hat das Alter doch so seine Tücken ...
Lese-Probe zu „Das Hörgerät im Azaleentopf “
Das Hörgerät im Azaleentopf von Ilse Gräfin Von BredowAltes Eisen
Ab wann gehört man eigentlich dazu? Als Berufstätiger
in manchen Branchen schon ab fünfzig,
und bei der Agentur für Arbeit wird man
bereits mit vierzig als schwer vermittelbar eingestuft.
Allerdings sind für die Wirtschaft auch
die älteren Jahrgänge, solange sie fleißig konsumieren,
noch einigermaßen rentabel. Aber wenn
unsere Politiker mit einer stetig anwachsenden
Zahl von Mitbürgern zwischen achtzig und
hundert konfrontiert werden, möchten sie sich
am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und
murmeln: »O Gott, die Kosten, die Kosten!«
Und unser durchaus die Macht genießender Altbundespräsident,
selbst nicht mehr der Jüngste,
finanziell gut gepolstert und mit jungem Glück
an seiner Seite, sieht das Problem hoch politisch
und spricht wie gewohnt markig aus, was für
ihn Sache ist: »In unserer Demokratie bekommen
die Alten zu viel Macht.«
Eins lässt sich jedenfalls zum Thema Alter sa-
gen: Es kommt früher, als man denkt, und später,
als man glaubt. Letzteres gilt allerdings
überwiegend für die Herren, besonders die in
meinem Alter, die bekannterweise kriegsbedingt
in der Minderzahl sind.
... mehr
Bei diesem Thema fällt mir jedes Mal die Geschichte
eines Wildkaninchenforschers ein, in
der ein Karnickelbock die Hauptrolle spielte.
Dieses Tier war, wie man heute sagen würde, ein
Loser. Seine Mutter hatte ihm, aus welchen
Gründen auch immer, ein Ohr abgeknabbert,
und auf einem Auge war er blind. Ausgeschlossen
von der Karnickelgemeinschaft kümmerte
er traurig vor sich hin und war so ängstlich, dass
er bereits vor Entsetzen quäkte, wenn ihm eine
Kastanie auf den Rücken fiel. Doch dann kam
für ihn die große Stunde: Eine Seuche dezimierte
den Karnickelstamm auf ein Minimum
und raffte vor allem die Karnickelmännchen dahin.
Übrig blieb ein Häufchen klein, und der sich
bereits jenseits der besten Jahre befindliche Loser
wurde plötzlich von den Damen umworben,
und man machte ihm respektvoll Platz, wenn er
auf eine Stelle saftigen Grases mehr zuhumpelte
als hoppelte, denn inzwischen war ihm auch
noch ein Bein verloren gegangen.
Wie man sieht, haben also Männer, häufiger
als Frauen, bis ins hohe Alter noch eine Chance,
dem »alten Eisen« mit einer neuen Partnerin zu
entkommen, wie es sich gelegentlich ja auch in
den Seniorenheimen zeigt. Da ist der Mann noch
was wert und leidet eher unter allzu großer
weiblicher Fürsorge. Etwas, was für uns alte
Frauen umgekehrt weniger zu befürchten ist.
Und so ist auch nur die Meldung »Neunundneunzigjährige
heiratet Fünfundsechzigjährigen
« in den Medien eine Schlagzeile wert.
Aber ob männlich oder weiblich, eins haben
wir im Alter gemeinsam: Wir fühlen uns schnell
unzufrieden und immer »irgendwie«: »Irgendwie
klappt das alles nicht mehr so« - »Irgendwie
habe ich das Gefühl, ich müsste mal zum Arzt.«
Jetzt bestimmt der Körper das Tempo, und das
nach Lust und Laune. Man sollte ihn also möglichst
nicht dazu treiben, Dinge zu tun, die schon
einem Dreißigjährigen schwerfallen, wie hohe
Berge zu bezwingen oder an einem Marathonlauf
teilzunehmen.
