Der letzte Kaiser von Afrika
Triumph und Tragödie des Haile Selassie
'Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien, war eine der bedeutendsten politischen Gestalten des 20. Jahrhunderts. Sein Großneffe Prinz Asfa-Wossen Asserate, der seit langem in Deutschland lebt, hat ihn noch persönlich gekannt und verfügt...
Leider schon ausverkauft
Buch (Gebunden)
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Der letzte Kaiser von Afrika “
Klappentext zu „Der letzte Kaiser von Afrika “
'Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien, war eine der bedeutendsten politischen Gestalten des 20. Jahrhunderts. Sein Großneffe Prinz Asfa-Wossen Asserate, der seit langem in Deutschland lebt, hat ihn noch persönlich gekannt und verfügt über exklusiven Zugang zum Familienarchiv. Er legt nun die erste fundierte, umfassende Biographie Haile Selassies vor, zugleich ein großartiges Porträt der faszinierenden Geschichte seines Heimatlandes. Er war Nachkomme eines Geschlechts, das sich auf König Salomon zurückführt, Vorreiter der afrikanischen Einheit und Unabhängigkeit, Verbündeter der Alliierten gegen die faschistischen Achsenmächte und Messias der jamaikanischen Rastafari-Bewegung. Er war Reformer und Autokrat, der am Ende von kommunistischen Putschisten gestürzt und ermordet wurde. Haile Selassie, König der Könige, war eine ebenso beeindruckende wie schillernde Persönlichkeit, die Prinz Asserate glänzend zu porträtieren weiß.
Lese-Probe zu „Der letzte Kaiser von Afrika “
Der letzte Kaiser von Afrika von Asfa-wossen AsserateProlog
Wer war Haile Selassie?
Über Ras Tafari Makonnen, der im November 1930 als Haile Selassie den äthiopischen Kaiserthron bestieg, erzählt man sich in Äthiopien die folgende Geschichte: Im Frühsommer 1892 soll ein Einsiedler zu Ras Makonnen, dem Gouverneur der äthiopischen Provinz Harar, gekommen sein, dessen Frau zuvor eine Reihe von Fehlgeburten erlitten hatte, und ihm eine Prophezeiung offenbart haben: »Diesmal wird das Kind, mit dem deine Frau schwanger geht, gesund auf die Welt kommen und weiterleben. Es wird sich zu einem prächtigen Jüngling entwickeln, der sich noch in jungen Jahren zum Herrscher über Äthiopien erheben und mit strenger Hand das ganze Land regieren wird. Er wird Äthiopien Größe und Stolz verleihen, auf dass es in der ganzen Welt bekannt sein wird. Zuletzt aber wird er all das, was er aufgebaut hat, von eigener Hand zerstören und Äthiopien in Ruinen zurücklassen.«
Wer war Haile Selassie, der kleine Mann mit dem stolzen Gesicht, der Äthiopien fast sechzig Jahre regierte? Von den einen wird er als erbarmungsloser Diktator verteufelt, von anderen als Heiliger verehrt. Im September 1974 ging das Bild um die Welt, wie er, ein vom Alter gezeichneter, gebrechlicher Greis, von putschenden Militärs aus seinem Palast abgeführt und in einem hellblauen VW Käfer abtransportiert wurde. Vierundvierzig Jahre zuvor, als er zum Negusa Negast, zum »König der Könige« gekrönt wurde, schickte die ganze Welt ihre Abgesandten, um bei den Krönungsfeierlichkeiten in Addis Abeba dabei zu sein. Die Berichte darüber, die der englische Schriftsteller Evelyn Waugh und andere nach Europa sandten, klangen wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht.
