Der Bourne Betrug
Roman
In den Kinohits mit Matt Damon begeistern die Jason-Bourne-Thriller ein Millionenpublikum. Jetzt wird die erfolgreiche Serie fortgesetzt. Jason Bourne kommt nicht zur Ruhe. Sein Freund Martin Lindros wird in Afrika entführt, und Bourne setzt alles...
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Produktinformationen zu „Der Bourne Betrug “
In den Kinohits mit Matt Damon begeistern die Jason-Bourne-Thriller ein Millionenpublikum. Jetzt wird die erfolgreiche Serie fortgesetzt. Jason Bourne kommt nicht zur Ruhe. Sein Freund Martin Lindros wird in Afrika entführt, und Bourne setzt alles daran, um ihn freizubekommen. Doch ist Lindros wirklich der, der er vorgibt zu sein? Ein teuflisches Spiel beginnt.
Klappentext zu „Der Bourne Betrug “
In den Kinohits mit Matt Damon begeistern die Jason-Bourne-Thriller ein Millionenpublikum. Jetzt wird die erfolgreiche Serie fortgesetzt: Jason Bourne kommt nicht zur Ruhe. Sein Freund Martin Lindros wird in Afrika entführt, und Bourne setzt alles daran, um ihn freizubekommen. Doch ist Lindros wirklich der, der er vorgibt zu sein? Ein teuflisches Spiel beginnt.
Lese-Probe zu „Der Bourne Betrug “
Der Bourne-Betrug von Robert Ludlum und Eric van LustbaderProlog
Die CH-47D Chinook schraubte sich mit knatternden Rotoren in den blutroten Abendhimmel hinauf. Sie erzitterte in gefährlichen Scherwinden, lag schräg in der dünnen Luft. Wolkenfetzen, von der untergehenden Sonne von hinten angestrahlt, schienen wie Rauch von einem brennenden Hubschrauber wegzuströmen.
Martin Lindros starrte gespannt aus dem Militärhubschrauber, der ihn zu den höchsten Erhebungen der Simien-Gebirgs - kette hinauftrug. Obwohl er nicht mehr im Einsatz gewesen war, seit der Alte ihn vor vier Jahren zum Deputy Director, zum stellvertretenden Direktor des Geheimdienstes Central Intelligence, ernannt hatte, achtete er ständig darauf, in Form zu bleiben. Drei Mal in der Woche trainierte er morgens auf dem Hindernisparcours für CI-Agenten außerhalb von Quantico. Jeden Donnerstagabend um 22 Uhr verscheuchte er die langweilige Routine, elektronische Agentenmeldungen durchsehen und Einsatzbefehle unterschreiben zu müssen, indem er eineinhalb Stunden auf dem Schießstand verbrachte und sich wieder mit allen möglichen Waffen – alten, modernen und futuristischen – vertraut machte. Selbst für Action zu sorgen trug mit dazu bei, seine Frustration darüber zu mildern, dass er keine wichtigere Rolle spielte. Das alles änderte sich jedoch schlagartig, als der Alte seinen Plan für das Unternehmen Taifun genehmigte.
Ein klagendes Heulen und Pfeifen erfüllte das Innere der für CI-Einsätze umgebauten Chinook. Anders, der Kommandeur von Scorpion One, einer Gruppe von fünf Elite-Agenten, stieß ihn an, und er wandte sich ihm zu. Aufreißende Wolken gaben den Blick auf die windumtoste Nordflanke des Ras Dejen frei. Dieser Viereinhalbtausender, der höchste Gipfel der Simien-Kette, hatte etwas ausgesprochen Bedrohliches an sich. Aber das mochte
... mehr
daran liegen, dass Lindros sich an die Sagen der Einheimischen erinnerte: Erzählungen von Geistern, uralt und böse, die angeblich in seinen oberen Regionen hausten.
Das Heulen des Windes wurde zu einem Kreischen, als versuche der Berg, sich von seinen Wurzeln loszureißen.
Es war Zeit.
Lindros nickte, stand auf und ging nach vorn, wo der Pilot sicher auf seinem Sitz angeschnallt saß. Der stellvertretende Direktor war Ende dreißig, ein großer, aschblonder Absolvent der Brown University, den die CI schon angeworben hatte, als er noch an der Georgetown University in Politikwissenschaft promovierte. Er war blitzgescheit und ein so diensteifriger General, wie der Alte – der Director of Intelligence (DCI) – sich immer wünschte.
Jetzt beugte Lindros sich tief hinunter, damit der Pilot ihn trotz des Triebwerklärms verstehen konnte, und nannte ihm die Zielkoordinaten, die er aus Sicherheitsgründen bis zu diesem Augenblick geheim gehalten hatte.
Er war jetzt seit etwas über drei Wochen im Einsatz. In dieser Zeit hatte er zwei Männer verloren. Ein schrecklich hoher Preis, fand er. Annehmbare Verluste, würde der Alte sagen, und er selbst musste sich wieder daran gewöhnen, so zu denken, wenn er bei Außeneinsätzen erfolgreich sein wollte. Aber welchen Preis hatte ein Menschenleben? Das war eine Frage, über die Jason Bourne und er schon oft diskutiert hatten, ohne jemals eine akzeptable Antwort zu finden. Nach Lindros’ innerster Überzeugung gab es Fragen, für die keine akzeptablen Antworten existierten.
Waren jedoch Agenten im Einsatz, sah die Sache völlig anders aus. »Annehmbare Verluste« mussten hingenommen werden. Daran führte kein Weg vorbei. Deshalb war der Tod dieser beiden Männer annehmbar, weil sie im Rahmen seines Auftrags den Nachweis geführt hatten, dass die Meldung zutraf, irgendwo am Horn von Afrika sei einer Terrororganisation eine Kiste mit Löschfunkenstrecken in die Hände gefallen. LFS waren kleine, für höchste Stromstärken ausgelegte Schalter, mit denen Hochspannungen ein- und ausgeschaltet wurden: als Hightech-Überspannschutz für elektronische Bauteile wie Mikrowellenröhren und medizinische Diagnosegeräte. Sie dienten auch dazu, Atomsprengkörper zu zünden.
Von Kapstadt aus war Lindros einer Fährte gefolgt, die sich von Botsuana aus nach Sambia, durch Uganda und zuletzt nach Ambikwa geschlängelt hatte: einem kleinen Bauerndorf – nicht mehr als eine Handvoll Häuser, eine Kirche und eine Kneipe – zwischen Almwiesen am Fuß des Ras Dejen. Dort hatte er eine LFS an sich bringen können, die er sofort per Kurier dem Alten geschickt hatte.
Aber anschließend hatte sich etwas ereignet, etwas Außergewöhnliches, etwas Erschreckendes. In der heruntergekommenen Bar mit ihrem Boden aus Mist und getrocknetem Blut hatte er Gerüchte gehört, dass die Terrororganisation mehr als nur LFS aus Äthiopien verschiffe. Traf dies wirklich zu, konnte es nicht nur für Amerika, sondern für die ganze Welt schreckliche Folgen haben, weil die Terroristen die Mittel besäßen, um die Welt in einen Albtraum zu stürzen.
Sieben Minuten später setzte die Chinook im Auge eines von ihr erzeugten Sandsturms auf. Das kleine Hochplateau wirkte gänzlich verlassen. Nicht weit vor dem Hubschrauber stand eine alte Natursteinmauer – mit einem Zugang, so behaupteten hiesige Sagen, zu dem Schlupfwinkel furchterregender Dämonen, die dort hausten. Tatsächlich, das wusste Lindros, lag hinter der Lücke in der verfallenen Mauer der Einstieg zu der fast senkrechten Kletterroute durch die Steilwände, die den Ras Dejen nahezu unbezwingbar machten.