Wann eigentlich gehört man denn nun wirklich
zum alten Eisen? Hier einige nicht immer ganz
ernst gemeinte Hinweise. Man gehört dazu,
-
wenn einen die Bauarbeiter nicht mehr mit
Mädchen, sondern mit junge Frau anreden;
-
wenn man aufsteht und der Tag ist rum;
-
wenn im Bus junge Leute nicht - wie üblich -
angestrengt aus dem Fenster sehen, während
man einen Platz sucht, und sich schließlich
nur einer von ihnen zögernd erhebt, sondern
nun gleich ein halbes Dutzend;
-
wenn der Tischherr sich freundlich anbietet,
einem das Fleisch zu schneiden;
-
wenn unsere alltäglichen wie sonstigen Tätigkeiten
als »Beschäftigung« oder »Aufgabe«
bezeichnet werden;
-
wenn junge Frauen einem nicht nur in den
Mantel helfen, sondern ihn auch fürsorglich
zuknöpfen;
-
wenn freundliche Menschen an der Ampel
auf das Männchen zeigen und einem »grün!
grün!« zurufen;
-
wenn einen beim Spaziergang stürmische
Läufer weiträumig überholen und Hundebesitzer
ihre Tiere vorsorglich kurz an der Leine
halten, damit sie einen nicht anspringen, denn
ein Sturz in unserem Alter kann teuer werden;
-
wenn der Arzt auf die Frage nach dem Grund
der Beschwerden ausweichend antwortet:
»Nun ja, hier und da gibt es kleine Verschleißerscheinungen,
aber im Großen und Ganzen
sind Sie noch sehr gut beisammen«, und, ehe
man eine weitere Frage stellen kann, aufsteht
und bei der Verabschiedung beiläufig sagt:
»Wir sehen uns dann im nächsten Quartal
wieder«;
-
wenn der Bankberater nur die Achseln zuckt
und einem den von seiner Bank doch überall
so angepriesenen Kredit verweigert;
-
wenn man es nicht mehr schafft, den Knopf
für die Dusche herunterzudrücken und sich
mit jedem Marmeladenglas und sonstigem
fest Verschraubten hilfesuchend an den Nachbarn
wenden muss;
-
wenn man dem Vertrauensarzt der Pflegeversicherung
gegenüber beteuert, man sei putzmunter,
ungeachtet der flehentlichen Blicke
der Familie, die jeden Tag erlebt, dass man
schon längst nicht mehr ohne Hilfe aus dem
Bett und ins Badezimmer kommt;
-
wenn man immer wieder mit verschwörerischer
Miene Geheimnisse ausplaudert, die
schon jeder in der Familie auswendig kennt;
-
wenn man anfängt, von der alten, so romanti-
schen ersten Liebe ein bisschen zu viel herzumachen;
-
wenn der berühmte Professor, nun längst im
Ruhestand, bei einem Empfang einem jungen
Kollegen die Wichtigkeit der Zuckerrübe im
Mittelalter erklärt und feststellen muss, dass
dieser inzwischen längst - das Handy am
Ohr - einer ganz anderen Stimme lauscht;
-
wenn man im Hotel größeren Wert auf eine
gute Matratze und Bequemlichkeit im sanitären
Bereich legt als auf die Aussicht;
-
wenn man sich trotz fortgeschrittenen Alters
in der Öffentlichkeit allzu leicht bekleidet
zeigt, mit tiefem Ausschnitt oder in Pfadfinderhosen;
-
wenn man das Wort »früher« zu oft in den
Mund nimmt, was noch halbwegs gestattet
ist, solange es sich um das Wetter handelt;
-
wenn im Briefkasten immer häufiger Angebote
von Sterbegeldversicherungen landen
mit dem Foto eines freundlichen älteren
Herrn und den Worten »Ich regle alles selbst.
