Das Pestkind
Roman
Rosenheim zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Marianne lebt und arbeitet in der Brauerei, die von der Witwe Hedwig geführt wird. Die Menschen sehen in Marianne eine Art Hexe, da sie einst die Pest überlebt hat. Dann liegt Hedwig plötzlich erschlagen auf...
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Produktinformationen zu „Das Pestkind “
Rosenheim zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Marianne lebt und arbeitet in der Brauerei, die von der Witwe Hedwig geführt wird. Die Menschen sehen in Marianne eine Art Hexe, da sie einst die Pest überlebt hat. Dann liegt Hedwig plötzlich erschlagen auf dem Hof und Marianne ahnt, wer der Mörder ist.
Klappentext zu „Das Pestkind “
Rosenheim zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Die junge Marianne lebt und arbeitet in der Brauerei, die von der Witwe Hedwig Thaler geführt wird. Die alte Frau hat Marianne bei sich aufgenommen und aufgezogen - doch das Mädchen hat von ihr nur böse Worte und Ungerechtigkeiten empfangen. Einzig der Pfarrer des Ortes begegnet Marianne freundlich und nimmt sie vor den Anfeindungen der Leute in Schutz: Diese sehen in ihr so etwas wie eine Hexe, da sie einst die Pest überlebt hat. Doch dann liegt eines Tages Hedwig Thaler erschlagen auf dem Hof - und nur Marianne ahnt, wer der Mörder ist ...
Lese-Probe zu „Das Pestkind “
Das Pestkind von Nicole Steyer Prolog
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Pfarrer Angerer hatte seinen Blick auf die Berge gerichtet, als er den schmalen Feldweg entlangging. Wieder einmal redete er sich ein, die mächtigen Gipfel würden ihm Sicherheit geben. Denn sie waren immer da, in ihrer Schönheit unvergänglich, und sie würden auch noch auf die Welt blicken, wenn es die Menschen nicht mehr gab. Rechts und links des Weges standen Leichenkarren, auf denen in Leinentücher gewickelte, namenlose Tote auf eine Beerdigung in einem Massengrab warteten. Auf einem der Karren saß eine weinende Frau, eine Kinderleiche im Arm. Der Pfarrer blieb stehen und musterte sie mitleidig. Anneliese Hoflechner zählte noch keine achtzehn Jahre. Erst vor zwei Jahren hatte er sie in seiner Kirche getraut. Glücklich war sie damals gewesen, die Wangen rund und gerötet, die blauen Augen strahlend. Jetzt wirkte sie wie ein anderer Mensch, das Gesicht blass und eingefallen, die verweinten Augen in tiefen Höhlen. Ihr Kleid war schmutzig und voller Löcher, ihr Haar strähnig und wirr. »Ach, Anneliese, es tut mir so leid für dich. Du solltest aber trotzdem vom Wagen herunterkommen. Der kleinen Luise kannst du nicht mehr helfen, denn sie ist schon längst bei Gott. Ich verspreche dir, sie in meine Gebete einzuschließen.« Er streckte ihr seine Hand hin und nickte aufmunternd. »Du wirst doch krank.« Die junge Frau sah den alten Pfarrer verstockt an. »Nein, ich gehe nirgendwohin. Sie braucht mich. Ich kann sie nicht einfach hier liegen lassen. Sie wollte doch nie allein sein. Sie schreit bestimmt, wenn ich fortgehe.« Traurig nickte der Geistliche. »Na, dann bleib noch ein wenig, damit das Kind nicht schreit.«
Seufzend setzte er seinen Weg fort. Ihm fehlten die Kraft und die Worte, um Anneliese zu erklären, dass ihr Kind nie wieder schreien würde. Wahrscheinlich war auch sie bereits krank, und nur Gott konnte ihr - konnte ihnen allen - jetzt noch helfen. Am Totenfeld angekommen, empfing ihn Ludwig, der Totengräber. Sein braungebranntes Gesicht war mit Erde verschmiert, seine Wangen waren leicht gerötet. Er begrüßte den Pfarrer mit einem Lächeln. »Guten Morgen, Hochwürden.« Ludwig, der den blonden Schopf und das mitfühlende Herz seiner Mutter geerbt hatte, wirkte gesund und kräftig. Keine Anzeichen von Erschöpfung oder gar Fieber waren zu erkennen. In Pfarrer Angerers Augen war dieser Mann ein Phänomen. Seit Wochen vergrub er Leichen, berührte jeden Tag den Schwarzen Tod und atmete verseuchte Luft ein, doch krank wurde er nicht. Viele andere, die hier draußen gearbeitet hatten, waren bereits dahingerafft worden. Aber er war jeden Tag hier, arbeitete bis zur Erschöpfung, spendete so manch Trauerndem Trost und betete für die Toten. »Und, wie sieht es heute aus?« Der Pfarrer blickte in die neu ausgehobene Leichengrube, in der bereits mehr als zwanzig Tote nebeneinanderlagen. »Wie immer.« Der Totengräber deutete hinter sich. »Heute ist auch vom Gutshof der Leitners ein Wagen gekommen. Alle sind tot. Nur ...« Ludwig stockte. »Was nur?« Pfarrer Angerer sah ihn erstaunt an. »Es fehlt jemand.« »Wie, es fehlt jemand?« »Ich habe doch oft auf dem Hof ausgeholfen. Im Stall und auf dem Feld. Nachdem Maria, Gott hab sie selig, letztes Jahr im Kindbett gestorben ist, wurden dort immer wieder helfende Hände gebraucht.«
Pfarrer Angerer sah den Totengräber ungeduldig an. »Ja und, weiter.« Ludwig deutete auf einen Leiterwagen am Wegrand. »Alle sind auf dem Karren. Sogar Alma, die Küchenmagd, hat es erwischt. Nur die kleine Marianne fehlt. Es war keine Kinderleiche darunter. Ich habe genau nachgesehen.« Verdutzt sah der Pfarrer den Totengräber an. »Vielleicht sollte noch mal jemand auf dem Hof nach dem Rechten sehen?« Ludwig kratzte sich am Kopf. »Am Ende lebt die Kleine noch.« Pfarrer Angerer seufzte. Viel Hoffnung, ein lebendes Kind zu finden, hatte er nicht. Doch das tote Mädchen dort seinem Schicksal überlassen, das wollte er auch nicht. Das Kind hatte es verdient, in geweihter Erde begraben zu werden. »Mit jemand bin dann wohl ich gemeint.« Ludwig grinste, griff erneut nach seiner Schaufel und begann, das Massengrab zuzuschaufeln. »Ich würde ja hingehen. Aber Ihr seht ja, was hier los ist.«
Der Gutshof der Leitners sah von weitem wie immer aus. Doch als der Pfarrer auf den Innenhof des weitläufigen Anwesens trat, war die Veränderung spürbar. Es war totenstill. Keine Hühner kamen ihm neugierig entgegengelaufen, keine Pferde oder Kühe standen auf den Weiden rund ums Haus, Staub tanzte, vom heißen Wind aufgewirbelt, über den Boden, und unter einem Holzkarren saßen zwei Katzen, die ihn misstrauisch musterten. Die Stille zeigte auf grausame Art und Weise den Tod. Pfarrer Angerer straffte die Schultern, ging auf das Haupthaus zu, öffnete die Tür und betrat den dämmrigen Flur. Die Luft war abgestanden, und es stank nach Erbrochenem, Exkrementen und verfaultem Essen. In der Stube befand sich niemand. Teller mit schimmeligen, vertrockneten Essensresten waren noch auf dem Tisch, unter dem ein Schuh lag. In einer Ecke neben der Ofenbank standen ein Spinnrad und ein Korb mit Wolle und Strickzeug. Der Pfarrer ging weiter. Die Küche war ebenfalls leer. Im Spülstein stapelten sich Tonteller und Becher, und der Ofen war erkaltet, ein Topf mit Eingebranntem darauf. Das Fenster war verschlossen, die Hintertür sogar verriegelt. Er wandte sich ab und stieg die Treppe nach oben, doch weder in den Schlafräumen des Gutsherrn noch in den Gesindekammern fand er das Mädchen. Er trat wieder auf den Hof, schloss die Tür hinter sich und ging in den leeren Stall. Herumliegender Dung und Mist erinnerten daran, dass hier einst Ziegen, Kühe und Schweine gestanden hatten. Kopfschüttelnd wandte sich der Pfarrer ab und wollte den Stall gerade wieder verlassen, da drang plötzlich ein seltsames Geräusch an sein Ohr, und er hielt inne. Ein Summen. Ganz leise nur, aber es war da. Er ging in die Mitte des Stalles und blickte sich um. Das Summen hörte nicht auf. Suchend schritt er durch den Stall und schaute in jeden Verschlag. Sein Blick blieb an einer schmalen Bretterwand hinter dem Schweinekoben hängen. Einige der Bretter waren schief. Neugierig trat er darauf zu und schob sie zur Seite. Sofort schlug ihm fürchterlicher Gestank entgegen. Eine Mischung aus Kot, Urin und süßlichem Früchteduft raubte ihm den Atem. Im Dämmerlicht entdeckte er Marianne, die ihn mit großen Augen ansah. Ihre Wangen waren, soweit er es bei dem schwachen Licht erkennen konnte, verschmiert, und ihre schwarzen Löckchen ringelten sich wirr um ihr Gesicht. Sie hielt ein halb gefülltes Einmachglas in der Hand und hatte ihren Daumen im Mund. Pfarrer Angerer lächelte erleichtert. Krank sah die Kleine auf den ersten Blick nicht aus.