Lindros und die Männer von Scorpion One sprangen geduckt aus der Maschine. Der Pilot blieb in seinem Sitz und ließ die Triebwerke laufen, damit die riesigen Rotoren sich weiterdrehten. Die Männer trugen Schutzbrillen, die ihre Augen vor dem Staub und dem Hagel aus kleinen Steinen schützten, die der große Hubschrauber aufwirbelte, winzige Mikrofone für ihre Funkgeräte und Ohrstöpsel, die eine Kommunikation über den Triebwerks- und Rotorenlärm hinweg ermöglichten. Jeder war mit einem leichten Sturmgewehr XM8 mit der mörderisch hohen Schussfolge von 750 Schuss in der Minute bewaffnet.
Lindros führte die Gruppe über das felsig-raue Hochplateau. Gegenüber der Steinmauer ragte eine steile Felswand auf, in der sich der schwarze, gähnende Eingang einer Höhle abzeichnete. Alles andere war graubraun, ockergelb, stumpfrot – die wüste Landschaft eines anderen Planeten, der Weg zur Hölle.
Anders setzte seine Männer nach dem Standardschema ein, schickte sie erst los, damit sie mögliche Verstecke über prüften, und ließ sie anschließend einen Verteidigungsring bilden. Zwei von ihnen verschwanden durch die Lücke in der Steinmauer, um ihre Rückseite zu kontrollieren. Die beiden anderen bekamen die Höhle zugewiesen: Einer hielt neben dem Eingang Wache, der andere überzeugte sich davon, dass in ihrem Inneren niemand lauerte.
Der Fallwind von der Felsbarriere über ihnen pfiff über den kahlen Boden, drang durch ihre Kampfanzüge. Wo das Plateau nicht steil abfiel, ragte der Ras Dejen über ihnen auf: bedrohlich, muskulös, sein kahler Schädel wirkte in der dünnen Luft größer. Lindros blieb vor den Überresten eines Lagerfeuers stehen, konzentrierte seine gesamte Aufmerksamkeit darauf.
Als guter Kommandeur registrierte Anders neben ihm, was seine Männer von der Peripherie berichteten. Hinter der Natursteinmauer lauerte niemand. Er hörte seinem zweiten Team aufmerksam zu.
»In der Höhle liegt ein Toter«, meldete der Kommandeur. »Mit einem Kopfschuss. Mausetot. Ansonsten ist das Gelände sauber.«
Lindros hörte Anders’ Stimme in seinem Ohr. »Wir fangen hiermit an«, sagte er mit ausgestrecktem Zeigefinger. »Dem einzigen Lebenszeichen an diesem gottverlassenen Ort.«
Sie gingen in die Hocke. Anders stocherte mit einem behandschuhten Finger in der Holzkohle herum.
»Das ist eine flache Feuergrube.« Der Kommandeur scharrte Asche und unverbranntes Material heraus. »Sehen Sie? Der Boden ist von Feuer gehärtet. Das bedeutet, dass jemand hier nicht nur einmal, sondern in den letzten Monaten viele Feuer gemacht hat – vielleicht bis zu einem Jahr lang.«
Lindros nickte, wobei er einen Daumen hochreckte. »Sieht so aus, als hätten wir den richtigen Ort gefunden.« Angst und Sorge durchfluteten ihn. Es erschien immer wahrscheinlicher, dass das Gerücht, das er gehört hatte, zutraf. Eigentlich wider besseres Wissen hatte er gehofft, es würde sich letztlich doch nur als Gerücht erweisen – sie würden hier heraufkommen und nichts finden. Weil jedes andere Ergebnis undenkbar war.
Er hakte zwei Geräte von seinem Webkoppel los und führte sie über der Feuergrube hin und her. Eines war ein Detektor für Alphastrahlung, das andere ein Geigerzähler. Wonach er suchte, was er aber nicht zu finden hoffte, war eine Kombination aus Alpha- und Gammastrahlung.
An der Feuerstelle schlug keines der beiden Geräte aus.
Er ging langsam weiter. Indem er die Feuerstelle als Mittelpunkt nahm, bewegte er sich in konzentrischen Kreisen und ließ die Anzeigen keine Sekunde aus den Augen. Er war auf der dritten Runde, ungefähr hundert Meter von der Feuerstelle entfernt, als der Alphadetektor anschlug.
»Scheiße«, sagte er halblaut.
»Was gefunden?«, fragte Anders.
Lindros bewegte sich rechtwinklig weg, und der Alphadetektor verstummte. Der Geigerzähler zeigte weiter nichts an. Nun, das war immerhin etwas. Für eine schwache Alphastrahlung konnte es alle möglichen Quellen geben, vielleicht so gar den Berg selbst.
Er kehrte zu der Stelle zurück, wo der Alphadetektor angeschlagen hatte. Als er den Kopf hob, stellte er fest, dass er sich in gerader Linie zwischen Feuerstelle und Höhleneingang befand. Er bewegte sich langsam auf die Höhle zu. Die Anzeige des Alphadetektors blieb zunächst konstant, aber ungefähr zwanzig Meter vor dem Eingang schnellte sie plötzlich hoch.
Lindros blieb kurz stehen, um sich Schweißperlen von der Oberlippe zu wischen. Jesus, er wurde hier gezwungen, einen weiteren Nagel im Sarg der Welt zur Kenntnis zu nehmen. Trotzdem ... Noch keine Gammastrahlung, sagte er sich selbst. Das war immerhin etwas. Diese Hoffnung hielt weitere zwölf Meter an. Dann begann der Geigerzähler zu ticken.
O Gott, Gammastrahlen in Verbindung mit Alphastrahlung. Genau die Signatur, die er nicht zu finden gehofft hatte. Er spürte, wie ihm ein dünner Schweißfaden das Rückgrat hinunterlief. Kalter Schweiß. Das hatte er seit dem Tag, an dem er im Einsatz erstmals hatte töten müssen, nicht mehr erlebt. Im Nahkampf, Verzweiflung und Entschlossenheit auf seinem Gesicht und auf dem des Mannes, der alles daran - setzte, ihn zu töten. Selbsterhaltungstrieb.
»Licht.« Lindros musste sich dazu zwingen, seine tödliche Angst zu überwinden, um die Worte hervorstoßen zu können. »Ich muss diese Leiche sehen.«
Anders nickte und erteilte Brick, der als Erster in der Höhle gewesen war, einen kurzen Befehl. Brick schaltete seine Xenon-Stablampe ein. Die drei Männer betraten das Dunkel der Höhle.
Hier gab es weder trockenes Laub noch anderes organisches Material, das den scharfen Mineralgeruch abmilderte. Sie glaubten, das tote Gewicht des Felsmassivs über ihnen zu spüren. Es erinnerte Lindros an das Gefühl, fast ersticken zu müssen. Er hatte es beim ersten Betreten der Grabkammern der Pharaonen in den Pyramiden von Giseh empfunden.
Der helle Xenonstrahl glitt über die Felswände. In dieser düsteren Umgebung schien der Tote nicht gänzlich fehl am Platz zu sein. Schatten huschten über ihn hinweg, als Brick die Stablampe bewegte. Das Xenonlicht raubte ihm jegliche Farbe, die er vielleicht noch aufwies, und ließ ihn noch unmenschlicher erscheinen – ein Zombie aus einem Horrorfilm. Seiner entspannten, völlig friedlichen Haltung widersprach das saubere Einschussloch mitten in der Stirn. Sein Gesicht war abgewandt, als wünsche es im Dunklen zu bleiben.