Auch meine letzten Dinge«;
-
wenn man neuerdings Anzeigentexte wie
»Harndrang sehe ich gelassen«, Werbungen
für Treppenlifte oder Fragen wie »Spüren Sie
Ihre Gelenke? Haben Sie quälende Schmerzen
im Knie?« interessiert liest und die Augen an
dem Satz »Was das Gehirn zum Denken
bringt« haften bleiben;
-
wenn das Pröbchen aus der Apotheke nicht
mehr für die reife Haut ist, sondern etwas
Stärkendes für die Venen;
-
wenn man sich besonders kameradschaftlich
zeigen will und dem peinlich berührten fünfzehnjährigen
Enkel mit den Worten »Echt
geil, Kumpel« in die Seite knufft;
-
wenn man zur Themenwoche im Fernsehen
wird.
Es ist tröstlich zu wissen, dass Kinder und Alte
oft in einem Boot sitzen. Beide werden den hohen
Anforderungen, die man an sie stellt, häufig
nicht gerecht. Der kleine Wonneproppen, bereits
vor dem Besuch des Kindergartens in der Lage,
bis hundert zu zählen, wird, kaum eingeschult,
sehr schnell das Schlusslicht der Klasse. Und das
inzwischen zum Großvater avancierte Familienmitglied
zeigt sich zum allgemeinen Entsetzen
nicht seinem Alter gemäß von der gütigen, verständnisvollen,
alles verzeihenden Seite, sondern
wird ein notorischer Nörgler. Der Schulversager
hat allerdings durchaus noch die Möglichkeit, im
Laufe seines Lebens rasant durchzustarten, der
Großvater leider kaum.
Bei den Fernsehsendern hat man eine andere
Gemeinsamkeit der beiden Altersgruppen erkannt,
nämlich ihre Unberechenbarkeit, und
man ist deshalb bemüht, bei der Wahl der kleinen
oder uralten Studiogäste sehr überlegt vorzugehen,
was nicht immer den gewünschten Erfolg
hat. So kann es passieren, dass das kleine
Mädchen, das so brav und lieb schien, vom Moderator
- zur Enttäuschung seiner Altersgenossinnen
und deren Mütter - ans Mikrofon geholt
wird und plötzlich unter den verzückten Blicken
der Mutter die Idee hat, seine Lieblingssängerin
mit piepsiger Stimme und wilden Verrenkungen
zu imitieren, ohne dass es dem armen Mann
gelingt, sie zu stoppen. Oder die Urgroßmutter,
die so munter und vernünftig und dabei noch
leicht lenkbar wirkte, missachtet plötzlich alle
Spielregeln der Political Correctness und ist gar
nicht mehr wegzubekommen von der herrlichen
KdF-Reise kurz vor dem Krieg, bei der sie ihre
erste Liebe kennenlernte, die ihr vom Fronturlaub
diese wertvolle, bis heute von ihr getragene,
goldene Armbanduhr aus Frankreich mitbrachte.
Der Moderator erstarrt, und das Wort »Beutegut
« geistert durch sein Gehirn. Das könnte Ärger
geben.
Aber das Alter hat auch seine Vorteile, abgesehen
davon, dass das Heer von Rentnern sich
nicht nur, wie ihm gern nachgesagt wird, ständig
auf Reisen befindet oder auf Mallorca ein
zweites, wildes Leben führt, sondern noch
durchaus bereit ist, nach besten Kräften das
Bruttosozialprodukt zu fördern, schon allein der
Enkel und Urenkel wegen, die es ja grundsätzlich
besser haben sollen als man selbst. Eine Einstellung,
die von den Eltern wohlwollend gefördert
wird - »Was sich dein Enkel zum Geburtstag
wünscht? Schenk ihm doch ein Handy« - und
uns bei den Kindern sehr beliebt macht.
Ein ganz besonderer Vorteil ist, dass wir Alten
tun und lassen können, was wir wollen. Wir
können mittags frühstücken oder um sieben
aufstehen, wir können im Bett bleiben oder spazieren
gehen. Die Pflichten, die wir haben, suchen
wir uns selbst aus. Besonders angenehm ist
es, dass man ab einem bestimmten Alter nicht
mehr wegen seiner Unbildung belächelt wird.
