Der Mann aus dem Safe
Roman. Ausgezeichnet mit dem Edgar Allen Poe Award, Best Novel 2011
Als sein Vater Amok läuft, versteckt sich der achtjährige Michael in einem Safe, der fast zum tödlichen Gefängnis wird. Nur durch ein Wunder kommt Michael mit dem Leben davon, seither ist er verstummt. Doch ein Talent bleibt ihm: Er ist ein Genie beim...
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Produktinformationen zu „Der Mann aus dem Safe “
Klappentext zu „Der Mann aus dem Safe “
Als sein Vater Amok läuft, versteckt sich der achtjährige Michael in einem Safe, der fast zum tödlichen Gefängnis wird. Nur durch ein Wunder kommt Michael mit dem Leben davon, seither ist er verstummt. Doch ein Talent bleibt ihm: Er ist ein Genie beim Knacken von Safes. Doch schon bald werden die falschen Leute auf seine Begabung aufmerksam ...
Als sein Vater Amok läuft, versteckt sich der achtjährige Michael in einem Safe, der fast zum tödlichen Gefängnis wird. Nur durch ein Wunder kommt Michael mit dem Leben davon, seither ist er verstummt. Doch ein Talent bleibt ihm: Er ist ein Genie beim Knacken von Safes. Doch schon bald werden die falschen Leute auf seine Begabung aufmerksam ...
Lese-Probe zu „Der Mann aus dem Safe “
Der Mann aus dem Safe von Steve HamiltonKAPITEL EINS
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Wieder ein Tag hinter Schloss und Riegel
Sie erinnern sich vielleicht an mich. Überlegen Sie - Sommer 1990. Ich weiß, das ist schon eine Weile her, aber die Presseagenturen haben die Story damals verbreitet, und ich war in jeder Zeitung des Landes. Selbst wenn Sie nichts darüber gelesen haben, haben Sie wahrscheinlich von mir gehört. Von einem Nachbarn, Arbeitskollegen oder, falls Sie jünger sind, in der Schule. Man nannte mich den »Wunderjungen«. Es gab auch noch ein paar andere Bezeichnungen, erfunden von Redakteuren und Nachrichtensprechern, die sich gegenseitig übertreffen wollten. In einem der alten Zeitungsausschnitte habe ich »Wunderknabe« gelesen. »Teufelskerl« lautete eine weitere, obwohl ich damals erst acht Jahre alt war. Doch es war der Wunderjunge, der an mir hängenblieb.
Ich machte zwei oder drei Tage lang Schlagzeilen, und auch als die Kameras und Reporter sich auf etwas anderes stürzten, wirkte meine Geschichte noch nach wie nur wenige. Ich tat den Leuten leid. Wie könnte es anders sein? Wenn Sie kleine Kinder hatten zu der Zeit, passten Sie noch ein bisschen besser auf sie auf. Wenn Sie selbst noch ein Kind waren, schliefen Sie eine Woche lang schlecht.
Letztendlich konnten Sie nichts anderes tun, als mir alles Gute zu wünschen. Sie hofften, dass ich irgendwo untergekommen war und nun ein besseres Leben hatte. Sie hofften, dass mein zartes Alter mich irgendwie geschützt hatte, dass es deshalb nicht ganz so entsetzlich für mich gewesen war. Dass ich darüber hinwegkommen würde, es vielleicht sogar hinter mir lassen konnte, weil Kinder doch so anpassungsfähig und flexibel und belastbar sind. Diesen ganzen Horror. Das hofften Sie zumindest, falls Sie sich die Zeit nahmen, über mich als Menschen aus Fleisch und Blut nachzudenken, statt in mir nur das junge Gesicht in den Nachrichten zu sehen.
Die Leute schickten mir Karten und Briefe damals. Manche mit Kinderzeichnungen dabei. Wünschten mir Glück. Eine bessere Zukunft. Manche wollten mich sogar in meinem neuen Zuhause besuchen. Offenbar waren sie mit der Vorstellung nach Milford, Michigan, gefahren, sie könnten einfach jemanden auf der Straße anhalten und nach mir fragen. Aber warum eigentlich? Sie dachten wohl, ich müsse über irgendwelche besonderen Kräfte verfügen, um diesen Tag im Juni überlebt zu haben. Was das für Kräfte sein sollten oder was diese Menschen sich von mir erhofften, ist mir völlig schleierhaft.
Was ist in den Jahren seitdem passiert? Ich bin herangewachsen. Ich glaube nun an Liebe auf den ersten Blick. Ich habe dies und das ausprobiert, und wenn ich irgendwo etwas taugte, dann war es entweder etwas vollkommen Nutzloses oder etwas total Ungesetzliches. Das sagt schon mal einiges darüber, weshalb ich diesen schicken orangenen Overall trage und ihn während der vergangenen neun Jahre tagein, tagaus getragen habe.
Ich denke nicht, dass es mich besser macht, hier drin zu sein.
Oder überhaupt jemanden. Es ist allerdings schon irgendwie ironisch, dass das Schlimmste, was ich je getan habe, zumindest auf dem Papier, das Einzige ist, was ich nicht bereue. Kein bisschen.
Inzwischen habe ich mir gedacht, was soll's, da ich nun mal hier sitze, nutze ich die Zeit und blicke auf alles zurück. Ich schreibe es auf. Was im Übrigen, falls ich es wirklich tue, für mich die einzige Möglichkeit ist, die Geschichte zu erzählen. Ich habe keine andere Wahl, denn wie Sie vielleicht wissen, habe ich bei alle dem, was ich in den vergangenen Jahren so gemacht habe, eines nicht gemacht. Ich habe kein einziges Wort gesprochen. Das ist natürlich eine Geschichte für sich. Diese Sache, die mich zum Verstummen gebracht hat, so viele Jahre lang. Eingeschlossen in mich selbst, seit jenem Tag. Ich kann sie nicht loslassen. Deshalb kann ich nicht sprechen. Ich bringe keinen Ton hervor.
Hier jedoch, auf dem Papier ... da kann ich so tun, als würden wir zusammen irgendwo an einer Bar sitzen, nur Sie und ich, und uns ausführlich unterhalten. Hey, das gefällt mir. Wir beide an der Bar, wie wir einfach nur reden. Beziehungsweise ich rede, und Sie hören zu - was für ein Rollentausch das wäre. Ich meine, Sie würden mir wirklich zuhören. Mir ist nämlich aufgefallen, dass die meisten Menschen nicht zuhören können. Glauben Sie mir. Meistens warten sie bloß darauf, dass der andere endlich die Klappe hält, damit sie wieder dran sind. Aber Sie ... na klar, Sie sind ein ebenso guter Zuhörer wie ich. Sie sitzen da und hängen sozusagen an meinen Lippen. Wenn ich zu den schlimmen Stellen komme, halten Sie durch und lassen mich alles loswerden. Sie verurteilen mich nicht sofort. Damit will ich nicht sagen, dass Sie mir alles verzeihen werden. Ich verzeihe mir ja selbst nicht alles, darauf können Sie Gift nehmen. Aber Sie werden wenigstens bereit sein, mich ausreden zu lassen und zu versuchen, mich am Ende zu verstehen. Mehr kann ich nicht verlangen, stimmt's?
Das Problem ist nur, wo fange ich an? Steige ich direkt in die Tränendrüsenstory ein, macht das den Eindruck, als wollte ich mich von vornherein für all das rechtfertigen, was ich getan habe. Fange ich mit dem Hardcore-Zeug an, halten Sie mich für einen geborenen Verbrecher und schreiben mich ab, bevor ich Gelegenheit hatte, meinen Standpunkt zu vertreten.
Also werde ich vielleicht ein bisschen hin- und herspringen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Erzählen, wie die ersten richtigen Jobs, an denen ich beteiligt war, abliefen. Wie es war, als der Wunderjunge aufzuwachsen. Wie alles in diesem einen Sommer zusammenkam. Wie ich Amelia kennenlernte. Wie ich mein unverzeihliches Talent entdeckte. Wie ich auf die schiefe Bahn geriet. Vielleicht sehen Sie sich das an und kommen zu dem Schluss, dass ich keine echte Alternative hatte. Vielleicht kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie genauso gehandelt hätten.
Was ich auf keinen Fall tun kann, ist, mit jenem Tag im Juni 1990 zu beginnen. Darauf kann ich mich noch nicht einlassen. Egal, wie sehr andere Leute versucht haben, mich dazu zu überreden, und glauben Sie mir, es waren eine Menge Leute, und sie haben es verdammt angestrengt versucht ... Ich kann nicht damit beginnen, weil ich hier drin schon genug Klaustrophobie bekomme. An manchen Tagen habe ich Mühe, überhaupt regelmäßig zu atmen. Aber möglicherweise gehe ich es irgendwann beim Schreiben an und sage mir, okay, heute ist es so weit. Heute kannst du dem ins Gesicht sehen. Kein Anlauf nötig. Erinnere dich einfach an diesen Tag und lass es raus. Du bist acht Jahre alt. Du hörst das Geräusch an der Tür. Und ...
Scheiße, das ist noch schwerer, als ich dachte.
Ich musste eine kleine Pause machen, aufstehen und ein bisschen herumlaufen, auch wenn man hier nicht weit kommt. Ich habe meine Zelle verlassen und bin runter in den Gemeinschaftsbereich gegangen, wo ich mir im Hauptwaschraum die Zähne geputzt habe. Es war ein neuer Insasse dort, einer, der noch nichts über mich weiß. Als er hallo sagte, wusste ich, dass ich aufpassen musste. Auf einen Gruß nicht zu antworten wird draußen vielleicht höchstens als unhöflich ich angesehen, hier drinnen aber kann es als Beleidigung aufgefasst werden. Wenn ich in einem richtig schlimmen Knast wäre, wäre ich vermutlich längst tot. Doch selbst hier ist so etwas eine ständige Prüfung für mich.