»Marianne, Kind, da bist du ja«, sagte er freundlich und streckte die Hand nach ihr aus. Sie wich zurück. »Nicht rausholen!« Ihr Blick war trotzig. »Die Alma hat gesagt, ich soll hier drinbleiben. Bald wird sie kommen und mich holen. Hier bin ich sicher. Sind wir alle immer sicher, wenn sie kommen.« Pfarrer Angerer atmete tief durch. Anscheinend saß die Kleine nicht zum ersten Mal in diesem Verschlag. Wie oft sie sich hier vor Marodeuren versteckt hatten, konnte er nur erahnen. Bei näherem Hinsehen bemerkte er jetzt auch einige Decken, einen Tonkrug und Becher. Warum die alte Magd das Mädchen hierhergebracht hatte, konnte er nur vermuten. Langsam sank er in die Hocke, sah Marianne fest in die Augen und entschuldigte sich innerlich beim Herrgott für seine Lüge. »Sie hat mich geschickt, damit ich mich um dich kümmere. Sie selbst kann das im Moment nicht.« Misstrauisch sah ihn die Kleine an, kam dann aber doch näher. Erleichtert zog der Pfarrer das Kind aus dem Verschlag, nahm es auf den Arm und verließ sofort den Stall. »Wo sind die Hühner?«, fragte Marianne verwundert. »Vielleicht fortgelaufen.« Der Geistliche betrachtete Marianne näher. Sie war schmutzig und stank erbärmlich. Ihr Haar war zerzaust und verklebt, und ihre Finger waren voller Marmelade und Brotkrümel, aber sie schien gesund zu sein. Es war ein Wunder. Alle hier waren gestorben, nur dieses kleine Mädchen lebte und war putzmunter. »Ich habe Durst.« Marianne begann, auf seinem Arm zu zappeln. »Wo ist Alma?« Der Priester ließ die Kleine nicht los. Im Innenhof stand ein Brunnen, doch der Sauberkeit des Wassers traute er nicht. Das Grauen dieses Ortes ergriff Besitz von ihm, und er wollte nur noch weg von hier. »Du bekommst gleich etwas zu trinken.« Beruhigend strich er dem Mädchen über die Schulter, während er eiligen Schrittes den Hof verließ. »Ich verspreche es dir. Ich bringe dich jetzt ins Pfarrhaus. Gewiss bist du hungrig. Lydia, meine Magd, wird sich um dich kümmern. Sie kann sehr gut kochen.« Marianne begann zu weinen und wild um sich zu schlagen. Seine Worte interessierten sie nicht. »Lass mich runter! Nicht weggehen! Ich will zu Alma! Sie hat gesagt, sie kommt mich holen. Fest hat sie es versprochen!« Pfarrer Angerer antwortete nicht. Er hielt sie umklammert und kämpfte mit den Tränen, während er den Feldweg entlangging und erneut den Blick auf die Berge richtete. Marianne wand sich, schlug auf ihn ein und schrie. Doch es half alles nichts. Der Gutshof wurde immer kleiner und verschwand bald ganz aus ihrem Blickfeld.
Teil I
Rosenheim 1648
Das rote Licht des anbrechenden Sommermorgens drang in den Raum. Die Vögel waren erwacht, zwitscherten aber nur vereinzelt. Marianne drehte sich zur Seite und blickte durch das kleine Fenster über die Dächer der Stadt. Über die Mauern, Giebel und Hinterhöfe, die dicht an dicht nebeneinanderlagen und kaum Raum ließen für Blattwerk und Grün. Doch nicht weit davon, hinter den letzten Gassen unten am Fluss, erstreckte sich ein Wald, den sie von hier oben erkennen konnte. Sie beobachtete stumm den roten Streifen am Horizont, der sich ins Orangerote und Gelbe verfärbte, um dann dem grellen Licht der Sonne Platz zu machen. Heute wäre ein guter Tag für einen Ausflug ins Kloster, dachte sie. Schon länger hatte sie die Mönche und ihren Mentor, den Abt Pater Franz, nicht mehr besucht. Besonders ihr geliebter Rosengarten, in dem sie so gern saß, fehlte ihr. Sie richtete sich auf und schaute auf ihren Stiefbruder, der zusammengekauert neben ihr im Bett lag und im Schlaf leicht schmatzende Geräusche machte. Sein fettiges, braunes Haar stand wirr von seinem Kopf ab, und seine Wangen, die ein sanfter Flaum zierte, waren gerötet. Anderl war in der Nacht zu ihr gekommen. Was er immer tat, wenn ein Gewitter über dem Haus tobte oder andere Dinge ihn erschreckten. Allmählich wurde er allerdings zu groß, um in ihr Bett zu schlüpfen. Immerhin waren sie keine Kinder mehr - jedenfalls war sie keines mehr. Im Herbst würde sie achtzehn Jahre alt werden, viele Mädchen in ihrem Alter dachten bereits ans Heiraten oder waren verlobt. Anderl, der drei Jahre jünger war als sie, war zwar auch älter und größer geworden, hatte einen flaumigen Bartwuchs und eine tiefe Stimme bekommen, aber es war die Stimme eines Mannes, der dachte wie ein Kind, der so vieles nicht verstand und den alle nur den Dummen nannten. Als einfältiges Balg der Thalerin wurde er beschimpft, und die Kinder verspotteten ihn und riefen ihm all das hinterher, was sie von den Erwachsenen aufgeschnappt hatten. Anderl machte sich nicht viel daraus. Er schien in seiner eigenen Welt zu leben, hielt nichts von Regeln, verschwand, wann er wollte, nahm sich die Zeit, die er brauchte. Es war nicht richtig, wie sie ihn behandelten, dachte Marianne und strich ihm sanft über die Wange. Vorsichtig kletterte sie über ihn hinweg und schlich zu ihrem winzigen Waschtisch. Die enge Dachkammer war karg möbliert. Ein einfacher Stuhl und ein schmaler Tisch standen unter dem zweiten Fenster. In einer schäbigen, braunen Truhe verwahrte sie ihre wenigen Habseligkeiten - ihre Erinnerungen an ein anderes Leben, das es nur noch verschwommen in ihrem Kopf gab. Ihr Blick wanderte über die matt schimmernden Beschläge und das abgewetzte Leder. Jetzt war keine Zeit für Wehmut, auch wenn das ihrer Stimmung entsprach. Ihr Tagwerk rief. Irmgard war bestimmt bereits in der Küche und wartete auf sie. Die gute alte Irmgard, der einzige Mensch in diesem Haus, außer Anderl, der sie nicht ständig ausschimpfte oder gängelte. Ihr Hemd klebte an ihrem Leib, den jetzt, da sie der Wärme des Bettes entflohen war, trotz der schwülen Hitze im Raum, eine leichte Gänsehaut überzog. Hastig zog Marianne das Hemd aus und nahm von einer kleinen Wäscheleine, die in der Ecke neben dem Tisch hing und den Kleiderschrank ersetzte, ein frisches. Es wies bereits einige kleine Löcher auf, war aber trocken und sauber. Daneben hingen ihre wenigen Kleider. Ihr einziges Sommerkleid hatte sie gestern notdürftig vom Schmutz der Straßen befreit. Seufzend nahm sie es von der Leine und fuhr über den Saum, der noch feucht und nicht ganz sauber war. In einigen Stunden würde er sowieso wieder aussehen wie vorher, dachte sie, zog das Kleid über den Kopf und schnürte ihre Brüste ein. Sie hielt nicht viel davon, ihre weiblichen Reize zu zeigen. Prüfend blickte sie in den trüben Spiegel, der über ihrem winzigen, klapprigen Waschtisch an der Wand hing. Doch ihre tiefen Augenringe konnte selbst der alte Spiegel nicht verdecken. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und rubbelte es mit einem Leinentuch trocken. Anschließend musterte sie sich erneut. Die Wangen hatten jetzt ein wenig Farbe bekommen und waren leicht gerötet. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, aus dem sich während der Nacht einige Haare gelöst hatten, die ihr nun wirr ins Gesicht hingen. Sie öffnete den Zopf und bürstete den Staub des letzten Tages heraus. »Es sieht hübsch aus.« Erschrocken zuckte Marianne zusammen und blickte sich um. Anderl saß aufrecht im Bett und lächelte sie an. »So hübsch sind deine Haare.« Sie legte den Kopf schräg und spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. »Du bist wach?«, sagte sie ausweichend. »Es ist recht früh, Anderl, schlaf noch ein wenig.« Der Junge sah sie prüfend an. Marianne begann, ihren Zopf zu flechten, und wartete geduldig ab, bis er die richtigen Worte gefunden hatte. »Ich bin nicht müde«, antwortete er, ließ seinen Kopf aber zurück aufs Kissen sinken. »Doch, das bist du.« Marianne band sich ein blaues Kopftuch um, ging zu ihm und sank vor dem Bett in die Hocke. Zärtlich sah sie ihn an und fuhr ihm durch sein wirres Haar. »Es war eine laute Nacht, und du bist so spät zu mir gekommen. Schlaf noch ein wenig.« Dankbar sah er sie an und kuschelte sich gähnend unter die Decke. »Du bist auch müde.« Seufzend erhob sich Marianne und schlüpfte in ihre abgetragenen, aber bequemen Schuhe. »Ja, das bin ich. Aber wenn ich jetzt nicht gleich in die Küche gehe, dann reißt mir Irmgard den Kopf ab.« Prüfend zog sie ihr Kopftuch vor dem Spiegel zurecht und drehte sich dann erneut zu ihm um. Doch Anderl hatte die Augen bereits wieder geschlossen. Marianne schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte er ihre Antwort gar nicht mehr gehört. Sie öffnete die Tür und trat in den düsteren Flur. Die allgegenwärtige Geruchsmischung aus Malz, gebratenem Fleisch und Schweiß hüllte sie ein. Leise schlich Marianne über den knarzenden Dielenboden, vorbei an Hedwigs Kammer, zur Treppe. Ihre Ziehmutter hielt nichts davon, früh aufzustehen. Zumeist erschien sie erst kurz vor dem Mittagsgeschäft in der Gaststube, worauf Marianne und die anderen durchaus verzichten konnten. Hedwig stellte das dar, was man sich gemeinhin unter einer Brauereibesitzerin und Wirtin vorstellte. Sie war korpulent, hatte ausladende Hüften und große Brüste. Ihre Haut war weiß wie Schnee und von roten Flecken übersät. Ihr Kinn war fleischig, ihre Oberarme fest und muskulös. Laut und burschikos klang ihr Lachen, und ihr Gang hatte nichts Weibliches an sich. Margit, die abends immer beim Bedienen aushalf und eigentlich nur wegen der Männer kam, verglich sie gern mit dem großen, massiven Geschirrschrank, der hinter der Theke in der Gaststube stand. Marianne konnte nicht über Margits Scherze lachen, denn sie hatte Angst vor Hedwig und war stets auf der Hut, wenn sie in ihre Nähe kam. Nicht eine angenehme Eigenschaft verband sie mit dieser Frau, die eigentlich ihre Mutter sein sollte und sie großgezogen hatte. Sie würde niemals auf den Gedanken kommen, sich als ihre Tochter zu fühlen. Sie war die Tochter der Frau mit den hellen blauen Augen und der sanften, singenden Stimme, die es nur noch in ihrer Erinnerung gab.