Für unseren Gedächtnisschwund zeigt die Um-
welt großes Verständnis. Er ist ein Alibi für alles,
und nur wir selbst wissen, dass wir manches
nie begriffen oder auch nur gewusst haben, wie
etwa den Lehrsatz des Pythagoras oder die Prozentrechnung.
Und es genügt völlig, wenn man,
versonnen vor sich hinnickend, sagt: Ja, ja, die
Akropolis, überhaupt ein wundervolles Land,
dieses Spanien.
Auch alle Ausreden, die man jungen Menschen
nicht gestattet - wie: Ich bin in den falschen
Bus gestiegen, meine Uhr ist stehen geblieben,
ich hab die Zeit verschlafen, ich hab die
Haustürklingel nicht gehört, ich hab ganz vergessen,
dass du mich besuchen wolltest -, werden
akzeptiert, wenn auch mit etwas säuerlicher
Freundlichkeit.
Überdies wird uns heutzutage, wenn uns der
Sinn danach steht, eine Menge Abwechslung
angeboten: Seniorengymnastik, Englischkurse,
offenes Singen, Gesprächskreis, Sonntagskaffee,
bei dem die Senioren das Tanzbein schwingen.
Wir können mit anderen Skat, Rommé oder Canasta
spielen, uns der Esoterik hingeben, mit
Gruppen Gleichaltriger unter dem Motto: »Was
piept denn da?«, an Führungen durch Wald und
Flur teilnehmen, Vorträgen über den Selbst-
schutz vor kriminellen Elementen lauschen, die
Universität besuchen und vor den Wahlen mit
Prominenten schwatzen. Solche Angebote, die
den Senioren helfen sollen, die Langeweile zu
vertreiben, sind nicht nur den Großstädten vorbehalten,
es gibt sie, wenn auch nicht ganz so
üppig, ebenso auf dem Lande.
Unsere Großeltern dagegen kannten Anregung
dieser Art kaum. Die Großmutter vertrieb
sich die langen Winterabende mit Stricken, Häkeln,
Flicken und Stopfen, und der Großvater
war ständig am Reparieren - den wackligen
Tisch, den kippeligen Stuhl, die quietschende
Tür, den losen Stiel der Axt. Wir Alten heute
haben außer den vielfältigen Möglichkeiten, außerhalb
unserer vier Wände Abwechslung zu
finden, zu Hause auch noch Radio und Fernsehen
zur Unterhaltung, sind also sehr viel besser
dran.
Der achtzigjährige Senior sieht gerade die Tagesschau
und erfährt, dass sich fünfundfünfzig
Prozent der Dreißig- bis Vierzigjährigen ernste
Gedanken über ihre Altersversorgung machen
und fast schon um ihre Renten bangen. Er
schmunzelt. »Die mit ihren ewigen Prozenten
und Meinungsumfragen«, denkt er. In seiner
Generation war die Lebenserwartung oft nur
von einem Tag zum anderen berechenbar, und
jetzt kraucht er immer noch hier auf der Erde
herum, auch noch allein, denn seine Frau ist vor
einem Jahr gestorben. Wie häufig in letzter Zeit
kommt er ins Grübeln. Einerseits liest er nach
wie vor gern schaurige Kriminalromane und ist
mehr gelangweilt als geschockt, wenn es in
Fernsehfilmen nur so explodiert, Autos zusammenrasseln
oder Häuser einstürzen. Andererseits
genügt ein Geräusch, ein Geruch oder eine
Stimme, um schreckliche Kriegserlebnisse wieder
lebendig werden zu lassen. Ihm wird wie so
oft »irgendwie« zumute, und er fühlt sich sehr
allein. Er greift zum Telefon, wählt eine Nummer
und sagt, als sich eine Stimme meldet: »Oliver,
wie wär's, wenn du mich am Wochenende
besuchst, nur wir Männer unter uns? Du kannst
dir wünschen, was wir machen wollen.« Und der
achtjährige Enkel, der seine Eltern gerade mal
wieder total uncool findet, sagt begeistert:
»Klasse, Opi.«
Bei diesem Thema fällt mir jedes Mal die Geschichte
eines Wildkaninchenforschers ein, in
der ein Karnickelbock die Hauptrolle spielte.
