Das Sündenbuch
Historischer Roman
Eine junge Frau auf einer gefährlichen Reise von Prag nach Lissabon. An ihrer Seite: der Arzt Conrad. Ihr Gegner: geheime Mächte innerhalb der Kirche. Jana und Conrad sind die Hüter eines besonderen Schatzes; eines Manuskriptes mit brisantem Inhalt. Für die...
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Produktinformationen zu „Das Sündenbuch “
Klappentext zu „Das Sündenbuch “
Eine junge Frau auf einer gefährlichen Reise von Prag nach Lissabon. An ihrer Seite: der Arzt Conrad. Ihr Gegner: geheime Mächte innerhalb der Kirche. Jana und Conrad sind die Hüter eines besonderen Schatzes; eines Manuskriptes mit brisantem Inhalt. Für die Kirche ist es das Sündenbuch. Noch fehlt ihnen der Schlüssel, um das Geheimnis des Buches zu enträtseln. Und sie sind nicht die Einzigen, die ihn suchen. Eine gefährliche Jagd quer durch das Europa des 17. Jahrhunderts beginnt.
Lese-Probe zu „Das Sündenbuch “
Das Sündenbuch von Beate Maly1
Heidelberg 1618
Heftig und viel zu kalt für die Jahreszeit peitschte der Wind durch die enge Gasse, die zum linken Neckarufer führte. Er schlug Marek direkt ins Gesicht, der Wissenschaftler fluchte. Vor Kälte zitternd, hielt er sich den warmen Wollmantel eng an den Körper. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es im April in Prag jemals so eisig gewesen war. Dabei lag Heidelberg ein Stück weiter südlich als seine geliebte Heimatstadt, in der nun sicher schon die ersten Frühlingsblumen in den Gärten blühten. Das Wetter war nicht die einzige Lüge gewesen, mit der man ihn hierher gelockt hatte. Dabei hätte Marek ebenso gut in Bologna unterrichten können, auf der anderen Seite der Alpen, wo sich die Menschen um diese Jahreszeit längst im Freien aufhielten, statt sich in stickigen, beheizten Räumen vor der Kälte zu verkriechen.
Aber Marek saß seit acht Monaten in Heidelberg fest, wo es ihm einfach nicht gelang, Fuß zu fassen. Die Menschen hier waren verschlossen und ernst, und selbst das Unterrichten an der Universität machte ihm nicht den gewohnten Spaß. Die Studenten hinterfragten zu wenig und beteiligten sich kaum an den Diskussionen, die er so schätzte und die in seinen Augen der wichtigste Teil des Unterrichts waren. Marek lehrte Astronomie und Mathematik. Beides waren Fächer, in denen es im Moment wahrlich genug Diskussionsstoff gab. Erst letzte Woche hatte Marek neue Schriften von Johann Kepler und dem englischen Arzt William Gilbert zugeschickt bekommen. Aber die einzige Reaktion, die er bei seinen Studenten damit hervorgerufen hatte, waren gelangweilte, verständnislose und ängstliche Blicke. Es kam ihm vor, als fürchteten diese jungen Menschen sich vor neuen Ideen, dabei waren sie es, die die Welt verändern mussten, nicht die alten Gelehrten. Marek seufzte.
... mehr
Doch die Studenten waren nicht der einzige Grund für seine Unzufriedenheit. Was mindestens genauso stark dazu beitrug, dass er am liebsten auf der Stelle seine Sachen gepackt hätte und nach Prag geritten wäre, war seine Tochter, die er dort zurückgelassen hatte.
Es war jedes Mal das Gleiche. Sobald er fern seiner Heimatstadt war, sehnte er sich nach Jana. Doch kaum war er wieder in Prag, konnte er die Nähe der jungen Frau nicht ertragen, weil sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers an seine verstorbene Frau erinnerte. Mit dem blonden Haar, der hellen Haut und den dunkelgrünen Augen sah sie Anna so ähnlich, dass Marek jedes Mal aufs Neue erschrak, wenn er seine Tochter ansah. Der Schmerz, der ihn dann erfasste, war von einer solchen Heftigkeit, dass es ihn erneut forttrieb. Und Jana blieb allein bei seinem Bruder Karel, einem Apotheker, in Prag zurück. Es gab Menschen, die im Laufe der Jahre mit dem Verlust des geliebten Partners umgehen lernten, Marek gehörte nicht dazu. Lieber flüchtete er, statt sich dem Schmerz zu stellen. Und so schob er Janas Bild, das eben vor seinem geistigen Auge aufgetaucht war, wieder weg und starrte in den Himmel.
Das durfte einfach nicht wahr sein. Jetzt begann es tatsächlich zu schneien. Winzig kleine Eiskristalle landeten auf seinen Wangen und bohrten sich in die Haut. Marek presste die Augen zusammen, rieb über die müden Lider und fluchte laut, dann lief er rasch weiter.
Aus der Ferne hörte er ein regelmäßiges Klopfen. Es stammte von dem goldfarbenen Fisch, der über dem niedrigen Eingang einer Taverne hing und nun im Wind gegen die rote Backsteinfassade schlug. Das Geräusch hatte etwas Tröstliches, Vertrautes. Marek kam häufig hierher, auch wenn die anderen Mitglieder des Kollegiums lieber die Gasthäuser im oberen Teil der Stadt besuchten, wo Rehbraten und Rheinwein serviert wurden. Marek hingegen bevorzugte würziges, frisches Bier und böhmische Knödel, beides bekam er in der Taverne »Zum goldenen Fisch«, in der eine böhmische Wirtin Spezialitäten aus seiner Heimat kochte. Speck- und Grammelknödel mit Kraut und zum Nachtisch Powideltaschen mit heißen Butterbröseln.
Marek blieb vor dem einstöckigen Haus, aus dem laute Stimmen und Gelächter drangen, stehen. Er klopfte seinen Mantel ab und drückte die rot gestrichene hölzerne Eingangstür auf. Augenblicklich schlug ihm ein wohlvertrauter Geruch nach heißem Öl, frischer Hefe und gerösteten Zwiebeln entgegen. Vorsichtig zog Marek den Kopf ein, denn die Gaststube war so niedrig, dass er aufgerichtet gegen einen der rußgeschwärzten Deckenbalken gestoßen wäre. Er suchte in der vollen Stube nach einem freien Platz.
Mila, die Tochter der Wirtsleute, erkannte Marek und winkte ihm freudig zu. Sie war klein und beinahe ebenso breit wie hoch. Ihr üppiger Busen war eng zusammengeschnürt und quoll aus einem freizügigen Ausschnitt. Die Blicke sämtlicher männlichen Gäste waren ihr sicher.
»Dort hinten ist noch Platz«, rief sie. Mila sprach Deutsch mit tschechischem Akzent, obwohl Marek sie auch in ihrer Muttersprache verstanden hätte, und zeigte mit einem ihrer runden Finger auf einen Tisch im hinteren Teil des Raums. Ein einziger Besucher saß dort, Marek hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er sah fremdländisch aus, seine Haut war sonnengebräunt und wettergegerbt, und er wirkte nervös. Unablässig ließ er den Blick durch den Raum schweifen, wie ein gehetztes Tier, das bereit war, jeden Moment aufzuspringen und davonzulaufen.
Während Marek auf den freien Platz zuging, rief Mila ihm nach: »Wir haben Fleischknödel mit gerösteten Zwiebeln.«
»Das klingt wunderbar«, erwiderte Marek.
Dass er einen Krug voll frischem Bier dazu trinken würde, wusste Mila auch so. Die meisten Stammgäste kamen ausschließlich deswegen. Das Bier, das ihre Mutter nach einem alten Rezept aus frischem Hopfen und Malz herstellte, war mit Abstand das Beste der Stadt.
Marek zog seinen nassen Mantel aus und hängte ihn an einen Haken an der Wand. Dann nahm er auf dem wackeligen Stuhl Platz. Es erforderte ein gewisses Maß an Geschicklichkeit, auf den maroden Stühlen der Taverne sicher zu sitzen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Aber Marek hatte Übung darin. Er nickte seinem Gegenüber zu, der offensichtlich schon mehrere Krüge Bier geleert hatte, denn die unruhigen Augen waren glasig und trüb.
»Verdammt gutes Bier«, sagte der Fremde und deutete auf den schweren Tonkrug vor sich. Seine Zunge war schwer, und er lallte ein wenig. Er sprach einen südlicheren Dialekt, vielleicht stammte er aus der Gegend rund um den Bodensee. Marek musste sich konzentrieren, um ihn zu verstehen.