»War kein Selbstmord, das steht fest«, sagte Anders, der damit den Ausgangspunkt von Lindros’ eigenen Überlegungen aufgriff. »Selbstmörder machen sich die Sache einfach – zum Beispiel durch einen Schuss in den Mund. Diesen Mann hat ein Profi umgelegt.«
»Aber warum?« Lindros’ Stimme klang besorgt.
Der Kommandeur zuckte mit den Schultern. »Bei diesen Leuten kommen tausend ... «
»Zurück, verdammt noch mal!«
Lindros schrie so laut in sein Mikrofon, dass Brick, der um die Leiche hatte herumgehen wollen, einen Satz rückwärts machte.
»Sorry, Sir«, sagte Brick. »Ich wollte Ihnen nur etwas Merkwürdiges zeigen.«
»Zeigen Sie’s mir mit der Lampe«, wies Lindros ihn an. Aber er wusste bereits, was kommen würde. Sobald sie die Höhle betreten hatten, hatten der Alphadetektor und der Geigerzähler vor seinen Augen einen erschreckenden Höllentanz aufgeführt.
Jesus, dachte er. O Jesus.
Der Tote war unglaublich mager und schockierend jung, bestimmt noch ein Teenager. Hatte er die semitischen Gesichtszüge eines Arabers? Wohl eher nicht, aber das ließ sich kaum feststellen, weil ...
»Heilige Muttergottes!«
Nun sah es auch Anders. Der Tote hatte keine Nase mehr. Die Mitte seines Gesichts war weggefressen. Das hässliche Loch war schwarz von gerinnendem Blut, das blasig schäumend austrat, als lebe der Körper noch. Als fresse ihn etwas von innen heraus auf.
Was genau zutrifft, dachte Lindros, der gegen Brechreiz ankämpfen musste.
»Was zum Teufel kann so etwas bewirken?«, fragte Anders heiser. »Gewebegift? Virus?«
Lindros wandte sich an Brick. »Haben Sie ihn angefasst? Ich will wissen, ob Sie ihn angefasst haben!«
»Nein, ich ...« Brick war sichtlich eingeschüchtert. »Bin ich kontaminiert?« Er wartete die Antwort jedoch nicht ab. »Deputy Director, bitte um Entschuldigung, Sir, aber wo haben Sie uns hier reingeritten, verdammt noch mal? Wir sind’s gewöhnt, bei ›schwarzen‹ Einsätzen im Ungewissen gehalten zu werden, aber dies hat die Grenze des Zumutbaren überschritten.«
Neben dem Toten kniend schraubte Lindros einen kleinen Metallbehälter auf und schob mit dem behandschuhten Zeigefinger etwas Gesteinsstaub aus der Umgebung der Leiche hinein. Nachdem er den Behälter wieder fest verschlossen hatte, stand er auf.
»Wir müssen schleunigst fort von hier.« Er sah Anders direkt ins Gesicht.
»Deputy Director ...«
»Keine Sorge, Brick. Ihnen ist nichts passiert«, sagte er nachdrücklich. »Kein Wort mehr darüber. Wir müssen weiter.«
Als sie den Höhlenausgang und die gleißend helle blutrote Felswüste erreichten, sagte Lindros in sein Mikrofon: »Anders, ab sofort dürfen Sie und Ihre Männer diese Höhle nicht mehr betreten! Nicht mal zum Pinkeln. Kapiert?«
Der Kommandeur zögerte einen Augenblick. Verärgerung und die Sorge um seine Männer standen ihm ins Gesicht geschrieben. Als ob er mental mit den Schultern zucke, sagte er knapp: »Ja, Sir.«
Lindros verbrachte zehn Minuten damit, das Plateau mit Strahlendetektor und Geigerzähler abzusuchen. Ihn interessierte vor allem, wie die Kontamination hierhergelangt war – auf welchem Weg waren die Männer, die sie transportierten, heraufgekommen? Wohin sie weitergezogen waren, ließ sich unmöglich feststellen. Die Tatsache, dass der Mann ohne Nase erschossen worden war, bewies ihm, dass die Mitglieder der Gruppe auf schrecklichste Weise entdeckt hatten, dass sie durch austretende Strahlung gefährdet waren. Bestimmt hatten sie das Leck abgedichtet, bevor sie weitergezogen waren. Aber jetzt hatte er kein Glück mehr. Im weiteren Umkreis der Höhle ließ sich keine Alpha- oder Gammastrahlung mehr feststellen. Nicht die geringsten radioaktiven Spuren, aus denen er den Aufstiegsweg hätte rekonstruieren können, waren noch messbar.
Schließlich kehrte er an der Peripherie um.
»Lassen Sie das Gelände räumen, Kommandeur.«
»Ihr habt gehört, was der Boss gesagt hat«, rief Anders, als er zu dem wartenden Hubschrauber trabte. »Aufsatteln, Jungs!«
»Wa’i«, sagte Fadi. Er weiß es.
»Bestimmt nicht.« Abbud ibn Aziz bewegte sich in seiner Position neben Fadi. Die beiden Männer, die hinter der Felsbarriere dreihundert Meter über dem Plateau kauerten, bil - de ten die Vorhut eines Kaders aus ungefähr zwanzig bewaffneten Männern, die etwas abgesetzt auf dem felsigen Boden hinter ihnen in Deckung lagen.
»Mit diesem Glas kann ich alles sehen. Es hat ein Leck gegeben.«
»Wieso ist uns das nicht gemeldet worden?«
Aziz bekam keine Antwort. Sie wäre überflüssig gewesen. Die Meldung war aus nackter Angst unterblieben. Hätte Fadi davon erfahren, hätte er sie alle umgebracht – jeden Einzelnen der äthiopischen Träger. Das gehörte zu seinem System absoluter Einschüchterung.
Fadi schwenkte sein starkes russisches 12x50-Militärfernglas etwas nach rechts, um Martin Lindros nicht aus den Augen zu verlieren. Das 12x 50 hatte ein fast schwindelerregendes kleines Blickfeld, aber dieser Nachteil wurde durch hohe Auflösung und Bildschärfe mehr als wettgemacht. Er hat te beobachtet, wie der Anführer der Gruppe – der Deputy Director der CI – einen Strahlendetektor und einen Geigerzähler benutzte. Dieser Amerikaner verstand seine Sache.
Fadi, eine große, breitschultrige Erscheinung, hatte ein charismatisches Auftreten. Wenn er sprach, schwieg jeder in seiner Umgebung. Den Teint seines gut aussehenden, energischen Gesichtes hatten Wüstensonne und Bergwind noch dunkler gemacht. Sein Kopf- und Barthaar war lang und ge lockt, pechschwarz wie eine sternenlose Mitternacht. Lächelte er mit seinen vollen Lippen, schien die Sonne von ihrem Platz am Himmel herabzukommen und auf seine Jünger herabzuscheinen. Denn Fadis erklärtes Ziel war messianischer Art: Hoffnung zu bringen, wo es keine Hoffnung mehr gab, die Hundertschaften abzuschlachten, aus denen das saudi-arabische Herrscherhaus bestand, ihre Abscheulichkeit vom Antlitz der Erde zu tilgen, sein Volk zu befreien, den unanständigen Reichtum der Despoten gerecht zu verteilen und in seinem geliebten Arabien wieder die rechtmäßige Ordnung herzustellen. Als Erstes, darüber war er sich im Klaren, musste er die symbiotische Beziehung zwischen der Herrscherfamilie und den Vereinigten Staaten zerschlagen. Dafür musste er einen Schlag gegen Amerika führen und das Land mit einer klaren Aussage treffen, die ebenso nachhaltig wie unauslöschlich war.