Dieses Tier war, wie man heute sagen würde, ein
Loser. Seine Mutter hatte ihm, aus welchen
Gründen auch immer, ein Ohr abgeknabbert,
und auf einem Auge war er blind. Ausgeschlossen
von der Karnickelgemeinschaft kümmerte
er traurig vor sich hin und war so ängstlich, dass
er bereits vor Entsetzen quäkte, wenn ihm eine
Kastanie auf den Rücken fiel. Doch dann kam
für ihn die große Stunde: Eine Seuche dezimierte
den Karnickelstamm auf ein Minimum
und raffte vor allem die Karnickelmännchen dahin.
Übrig blieb ein Häufchen klein, und der sich
bereits jenseits der besten Jahre befindliche Loser
wurde plötzlich von den Damen umworben,
und man machte ihm respektvoll Platz, wenn er
auf eine Stelle saftigen Grases mehr zuhumpelte
als hoppelte, denn inzwischen war ihm auch
noch ein Bein verloren gegangen.
Wie man sieht, haben also Männer, häufiger
als Frauen, bis ins hohe Alter noch eine Chance,
dem »alten Eisen« mit einer neuen Partnerin zu
entkommen, wie es sich gelegentlich ja auch in
den Seniorenheimen zeigt. Da ist der Mann noch
was wert und leidet eher unter allzu großer
weiblicher Fürsorge. Etwas, was für uns alte
Frauen umgekehrt weniger zu befürchten ist.
Und so ist auch nur die Meldung »Neunundneunzigjährige
heiratet Fünfundsechzigjährigen
« in den Medien eine Schlagzeile wert.
Aber ob männlich oder weiblich, eins haben
wir im Alter gemeinsam: Wir fühlen uns schnell
unzufrieden und immer »irgendwie«: »Irgendwie
klappt das alles nicht mehr so« - »Irgendwie
habe ich das Gefühl, ich müsste mal zum Arzt.«
Jetzt bestimmt der Körper das Tempo, und das
nach Lust und Laune. Man sollte ihn also möglichst
nicht dazu treiben, Dinge zu tun, die schon
einem Dreißigjährigen schwerfallen, wie hohe
Berge zu bezwingen oder an einem Marathonlauf
teilzunehmen.
Wann eigentlich gehört man denn nun wirklich
zum alten Eisen? Hier einige nicht immer ganz
ernst gemeinte Hinweise. Man gehört dazu,
-
wenn einen die Bauarbeiter nicht mehr mit
Mädchen, sondern mit junge Frau anreden;
-
wenn man aufsteht und der Tag ist rum;
-
wenn im Bus junge Leute nicht - wie üblich -
angestrengt aus dem Fenster sehen, während
man einen Platz sucht, und sich schließlich
nur einer von ihnen zögernd erhebt, sondern
nun gleich ein halbes Dutzend;
-
wenn der Tischherr sich freundlich anbietet,
einem das Fleisch zu schneiden;
-
wenn unsere alltäglichen wie sonstigen Tätigkeiten
als »Beschäftigung« oder »Aufgabe«
bezeichnet werden;
-
wenn junge Frauen einem nicht nur in den
Mantel helfen, sondern ihn auch fürsorglich
zuknöpfen;
-
wenn freundliche Menschen an der Ampel
auf das Männchen zeigen und einem »grün!