Ich reagierte wie gewöhnlich. Zeigte mit zwei Fingern der rechten Hand auf meinen Hals und machte eine schlitzende Geste. Aus mir kommt kein Wort raus, Kumpel. Ist nicht respektlos gemeint. Offensichtlich habe ich's überlebt, weil ich hier sitze und weiterschreibe.
Bleiben Sie also dran, denn das ist meine Geschichte, falls Sie dafür bereit sind. Vor langer Zeit war ich einmal der Wunderjunge. Später der Stumme aus Milford. Der Goldjunge. Der junge Ghost. Der Kleine. Der Schrankmann. Der Schlosskünstler. All das war ich.
Aber Sie dürfen mich Mike nennen.
KAPITEL ZWEI
NAHE PHILADELPHIA
SEPTEMBER 1999
Da war ich also, unterwegs zu meinem ersten richtigen Auftrag. Seit zwei Tagen ununterbrochen auf der Straße,
seit ich mein Zuhause verlassen hatte. Das alte Motorrad war kaputtgegangen, als ich gerade die Staatsgrenze nach Pennsylvania überquerte. Es ging mir schwer gegen den Strich, es dort am Straßenrand zurückzulassen, nach allem, was es für mich getan hatte. Die Freiheit. Das Gefühl, dass ich einfach aufspringen und von einem Moment auf den anderen allem davonfahren konnte. Aber verdammt, was blieb mir anderes übrig?
Ich nahm die Motorradtaschen hinten herunter und streckte den Daumen raus. Versuchen Sie mal zu trampen, wenn Sie nicht sprechen können. Nur zu, versuchen Sie es ruhig mal. Die ersten drei, die anhielten, konnten überhaupt nicht damit umgehen. Es spielte keine Rolle, dass ich ein nettes Gesicht hatte oder ziemlich fertig aussah nach all den einsamen Meilen auf der Straße. Eigentlich sollte es mich inzwischen nicht mehr überraschen, wie panisch die Leute reagieren, wenn sie jemandem begegnen, der ständig schweigt.
Folglich brauchte ich eine Weile, um dort anzukommen. Zwei
Tage seit dem Anruf, inklusive einer Menge Ärger und Mühe.
Dann tauchte ich endlich auf, müde, hungrig und dreckig. So viel zu einem guten ersten Eindruck.
Das hier war die Blue Crew. Die Jungs, die der Ghost als solide und zuverlässig bezeichnete. Nicht gerade als die Spitzenleute, aber als professionell. Auch wenn sie manchmal einen etwas groben Ton draufhatten. Wie die meisten Typen aus New York. Das war alles, was man mir über sie gesagt hatte. Das Übrige würde ich gleich selbst herausfinden.
Sie hatten sich in einem kleinen einstöckigen Motel am Rand von Malvern, Pennsylvania eingegraben. Es war nicht die schlimmste Unterkunft, die ich je gesehen hatte, aber man konnte wohl schon einen Koller bekommen, wenn man ein, zwei Tage länger dort festsaß als geplant. Besonders, wenn man sich nicht groß blicken lassen wollte und Pizzas bestellte, statt essen zu gehen, und sich eine Pulle hin und her reichte, statt zu gucken, was die Bars der Gegend zu bieten hatten. Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls waren sie nicht gerade bester Laune, als ich endlich erschien.
Es waren nur zwei. Mit einem so kleinen Team hatte ich nicht gerechnet, und sie wohnten auch noch beide im selben Zimmer. Was sicher nicht zur Besserung ihrer Stimmung beitrug. Der Mann, der die Tür aufmachte, schien das Sagen zu haben. Er war kahlköpfig und hatte rund zwanzig Pfund Übergewicht, sah aber stark genug aus, um mich geradewegs durchs Fenster zu schleudern. Er sprach mit einem starken New Yorker Akzent. »Wer bist du?« Er starrte mich fünf Sekunden lang nieder, dann ging ihm ein Licht auf. »Moment mal, bist du der Typ, auf den wir warten? Rein mit dir!«
Er zog mich ins Zimmer und machte die Tür zu.
»Du willst mich verarschen, oder? Ist das ein Witz?«
Der andere saß am Tisch, sie waren mitten in einer Partie Gin Rommé. »Was ist mit dem Kleinen?«
»Das ist der Schrankmann, auf den wir warten, siehst du das nicht?«
»Wie alt ist der, zwölf?«
»Wie alt bist du, Junge?«
Ich hielt zehn Finger in die Höhe, dann acht. Zwar wurde ich erst in vier Monaten achtzehn, aber ich dachte mir, wen schert's. Ist ja bald.
»Sie haben gesagt, dass du nicht viel redest. Stimmt offenbar.« »Scheiße, warum hast du so lange gebraucht?«, sagte der Mann am Tisch. Sein Akzent war noch heftiger als der des anderen. Er hörte sich an, als stünde er an einer Straßenecke in Brooklyn. Ich taufte ihn in Gedanken Brooklyn. Die richtigen Namen würde ich sowieso nie erfahren.
Ich hob den rechten Daumen und bewegte ihn langsam hin und her.
»Du musstest per Anhalter fahren? Willst du mich hochnehmen?«
Ich hob resigniert die Hände. Ging nicht anders, Jungs.
»Du siehst total scheiße aus«, sagte der Erste. »Willst du erst mal duschen oder so?«
Die Idee fand ich super. Also ging ich duschen und kramte in meiner Tasche nach etwas Sauberem zum Anziehen. Danach fühlte ich mich beinahe wieder wie ein Mensch. Als ich zurück ins Zimmer kam, merkte ich, dass sie über mich geredet hatten.
»Heute Nacht ist die letzte Gelegenheit«, sagte Manhattan - das war mein Spitzname für den Anführer. Wenn sie noch drei Typen dabeigehabt hätten, hätten wir alle fünf Bezirke abdecken können. »Bist du sicher, dass du fit genug bist?«
»Unser Mann kommt morgen früh nach Hause«, warf Brooklyn ein. »Wenn wir jetzt nicht zuschlagen, war der ganze Trip für'n Arsch.«
Ich nickte. Verstanden, Jungs. Was wollt ihr noch von mir? »Du redest wirklich nicht«, sagte Manhattan. »So was, die haben mich nicht veräppelt. Du sagst echt kein beschissenes Wort.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Kriegst du den Safe dieses Typen auf?«
Ich nickte.
»Mehr brauchen wir nicht zu wissen.«
Brooklyn sah nicht ganz so überzeugt aus, aber im Moment hatte er keine Wahl. Sie hatten auf ihren Schrankmann gewartet. Und ihr Schrankmann war ich.
Etwa drei Stunden später, die Sonne war inzwischen untergegangen, saß ich hinten in einem Lieferwagen mit der Aufschrift ELITE RENOVATIONS. Manhattan fuhr. Brooklyn saß auf dem Beifahrersitz und drehte sich alle paar Minuten zu mir um. Daran würde ich mich wohl gewöhnen müssen. Es war, wie der Ghost gesagt hatte: Diese Typen hatten schon die ganze Laufarbeit gemacht, hatten ihr Zielobjekt ausbaldowert, hatten jeden Schritt ihres Opfers verfolgt, hatten die ganze Operation von Anfang bis Ende durchgeplant. Ich war nur der Spezialist, der zum Schluss hinzugerufen wurde, um seinen Teil zu erledigen. Es sprach nicht für mich, dass ich aussah, als hätte ich noch nicht mal angefangen, mich zu rasieren, und obendrein so ein komischer Kauz war, der kein Wort herausbrachte.
Na gut. Ich nahm es ihnen nicht übel, dass sie ein bisschen skeptisch waren.
Nach dem zu urteilen, was ich aus dem Fenster sah, fuhren wir in eine Eins-a-Wohngegend hinein. Das musste die Main Line sein, von der ich gehört hatte, die feinen Vororte westlich von Philadelphia, wo der alte Geldadel wohnte. Wir ka-
men an Privatschulen vorbei, deren Eingänge von großen steinernen Torbögen bewacht wurden. An der Villanova University, hoch oben auf einem Hügel. Ich ertappte mich bei der Überlegung, ob sie dort wohl eine gute Kunsthochschule hatten. An einer langen, sanft abfallenden Rasenfläche mit Lichterketten und weißen Möbeln, aufgestellt für irgendein Fest. All das gehörte zu einer Welt, die ich nie auf legale, rechtmäßige Weise betreten würde.
Wir fuhren weiter, bis wir Bryn Mawr erreichten, dann noch an einem anderen College vorbei, dessen Namen ich nicht mitbekam, bis wir schließlich rechts von der Hauptstraße abbogen. Die Häuser wurden größer und größer, und doch hielt uns immer noch niemand an. Keine Uniformierten mit Blechabzeichen und Klemmbrettern, die uns nach unserer Legitimation fragten. Das war das Tolle an diesen Patrizierhäusern. Sie waren vor langer Zeit erbaut worden - lange bevor jemand von bewachten Wohnanlagen träumte.
Manhattan steuerte den Lieferwagen eine lange Auffahrt hinauf, folgte aber nicht der Schleife, die uns zum Vordereingang geführt hätte, sondern fuhr zur Rückseite des Hauses, wo es einen großen gepflasterten Hof und eine anscheinend für fünf Wagen gedachte Garage gab. Die beiden zogen ihre Latexhandschuhe über. Ich nahm das Paar, das sie mir reichten, und steckte es in die Hosentasche. Ich hatte so etwas noch nie mit Handschuhen versucht und würde jetzt nicht anfangen, damit zu experimentieren. Manhattan schien sich im Geist einen Vermerk über meine bloßen Hände zu machen, sagte aber nichts dazu.