Auf keinen Fall durfte er jedoch die Fähigkeit von Amerikanern, Schmerzen zu ertragen, unterschätzen. Das war ein Fehler, den seine extremistischen Genossen häufig machten; das brachte sie oft in Schwierigkeiten bei den eigenen Leuten und war mehr als alles andere die Ursache eines Lebens ohne Hoffnung.
Fadi war kein Utopist. Er hatte die Weltgeschichte studiert. Noch besser – er hatte aus ihr gelernt.
Als Nikita Chruschtschow den Amerikanern gedroht hatte: »Wir werden euch begraben!«, hatte er aus dem Herzen, aber auch aus der Seele gesprochen. Aber wer war letztlich begraben worden? Die UdSSR.
Seine extremistischen Genossen sagten: »Wir haben viele Leben, um Amerika zu begraben« und meinten den endlosen Strom junger Männer, die jedes Jahr volljährig wurden und aus deren Reihen sie Märtyrer auswählen konnten, die im Kampf fallen würden. Aber sie verschwendeten niemals einen Gedanken auf den Tod dieser jungen Männer. Wozu denn auch? Schließlich erwartete das Paradies die Märtyrer mit offenen Armen. Aber was war in Wirklichkeit gewonnen worden? Führte Amerika ein Leben ohne Hoffnung? Nein. Hatten die Anschläge Amerika in Richtung auf ein Leben ohne Hoffnung gedrängt? Wieder nein. Wo lag also die Antwort?
Fadi glaubte mit ganzem Herzen und ganzer Seele – und vor allem mit seinem außerordentlichen Intellekt –, sie gefunden zu haben.
Als er den Deputy Director weiter durch sein 12x50-Glas beobachtete, merkte er, dass es dem Mann widerstrebte, das Plateau zu verlassen. Er selbst kam sich wie ein Raubvogel vor, der auf sein Ziel hinabblickte.
Die arroganten CI-Agenten waren wieder in ihren Hubschrauber geklettert, aber ihr Kommandeur – Fadis Informationen hielten seinen Namen nicht bereit – ließ nicht zu, dass ihr Anführer schutzlos allein auf dem Plateau zurückblieb. Ein cleverer Bursche. Vielleicht witterte seine Nase etwas, das seine Augen nicht sahen; vielleicht hielt er sich auch nur an ein erprobtes und lange bewährtes Verfahren. Jedenfalls erkannte Fadi, als die beiden Männer dort unten standen und miteinander sprachen, dass er nie eine bessere Chance bekommen würde.
»Los!«, befahl er Abbud ibn Aziz halblaut, ohne das Fernglas von den Augen zu nehmen.
Neben ihm griff Abbud ibn Aziz nach dem Raketenwerfer RPG-7 aus sowjetischer Produktion, der von der Schulter abzufeuern war. Der untersetzte Mann mit breitem Mondgesicht schielte seit seiner Geburt mit dem linken Auge. Rasch und sicher steckte er die Rakete mit noch zusammengefaltetem Leitwerk in das Abschussrohr. Dieses Leitwerk stabilisierte die Rakete im Flug und stellte sicher, dass sie ihr Ziel sehr präzise traf. Sobald er den Abzug betätigte, stieß das Primärsystem die Rakete mit 115 Metern in der Sekunde aus. Dieser gewaltige Vortrieb zündete wiederum das Raketentriebwerk noch im Abschussrohr und beschleunigte den Sprengkopf auf 295 Meter in der Sekunde.
Jetzt sah Abbud ibn Aziz mit dem rechten Auge durch das unmittelbar hinter dem Abzug angebrachte optische Visier. Er suchte die Chinook, fand sie und dachte kurz, es sei doch schade, diese prachtvolle Kriegsmaschine zu vernichten. Aber für ihn konnte es kein solches Objekt der Begierde geben. Außerdem hatte Fadis Bruder alles exakt geplant – bis hin zu den vermeintlichen »Beweisen«, die den stellvertretenden CI-Direktor aus seinem Büro, auf komplizierter Route in den Nordwesten Äthiopiens und zuletzt hierher auf den Ras Dejen gelockt hatten.
Abbud ibn Aziz rückte den RPG-7 so zurecht, dass er auf das Getriebe des vorderen Rotors zielte. Er war jetzt eins mit seiner Waffe, eins mit dem Auftrag seines Kaders. Er spürte, wie der unbedingte Siegeswillen seiner Kameraden ihn wie eine Woge durchflutete, die nun bald gegen die feindliche Küste anbranden würde.
»Denk daran«, sagte Fadi.
Aber Abbud ibn Aziz, ein erstklassiger Schütze, den Fadis hochintelligenter Bruder an modernsten Waffensystemen ausge bildet hatte, brauchte keine Erinnerung. Der einzige Nachteil des RPG-7 war, dass die abgeschossene Rakete eine verräterische Rauchspur hinter sich herzog. Der Feind würde so fort wissen, wo sie in Stellung lagen. Aber auch das war berücksichtigt worden.
Er spürte, dass Fadis Zeigefinger ihm auf die Schulter tippte, um ihm zu signalisieren, ihr Ziel sei in Position. Er krümmte seinen Finger am Abzug, holte tief Luft, atmete langsam aus.
Dann kam der Abschuss mit einem Wirbelsturm aus überhitzter Luft. Danach der Lichtblitz und das schmetternde Krachen der eigentlichen Detonation, die aufsteigende dunkle Rauchsäule, die verdreht aus den Flammen ragenden Rotorblätter. Donnernde Echos, die Abbud ibn Azii leichte Benommenheit verstärkten, brachen sich noch an den Felswänden, als Fadis Leute wie ein Mann aufsprangen und zu einer Stelle der Felsbarriere stürmten, die hundert Meter vom Ausgangspunkt der verräterischen Rauchspur entfernt war. Gleichzeitig brachten Fadi und Abbud ibn Aziz sich eilig in Sicherheit. Wie dem Kader eingebläut worden war, begann er mit massivem Dauerfeuer – dem solchermaßen ausgedrückten Zorn der Gläubigen.
Al-Hamdu lil -Allah! Allah sei gepriesen! Der Angriff hat te begonnen.
Eben hatte Lindros Anders noch erklärt, wo zu er weitere zwei Minuten bleiben wollte, doch im nächsten Augenblick hatte er das Gefühl, sein Kopf sei von einer Dampf ramme zerquetscht worden. Er brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass er flach auf dem Rücken lag und den Mund voller Gesteinsstaub hatte. Er hob den Kopf. Brennende Trümmer schleuderten wie verrückt durch die von Rauch erfüllte Luft, aber er hörte kein Geräusch, nahm nichts als einen merkwürdigen Druck auf die Trommelfelle wahr: ein schwaches innerliches Brausen, als wehe in seinem Kopf eine Brise. Blut lief ihm übers Gesicht, heiß wie Tränen. Der beißende, erstickende Gestank von brennendem Kunststoff und Gummi stieg ihm in die Nase, aber darunter mischte sich noch etwas anderes: der starke Geruch von verbranntem Fleisch.
Erst als er sich zur Seite wälzen wollte, entdeckte er, dass Anders halb auf ihm lag. Bei dem Versuch, ihn zu schützen, hatte der Kommandeur die größte Wucht der Detonation abgefangen. Sein Gesicht und die nackte Schulter, wo seine Kampfjacke weggebrannt war, waren verkohlt und rauchten. Sein Haar war völlig abgesengt, sodass sein Kopf einem Totenschädel glich. Lindros würgte, dann stieß er die Leiche mit einem krampfhaften Schauder von sich weg. Als er sich kniend aufrichtete, musste er nochmals würgen.
Schließlich drang eine Art Zirpen an sein Ohr, seltsam gedämpft, als käme es aus großer Ferne. Er drehte sich um und sah die Männer von Scorpion One aus dem Hubschrauberwrack springen und dabei mit ihren Sturmgewehren schießen.
