Das Janusprojekt
gesuchten Naziverbrechers. Zu spät erkennt Bernie, dass er...
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gesuchten Naziverbrechers. Zu spät erkennt Bernie, dass er sich auf ein lebensgefährliches Unterfangen eingelassen hat. Denn die alten Machthaber sind noch immer aktiv und verfolgen ihre
eigenen Interessen. Bald sind für Bernie Gut und Böse, Freund und Feind nicht mehr zu unterscheiden...
München 1949: Von der Doppelmoral der Nachkriegszeit desillusioniert versucht sich Privatdetektiv Bernie Gunther als Gastwirt. Doch dann bittet ihn eine schöne Fremde um Hilfe. Der Auftrag führt Bernie auf die Spur eines gesuchten Naziverbrechers. Viel zu spät erkennt er, dass die alten Machthaber noch immer aktiv sind - und gefährlicher denn je.
"Exzellent! Kerrs Stil macht jede Seite zum Lesevergnügen." (Publishers Weekly)
Das Janusprojekt von Philipp Kerr
LESEPROBE
München, 1949
Wie waren nur einen Steinwurf vomehemaligen Konzentrationslager entfernt. Aber in der Anfahrtsbeschreibungerwähnten wir das möglichst nicht. Das Hotel im Osten des mittelalterlichenStädtchens Dachau lag in einer kopfsteingepflasterten, von Pappeln gesäumtenNebenstraße, vom einstigen KZ das jetzt ein Flüchtlingslager war durch den Würmkanal getrennt. Es war ein stattliches, dreistöckigesFachwerkhaus mit einem steilen, orangerot gedeckten Satteldach und einem umlaufendenBalkon, der von roten Geranien strotzte. Doch es hatte schon bessere Zeitengesehen. Seit erst die Nazis und dann die Internierten Dachau verlassenhatten, besuchte niemand mehr das Hotel außer vielleicht mal einBauingenieur, der daran mitwirkte, Teile eines KZs verschwinden zu lassen, indem ich selbst im Sommer 1936 für ein paar unangenehme Wochen inhaftiert gewesenwar. Die gewählten Vertreter des bayerischen Volkes sahen keine Veranlassung,die Überreste des Lagers für gegenwärtige oder zukünftige Besucher zuerhalten. Die meisten Einwohner der Stadt, darunter auch ich, waren dagegender Meinung, dass das Lager die einzige Möglichkeit war, irgendwie Geld nach Dachauzu locken. Doch die Chancen waren gering, solange die Gedenkkirche nicht gebautund ein Massengrab, in dem über fünftausend Menschen lagen, nicht einmalgekennzeichnet wurde. Die Besucher blieben weg, und trotz meiner Bemühungenmit den Geranien ging das Hotel langsam, aber sicher ein. Als der neuezweitürige Buick Roadmaster in unserer kleinen, gepflastertenEinfahrt hielt, dachte ich, die beiden Männer hätten sich verfahren und wolltennach dem Weg zu den Kasernen der Dritten US-Armee fragen, wenn auch schwervorstellbar war, wie man die verfehlen konnte.
Der Fahrer stieg aus, reckte sichwie ein Kind und blickte in die Luft, als wäre er überrascht, dass man an einemOrt wie Dachau die Vögel singen hörte. Der Beifahrer blieb sitzen, starrte sturgeradeaus und wünschte sich vermutlich woanders hin. Er hatte meine volleSympathie, und wenn ich so eine glänzend grüne Limousine gehabt hätte, wäreich mit Sicherheit weitergefahren. Keiner der beiden trug Uniform, aber der Fahrerwar deutlich besser gekleidet. Besser gekleidet, besser ernährt und überhauptin besserer körperlicher Verfassung, wie mir schien. Er federte die Steinstufenhinauf und durch die Eingangstür, als ob das Haus ihm gehörte, und ich nicktedem hutlosen, sonnengebräunten, bebrillten Mann höflich zu. Er hatte dasGesicht eines Schachgroßmeisters, der jeden möglichen Zug durchdacht hat, undwirkte überhaupt nicht so, als hätte er sich verfahren.
«Sind Sie der Besitzer?», fragte ernoch im Hereinkommen, ohne sich groß um eine passable deutsche Aussprache zubemühen oder mich auch nur anzusehen. Während er auf eine Antwort wartete,betrachtete er die Dekoration, die eine heimelige Atmosphäre schaffen sollte,was aber wohl nur funktionierte, wenn man mit einer Milchmagd hier nächtigte.Da waren Kuhglocken, Spinnräder, Hanfhecheln, Rechen, Wetzsteine und ein Holzfass,auf dem eine zwei Tage alte Süddeutsche Zeitung und eine antike Ausgabedes Münchener Stadtanzeigers lagen. An den Wänden hingen Aquarelle mitländlichen Szenen, noch aus Zeiten, da bessere Maler als Hitler nach Dachaugekommen waren. Es war alles miteinander so kitschig wie eine vergoldeteKuckucksuhr.
«Könnte man sagen», sagte ich.«Jedenfalls, solange meine Frau verhindert ist. Sie ist im Krankenhaus. InMünchen.»
«Hoffentlich nichts Ernstes», sagteder Amerikaner, der mich noch immer keines Blickes würdigte. Die Aquarelleschienen ihn mehr zu interessieren als der Gesundheitszustand meiner Frau.
«Ich nehme an, Sie suchen dieamerikanischen Kasernen beim ehemaligen KZ», sagte ich. «Sie sind abgebogen, woSie einfach hätten geradeaus fahren müssen, über die Kanalbrücke. Es ist keinehundert Meter von hier. Gleich hinter den Bäumen da.