Wir stiegen aus und gingen über eine breite Veranda zur Hintertür. Dichte Kiefernreihen umstanden den Hof. Sobald wir uns dem Haus näherten, leuchtete das Licht eines Bewegungsmelders auf, aber keiner von uns zuckte zusammen.
Das Licht hieß uns ohnehin nur willkommen. Hier entlang, meine Herren. Darf ich den guten Gentlemen den Weg zeigen?
Die beiden Männer hielten an der Tür inne und warteten offensichtlich darauf, dass ich den ersten meiner Spezialistenjobs durchführte. Ich holte das Lederetui aus meiner Gesäßtasche und machte mich an die Arbeit. Nahm einen Spanner zur Hand und führte ihn in den unteren Teil des Schüssel-lochs ein. Dann griff ich zu einem dünnen Tropfendiamanten und begann mit dem Setzen. Tastete mich durch die einzelnen Stifte, von hinten nach vorn, und drückte jeden Stift gerade so weit hinauf, bis er die Scherlinie erreichte. Ich wusste, an einem Haus wie diesem würde das Schloss mindestens mit Pilzkopfstiften ausgestattet sein, wenn nicht gar gezackten Stiften. Als ich mit dem falschen Setzen durch war, bearbeitete ich die Stifte von neuem, schob jeden noch ein, zwei Millimeter hinauf und hielt dabei exakt die richtige Spannung, damit sie hängen blieben. Ich verbannte alles andere aus meinem Bewusstsein. Die Männer neben mir. Was ich hier eigentlich tat. Die Nacht selbst. Es gab nur mich und diese fünf winzigen Metallstücke.
Ein Stift gesetzt. Zwei Stifte gesetzt. Drei. Vier. Fünf.
Ich merkte, wie der Schließzylinder nachgab, und drückte stärker auf den Spanner, so dass er sich drehte. Wie sehr diese Männer auch an mir gezweifelt haben mochten, den ersten Test hatte ich bestanden.
Manhattan drängte sich an mir vorbei und ging direkt zur Alarmanlage. Das war der Teil, den die beiden bereits allein vorbereitet hatten. Es gab so viele Schwachstellen innerhalb eines elektronischen Alarmsystems. Man konnte die Magnetfeldsensoren an einer Tür oder einem Fenster umgehen. Das gesamte System deaktivieren oder es einfach von seiner
Standleitung abtrennen. Hey, sich sogar die Person vornehmen, die im Kontrollraum der Sicherheitsfirma saß. Sobald ein Mensch aus Fleisch und Blut irgendwo in dem ganzen Kreislauf vorkommt, hat man es leichter, besonders wenn dieser Mensch aus Fleisch und Blut 6,50 Dollar die Stunde verdient.
Irgendwoher kannten diese Jungs bereits den Code, was natürlich das Einfachste von allem ist. Vielleicht hatten sie einen Kontakt im Haus, die Haushälterin oder einen Wartungsmann. Oder sie hatten schlichtweg den Eigentümer selbst mit einem starken Fernglas beobachtet, so dass sie die Tasten erkennen konnten, die er drückte. Wie sie es auch angestellt hatten, sie kannten die Zahlen, und Manhattan brauchte knapp fünf Sekunden, um das System abzuschalten.
Er gab uns das Okay mit erhobenem Daumen, worauf Brooklyn sich verzog, um Schmiere zu stehen oder was er sonst tun sollte. Das war offensichtlich Routine für die beiden, sie waren ganz in ihrem Element. Und ich? Ich befand mich inzwischen in meiner privaten kleinen Blase, spürte wieder dieses angenehme Vibrieren und wie mein Herzschlag sich beschleunigte, bis sein Rhythmus mit der ständig schlagenden Basstrommel in meinem Kopf übereinstimmte. Die Angst, mit der ich jeden Tag, jede Sekunde lebte, verließ mich endlich. Alles war friedlich und normal und im Einklang für diese paar wenigen kostbaren Minuten.
Manhattan winkte mir, ihm zu folgen. Wir gingen durch das Haus, ein so perfektes Haus, wie ich es noch nie gesehen hatte. Bei der Einrichtung hatte man mehr Wert auf Komfort als auf Repräsentation gelegt. Ein riesiger Fernseher mit Sesseln, in denen man versinken konnte. Eine bestens ausgestattete Bar mit Gläsern, die an einem Gestell darüber hingen, einem Spiegel, Barhockern, allem, was dazugehört. Wir stiegen die
Treppe hinauf, kamen durch einen Flur und ins Hauptschlafzimmer. Manhattan schien sich gut auszukennen. Unser Weg endete in einem der beiden großen begehbaren Kleiderschränke, reihenweise teure dunkle Anzüge auf der einen Seite, teure Freizeitkleidung auf der anderen. Die Schuhe ordentlich in schräg stehenden Fächern arrangiert. Gürtel und Krawatten an einer elektrischen Vorrichtung, die auf Knopfdruck rotierte und die gesamte Auswahl vorführte.
Natürlich waren wir nicht wegen der Gürtel und Krawatten hier. Manhattan schob mit sicherem Griff ein paar Anzüge beiseite, und ich sah einen rechteckigen Umriss an der Wand. Er drückte darauf, so dass eine Klappe aufsprang. Dahinter befand sich der Safe.
Er trat beiseite. Nun war ich wieder dran.
Das war es, wofür sie mich tatsächlich brauchten. Die Hintertür hätten sie notfalls auch allein aufbekommen. Sie hätten vermutlich ein bisschen länger dazu gebraucht, aber diese Männer waren clever und einfallsreich und hätten eine Möglichkeit gefunden. Dieser Safe dagegen, das war etwas ganz anderes. Es lag im Bereich des Machbaren, den Sicherheitscode für das Haus herauszufinden, aber die Kombination für den im Wandschrank des Hausherrn verborgenen Safe? Nein, die existierte höchstwahrscheinlich nur in dessen Kopf. Vielleicht noch in dem seiner Frau. Ganz vielleicht noch im Kopf einer zuverlässigen dritten Person, eines Vertrauten oder Anwalts der Familie, nur für den Notfall. Ansonsten ... na ja, man konnte natürlich losgehen und den Besitzer entführen, ihn mit Klebeband an einen Stuhl fesseln und ihm eine Knarre in den Mund stecken, aber dann hätte man eine vollkommen andere Operation. Wenn man sauber vorgehen wollte, dann brauchte man einen Schrankmann, der einem das Ding öffnete. Ein schlechter Schrankmann würde letztendlich wahrscheinlich die Wand
durchschlagen und den Safe herausreißen. Ein besserer Schrankmann würde ihn in der Wand belassen und eine Bohrmaschine einsetzen. Ein erstklassiger Schrankmann ... Tja, das war es, was ich zu demonstrieren hoffte.
Stellte sich nur das Problem - und ich war froh, dass Manhattan nichts davon ahnte - , dass ich in meinem kurzen Leben bisher noch nie einen Wandsafe geöffnet hatte. Ich meine, klar, ich wusste, dass es dasselbe Prinzip ist. Einfach ein standardmäßiger Safe, der in eine Wand eingebaut wurde, richtig? Doch ich hatte mein Handwerk an freistehenden Tresoren gelernt, an die ich mit dem ganzen Körper dicht herankommen konnte, um zu fühlen, was ich da tat. Wie der Ghost so oft gesagt hatte, wenn er mich unterrichtete - es ist, als würde man eine Frau verführen. Man muss sie auf die richtige Weise berühren. Wissen, was in ihr vorgeht. Wie soll man das machen, wenn die ganze Frau, bis auf das Gesicht, hinter einer Wand versteckt ist?
Ich schüttelte meine Hände aus und trat an die Nummernscheibe heran. Zuerst bewegte ich den Griff, um zu überprüfen, ob das verdammte Ding überhaupt verschlossen war. War es.
Ich sah das Markenschild eines Herstellers aus Chicago und wählte die beiden werkseitig voreingestellten »Probe-Kombinationen«, mit denen die Safes geliefert werden. Sie würden sich wundern, wie viele Leute die nie ändern.
Kein Glück mit beiden. Das hier war ein gewissenhafter Tresorbesitzer, der seine eigene Kombination einstellte. Nun musste ich mich also richtig an die Arbeit machen.
Ich drückte mich eng an die Wand und legte eine Wange an die Safetür. Zwar ging ich bereits von drei Sperrscheiben aus bei diesem Modell, aber da es mein erster Einsatz war, wollte ich Gewissheit haben. Ich fand den Kontaktbereich, den winzigen Bereich an der Nummernscheibe, in dem die »Nase«
des Führungshebels mit der Einkerbung auf der Antriebsscheibe in Berührung kam. Nachdem ich den hatte, »parkte« ich die Sperrscheiben, das heißt, ich drehte zu einer Zahl auf der entgegengesetzten Seite des Kontaktbereichs, drehte anschließend wieder in die andere Richtung und zählte, wie viele Räder vom Mechanismus aufgenommen wurden.
Eins. Zwei. Drei. Dann war ich sicher. Drei Scheiben.
Ich drehte zurück, parkte alle Scheiben auf 0. Dann ging ich wieder zum Kontaktbereich.
Das war der schwierige Teil. Der so gut wie unmögliche, theoretisch unmögliche Teil. Aufgrund der Tatsache, dass keine Scheibe vollkommen rund ist und keine zwei Scheiben genau gleich groß sind, kommt es zu einem nicht ganz perfekten Kontakt, wenn man über die Einkerbungen an den Sperrscheiben hin-wegdreht. Das ist unvermeidlich, egal wie teuer der Safe und wie gut das Kombinationsschloss gebaut ist. Wenn man also bei einer Nut angelangt ist und zum Kontaktbereich zurückgeht, wird er sich ein bisschen anders anfühlen. Der Abstand zwischen den Kontaktpunkten ist ein bisschen kürzer, da die Nase sich ein kleines Stück weiter vorn in die Antriebsscheibe senkt. Bei einem billigen Safe spürt man das wie ein Schlagloch in einer glatt asphaltierten Straße. Bei einem guten Safe dagegen? Einem guten, teuren Safe, wie ihn der Eigentümer dieses Hauses in seinen Wandschrank hatte einbauen lassen?