Einer von ihnen brach im vernichtenden Feuerhagel eines Maschinengewehrs zusammen. Lindros’ Reaktion erfolgte ganz instinktiv: Er robbte zu dem Gefallenen hinüber, schnappte sich sein XM8 und begann zu schießen.
Die kampferprobten Männer von Scorpion One waren tapfer und gut ausgebildet. Sie wussten, wann es sich zu schießen lohnte, wann man besser in Deckung blieb. Aber das nun einsetzende Kreuzfeuer traf sie völlig unvorbereitet, so sehr konzentrierten sie sich auf den Gegner vor ihnen. Einer nach dem anderen wurde getroffen, die meisten sogar mehrfach.
Lindros kämpfte weiter, obwohl er der letzte Mann war, der noch stehen konnte. Seltsamerweise schoss niemand auf ihn; keine Kugel kam auch nur in seine Nähe. Eben wunderte er sich noch darüber, als sein XM8 keine Munition mehr hatte. Er stand mit dem rauchenden Sturmgewehr in der Hand da und beobachtete, wie der Feind von der Felsbarriere über ihm herunterkam.
Sie waren stumm, abgezehrt wie der entstellte Tote in der Höhle, mit dem leeren Blick von Männern, die zu viel Blutvergießen gesehen haben. Zwei lösten sich aus der Horde und schlüpften in den rauchenden Kadaver der Chinook.
Übersetzung: Wulf Bergner
Copyright © 2007 by Myn Pyn, LLC
Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
Das Heulen des Windes wurde zu einem Kreischen, als versuche der Berg, sich von seinen Wurzeln loszureißen.
Es war Zeit.
Lindros nickte, stand auf und ging nach vorn, wo der Pilot sicher auf seinem Sitz angeschnallt saß. Der stellvertretende Direktor war Ende dreißig, ein großer, aschblonder Absolvent der Brown University, den die CI schon angeworben hatte, als er noch an der Georgetown University in Politikwissenschaft promovierte. Er war blitzgescheit und ein so diensteifriger General, wie der Alte – der Director of Intelligence (DCI) – sich immer wünschte.
Jetzt beugte Lindros sich tief hinunter, damit der Pilot ihn trotz des Triebwerklärms verstehen konnte, und nannte ihm die Zielkoordinaten, die er aus Sicherheitsgründen bis zu diesem Augenblick geheim gehalten hatte.
Er war jetzt seit etwas über drei Wochen im Einsatz. In dieser Zeit hatte er zwei Männer verloren. Ein schrecklich hoher Preis, fand er. Annehmbare Verluste, würde der Alte sagen, und er selbst musste sich wieder daran gewöhnen, so zu denken, wenn er bei Außeneinsätzen erfolgreich sein wollte. Aber welchen Preis hatte ein Menschenleben? Das war eine Frage, über die Jason Bourne und er schon oft diskutiert hatten, ohne jemals eine akzeptable Antwort zu finden. Nach Lindros’ innerster Überzeugung gab es Fragen, für die keine akzeptablen Antworten existierten.
Waren jedoch Agenten im Einsatz, sah die Sache völlig anders aus. »Annehmbare Verluste« mussten hingenommen werden. Daran führte kein Weg vorbei. Deshalb war der Tod dieser beiden Männer annehmbar, weil sie im Rahmen seines Auftrags den Nachweis geführt hatten, dass die Meldung zutraf, irgendwo am Horn von Afrika sei einer Terrororganisation eine Kiste mit Löschfunkenstrecken in die Hände gefallen. LFS waren kleine, für höchste Stromstärken ausgelegte Schalter, mit denen Hochspannungen ein- und ausgeschaltet wurden: als Hightech-Überspannschutz für elektronische Bauteile wie Mikrowellenröhren und medizinische Diagnosegeräte. Sie dienten auch dazu, Atomsprengkörper zu zünden.
Von Kapstadt aus war Lindros einer Fährte gefolgt, die sich von Botsuana aus nach Sambia, durch Uganda und zuletzt nach Ambikwa geschlängelt hatte: einem kleinen Bauerndorf – nicht mehr als eine Handvoll Häuser, eine Kirche und eine Kneipe – zwischen Almwiesen am Fuß des Ras Dejen. Dort hatte er eine LFS an sich bringen können, die er sofort per Kurier dem Alten geschickt hatte.
Aber anschließend hatte sich etwas ereignet, etwas Außergewöhnliches, etwas Erschreckendes. In der heruntergekommenen Bar mit ihrem Boden aus Mist und getrocknetem Blut hatte er Gerüchte gehört, dass die Terrororganisation mehr als nur LFS aus Äthiopien verschiffe. Traf dies wirklich zu, konnte es nicht nur für Amerika, sondern für die ganze Welt schreckliche Folgen haben, weil die Terroristen die Mittel besäßen, um die Welt in einen Albtraum zu stürzen.
Sieben Minuten später setzte die Chinook im Auge eines von ihr erzeugten Sandsturms auf. Das kleine Hochplateau wirkte gänzlich verlassen. Nicht weit vor dem Hubschrauber stand eine alte Natursteinmauer – mit einem Zugang, so behaupteten hiesige Sagen, zu dem Schlupfwinkel furchterregender Dämonen, die dort hausten. Tatsächlich, das wusste Lindros, lag hinter der Lücke in der verfallenen Mauer der Einstieg zu der fast senkrechten Kletterroute durch die Steilwände, die den Ras Dejen nahezu unbezwingbar machten.
Lindros und die Männer von Scorpion One sprangen geduckt aus der Maschine. Der Pilot blieb in seinem Sitz und ließ die Triebwerke laufen, damit die riesigen Rotoren sich weiterdrehten. Die Männer trugen Schutzbrillen, die ihre Augen vor dem Staub und dem Hagel aus kleinen Steinen schützten, die der große Hubschrauber aufwirbelte, winzige Mikrofone für ihre Funkgeräte und Ohrstöpsel, die eine Kommunikation über den Triebwerks- und Rotorenlärm hinweg ermöglichten. Jeder war mit einem leichten Sturmgewehr XM8 mit der mörderisch hohen Schussfolge von 750 Schuss in der Minute bewaffnet.
Lindros führte die Gruppe über das felsig-raue Hochplateau. Gegenüber der Steinmauer ragte eine steile Felswand auf, in der sich der schwarze, gähnende Eingang einer Höhle abzeichnete. Alles andere war graubraun, ockergelb, stumpfrot – die wüste Landschaft eines anderen Planeten, der Weg zur Hölle.
Anders setzte seine Männer nach dem Standardschema ein, schickte sie erst los, damit sie mögliche Verstecke über prüften, und ließ sie anschließend einen Verteidigungsring bilden. Zwei von ihnen verschwanden durch die Lücke in der Steinmauer, um ihre Rückseite zu kontrollieren. Die beiden anderen bekamen die Höhle zugewiesen: Einer hielt neben dem Eingang Wache, der andere überzeugte sich davon, dass in ihrem Inneren niemand lauerte.
Der Fallwind von der Felsbarriere über ihnen pfiff über den kahlen Boden, drang durch ihre Kampfanzüge. Wo das Plateau nicht steil abfiel, ragte der Ras Dejen über ihnen auf: bedrohlich, muskulös, sein kahler Schädel wirkte in der dünnen Luft größer. Lindros blieb vor den Überresten eines Lagerfeuers stehen, konzentrierte seine gesamte Aufmerksamkeit darauf.
Als guter Kommandeur registrierte Anders neben ihm, was seine Männer von der Peripherie berichteten. Hinter der Natursteinmauer lauerte niemand. Er hörte seinem zweiten Team aufmerksam zu.
»In der Höhle liegt ein Toter«, meldete der Kommandeur. »Mit einem Kopfschuss. Mausetot. Ansonsten ist das Gelände sauber.«
Lindros hörte Anders’ Stimme in seinem Ohr. »Wir fangen hiermit an«, sagte er mit ausgestrecktem Zeigefinger. »Dem einzigen Lebenszeichen an diesem gottverlassenen Ort.«
Sie gingen in die Hocke. Anders stocherte mit einem behandschuhten Finger in der Holzkohle herum.
»Das ist eine flache Feuergrube.« Der Kommandeur scharrte Asche und unverbranntes Material heraus. »Sehen Sie? Der Boden ist von Feuer gehärtet. Das bedeutet, dass jemand hier nicht nur einmal, sondern in den letzten Monaten viele Feuer gemacht hat – vielleicht bis zu einem Jahr lang.«
Lindros nickte, wobei er einen Daumen hochreckte. »Sieht so aus, als hätten wir den richtigen Ort gefunden.« Angst und Sorge durchfluteten ihn. Es erschien immer wahrscheinlicher, dass das Gerücht, das er gehört hatte, zutraf. Eigentlich wider besseres Wissen hatte er gehofft, es würde sich letztlich doch nur als Gerücht erweisen – sie würden hier heraufkommen und nichts finden. Weil jedes andere Ergebnis undenkbar war.
Er hakte zwei Geräte von seinem Webkoppel los und führte sie über der Feuergrube hin und her. Eines war ein Detektor für Alphastrahlung, das andere ein Geigerzähler. Wonach er suchte, was er aber nicht zu finden hoffte, war eine Kombination aus Alpha- und Gammastrahlung.
An der Feuerstelle schlug keines der beiden Geräte aus.
Er ging langsam weiter. Indem er die Feuerstelle als Mittelpunkt nahm, bewegte er sich in konzentrischen Kreisen und ließ die Anzeigen keine Sekunde aus den Augen. Er war auf der dritten Runde, ungefähr hundert Meter von der Feuerstelle entfernt, als der Alphadetektor anschlug.
»Scheiße«, sagte er halblaut.
»Was gefunden?«, fragte Anders.
Lindros bewegte sich rechtwinklig weg, und der Alphadetektor verstummte. Der Geigerzähler zeigte weiter nichts an. Nun, das war immerhin etwas. Für eine schwache Alphastrahlung konnte es alle möglichen Quellen geben, vielleicht so gar den Berg selbst.
Er kehrte zu der Stelle zurück, wo der Alphadetektor angeschlagen hatte. Als er den Kopf hob, stellte er fest, dass er sich in gerader Linie zwischen Feuerstelle und Höhleneingang befand. Er bewegte sich langsam auf die Höhle zu. Die Anzeige des Alphadetektors blieb zunächst konstant, aber ungefähr zwanzig Meter vor dem Eingang schnellte sie plötzlich hoch.
Lindros blieb kurz stehen, um sich Schweißperlen von der Oberlippe zu wischen. Jesus, er wurde hier gezwungen, einen weiteren Nagel im Sarg der Welt zur Kenntnis zu nehmen. Trotzdem ... Noch keine Gammastrahlung, sagte er sich selbst. Das war immerhin etwas. Diese Hoffnung hielt weitere zwölf Meter an. Dann begann der Geigerzähler zu ticken.
O Gott, Gammastrahlen in Verbindung mit Alphastrahlung. Genau die Signatur, die er nicht zu finden gehofft hatte. Er spürte, wie ihm ein dünner Schweißfaden das Rückgrat hinunterlief. Kalter Schweiß. Das hatte er seit dem Tag, an dem er im Einsatz erstmals hatte töten müssen, nicht mehr erlebt. Im Nahkampf, Verzweiflung und Entschlossenheit auf seinem Gesicht und auf dem des Mannes, der alles daran - setzte, ihn zu töten. Selbsterhaltungstrieb.
»Licht.« Lindros musste sich dazu zwingen, seine tödliche Angst zu überwinden, um die Worte hervorstoßen zu können. »Ich muss diese Leiche sehen.«
Anders nickte und erteilte Brick, der als Erster in der Höhle gewesen war, einen kurzen Befehl. Brick schaltete seine Xenon-Stablampe ein. Die drei Männer betraten das Dunkel der Höhle.
Hier gab es weder trockenes Laub noch anderes organisches Material, das den scharfen Mineralgeruch abmilderte. Sie glaubten, das tote Gewicht des Felsmassivs über ihnen zu spüren. Es erinnerte Lindros an das Gefühl, fast ersticken zu müssen. Er hatte es beim ersten Betreten der Grabkammern der Pharaonen in den Pyramiden von Giseh empfunden.
Der helle Xenonstrahl glitt über die Felswände. In dieser düsteren Umgebung schien der Tote nicht gänzlich fehl am Platz zu sein. Schatten huschten über ihn hinweg, als Brick die Stablampe bewegte. Das Xenonlicht raubte ihm jegliche Farbe, die er vielleicht noch aufwies, und ließ ihn noch unmenschlicher erscheinen – ein Zombie aus einem Horrorfilm. Seiner entspannten, völlig friedlichen Haltung widersprach das saubere Einschussloch mitten in der Stirn. Sein Gesicht war abgewandt, als wünsche es im Dunklen zu bleiben.
»War kein Selbstmord, das steht fest«, sagte Anders, der damit den Ausgangspunkt von Lindros’ eigenen Überlegungen aufgriff. »Selbstmörder machen sich die Sache einfach – zum Beispiel durch einen Schuss in den Mund. Diesen Mann hat ein Profi umgelegt.«
»Aber warum?« Lindros’ Stimme klang besorgt.
Der Kommandeur zuckte mit den Schultern. »Bei diesen Leuten kommen tausend ... «
»Zurück, verdammt noch mal!«
Lindros schrie so laut in sein Mikrofon, dass Brick, der um die Leiche hatte herumgehen wollen, einen Satz rückwärts machte.
»Sorry, Sir«, sagte Brick. »Ich wollte Ihnen nur etwas Merkwürdiges zeigen.«
»Zeigen Sie’s mir mit der Lampe«, wies Lindros ihn an. Aber er wusste bereits, was kommen würde. Sobald sie die Höhle betreten hatten, hatten der Alphadetektor und der Geigerzähler vor seinen Augen einen erschreckenden Höllentanz aufgeführt.
Jesus, dachte er. O Jesus.
Der Tote war unglaublich mager und schockierend jung, bestimmt noch ein Teenager. Hatte er die semitischen Gesichtszüge eines Arabers? Wohl eher nicht, aber das ließ sich kaum feststellen, weil ...
»Heilige Muttergottes!«
Nun sah es auch Anders. Der Tote hatte keine Nase mehr. Die Mitte seines Gesichts war weggefressen. Das hässliche Loch war schwarz von gerinnendem Blut, das blasig schäumend austrat, als lebe der Körper noch. Als fresse ihn etwas von innen heraus auf.
Was genau zutrifft, dachte Lindros, der gegen Brechreiz ankämpfen musste.
»Was zum Teufel kann so etwas bewirken?«, fragte Anders heiser. »Gewebegift? Virus?«
Lindros wandte sich an Brick. »Haben Sie ihn angefasst? Ich will wissen, ob Sie ihn angefasst haben!«
»Nein, ich ...« Brick war sichtlich eingeschüchtert. »Bin ich kontaminiert?« Er wartete die Antwort jedoch nicht ab. »Deputy Director, bitte um Entschuldigung, Sir, aber wo haben Sie uns hier reingeritten, verdammt noch mal? Wir sind’s gewöhnt, bei ›schwarzen‹ Einsätzen im Ungewissen gehalten zu werden, aber dies hat die Grenze des Zumutbaren überschritten.«
Neben dem Toten kniend schraubte Lindros einen kleinen Metallbehälter auf und schob mit dem behandschuhten Zeigefinger etwas Gesteinsstaub aus der Umgebung der Leiche hinein. Nachdem er den Behälter wieder fest verschlossen hatte, stand er auf.
»Wir müssen schleunigst fort von hier.« Er sah Anders direkt ins Gesicht.
»Deputy Director ...«
»Keine Sorge, Brick. Ihnen ist nichts passiert«, sagte er nachdrücklich. »Kein Wort mehr darüber. Wir müssen weiter.«
Als sie den Höhlenausgang und die gleißend helle blutrote Felswüste erreichten, sagte Lindros in sein Mikrofon: »Anders, ab sofort dürfen Sie und Ihre Männer diese Höhle nicht mehr betreten! Nicht mal zum Pinkeln. Kapiert?«
Der Kommandeur zögerte einen Augenblick. Verärgerung und die Sorge um seine Männer standen ihm ins Gesicht geschrieben. Als ob er mental mit den Schultern zucke, sagte er knapp: »Ja, Sir.«
Lindros verbrachte zehn Minuten damit, das Plateau mit Strahlendetektor und Geigerzähler abzusuchen. Ihn interessierte vor allem, wie die Kontamination hierhergelangt war – auf welchem Weg waren die Männer, die sie transportierten, heraufgekommen? Wohin sie weitergezogen waren, ließ sich unmöglich feststellen. Die Tatsache, dass der Mann ohne Nase erschossen worden war, bewies ihm, dass die Mitglieder der Gruppe auf schrecklichste Weise entdeckt hatten, dass sie durch austretende Strahlung gefährdet waren. Bestimmt hatten sie das Leck abgedichtet, bevor sie weitergezogen waren. Aber jetzt hatte er kein Glück mehr. Im weiteren Umkreis der Höhle ließ sich keine Alpha- oder Gammastrahlung mehr feststellen. Nicht die geringsten radioaktiven Spuren, aus denen er den Aufstiegsweg hätte rekonstruieren können, waren noch messbar.
Schließlich kehrte er an der Peripherie um.
»Lassen Sie das Gelände räumen, Kommandeur.«
»Ihr habt gehört, was der Boss gesagt hat«, rief Anders, als er zu dem wartenden Hubschrauber trabte. »Aufsatteln, Jungs!«
»Wa’i«, sagte Fadi. Er weiß es.
»Bestimmt nicht.« Abbud ibn Aziz bewegte sich in seiner Position neben Fadi. Die beiden Männer, die hinter der Felsbarriere dreihundert Meter über dem Plateau kauerten, bil - de ten die Vorhut eines Kaders aus ungefähr zwanzig bewaffneten Männern, die etwas abgesetzt auf dem felsigen Boden hinter ihnen in Deckung lagen.
»Mit diesem Glas kann ich alles sehen. Es hat ein Leck gegeben.«
»Wieso ist uns das nicht gemeldet worden?«
Aziz bekam keine Antwort. Sie wäre überflüssig gewesen. Die Meldung war aus nackter Angst unterblieben. Hätte Fadi davon erfahren, hätte er sie alle umgebracht – jeden Einzelnen der äthiopischen Träger. Das gehörte zu seinem System absoluter Einschüchterung.
Fadi schwenkte sein starkes russisches 12x50-Militärfernglas etwas nach rechts, um Martin Lindros nicht aus den Augen zu verlieren. Das 12x 50 hatte ein fast schwindelerregendes kleines Blickfeld, aber dieser Nachteil wurde durch hohe Auflösung und Bildschärfe mehr als wettgemacht. Er hat te beobachtet, wie der Anführer der Gruppe – der Deputy Director der CI – einen Strahlendetektor und einen Geigerzähler benutzte. Dieser Amerikaner verstand seine Sache.
Fadi, eine große, breitschultrige Erscheinung, hatte ein charismatisches Auftreten. Wenn er sprach, schwieg jeder in seiner Umgebung. Den Teint seines gut aussehenden, energischen Gesichtes hatten Wüstensonne und Bergwind noch dunkler gemacht. Sein Kopf- und Barthaar war lang und ge lockt, pechschwarz wie eine sternenlose Mitternacht. Lächelte er mit seinen vollen Lippen, schien die Sonne von ihrem Platz am Himmel herabzukommen und auf seine Jünger herabzuscheinen. Denn Fadis erklärtes Ziel war messianischer Art: Hoffnung zu bringen, wo es keine Hoffnung mehr gab, die Hundertschaften abzuschlachten, aus denen das saudi-arabische Herrscherhaus bestand, ihre Abscheulichkeit vom Antlitz der Erde zu tilgen, sein Volk zu befreien, den unanständigen Reichtum der Despoten gerecht zu verteilen und in seinem geliebten Arabien wieder die rechtmäßige Ordnung herzustellen. Als Erstes, darüber war er sich im Klaren, musste er die symbiotische Beziehung zwischen der Herrscherfamilie und den Vereinigten Staaten zerschlagen. Dafür musste er einen Schlag gegen Amerika führen und das Land mit einer klaren Aussage treffen, die ebenso nachhaltig wie unauslöschlich war.
Auf keinen Fall durfte er jedoch die Fähigkeit von Amerikanern, Schmerzen zu ertragen, unterschätzen. Das war ein Fehler, den seine extremistischen Genossen häufig machten; das brachte sie oft in Schwierigkeiten bei den eigenen Leuten und war mehr als alles andere die Ursache eines Lebens ohne Hoffnung.
Fadi war kein Utopist. Er hatte die Weltgeschichte studiert. Noch besser – er hatte aus ihr gelernt.
Als Nikita Chruschtschow den Amerikanern gedroht hatte: »Wir werden euch begraben!«, hatte er aus dem Herzen, aber auch aus der Seele gesprochen. Aber wer war letztlich begraben worden? Die UdSSR.
Seine extremistischen Genossen sagten: »Wir haben viele Leben, um Amerika zu begraben« und meinten den endlosen Strom junger Männer, die jedes Jahr volljährig wurden und aus deren Reihen sie Märtyrer auswählen konnten, die im Kampf fallen würden. Aber sie verschwendeten niemals einen Gedanken auf den Tod dieser jungen Männer. Wozu denn auch? Schließlich erwartete das Paradies die Märtyrer mit offenen Armen. Aber was war in Wirklichkeit gewonnen worden? Führte Amerika ein Leben ohne Hoffnung? Nein. Hatten die Anschläge Amerika in Richtung auf ein Leben ohne Hoffnung gedrängt? Wieder nein. Wo lag also die Antwort?
Fadi glaubte mit ganzem Herzen und ganzer Seele – und vor allem mit seinem außerordentlichen Intellekt –, sie gefunden zu haben.
Als er den Deputy Director weiter durch sein 12x50-Glas beobachtete, merkte er, dass es dem Mann widerstrebte, das Plateau zu verlassen. Er selbst kam sich wie ein Raubvogel vor, der auf sein Ziel hinabblickte.
Die arroganten CI-Agenten waren wieder in ihren Hubschrauber geklettert, aber ihr Kommandeur – Fadis Informationen hielten seinen Namen nicht bereit – ließ nicht zu, dass ihr Anführer schutzlos allein auf dem Plateau zurückblieb. Ein cleverer Bursche. Vielleicht witterte seine Nase etwas, das seine Augen nicht sahen; vielleicht hielt er sich auch nur an ein erprobtes und lange bewährtes Verfahren. Jedenfalls erkannte Fadi, als die beiden Männer dort unten standen und miteinander sprachen, dass er nie eine bessere Chance bekommen würde.
»Los!«, befahl er Abbud ibn Aziz halblaut, ohne das Fernglas von den Augen zu nehmen.
Neben ihm griff Abbud ibn Aziz nach dem Raketenwerfer RPG-7 aus sowjetischer Produktion, der von der Schulter abzufeuern war. Der untersetzte Mann mit breitem Mondgesicht schielte seit seiner Geburt mit dem linken Auge. Rasch und sicher steckte er die Rakete mit noch zusammengefaltetem Leitwerk in das Abschussrohr. Dieses Leitwerk stabilisierte die Rakete im Flug und stellte sicher, dass sie ihr Ziel sehr präzise traf. Sobald er den Abzug betätigte, stieß das Primärsystem die Rakete mit 115 Metern in der Sekunde aus. Dieser gewaltige Vortrieb zündete wiederum das Raketentriebwerk noch im Abschussrohr und beschleunigte den Sprengkopf auf 295 Meter in der Sekunde.
Jetzt sah Abbud ibn Aziz mit dem rechten Auge durch das unmittelbar hinter dem Abzug angebrachte optische Visier. Er suchte die Chinook, fand sie und dachte kurz, es sei doch schade, diese prachtvolle Kriegsmaschine zu vernichten. Aber für ihn konnte es kein solches Objekt der Begierde geben. Außerdem hatte Fadis Bruder alles exakt geplant – bis hin zu den vermeintlichen »Beweisen«, die den stellvertretenden CI-Direktor aus seinem Büro, auf komplizierter Route in den Nordwesten Äthiopiens und zuletzt hierher auf den Ras Dejen gelockt hatten.
Abbud ibn Aziz rückte den RPG-7 so zurecht, dass er auf das Getriebe des vorderen Rotors zielte. Er war jetzt eins mit seiner Waffe, eins mit dem Auftrag seines Kaders. Er spürte, wie der unbedingte Siegeswillen seiner Kameraden ihn wie eine Woge durchflutete, die nun bald gegen die feindliche Küste anbranden würde.
»Denk daran«, sagte Fadi.
Aber Abbud ibn Aziz, ein erstklassiger Schütze, den Fadis hochintelligenter Bruder an modernsten Waffensystemen ausge bildet hatte, brauchte keine Erinnerung. Der einzige Nachteil des RPG-7 war, dass die abgeschossene Rakete eine verräterische Rauchspur hinter sich herzog. Der Feind würde so fort wissen, wo sie in Stellung lagen. Aber auch das war berücksichtigt worden.
Er spürte, dass Fadis Zeigefinger ihm auf die Schulter tippte, um ihm zu signalisieren, ihr Ziel sei in Position. Er krümmte seinen Finger am Abzug, holte tief Luft, atmete langsam aus.
Dann kam der Abschuss mit einem Wirbelsturm aus überhitzter Luft. Danach der Lichtblitz und das schmetternde Krachen der eigentlichen Detonation, die aufsteigende dunkle Rauchsäule, die verdreht aus den Flammen ragenden Rotorblätter. Donnernde Echos, die Abbud ibn Azii leichte Benommenheit verstärkten, brachen sich noch an den Felswänden, als Fadis Leute wie ein Mann aufsprangen und zu einer Stelle der Felsbarriere stürmten, die hundert Meter vom Ausgangspunkt der verräterischen Rauchspur entfernt war. Gleichzeitig brachten Fadi und Abbud ibn Aziz sich eilig in Sicherheit. Wie dem Kader eingebläut worden war, begann er mit massivem Dauerfeuer – dem solchermaßen ausgedrückten Zorn der Gläubigen.
Al-Hamdu lil -Allah! Allah sei gepriesen! Der Angriff hat te begonnen.
Eben hatte Lindros Anders noch erklärt, wo zu er weitere zwei Minuten bleiben wollte, doch im nächsten Augenblick hatte er das Gefühl, sein Kopf sei von einer Dampf ramme zerquetscht worden. Er brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass er flach auf dem Rücken lag und den Mund voller Gesteinsstaub hatte. Er hob den Kopf. Brennende Trümmer schleuderten wie verrückt durch die von Rauch erfüllte Luft, aber er hörte kein Geräusch, nahm nichts als einen merkwürdigen Druck auf die Trommelfelle wahr: ein schwaches innerliches Brausen, als wehe in seinem Kopf eine Brise. Blut lief ihm übers Gesicht, heiß wie Tränen. Der beißende, erstickende Gestank von brennendem Kunststoff und Gummi stieg ihm in die Nase, aber darunter mischte sich noch etwas anderes: der starke Geruch von verbranntem Fleisch.
Erst als er sich zur Seite wälzen wollte, entdeckte er, dass Anders halb auf ihm lag. Bei dem Versuch, ihn zu schützen, hatte der Kommandeur die größte Wucht der Detonation abgefangen. Sein Gesicht und die nackte Schulter, wo seine Kampfjacke weggebrannt war, waren verkohlt und rauchten. Sein Haar war völlig abgesengt, sodass sein Kopf einem Totenschädel glich. Lindros würgte, dann stieß er die Leiche mit einem krampfhaften Schauder von sich weg. Als er sich kniend aufrichtete, musste er nochmals würgen.
Schließlich drang eine Art Zirpen an sein Ohr, seltsam gedämpft, als käme es aus großer Ferne. Er drehte sich um und sah die Männer von Scorpion One aus dem Hubschrauberwrack springen und dabei mit ihren Sturmgewehren schießen.
Einer von ihnen brach im vernichtenden Feuerhagel eines Maschinengewehrs zusammen. Lindros’ Reaktion erfolgte ganz instinktiv: Er robbte zu dem Gefallenen hinüber, schnappte sich sein XM8 und begann zu schießen.
Die kampferprobten Männer von Scorpion One waren tapfer und gut ausgebildet. Sie wussten, wann es sich zu schießen lohnte, wann man besser in Deckung blieb. Aber das nun einsetzende Kreuzfeuer traf sie völlig unvorbereitet, so sehr konzentrierten sie sich auf den Gegner vor ihnen. Einer nach dem anderen wurde getroffen, die meisten sogar mehrfach.
Lindros kämpfte weiter, obwohl er der letzte Mann war, der noch stehen konnte. Seltsamerweise schoss niemand auf ihn; keine Kugel kam auch nur in seine Nähe. Eben wunderte er sich noch darüber, als sein XM8 keine Munition mehr hatte. Er stand mit dem rauchenden Sturmgewehr in der Hand da und beobachtete, wie der Feind von der Felsbarriere über ihm herunterkam.
Sie waren stumm, abgezehrt wie der entstellte Tote in der Höhle, mit dem leeren Blick von Männern, die zu viel Blutvergießen gesehen haben. Zwei lösten sich aus der Horde und schlüpften in den rauchenden Kadaver der Chinook.
Übersetzung: Wulf Bergner
Copyright © 2007 by Myn Pyn, LLC
Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
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Autoren-Porträt von Robert Ludlum, Eric Van Lustbader
Robert Ludlums Romane wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und erreichten weltweit eine Auflage von über 280 Millionen Exemplaren. Robert Ludlum verstarb im März 2001. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.Eric Van Lustbader ist Autor zahlreicher Bestseller. Er lebt mit seiner Frau Victoria auf Long Island.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Robert Ludlum , Eric Van Lustbader
- 2010, 688 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Wulf Bergner
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453406001
- ISBN-13: 9783453406001
Rezension zu „Der Bourne Betrug “
"Ludlum packt mehr Action in seine Thriller als fünf seiner Kollegen zusammen." The New York Times
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