Marianne blieb verwundert auf dem letzten Treppenabsatz stehen. Normalerweise hörte man Irmgard mit den Töpfen klappern und nahm die unverwechselbaren Gerüche von Holzrauch und Haferbrei wahr, die durch den unteren Flur zogen. Aber heute war es still. Unheimlich still. Die Küchentür war nur angelehnt, und ein schmaler Lichtstreifen fiel auf den Dielenboden. Marianne trat näher heran. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie schob die Küchentür vorsichtig auf. Keiner schlug sie wieder zu, nichts fiel zu Boden, niemand rannte fort oder erschreckte sie. Sie wurde etwas mutiger und blickte in den Raum. Die geräumige Küche war leer. Wie Marianne bereits auf der Treppe vermutet hatte, brannte kein Feuer in dem großen gusseisernen Ofen. Auf dem Boden entdeckte sie Irmgards Korb, gut gefüllt mit Gemüse, das in dem kleinen Garten hinter den Brauereigebäuden wuchs. Also musste sie hier gewesen sein, überlegte Marianne. Die Tür zum Hof stand offen, quietschte ein wenig in den Angeln, und die Sonne schien in den Raum. In ihrem Licht tanzten kleine Staubkörnchen, irgendwo summte eine Biene, das Gackern der Hühner drang an ihr Ohr. Marianne rieb sich fröstelnd über die Arme, obwohl es nicht kalt war.
Langsam ging sie durch die Küche, trat auf den Hof und hob ihre Hand zum Schutz vor der Sonne über die Augen. Als sie sich an das grelle Licht gewöhnt hatte, sah sie Irmgard. Sie lag auf dem Boden. Die Hühner tippelten eifrig um sie herum und pickten nach dem Futter, das aus dem Eimer gefallen war, der neben der alten Magd lag. Irmgards Blick ging ins Leere, ihre Gesichtszüge wirkten erschlafft. Vorsichtig trat Marianne näher. Der Tod hatte für sie nichts Erschreckendes. Sie sank neben die alte Frau und betrachtete ihr Gesicht. Das Antlitz, das sie jeden Tag gesehen hatte, die Augen, die jetzt ausdruckslos waren, hatten immer über sie gewacht und oft Milde und Nachsicht gezeigt. Selbst jetzt, im Angesicht ihres Schöpfers, lächelte Irmgard ein wenig. Marianne lächelte ihr zu und vergaß für einen Moment den Hof und alles um sich herum. In ihrer Erinnerung sah sie plötzlich ihre alte Küchenmagd Alma vor sich. Die gute alte Alma, die nicht wiedergekommen war. Sie sah ihren kleinen Bruder, wie er im Bettchen gelegen hatte, die Augen geschlossen, die Lippen rot. Er hatte ausgesehen, als würde er schlafen, so friedlich und ruhig. Der Tod hatte ihm nicht seinen Liebreiz genommen. Alma hatte immer gesagt, der liebe Gott würde aus Kindern Engel machen und sie deshalb im Schlaf holen. Warum er sie selbst damals nicht geholt hatte, hatte sie nie verstanden. Sie wäre so gern ein Engel geworden, an der Seite ihres Bruders. Ein sanfter Windstoß brachte Marianne in die Realität zurück. Seufzend erhob sie sich, hielt dann aber noch für einen kurzen Moment inne. Der Wind schien für einen Augenblick stärker zu werden. Staub wirbelte in die Höhe, und sogar die gackernden Hühner wurden still. Es war, als würde die Seele sich verabschieden und endgültig gehen. »Auf Wiedersehen«, flüsterte Marianne und wandte sich wieder zur Tür, durchschritt schweren Herzens die Küche und ging die Treppe nach oben. Jetzt musste Hedwig geweckt werden.
*
Das rostige Friedhofstor quietschte laut, als Marianne es öffnete. Missmutig blickte sie sich um. Es war Mittag, und die Sonne schien unerbittlich auf die schmiedeeisernen Kreuze und Grabsteine. Langsam schritt sie durch die Reihen der Gräber. Einige wurden liebevoll gepflegt, andere waren verwildert, und Brombeerranken und Efeu überwucherten die Grabsteine und kreuze. Der Friedhof war im hinteren Bereich erweitert worden. Ein großes Loch klaffte in der Mauer, und ein angedeuteter Weg führte auf ein neues Gräberfeld. Dicht an dicht lagen hier die frischen Grabstätten, meist nur mit einfachen Holzkreuzen verziert. Marianne ging nicht gern auf den Friedhof, was nichts mit den Toten oder so manchem Geist zu tun hatte. Sie fürchtete sich eher vor den Lebenden. Langsam schritt sie durch das hohe Gras. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, in diesem neuen Teil des Friedhofes einen Weg anzulegen. Zu viele Tote hatte es in der letzten Zeit zu beklagen gegeben. Zwar waren die Zeiten nicht so schlecht wie während der großen Pestwellen, und Massengräber gab es keine, aber Leopold Wiesner, der Friedhofsgräber, den alle nur Poldi nannten, konnte sich über fehlende Arbeit nicht beklagen. Marianne blieb vor einem teilweise ausgehobenen Grab stehen. Poldi hielt beim Schaufeln inne und blickte auf. Mürrisch verzog er das Gesicht, womit Marianne gerechnet hatte, denn Poldi konnte sie nicht leiden und machte daraus, wie fast alle in Rosenheim, keinen Hehl. In seiner Gegenwart verspürte sie stets Angst, was gewiss auch mit seinem abstoßenden Äußeren zusammenhing. Poldi war als Kind von einem Hund gebissen worden. Das Tier hatte ihm einen Teil der rechten Wange und ein Auge herausgerissen. Diese Entstellung ließ ihn wie ein Ungeheuer aussehen. Sein verbliebenes Auge wirkte stechend und unnatürlich. Er drehte es oft seltsam hin und her, was die abschreckende Wirkung noch verstärkte. Wegen des Lochs in seiner Wange konnte er nicht richtig lachen und verzog oft nur den Mundwinkel, was sein Gesicht noch hässlicher aussehen ließ. Er wischte sich seine schmutzigen Hände an der Hose ab. »Was willst du, Mädchen? Habe ich nicht gesagt, du sollst dich auf dem Friedhof nicht blicken lassen, verdammtes Pestkind.« Marianne wich ein Stück zurück. Am liebsten wäre sie fortgelaufen. Sollte Hedwig doch zusehen, wie sie ihre Magd unter die Erde bekam. Eigentlich war es ihre Aufgabe, sich um Irmgards Beerdigung zu kümmern. Allerdings hätte Hedwig wahrscheinlich vergessen, zum Friedhof und zum Pfarrer zu gehen, bei dem Marianne bereits gewesen war, denn sonst würde Irmgard bei diesem Wetter im Schuppen zu stinken anfangen. Die alte Magd hatte es verdient, eine anständige Beerdigung zu bekommen. Auch wenn diese eher einfach und ohne Pfarrer am Grab ausfallen würde. Hedwig dachte nicht daran, den Geistlichen zu bezahlen oder wenigstens eine kleine Spende für die Kirche zu geben. Deshalb würde Irmgard nur kurz im Stall gesegnet werden, bevor Poldi sie hoffentlich abholen würde. Marianne atmete tief durch, ignorierte seinen rüden Ton und antwortete: »Hedwig Thaler schickt mich. Unsere Irmgard, die Küchenmagd, ist tot. Einfach umgefallen. Könnt Ihr sie morgen Vormittag holen?« Poldi zog die Augenbrauen hoch und machte eine weit ausholende Geste.
