Der Prinz der Klingen / Schattenprinz Trilogie Bd.2
Roman. Originalausgabe
Die Liebe seines Lebens ist seine größte Feindin
Sahif war ein Schatten, ein Meisterassassine. Doch das ist beinahe schon alles, was er nach einem Unfall noch von seinem früheren Leben weiß. Auf der Flucht vor den finsteren...
Sahif war ein Schatten, ein Meisterassassine. Doch das ist beinahe schon alles, was er nach einem Unfall noch von seinem früheren Leben weiß. Auf der Flucht vor den finsteren...
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Produktinformationen zu „Der Prinz der Klingen / Schattenprinz Trilogie Bd.2 “
Die Liebe seines Lebens ist seine größte Feindin
Sahif war ein Schatten, ein Meisterassassine. Doch das ist beinahe schon alles, was er nach einem Unfall noch von seinem früheren Leben weiß. Auf der Flucht vor den finsteren Intrigen seiner Halbschwester erfährt er, dass sich die Frau, die er liebte und für die er seine düstere Berufung aufgeben wollte, ganz in der Nähe aufhält. Viel zu spät erkennt er, dass er einer heimtückischen Lüge aufgesessen ist. Denn die Frau, die ihn aus strahlenden Augen anschaut und ihm Liebe schwört, will nur eins - seinen Tod!
Sahif war ein Schatten, ein Meisterassassine. Doch das ist beinahe schon alles, was er nach einem Unfall noch von seinem früheren Leben weiß. Auf der Flucht vor den finsteren Intrigen seiner Halbschwester erfährt er, dass sich die Frau, die er liebte und für die er seine düstere Berufung aufgeben wollte, ganz in der Nähe aufhält. Viel zu spät erkennt er, dass er einer heimtückischen Lüge aufgesessen ist. Denn die Frau, die ihn aus strahlenden Augen anschaut und ihm Liebe schwört, will nur eins - seinen Tod!
Klappentext zu „Der Prinz der Klingen / Schattenprinz Trilogie Bd.2 “
Die Liebe seines Lebens ist seine größte FeindinSahif war ein Schatten, ein Meisterassassine. Doch das ist beinahe schon alles, was er nach einem Unfall noch von seinem früheren Leben weiß. Auf der Flucht vor den finsteren Intrigen seiner Halbschwester erfährt er, dass sich die Frau, die er liebte und für die er seine düstere Berufung aufgeben wollte, ganz in der Nähe aufhält. Viel zu spät erkennt er, dass er einer heimtückischen Lüge aufgesessen ist. Denn die Frau, die ihn aus strahlenden Augen anschaut und ihm Liebe schwört, will nur eins - seinen Tod!
Lese-Probe zu „Der Prinz der Klingen / Schattenprinz Trilogie Bd.2 “
Der Prinz der Klingen von Torsten FinkProlog
Der Schnee, der so widernatürlich aus wolkenlosem Herbsthimmel über die Stadt gekommen war, taute fast so schnell, wie er gefallen war. ein Mädchen spielte mit den Rinnsalen aus Tauwasser, die über die enge Gasse im Gerberviertel zum Kristallbach liefen. es legte dem Wasser kleine und größere Steine in den Weg und freute sich, wenn es doch einen Pfad um das Hindernis herum fand. es war ein fesselndes spiel, das das Mädchen so sehr in Anspruch nahm, dass es seine Umgebung schon lange nicht mehr beachtete.
»Das sind aber schöne steine, mit denen du da spielst«, sagte eine samtene Stimme.
Das Mädchen blickte auf. Vor ihm stand eine große Frau, gehüllt in einen grauen, abgetragenen Mantel, und sah ihm zu. es nickte ernst und legte einen neuen weißen Stein in das Rinnsal. Aber das Wasser fand auch jetzt wieder einen Weg.
»Würdest du mir einen schenken?«, fragte die Frau und lächelte.
Das Mädchen betrachtete die Frau von oben bis unten, fand, dass die weißen Haare nicht zu dem alterslosen, etwas müde wirkenden Gesicht passten, und schüttelte dann den Kopf.
»Ich verstehe«, sagte die Frau mit ernster Freundlichkeit. »Aber vielleicht magst du mit mir tauschen?«
Sie hielt plötzlich einen Apfel in der schlanken Hand.
Das Mädchen zögerte, aber der Apfel war rot und glänzte verführerisch in der Abendsonne. Es nickte, wählte den kleinsten seiner Steine aus, lief hinüber zu der Frau und hielt ihr den Stein auf der flachen Hand hin.
»Warte, gib ihn mir nicht hier. Trage ihn für mich doch noch dort hinüber, in den Schatten. er sieht sehr schwer aus, weißt du«, bat die Frau freundlich.
... mehr
»Gar nicht schwer«, sagte das Mädchen und blieb stehen, als sich die Frau zwischen zwei engstehenden Häusern in den Schatten setzte. Sie schien beinahe zu verschwinden. Nur der Apfel leuchtete noch rot aus dem Zwielicht und lockte.
Das Mädchen hüpfte hinüber und legte der Frau den Stein in die kalten Finger.
»Du bist sehr freundlich, Kind. Sag, bevor ich dir den Apfel gebe, wo sind denn all die anderen Menschen?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »der Herzog ist tot. Und jetzt sind alle drüben an der Burg. Hast du das nicht gewusst, Großmutter?«
»Nein, mein Kind, ich war mit anderen Dingen beschäftigt, und ich gehe Menschen, vor allem, wenn es sehr viele sind, lieber aus dem Weg.«
Das Mädchen nahm den Apfel, aber die Frau ließ ihn nicht los. »Bevor ich ihn dir gebe, beiße doch einmal hinein und sage mir, wie er schmeckt.«
»Weißt du nicht, wie ein Apfel schmeckt?«
Für einen Augenblick bekam das Lächeln der Frau etwas Gequältes. »Ich weiß sehr wohl, wie Äpfel schmecken, jedenfalls wusste ich es einmal. Doch ich weiß natürlich nicht, wie dieser Apfel schmeckt, mein Kind. und deshalb musst du den Geschmack für mich beschreiben. Willst du das mir zuliebe tun?«
Das Mädchen nickte ernst und nahm den Apfel nun beinahe ehrfürchtig in die Hand.
»Du musst die Augen schließen, Kind, dann ist der Geschmack stärker.«
Das Mädchen gehorchte, schloss die Augen und biss voller Vorfreude in den roten Apfel. »Süß«, sagte es kauend, »und ganz viel Saft.« so sah es das ernste Lächeln nicht, und es sah nicht, wie die Frau einen sehr schmalen Dolch aus den Falten ihres Gewandes hervorzog. Nur das Geräusch, als der Stahl aus der Scheide fuhr, das hörte es, aber es öffnete die Augen nicht, denn der Apfel schmeckte einfach zu süß.
Erstes Buch
Erster Tag
Es war nur ein kleiner Ausschnitt der Welt, den Prinz Sahif at Hassat durch den Eingang des Stollens sehen konnte. Der Schnee schmolz selbst hier in den Bergen schnell von den Felsen. Es war ruhig dort draußen, nur ein stetiges Tropfen war zu hören, und nichts, nicht einmal ein Tier, rührte sich. Sahif hatte sich in der Nacht in dem Bergwerk versteckt. Erst hatte er sich in der Tiefe des Stollens verkrochen, aber bald bemerkt, dass dieser nicht so tief war, wie er es sich gewünscht hätte. Es war eines der Silberbergwerke, die einst so zahlreich um Atgath herum entstanden und alle schnell wieder aufgegeben worden waren, weil die Mahre das Silber, das es eigentlich reichlich in diesen Bergen gab, vor den Menschen versteckt hatten. Das hatten sie ihm selbst erzählt, diese Berggeister, die den alten Geschichten entstiegen zu sein schienen.
Es war ein schlechtes Versteck, aber Sahif hatte kein besseres. Also blieb er in der Nähe des Ausgangs und starrte Stunde um Stunde hinaus. Er konnte dort draußen immer noch nichts entdecken, was gefährlich aussah, und gerade das weckte sein Misstrauen. sollte er seinen Verfolgern wirklich entkommen sein? Die ganze Stadt war doch hinter ihm her, und im letzten Licht des vorigen Abends hatte er weit unterhalb am Berg schwarze Punkte gesehen - Männer, die ihm seine Schwester Shahila auf den Hals gehetzt hatte. Er war sich beinahe sicher, dass es die Berg Krieger waren, die Shahila nach Atgath mitgebracht hatte - seine Halbschwester, die den Herzog ermordet und Sahif zum Sündenbock für dieses Verbrechen auserkoren hatte. Er wurde zornig, wenn er an sie dachte, und das war gut, denn der Zorn war besser als die Leere, die er sonst in sich spürte. Vielleicht hätte er sie doch töten sollen, wie es die Mahre verlangt hatten - er hatte große Lust dazu verspürt, aber zu lange gezögert. Früher hätte er ihr bestimmt kalten Herzens die Kehle durchgeschnitten, aber dieser Mann war er nicht mehr. Er hatte sein Gedächtnis verloren, und was er nach und nach über sein altes ich erfahren hatte, war erschreckend und verstörend. Vieles war möglicherweise gar nicht wahr, denn das meiste hatte ihm seine Halbschwester erzählt, und die hatte ihn belogen, betrogen und benutzt, wie er leidvoll hatte erfahren müssen. Ja, inzwischen bereute er es, dass er sie nicht umgebracht hatte, aber als er seinem Zorn und dem Blutdurst endlich freien Lauf hatte lassen wollen, hatte sie sich hinter der Magie versteckt, die eigentlich den toten Herzog hätte schützen sollen. Sahif verfluchte Shahila, und er verfluchte sein Schicksal, aber beides half ihm nicht weiter.
Er war müde, hungrig, fror, und er wusste nicht, was er tun sollte. nur, dass er nicht bleiben konnte, wo er war, das wusste er. Wenn er wenigstens eine Waffe gehabt hätte! Aber er hatte in dem Stollen nichts Besseres gefunden als den morschen Stiel einer Hacke, der einen mehr als armseligen Knüppel abgab. und da draußen, vor dem Eingang dieses Bergwerks, wartete eine Welt voller Feinde auf ihn. Einmal, als er schon drauf und dran gewesen war hinauszugehen, hatte der klang von leichtem Steinschlag ihn abgehalten. Stundenlang hatte er danach auf die Schneedecke gestarrt, die den Boden vor der Höhle deckte. Sie schmolz dahin, und das war das einzige, was er an Bewegung erkennen konnte. Hieß das nun, dass er seine Jäger abgeschüttelt hatte? Er bezweifelte es, aber er wusste nicht, warum. Vielleicht hätte es ihm der Schatten sagen können, der er gewesen war, bevor er sein Gedächtnis verloren hatte. Aber der alte Sahif schwieg, und das war vielleicht ein gutes Zeichen, denn bislang hatte er sich nur in höchster Not bemerkbar gemacht, hatte gezeigt, dass er noch da war, irgendwo, verborgen in der Leere, die Sahif in sich fühlte und die er loswerden wollte.
Kurz entschlossen erhob er sich und trat hinaus in den Herbsttag, der so überraschend mild über die Berge gekommen war. Sahif kannte sich nicht aus mit Schnee, aber wie er so weiß und unberührt vor ihm lag, kam er ihm einfach nicht richtig vor. Er spähte nach allen Seiten, dann ging er ein paar Schritte hinaus. Da war ein Geruch im Wind, der ihm fehl am Platze schien. Er hielt inne und sog die Luft ein. Es roch schwach nach nassem Leder. Es war schon fast zu spät, als er begriff, was das bedeutete. Er duckte sich, und der Wurfspieß zischte nur fingerbreit über seinen Kopf hinweg, und als er mit einem hässlichen knirschen auf den Fels hinter Sahif prallte, wurde der Schnee zu seinen Füßen lebendig, bekam Hände, Arme, Köpfe und Klingen, wurde zu Männern, die ihn umbringen wollten. Hinter ihm stieß jemand einen durchdringenden Schrei aus. Sahif drehte sich nicht um, auch wenn sein Instinkt es verlangte. Er sah weder nach dem Speerwerfer noch nach dem Mann, der hinter ihm geschrien hatte, denn die drei Krieger, die fast zu seinen Füßen aus dem Schnee aufgetaucht waren, griffen ihn an. Der erste schleuderte eines seiner Kriegsbeile, und Sahif sah, wie es sich in der Luft drehte und direkt auf seine Stirn zusauste. Der nächste stach brüllend mit einem kurzen Speer nach seiner Brust, während der dritte von der Seite angriff und mit seinem Breitschwert ausholte. Sahif reagierte, nein, etwas in ihm reagierte, sagte ihm, was zu tun war, und er tat es, noch bevor er darüber nachdenken konnte. Er sprang mit einer Drehung vor der Speerspitze zurück und spürte den stiel der Wurfaxt, die seine Schläfe streifte. er fiel dem Schwertträger in den Arm und brachte ihn mit einem harten Tritt gegen das Schienbein aus dem Gleichgewicht.
Die eisige Kälte war wieder da, füllte Sahif aus, leitete ihn, ließ ihn schnell und kühl bis ins Mark handeln, so schnell, dass es ihm vorkam, als würde er sich selbst zusehen, als würde ein anderer diese Bewegungen ausführen, das Ausweichen, Zuschlagen und kämpfen, und er sah und hörte alles in kristallener Klarheit: den stoßweisen Atem der Männer, ihr Stöhnen, das Knirschen ihrer Schritte im Schnee und das klirren der Waffen. es war erschreckend und faszinierend zugleich, ein machtvolles Gefühl, und der kalte rausch steigerte sich mit jeder Sekunde des Kampfes. er konnte nicht genug davon bekommen. Der Krieger mit den Äxten schwang sein zweites Wurfbeil und sprang mit einem durchdringenden Schrei auf ihn los. Sahif, der noch mit dem Schwertkämpfer rang, riss den Arm seines Gegners hart nach unten und kugelte ihm die Schulter aus. Der Mann schrie, ließ sein Schwert aber nicht los. Sahif wirbelte herum, riss den Gegner mit und ließ den Krieger mit der Axt genau in die stählerne Spitze des Schwertes laufen. Er registrierte mit durchdringender Klarheit, wie die Spitze durch das lederne Wams in den Leib fuhr, Fleisch und eine Rippe spaltete und sich in die Lunge des Angreifers bohrte. Das Angriffsgebrüll des Mannes erstarb in einem Röcheln.
Sahif rammte das Schwert mit kaltem Zorn tiefer in den Bergkrieger hinein und war erst zufrieden, als er hörte, dass es am Rücken wieder austrat. Der Schwertkämpfer konnte die Waffe nicht länger festhalten und stürzte in den Schnee. Aber der Mann, den das Schwert durchbohrt hatte, griff nach Sahifs Arm und hielt ihn fest, obwohl ein Blick in seine Augen verriet, dass er seinen nahen Tod bereits begriffen hatte. der andere, der sich stöhnend zu ihren Füßen im Schnee wälzte, umklammerte mit dem linken Arm eines von Sahifs Beinen. Der Speerträger! Er hatte den Speerträger aus den Augen verloren! Jetzt hörte er seinen Atem. Er versuchte, sich aus der doppelten Umklammerung loszureißen. Dann fuhr ihm heißer Schmerz in die Seite, etwas durchbohrte sein Fleisch. Er stöhnte auf, fuhr herum und schüttelte den sterbenden Bergkrieger ab. Der dritte Angreifer riss den Speer zurück und holte zum erneuten stoß aus. Sahif sah, dass der Mann auf dem glatten Untergrund keinen festen stand hatte, was ihm einen Augenblick Zeit verschaffte. Er trat nach dem Mann, der seine Beine umklammerte. Als das nicht half, stieß er ihm seinen Knüppel hart ins Gesicht, mehrfach, bis der Mann Zähne spuckte und endlich losließ.
Sahif kam frei, strauchelte und blickte in das grimmige Gesicht des dritten Krieger, der wild zustieß. Rot troff es vom langen Schaft des Speers, und mit beunruhigender Klarheit sah Sahif sein eigenes Blut in den Schnee tropfen. Im Augenwinkel bemerkte er einen weiteren Feind, den, der den Jagdspieß nach ihm geworfen hatte und der nun über das Schneefeld eilte, einen weiteren Spieß in der Hand. er musste hinter einem Felsen auf der Lauer gelegen haben, und etwas in Sahif bewunderte ihn für seine Geduld, denn diesen Felsen hatte er von der Höhle aus im Blick gehabt, und in all den Stunden, die er hinübergestarrt hatte, hatte sich dort nichts gerührt. Er wunderte sich, dass er Zeit für solch seltsame Gedanken hatte, denn gleichzeitig beobachtete er die Spitze des Speeres, der mit tödlicher Geschwindigkeit auf ihn zusauste.
Halb wich er aus, halb stolperte er, was ihn rettete. Er fiel zu Boden, wälzte sich zur Seite und war schneller auf den Beinen, als er es für möglich gehalten hätte. Er hörte einen Schrei und begriff, dass er selbst ihn ausgestoßen hatte. Der schmerz in der Flanke raubte ihm den Atem, und seine Knie zitterten. Er fühlte das warme Blut, das aus der Wunde floss. War dieser Kampf verloren? Ein Teil von ihm verlangte nach dem Blut des Speerträgers, wollte ihm das Genick brechen für die Unverschämtheit, ihn verwundet zu haben, und Sahif war drauf und dran, diesem Verlangen nachzugeben, aber er hatte einen weiteren schrei gehört, in seinem Rücken, als der Kampf begonnen hatte. Da ist noch einer, dachte er und fuhr herum - das hieß, er wollte herumwirbeln, doch die Wunde riss dabei weiter auf. er stöhnte, und seine schnelle Bewegung endete in einem Taumeln.
Dem Speerträger war seine Schwäche nicht entgangen. Er griff wieder brüllend an, und nur mit knapper Not brachte Sahif den Knüppel zwischen sich und die Speerspitze und lenkte sie zur Seite ab. Der Mann mit dem Wurfspeer würde ihn gleich erreichen. Sahif wich zurück. der dritte Feind wartete vor dem Stolleneingang, ein sehr junger Mann, aber schon umsichtig genug, seinen Posten zu halten, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. Der mit dem Wurfspieß hetzte über das Schneefeld, aber unter dem Schnee lag Geröll, und das hielt ihn auf. Sahif warf den Holzknüppel nach dem Mann mit dem Speer, und der sprang zur Seite, als hätte er eine Axt geworfen, stolperte, rutschte aus, verlor seine Waffe und stürzte mit einem Fluch zu Boden. War er nicht leichte Beute? Aber Sahif drehte sich um und hinkte, so schnell er konnte, zum Bergwerkseingang, duckte sich instinktiv und wich so dem Wurfspieß aus, der über das Geröll herangezischt kam. Er stolperte stöhnend weiter und presste die Hand auf die Wunde. Er konnte hören, dass der Mann mit den Wurfspießen sein Schwert zog, das Jammern des Mannes, dem er mit dem Knüppel die Zähne ausgeschlagen hatte, drang an seine Ohren, und er hörte die Flüche des Speerträgers, der versuchte, wieder auf die Beine zu kommen - und das alles war so klar und deutlich, dass er auf den schritt genau die Entfernung hätte bestimmen können, die ihn von diesen Männern trennte. Sie waren nicht weit weg, aber einer war noch näher.
Der Bergkrieger vor dem Stollen erwartete ihn, in seiner Hand blitzte ein langes Messer. Es war eher ein Junge als ein Mann. Sahif sah in aller Deutlichkeit die Narben auf seiner Wange, die verrieten, dass dieser Gegner trotz seiner Jugend schon einige kämpfe hinter sich haben musste. sein Lederpanzer war abgetragen, vielleicht ein Erbstück, und er war an den Seiten geschnürt, nicht genäht. Der junge Krieger tat Sahif nicht den Gefallen anzugreifen, er wartete ab, und Sahif hörte hinter sich die anderen herankeuchen. Sie waren in seinem Rücken, sie waren zu zweit, und sie waren nicht verwundet. Trotzdem, du kannst sie töten, raunte es in ihm, aber Sahif hinkte weiter. Es reichte nicht, diesen einen Kampf zu gewinnen. Am Vorabend waren weit mehr Punkte am Berg gewesen als diese fünf. die anderen konnten nicht weit sein, und er sah nur noch eine Möglichkeit zu entkommen: Er hielt den Atem an, weil dadurch der schmerz gedämpft wurde, und sprang auf den jungen Krieger los, ohne recht zu wissen, was das werden sollte.
Die klinge schnitt durch die Luft, er wich ächzend aus, und der schmerz seiner Wunde meldete sich so stark und frisch, dass er schon glaubte, der Junge habe ihn erwischt. Plötzlich hielt er den Messerarm seines Gegners umklammert. Kurz rangen sie, Augenblicke nur, Leib an Leib, und Sahif beobachtete sich selbst, wie er dem anderen das Messer entwand, es ihm mit Wucht in die Seite rammte, dort, wo die lockere Schnürung des Wamses den Feind am verwundbarsten machte. Der andere stöhnte auf, und sein Körper erschlaffte. Sahif, der plötzlich gar nicht mehr wusste, wie er das gemacht hatte, stolperte über den fallenden Körper und flüchtete in die Höhle. Er taumelte in die schützende Dunkelheit, ging in die Knie, und erst dann begriff er, dass er ein tödlichen Fehler begangen hatte: Er hätte nicht in das alte Bergwerk flüchten dürfen. Vor ihm lagen nur Sackgassen, er konnte sich lediglich aussuchen, in welcher er sein Ende erwarten wollte. Er blickte noch einmal zurück. Die Krieger sammelten sich um den Jungen, den er erledigt hatte, aber sie zögerten, sich ihm zu nähern, fast als hielten sie den Tod für etwas Ansteckendes. Er schleppte sich weiter hinab in die Dunkelheit. draußen erklang ein dünnes Hornsignal. Also riefen sie nach Verstärkung. Sahif fluchte leise und lauschte dem verklingenden echo. Er versuchte sich zu erinnern, welcher Gang am weitesten in den Berg hineinführte, und tastete sich durch die Finsternis voran. Er würde es seinen Verfolgern auf keinen Fall leicht machen, aber dennoch, es sah so aus, als würde seine Schwester doch noch das bekommen, was sie wollte - einen toten Sündenbock.
Shahila von Taddora konnte den Blick nicht von dem großen gemauerten Würfel abwenden, der die Mitte der Kammer ausfüllte. Die steine waren viel genauer ineinandergefügt, als Menschen es vermocht hätten, die Fugen waren kaum zu erkennen, und kein spalt, kein Zeichen deutete auf einen Zugang zum inneren hin, den es doch geben musste. Sie saß auf der gemauerten Einfassung des runden Teichs, in dessen Mitte der Würfel ruhte, und strich mit der Hand durch die träge Flüssigkeit. Es war kein Wasser, auch wenn es beinahe so aussah, es war weder warm noch kalt, roch nach nichts, und Shahila nahm an, dass es auch nach nichts schmecken würde, wenn sie es denn probiert hätte. Ihre Hand verursachte keine Wellen, eigentlich war es, als hätte sie diese Flüssigkeit nie berührt. Stattdessen sah es so aus, als würden immer wieder Wellen vom Würfel ausgehen, langsam über die glatte Oberfläche zum Rand laufen und dort einfach enden. Shahila schöpfte mit der Linken ein wenig Flüssigkeit heraus und betrachtete sie fasziniert. Es waren nur ein paar Tropfen, aber wie bei all den Versuchen zuvor verharrten sie nicht in ihrer gewölbten Hand, sondern folgten der Herzlinie, als sei sie ein Kanal, flossen aufwärts und tropften von ihrer Handkante zurück in den Teich. Sie sah genau hin. die Flüssigkeit schluckte die Tropfen, und wieder gab es keine Wellen außer denen, die der gemauerte Würfel auszusenden schien. Da war er also, der Zugang zur Magie, zu unbegrenzter Macht, zum Greifen nah. Aber noch blieb er ihr verschlossen.
»Ich dachte mir schon, dass ich euch hier finde, Hoheit«, sagte eine vertraute Stimme.
»Almisan, was gibt es?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
Der Hüne räusperte sich. »Der Baron verlangt nach euch, Hoheit.«
»Bald kannst du ihn Herzog nennen, und Hoheit, wie du es bei mir immer tust, obwohl ich auch nur eine Baronin bin.« sie stand auf. »Und warum verlangt Beleran nach mir? Hat er einen bestimmten Grund, oder ist er wieder nur von seiner Trauer überwältigt?«
»Der Leichnam von Herzog Hado ist balsamiert und unten in der Halle aufgebahrt, wie es die hiesigen Gebräuche verlangen. Euer Gatte erwartet euch dort zur Totenwache, denn auch das ist in diesem Lande Sitte.«
»Ist es schon so spät?«, fragte sie. Die Kammer hatte keine Fenster, nur einige Lampen erhellten den niedrigen Raum. Und der schwarze Teich schien auf widersinnige Art die Kammer ebenfalls zu erhellen. Sie seufzte. Natürlich musste sie in den nächsten Stunden an der Seite ihres Mannes sein, das war unvermeidlich. Aber sie fühlte Widerwillen dagegen, Totenwache bei einem Mann zu halten, den sie selbst getötet hatte. »In alten Geschichten heißt es, ein Leichnam könne seinen Mörder durch Blut anklagen, wenn der an seinen Sarg tritt«, sagte sie nachdenklich.
»Das sind nur Geschichten, Hoheit. Hado ist tot, seine Seele fort. er kann euch nicht mehr verraten.«
»Das weiß ich«, murmelte Shahila. »Wie lange bahren sie ihn auf ? Zwei Nächte, nicht wahr? ist es nicht erstaunlich, wie viel Zeit sie sich in diesem Land lassen? In Oramar wäre er schon unter der Erde.« Und ich müsste ihn nicht mehr sehen, dachte sie.
»Oramar ist ein heißes Land, Hoheit, und wir müssen unsere Toten schnell unter die Erde bringen. Hier, in diesen kalten Gefilden, nehmen sie eben länger Abschied. Aber ich gebe zu, dass ich es ebenfalls befremdlich finde. Man könnte glauben, sie gönnten den Toten die ruhe des Grabes nicht.«
»Und mein Gatte? Wie erträgt er es?«
»Der Baron ist immer noch in tiefer Trauer versunken. Ich fürchte, er wird in dieser Angelegenheit keine sehr gute Figur machen, Hoheit.«
»Er trauert nicht nur um Hado, Almisan, er macht sich sorgen, weil er befürchtet, dass seine beiden anderen Brüder ebenfalls tot sind.« Und auch diese Männer habe ich auf dem Gewissen. sie konnte ihren Blick nicht von dem grauen Würfel in der Mitte der Kammer lösen. War sein Geheimnis all diese Toten wert?
»Hoffen wir, dass er zu recht um sie fürchtet«, erwiderte Almisan trocken. »Dann wird er Herzog von Atgath. er sollte sich etwas mehr um Haltung bemühen.«
Shahila lächelte. »sieh es ihm nach, Almisan. Es ist viel Unheil über ihn hereingebrochen, und er wollte diese Krone niemals haben. Er ist nicht vorbereitet auf dieses Amt, und seine Schultern sind die Last der Verantwortung nicht gewöhnt. Und auch deshalb will er nicht wahrhaben, dass seine Brüder tot sind. Die Menschen in der Burg lieben ihn dafür.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das Haltung oder Feigheit ist, Hoheit.«
Endlich drehte sich Shahila um und bedachte ihren Vertrauten mit einem strafenden Blick. »Wir sind alle über den Tod von Olan, Gajan und seiner Familie zutiefst erschüttert, Almisan. Wenigstens sollten wir so tun.«
»Es steht leider noch nicht fest, dass sie tot sind, Hoheit.«
»Quent hat es gesehen. und der alte Zauberer war vielleicht ein Narr, aber er verstand sein Handwerk.«
»Aber ihr habt selbst gesagt, dass er sich nicht völlig sicher war, Hoheit.«
»Er wollte es nur nicht wahrhaben, Almisan. Aber ihr Schiff muss untergegangen sein, sonst hätten wir längst von ihnen gehört. «
»Das mag sein, Hoheit, allerdings haben wir auch nichts von dem Schatten gehört, der das Schiff versenken sollte. Und wenn ich euch richtig verstanden habe, gibt es auch nichts neues über den Schlüssel.«
Shahila nickte. Der Schlüssel, das magische Wort, das den Würfel öffnen würde: Er wurde von Herzog zu Herzog vererbt in einer Linie, die seit sechshundert Jahren nicht unterbrochen worden war. Jedoch war auch noch nie ein Herzog von Atgath ermordet worden. »Noch ist er nicht bei Beleran angekommen«, sagte sie und nagte an ihrer Unterlippe.
»Ist es möglich, dass er es verheimlicht, Hoheit?«
»Er ist viel zu erschüttert, um etwas vor mir zu verbergen. er hat fast die ganze letzte Nacht um seine Brüder geweint, Almisan, geweint! und er hätte wohl nie aufgehört, wenn ich ihm nicht ... Trost gespendet hätte.«
»Ist denn bekannt, wie lange es dauert, bis der Schlüssel von einem Herzog zum anderen ...«
»Beleran sagte einmal, dass es sofort geschehe. Sobald der Herzog tot sei, erfahre sein Erbe das Wort.« Aber dann dachte sie an ein Bild, das ihr nicht aus dem Kopf gehen wollte: Sahif, wie er neben dem sterbenden Herzog kniete und dieser ihm irgendetwas zuflüsterte. War es möglich, dass ...? Nein, das durfte einfach nicht sein! Aber falls doch? Nun, die Bergkrieger waren ihm auf den Fersen. Wenn Sahif das Wort hatte, dann würde er sich nicht lange daran erfreuen können.
»Ihr habt euch Zeit gelassen«, stöhnte Sahif und tastete mit der Linken nach der Wunde in seinem Rücken. Warmes Blut quoll ihm über die Finger. Er blickte an die Decke des niedrigen Stollens: Darüber türmten sich tausende Tonnen Fels, die schwer und irgendwie unheilvoll über ihm hingen.
»Es ist weit von Atgath hier herauf«, erwiderte Marberic. Im grünlichen Licht seiner Laterne war schwer zu unterscheiden, ob sein Blick besorgt oder doch eher vorwurfsvoll war. Amuric, der zweite Mahr, sagte etwas in der knirschenden Sprache seines Volkes.
»Er meint, du hättest uns rufen sollen«, übersetzte Marberic.
»Rufen? durch den Berg? Woher ...« er beendete den Satz nicht, denn ihm wurde schwindlig, und er ging in die Knie.
»Du kannst heilen. Ich habe es gesehen, bei Ela Grams, in der Burg«, meinte Marberic und wies auf die Wunde.
»Schön. Vielleicht weißt du auch, wie ich das angestellt habe. Ich habe es nämlich vergessen«, keuchte Sahif. Er berührte die Wand. Massiver Fels, undurchdringlich. Und doch hatten die Mahre ihn eben da hindurchgezogen. Die Männer, die ihn gejagt hatten, waren vermutlich auf der anderen Seite der Wand. Er hatte noch gehört, wie sie in die Stollen vorgedrungen waren. Und gerade als er sich auf den letzten Kampf vorbereitet hatte, hatte ihn eine Hand am Kragen gepackt und durch das Gestein gezogen. Einfach so, als sei es nicht fester als Nebel. die Mahre hatten ihm in den Gängen unter Atgath gesagt, dass sie durch Wände gehen konnten, aber es war das eine, davon zu hören, und etwas ganz anderes, es am eigenen Leib zu erfahren.
Sahif versuchte sich aufzurichten, aber der schmerz war noch da. Jetzt, wo die Anspannung nachließ, schien er sogar stärker zu werden. Er zog seine Hand von der Wunde und betrachtete sie. Sie war voller Blut. Sie schien vor seinen Augen zu verschwimmen. Er blinzelte; er durfte das Bewusstsein nicht verlieren.
Marberic beugte sich über ihn. »Gut. Ich sagte ja, dass du heilen kannst. Es hat aufgehört zu bluten«, stellte er dann fest.
»Fühlt sich aber nicht so an.«
Der Mahr zuckte mit den schmalen Schultern. »Du wirst leben. «
»Und deine Schwester auch«, sagte Amuric, der die Menschensprache sonst so selten verwendete, und er klang ausgesprochen unfreundlich.
»Halbschwester«, murmelte Sahif.
»Sie hat den Schlüssel nicht bekommen«, warf Marberic ein, worauf Amuric wütend etwas knirschte, sich umdrehte und verschwand.
»Was hat er gesagt?«
»Dass sie das Wort doch noch bekommt, wenn du dumm bist und dich umbringen lässt«, übersetzte Marberic.
»Schön«, erwiderte Sahif. das magische Wort. Es war da, in seinem Kopf. Er hätte es nicht aussprechen oder aufschreiben können, aber es stand klar und fest in seinen Gedanken, wie in Stein gemeißelt. Er richtete sich vorsichtig auf und lehnte sich an die Wand. Sie war hart, kalt, undurchdringlich, aber sie hatten ihn hindurchgezogen. »Wie«, fragte Sahif, »Wie habe ich das Wort bekommen können, wo es doch sonst nur von Herzog zu Herzog geht?«
»Du hattest unseren ...« - Marberic knirschte ein Wort in der Mahrsprache, als suche er nach einer richtigen Übersetzung - »... Segenszauber«, fuhr er schließlich fort. »und Hado lag im Sterben, da sind alle Zauber schwach, selbst unsere. Man kann sie brechen.«
»Brechen ...«, murmelte Sahif und befühlte wieder seine Wunde. Die war geschlossen. Anscheinend verfügte er wirklich über heilende Kräfte. War das bei allen schatten so?
Ihm war, als würde es im Gestein silbern glitzern. Er hatte gehört, dass die Mahre das begehrte Erz vor den Menschen versteckt hatten, weil es tief unter dem Silber etwas gab, was Menschen nicht finden durften - Magie, in ihrer reinsten und mächtigsten Form. So hatte Marberic es ihm erklärt, als sie durch die Stollen unterhalb der Stadt gewandert waren. Er fragte sich, wie viele Hoffnungen wohl damals begraben worden waren, als die Mahre die Silberadern versteckt hatten. Ela hatte ihm davon erzählt. »Ela Grams!«, rief er und sprang auf. Der stechende schmerz zwang ihn aber gleich wieder in die Knie. die Wunde mochte er ja irgendwie geschlossen haben, aber sehr weit konnte es mit seinen Heilfähigkeiten wohl doch nicht her sein.
»Sie hat auch nach dir gefragt«, meinte Marberic.
»Wie geht es ihr?«, stieß Sahif hervor.
»Sie ist zäh.«
»Und wird sie wieder gesund?«
Der Mahr zuckte mit den Achseln. Sein bleiches Gesicht wirkte beinahe teilnahmslos. »Wer kann es wissen? Ihr Menschen seid grob geschaffen und rau, und doch so leicht umzubringen. «
»Marberic, bitte, wie geht es ihr?«
»Sie hat keine Krankheit, keine schwere Wunde, doch viel Blut verloren. Mehr als du. Ich weiß nicht, wie das ausgeht.«
»Ich muss zu ihr!«
Marberic nickte, sah Sahif aus seinen dunklen Augen an und fragte unvermittelt: »Warum hast du deine Schwester nicht getötet? «
Sahif setzte zu einer langen Antwort an, doch dann bezweifelte er, dass der Mahr seine widerstreitenden Gefühle verstehen würde. »Sie versteckte sich unter einem Zauber, der die Kammer des Herzogs schützte.« Ja, ein mächtiger Zauber hatte sie geschützt, sie, nicht den Herzog, den sie aus der Kammer gelockt und getötet hatte.
»Die Säulen des Friedens«, meinte Marberic unbewegt. »Sie schützen auch jene, die Übles wollen.«
»Mir ist gleich, wie der Zauber heißt, aber er hat mich daran gehindert, Shahila umzubringen«, behauptete Sahif und verschwieg seine Zweifel, ob er es wirklich über sich gebracht hätte.
»Daraus wird viel Unheil erwachsen«, sagte der Mahr, aber es klang nicht wie ein Vorwurf, eher wie eine schlichte Feststellung.
Wenn sie nur lange genug hinüberstarrte, kam es ihr so vor, als würde sich der Würfel in seinem schwarzen Teich tatsächlich sacht bewegen. Beinahe zwei Jahre hatte Shahila an ihrem Plan gearbeitet, hatte Hindernisse überwunden und Feinde aus dem Weg geräumt, war endlich am Ziel - und war es doch noch nicht ganz. Graue, unscheinbare, aber ohne Zweifel magische undurchdringliche Mauern standen zwischen ihr und der größten Macht der Welt. Und um sie zu überwinden, brauchte sie den Schlüssel, das magische Wort. Shahilas Miene verdüsterte sich. Sie dachte daran, wie der Herzog auf der Schwelle seiner Kammer gestorben war, in den Armen Sahifs. sie konnte das Gesicht ihres Halbbruders nicht vergessen, der auf die letzten Atemzüge des Herzogs gelauscht hatte. Sahif der Narr, Sahif der Sündenbock, Sahif, der erst viel zu spät gemerkt hatte, dass sie ihn in die Falle gelockt hatte. Und dann dieser Ausdruck, den sie nicht recht beschreiben konnte. Überraschung, ja, Zorn ohne Zweifel, aber auch ... Triumph.
»Sahif hat es«, sprach sie schließlich mit gepresster Stimme das aus, was sie befürchtete.
Almisan schwieg eine Weile, bevor er bedächtig sagte: »Das ist schwer vorstellbar, Hoheit. