Decreation
Gedichte, Oper, Essays
Anne Carson ist eine der große Lyrikerinnen der Gegenwart, eine Meisterin, deren oszillierende Kreativität weit ausgreift: von Gedicht zu Essay, von Oper zu Ballett findet sie Gesten, um die Gegenwart zu bannen. Sappho, Simone Weil, Monica Vitti - mit ihnen...
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Produktinformationen zu „Decreation “
Klappentext zu „Decreation “
Anne Carson ist eine der große Lyrikerinnen der Gegenwart, eine Meisterin, deren oszillierende Kreativität weit ausgreift: von Gedicht zu Essay, von Oper zu Ballett findet sie Gesten, um die Gegenwart zu bannen. Sappho, Simone Weil, Monica Vitti - mit ihnen führt Anne Carson Telefonate: Stimmen und Ideen erreichen sie über eine Spanne von Jahrhunderten und auch nur Tagen. Ihre Fragen bringen alle Gewissheiten ins Wanken: das Selbst, die Form, die Identität, das Geschlecht. Im Erforschen dieser Fragen entsteht eine zartes und widerständiges Gewebe aus Bildern, Worten und Gedanken, das seit Jahrzehnten die Bewunderung der Leser und Dichter auf sich zieht: »unbestechlich« (The New York Times).
Lese-Probe zu „Decreation “
Decreation - Gedichte, Oper, Essays von Carson, AnneStationen
Ketten aus Schlaf
Wie soll man schlafen wenn sie - über hunderte Meilen hin spüre ich wie dieser große Atem durch ihre rastlosen Decks streift. Riss um geheilten Riss schlagen alle Glieder einmal an. So also geht es los, Mutter, auf diesem leeren Ozean. Hab Erbarmen mit uns, mit dem Ozean, es geht los.
Sonntag
Meine Wäsche klatscht gegen einen ernsten grauen Sonnenuntergang. Abend, Essenszeit, der Wind kühler. Blätter drängeln ein Stück. Küchenlampen gehen an. Bald tun sich Spalten aus schwammigen Abendgeheimnissen auf. Zeit Mutter anzurufen. Läuten lassen. Sechs. Sieben. Acht - sie hebt ab, wartet. Über die hohlen Strecken hin sind es Feldmäuse, die so trocken huschen.
Verbindungen
Wenn ich mit meiner Mutter spreche, mache ich es schön. Bücherrücken beim Telefon. Büroklammern in einer Porzellanschale. Radiergummisprenkel auf dem Tisch. Sie spricht voll Sehnsucht vom Tod. Ich beginne alle Büroklammern in die andere Richtung zu kippen. Draußen vorm Fenster fällt der Schnee gerade wie liniert. Meiner Mutter, Liebe meines Lebens, beschreibe ich was es zum Brunch gab. Die Linien fallen schneller jetzt. Das Schicksal hat kleine Gewichte an die Enden getan (damit wir schneller machen) ich möchte ihr sagen - Zeichen von Gottes Gnade. Sie will mich nicht aufhalten sagt sie, sie will nicht, dass es so teuer wird. Wunder treiben an uns vorbei. Die Büroklammern sind auf gleicher Linie, unsterblich. Gnade Gottes! Wie lange wird es sich anfühlen, als würde man brennen, sagte das Kind, weil es hoffte, das sei taktvoll.
Unser Vermögen
... mehr
Die letzte Lektion einer Mutter in einem Haus im letzten Licht bringt den Ruin der westlichen Welt und den Handel zum Erliegen. Schaut in die Fenster bei Nacht, dort werdet ihr die Leute stehen sehen. Das waren wir, wir hatten einen Grund dafür, drin zu sein. Es tagte, wir schnitten die Früchte ab (mitsamt dem Baum). Jetzt sind wir draußen. Hier ist eine Schuld beglichen.
Jetzt ohne Hafen
Im alten Kampf Tod gegen Odem kommt noch einmal der Schlaf. Wir haben ein Gebot für das Haus eingeholt. In der Summe der Teile sind die Teile wo? In aller Stille (da) warten Blätter und Fenster. Unsere leere Wäscheleine schneidet die abschüssige Nacht. Und wehklagend um ein verlorenes Gewand aus himmlischem Licht strömen Engel und Treibgut an unserem noch verriegelten Tor vorbei, rufen.
Heute wäre ihr fünfzigster Hochzeitstag
Kälteoratorium auf Römerwall. Das Licht extrem (gefangen) Schatten wollen sich fallen lassen wie Kapuzen. Das Hirn sticht zweimal nach Salz.
Hat das Ovid gesagt, Hier ist so ein Wind, dass es die Steine leerfegt.