»Vier Gräber müssen bis morgen fertig werden. Denkst du, ich hab für alles Zeit, du vermaledeites Etwas? Sieh zu, dass du fortkommst, und richte Hedwig aus, ich hätte zum Abholen keine Zeit und sie soll die Leiche herbringen.« Mit dieser Antwort hatte Marianne gerechnet. Doch es gehörte zu Poldis Aufgaben, die Leichen abzuholen. Sie durften innerhalb der Stadtmauern nicht einfach auf irgendeinem Wagen transportiert werden. Der Friedhofsgräber musste sie mit dem dafür vorgesehenen Karren abholen, ob es ihm gefiel oder nicht. Margit hatte sie schon vorgewarnt, dass er gewiss versuchen würde, sie abzuwimmeln. »Ihr kennt die Regeln, Poldi. Sie muss mit dem Leichenkarren abgeholt werden.« Poldi warf ihr einen bösen Blick zu. Auch wenn er sie nicht leiden konnte und am liebsten in die Hölle schicken würde, aus der sie anscheinend hervorgekrochen war, musste er in diesem Fall nachgeben. Es war seine Pflicht, die Toten einzusammeln. Wenn er es nicht tat, konnte er Ärger mit dem Büttel bekommen, was er auf gar keinen Fall wollte. Er griff wieder nach seiner Schaufel und arbeitete weiter. Marianne blieb abwartend vor dem Grab stehen. Sein Verhalten war unmöglich, doch sie versuchte trotzdem, geduldig zu bleiben, denn mit lauten Worten würde sie nicht weiterkommen. Poldi musste nachgeben. Es war nur eine Frage der Zeit. Der Friedhofsgräber schaufelte eine Weile schweigend weiter, doch irgendwann konnte er ihren Anblick nicht mehr ertragen. »Also gut«, lenkte er ein. »Ich komme sie morgen früh holen. Einen Sarg wird es nicht geben, oder?« Marianne atmete erleichtert aus. »Nein, einen Sarg gibt es nicht. Auf Wiedersehen.« Sie drehte sich um und schritt hocherhobenen Hauptes davon.
Auf dem Rückweg vom Friedhof kam Marianne am Anwesen der Hofers vorbei, das am Anfang der engen Hafnergasse lag, die zum Salzstadl führte. Es war ein prachtvolles Eckhaus mit einem großen Tor, durch das man in einen Innenhof gelangte, in dem eine große Linde neben einem plätschernden Brunnen stand. Die Hofers waren reiche Leute. Maximilian Hofer war ein angesehener Tuchhändler. Fast alle Lieferungen, die über den Inn verschifft wurden, kamen zu ihm oder wurden von hier verschickt. Im hinteren Teil des Hofes gab es große Lagerhäuser, in denen viele Tuchballen auf ihre Abnehmer warteten. Marianne hatte als Kind gern mit Angelika, der Tochter des Hauses, gespielt. Angelika war zwei Jahre älter als sie und hatte nie viel darauf gegeben, ob ihrem Vater gefiel, was sie tat. Ungehorsam hatte er sie genannt und Marianne stets vom Hof verscheucht, wenn er ihrer ansichtig geworden war. Sogar eingesperrt hatte er Angelika und geschlagen. Doch die beiden Mädchen trafen sich trotzdem. Der Tuchhändler war Witwer und oft auf Reisen. Angelika war von Kinderfrauen großgezogen worden, die sich meistens nicht darum scherten, was das Kind tat. Marianne und Angelika waren eine Zeitlang wie Pech und Schwefel gewesen. Marianne hatte die Freundin häufig zu den Mönchen ins Kloster mitgenommen, wo sie durch den weitläufigen Obstgarten toben durften und oft bei der Ernte halfen. Wehmütig blickte Marianne in den vertrauten Innenhof und betrachtete den staubigen Boden, die Karren vor den Lagerhäusern und die Hühner, die gackernd herumliefen und nach etwas Essbarem suchten. Überall auf dem Boden lagen wie ein hellgrüner Teppich die Blüten der Linde. Gern wäre sie hineingegangen und hätte grüß Gott gesagt, aber sie traute sich nicht. Angelika hatte vor drei Jahren geheiratet.
Ludwig Thalhammer stammte aus einer einflussreichen Kaufmannsfamilie. Von fern hatte Marianne Angelika in ihrem hübschen seidenen Hochzeitskleid bewundert. Ihre blonden Haare waren geflochten und aufgesteckt worden, und sie hatte einen Blumenkranz aus Margeriten getragen. Ab diesem Tag war alles anders zwischen ihnen geworden. Ludwig hatte Angelika den Umgang mit Marianne verboten. Sie sah jetzt weg, wenn ihr die Freundin auf der Straße begegnete, und grüßte sie nicht mehr. Marianne hatte anfangs gehofft, dass diese Ablehnung sich geben würde, aber als Ludwig sie an einem windigen Herbsttag wie einen räudigen Hund vom Hof gejagt hatte, hatte sie verstanden. Seitdem war sie nie wieder hierhergekommen. Doch jetzt zögerte sie weiterzugehen. Nur zu gern hätte sie Angelika, die im letzten Jahr Mutter geworden war, wiedergesehen. Die Freundin konnte doch nicht auf ewig so abweisend zu ihr sein. Auch wenn alle sie verachteten und ihr mit Misstrauen und Argwohn begegneten, wusste Angelika es besser. Aber dann überlegte sie es sich anders und ging weiter. Angelika hatte jetzt ein eigenes Leben, in dem es für sie keinen Platz mehr gab. Einige Meter weiter ließ ein lautes Quietschen Marianne innehalten, und sie wandte sich um. Ein kleines Mädchen kam aus dem Hof des Tuchhändlers gewackelt, ruderte mit den Armen, lief auf die Gasse und hob einen Kieselstein auf, den er bewundernd musterte. Marianne blickte zum Hoftor, doch niemand folgte dem Kind. In diesem Moment bog ein mächtiges Fuhrwerk, von vier Pferden gezogen, um die Ecke und fuhr genau auf die Kleine zu. Marianne rannte los, riss das Kind an sich und sprang zur Seite. Das Fuhrwerk ratterte an ihnen vorbei. Das Mädchen riss erschrocken die Augen auf, verzog sein Gesicht und begann zu weinen.
In dem Moment trat Angelika auf die Straße. Sofort rannte sie zu Marianne und riss ihr das Kind aus den Armen. Ihr Blick war eiskalt. Marianne wich zurück, versuchte dann aber, sich zu verteidigen. »Sie ist vor eines der Fuhrwerke gelaufen.« Angelika sah ihre Tochter mahnend an. »Frieda, meine Frieda. Du sollst doch nicht auf die Gasse laufen. « Sie wandte sich ab. Marianne schaute ihr fassungslos hinterher. Das konnte doch nicht sein. Sie hatte die Kleine vor dem sicheren Tod bewahrt, denn die Pferde hätten das Kind niedergetrampelt, und das war der Dank dafür. Enttäuscht wollte sie weitergehen. »Warte!«, rief Angelika aber doch noch. Marianne blieb stehen und drehte sich um. »Danke, dass du Frieda gerettet hast.« Angelika lächelte schüchtern. »Gern geschehen«, antwortete Marianne erleichtert. Angelika nickte, hob die Hand zum Gruß, ging auf den Hof zurück und schloss das Tor hinter sich. Marianne blieb noch eine Weile stehen und blickte nachdenklich auf die rot gestrichenen Bretter, auf denen in weißen geschwungenen Buchstaben der Name des Tuchhändlers stand. Der Verlust ihrer Freundschaft schmerzte sie sehr. Doch dann straffte sie die Schultern, schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und ging. Sie würde nichts daran ändern können, sosehr sie es sich auch wünschte, denn sie spielte in Angelikas Leben keine Rolle mehr.
Der Innenhof der Brauerei war wie leer gefegt, als Marianne ihn kurz darauf betrat. Dicke dunkle Quellwolken türmten sich am Himmel bedrohlich auf und verdeckten die Sonne. Doch die schwüle Hitze lag wie eine Glocke über allem. Ihr Kleid klebte an ihrem Körper, und Schweiß rann ihre Beine hinunter. Selbst die Hühner hatten sich in den Schatten des Hauses zurückgezogen. Sanftes Wiehern drang aus der geöffneten Stalltür nach draußen. Marianne verdrehte die Augen. Bert und Sepp, die beiden behäbigen Brauereipferde, sollten eigentlich schon längst auf der kleinen Weide stehen, die auf der anderen Seite des Gebäudes direkt an den Gemüsegarten grenzte, um den sich bisher Irmgard gekümmert hatte. Marianne ahnte bereits, dass ihr diese Aufgabe jetzt zufallen würde, wie alles, was Irmgard erledigt hatte. Hedwig Thaler würde ihre Angewohnheit, möglichst wenig zu arbeiten, gewiss nicht ändern. Sie betrat den Stall, in dem ihr drückende, nach Pferdemist stinkende Luft entgegenschlug. Sofort scharrten die beiden Tiere unruhig mit den Hufen. Marianne öffnete die Boxen und führte die beiden über den Hof auf die kleine Weide, die nicht mehr als ein Stück Wiese zwischen Hauswänden war. Die Sonne verschwand hinter den Wolken, grummelnd kündigte sich ein Gewitter an. Schwer atmend und von Schwindel geplagt, blieb Marianne unter einem Apfelbaum stehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie bisher weder etwas gegessen noch getrunken hatte. Zurück im Hof, ging sie trotz des nagenden Hungers noch einmal in den Stall, um nach der toten Irmgard zu sehen. Die Leiche lag noch genau dort, wo sie sie abgelegt hatte, ordentlich zugedeckt mit einem grauen Leinentuch. Beruhigt wandte sie sich zum Gehen. Doch dann ließ ein Geräusch sie aufhorchen. Zielsicher eilte sie durch den Stall, blieb in der hintersten Ecke stehen und entfernte ein Holzbrett in der Wand, welches als Tür diente. Dahinter befand sich eine enge Nische, gerade groß genug für zwei Menschen. Anderl saß darin und sah Marianne mit weit aufgerissenen Augen an.