grün!« zurufen;
-
wenn einen beim Spaziergang stürmische
Läufer weiträumig überholen und Hundebesitzer
ihre Tiere vorsorglich kurz an der Leine
halten, damit sie einen nicht anspringen, denn
ein Sturz in unserem Alter kann teuer werden;
-
wenn der Arzt auf die Frage nach dem Grund
der Beschwerden ausweichend antwortet:
»Nun ja, hier und da gibt es kleine Verschleißerscheinungen,
aber im Großen und Ganzen
sind Sie noch sehr gut beisammen«, und, ehe
man eine weitere Frage stellen kann, aufsteht
und bei der Verabschiedung beiläufig sagt:
»Wir sehen uns dann im nächsten Quartal
wieder«;
-
wenn der Bankberater nur die Achseln zuckt
und einem den von seiner Bank doch überall
so angepriesenen Kredit verweigert;
-
wenn man es nicht mehr schafft, den Knopf
für die Dusche herunterzudrücken und sich
mit jedem Marmeladenglas und sonstigem
fest Verschraubten hilfesuchend an den Nachbarn
wenden muss;
-
wenn man dem Vertrauensarzt der Pflegeversicherung
gegenüber beteuert, man sei putzmunter,
ungeachtet der flehentlichen Blicke
der Familie, die jeden Tag erlebt, dass man
schon längst nicht mehr ohne Hilfe aus dem
Bett und ins Badezimmer kommt;
-
wenn man immer wieder mit verschwörerischer
Miene Geheimnisse ausplaudert, die
schon jeder in der Familie auswendig kennt;
-
wenn man anfängt, von der alten, so romanti-
schen ersten Liebe ein bisschen zu viel herzumachen;
-
wenn der berühmte Professor, nun längst im
Ruhestand, bei einem Empfang einem jungen
Kollegen die Wichtigkeit der Zuckerrübe im
Mittelalter erklärt und feststellen muss, dass
dieser inzwischen längst - das Handy am
Ohr - einer ganz anderen Stimme lauscht;
-
wenn man im Hotel größeren Wert auf eine
gute Matratze und Bequemlichkeit im sanitären
Bereich legt als auf die Aussicht;
-
wenn man sich trotz fortgeschrittenen Alters
in der Öffentlichkeit allzu leicht bekleidet
zeigt, mit tiefem Ausschnitt oder in Pfadfinderhosen;
-
wenn man das Wort »früher« zu oft in den
Mund nimmt, was noch halbwegs gestattet
ist, solange es sich um das Wetter handelt;
-
wenn im Briefkasten immer häufiger Angebote
von Sterbegeldversicherungen landen
mit dem Foto eines freundlichen älteren
Herrn und den Worten »Ich regle alles selbst.
Auch meine letzten Dinge«;
-
wenn man neuerdings Anzeigentexte wie
»Harndrang sehe ich gelassen«, Werbungen
für Treppenlifte oder Fragen wie »Spüren Sie
Ihre Gelenke? Haben Sie quälende Schmerzen
im Knie?« interessiert liest und die Augen an
dem Satz »Was das Gehirn zum Denken
bringt« haften bleiben;
-
wenn das Pröbchen aus der Apotheke nicht
mehr für die reife Haut ist, sondern etwas
Stärkendes für die Venen;
-
wenn man sich besonders kameradschaftlich
zeigen will und dem peinlich berührten fünfzehnjährigen
Enkel mit den Worten »Echt
geil, Kumpel« in die Seite knufft;
-
wenn man zur Themenwoche im Fernsehen
wird.
Es ist tröstlich zu wissen, dass Kinder und Alte
oft in einem Boot sitzen. Beide werden den hohen
Anforderungen, die man an sie stellt, häufig
nicht gerecht. Der kleine Wonneproppen, bereits
vor dem Besuch des Kindergartens in der Lage,
bis hundert zu zählen, wird, kaum eingeschult,
sehr schnell das Schlusslicht der Klasse. Und das
inzwischen zum Großvater avancierte Familienmitglied
zeigt sich zum allgemeinen Entsetzen
nicht seinem Alter gemäß von der gütigen, verständnisvollen,
alles verzeihenden Seite, sondern
wird ein notorischer Nörgler. Der Schulversager
hat allerdings durchaus noch die Möglichkeit, im
Laufe seines Lebens rasant durchzustarten, der
Großvater leider kaum.