Da würde der Unterschied sehr gering sein. Winzig klein. Ich drehte auf 3. Dann auf 6. Dann auf g. Begann mit Dreierschritten und testete den Spielraum bei jeder Zahl. Wartete auf dieses spezielle, andere Gefühl. Diese geringfügige Verkürzung im Kontaktbereich. Den hauchfeinen Unterschied, den kein Normalsterblicher wahrnehmen kann. Nie und nimmer, nicht in tausend Jahren.
1 2. Ja, ich war nahe dran.
Okay, weiter. 15, 18, 2 1.
Ich arbeitete mich durch die Nummernscheibe, drehte schneller, wenn es ging, und wurde langsamer, wenn ich jeden Bruchteil eines Millimeters ertasten musste. Ich hörte, wie Manhattan hinter mir sein Gewicht verlagerte. Ich hob die Hand, und er war wieder mucksmäuschenstill.
24, 27. Ja, hier.
Woher ich das weiß?
Ich weiß es einfach. Wenn der Abstand kürzer ist, ist er kürzer. Ich fühle das.
Es ist eigentlich noch mehr als Fühlen. Dieses kleine Stückchen Hartmetall berührt die Einkerbung um Haaresbreite eher als bei der letzten Einstellung, und ich spüre das, höre das, sehe es im Geiste.
Als ich mit der Nummernscheibe durch war, hatte ich drei angenäherte Zahlen im Kopf. Ich fing von vorn an und grenzte sie ein, bis ich die genauen Stellen hatte, ging diesmal in Einer- statt Dreierschritten vor. Als ich damit fertig war, hatte ich die drei Zahlen der Kombination: 13 , 26, 72.
Der letzte Schritt ist mehr oder weniger öde Routine. Es gibt keine andere Möglichkeit, als die Einstellungen nacheinander durchzuprobieren. Man beginnt also mit 13-26-72, vertauscht dann die ersten beiden Zahlen, dann die zweite und die letzte und so weiter, stellt nötigenfalls alle sechs Kombinationen ein. Wobei sechs deutlich besser ist als eine Million - so viele mögliche Kombinationen gäbe es nämlich, wenn man diese drei Zahlen nicht ermitteln könnte.
Die Kombination in diesem Fall erwies sich als 26 - 72 - 13. Zeit insgesamt, um den Safe zu öffnen? Ungefähr fünfundzwanzig Minuten.
Ich drehte den Griff und öffnete die Tür. Dabei machte ich mir den Spaß, Manhattans Gesicht zu beobachten.
»Leck mich«, sagte er. »Du könntest mich jetzt mit 'nem Knüppel ficken.«
Ich ging beiseite und ließ ihn tun, was er tun musste. Ich hatte keine Ahnung, was er dort drin zu finden hoffte. Schmuck? Bargeld? Dann sah ich, wie er etwa ein Dutzend Umschläge herauszog, von der braunen Sorte, die ein bisschen größer als die üblichen Geschäftsbriefe sind.
»Wir haben sie. Jetzt können wir los.«
Ich schloss den Safe und drehte die Wählscheibe. Manhattan stand mit einem weißen Lappen hinter mir und wischte alles ab. Dann ließ er die äußere Klappe zufallen und schob die Anzüge wieder in Reih und Glied.
Er knipste das Licht aus, und wir gingen die Treppe hinunter. Brooklyn war im Wohnzimmer und sah zum Fenster hinaus. »Ich will's nicht wissen«, sagte er.
»Alles paletti«, sagte Manhattan und hielt die Umschläge in die Höhe.
»Willst du mich verscheißern?« Brooklyn sah mich mit einem schiefen Grinsen an. »Ist unser Kleiner hier ein Genie oder so was Ähnliches?«
»So was Ähnliches. Gehen wir.«
Manhattan tippte den Sicherheitscode ein, um die Alarmanlage wieder einzuschalten. Dann machte er die Tür zum Hof hinter uns zu und wischte den Drehknauf ab.
Aus dem Grund hatten sie mich angefordert. Aus dem Grund hatten sie so lange auf einen Jungen gewartet, den sie nicht mal kannten und der erst durch das halbe Land fahren musste, um zu ihnen zu stoßen. Denn wenn ich bei einem Bruch dabei bin, hinterlassen sie keine Spuren. Der Hauseigentümer würde am nächsten Tag zurückkommen, seine Tür aufschließen und alles genau so vorfinden, wie er es verlassen hatte. Er würde nach oben gehen, ein paar Kleider aus dem Schrank
nehmen, das Licht wieder ausschalten. Erst wenn er seinen Safe benutzen wollte, würde er die Kombination wählen, die Tür öffnen und feststellen ...
Leer.
Selbst dann würde er nicht gleich darauf kommen, was passiert war. Er würde eine Weile an dem Ding herumfummeln und denken, dass er sich geirrt hat. Dass er nicht ganz klar im Kopf ist. Als Nächstes würde er seine Frau beschuldigen. Du bist der einzige Mensch außer mir, der die Kombination kennt! Oder er würde den Familienanwalt anrufen und zur Rede stellen. Wir waren eine Woche weg - Sie haben unserem Haus wohl einen kleinen Besuch abgestattet, was?
Schließlich würde es ihm dämmern. Jemand Fremdes war in seinen vier Wänden gewesen. Doch zu der Zeit würden Manhattan und Brooklyn längst wieder sicher zu Hause sein, und ich ...
Ich würde dort sein, wo es mich als Nächstes hinverschlug.
Ich habe nie herausgefunden, was in diesen Umschlägen war. Es war mir auch völlig egal, weil ich wusste, dass ich pauschal bezahlt werden würde. Als wir wieder in dem Motel waren, gab Manhattan mir meinen Lohn in bar und sagte, dass es ein Vergnügen gewesen sei, mir bei der Arbeit zuzusehen.
Jetzt hatte ich wenigstens etwas mehr Geld. Genug, um mich für eine Weile mit Essen zu versorgen und eine Unterkunft zu suchen. Aber wie lange würde es reichen?
Er löste die Magnetschilder mit der Aufschrift ELITE RENOVATIONS¬ von beiden Seiten des Lieferwagens ab und warf sie hinten hinein. Dann nahm er einen Schraubendreher und machte die Pennsylvania-Kennzeichen ab, um sie durch New Yorker Nummernschilder zu ersetzen. Er wollte sich gerade hinters Steuer setzen, als ich ihn zurückhielt.
»Was ist, Kleiner?«
Ich zog ein imaginäres Portemonnaie aus meiner Jeanstasche und klappte es auf.
»Was, du hast deinen Geldbeutel verloren? Kauf dir 'nen neuen, du bist doch jetzt f üssig.«
Ich schüttelte den Kopf und tat, als würde ich eine Karte aus dem imaginären Portemonnaie herausnehmen.
»Du hast deinen Ausweis verloren? Warum gehst du nicht dahin zurück, wo du herkommst, man wird dir einen neuen ausstellen.«
Ich schüttelte wieder den Kopf und zeigte auf die unsichtbare Karte in meiner Hand.
»Du brauchst ... «
Endlich ging ihm ein Licht auf.
»Ach so, du brauchst überhaupt einen neuen Ausweis. Soll heißen, eine ganze verfluchte neue Identität.«
Ich nickte.
»Ach du Scheiße. Das ist aber ein ganz anderer Deal, Mann.« Ich beugte mich vor und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Komm schon, Freund. Du musst mir unter die Arme greifen. »Hör mal«, sagte er. »Wir wissen, für wen du arbeitest. Ich meine, wir schicken ihm schließlich seinen Anteil, oder? So funktioniert das Ganze. Wir werden ihn bestimmt nicht linken, weißt du. Also, wenn du ein Problem dieser Art hast, warum gehst du nicht zurück nach Hause und bereinigst es dort?«
Wie sollte ich ihm das erklären? Selbst wenn ich reden könnte? Dass ich zur Zeit total in der Luft hing. Dass ich ein Hund war, der nicht nach Hause konnte, der keinen Platz zu Füßen seines Herrn hatte. Nicht einmal in seinem Hinterhof. Ich musste ständig herumstreunen und nach Abfällen in den Mülltonnen stöbern.
Bis er mich zu sich rief. Wenn mein Herr den Kopf zur Tür raussteckte und mich rief, musste ich schleunigst gehorchen, so viel stand fest.
»Okay, ich kenne da jemanden«, sagte Manhattan schließlich. »Ich meine, wenn du wirklich in der Klemme steckst.«
Er holte sein eigenes, reales Portemonnaie heraus und zog eine Visitenkarte und einen Stift hervor. Er drehte die Karte um und schrieb etwas darauf.
»Du rufst diesen Typ an, dann wird er ...«
Er hörte auf zu schreiben und sah mich an.
»Ach so. Das könnte schwierig werden. Schätze, du solltest lieber persönlich bei ihm vorbeischauen, was?«
Ich nahm das Geld heraus, das er mir gerade gegeben hatte, und begann, ein paar Scheine abzuzählen.
»Halt, halt. Warte mal.«
Er drehte sich zu Brooklyn um, und sie verständigten sich mit Achselzucken.