© 2014 Knaur Taschenbuch
Pfarrer Angerer hatte seinen Blick auf die Berge gerichtet, als er den schmalen Feldweg entlangging. Wieder einmal redete er sich ein, die mächtigen Gipfel würden ihm Sicherheit geben. Denn sie waren immer da, in ihrer Schönheit unvergänglich, und sie würden auch noch auf die Welt blicken, wenn es die Menschen nicht mehr gab. Rechts und links des Weges standen Leichenkarren, auf denen in Leinentücher gewickelte, namenlose Tote auf eine Beerdigung in einem Massengrab warteten. Auf einem der Karren saß eine weinende Frau, eine Kinderleiche im Arm. Der Pfarrer blieb stehen und musterte sie mitleidig. Anneliese Hoflechner zählte noch keine achtzehn Jahre. Erst vor zwei Jahren hatte er sie in seiner Kirche getraut. Glücklich war sie damals gewesen, die Wangen rund und gerötet, die blauen Augen strahlend. Jetzt wirkte sie wie ein anderer Mensch, das Gesicht blass und eingefallen, die verweinten Augen in tiefen Höhlen. Ihr Kleid war schmutzig und voller Löcher, ihr Haar strähnig und wirr. »Ach, Anneliese, es tut mir so leid für dich. Du solltest aber trotzdem vom Wagen herunterkommen. Der kleinen Luise kannst du nicht mehr helfen, denn sie ist schon längst bei Gott. Ich verspreche dir, sie in meine Gebete einzuschließen.« Er streckte ihr seine Hand hin und nickte aufmunternd. »Du wirst doch krank.« Die junge Frau sah den alten Pfarrer verstockt an. »Nein, ich gehe nirgendwohin. Sie braucht mich. Ich kann sie nicht einfach hier liegen lassen. Sie wollte doch nie allein sein. Sie schreit bestimmt, wenn ich fortgehe.« Traurig nickte der Geistliche. »Na, dann bleib noch ein wenig, damit das Kind nicht schreit.«
Seufzend setzte er seinen Weg fort. Ihm fehlten die Kraft und die Worte, um Anneliese zu erklären, dass ihr Kind nie wieder schreien würde. Wahrscheinlich war auch sie bereits krank, und nur Gott konnte ihr - konnte ihnen allen - jetzt noch helfen. Am Totenfeld angekommen, empfing ihn Ludwig, der Totengräber. Sein braungebranntes Gesicht war mit Erde verschmiert, seine Wangen waren leicht gerötet. Er begrüßte den Pfarrer mit einem Lächeln. »Guten Morgen, Hochwürden.« Ludwig, der den blonden Schopf und das mitfühlende Herz seiner Mutter geerbt hatte, wirkte gesund und kräftig. Keine Anzeichen von Erschöpfung oder gar Fieber waren zu erkennen. In Pfarrer Angerers Augen war dieser Mann ein Phänomen. Seit Wochen vergrub er Leichen, berührte jeden Tag den Schwarzen Tod und atmete verseuchte Luft ein, doch krank wurde er nicht. Viele andere, die hier draußen gearbeitet hatten, waren bereits dahingerafft worden. Aber er war jeden Tag hier, arbeitete bis zur Erschöpfung, spendete so manch Trauerndem Trost und betete für die Toten. »Und, wie sieht es heute aus?« Der Pfarrer blickte in die neu ausgehobene Leichengrube, in der bereits mehr als zwanzig Tote nebeneinanderlagen. »Wie immer.« Der Totengräber deutete hinter sich. »Heute ist auch vom Gutshof der Leitners ein Wagen gekommen. Alle sind tot. Nur ...« Ludwig stockte. »Was nur?« Pfarrer Angerer sah ihn erstaunt an. »Es fehlt jemand.« »Wie, es fehlt jemand?« »Ich habe doch oft auf dem Hof ausgeholfen. Im Stall und auf dem Feld. Nachdem Maria, Gott hab sie selig, letztes Jahr im Kindbett gestorben ist, wurden dort immer wieder helfende Hände gebraucht.«
Pfarrer Angerer sah den Totengräber ungeduldig an. »Ja und, weiter.« Ludwig deutete auf einen Leiterwagen am Wegrand. »Alle sind auf dem Karren. Sogar Alma, die Küchenmagd, hat es erwischt. Nur die kleine Marianne fehlt. Es war keine Kinderleiche darunter. Ich habe genau nachgesehen.« Verdutzt sah der Pfarrer den Totengräber an. »Vielleicht sollte noch mal jemand auf dem Hof nach dem Rechten sehen?« Ludwig kratzte sich am Kopf. »Am Ende lebt die Kleine noch.« Pfarrer Angerer seufzte. Viel Hoffnung, ein lebendes Kind zu finden, hatte er nicht. Doch das tote Mädchen dort seinem Schicksal überlassen, das wollte er auch nicht. Das Kind hatte es verdient, in geweihter Erde begraben zu werden. »Mit jemand bin dann wohl ich gemeint.« Ludwig grinste, griff erneut nach seiner Schaufel und begann, das Massengrab zuzuschaufeln. »Ich würde ja hingehen. Aber Ihr seht ja, was hier los ist.«
Der Gutshof der Leitners sah von weitem wie immer aus. Doch als der Pfarrer auf den Innenhof des weitläufigen Anwesens trat, war die Veränderung spürbar. Es war totenstill. Keine Hühner kamen ihm neugierig entgegengelaufen, keine Pferde oder Kühe standen auf den Weiden rund ums Haus, Staub tanzte, vom heißen Wind aufgewirbelt, über den Boden, und unter einem Holzkarren saßen zwei Katzen, die ihn misstrauisch musterten. Die Stille zeigte auf grausame Art und Weise den Tod. Pfarrer Angerer straffte die Schultern, ging auf das Haupthaus zu, öffnete die Tür und betrat den dämmrigen Flur. Die Luft war abgestanden, und es stank nach Erbrochenem, Exkrementen und verfaultem Essen. In der Stube befand sich niemand. Teller mit schimmeligen, vertrockneten Essensresten waren noch auf dem Tisch, unter dem ein Schuh lag. In einer Ecke neben der Ofenbank standen ein Spinnrad und ein Korb mit Wolle und Strickzeug. Der Pfarrer ging weiter. Die Küche war ebenfalls leer. Im Spülstein stapelten sich Tonteller und Becher, und der Ofen war erkaltet, ein Topf mit Eingebranntem darauf. Das Fenster war verschlossen, die Hintertür sogar verriegelt. Er wandte sich ab und stieg die Treppe nach oben, doch weder in den Schlafräumen des Gutsherrn noch in den Gesindekammern fand er das Mädchen. Er trat wieder auf den Hof, schloss die Tür hinter sich und ging in den leeren Stall. Herumliegender Dung und Mist erinnerten daran, dass hier einst Ziegen, Kühe und Schweine gestanden hatten. Kopfschüttelnd wandte sich der Pfarrer ab und wollte den Stall gerade wieder verlassen, da drang plötzlich ein seltsames Geräusch an sein Ohr, und er hielt inne. Ein Summen. Ganz leise nur, aber es war da. Er ging in die Mitte des Stalles und blickte sich um. Das Summen hörte nicht auf. Suchend schritt er durch den Stall und schaute in jeden Verschlag. Sein Blick blieb an einer schmalen Bretterwand hinter dem Schweinekoben hängen. Einige der Bretter waren schief. Neugierig trat er darauf zu und schob sie zur Seite. Sofort schlug ihm fürchterlicher Gestank entgegen. Eine Mischung aus Kot, Urin und süßlichem Früchteduft raubte ihm den Atem. Im Dämmerlicht entdeckte er Marianne, die ihn mit großen Augen ansah. Ihre Wangen waren, soweit er es bei dem schwachen Licht erkennen konnte, verschmiert, und ihre schwarzen Löckchen ringelten sich wirr um ihr Gesicht. Sie hielt ein halb gefülltes Einmachglas in der Hand und hatte ihren Daumen im Mund. Pfarrer Angerer lächelte erleichtert. Krank sah die Kleine auf den ersten Blick nicht aus.
»Marianne, Kind, da bist du ja«, sagte er freundlich und streckte die Hand nach ihr aus. Sie wich zurück. »Nicht rausholen!« Ihr Blick war trotzig. »Die Alma hat gesagt, ich soll hier drinbleiben. Bald wird sie kommen und mich holen. Hier bin ich sicher. Sind wir alle immer sicher, wenn sie kommen.« Pfarrer Angerer atmete tief durch. Anscheinend saß die Kleine nicht zum ersten Mal in diesem Verschlag. Wie oft sie sich hier vor Marodeuren versteckt hatten, konnte er nur erahnen. Bei näherem Hinsehen bemerkte er jetzt auch einige Decken, einen Tonkrug und Becher. Warum die alte Magd das Mädchen hierhergebracht hatte, konnte er nur vermuten. Langsam sank er in die Hocke, sah Marianne fest in die Augen und entschuldigte sich innerlich beim Herrgott für seine Lüge. »Sie hat mich geschickt, damit ich mich um dich kümmere. Sie selbst kann das im Moment nicht.« Misstrauisch sah ihn die Kleine an, kam dann aber doch näher. Erleichtert zog der Pfarrer das Kind aus dem Verschlag, nahm es auf den Arm und verließ sofort den Stall. »Wo sind die Hühner?«, fragte Marianne verwundert. »Vielleicht fortgelaufen.« Der Geistliche betrachtete Marianne näher. Sie war schmutzig und stank erbärmlich. Ihr Haar war zerzaust und verklebt, und ihre Finger waren voller Marmelade und Brotkrümel, aber sie schien gesund zu sein. Es war ein Wunder. Alle hier waren gestorben, nur dieses kleine Mädchen lebte und war putzmunter. »Ich habe Durst.« Marianne begann, auf seinem Arm zu zappeln. »Wo ist Alma?« Der Priester ließ die Kleine nicht los. Im Innenhof stand ein Brunnen, doch der Sauberkeit des Wassers traute er nicht. Das Grauen dieses Ortes ergriff Besitz von ihm, und er wollte nur noch weg von hier. »Du bekommst gleich etwas zu trinken.« Beruhigend strich er dem Mädchen über die Schulter, während er eiligen Schrittes den Hof verließ. »Ich verspreche es dir. Ich bringe dich jetzt ins Pfarrhaus. Gewiss bist du hungrig. Lydia, meine Magd, wird sich um dich kümmern. Sie kann sehr gut kochen.« Marianne begann zu weinen und wild um sich zu schlagen. Seine Worte interessierten sie nicht. »Lass mich runter! Nicht weggehen! Ich will zu Alma! Sie hat gesagt, sie kommt mich holen. Fest hat sie es versprochen!« Pfarrer Angerer antwortete nicht. Er hielt sie umklammert und kämpfte mit den Tränen, während er den Feldweg entlangging und erneut den Blick auf die Berge richtete. Marianne wand sich, schlug auf ihn ein und schrie. Doch es half alles nichts. Der Gutshof wurde immer kleiner und verschwand bald ganz aus ihrem Blickfeld.