Bei den Fernsehsendern hat man eine andere
Gemeinsamkeit der beiden Altersgruppen erkannt,
nämlich ihre Unberechenbarkeit, und
man ist deshalb bemüht, bei der Wahl der kleinen
oder uralten Studiogäste sehr überlegt vorzugehen,
was nicht immer den gewünschten Erfolg
hat. So kann es passieren, dass das kleine
Mädchen, das so brav und lieb schien, vom Moderator
- zur Enttäuschung seiner Altersgenossinnen
und deren Mütter - ans Mikrofon geholt
wird und plötzlich unter den verzückten Blicken
der Mutter die Idee hat, seine Lieblingssängerin
mit piepsiger Stimme und wilden Verrenkungen
zu imitieren, ohne dass es dem armen Mann
gelingt, sie zu stoppen. Oder die Urgroßmutter,
die so munter und vernünftig und dabei noch
leicht lenkbar wirkte, missachtet plötzlich alle
Spielregeln der Political Correctness und ist gar
nicht mehr wegzubekommen von der herrlichen
KdF-Reise kurz vor dem Krieg, bei der sie ihre
erste Liebe kennenlernte, die ihr vom Fronturlaub
diese wertvolle, bis heute von ihr getragene,
goldene Armbanduhr aus Frankreich mitbrachte.
Der Moderator erstarrt, und das Wort »Beutegut
« geistert durch sein Gehirn. Das könnte Ärger
geben.
Aber das Alter hat auch seine Vorteile, abgesehen
davon, dass das Heer von Rentnern sich
nicht nur, wie ihm gern nachgesagt wird, ständig
auf Reisen befindet oder auf Mallorca ein
zweites, wildes Leben führt, sondern noch
durchaus bereit ist, nach besten Kräften das
Bruttosozialprodukt zu fördern, schon allein der
Enkel und Urenkel wegen, die es ja grundsätzlich
besser haben sollen als man selbst. Eine Einstellung,
die von den Eltern wohlwollend gefördert
wird - »Was sich dein Enkel zum Geburtstag
wünscht? Schenk ihm doch ein Handy« - und
uns bei den Kindern sehr beliebt macht.
Ein ganz besonderer Vorteil ist, dass wir Alten
tun und lassen können, was wir wollen. Wir
können mittags frühstücken oder um sieben
aufstehen, wir können im Bett bleiben oder spazieren
gehen. Die Pflichten, die wir haben, suchen
wir uns selbst aus. Besonders angenehm ist
es, dass man ab einem bestimmten Alter nicht
mehr wegen seiner Unbildung belächelt wird.
Für unseren Gedächtnisschwund zeigt die Um-
welt großes Verständnis. Er ist ein Alibi für alles,
und nur wir selbst wissen, dass wir manches
nie begriffen oder auch nur gewusst haben, wie
etwa den Lehrsatz des Pythagoras oder die Prozentrechnung.
Und es genügt völlig, wenn man,
versonnen vor sich hinnickend, sagt: Ja, ja, die
Akropolis, überhaupt ein wundervolles Land,
dieses Spanien.
Auch alle Ausreden, die man jungen Menschen
nicht gestattet - wie: Ich bin in den falschen
Bus gestiegen, meine Uhr ist stehen geblieben,
ich hab die Zeit verschlafen, ich hab die
Haustürklingel nicht gehört, ich hab ganz vergessen,
dass du mich besuchen wolltest -, werden
akzeptiert, wenn auch mit etwas säuerlicher
Freundlichkeit.
Überdies wird uns heutzutage, wenn uns der
Sinn danach steht, eine Menge Abwechslung
angeboten: Seniorengymnastik, Englischkurse,
offenes Singen, Gesprächskreis, Sonntagskaffee,
bei dem die Senioren das Tanzbein schwingen.