»Normalerweise müsstest du mir versprechen, meinem Boss nichts davon zu sagen«, sagte Manhattan. »Aber irgendwie glaube ich, dass das kein Thema ist.«
Ich stieg hinten in ihren Lieferwagen ein. So kam ich nach New York.
Übersetzung: Karin Diemerling
© 2010 Steve Hamilton
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2012 Droemer Paperback
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Wieder ein Tag hinter Schloss und Riegel
Sie erinnern sich vielleicht an mich. Überlegen Sie - Sommer 1990. Ich weiß, das ist schon eine Weile her, aber die Presseagenturen haben die Story damals verbreitet, und ich war in jeder Zeitung des Landes. Selbst wenn Sie nichts darüber gelesen haben, haben Sie wahrscheinlich von mir gehört. Von einem Nachbarn, Arbeitskollegen oder, falls Sie jünger sind, in der Schule. Man nannte mich den »Wunderjungen«. Es gab auch noch ein paar andere Bezeichnungen, erfunden von Redakteuren und Nachrichtensprechern, die sich gegenseitig übertreffen wollten. In einem der alten Zeitungsausschnitte habe ich »Wunderknabe« gelesen. »Teufelskerl« lautete eine weitere, obwohl ich damals erst acht Jahre alt war. Doch es war der Wunderjunge, der an mir hängenblieb.
Ich machte zwei oder drei Tage lang Schlagzeilen, und auch als die Kameras und Reporter sich auf etwas anderes stürzten, wirkte meine Geschichte noch nach wie nur wenige. Ich tat den Leuten leid. Wie könnte es anders sein? Wenn Sie kleine Kinder hatten zu der Zeit, passten Sie noch ein bisschen besser auf sie auf. Wenn Sie selbst noch ein Kind waren, schliefen Sie eine Woche lang schlecht.
Letztendlich konnten Sie nichts anderes tun, als mir alles Gute zu wünschen. Sie hofften, dass ich irgendwo untergekommen war und nun ein besseres Leben hatte. Sie hofften, dass mein zartes Alter mich irgendwie geschützt hatte, dass es deshalb nicht ganz so entsetzlich für mich gewesen war. Dass ich darüber hinwegkommen würde, es vielleicht sogar hinter mir lassen konnte, weil Kinder doch so anpassungsfähig und flexibel und belastbar sind. Diesen ganzen Horror. Das hofften Sie zumindest, falls Sie sich die Zeit nahmen, über mich als Menschen aus Fleisch und Blut nachzudenken, statt in mir nur das junge Gesicht in den Nachrichten zu sehen.
Die Leute schickten mir Karten und Briefe damals. Manche mit Kinderzeichnungen dabei. Wünschten mir Glück. Eine bessere Zukunft. Manche wollten mich sogar in meinem neuen Zuhause besuchen. Offenbar waren sie mit der Vorstellung nach Milford, Michigan, gefahren, sie könnten einfach jemanden auf der Straße anhalten und nach mir fragen. Aber warum eigentlich? Sie dachten wohl, ich müsse über irgendwelche besonderen Kräfte verfügen, um diesen Tag im Juni überlebt zu haben. Was das für Kräfte sein sollten oder was diese Menschen sich von mir erhofften, ist mir völlig schleierhaft.
Was ist in den Jahren seitdem passiert? Ich bin herangewachsen. Ich glaube nun an Liebe auf den ersten Blick. Ich habe dies und das ausprobiert, und wenn ich irgendwo etwas taugte, dann war es entweder etwas vollkommen Nutzloses oder etwas total Ungesetzliches. Das sagt schon mal einiges darüber, weshalb ich diesen schicken orangenen Overall trage und ihn während der vergangenen neun Jahre tagein, tagaus getragen habe.
Ich denke nicht, dass es mich besser macht, hier drin zu sein.
Oder überhaupt jemanden. Es ist allerdings schon irgendwie ironisch, dass das Schlimmste, was ich je getan habe, zumindest auf dem Papier, das Einzige ist, was ich nicht bereue. Kein bisschen.
Inzwischen habe ich mir gedacht, was soll's, da ich nun mal hier sitze, nutze ich die Zeit und blicke auf alles zurück. Ich schreibe es auf. Was im Übrigen, falls ich es wirklich tue, für mich die einzige Möglichkeit ist, die Geschichte zu erzählen. Ich habe keine andere Wahl, denn wie Sie vielleicht wissen, habe ich bei alle dem, was ich in den vergangenen Jahren so gemacht habe, eines nicht gemacht. Ich habe kein einziges Wort gesprochen. Das ist natürlich eine Geschichte für sich. Diese Sache, die mich zum Verstummen gebracht hat, so viele Jahre lang. Eingeschlossen in mich selbst, seit jenem Tag. Ich kann sie nicht loslassen. Deshalb kann ich nicht sprechen. Ich bringe keinen Ton hervor.
Hier jedoch, auf dem Papier ... da kann ich so tun, als würden wir zusammen irgendwo an einer Bar sitzen, nur Sie und ich, und uns ausführlich unterhalten. Hey, das gefällt mir. Wir beide an der Bar, wie wir einfach nur reden. Beziehungsweise ich rede, und Sie hören zu - was für ein Rollentausch das wäre. Ich meine, Sie würden mir wirklich zuhören. Mir ist nämlich aufgefallen, dass die meisten Menschen nicht zuhören können. Glauben Sie mir. Meistens warten sie bloß darauf, dass der andere endlich die Klappe hält, damit sie wieder dran sind. Aber Sie ... na klar, Sie sind ein ebenso guter Zuhörer wie ich. Sie sitzen da und hängen sozusagen an meinen Lippen. Wenn ich zu den schlimmen Stellen komme, halten Sie durch und lassen mich alles loswerden. Sie verurteilen mich nicht sofort. Damit will ich nicht sagen, dass Sie mir alles verzeihen werden. Ich verzeihe mir ja selbst nicht alles, darauf können Sie Gift nehmen. Aber Sie werden wenigstens bereit sein, mich ausreden zu lassen und zu versuchen, mich am Ende zu verstehen. Mehr kann ich nicht verlangen, stimmt's?
Das Problem ist nur, wo fange ich an? Steige ich direkt in die Tränendrüsenstory ein, macht das den Eindruck, als wollte ich mich von vornherein für all das rechtfertigen, was ich getan habe. Fange ich mit dem Hardcore-Zeug an, halten Sie mich für einen geborenen Verbrecher und schreiben mich ab, bevor ich Gelegenheit hatte, meinen Standpunkt zu vertreten.
Also werde ich vielleicht ein bisschen hin- und herspringen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Erzählen, wie die ersten richtigen Jobs, an denen ich beteiligt war, abliefen. Wie es war, als der Wunderjunge aufzuwachsen. Wie alles in diesem einen Sommer zusammenkam. Wie ich Amelia kennenlernte. Wie ich mein unverzeihliches Talent entdeckte. Wie ich auf die schiefe Bahn geriet. Vielleicht sehen Sie sich das an und kommen zu dem Schluss, dass ich keine echte Alternative hatte. Vielleicht kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie genauso gehandelt hätten.
Was ich auf keinen Fall tun kann, ist, mit jenem Tag im Juni 1990 zu beginnen. Darauf kann ich mich noch nicht einlassen. Egal, wie sehr andere Leute versucht haben, mich dazu zu überreden, und glauben Sie mir, es waren eine Menge Leute, und sie haben es verdammt angestrengt versucht ... Ich kann nicht damit beginnen, weil ich hier drin schon genug Klaustrophobie bekomme. An manchen Tagen habe ich Mühe, überhaupt regelmäßig zu atmen. Aber möglicherweise gehe ich es irgendwann beim Schreiben an und sage mir, okay, heute ist es so weit. Heute kannst du dem ins Gesicht sehen. Kein Anlauf nötig. Erinnere dich einfach an diesen Tag und lass es raus. Du bist acht Jahre alt. Du hörst das Geräusch an der Tür. Und ...
Scheiße, das ist noch schwerer, als ich dachte.
Ich musste eine kleine Pause machen, aufstehen und ein bisschen herumlaufen, auch wenn man hier nicht weit kommt. Ich habe meine Zelle verlassen und bin runter in den Gemeinschaftsbereich gegangen, wo ich mir im Hauptwaschraum die Zähne geputzt habe. Es war ein neuer Insasse dort, einer, der noch nichts über mich weiß. Als er hallo sagte, wusste ich, dass ich aufpassen musste. Auf einen Gruß nicht zu antworten wird draußen vielleicht höchstens als unhöflich ich angesehen, hier drinnen aber kann es als Beleidigung aufgefasst werden. Wenn ich in einem richtig schlimmen Knast wäre, wäre ich vermutlich längst tot. Doch selbst hier ist so etwas eine ständige Prüfung für mich.
Ich reagierte wie gewöhnlich. Zeigte mit zwei Fingern der rechten Hand auf meinen Hals und machte eine schlitzende Geste. Aus mir kommt kein Wort raus, Kumpel. Ist nicht respektlos gemeint. Offensichtlich habe ich's überlebt, weil ich hier sitze und weiterschreibe.
Bleiben Sie also dran, denn das ist meine Geschichte, falls Sie dafür bereit sind. Vor langer Zeit war ich einmal der Wunderjunge. Später der Stumme aus Milford. Der Goldjunge. Der junge Ghost. Der Kleine. Der Schrankmann. Der Schlosskünstler. All das war ich.
Aber Sie dürfen mich Mike nennen.
KAPITEL ZWEI
NAHE PHILADELPHIA
SEPTEMBER 1999
Da war ich also, unterwegs zu meinem ersten richtigen Auftrag. Seit zwei Tagen ununterbrochen auf der Straße,
seit ich mein Zuhause verlassen hatte. Das alte Motorrad war kaputtgegangen, als ich gerade die Staatsgrenze nach Pennsylvania überquerte. Es ging mir schwer gegen den Strich, es dort am Straßenrand zurückzulassen, nach allem, was es für mich getan hatte. Die Freiheit. Das Gefühl, dass ich einfach aufspringen und von einem Moment auf den anderen allem davonfahren konnte. Aber verdammt, was blieb mir anderes übrig?