Jetzt sah er mich an, mit derSpiellust einer Katze. «Pappeln, richtig?» Er bückte sich leicht, um durchsFenster in Richtung Lager zu schauen. «Ich wette, Sie sind froh über dieDinger. So merkt man doch kaum, dass da mal das Lager war, oder? Sehr nützlich.»
Ich überhörte den impliziten Vorwurfund trat zu ihm ans Fenster. «Und ich dachte, Sie hätten sich verfahren.»
«Nein, nein», sagte der Amerikaner.«Ich habe mich nicht verfahren. Ich wollte genau hierher. Falls das hier dasHotel Schröderbräu ist.»
«Es ist das Hotel Schröderbräu.»
«Dann sind wir richtig.» DerAmerikaner war etwa eins- siebzig groß und hatte ziemlich kleine Hände undFüße. Hemd, Schlips, Hose und Schuhe waren in verschiedenen Brauntönen gehalten,aber sein Jackett war aus hellem Tweed und gut geschnitten. Die goldene Rolex sagte mir, dass er in seiner Garage zu Hause inAmerika wahrscheinlich etwas Besseres als den Buick stehen hatte. «Ich brauchezwei Zimmer, für zwei Nächte», sagte er. «Für mich und meinen Freund draußen imWagen.»
«Dieses Hotel ist leider nicht fürAmerikaner zugelassen», sagte ich. «Ich könnte meine Lizenz verlieren.»
«Ich werde es keinem sagen», sagteer.
«Halten Sie mich bitte nicht fürunhöflich», probierte ich mein autodidaktisch erlerntes Englisch aus. «Aber umehrlich zu sein, wir sind kurz vor dem Zumachen. Das Hotel hier gehörte meinemverstorbenen Schwiegervater. Meine Frau und ich haben es weitergeführt, abermit wenig Erfolg. Aus naheliegenden Gründen. Undjetzt, wo sie krank ist ...» Ich zuckte die Achseln. «Wissen Sie, Sir, ich binkein großer Koch, und Sie sehen mir aus wie jemand, der gewisse Ansprüche hat.Sie wären mit einem anderen Hotel besser bedient. Vielleicht mit demZieglerbräu oder dem Hörhammer drüben am anderen Ende der Stadt. Die sind beidefür Amerikaner zugelassen. Und haben beide ausgezeichnete Restauration. Vorallem das Zieglerbräu.»
«Darf ich daraus schließen, dass Siehier im Moment keine anderen Gäste haben ?», fragteer, ohne meine Einwände oder meine Englischbemühungen irgendeiner Reaktion zuwürdigen. Seine deutsche Aussprache war zwar gleich null, aber seine Grammatikund sein Wortschatz ließen nichts zu wünschen übrig.
«Richtig», sagte ich. «Das Haus istleer. Wir stehen wie gesagt kurz vor der Schließung.»
«Ich frage nur, weil Sie immer<wir> sagen», sagte er. «Ihr Schwiegervater ist tot und Ihre Frau, wieSie sagen, im Krankenhaus. Aber Sie sprechen immer von <wir>. Als obhier noch jemand wäre.»
«Hoteliersgewohnheit»,sagte ich. «Hier ist niemand außer mir und meinem untadeligen Service.»
Der Amerikaner zog eineHalbliterflasche Roggenwhisky aus seiner Jacketttasche und präsentierte mir dasEtikett. «Würde Ihr untadeliger Service eventuell auch zwei saubere Gläser beinhalten ?»
«Zwei Gläser? Natürlich.» Ich konntemir nicht denken, was er wollte. Er sah wahrhaftig nicht so aus, als hätte ereinen Sonderpreis für zwei Zimmer nötig. Wenn da irgendetwas Faules an seinenblitzblanken Schuhen klebte, roch ich es noch nicht. Außerdem war an demEtikett auf der Whiskyflasche auch nichts auszusetzen. «Aber Ihr Freund draußenim Auto ? Will der nicht auch reinkommen?»
«Der? Ach, der trinkt nichts.»
Ich ging nach hinten ins Büro undholte zwei Gläser aus dem Schrank. Ehe ich ihn fragen konnte, ob er Wasser zuseinem Whisky wollte, hatte der Amerikaner schon beide Gläser randvollgegossen. Er hielt seins gegen das Licht und sagte langsam: «Wissen Sie, ichwollte, ich wüsste, an wen Sie mich erinnern.»
Ich überging es. So etwas konnte nurein Amerikaner oder Engländer sagen. In Deutschland wollte derzeit niemand anirgendetwas oder irgendjemanden erinnert werden. Das Privileg der Besiegten.
«Wird mir schon noch einfallen»,meinte er kopfschüttelnd. «Ich vergesse nie ein Gesicht. Aber das ist nicht sowichtig.» Er leerte sein Glas und schob es beiseite. Ich probierte meinen Whisky.Ich hatte recht gehabt, er war gut.
«Hören Sie», sagte er. «Ihr Hotelist für meine Zwecke genau das Richtige. Wie gesagt, ich brauche zwei Zimmerfür ein, zwei Nächte. Kommt drauf an. Auf jeden Fall habe ich Geld. Bargeld.»Er zog ein zusammengefaltetes Bündel nagelneuer D-Mark-Scheine aus derGesäßtasche, nahm die silberne Geldklammer ab und zählte fünf Zwanziger vormir auf den Empfangstresen. Das war etwa das Fünffache dessen, was zwei Zimmerfür zwei Nächte üblicherweise kosteten. «Geld, das etwas gegen zu viele Fragenhat.»
© Wunderlich Verlag
Übersetzung: Cornelia Holfelder-von der Tann
- Autor: Philip Kerr
- 2007, 1, 448 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Holfelder-von der Tann, Cornelia
- Übersetzer: Cornelia Holfelder-von der Tann
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805208456
- ISBN-13: 9783805208451
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