Wir können mit anderen Skat, Rommé oder Canasta
spielen, uns der Esoterik hingeben, mit
Gruppen Gleichaltriger unter dem Motto: »Was
piept denn da?«, an Führungen durch Wald und
Flur teilnehmen, Vorträgen über den Selbst-
schutz vor kriminellen Elementen lauschen, die
Universität besuchen und vor den Wahlen mit
Prominenten schwatzen. Solche Angebote, die
den Senioren helfen sollen, die Langeweile zu
vertreiben, sind nicht nur den Großstädten vorbehalten,
es gibt sie, wenn auch nicht ganz so
üppig, ebenso auf dem Lande.
Unsere Großeltern dagegen kannten Anregung
dieser Art kaum. Die Großmutter vertrieb
sich die langen Winterabende mit Stricken, Häkeln,
Flicken und Stopfen, und der Großvater
war ständig am Reparieren - den wackligen
Tisch, den kippeligen Stuhl, die quietschende
Tür, den losen Stiel der Axt. Wir Alten heute
haben außer den vielfältigen Möglichkeiten, außerhalb
unserer vier Wände Abwechslung zu
finden, zu Hause auch noch Radio und Fernsehen
zur Unterhaltung, sind also sehr viel besser
dran.
Der achtzigjährige Senior sieht gerade die Tagesschau
und erfährt, dass sich fünfundfünfzig
Prozent der Dreißig- bis Vierzigjährigen ernste
Gedanken über ihre Altersversorgung machen
und fast schon um ihre Renten bangen. Er
schmunzelt. »Die mit ihren ewigen Prozenten
und Meinungsumfragen«, denkt er. In seiner
Generation war die Lebenserwartung oft nur
von einem Tag zum anderen berechenbar, und
jetzt kraucht er immer noch hier auf der Erde
herum, auch noch allein, denn seine Frau ist vor
einem Jahr gestorben. Wie häufig in letzter Zeit
kommt er ins Grübeln. Einerseits liest er nach
wie vor gern schaurige Kriminalromane und ist
mehr gelangweilt als geschockt, wenn es in
Fernsehfilmen nur so explodiert, Autos zusammenrasseln
oder Häuser einstürzen. Andererseits
genügt ein Geräusch, ein Geruch oder eine
Stimme, um schreckliche Kriegserlebnisse wieder
lebendig werden zu lassen. Ihm wird wie so
oft »irgendwie« zumute, und er fühlt sich sehr
allein. Er greift zum Telefon, wählt eine Nummer
und sagt, als sich eine Stimme meldet: »Oliver,
wie wär's, wenn du mich am Wochenende
besuchst, nur wir Männer unter uns? Du kannst
dir wünschen, was wir machen wollen.« Und der
achtjährige Enkel, der seine Eltern gerade mal
wieder total uncool findet, sagt begeistert:
»Klasse, Opi.«
... weniger
Autoren-Porträt von Ilse Gräfin Von Bredow
Ilse Gräfin von Bredow wurde 1922 in Teichenau/Schlesien geboren. Sie wuchs im Forsthaus von Lochow in der märkischen Heide auf und besuchte später ein Internat. Während des Krieges war sie im Arbeitsdienst und musste Kriegshilfsdienst leisten. Seit Anfang der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts lebte Gräfin Bredow als Journalistin und Schriftstellerin in Hamburg und veröffentlichte zahlreiche erfolgreiche Bücher. Ilse Gräfin von Bredow verstarb im April 2014 in Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ilse Gräfin Von Bredow
- 2011, 9. Aufl., 224 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492259502
- ISBN-13: 9783492259507
- Erscheinungsdatum: 11.03.2011
Rezension zu „Das Hörgerät im Azaleentopf “
»Die Kunst, aus allem das Beste zu machen, beherrscht Ilse Gräfin von Bredow meisterlich. Ein vergnügliches Buch zum Schmökern.« Hörzu »Eine leichte, unprätentiöse und mit einem Augenzwinkern erzählte Geschichten.« Märkische Allgemeine »Amüsant und bissig. Hoher Wiedererkennungswert.« Cosmopolitan »Ein kluges, warmherziges Buch.« büchermenschen
Kommentar zu "Das Hörgerät im Azaleentopf"
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