Teil I
Rosenheim 1648
Das rote Licht des anbrechenden Sommermorgens drang in den Raum. Die Vögel waren erwacht, zwitscherten aber nur vereinzelt. Marianne drehte sich zur Seite und blickte durch das kleine Fenster über die Dächer der Stadt. Über die Mauern, Giebel und Hinterhöfe, die dicht an dicht nebeneinanderlagen und kaum Raum ließen für Blattwerk und Grün. Doch nicht weit davon, hinter den letzten Gassen unten am Fluss, erstreckte sich ein Wald, den sie von hier oben erkennen konnte. Sie beobachtete stumm den roten Streifen am Horizont, der sich ins Orangerote und Gelbe verfärbte, um dann dem grellen Licht der Sonne Platz zu machen. Heute wäre ein guter Tag für einen Ausflug ins Kloster, dachte sie. Schon länger hatte sie die Mönche und ihren Mentor, den Abt Pater Franz, nicht mehr besucht. Besonders ihr geliebter Rosengarten, in dem sie so gern saß, fehlte ihr. Sie richtete sich auf und schaute auf ihren Stiefbruder, der zusammengekauert neben ihr im Bett lag und im Schlaf leicht schmatzende Geräusche machte. Sein fettiges, braunes Haar stand wirr von seinem Kopf ab, und seine Wangen, die ein sanfter Flaum zierte, waren gerötet. Anderl war in der Nacht zu ihr gekommen. Was er immer tat, wenn ein Gewitter über dem Haus tobte oder andere Dinge ihn erschreckten. Allmählich wurde er allerdings zu groß, um in ihr Bett zu schlüpfen. Immerhin waren sie keine Kinder mehr - jedenfalls war sie keines mehr. Im Herbst würde sie achtzehn Jahre alt werden, viele Mädchen in ihrem Alter dachten bereits ans Heiraten oder waren verlobt. Anderl, der drei Jahre jünger war als sie, war zwar auch älter und größer geworden, hatte einen flaumigen Bartwuchs und eine tiefe Stimme bekommen, aber es war die Stimme eines Mannes, der dachte wie ein Kind, der so vieles nicht verstand und den alle nur den Dummen nannten. Als einfältiges Balg der Thalerin wurde er beschimpft, und die Kinder verspotteten ihn und riefen ihm all das hinterher, was sie von den Erwachsenen aufgeschnappt hatten. Anderl machte sich nicht viel daraus. Er schien in seiner eigenen Welt zu leben, hielt nichts von Regeln, verschwand, wann er wollte, nahm sich die Zeit, die er brauchte. Es war nicht richtig, wie sie ihn behandelten, dachte Marianne und strich ihm sanft über die Wange. Vorsichtig kletterte sie über ihn hinweg und schlich zu ihrem winzigen Waschtisch. Die enge Dachkammer war karg möbliert. Ein einfacher Stuhl und ein schmaler Tisch standen unter dem zweiten Fenster. In einer schäbigen, braunen Truhe verwahrte sie ihre wenigen Habseligkeiten - ihre Erinnerungen an ein anderes Leben, das es nur noch verschwommen in ihrem Kopf gab. Ihr Blick wanderte über die matt schimmernden Beschläge und das abgewetzte Leder. Jetzt war keine Zeit für Wehmut, auch wenn das ihrer Stimmung entsprach. Ihr Tagwerk rief. Irmgard war bestimmt bereits in der Küche und wartete auf sie. Die gute alte Irmgard, der einzige Mensch in diesem Haus, außer Anderl, der sie nicht ständig ausschimpfte oder gängelte. Ihr Hemd klebte an ihrem Leib, den jetzt, da sie der Wärme des Bettes entflohen war, trotz der schwülen Hitze im Raum, eine leichte Gänsehaut überzog. Hastig zog Marianne das Hemd aus und nahm von einer kleinen Wäscheleine, die in der Ecke neben dem Tisch hing und den Kleiderschrank ersetzte, ein frisches. Es wies bereits einige kleine Löcher auf, war aber trocken und sauber. Daneben hingen ihre wenigen Kleider. Ihr einziges Sommerkleid hatte sie gestern notdürftig vom Schmutz der Straßen befreit. Seufzend nahm sie es von der Leine und fuhr über den Saum, der noch feucht und nicht ganz sauber war. In einigen Stunden würde er sowieso wieder aussehen wie vorher, dachte sie, zog das Kleid über den Kopf und schnürte ihre Brüste ein. Sie hielt nicht viel davon, ihre weiblichen Reize zu zeigen. Prüfend blickte sie in den trüben Spiegel, der über ihrem winzigen, klapprigen Waschtisch an der Wand hing. Doch ihre tiefen Augenringe konnte selbst der alte Spiegel nicht verdecken. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und rubbelte es mit einem Leinentuch trocken. Anschließend musterte sie sich erneut. Die Wangen hatten jetzt ein wenig Farbe bekommen und waren leicht gerötet. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, aus dem sich während der Nacht einige Haare gelöst hatten, die ihr nun wirr ins Gesicht hingen. Sie öffnete den Zopf und bürstete den Staub des letzten Tages heraus. »Es sieht hübsch aus.« Erschrocken zuckte Marianne zusammen und blickte sich um. Anderl saß aufrecht im Bett und lächelte sie an. »So hübsch sind deine Haare.« Sie legte den Kopf schräg und spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. »Du bist wach?«, sagte sie ausweichend. »Es ist recht früh, Anderl, schlaf noch ein wenig.« Der Junge sah sie prüfend an. Marianne begann, ihren Zopf zu flechten, und wartete geduldig ab, bis er die richtigen Worte gefunden hatte. »Ich bin nicht müde«, antwortete er, ließ seinen Kopf aber zurück aufs Kissen sinken. »Doch, das bist du.« Marianne band sich ein blaues Kopftuch um, ging zu ihm und sank vor dem Bett in die Hocke. Zärtlich sah sie ihn an und fuhr ihm durch sein wirres Haar. »Es war eine laute Nacht, und du bist so spät zu mir gekommen. Schlaf noch ein wenig.« Dankbar sah er sie an und kuschelte sich gähnend unter die Decke. »Du bist auch müde.« Seufzend erhob sich Marianne und schlüpfte in ihre abgetragenen, aber bequemen Schuhe. »Ja, das bin ich. Aber wenn ich jetzt nicht gleich in die Küche gehe, dann reißt mir Irmgard den Kopf ab.« Prüfend zog sie ihr Kopftuch vor dem Spiegel zurecht und drehte sich dann erneut zu ihm um. Doch Anderl hatte die Augen bereits wieder geschlossen. Marianne schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte er ihre Antwort gar nicht mehr gehört. Sie öffnete die Tür und trat in den düsteren Flur. Die allgegenwärtige Geruchsmischung aus Malz, gebratenem Fleisch und Schweiß hüllte sie ein. Leise schlich Marianne über den knarzenden Dielenboden, vorbei an Hedwigs Kammer, zur Treppe. Ihre Ziehmutter hielt nichts davon, früh aufzustehen. Zumeist erschien sie erst kurz vor dem Mittagsgeschäft in der Gaststube, worauf Marianne und die anderen durchaus verzichten konnten. Hedwig stellte das dar, was man sich gemeinhin unter einer Brauereibesitzerin und Wirtin vorstellte. Sie war korpulent, hatte ausladende Hüften und große Brüste. Ihre Haut war weiß wie Schnee und von roten Flecken übersät. Ihr Kinn war fleischig, ihre Oberarme fest und muskulös. Laut und burschikos klang ihr Lachen, und ihr Gang hatte nichts Weibliches an sich. Margit, die abends immer beim Bedienen aushalf und eigentlich nur wegen der Männer kam, verglich sie gern mit dem großen, massiven Geschirrschrank, der hinter der Theke in der Gaststube stand. Marianne konnte nicht über Margits Scherze lachen, denn sie hatte Angst vor Hedwig und war stets auf der Hut, wenn sie in ihre Nähe kam. Nicht eine angenehme Eigenschaft verband sie mit dieser Frau, die eigentlich ihre Mutter sein sollte und sie großgezogen hatte. Sie würde niemals auf den Gedanken kommen, sich als ihre Tochter zu fühlen. Sie war die Tochter der Frau mit den hellen blauen Augen und der sanften, singenden Stimme, die es nur noch in ihrer Erinnerung gab.
Marianne blieb verwundert auf dem letzten Treppenabsatz stehen. Normalerweise hörte man Irmgard mit den Töpfen klappern und nahm die unverwechselbaren Gerüche von Holzrauch und Haferbrei wahr, die durch den unteren Flur zogen. Aber heute war es still. Unheimlich still. Die Küchentür war nur angelehnt, und ein schmaler Lichtstreifen fiel auf den Dielenboden. Marianne trat näher heran. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie schob die Küchentür vorsichtig auf. Keiner schlug sie wieder zu, nichts fiel zu Boden, niemand rannte fort oder erschreckte sie. Sie wurde etwas mutiger und blickte in den Raum. Die geräumige Küche war leer. Wie Marianne bereits auf der Treppe vermutet hatte, brannte kein Feuer in dem großen gusseisernen Ofen. Auf dem Boden entdeckte sie Irmgards Korb, gut gefüllt mit Gemüse, das in dem kleinen Garten hinter den Brauereigebäuden wuchs. Also musste sie hier gewesen sein, überlegte Marianne. Die Tür zum Hof stand offen, quietschte ein wenig in den Angeln, und die Sonne schien in den Raum. In ihrem Licht tanzten kleine Staubkörnchen, irgendwo summte eine Biene, das Gackern der Hühner drang an ihr Ohr. Marianne rieb sich fröstelnd über die Arme, obwohl es nicht kalt war.
Langsam ging sie durch die Küche, trat auf den Hof und hob ihre Hand zum Schutz vor der Sonne über die Augen. Als sie sich an das grelle Licht gewöhnt hatte, sah sie Irmgard. Sie lag auf dem Boden. Die Hühner tippelten eifrig um sie herum und pickten nach dem Futter, das aus dem Eimer gefallen war, der neben der alten Magd lag. Irmgards Blick ging ins Leere, ihre Gesichtszüge wirkten erschlafft. Vorsichtig trat Marianne näher. Der Tod hatte für sie nichts Erschreckendes. Sie sank neben die alte Frau und betrachtete ihr Gesicht. Das Antlitz, das sie jeden Tag gesehen hatte, die Augen, die jetzt ausdruckslos waren, hatten immer über sie gewacht und oft Milde und Nachsicht gezeigt. Selbst jetzt, im Angesicht ihres Schöpfers, lächelte Irmgard ein wenig. Marianne lächelte ihr zu und vergaß für einen Moment den Hof und alles um sich herum. In ihrer Erinnerung sah sie plötzlich ihre alte Küchenmagd Alma vor sich. Die gute alte Alma, die nicht wiedergekommen war. Sie sah ihren kleinen Bruder, wie er im Bettchen gelegen hatte, die Augen geschlossen, die Lippen rot. Er hatte ausgesehen, als würde er schlafen, so friedlich und ruhig. Der Tod hatte ihm nicht seinen Liebreiz genommen. Alma hatte immer gesagt, der liebe Gott würde aus Kindern Engel machen und sie deshalb im Schlaf holen. Warum er sie selbst damals nicht geholt hatte, hatte sie nie verstanden. Sie wäre so gern ein Engel geworden, an der Seite ihres Bruders. Ein sanfter Windstoß brachte Marianne in die Realität zurück. Seufzend erhob sie sich, hielt dann aber noch für einen kurzen Moment inne. Der Wind schien für einen Augenblick stärker zu werden. Staub wirbelte in die Höhe, und sogar die gackernden Hühner wurden still. Es war, als würde die Seele sich verabschieden und endgültig gehen. »Auf Wiedersehen«, flüsterte Marianne und wandte sich wieder zur Tür, durchschritt schweren Herzens die Küche und ging die Treppe nach oben. Jetzt musste Hedwig geweckt werden.
*
Das rostige Friedhofstor quietschte laut, als Marianne es öffnete. Missmutig blickte sie sich um. Es war Mittag, und die Sonne schien unerbittlich auf die schmiedeeisernen Kreuze und Grabsteine. Langsam schritt sie durch die Reihen der Gräber. Einige wurden liebevoll gepflegt, andere waren verwildert, und Brombeerranken und Efeu überwucherten die Grabsteine und kreuze. Der Friedhof war im hinteren Bereich erweitert worden. Ein großes Loch klaffte in der Mauer, und ein angedeuteter Weg führte auf ein neues Gräberfeld. Dicht an dicht lagen hier die frischen Grabstätten, meist nur mit einfachen Holzkreuzen verziert. Marianne ging nicht gern auf den Friedhof, was nichts mit den Toten oder so manchem Geist zu tun hatte. Sie fürchtete sich eher vor den Lebenden. Langsam schritt sie durch das hohe Gras. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, in diesem neuen Teil des Friedhofes einen Weg anzulegen. Zu viele Tote hatte es in der letzten Zeit zu beklagen gegeben. Zwar waren die Zeiten nicht so schlecht wie während der großen Pestwellen, und Massengräber gab es keine, aber Leopold Wiesner, der Friedhofsgräber, den alle nur Poldi nannten, konnte sich über fehlende Arbeit nicht beklagen. Marianne blieb vor einem teilweise ausgehobenen Grab stehen. Poldi hielt beim Schaufeln inne und blickte auf. Mürrisch verzog er das Gesicht, womit Marianne gerechnet hatte, denn Poldi konnte sie nicht leiden und machte daraus, wie fast alle in Rosenheim, keinen Hehl. In seiner Gegenwart verspürte sie stets Angst, was gewiss auch mit seinem abstoßenden Äußeren zusammenhing. Poldi war als Kind von einem Hund gebissen worden. Das Tier hatte ihm einen Teil der rechten Wange und ein Auge herausgerissen. Diese Entstellung ließ ihn wie ein Ungeheuer aussehen. Sein verbliebenes Auge wirkte stechend und unnatürlich. Er drehte es oft seltsam hin und her, was die abschreckende Wirkung noch verstärkte. Wegen des Lochs in seiner Wange konnte er nicht richtig lachen und verzog oft nur den Mundwinkel, was sein Gesicht noch hässlicher aussehen ließ. Er wischte sich seine schmutzigen Hände an der Hose ab. »Was willst du, Mädchen? Habe ich nicht gesagt, du sollst dich auf dem Friedhof nicht blicken lassen, verdammtes Pestkind.« Marianne wich ein Stück zurück. Am liebsten wäre sie fortgelaufen. Sollte Hedwig doch zusehen, wie sie ihre Magd unter die Erde bekam. Eigentlich war es ihre Aufgabe, sich um Irmgards Beerdigung zu kümmern. Allerdings hätte Hedwig wahrscheinlich vergessen, zum Friedhof und zum Pfarrer zu gehen, bei dem Marianne bereits gewesen war, denn sonst würde Irmgard bei diesem Wetter im Schuppen zu stinken anfangen. Die alte Magd hatte es verdient, eine anständige Beerdigung zu bekommen. Auch wenn diese eher einfach und ohne Pfarrer am Grab ausfallen würde. Hedwig dachte nicht daran, den Geistlichen zu bezahlen oder wenigstens eine kleine Spende für die Kirche zu geben. Deshalb würde Irmgard nur kurz im Stall gesegnet werden, bevor Poldi sie hoffentlich abholen würde. Marianne atmete tief durch, ignorierte seinen rüden Ton und antwortete: »Hedwig Thaler schickt mich. Unsere Irmgard, die Küchenmagd, ist tot. Einfach umgefallen. Könnt Ihr sie morgen Vormittag holen?« Poldi zog die Augenbrauen hoch und machte eine weit ausholende Geste.
»Vier Gräber müssen bis morgen fertig werden. Denkst du, ich hab für alles Zeit, du vermaledeites Etwas? Sieh zu, dass du fortkommst, und richte Hedwig aus, ich hätte zum Abholen keine Zeit und sie soll die Leiche herbringen.« Mit dieser Antwort hatte Marianne gerechnet. Doch es gehörte zu Poldis Aufgaben, die Leichen abzuholen. Sie durften innerhalb der Stadtmauern nicht einfach auf irgendeinem Wagen transportiert werden. Der Friedhofsgräber musste sie mit dem dafür vorgesehenen Karren abholen, ob es ihm gefiel oder nicht. Margit hatte sie schon vorgewarnt, dass er gewiss versuchen würde, sie abzuwimmeln. »Ihr kennt die Regeln, Poldi. Sie muss mit dem Leichenkarren abgeholt werden.« Poldi warf ihr einen bösen Blick zu. Auch wenn er sie nicht leiden konnte und am liebsten in die Hölle schicken würde, aus der sie anscheinend hervorgekrochen war, musste er in diesem Fall nachgeben. Es war seine Pflicht, die Toten einzusammeln. Wenn er es nicht tat, konnte er Ärger mit dem Büttel bekommen, was er auf gar keinen Fall wollte. Er griff wieder nach seiner Schaufel und arbeitete weiter. Marianne blieb abwartend vor dem Grab stehen. Sein Verhalten war unmöglich, doch sie versuchte trotzdem, geduldig zu bleiben, denn mit lauten Worten würde sie nicht weiterkommen. Poldi musste nachgeben. Es war nur eine Frage der Zeit. Der Friedhofsgräber schaufelte eine Weile schweigend weiter, doch irgendwann konnte er ihren Anblick nicht mehr ertragen. »Also gut«, lenkte er ein. »Ich komme sie morgen früh holen. Einen Sarg wird es nicht geben, oder?« Marianne atmete erleichtert aus. »Nein, einen Sarg gibt es nicht. Auf Wiedersehen.« Sie drehte sich um und schritt hocherhobenen Hauptes davon.
Auf dem Rückweg vom Friedhof kam Marianne am Anwesen der Hofers vorbei, das am Anfang der engen Hafnergasse lag, die zum Salzstadl führte. Es war ein prachtvolles Eckhaus mit einem großen Tor, durch das man in einen Innenhof gelangte, in dem eine große Linde neben einem plätschernden Brunnen stand. Die Hofers waren reiche Leute. Maximilian Hofer war ein angesehener Tuchhändler. Fast alle Lieferungen, die über den Inn verschifft wurden, kamen zu ihm oder wurden von hier verschickt. Im hinteren Teil des Hofes gab es große Lagerhäuser, in denen viele Tuchballen auf ihre Abnehmer warteten. Marianne hatte als Kind gern mit Angelika, der Tochter des Hauses, gespielt. Angelika war zwei Jahre älter als sie und hatte nie viel darauf gegeben, ob ihrem Vater gefiel, was sie tat. Ungehorsam hatte er sie genannt und Marianne stets vom Hof verscheucht, wenn er ihrer ansichtig geworden war. Sogar eingesperrt hatte er Angelika und geschlagen. Doch die beiden Mädchen trafen sich trotzdem. Der Tuchhändler war Witwer und oft auf Reisen. Angelika war von Kinderfrauen großgezogen worden, die sich meistens nicht darum scherten, was das Kind tat. Marianne und Angelika waren eine Zeitlang wie Pech und Schwefel gewesen. Marianne hatte die Freundin häufig zu den Mönchen ins Kloster mitgenommen, wo sie durch den weitläufigen Obstgarten toben durften und oft bei der Ernte halfen. Wehmütig blickte Marianne in den vertrauten Innenhof und betrachtete den staubigen Boden, die Karren vor den Lagerhäusern und die Hühner, die gackernd herumliefen und nach etwas Essbarem suchten. Überall auf dem Boden lagen wie ein hellgrüner Teppich die Blüten der Linde. Gern wäre sie hineingegangen und hätte grüß Gott gesagt, aber sie traute sich nicht. Angelika hatte vor drei Jahren geheiratet.
Ludwig Thalhammer stammte aus einer einflussreichen Kaufmannsfamilie. Von fern hatte Marianne Angelika in ihrem hübschen seidenen Hochzeitskleid bewundert. Ihre blonden Haare waren geflochten und aufgesteckt worden, und sie hatte einen Blumenkranz aus Margeriten getragen. Ab diesem Tag war alles anders zwischen ihnen geworden. Ludwig hatte Angelika den Umgang mit Marianne verboten. Sie sah jetzt weg, wenn ihr die Freundin auf der Straße begegnete, und grüßte sie nicht mehr. Marianne hatte anfangs gehofft, dass diese Ablehnung sich geben würde, aber als Ludwig sie an einem windigen Herbsttag wie einen räudigen Hund vom Hof gejagt hatte, hatte sie verstanden. Seitdem war sie nie wieder hierhergekommen. Doch jetzt zögerte sie weiterzugehen. Nur zu gern hätte sie Angelika, die im letzten Jahr Mutter geworden war, wiedergesehen. Die Freundin konnte doch nicht auf ewig so abweisend zu ihr sein. Auch wenn alle sie verachteten und ihr mit Misstrauen und Argwohn begegneten, wusste Angelika es besser. Aber dann überlegte sie es sich anders und ging weiter. Angelika hatte jetzt ein eigenes Leben, in dem es für sie keinen Platz mehr gab. Einige Meter weiter ließ ein lautes Quietschen Marianne innehalten, und sie wandte sich um. Ein kleines Mädchen kam aus dem Hof des Tuchhändlers gewackelt, ruderte mit den Armen, lief auf die Gasse und hob einen Kieselstein auf, den er bewundernd musterte. Marianne blickte zum Hoftor, doch niemand folgte dem Kind. In diesem Moment bog ein mächtiges Fuhrwerk, von vier Pferden gezogen, um die Ecke und fuhr genau auf die Kleine zu. Marianne rannte los, riss das Kind an sich und sprang zur Seite. Das Fuhrwerk ratterte an ihnen vorbei. Das Mädchen riss erschrocken die Augen auf, verzog sein Gesicht und begann zu weinen.
In dem Moment trat Angelika auf die Straße. Sofort rannte sie zu Marianne und riss ihr das Kind aus den Armen. Ihr Blick war eiskalt. Marianne wich zurück, versuchte dann aber, sich zu verteidigen. »Sie ist vor eines der Fuhrwerke gelaufen.« Angelika sah ihre Tochter mahnend an. »Frieda, meine Frieda. Du sollst doch nicht auf die Gasse laufen. « Sie wandte sich ab. Marianne schaute ihr fassungslos hinterher. Das konnte doch nicht sein. Sie hatte die Kleine vor dem sicheren Tod bewahrt, denn die Pferde hätten das Kind niedergetrampelt, und das war der Dank dafür. Enttäuscht wollte sie weitergehen. »Warte!«, rief Angelika aber doch noch. Marianne blieb stehen und drehte sich um. »Danke, dass du Frieda gerettet hast.« Angelika lächelte schüchtern. »Gern geschehen«, antwortete Marianne erleichtert. Angelika nickte, hob die Hand zum Gruß, ging auf den Hof zurück und schloss das Tor hinter sich. Marianne blieb noch eine Weile stehen und blickte nachdenklich auf die rot gestrichenen Bretter, auf denen in weißen geschwungenen Buchstaben der Name des Tuchhändlers stand. Der Verlust ihrer Freundschaft schmerzte sie sehr. Doch dann straffte sie die Schultern, schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und ging. Sie würde nichts daran ändern können, sosehr sie es sich auch wünschte, denn sie spielte in Angelikas Leben keine Rolle mehr.
Der Innenhof der Brauerei war wie leer gefegt, als Marianne ihn kurz darauf betrat. Dicke dunkle Quellwolken türmten sich am Himmel bedrohlich auf und verdeckten die Sonne. Doch die schwüle Hitze lag wie eine Glocke über allem. Ihr Kleid klebte an ihrem Körper, und Schweiß rann ihre Beine hinunter. Selbst die Hühner hatten sich in den Schatten des Hauses zurückgezogen. Sanftes Wiehern drang aus der geöffneten Stalltür nach draußen. Marianne verdrehte die Augen. Bert und Sepp, die beiden behäbigen Brauereipferde, sollten eigentlich schon längst auf der kleinen Weide stehen, die auf der anderen Seite des Gebäudes direkt an den Gemüsegarten grenzte, um den sich bisher Irmgard gekümmert hatte. Marianne ahnte bereits, dass ihr diese Aufgabe jetzt zufallen würde, wie alles, was Irmgard erledigt hatte. Hedwig Thaler würde ihre Angewohnheit, möglichst wenig zu arbeiten, gewiss nicht ändern. Sie betrat den Stall, in dem ihr drückende, nach Pferdemist stinkende Luft entgegenschlug. Sofort scharrten die beiden Tiere unruhig mit den Hufen. Marianne öffnete die Boxen und führte die beiden über den Hof auf die kleine Weide, die nicht mehr als ein Stück Wiese zwischen Hauswänden war. Die Sonne verschwand hinter den Wolken, grummelnd kündigte sich ein Gewitter an. Schwer atmend und von Schwindel geplagt, blieb Marianne unter einem Apfelbaum stehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie bisher weder etwas gegessen noch getrunken hatte. Zurück im Hof, ging sie trotz des nagenden Hungers noch einmal in den Stall, um nach der toten Irmgard zu sehen. Die Leiche lag noch genau dort, wo sie sie abgelegt hatte, ordentlich zugedeckt mit einem grauen Leinentuch. Beruhigt wandte sie sich zum Gehen. Doch dann ließ ein Geräusch sie aufhorchen. Zielsicher eilte sie durch den Stall, blieb in der hintersten Ecke stehen und entfernte ein Holzbrett in der Wand, welches als Tür diente. Dahinter befand sich eine enge Nische, gerade groß genug für zwei Menschen. Anderl saß darin und sah Marianne mit weit aufgerissenen Augen an.
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Autoren-Porträt von Nicole Steyer
Steyer, NicoleNicole Steyer wurde 1978 in Bad Aibling geboren und wuchs in Rosenheim auf. Doch dann ging sie der Liebe wegen nach Idstein im Taunus. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder begann sie zu schreiben, beschäftigte sich mit der Idsteiner Stadtgeschichte und begann zu recherchieren. Das Ergebnis dieser Recherchen war ihr erster historischer Roman, DIE HEXE VON NASSAU, der sich mit den Hexenverfolgungen in Idstein und Umgebung befasst und ein großer Erfolg wurde. Auch ihre folgenden historischen Romane haben ein großes Publikum begeistert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nicole Steyer
- 3. Aufl., 592 Seiten, Maße: 12,4 x 17,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426514397
- ISBN-13: 9783426514399
- Erscheinungsdatum: 25.02.2014
Rezension zu „Das Pestkind “
"NIcole Steyer ist mit dem PESTKIND wieder ein eindrucksvoller historischer Roman gelungen. Sie führt ihre Leserinnen und Leser durch eine düstere Zeit, lässt sie Angst und Ohnmacht, schier unerträgliche Brutalität und auch Liebe und Hoffnung miterleben. Die Handlung ist voller Spannung - bis zum Schluss. Am liebsten würde man das Buch vor dem Ende nicht mehr aus der Hand legen." Rheingau Echo 20140911
Pressezitat
"NIcole Steyer ist mit dem PESTKIND wieder ein eindrucksvoller historischer Roman gelungen. Sie führt ihre Leserinnen und Leser durch eine düstere Zeit, lässt sie Angst und Ohnmacht, schier unerträgliche Brutalität und auch Liebe und Hoffnung miterleben. Die Handlung ist voller Spannung - bis zum Schluss. Am liebsten würde man das Buch vor dem Ende nicht mehr aus der Hand legen." Rheingau Echo 20140911
Kommentare zu "Das Pestkind"
4.5 von 5 Sternen
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