... mehr
Als Kaiser Äthiopiens gab er sich den Namen Haile Selassie: »Macht der Dreifaltigkeit«. Seine Dynastie leitete sich vom biblischen König Salomon ab, die Welt hieß ihn den »Siegreichen Löwen von Juda«. Knapp sechs Jahre nachdem er den Thron bestieg, sah man den König der Könige in Genf vor der Generalversammlung des Völkerbundes stehen. Die faschistischen Truppen Mussolinis waren in Äthiopien eingefallen, und der ins Exil vertriebene Monarch hielt einen bewegenden Appell an das Gewissen der Welt. Die Worte, die er sprach, gingen in die Geschichtsbücher ein: »Die Katastrophen sind unausbleiblich, wenn die großen Staaten der Vergewaltigung eines kleinen Landes zusehen.« Das Time Magazine kürte ihn 1936 zum »Man of the Year«. 1941, nachdem die vereinigten äthiopischen und britischen Truppen Mussolinis Schwarzhemden aus Äthiopien vertrieben hatten, kehrte er im Triumphzug auf den äthiopischen Thron zurück.
In den fünfziger Jahren setzte sich der »Antifaschist auf dem Thron« an die Spitze der afrikanischen Bewegung der Entkolonialisierung. Von vielen afrikanischen Führern wird Haile Selassie bis heute als »Vater Afrikas« verehrt. Nelson Mandela nannte ihn den »afrikanischen Giganten«. Bob Marley vertonte seine Reden zu Reggae-Klängen: »Coming from the root of King David, through the line of Salomon, His Imperial Majesty is the Power of Authority: Spread out, spread out, spread out ...« - »Aus dem Hause König Davids stammend, in direkter Linie von König Salomon, ist Seine Kaiserliche Majestät die Macht der Autorität: Und sie breitet sich aus, breitet sich aus, breitet sich aus ...« -, heißt es in dem Lied »Black Man Redemption« (Die Erlösung der Schwarzen).
Wie viele andere, die sich Rastafari nennen, sah Bob Marley in Haile Selassie den wiedergeborenen Messias.
Es gab und gibt aber auch andere Stimmen: Der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski zeichnete ihn in seinem Roman König der Könige als despotischen Herrscher, verliebt in den Pomp und umgeben von unterwürfigen Würdenträgern und Helfershelfern. Haile Selassie war angetreten, Äthiopien nach westlichem Vorbild zu modernisieren. Doch den äthiopischen Studenten, die infolge seiner Modernisierungspolitik in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Westeuropa und in die Vereinigten Staaten kamen, offenbarte sich im Vergleich mit den entwickelten westlichen Demokratien die ökonomische und politische Rückständigkeit ihres eigenen Landes: Sie gingen auf die Straße und demonstrierten. Im Herbst 1973, ein Jahr vor Haile Selassies Sturz, gingen die Bilder von sterbenden Kindern in den äthiopischen Provinzen Wollo und Tigray um die Welt, die zu Zehntausenden der Hungerkatastrophe zum Opfer fielen. Wer war Haile Selassie? Fast alle, die ihn persönlich kennengelernt haben, konnten sich nur schwer dem Charisma entziehen, das von ihm ausging: »Jede Unterhaltung gab mir weiteren Anlass, diesen Souverän zu bewundern und anzuerkennen, der so verschieden ist von den Leuten, die ihn umgeben, und von seinem eigenen Volk«, schreibt der französische Arzt Dr. Sassard, der dem Kaiser über viele Jahre hinweg als Leibarzt diente. »In seinem bewegungslosen Gesicht scheinen nur seine Augen lebendig zu sein - strahlende, langgestreckte, höchst ausdrucksstarke Augen. Sie zeigen Langeweile ebenso wie höfliches Desinteresse, kalte Ironie oder sogar Zorn. Die Menschen am Hof kennen diese verschiedenen Ausdrücke sehr gut und ziehen sich schnell zurück, wenn der Blick des Monarchen zuerst teilnahmslos wird und dann steinern. Auf der anderen Seite können seine Augen, wenn er es mit Europäern zu tun hat, weich, leutselig, einnehmend und sogar aufrichtig sein.«1
Meine ersten Erinnerungen an den äthiopischen Kaiser führen mich in meine Kindheit zurück ins Jahr 1956. Ich war damals acht Jahre alt und an Mumps erkrankt, der auch nach erfolgter Medikation nicht zurückgehen wollte. Die Ärzte im Haile-Selassie-Krankenhaus in Addis Abeba beschlossen, mich einer Operation zu unterziehen; dabei sollten Teile der Ohrspeicheldrüse, die sich infiziert hatte, entfernt werden. Ich kann mich bis heute an diesen Eingriff erinnern, an die Äther-Anästhesie und die Übelkeit, die einen später ergriff. Aber vor allem erinnere ich mich an den Moment des Aufwachens aus der Narkose: Als ich langsam wieder zu Bewusstsein kam, war der Erste, in dessen Gesicht ich blickte, kein Geringerer als der Negusa Negast, der König der Könige. Er trug seine Feldmarschallsuniform, über die er seine Kabba, den traditionellen äthiopischen Umhang, gelegt hatte. Neben ihm standen mein Großvater Ras Kassa und mein Vater Ras Asserate und blickten besorgt. Der Kaiser legte seine Hand auf meine Stirn und sagte: »Warte noch ein Weilchen, mein Junge, bald gibt es Eis als Belohnung.« Dann verabschiedete er sich auf Französisch von dem deutschen Direktor des Krankenhauses, Professor Leutze, und dem ebenfalls anwesenden deutschen Chirurgen und bedankte sich für die geleistete Arbeit. Später habe ich erfahren, dass der mich operierende Arzt vom Kaiser eine Goldmünze als Anerkennung und von meinen Eltern goldene Manschettenknöpfe erhalten hatte. Nun begannen für mich die Tage im Schlaraffenland. Eine Woche lang bekam ich in einer großen Thermosflasche, die ein goldener kaiserlicher Löwe schmückte, Eiscreme in den verschiedensten Varianten und Geschmacksrichtungen ans Krankenbett gesandt. Die Spezialitäten waren vom kaiserlichen Chefkoch aus der Schweiz im benachbarten GeneteLeul- Palast eigens frisch für mich zubereitet worden.
Unvergessen geblieben ist mir auch die Erinnerung an den Kaiser während des Rot-Kreuz-Festes, das alljährlich im Januar auf der »Wiese Seiner Majestät« in Addis Abeba stattfand. Es gab kaum ein Ereignis, dem wir Kinder damals mehr entgegenfieberten. An diesem Tag schlugen die in Äthiopien vertretenen Gesandtschaften auf der Wiese ihre Zelte auf, in denen sie kulinarische Spezialitäten ihres Landes zugunsten des Roten Kreuzes verkauften. Meinen Vettern und mir war es gestattet, den Kaiser bei seinem Rundgang durch die Zelte zu begleiten. Und überall, wo der Kaiser haltmachte, bekam er ein Geschenk überreicht, das er - wenn es nicht gerade eine Flasche Wein oder Schnaps war - an uns Kinder weitergab, bevor er das nächste Zelt betrat. Auf diese Weise erstand ich auf einem Rot-Kreuz-Fest einmal aus dem Zelt der deutschen Botschaft die Puppe eines Schwarzwaldmädchens in Tracht und ein anderes Mal eine Schwarzwälder Kuckucksuhr, die einen Ehrenplatz im Salon unseres Hauses bekam. Fasziniert stand ich vor ihr und wartete Stunde um Stunde darauf, den Kuckuck aus seinem Haus kommen zu sehen und zu hören, wie er seinen Ruf durch die Gänge der Villa erschallen ließ.
Lebendig vor Augen habe ich auch noch die Ausfahrten mit dem Kaiser durch Addis Abeba. Jeden Nachmittag setzte sich Haile Selassie in eines seiner Automobile, um in seinem Reich nach dem Rechten zu sehen. Und manchmal durften wir Kinder ihn bei diesen Spontanbesuchen begleiten. Oft benutzte der Kaiser den Chrysler, den er von Präsident Roosevelt geschenkt bekommen hatte, eine Stretch-Limousine mit drei Sitzreihen, die mich unglaublich beeindruckte. Zwischen dem Chauffeur und den Fahrgästen war eine gläserne Trennwand angebracht, die mit Rosenholz eingefasst war. An der Unterseite der Fassung fügten eingelegte Intarsien sich zu den drei Buchstaben
H. I. M. - His Imperial Majesty. Wir durften in der mittleren Reihe Platz nehmen, vorne neben dem Chauffeur saß der Adjutant des Kaisers und hinter uns Seine Majestät. Dem Kaiser bereitete es Freude - wie einst den Konsuln im alten Rom -, bei seinen Fahrten durch die Stadt Almosen an die Bettler zu verteilen. Manchmal reichte er uns ein Bündel von Scheinen nach vorne, und wir hielten sie aus dem nur einen Spaltbreit geöffneten Fenster. Mehr musste man nicht tun, denn sogleich wurden sie einem von den aus allen Richtungen entgegengestreckten Armen aus der Hand gerissen. Es war für mich als Kind nicht ganz leicht zu begreifen: Auf der einen Seite war der Kaiser Teil unserer großen Familie - mein Großvater, Ras Kassa Hailu war sein Vetter und einer seiner treuesten Wegbegleiter von Kindesbeinen an bis ins Alter -, und gleichzeitig war er unnahbar: Er war der König der Könige, Abbaba Janhoy, der Große Vater der Nation, vor dem sich alle in seiner Umgebung verneigten und zu Boden warfen, um ihm ihre Reverenz zu erweisen. Und so habe auch ich ihn stets umgeben von dieser Aura des Kaiserlichen erlebt, bis auf ein einziges Mal, und diese Begegnung fand in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Eritrea statt. Der Kaiser war nach Asmara gereist und residierte im Palast des Vizekönigs, wo mein Vater als Generalgouverneur der damaligen Provinz Eritrea die Amtsgeschäfte führte. Eines Nachmittags besuchte uns Haile Selassie zusammen mit seinem Vetter Ras Imru in der Privatresidenz meines Vaters auf dem Palastgelände, und er wurde dabei auf den Billardsalon aufmerksam. Offensichtlich verspürte der Kaiser Lust, Billard zu spielen. Er klopfte Ras Imru, der um einiges jünger war als sein Vetter, aber um einiges älter aussah, auf die Schulter und rief: »Komm, alter Mann! Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir damals, als wir noch jung waren, im Hause von Lij Iyasu gespielt haben? Zeig uns mal, ob du noch fit bist!« Ras Imru lachte, der Kaiser zog seine Anzugjacke aus und reichte sie meinem Vater. »Komm, Asserate, du auch!«, forderte Ras Imru meinen Vater auf. Die Jacke Seiner Majestät wurde an mich weitergereicht, und dann eröffnete der Kaiser das Spiel. Bereits nach wenigen Stößen war offensichtlich, dass Haile Selassie seinem Vetter und seinem Großneffen, die zusammen gegen ihn antraten, deutlich überlegen war - obwohl es keinen gab, der den Kaiser in Addis Abeba jemals mit einem Billardqueue in der Hand gesehen hätte. Es war das erste und einzige Mal, dass der Kaiser hemdsärmlig vor mir stand. Der Ernst seines Amtes war von ihm gefallen, in diesem Augenblick war er einfach ein Mensch, der spielte. Und ich rührte mich nicht von der Stelle. Die Anzugjacke des Kaisers in der ausgestreckten Hand, schaute ich gebannt zu, wie der Kaiser Kugel um Kugel versenkte. Als auch die letzte, die schwarze Acht, in einer der Taschen des Billardtisches verschwunden war, legte er das Queue beiseite, und ich reichte ihm seine Anzugjacke. Er schlüpfte hinein, und im Nu hatte er sich wieder in den Kaiser von Äthiopien verwandelt.
Bei all diesen Zusammentreffen mit meinem Großonkel ging es niemals um politische Dinge. Nur einmal bin ich bei einer Begegnung mit ihm in ein kurzes Gespräch über die politische Lage des Landes verwickelt worden - und zwar bei dem letzten Besuch Haile Selassies in Deutschland am 12. September 1973, auf den Tag genau ein Jahr bevor er von den putschenden Offizieren aus seinem Palast abgeführt wurde. Auf der ganzen Welt begannen sich damals im Herbst 1973 die schrecklichen Bilder von der Hungersnot in den äthiopischen Provinzen Tigray und Wollo zu verbreiten. Ich selbst hatte in Frankfurt am Main, wo ich studierte, ein Benefizkonzert für die in Äthiopien tätigen »Fliegenden Ärzte« veranstaltet und eine ansehnliche Summe zusammengebracht. Vor dem Schlossplatz in Stuttgart, wo der Kaiser mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zusammentraf, hatte sich eine große Menge versammelt. Die meisten unter ihnen jubelten Haile Selas- sie zu und schwenkten Fahnen in den äthiopischen Landesfarben, doch es hatten sich auch einige Studenten der nahegelegenen Universität Hohenheim daruntergemischt. Sie hielten Plakate empor mit Parolen wie »Haile Selassie - geh nach Hause und gib deinem hungrigen Volk zu essen!« und »Kampf dem Imperialismus!« und verteilten Flugblätter an die Passanten. Der Kaiser war mit seiner Entourage auf dem Seeschloss Monrepos untergebracht, wo ich zu einer Audienz in seine Suite gerufen wurde.
© Propyläen
Als Kaiser Äthiopiens gab er sich den Namen Haile Selassie: »Macht der Dreifaltigkeit«. Seine Dynastie leitete sich vom biblischen König Salomon ab, die Welt hieß ihn den »Siegreichen Löwen von Juda«. Knapp sechs Jahre nachdem er den Thron bestieg, sah man den König der Könige in Genf vor der Generalversammlung des Völkerbundes stehen. Die faschistischen Truppen Mussolinis waren in Äthiopien eingefallen, und der ins Exil vertriebene Monarch hielt einen bewegenden Appell an das Gewissen der Welt. Die Worte, die er sprach, gingen in die Geschichtsbücher ein: »Die Katastrophen sind unausbleiblich, wenn die großen Staaten der Vergewaltigung eines kleinen Landes zusehen.« Das Time Magazine kürte ihn 1936 zum »Man of the Year«. 1941, nachdem die vereinigten äthiopischen und britischen Truppen Mussolinis Schwarzhemden aus Äthiopien vertrieben hatten, kehrte er im Triumphzug auf den äthiopischen Thron zurück.
In den fünfziger Jahren setzte sich der »Antifaschist auf dem Thron« an die Spitze der afrikanischen Bewegung der Entkolonialisierung. Von vielen afrikanischen Führern wird Haile Selassie bis heute als »Vater Afrikas« verehrt. Nelson Mandela nannte ihn den »afrikanischen Giganten«. Bob Marley vertonte seine Reden zu Reggae-Klängen: »Coming from the root of King David, through the line of Salomon, His Imperial Majesty is the Power of Authority: Spread out, spread out, spread out ...« - »Aus dem Hause König Davids stammend, in direkter Linie von König Salomon, ist Seine Kaiserliche Majestät die Macht der Autorität: Und sie breitet sich aus, breitet sich aus, breitet sich aus ...« -, heißt es in dem Lied »Black Man Redemption« (Die Erlösung der Schwarzen).
Wie viele andere, die sich Rastafari nennen, sah Bob Marley in Haile Selassie den wiedergeborenen Messias.
Es gab und gibt aber auch andere Stimmen: Der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski zeichnete ihn in seinem Roman König der Könige als despotischen Herrscher, verliebt in den Pomp und umgeben von unterwürfigen Würdenträgern und Helfershelfern. Haile Selassie war angetreten, Äthiopien nach westlichem Vorbild zu modernisieren. Doch den äthiopischen Studenten, die infolge seiner Modernisierungspolitik in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Westeuropa und in die Vereinigten Staaten kamen, offenbarte sich im Vergleich mit den entwickelten westlichen Demokratien die ökonomische und politische Rückständigkeit ihres eigenen Landes: Sie gingen auf die Straße und demonstrierten. Im Herbst 1973, ein Jahr vor Haile Selassies Sturz, gingen die Bilder von sterbenden Kindern in den äthiopischen Provinzen Wollo und Tigray um die Welt, die zu Zehntausenden der Hungerkatastrophe zum Opfer fielen. Wer war Haile Selassie? Fast alle, die ihn persönlich kennengelernt haben, konnten sich nur schwer dem Charisma entziehen, das von ihm ausging: »Jede Unterhaltung gab mir weiteren Anlass, diesen Souverän zu bewundern und anzuerkennen, der so verschieden ist von den Leuten, die ihn umgeben, und von seinem eigenen Volk«, schreibt der französische Arzt Dr. Sassard, der dem Kaiser über viele Jahre hinweg als Leibarzt diente. »In seinem bewegungslosen Gesicht scheinen nur seine Augen lebendig zu sein - strahlende, langgestreckte, höchst ausdrucksstarke Augen. Sie zeigen Langeweile ebenso wie höfliches Desinteresse, kalte Ironie oder sogar Zorn. Die Menschen am Hof kennen diese verschiedenen Ausdrücke sehr gut und ziehen sich schnell zurück, wenn der Blick des Monarchen zuerst teilnahmslos wird und dann steinern. Auf der anderen Seite können seine Augen, wenn er es mit Europäern zu tun hat, weich, leutselig, einnehmend und sogar aufrichtig sein.«1
Meine ersten Erinnerungen an den äthiopischen Kaiser führen mich in meine Kindheit zurück ins Jahr 1956. Ich war damals acht Jahre alt und an Mumps erkrankt, der auch nach erfolgter Medikation nicht zurückgehen wollte. Die Ärzte im Haile-Selassie-Krankenhaus in Addis Abeba beschlossen, mich einer Operation zu unterziehen; dabei sollten Teile der Ohrspeicheldrüse, die sich infiziert hatte, entfernt werden. Ich kann mich bis heute an diesen Eingriff erinnern, an die Äther-Anästhesie und die Übelkeit, die einen später ergriff. Aber vor allem erinnere ich mich an den Moment des Aufwachens aus der Narkose: Als ich langsam wieder zu Bewusstsein kam, war der Erste, in dessen Gesicht ich blickte, kein Geringerer als der Negusa Negast, der König der Könige. Er trug seine Feldmarschallsuniform, über die er seine Kabba, den traditionellen äthiopischen Umhang, gelegt hatte. Neben ihm standen mein Großvater Ras Kassa und mein Vater Ras Asserate und blickten besorgt. Der Kaiser legte seine Hand auf meine Stirn und sagte: »Warte noch ein Weilchen, mein Junge, bald gibt es Eis als Belohnung.« Dann verabschiedete er sich auf Französisch von dem deutschen Direktor des Krankenhauses, Professor Leutze, und dem ebenfalls anwesenden deutschen Chirurgen und bedankte sich für die geleistete Arbeit. Später habe ich erfahren, dass der mich operierende Arzt vom Kaiser eine Goldmünze als Anerkennung und von meinen Eltern goldene Manschettenknöpfe erhalten hatte. Nun begannen für mich die Tage im Schlaraffenland. Eine Woche lang bekam ich in einer großen Thermosflasche, die ein goldener kaiserlicher Löwe schmückte, Eiscreme in den verschiedensten Varianten und Geschmacksrichtungen ans Krankenbett gesandt. Die Spezialitäten waren vom kaiserlichen Chefkoch aus der Schweiz im benachbarten GeneteLeul- Palast eigens frisch für mich zubereitet worden.
Unvergessen geblieben ist mir auch die Erinnerung an den Kaiser während des Rot-Kreuz-Festes, das alljährlich im Januar auf der »Wiese Seiner Majestät« in Addis Abeba stattfand. Es gab kaum ein Ereignis, dem wir Kinder damals mehr entgegenfieberten. An diesem Tag schlugen die in Äthiopien vertretenen Gesandtschaften auf der Wiese ihre Zelte auf, in denen sie kulinarische Spezialitäten ihres Landes zugunsten des Roten Kreuzes verkauften. Meinen Vettern und mir war es gestattet, den Kaiser bei seinem Rundgang durch die Zelte zu begleiten. Und überall, wo der Kaiser haltmachte, bekam er ein Geschenk überreicht, das er - wenn es nicht gerade eine Flasche Wein oder Schnaps war - an uns Kinder weitergab, bevor er das nächste Zelt betrat. Auf diese Weise erstand ich auf einem Rot-Kreuz-Fest einmal aus dem Zelt der deutschen Botschaft die Puppe eines Schwarzwaldmädchens in Tracht und ein anderes Mal eine Schwarzwälder Kuckucksuhr, die einen Ehrenplatz im Salon unseres Hauses bekam. Fasziniert stand ich vor ihr und wartete Stunde um Stunde darauf, den Kuckuck aus seinem Haus kommen zu sehen und zu hören, wie er seinen Ruf durch die Gänge der Villa erschallen ließ.
Lebendig vor Augen habe ich auch noch die Ausfahrten mit dem Kaiser durch Addis Abeba. Jeden Nachmittag setzte sich Haile Selassie in eines seiner Automobile, um in seinem Reich nach dem Rechten zu sehen. Und manchmal durften wir Kinder ihn bei diesen Spontanbesuchen begleiten. Oft benutzte der Kaiser den Chrysler, den er von Präsident Roosevelt geschenkt bekommen hatte, eine Stretch-Limousine mit drei Sitzreihen, die mich unglaublich beeindruckte. Zwischen dem Chauffeur und den Fahrgästen war eine gläserne Trennwand angebracht, die mit Rosenholz eingefasst war. An der Unterseite der Fassung fügten eingelegte Intarsien sich zu den drei Buchstaben
H. I. M. - His Imperial Majesty. Wir durften in der mittleren Reihe Platz nehmen, vorne neben dem Chauffeur saß der Adjutant des Kaisers und hinter uns Seine Majestät. Dem Kaiser bereitete es Freude - wie einst den Konsuln im alten Rom -, bei seinen Fahrten durch die Stadt Almosen an die Bettler zu verteilen. Manchmal reichte er uns ein Bündel von Scheinen nach vorne, und wir hielten sie aus dem nur einen Spaltbreit geöffneten Fenster. Mehr musste man nicht tun, denn sogleich wurden sie einem von den aus allen Richtungen entgegengestreckten Armen aus der Hand gerissen. Es war für mich als Kind nicht ganz leicht zu begreifen: Auf der einen Seite war der Kaiser Teil unserer großen Familie - mein Großvater, Ras Kassa Hailu war sein Vetter und einer seiner treuesten Wegbegleiter von Kindesbeinen an bis ins Alter -, und gleichzeitig war er unnahbar: Er war der König der Könige, Abbaba Janhoy, der Große Vater der Nation, vor dem sich alle in seiner Umgebung verneigten und zu Boden warfen, um ihm ihre Reverenz zu erweisen. Und so habe auch ich ihn stets umgeben von dieser Aura des Kaiserlichen erlebt, bis auf ein einziges Mal, und diese Begegnung fand in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Eritrea statt. Der Kaiser war nach Asmara gereist und residierte im Palast des Vizekönigs, wo mein Vater als Generalgouverneur der damaligen Provinz Eritrea die Amtsgeschäfte führte. Eines Nachmittags besuchte uns Haile Selassie zusammen mit seinem Vetter Ras Imru in der Privatresidenz meines Vaters auf dem Palastgelände, und er wurde dabei auf den Billardsalon aufmerksam. Offensichtlich verspürte der Kaiser Lust, Billard zu spielen. Er klopfte Ras Imru, der um einiges jünger war als sein Vetter, aber um einiges älter aussah, auf die Schulter und rief: »Komm, alter Mann! Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir damals, als wir noch jung waren, im Hause von Lij Iyasu gespielt haben? Zeig uns mal, ob du noch fit bist!« Ras Imru lachte, der Kaiser zog seine Anzugjacke aus und reichte sie meinem Vater. »Komm, Asserate, du auch!«, forderte Ras Imru meinen Vater auf. Die Jacke Seiner Majestät wurde an mich weitergereicht, und dann eröffnete der Kaiser das Spiel. Bereits nach wenigen Stößen war offensichtlich, dass Haile Selassie seinem Vetter und seinem Großneffen, die zusammen gegen ihn antraten, deutlich überlegen war - obwohl es keinen gab, der den Kaiser in Addis Abeba jemals mit einem Billardqueue in der Hand gesehen hätte. Es war das erste und einzige Mal, dass der Kaiser hemdsärmlig vor mir stand. Der Ernst seines Amtes war von ihm gefallen, in diesem Augenblick war er einfach ein Mensch, der spielte. Und ich rührte mich nicht von der Stelle. Die Anzugjacke des Kaisers in der ausgestreckten Hand, schaute ich gebannt zu, wie der Kaiser Kugel um Kugel versenkte. Als auch die letzte, die schwarze Acht, in einer der Taschen des Billardtisches verschwunden war, legte er das Queue beiseite, und ich reichte ihm seine Anzugjacke. Er schlüpfte hinein, und im Nu hatte er sich wieder in den Kaiser von Äthiopien verwandelt.
Bei all diesen Zusammentreffen mit meinem Großonkel ging es niemals um politische Dinge. Nur einmal bin ich bei einer Begegnung mit ihm in ein kurzes Gespräch über die politische Lage des Landes verwickelt worden - und zwar bei dem letzten Besuch Haile Selassies in Deutschland am 12. September 1973, auf den Tag genau ein Jahr bevor er von den putschenden Offizieren aus seinem Palast abgeführt wurde. Auf der ganzen Welt begannen sich damals im Herbst 1973 die schrecklichen Bilder von der Hungersnot in den äthiopischen Provinzen Tigray und Wollo zu verbreiten. Ich selbst hatte in Frankfurt am Main, wo ich studierte, ein Benefizkonzert für die in Äthiopien tätigen »Fliegenden Ärzte« veranstaltet und eine ansehnliche Summe zusammengebracht. Vor dem Schlossplatz in Stuttgart, wo der Kaiser mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zusammentraf, hatte sich eine große Menge versammelt. Die meisten unter ihnen jubelten Haile Selas- sie zu und schwenkten Fahnen in den äthiopischen Landesfarben, doch es hatten sich auch einige Studenten der nahegelegenen Universität Hohenheim daruntergemischt. Sie hielten Plakate empor mit Parolen wie »Haile Selassie - geh nach Hause und gib deinem hungrigen Volk zu essen!« und »Kampf dem Imperialismus!« und verteilten Flugblätter an die Passanten. Der Kaiser war mit seiner Entourage auf dem Seeschloss Monrepos untergebracht, wo ich zu einer Audienz in seine Suite gerufen wurde.
© Propyläen
... weniger
Autoren-Porträt von Asfa-wossen Asserate
Asfa-Wossen Asserate, Prinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus, wurde 1948 in Addis Abeba geboren. An der Deutschen Schule bestander als einer der ersten Äthiopier das Abitur. Er studierte Geschichte und Jura in Tübingen und Cambridge und promovierte in Frankfurt am Main. Die Revolution in Äthiopien verhinderte die Rückkehr in seine Heimat. Er blieb in Deutschland und ist heute als Unternehmensberater für Afrika und den Mittleren Osten tätig. Sein Buch »Manieren« wurde von der Kritik gefeiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Asfa-wossen Asserate
- 416 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,5 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: BLANK
- ISBN-10: 354907428X
- ISBN-13: 9783549074282
- Erscheinungsdatum: 10.03.2014
Rezension zu „Der letzte Kaiser von Afrika “
"Der Großneffe des letzten Kaisers von Äthiopien analysiert fundiert Triumph und Tragödie des Haile Selassie", Format (A), MIchaela Knapp, 20.06.2014
Kommentar zu "Der letzte Kaiser von Afrika"
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der letzte Kaiser von Afrika".
Kommentar verfassen