Das weibliche Gehirn
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Einleitung
Was uns zuFrauen macht
Diegenetische Information von Männern und Frauen ist zu über 99 Prozent identisch.In den 30 000 Genen des menschlichen Genoms bestehen zwischen den Geschlechternnur geringfügige Abweichungen von weniger als einem Prozent. Aber dieser geringeUnterschied wirkt sich auf jede einzelne Zelle unseres Körpers aus, von denNerven, die Lust und Schmerz übertragen, bis zu den Neuronen, dieWahrnehmungen, Gedanken und Gefühle übertragen.
BeigenaueremHinsehen ist das Gehirn bei Männern und Frauen nicht genau gleich. Dasmännliche Gehirn ist selbst dann um rund neun Prozent größer, wenn man es imVerhältnis zur Körpergröße betrachtet. Im 19. Jahrhundert zogen Wissenschaftlerdaraus den Schluss, Frauen müssten geringere geistige Fähigkeiten besitzen alsMänner. Aber beide Geschlechter haben die gleiche Anzahl von Gehirnzellen;diese liegen bei Frauen nur dichter zusammen und drängen sich in den kleinerenSchädel wie in ein Korsett.
Fastwährend des gesamten 20. Jahrhunderts ging die Wissenschaft davon aus, dassFrauen neurologisch gesehen und in praktisch allen anderen Aspekten mitAusnahme der Fortpflanzungsfunktion kleine Männer seien. Diese Annahme bildetedie Grundlage dafür, dass sich falsche Vorstellungen über die weiblichePsychologie und Physiologie hartnäckig hielten. Sieht man sich die Unterschiedeim Gehirn jedoch etwas genauer an, kann man an ihnen ablesen, was Frauen zuFrauen und Männer zu Männern macht.
Bis in dieneunziger Jahre hinein schenkte man einer typisch weiblichen Physiologie,Neuroanatomie oder Psychologie kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit. DiesesVersäumnis erlebte ich Ende der siebziger Jahre in Berkeley alsStudienanfängerin in Neurobiologie ebenso aus erster Hand wie später während meinesMedizinstudiums in Yale, während meiner Promotion in Wissenschafts- undMedizingeschichte sowie während meiner psychiatrischen Ausbildung
Eines Tagesfiel mir auf, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Häufigkeit vonDepressionen erst dann auftreten, wenn Mädchen zwölf oder dreizehn sind - alsoin dem Alter, in dem die Regelblutung einsetzt. Offensichtlich hatten diechemischen Veränderungen in der Pubertät im Gehirn irgendwelche Wirkungen, diebei Frauen häufiger Depressionen auslösten. Damals erforschten nur wenigeWissenschaftler derartige Zusammenhänge; die meisten Psychiater waren wie ichin der traditionellen Theorie der Psychoanalyse ausgebildet, und die beschäftigtesich zwar mit Kindheitserlebnissen, zog aber nie in Betracht, dass spezifisch weiblichechemische Eigenschaften des Gehirns eine Rolle spielen könnten. Als ich bei derpsychiatrischen Untersuchung von Frauen auch den Hormonstatus heranzog,entdeckte ich, welche weitreichenden neurologischenWirkungen die Hormone in den verschiedenen Lebensphasen entfalten: Sie prägendie Triebe einer Frau, ihre Wertvorstellungen und ihre gesamte Wahrnehmung derRealität.
Dass dieGeschlechtshormone unterschiedliche Realitäten bei Frau und Mann schaffen, offenbartesich mir zum ersten Mal bei der Behandlung von Frauen, die an einem starken prämenstruellen »Gehirnsyndrom« leiden, wie ich es nenne. ImGehirn einer jeden Frau spielen sich während der Menstruation jeden Tag kleine Veränderungenab. Manche Teile des Gehirns wandeln sich dabei jeden Monat um 25 Prozent. Dasist manchmal mit Unannehmlichkeiten verbunden, aber die meisten Frauen bekommendie Veränderungen in den Griff. Einige meiner Patientinnen jedoch fühlten sichan manchen Tagen so sehr als Spielball ihrer Hormone, dass sie weder arbeitennoch mit irgendjemandem sprechen konnten, weil sie sonst entweder in Tränenausgebrochen wären oder einen Wutanfall bekommen hätten. Im überwiegenden Zeitraumdes Monats waren sie engagiert, intelligent, leistungsfähig und optimistisch,aber an manchen Tagen sorgte allein die Veränderung der Hormonströme zum Gehirndafür, dass ihnen die Zukunft düster erschien und dass sie sowohl sich selbstals auch ihr Leben hassten. Solche Gedanken fühlten sich real und handfest an,und entsprechend verhielten sich die Frauen, als sei das die immerwährendeRealität - während sie in Wirklichkeit ausschließlich eine Folge hormonellerVerschiebungen im Gehirn waren. Sobald sich der Hormonspiegel wieder auf demsonst üblichen Niveau eingependelt hatte, waren die Frauen wieder ganz sieselbst. In derart extremer Form tritt das PMS nur bei einem geringenProzentsatz aller Frauen auf, aber mir wurde deutlich, wie sich die Realität imGehirn einer Frau im Handumdrehen verändern kann.
Wenn sichdie Realitätswahrnehmung einer Frau von Woche zu Woche so radikal verändernkonnte, musste das Gleiche auch für die tief greifenden hormonellenVeränderungen gelten, die sich während des Lebens einer Frau abspielen. Ichsuchte nach einer Gelegenheit, um solche Fragen in größerem Umfang zuuntersuchen, und 1994 gründete ich schließlich am Department of Psychology der University of Californiain San Francisco die Women s Moodand Hormone Clinic. Es war eine der ersten Kliniken imganzen Land, die sich ausschließlich mit den verschiedenen Zuständen desweiblichen Gehirns beschäftigten und erforschten, wie Neurochemie und Hormonedie Stimmung bei Frauen beeinflussen.
Wie sichdurch unsere Untersuchungen herausstellte, haben Hormone so tief greifende Auswirkungenauf das weibliche Gehirn, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dieRealität einer Frau werde durch sie erst erschaff en. Sie können ihreWertvorstellungen und Wünsche prägen und sagen ihr Tag für Tag, was wichtigist. Von Geburt an machen sie sich in allen Lebensstadien bemerkbar. JedesStadium der hormonellen Entwicklung - die Kindheit, die Jahre desHeranwachsens, die Zeit der Männerbekanntschaften, die Phase als Mutter und dieWechseljahre - wird zum Nährboden für andere Nervenverknüpfungen, und diesorgen für neue Gedanken, Gefühle und Interessen. Wegen der Schwankungen, dieschon im Alter von drei Monaten beginnen und sich bis in die Zeit nach denWechseljahren fortsetzen, ist die neurologische Realität einer Frau nicht sokonstant wie die eines Mannes. Bei ihm gleicht sie einem Berg, der im Laufe derJahrtausende von Gletschern, der Witterung und den tektonischen Bewegungen derErde unmerklich abgetragen wird. Ihre gleicht eher dem Wetter: Sie ändert sichständig und lässt sich nur schwer vorhersagen.
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© VerlagHoffmann und Campe
Übersetzung:Sebastian Vogel
Autoren-Porträt von Louann Brizendine
Louann Brizendine studierteNeurobiologie an der University of California in Berkeley, der Yale undHarvard University und dem University College in London. Heute lehrtsie Neuropsychiatrie an der University of California in San Francisco. Sieist Gründerin der Women s and Teen Girls Mood and Hormone Clinic. Mitihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie in San Francisco.
- Autor: Louann Brizendine
- 2007, 359 Seiten, Maße: 14,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Sebastian Vogel
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455500269
- ISBN-13: 9783455500264
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