Ich nahm die Motorradtaschen hinten herunter und streckte den Daumen raus. Versuchen Sie mal zu trampen, wenn Sie nicht sprechen können. Nur zu, versuchen Sie es ruhig mal. Die ersten drei, die anhielten, konnten überhaupt nicht damit umgehen. Es spielte keine Rolle, dass ich ein nettes Gesicht hatte oder ziemlich fertig aussah nach all den einsamen Meilen auf der Straße. Eigentlich sollte es mich inzwischen nicht mehr überraschen, wie panisch die Leute reagieren, wenn sie jemandem begegnen, der ständig schweigt.
Folglich brauchte ich eine Weile, um dort anzukommen. Zwei
Tage seit dem Anruf, inklusive einer Menge Ärger und Mühe.
Dann tauchte ich endlich auf, müde, hungrig und dreckig. So viel zu einem guten ersten Eindruck.
Das hier war die Blue Crew. Die Jungs, die der Ghost als solide und zuverlässig bezeichnete. Nicht gerade als die Spitzenleute, aber als professionell. Auch wenn sie manchmal einen etwas groben Ton draufhatten. Wie die meisten Typen aus New York. Das war alles, was man mir über sie gesagt hatte. Das Übrige würde ich gleich selbst herausfinden.
Sie hatten sich in einem kleinen einstöckigen Motel am Rand von Malvern, Pennsylvania eingegraben. Es war nicht die schlimmste Unterkunft, die ich je gesehen hatte, aber man konnte wohl schon einen Koller bekommen, wenn man ein, zwei Tage länger dort festsaß als geplant. Besonders, wenn man sich nicht groß blicken lassen wollte und Pizzas bestellte, statt essen zu gehen, und sich eine Pulle hin und her reichte, statt zu gucken, was die Bars der Gegend zu bieten hatten. Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls waren sie nicht gerade bester Laune, als ich endlich erschien.
Es waren nur zwei. Mit einem so kleinen Team hatte ich nicht gerechnet, und sie wohnten auch noch beide im selben Zimmer. Was sicher nicht zur Besserung ihrer Stimmung beitrug. Der Mann, der die Tür aufmachte, schien das Sagen zu haben. Er war kahlköpfig und hatte rund zwanzig Pfund Übergewicht, sah aber stark genug aus, um mich geradewegs durchs Fenster zu schleudern. Er sprach mit einem starken New Yorker Akzent. »Wer bist du?« Er starrte mich fünf Sekunden lang nieder, dann ging ihm ein Licht auf. »Moment mal, bist du der Typ, auf den wir warten? Rein mit dir!«
Er zog mich ins Zimmer und machte die Tür zu.
»Du willst mich verarschen, oder? Ist das ein Witz?«
Der andere saß am Tisch, sie waren mitten in einer Partie Gin Rommé. »Was ist mit dem Kleinen?«
»Das ist der Schrankmann, auf den wir warten, siehst du das nicht?«
»Wie alt ist der, zwölf?«
»Wie alt bist du, Junge?«
Ich hielt zehn Finger in die Höhe, dann acht. Zwar wurde ich erst in vier Monaten achtzehn, aber ich dachte mir, wen schert's. Ist ja bald.
»Sie haben gesagt, dass du nicht viel redest. Stimmt offenbar.« »Scheiße, warum hast du so lange gebraucht?«, sagte der Mann am Tisch. Sein Akzent war noch heftiger als der des anderen. Er hörte sich an, als stünde er an einer Straßenecke in Brooklyn. Ich taufte ihn in Gedanken Brooklyn. Die richtigen Namen würde ich sowieso nie erfahren.
Ich hob den rechten Daumen und bewegte ihn langsam hin und her.
»Du musstest per Anhalter fahren? Willst du mich hochnehmen?«
Ich hob resigniert die Hände. Ging nicht anders, Jungs.
»Du siehst total scheiße aus«, sagte der Erste. »Willst du erst mal duschen oder so?«
Die Idee fand ich super. Also ging ich duschen und kramte in meiner Tasche nach etwas Sauberem zum Anziehen. Danach fühlte ich mich beinahe wieder wie ein Mensch. Als ich zurück ins Zimmer kam, merkte ich, dass sie über mich geredet hatten.
»Heute Nacht ist die letzte Gelegenheit«, sagte Manhattan - das war mein Spitzname für den Anführer. Wenn sie noch drei Typen dabeigehabt hätten, hätten wir alle fünf Bezirke abdecken können. »Bist du sicher, dass du fit genug bist?«
»Unser Mann kommt morgen früh nach Hause«, warf Brooklyn ein. »Wenn wir jetzt nicht zuschlagen, war der ganze Trip für'n Arsch.«
Ich nickte. Verstanden, Jungs. Was wollt ihr noch von mir? »Du redest wirklich nicht«, sagte Manhattan. »So was, die haben mich nicht veräppelt. Du sagst echt kein beschissenes Wort.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Kriegst du den Safe dieses Typen auf?«
Ich nickte.
»Mehr brauchen wir nicht zu wissen.«
Brooklyn sah nicht ganz so überzeugt aus, aber im Moment hatte er keine Wahl. Sie hatten auf ihren Schrankmann gewartet. Und ihr Schrankmann war ich.
Etwa drei Stunden später, die Sonne war inzwischen untergegangen, saß ich hinten in einem Lieferwagen mit der Aufschrift ELITE RENOVATIONS. Manhattan fuhr. Brooklyn saß auf dem Beifahrersitz und drehte sich alle paar Minuten zu mir um. Daran würde ich mich wohl gewöhnen müssen. Es war, wie der Ghost gesagt hatte: Diese Typen hatten schon die ganze Laufarbeit gemacht, hatten ihr Zielobjekt ausbaldowert, hatten jeden Schritt ihres Opfers verfolgt, hatten die ganze Operation von Anfang bis Ende durchgeplant. Ich war nur der Spezialist, der zum Schluss hinzugerufen wurde, um seinen Teil zu erledigen. Es sprach nicht für mich, dass ich aussah, als hätte ich noch nicht mal angefangen, mich zu rasieren, und obendrein so ein komischer Kauz war, der kein Wort herausbrachte.
Na gut. Ich nahm es ihnen nicht übel, dass sie ein bisschen skeptisch waren.
Nach dem zu urteilen, was ich aus dem Fenster sah, fuhren wir in eine Eins-a-Wohngegend hinein. Das musste die Main Line sein, von der ich gehört hatte, die feinen Vororte westlich von Philadelphia, wo der alte Geldadel wohnte. Wir ka-
men an Privatschulen vorbei, deren Eingänge von großen steinernen Torbögen bewacht wurden. An der Villanova University, hoch oben auf einem Hügel. Ich ertappte mich bei der Überlegung, ob sie dort wohl eine gute Kunsthochschule hatten. An einer langen, sanft abfallenden Rasenfläche mit Lichterketten und weißen Möbeln, aufgestellt für irgendein Fest. All das gehörte zu einer Welt, die ich nie auf legale, rechtmäßige Weise betreten würde.
Wir fuhren weiter, bis wir Bryn Mawr erreichten, dann noch an einem anderen College vorbei, dessen Namen ich nicht mitbekam, bis wir schließlich rechts von der Hauptstraße abbogen. Die Häuser wurden größer und größer, und doch hielt uns immer noch niemand an. Keine Uniformierten mit Blechabzeichen und Klemmbrettern, die uns nach unserer Legitimation fragten. Das war das Tolle an diesen Patrizierhäusern. Sie waren vor langer Zeit erbaut worden - lange bevor jemand von bewachten Wohnanlagen träumte.
Manhattan steuerte den Lieferwagen eine lange Auffahrt hinauf, folgte aber nicht der Schleife, die uns zum Vordereingang geführt hätte, sondern fuhr zur Rückseite des Hauses, wo es einen großen gepflasterten Hof und eine anscheinend für fünf Wagen gedachte Garage gab. Die beiden zogen ihre Latexhandschuhe über. Ich nahm das Paar, das sie mir reichten, und steckte es in die Hosentasche. Ich hatte so etwas noch nie mit Handschuhen versucht und würde jetzt nicht anfangen, damit zu experimentieren. Manhattan schien sich im Geist einen Vermerk über meine bloßen Hände zu machen, sagte aber nichts dazu.
Wir stiegen aus und gingen über eine breite Veranda zur Hintertür. Dichte Kiefernreihen umstanden den Hof. Sobald wir uns dem Haus näherten, leuchtete das Licht eines Bewegungsmelders auf, aber keiner von uns zuckte zusammen.
Das Licht hieß uns ohnehin nur willkommen. Hier entlang, meine Herren. Darf ich den guten Gentlemen den Weg zeigen?
Die beiden Männer hielten an der Tür inne und warteten offensichtlich darauf, dass ich den ersten meiner Spezialistenjobs durchführte. Ich holte das Lederetui aus meiner Gesäßtasche und machte mich an die Arbeit. Nahm einen Spanner zur Hand und führte ihn in den unteren Teil des Schüssel-lochs ein. Dann griff ich zu einem dünnen Tropfendiamanten und begann mit dem Setzen. Tastete mich durch die einzelnen Stifte, von hinten nach vorn, und drückte jeden Stift gerade so weit hinauf, bis er die Scherlinie erreichte. Ich wusste, an einem Haus wie diesem würde das Schloss mindestens mit Pilzkopfstiften ausgestattet sein, wenn nicht gar gezackten Stiften. Als ich mit dem falschen Setzen durch war, bearbeitete ich die Stifte von neuem, schob jeden noch ein, zwei Millimeter hinauf und hielt dabei exakt die richtige Spannung, damit sie hängen blieben. Ich verbannte alles andere aus meinem Bewusstsein. Die Männer neben mir. Was ich hier eigentlich tat. Die Nacht selbst. Es gab nur mich und diese fünf winzigen Metallstücke.
Ein Stift gesetzt. Zwei Stifte gesetzt. Drei. Vier. Fünf.
Ich merkte, wie der Schließzylinder nachgab, und drückte stärker auf den Spanner, so dass er sich drehte. Wie sehr diese Männer auch an mir gezweifelt haben mochten, den ersten Test hatte ich bestanden.
Manhattan drängte sich an mir vorbei und ging direkt zur Alarmanlage. Das war der Teil, den die beiden bereits allein vorbereitet hatten. Es gab so viele Schwachstellen innerhalb eines elektronischen Alarmsystems. Man konnte die Magnetfeldsensoren an einer Tür oder einem Fenster umgehen. Das gesamte System deaktivieren oder es einfach von seiner
Standleitung abtrennen. Hey, sich sogar die Person vornehmen, die im Kontrollraum der Sicherheitsfirma saß. Sobald ein Mensch aus Fleisch und Blut irgendwo in dem ganzen Kreislauf vorkommt, hat man es leichter, besonders wenn dieser Mensch aus Fleisch und Blut 6,50 Dollar die Stunde verdient.
Irgendwoher kannten diese Jungs bereits den Code, was natürlich das Einfachste von allem ist. Vielleicht hatten sie einen Kontakt im Haus, die Haushälterin oder einen Wartungsmann. Oder sie hatten schlichtweg den Eigentümer selbst mit einem starken Fernglas beobachtet, so dass sie die Tasten erkennen konnten, die er drückte. Wie sie es auch angestellt hatten, sie kannten die Zahlen, und Manhattan brauchte knapp fünf Sekunden, um das System abzuschalten.
Er gab uns das Okay mit erhobenem Daumen, worauf Brooklyn sich verzog, um Schmiere zu stehen oder was er sonst tun sollte. Das war offensichtlich Routine für die beiden, sie waren ganz in ihrem Element. Und ich? Ich befand mich inzwischen in meiner privaten kleinen Blase, spürte wieder dieses angenehme Vibrieren und wie mein Herzschlag sich beschleunigte, bis sein Rhythmus mit der ständig schlagenden Basstrommel in meinem Kopf übereinstimmte. Die Angst, mit der ich jeden Tag, jede Sekunde lebte, verließ mich endlich. Alles war friedlich und normal und im Einklang für diese paar wenigen kostbaren Minuten.
Manhattan winkte mir, ihm zu folgen. Wir gingen durch das Haus, ein so perfektes Haus, wie ich es noch nie gesehen hatte. Bei der Einrichtung hatte man mehr Wert auf Komfort als auf Repräsentation gelegt. Ein riesiger Fernseher mit Sesseln, in denen man versinken konnte. Eine bestens ausgestattete Bar mit Gläsern, die an einem Gestell darüber hingen, einem Spiegel, Barhockern, allem, was dazugehört. Wir stiegen die
Treppe hinauf, kamen durch einen Flur und ins Hauptschlafzimmer. Manhattan schien sich gut auszukennen. Unser Weg endete in einem der beiden großen begehbaren Kleiderschränke, reihenweise teure dunkle Anzüge auf der einen Seite, teure Freizeitkleidung auf der anderen. Die Schuhe ordentlich in schräg stehenden Fächern arrangiert. Gürtel und Krawatten an einer elektrischen Vorrichtung, die auf Knopfdruck rotierte und die gesamte Auswahl vorführte.
Natürlich waren wir nicht wegen der Gürtel und Krawatten hier. Manhattan schob mit sicherem Griff ein paar Anzüge beiseite, und ich sah einen rechteckigen Umriss an der Wand. Er drückte darauf, so dass eine Klappe aufsprang. Dahinter befand sich der Safe.
Er trat beiseite. Nun war ich wieder dran.
Das war es, wofür sie mich tatsächlich brauchten. Die Hintertür hätten sie notfalls auch allein aufbekommen. Sie hätten vermutlich ein bisschen länger dazu gebraucht, aber diese Männer waren clever und einfallsreich und hätten eine Möglichkeit gefunden. Dieser Safe dagegen, das war etwas ganz anderes. Es lag im Bereich des Machbaren, den Sicherheitscode für das Haus herauszufinden, aber die Kombination für den im Wandschrank des Hausherrn verborgenen Safe? Nein, die existierte höchstwahrscheinlich nur in dessen Kopf. Vielleicht noch in dem seiner Frau. Ganz vielleicht noch im Kopf einer zuverlässigen dritten Person, eines Vertrauten oder Anwalts der Familie, nur für den Notfall. Ansonsten ... na ja, man konnte natürlich losgehen und den Besitzer entführen, ihn mit Klebeband an einen Stuhl fesseln und ihm eine Knarre in den Mund stecken, aber dann hätte man eine vollkommen andere Operation. Wenn man sauber vorgehen wollte, dann brauchte man einen Schrankmann, der einem das Ding öffnete. Ein schlechter Schrankmann würde letztendlich wahrscheinlich die Wand
durchschlagen und den Safe herausreißen. Ein besserer Schrankmann würde ihn in der Wand belassen und eine Bohrmaschine einsetzen. Ein erstklassiger Schrankmann ... Tja, das war es, was ich zu demonstrieren hoffte.
Stellte sich nur das Problem - und ich war froh, dass Manhattan nichts davon ahnte - , dass ich in meinem kurzen Leben bisher noch nie einen Wandsafe geöffnet hatte. Ich meine, klar, ich wusste, dass es dasselbe Prinzip ist. Einfach ein standardmäßiger Safe, der in eine Wand eingebaut wurde, richtig? Doch ich hatte mein Handwerk an freistehenden Tresoren gelernt, an die ich mit dem ganzen Körper dicht herankommen konnte, um zu fühlen, was ich da tat. Wie der Ghost so oft gesagt hatte, wenn er mich unterrichtete - es ist, als würde man eine Frau verführen. Man muss sie auf die richtige Weise berühren. Wissen, was in ihr vorgeht. Wie soll man das machen, wenn die ganze Frau, bis auf das Gesicht, hinter einer Wand versteckt ist?
Ich schüttelte meine Hände aus und trat an die Nummernscheibe heran. Zuerst bewegte ich den Griff, um zu überprüfen, ob das verdammte Ding überhaupt verschlossen war. War es.
Ich sah das Markenschild eines Herstellers aus Chicago und wählte die beiden werkseitig voreingestellten »Probe-Kombinationen«, mit denen die Safes geliefert werden. Sie würden sich wundern, wie viele Leute die nie ändern.
Kein Glück mit beiden. Das hier war ein gewissenhafter Tresorbesitzer, der seine eigene Kombination einstellte. Nun musste ich mich also richtig an die Arbeit machen.
Ich drückte mich eng an die Wand und legte eine Wange an die Safetür. Zwar ging ich bereits von drei Sperrscheiben aus bei diesem Modell, aber da es mein erster Einsatz war, wollte ich Gewissheit haben. Ich fand den Kontaktbereich, den winzigen Bereich an der Nummernscheibe, in dem die »Nase«
des Führungshebels mit der Einkerbung auf der Antriebsscheibe in Berührung kam. Nachdem ich den hatte, »parkte« ich die Sperrscheiben, das heißt, ich drehte zu einer Zahl auf der entgegengesetzten Seite des Kontaktbereichs, drehte anschließend wieder in die andere Richtung und zählte, wie viele Räder vom Mechanismus aufgenommen wurden.
Eins. Zwei. Drei. Dann war ich sicher. Drei Scheiben.
Ich drehte zurück, parkte alle Scheiben auf 0. Dann ging ich wieder zum Kontaktbereich.
Das war der schwierige Teil. Der so gut wie unmögliche, theoretisch unmögliche Teil. Aufgrund der Tatsache, dass keine Scheibe vollkommen rund ist und keine zwei Scheiben genau gleich groß sind, kommt es zu einem nicht ganz perfekten Kontakt, wenn man über die Einkerbungen an den Sperrscheiben hin-wegdreht. Das ist unvermeidlich, egal wie teuer der Safe und wie gut das Kombinationsschloss gebaut ist. Wenn man also bei einer Nut angelangt ist und zum Kontaktbereich zurückgeht, wird er sich ein bisschen anders anfühlen. Der Abstand zwischen den Kontaktpunkten ist ein bisschen kürzer, da die Nase sich ein kleines Stück weiter vorn in die Antriebsscheibe senkt. Bei einem billigen Safe spürt man das wie ein Schlagloch in einer glatt asphaltierten Straße. Bei einem guten Safe dagegen? Einem guten, teuren Safe, wie ihn der Eigentümer dieses Hauses in seinen Wandschrank hatte einbauen lassen?
Da würde der Unterschied sehr gering sein. Winzig klein. Ich drehte auf 3. Dann auf 6. Dann auf g. Begann mit Dreierschritten und testete den Spielraum bei jeder Zahl. Wartete auf dieses spezielle, andere Gefühl. Diese geringfügige Verkürzung im Kontaktbereich. Den hauchfeinen Unterschied, den kein Normalsterblicher wahrnehmen kann. Nie und nimmer, nicht in tausend Jahren.
1 2. Ja, ich war nahe dran.
Okay, weiter. 15, 18, 2 1.
Ich arbeitete mich durch die Nummernscheibe, drehte schneller, wenn es ging, und wurde langsamer, wenn ich jeden Bruchteil eines Millimeters ertasten musste. Ich hörte, wie Manhattan hinter mir sein Gewicht verlagerte. Ich hob die Hand, und er war wieder mucksmäuschenstill.
24, 27. Ja, hier.
Woher ich das weiß?
Ich weiß es einfach. Wenn der Abstand kürzer ist, ist er kürzer. Ich fühle das.
Es ist eigentlich noch mehr als Fühlen. Dieses kleine Stückchen Hartmetall berührt die Einkerbung um Haaresbreite eher als bei der letzten Einstellung, und ich spüre das, höre das, sehe es im Geiste.
Als ich mit der Nummernscheibe durch war, hatte ich drei angenäherte Zahlen im Kopf. Ich fing von vorn an und grenzte sie ein, bis ich die genauen Stellen hatte, ging diesmal in Einer- statt Dreierschritten vor. Als ich damit fertig war, hatte ich die drei Zahlen der Kombination: 13 , 26, 72.
Der letzte Schritt ist mehr oder weniger öde Routine. Es gibt keine andere Möglichkeit, als die Einstellungen nacheinander durchzuprobieren. Man beginnt also mit 13-26-72, vertauscht dann die ersten beiden Zahlen, dann die zweite und die letzte und so weiter, stellt nötigenfalls alle sechs Kombinationen ein. Wobei sechs deutlich besser ist als eine Million - so viele mögliche Kombinationen gäbe es nämlich, wenn man diese drei Zahlen nicht ermitteln könnte.
Die Kombination in diesem Fall erwies sich als 26 - 72 - 13. Zeit insgesamt, um den Safe zu öffnen? Ungefähr fünfundzwanzig Minuten.
Ich drehte den Griff und öffnete die Tür. Dabei machte ich mir den Spaß, Manhattans Gesicht zu beobachten.
»Leck mich«, sagte er. »Du könntest mich jetzt mit 'nem Knüppel ficken.«
Ich ging beiseite und ließ ihn tun, was er tun musste. Ich hatte keine Ahnung, was er dort drin zu finden hoffte. Schmuck? Bargeld? Dann sah ich, wie er etwa ein Dutzend Umschläge herauszog, von der braunen Sorte, die ein bisschen größer als die üblichen Geschäftsbriefe sind.
»Wir haben sie. Jetzt können wir los.«
Ich schloss den Safe und drehte die Wählscheibe. Manhattan stand mit einem weißen Lappen hinter mir und wischte alles ab. Dann ließ er die äußere Klappe zufallen und schob die Anzüge wieder in Reih und Glied.
Er knipste das Licht aus, und wir gingen die Treppe hinunter. Brooklyn war im Wohnzimmer und sah zum Fenster hinaus. »Ich will's nicht wissen«, sagte er.
»Alles paletti«, sagte Manhattan und hielt die Umschläge in die Höhe.
»Willst du mich verscheißern?« Brooklyn sah mich mit einem schiefen Grinsen an. »Ist unser Kleiner hier ein Genie oder so was Ähnliches?«
»So was Ähnliches. Gehen wir.«
Manhattan tippte den Sicherheitscode ein, um die Alarmanlage wieder einzuschalten. Dann machte er die Tür zum Hof hinter uns zu und wischte den Drehknauf ab.
Aus dem Grund hatten sie mich angefordert. Aus dem Grund hatten sie so lange auf einen Jungen gewartet, den sie nicht mal kannten und der erst durch das halbe Land fahren musste, um zu ihnen zu stoßen. Denn wenn ich bei einem Bruch dabei bin, hinterlassen sie keine Spuren. Der Hauseigentümer würde am nächsten Tag zurückkommen, seine Tür aufschließen und alles genau so vorfinden, wie er es verlassen hatte. Er würde nach oben gehen, ein paar Kleider aus dem Schrank
nehmen, das Licht wieder ausschalten. Erst wenn er seinen Safe benutzen wollte, würde er die Kombination wählen, die Tür öffnen und feststellen ...
Leer.
Selbst dann würde er nicht gleich darauf kommen, was passiert war. Er würde eine Weile an dem Ding herumfummeln und denken, dass er sich geirrt hat. Dass er nicht ganz klar im Kopf ist. Als Nächstes würde er seine Frau beschuldigen. Du bist der einzige Mensch außer mir, der die Kombination kennt! Oder er würde den Familienanwalt anrufen und zur Rede stellen. Wir waren eine Woche weg - Sie haben unserem Haus wohl einen kleinen Besuch abgestattet, was?
Schließlich würde es ihm dämmern. Jemand Fremdes war in seinen vier Wänden gewesen. Doch zu der Zeit würden Manhattan und Brooklyn längst wieder sicher zu Hause sein, und ich ...
Ich würde dort sein, wo es mich als Nächstes hinverschlug.
Ich habe nie herausgefunden, was in diesen Umschlägen war. Es war mir auch völlig egal, weil ich wusste, dass ich pauschal bezahlt werden würde. Als wir wieder in dem Motel waren, gab Manhattan mir meinen Lohn in bar und sagte, dass es ein Vergnügen gewesen sei, mir bei der Arbeit zuzusehen.
Jetzt hatte ich wenigstens etwas mehr Geld. Genug, um mich für eine Weile mit Essen zu versorgen und eine Unterkunft zu suchen. Aber wie lange würde es reichen?
Er löste die Magnetschilder mit der Aufschrift ELITE RENOVATIONS¬ von beiden Seiten des Lieferwagens ab und warf sie hinten hinein. Dann nahm er einen Schraubendreher und machte die Pennsylvania-Kennzeichen ab, um sie durch New Yorker Nummernschilder zu ersetzen. Er wollte sich gerade hinters Steuer setzen, als ich ihn zurückhielt.
»Was ist, Kleiner?«
Ich zog ein imaginäres Portemonnaie aus meiner Jeanstasche und klappte es auf.
»Was, du hast deinen Geldbeutel verloren? Kauf dir 'nen neuen, du bist doch jetzt f üssig.«
Ich schüttelte den Kopf und tat, als würde ich eine Karte aus dem imaginären Portemonnaie herausnehmen.
»Du hast deinen Ausweis verloren? Warum gehst du nicht dahin zurück, wo du herkommst, man wird dir einen neuen ausstellen.«
Ich schüttelte wieder den Kopf und zeigte auf die unsichtbare Karte in meiner Hand.
»Du brauchst ... «
Endlich ging ihm ein Licht auf.
»Ach so, du brauchst überhaupt einen neuen Ausweis. Soll heißen, eine ganze verfluchte neue Identität.«
Ich nickte.
»Ach du Scheiße. Das ist aber ein ganz anderer Deal, Mann.« Ich beugte mich vor und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Komm schon, Freund. Du musst mir unter die Arme greifen. »Hör mal«, sagte er. »Wir wissen, für wen du arbeitest. Ich meine, wir schicken ihm schließlich seinen Anteil, oder? So funktioniert das Ganze. Wir werden ihn bestimmt nicht linken, weißt du. Also, wenn du ein Problem dieser Art hast, warum gehst du nicht zurück nach Hause und bereinigst es dort?«
Wie sollte ich ihm das erklären? Selbst wenn ich reden könnte? Dass ich zur Zeit total in der Luft hing. Dass ich ein Hund war, der nicht nach Hause konnte, der keinen Platz zu Füßen seines Herrn hatte. Nicht einmal in seinem Hinterhof. Ich musste ständig herumstreunen und nach Abfällen in den Mülltonnen stöbern.
Bis er mich zu sich rief. Wenn mein Herr den Kopf zur Tür raussteckte und mich rief, musste ich schleunigst gehorchen, so viel stand fest.
»Okay, ich kenne da jemanden«, sagte Manhattan schließlich. »Ich meine, wenn du wirklich in der Klemme steckst.«
Er holte sein eigenes, reales Portemonnaie heraus und zog eine Visitenkarte und einen Stift hervor. Er drehte die Karte um und schrieb etwas darauf.
»Du rufst diesen Typ an, dann wird er ...«
Er hörte auf zu schreiben und sah mich an.
»Ach so. Das könnte schwierig werden. Schätze, du solltest lieber persönlich bei ihm vorbeischauen, was?«
Ich nahm das Geld heraus, das er mir gerade gegeben hatte, und begann, ein paar Scheine abzuzählen.
»Halt, halt. Warte mal.«
Er drehte sich zu Brooklyn um, und sie verständigten sich mit Achselzucken.
»Normalerweise müsstest du mir versprechen, meinem Boss nichts davon zu sagen«, sagte Manhattan. »Aber irgendwie glaube ich, dass das kein Thema ist.«
Ich stieg hinten in ihren Lieferwagen ein. So kam ich nach New York.
Übersetzung: Karin Diemerling
© 2010 Steve Hamilton
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2012 Droemer Paperback
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Steve Hamilton
Hamilton, SteveSteve Hamilton, geboren 1961 in Detroit, studierte an der University of Michigan kreatives Schreiben. Bereits an der Universität wurde er mit einem Preis ausgezeichnet. Seitdem hat er zahlreiche Romane verfasst, zehn davon in der Serie um den Ermittler Alex McKnight. Für seine Werke erhielt er eine Vielzahl an Preisen. Neben Ross Thomas ist er der einzige Autor, der jemals den Edgar Award, den renommiertesten US-Krimi-Preis, sowohl für das beste Debüt als auch für den besten Roman gewonnen hat. Mit seiner Familie lebt er in dem kleinen Ort Cottekill, etwa hundertfünfzig Kilometer nördlich von New York City.
Bibliographische Angaben
- Autor: Steve Hamilton
- 2012, 464 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Diemerling, Karin
- Übersetzer: Karin Diemerling
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426226219
- ISBN-13: 9783426226216
- Erscheinungsdatum: 02.11.2012
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