»Ja, das ist es. Aber zu viel davon, und Ihr habt morgen einen brummenden Kopf«, warnte Marek aus eigener Erfahrung.
Der Mann lachte so laut, dass der tiefe Ton in Mareks Ohren lange nachhallte. »Keine Sorge. Ich vertrage einiges, schließlich bin ich jahrelang zur See gefahren. Ich kann ein ganzes Fass Rum austrinken und immer noch den Mast hochklettern bis zum Ausguck.«
Das erklärte die sonnenverbrannte, ledrige Haut des Fremden, nicht aber den Dialekt.
In dem Moment kam Mila und brachte eine Schüssel mit dampfenden Knödeln und einen schweren Krug Bier. Die dralle Wirtstochter stellte beides vor Marek auf den Tisch.
»Schönes Mädchen, für mich auch noch einen Krug Bier«, rief ihr der Fremde zu. Dabei starrte er gierig auf ihren Busen.
Mila verdrehte die Augen und fragte skeptisch: »Das wäre dann Euer fünfter Krug. Habt Ihr denn genug Geld?«
Der Seemann grinste und legte dabei eine Reihe schwarzer Stummelzähne frei. »Geld hab ich keines. Dafür etwas viel Wertvolleres.«
»Ihr habt kein Geld?«, schrie Mila schrill und schaute hilfesuchend zum Tresen, wo ihr Vater frisches Bier zapfte. Der Wirt, der vor dem Bauch eine nicht mehr ganz saubere Schürze trug, war ebenso klein und breit wie Mila. Er erkannte trotz des zunehmenden Lärmpegels in der Stube den Ernst der Lage, knallte den halbvollen Krug auf den Tisch und eilte seiner Tochter zu Hilfe.
»Wenn Ihr kein Geld habt, rufe ich die Stadtwache. Wir brauchen hier keine Zechpreller!«, drohte er. Sein Gesicht war rot und glänzte. Vielleicht vor Ärger, vielleicht von dem Bier, das er an diesem Abend schon getrunken hatte. Aber die Wut in seinen Augen galt ganz allein dem Fremden, der nicht zahlen wollte.
Das Stimmengewirr an den anderen Tischen verstummte für einen Moment, und aller Augen richteten sich neugierig auf den Wirt und seinen widerspenstigen Gast. Dem See¬mann war die Aufmerksamkeit der vielen Gäste sichtlich unangenehm.
»Beruhigt Euch«, sagte er leise, griff in seine Jackentasche und kramte nervös darin herum. Schließlich zog er mit sei¬nen wettergegerbten riesigen Händen einen goldenen An¬hänger hervor.
»Reicht Euch dieser Schatz aus der Neuen Welt?«, fragte er und ließ das Medaillon an einer schäbigen Kette aus brü¬chigem Leder vor sich hin und her baumeln.
Der Wirt blieb unbeeindruckt. »Euer Schatz interessiert mich nicht. Entweder Ihr bezahlt Eure Zeche, oder Ihr ver¬bringt die Nacht im Stadtgefängnis.«
»Das Medaillon ist ein ... Vermögen wert«, sagte der See¬fahrer langsam. Er senkte seine Stimme, bis er nur noch flüsterte. »Es stammt aus einem Land am anderen Ende der Welt. Nur wenige haben bis jetzt ihren Fuß auf diese reiche, üppige Erde gesetzt, in der das Gold wächst wie anderswo die Rüben. Ich habe unsagbare Schätze gesehen. Gold, das die Spanier tonnenweise auf ihre Halbinsel schaffen. Dieses Medaillon ist ein winzig kleiner Teil davon. Ein Fingerhut voll.«
Seine rot unterlaufenen Augen glänzten bei der Erinne¬rung an das Ausmaß der Schätze, doch der Wirt schüttelte unbeeindruckt den Kopf: »Ich pfeife auf Euren Schatz. Wer weiß, ob das Ding echt ist. Ich will Münzen sehen.«
Er hatte beide Hände in die breiten Hüften gestemmt. Das Medaillon, so wertvoll es vielleicht auch sein mochte, sah er überhaupt nicht an.
Unterdessen starrte Marek auf das Schmuckstück, das nun auf der Tischplatte lag. Er trank einen Schluck von seinem Bier. Es schmeckte köstlich wie immer, aber heute bemerkte Marek das kaum. Wie konnte der Wirt pures Gold ausschlagen? Warum erkannte er den Wert nicht? Behutsam zog er seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und kramte zwei Kupfermünzen hervor. Geräuschlos legte er sie auf die Tischplatte, schob sie zum Wirt und sagte leise: »Ich lade meinen Tischnachbarn ein.«
Aber der Wirt war nicht so leicht zu beruhigen. »Der Kerl hat die letzte Nacht in einer meiner Kammern verbracht. Er schuldet mir die dreifache Summe.«
Erneut griff Marek in seinen Beutel, seufzte und holte weitere Münzen hervor.
»Das sollte reichen«, sagte er und fügte hinzu: »Und bringt dem Mann noch einen Krug von Eurem vorzüglichen Bier.«
Gierig schlossen sich die roten Finger des Wirtes um die Münzen und verschwanden unter seine Schürze. Etwas Unverständliches grunzend, schlurfte er zu seinem Tresen zurück, Mila folgte ihm erhobenen Hauptes und mit finsterem Blick. Kaum war der Streit geschlichtet, setzten die anderen Gäste ihre Gespräche fort. Sie hatten das Interesse an dem fremden Seemann verloren.
Marek bemerkte den wieder einsetzenden Lärm nicht, er starrte gebannt das goldene Schmuckstück an. Der glänzende Anhänger schien ihn förmlich anzuziehen, so als hätte er die magnetischen Kräfte, die der englische Arzt William Gilbert vor kurzem in einer seiner umstrittenen Schriften beschrieben hatte. Während Marek noch überlegte, wie der Titel der wissenschaftlichen Arbeit lautete, kam Mila zurück. Sie brachte einen Krug frisches Bier für den Seemann und stellte ihn so schwungvoll ab, dass goldbraune Flüssigkeit überschwappte.
Gierig zog der Fremde den Krug zu sich und musterte Marek neugierig. Seine glasigen Augen wirkten nun klar und bewegten sich nicht mehr unruhig nach allen Seiten. Langsam schob der Fremde das goldene Amulett näher zu Marek.
»Gehört Euch«, sagte er.
Marek schüttelte den Kopf, konnte aber nicht widerstehen und griff zögernd danach. Nie zuvor hatte er etwas auch nur annähernd Ähnliches gesehen. Das Schmuckstück war zwetschgengroß, oval und über und über mit bunten Zeichen übersät. Ein sehr geschickter Handwerker hatte im Zentrum des Amuletts ein Relief geformt, das eine Sonne oder gefiederte Schlange darstellte. Das seltsame Tier schien mit seinen Federn oder Flammen all die fremdartigen Zeichen zu beschützen. Einige davon sahen aus, als hätte man sie völlig unmotiviert nebeneinandergesetzt.
»Woher habt Ihr das Schmuckstück?«, fragte Marek.
»Ich habe es auf der Überfahrt aus der Neuen Welt einem Jesuitenmönch abgenommen. Der Mann lag im Sterben, er hätte ohnehin nichts mehr damit anfangen können.«
Etwas in der Stimme des Seefahrers ließ Marek aufhorchen. Jahrelanges Unterrichten zahlreicher Schüler und Studenten hatte ihn gelehrt, eine Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden. Das, was der Fremde ihm erzählte, stimmte, und dennoch entsprach das, was er sagte, nicht ganz den Tatsachen. Ähnlich wie bei seinen Studenten, wenn sie zu wenig für eine Prüfung gelernt hatten und ihr Unwissen mit halbwahren Ausreden zu entschuldigen suchten.
Marek fuhr mit dem Daumen über das seltsame Schmuckstück. Es wog schwer in seiner Hand und war ganz sicher aus purem Gold gefertigt. Der Wirt war ein Narr gewesen, dass er es nicht als Zahlungsmittel akzeptiert hatte.
© Ullstein Verlag
Es war jedes Mal das Gleiche. Sobald er fern seiner Heimatstadt war, sehnte er sich nach Jana. Doch kaum war er wieder in Prag, konnte er die Nähe der jungen Frau nicht ertragen, weil sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers an seine verstorbene Frau erinnerte. Mit dem blonden Haar, der hellen Haut und den dunkelgrünen Augen sah sie Anna so ähnlich, dass Marek jedes Mal aufs Neue erschrak, wenn er seine Tochter ansah. Der Schmerz, der ihn dann erfasste, war von einer solchen Heftigkeit, dass es ihn erneut forttrieb. Und Jana blieb allein bei seinem Bruder Karel, einem Apotheker, in Prag zurück. Es gab Menschen, die im Laufe der Jahre mit dem Verlust des geliebten Partners umgehen lernten, Marek gehörte nicht dazu. Lieber flüchtete er, statt sich dem Schmerz zu stellen. Und so schob er Janas Bild, das eben vor seinem geistigen Auge aufgetaucht war, wieder weg und starrte in den Himmel.
Das durfte einfach nicht wahr sein. Jetzt begann es tatsächlich zu schneien. Winzig kleine Eiskristalle landeten auf seinen Wangen und bohrten sich in die Haut. Marek presste die Augen zusammen, rieb über die müden Lider und fluchte laut, dann lief er rasch weiter.
Aus der Ferne hörte er ein regelmäßiges Klopfen. Es stammte von dem goldfarbenen Fisch, der über dem niedrigen Eingang einer Taverne hing und nun im Wind gegen die rote Backsteinfassade schlug. Das Geräusch hatte etwas Tröstliches, Vertrautes. Marek kam häufig hierher, auch wenn die anderen Mitglieder des Kollegiums lieber die Gasthäuser im oberen Teil der Stadt besuchten, wo Rehbraten und Rheinwein serviert wurden. Marek hingegen bevorzugte würziges, frisches Bier und böhmische Knödel, beides bekam er in der Taverne »Zum goldenen Fisch«, in der eine böhmische Wirtin Spezialitäten aus seiner Heimat kochte. Speck- und Grammelknödel mit Kraut und zum Nachtisch Powideltaschen mit heißen Butterbröseln.
Marek blieb vor dem einstöckigen Haus, aus dem laute Stimmen und Gelächter drangen, stehen. Er klopfte seinen Mantel ab und drückte die rot gestrichene hölzerne Eingangstür auf. Augenblicklich schlug ihm ein wohlvertrauter Geruch nach heißem Öl, frischer Hefe und gerösteten Zwiebeln entgegen. Vorsichtig zog Marek den Kopf ein, denn die Gaststube war so niedrig, dass er aufgerichtet gegen einen der rußgeschwärzten Deckenbalken gestoßen wäre. Er suchte in der vollen Stube nach einem freien Platz.
Mila, die Tochter der Wirtsleute, erkannte Marek und winkte ihm freudig zu. Sie war klein und beinahe ebenso breit wie hoch. Ihr üppiger Busen war eng zusammengeschnürt und quoll aus einem freizügigen Ausschnitt. Die Blicke sämtlicher männlichen Gäste waren ihr sicher.
»Dort hinten ist noch Platz«, rief sie. Mila sprach Deutsch mit tschechischem Akzent, obwohl Marek sie auch in ihrer Muttersprache verstanden hätte, und zeigte mit einem ihrer runden Finger auf einen Tisch im hinteren Teil des Raums. Ein einziger Besucher saß dort, Marek hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er sah fremdländisch aus, seine Haut war sonnengebräunt und wettergegerbt, und er wirkte nervös. Unablässig ließ er den Blick durch den Raum schweifen, wie ein gehetztes Tier, das bereit war, jeden Moment aufzuspringen und davonzulaufen.
Während Marek auf den freien Platz zuging, rief Mila ihm nach: »Wir haben Fleischknödel mit gerösteten Zwiebeln.«
»Das klingt wunderbar«, erwiderte Marek.
Dass er einen Krug voll frischem Bier dazu trinken würde, wusste Mila auch so. Die meisten Stammgäste kamen ausschließlich deswegen. Das Bier, das ihre Mutter nach einem alten Rezept aus frischem Hopfen und Malz herstellte, war mit Abstand das Beste der Stadt.
Marek zog seinen nassen Mantel aus und hängte ihn an einen Haken an der Wand. Dann nahm er auf dem wackeligen Stuhl Platz. Es erforderte ein gewisses Maß an Geschicklichkeit, auf den maroden Stühlen der Taverne sicher zu sitzen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Aber Marek hatte Übung darin. Er nickte seinem Gegenüber zu, der offensichtlich schon mehrere Krüge Bier geleert hatte, denn die unruhigen Augen waren glasig und trüb.
»Verdammt gutes Bier«, sagte der Fremde und deutete auf den schweren Tonkrug vor sich. Seine Zunge war schwer, und er lallte ein wenig. Er sprach einen südlicheren Dialekt, vielleicht stammte er aus der Gegend rund um den Bodensee. Marek musste sich konzentrieren, um ihn zu verstehen.
»Ja, das ist es. Aber zu viel davon, und Ihr habt morgen einen brummenden Kopf«, warnte Marek aus eigener Erfahrung.
Der Mann lachte so laut, dass der tiefe Ton in Mareks Ohren lange nachhallte. »Keine Sorge. Ich vertrage einiges, schließlich bin ich jahrelang zur See gefahren. Ich kann ein ganzes Fass Rum austrinken und immer noch den Mast hochklettern bis zum Ausguck.«
Das erklärte die sonnenverbrannte, ledrige Haut des Fremden, nicht aber den Dialekt.
In dem Moment kam Mila und brachte eine Schüssel mit dampfenden Knödeln und einen schweren Krug Bier. Die dralle Wirtstochter stellte beides vor Marek auf den Tisch.
»Schönes Mädchen, für mich auch noch einen Krug Bier«, rief ihr der Fremde zu. Dabei starrte er gierig auf ihren Busen.
Mila verdrehte die Augen und fragte skeptisch: »Das wäre dann Euer fünfter Krug. Habt Ihr denn genug Geld?«
Der Seemann grinste und legte dabei eine Reihe schwarzer Stummelzähne frei. »Geld hab ich keines. Dafür etwas viel Wertvolleres.«
»Ihr habt kein Geld?«, schrie Mila schrill und schaute hilfesuchend zum Tresen, wo ihr Vater frisches Bier zapfte. Der Wirt, der vor dem Bauch eine nicht mehr ganz saubere Schürze trug, war ebenso klein und breit wie Mila. Er erkannte trotz des zunehmenden Lärmpegels in der Stube den Ernst der Lage, knallte den halbvollen Krug auf den Tisch und eilte seiner Tochter zu Hilfe.
»Wenn Ihr kein Geld habt, rufe ich die Stadtwache. Wir brauchen hier keine Zechpreller!«, drohte er. Sein Gesicht war rot und glänzte. Vielleicht vor Ärger, vielleicht von dem Bier, das er an diesem Abend schon getrunken hatte. Aber die Wut in seinen Augen galt ganz allein dem Fremden, der nicht zahlen wollte.
Das Stimmengewirr an den anderen Tischen verstummte für einen Moment, und aller Augen richteten sich neugierig auf den Wirt und seinen widerspenstigen Gast. Dem See¬mann war die Aufmerksamkeit der vielen Gäste sichtlich unangenehm.
»Beruhigt Euch«, sagte er leise, griff in seine Jackentasche und kramte nervös darin herum. Schließlich zog er mit sei¬nen wettergegerbten riesigen Händen einen goldenen An¬hänger hervor.
»Reicht Euch dieser Schatz aus der Neuen Welt?«, fragte er und ließ das Medaillon an einer schäbigen Kette aus brü¬chigem Leder vor sich hin und her baumeln.
Der Wirt blieb unbeeindruckt. »Euer Schatz interessiert mich nicht. Entweder Ihr bezahlt Eure Zeche, oder Ihr ver¬bringt die Nacht im Stadtgefängnis.«
»Das Medaillon ist ein ... Vermögen wert«, sagte der See¬fahrer langsam. Er senkte seine Stimme, bis er nur noch flüsterte. »Es stammt aus einem Land am anderen Ende der Welt. Nur wenige haben bis jetzt ihren Fuß auf diese reiche, üppige Erde gesetzt, in der das Gold wächst wie anderswo die Rüben. Ich habe unsagbare Schätze gesehen. Gold, das die Spanier tonnenweise auf ihre Halbinsel schaffen. Dieses Medaillon ist ein winzig kleiner Teil davon. Ein Fingerhut voll.«
Seine rot unterlaufenen Augen glänzten bei der Erinne¬rung an das Ausmaß der Schätze, doch der Wirt schüttelte unbeeindruckt den Kopf: »Ich pfeife auf Euren Schatz. Wer weiß, ob das Ding echt ist. Ich will Münzen sehen.«
Er hatte beide Hände in die breiten Hüften gestemmt. Das Medaillon, so wertvoll es vielleicht auch sein mochte, sah er überhaupt nicht an.
Unterdessen starrte Marek auf das Schmuckstück, das nun auf der Tischplatte lag. Er trank einen Schluck von seinem Bier. Es schmeckte köstlich wie immer, aber heute bemerkte Marek das kaum. Wie konnte der Wirt pures Gold ausschlagen? Warum erkannte er den Wert nicht? Behutsam zog er seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und kramte zwei Kupfermünzen hervor. Geräuschlos legte er sie auf die Tischplatte, schob sie zum Wirt und sagte leise: »Ich lade meinen Tischnachbarn ein.«
Aber der Wirt war nicht so leicht zu beruhigen. »Der Kerl hat die letzte Nacht in einer meiner Kammern verbracht. Er schuldet mir die dreifache Summe.«
Erneut griff Marek in seinen Beutel, seufzte und holte weitere Münzen hervor.
»Das sollte reichen«, sagte er und fügte hinzu: »Und bringt dem Mann noch einen Krug von Eurem vorzüglichen Bier.«
Gierig schlossen sich die roten Finger des Wirtes um die Münzen und verschwanden unter seine Schürze. Etwas Unverständliches grunzend, schlurfte er zu seinem Tresen zurück, Mila folgte ihm erhobenen Hauptes und mit finsterem Blick. Kaum war der Streit geschlichtet, setzten die anderen Gäste ihre Gespräche fort. Sie hatten das Interesse an dem fremden Seemann verloren.
Marek bemerkte den wieder einsetzenden Lärm nicht, er starrte gebannt das goldene Schmuckstück an. Der glänzende Anhänger schien ihn förmlich anzuziehen, so als hätte er die magnetischen Kräfte, die der englische Arzt William Gilbert vor kurzem in einer seiner umstrittenen Schriften beschrieben hatte. Während Marek noch überlegte, wie der Titel der wissenschaftlichen Arbeit lautete, kam Mila zurück. Sie brachte einen Krug frisches Bier für den Seemann und stellte ihn so schwungvoll ab, dass goldbraune Flüssigkeit überschwappte.
Gierig zog der Fremde den Krug zu sich und musterte Marek neugierig. Seine glasigen Augen wirkten nun klar und bewegten sich nicht mehr unruhig nach allen Seiten. Langsam schob der Fremde das goldene Amulett näher zu Marek.
»Gehört Euch«, sagte er.
Marek schüttelte den Kopf, konnte aber nicht widerstehen und griff zögernd danach. Nie zuvor hatte er etwas auch nur annähernd Ähnliches gesehen. Das Schmuckstück war zwetschgengroß, oval und über und über mit bunten Zeichen übersät. Ein sehr geschickter Handwerker hatte im Zentrum des Amuletts ein Relief geformt, das eine Sonne oder gefiederte Schlange darstellte. Das seltsame Tier schien mit seinen Federn oder Flammen all die fremdartigen Zeichen zu beschützen. Einige davon sahen aus, als hätte man sie völlig unmotiviert nebeneinandergesetzt.
»Woher habt Ihr das Schmuckstück?«, fragte Marek.
»Ich habe es auf der Überfahrt aus der Neuen Welt einem Jesuitenmönch abgenommen. Der Mann lag im Sterben, er hätte ohnehin nichts mehr damit anfangen können.«
Etwas in der Stimme des Seefahrers ließ Marek aufhorchen. Jahrelanges Unterrichten zahlreicher Schüler und Studenten hatte ihn gelehrt, eine Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden. Das, was der Fremde ihm erzählte, stimmte, und dennoch entsprach das, was er sagte, nicht ganz den Tatsachen. Ähnlich wie bei seinen Studenten, wenn sie zu wenig für eine Prüfung gelernt hatten und ihr Unwissen mit halbwahren Ausreden zu entschuldigen suchten.
Marek fuhr mit dem Daumen über das seltsame Schmuckstück. Es wog schwer in seiner Hand und war ganz sicher aus purem Gold gefertigt. Der Wirt war ein Narr gewesen, dass er es nicht als Zahlungsmittel akzeptiert hatte.
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Autoren-Porträt von Beate Maly
Maly, BeateBeate Maly, geboren in Wien, ist Bestsellerautorin zahlreicher Kinderbücher, Sachbücher und historischer Romane. Ihr Herz schlägt neben Büchern für Frauen, die entgegen aller Widerstände um ihr Glück kämpfen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Beate Maly
- 2012, 1. Auflage., 480 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548284647
- ISBN-13: 9783548284644
- Erscheinungsdatum: 14.12.2012
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