An manchen Nachmittagen geht sie nicht ans Telefon
Es ist Februar. Das Gängige ist Eis. Man trifft Eis in verschiedenen Graden. Seine Farben - blau weiß braun schwarzgrau silber - sind variabel. Manches Eis trägt einen Kern aus Stein- und Schattenstücken. Manches eine glatte Flanke, man kann nicht darauf stehen. Wenn man darauf steht, wird der Wind dünn, zerfasert. Alle unsere Wünsche, zerfasert. Die Kleinen können nicht darauf stehen. Nicht ein Buchstabe, nicht ein Strich kann stehen. Es blendet - was da die Welt überstanden hat - brennt. Es ist Februar. Das Gängige ist Eis. Man trifft Eis in verschiedenen Graden.
Diese Stärke
Diese Stärke, Mutter: hervorgewühlt. Gehämmert, gekettet, geschwärzt, gesprengt, heult, holt aus, geworfen aufs Ächzen, gehämmert, hämmert die Lefzen dem Tod ab. Dämmt und verriegelt, verklumpt und beißt. Messer. Blutabweisend auf Mühlknochen diese Stärke, Mutter, versiegt.
Und ob schon die ganze Stadt liegt in Aschen
Licht auf Ziegelmauern und ein Nordwind, der die Zweige schwarz peitscht. Schatten ziehen Eingeweide aus dem Licht, sich trocken vor die Hand. Iss deine Suppe, Mutter, wo immer du in deinem Kopf auch bist. Der Wintermittag geht auf. Sonnen, schwach, doch am Leben verhalten sich wie Tugend zu den Sonnen von damals. Für die Stadt in der Aschen gibt es den Traum vom Erliegen, Mutter immer gediegen, Mutter munter und froh.
Trotz ihrer Schmerzen, noch ein Tag
Die Nebel vom Fluss (7 Uhr früh) treiben und heben an, erzittern und heben an auf den Mühlsteinen des September. Gespiegel von Blattstücken. Ich bin zu meinem Verstand gekommen. Anhaltspunkt (7 Uhr abends): sie nimmt die Medikamente und ich gehe am Fluss spazieren. Mühlrad das nach nassen Maisschalen riecht. Auf dem Rücken im Dunkeln (2.38 Uhr nachts), Motel Dorset, horche ich wie die Heizung knackt und wie sie wach liegt am anderen Ende der Stadt in dem kleinen heißen Zimmer ihren lumineszierenden Rosenkranz zwischen den Fingern. Egal was es heißt über die Zeit, das Leben geht nur in eine Richtung, das ist eine Tatsache, und sie spiegelt. Die Nebel vom Fluss (7 Uhr früh) gehen gehäutet und silbrig im dunklen Morgengrauen am Tag, als ich fahre.
Achtung Anker werfen und lichten untersagt
sagt ein Schild dicht bei der Webkante. Beklemmnis schluckt uns. Sie auf dem Bett wie gekrümmte Zweige. Ich, wie immer, nicht da.
Es hilft nichts
Dein glasiger Wind bricht sich am ruflosen Ufer und kräuselt sich um die Rose. Siehe wie vor dem großen Schnee, ehe die Nacht schwebend leer auf uns niedergeht, unsere Laternen die Gestalten alter Gefährten werfen und eine kalte Pause hinterher. Welches Messer hat diese Stunde gehäutet. Die Bojen versenkt. Und schlägt gegen das, was unser Haus war. Nichts hilft was, rudere einfach. ihr beckett
Meine Mutter besuchen ist wie es mit einem Beckett-Stück aufnehmen.
Man kennt dieses Gefühl, durch eine Kruste zu sinken, das tiefe schwarze oh nein des kleinen Zimmers die Wände zu eng, so begreifbar.
Klacken und sachtes Ausblenden von Spielsachen in der Erinnerung richtig hier aber falsch, erstickte Irrläufer auf einem Blatt Schmerz.
Schlechter
sagt sie, als ich frage, dabei (war das im April?) streift eine kleine Heiterkeit ihr Auge - »wir sind auf dem Comer See Rudern gegangen« schafft es aber nicht bis zur Lippe. Unsere Liebe, dieser halb wahnsinnige Zündler, rast einmal durchs Zimmer peitscht alles ist wieder weg.
becketts theorie der tragödie
Hegel über das Opfer. Das Tier stirbt. Der Mensch erwacht. Was lernen wir, wir lernen nun von allem Notiz zu nehmen. Wir lernen zu sagen, er ist ein Held, lasst es ihn machen. Man sieht wie O sich zum Fenster bewegt. Was für ein Rauschen was für ein Abend. Oh, kleiner Schauspieler (dauernd am Leben Bewegen Klagen Trauern und Jaulen) Zeit dorthin zurückzufliegen, wo man deine Haut aufbewahrt. Dünn war sie. Das Geräusch von Rudern, die sich vom Ufer entfernen. Dieser stechende Geruch von Hundescheiße im Dunkeln. Das ist deine Sternenkrone. Runter mit seiner Kapuze.
becketts theorie der komödie
Pflücke Stachelbeeren, sagte sie. Man sieht, wie O sich zum Fenster bewegt. Sollten keine Fallen zur Hand sein. Oder sie knien das ganze Stück über. Ein Bewunderer, ein Leben lang! Der gleiche alte Mantel. Keine Vertikalen, alles verstreut und liegend.
Morgen Mittag?
Geht den Pfad wieder hinauf, von dir keine Spur.
[Pause.]
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Die letzte Lektion einer Mutter in einem Haus im letzten Licht bringt den Ruin der westlichen Welt und den Handel zum Erliegen. Schaut in die Fenster bei Nacht, dort werdet ihr die Leute stehen sehen. Das waren wir, wir hatten einen Grund dafür, drin zu sein. Es tagte, wir schnitten die Früchte ab (mitsamt dem Baum). Jetzt sind wir draußen. Hier ist eine Schuld beglichen.
Jetzt ohne Hafen
Im alten Kampf Tod gegen Odem kommt noch einmal der Schlaf. Wir haben ein Gebot für das Haus eingeholt. In der Summe der Teile sind die Teile wo? In aller Stille (da) warten Blätter und Fenster. Unsere leere Wäscheleine schneidet die abschüssige Nacht. Und wehklagend um ein verlorenes Gewand aus himmlischem Licht strömen Engel und Treibgut an unserem noch verriegelten Tor vorbei, rufen.
Heute wäre ihr fünfzigster Hochzeitstag
Kälteoratorium auf Römerwall. Das Licht extrem (gefangen) Schatten wollen sich fallen lassen wie Kapuzen. Das Hirn sticht zweimal nach Salz.
Hat das Ovid gesagt, Hier ist so ein Wind, dass es die Steine leerfegt.
An manchen Nachmittagen geht sie nicht ans Telefon
Es ist Februar. Das Gängige ist Eis. Man trifft Eis in verschiedenen Graden. Seine Farben - blau weiß braun schwarzgrau silber - sind variabel. Manches Eis trägt einen Kern aus Stein- und Schattenstücken. Manches eine glatte Flanke, man kann nicht darauf stehen. Wenn man darauf steht, wird der Wind dünn, zerfasert. Alle unsere Wünsche, zerfasert. Die Kleinen können nicht darauf stehen. Nicht ein Buchstabe, nicht ein Strich kann stehen. Es blendet - was da die Welt überstanden hat - brennt. Es ist Februar. Das Gängige ist Eis. Man trifft Eis in verschiedenen Graden.
Diese Stärke
Diese Stärke, Mutter: hervorgewühlt. Gehämmert, gekettet, geschwärzt, gesprengt, heult, holt aus, geworfen aufs Ächzen, gehämmert, hämmert die Lefzen dem Tod ab. Dämmt und verriegelt, verklumpt und beißt. Messer. Blutabweisend auf Mühlknochen diese Stärke, Mutter, versiegt.
Und ob schon die ganze Stadt liegt in Aschen
Licht auf Ziegelmauern und ein Nordwind, der die Zweige schwarz peitscht. Schatten ziehen Eingeweide aus dem Licht, sich trocken vor die Hand. Iss deine Suppe, Mutter, wo immer du in deinem Kopf auch bist. Der Wintermittag geht auf. Sonnen, schwach, doch am Leben verhalten sich wie Tugend zu den Sonnen von damals. Für die Stadt in der Aschen gibt es den Traum vom Erliegen, Mutter immer gediegen, Mutter munter und froh.
Trotz ihrer Schmerzen, noch ein Tag
Die Nebel vom Fluss (7 Uhr früh) treiben und heben an, erzittern und heben an auf den Mühlsteinen des September. Gespiegel von Blattstücken. Ich bin zu meinem Verstand gekommen. Anhaltspunkt (7 Uhr abends): sie nimmt die Medikamente und ich gehe am Fluss spazieren. Mühlrad das nach nassen Maisschalen riecht. Auf dem Rücken im Dunkeln (2.38 Uhr nachts), Motel Dorset, horche ich wie die Heizung knackt und wie sie wach liegt am anderen Ende der Stadt in dem kleinen heißen Zimmer ihren lumineszierenden Rosenkranz zwischen den Fingern. Egal was es heißt über die Zeit, das Leben geht nur in eine Richtung, das ist eine Tatsache, und sie spiegelt. Die Nebel vom Fluss (7 Uhr früh) gehen gehäutet und silbrig im dunklen Morgengrauen am Tag, als ich fahre.
Achtung Anker werfen und lichten untersagt
sagt ein Schild dicht bei der Webkante. Beklemmnis schluckt uns. Sie auf dem Bett wie gekrümmte Zweige. Ich, wie immer, nicht da.
Es hilft nichts
Dein glasiger Wind bricht sich am ruflosen Ufer und kräuselt sich um die Rose. Siehe wie vor dem großen Schnee, ehe die Nacht schwebend leer auf uns niedergeht, unsere Laternen die Gestalten alter Gefährten werfen und eine kalte Pause hinterher. Welches Messer hat diese Stunde gehäutet. Die Bojen versenkt. Und schlägt gegen das, was unser Haus war. Nichts hilft was, rudere einfach. ihr beckett
Meine Mutter besuchen ist wie es mit einem Beckett-Stück aufnehmen.
Man kennt dieses Gefühl, durch eine Kruste zu sinken, das tiefe schwarze oh nein des kleinen Zimmers die Wände zu eng, so begreifbar.
Klacken und sachtes Ausblenden von Spielsachen in der Erinnerung richtig hier aber falsch, erstickte Irrläufer auf einem Blatt Schmerz.
Schlechter
sagt sie, als ich frage, dabei (war das im April?) streift eine kleine Heiterkeit ihr Auge - »wir sind auf dem Comer See Rudern gegangen« schafft es aber nicht bis zur Lippe. Unsere Liebe, dieser halb wahnsinnige Zündler, rast einmal durchs Zimmer peitscht alles ist wieder weg.
becketts theorie der tragödie
Hegel über das Opfer. Das Tier stirbt. Der Mensch erwacht. Was lernen wir, wir lernen nun von allem Notiz zu nehmen. Wir lernen zu sagen, er ist ein Held, lasst es ihn machen. Man sieht wie O sich zum Fenster bewegt. Was für ein Rauschen was für ein Abend. Oh, kleiner Schauspieler (dauernd am Leben Bewegen Klagen Trauern und Jaulen) Zeit dorthin zurückzufliegen, wo man deine Haut aufbewahrt. Dünn war sie. Das Geräusch von Rudern, die sich vom Ufer entfernen. Dieser stechende Geruch von Hundescheiße im Dunkeln. Das ist deine Sternenkrone. Runter mit seiner Kapuze.
becketts theorie der komödie
Pflücke Stachelbeeren, sagte sie. Man sieht, wie O sich zum Fenster bewegt. Sollten keine Fallen zur Hand sein. Oder sie knien das ganze Stück über. Ein Bewunderer, ein Leben lang! Der gleiche alte Mantel. Keine Vertikalen, alles verstreut und liegend.
Morgen Mittag?
Geht den Pfad wieder hinauf, von dir keine Spur.
[Pause.]
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Anne Carson
Anne Carson wird in Kanada und den USA längst als eine der wichtigsten Stimmen der Gegenwart gefeiert. 1950 in Toronto geboren, studierte sie Griechisch und unterrichtet als Altphilologin. Die Parallelität von Antike und Gegenwart durchzieht ihr ganzes Werk. Neben der Sappho-Studie »Eros the Bittersweet« und ihren Sappho-Übersetzungen entstanden auch Studien zu Celan und Hölderlin. Bei S. Fischer erschienen in der Übersetzung von Anja Utler: »Decreation. Gedichte. Oper. Essays« (2014) sowie »Rot. Zwei Romane in Versen« (2019). Utler, AnjaAnja Utler, geboren 1973, ist eine vielfach ausgezeichnete Lyrikerin, die die Dimensionen von Text als Schrift und Klang untersucht und 2018 die Thomas Kling-Poetikdozentur in Bonn innehatte. Sie lebt als Dichterin und Übersetzerin in Leipzig und Wien. Zuletzt erschien ihr Band: »ausgeübt: eine Kurskorrektur« (2011). In der Übersetzung von Anja Utler sind bei S. Fischer die Werke von Anne Carson »Decreation. Gedichte. Oper. Essays« (2014) sowie »Rot. Zwei Romane in Versen« (2019) erschienen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anne Carson
- 2014, 1. Auflage, 252 Seiten, Maße: 16,4 x 23,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Anja Utler
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100102436
- ISBN-13: 9783100102430
- Erscheinungsdatum: 25.06.2014
Pressezitat
Ein poetisches Universum ganz eigener Art. [...] schöne Übersetzungen. Stuttgarter Zeitung 20150103
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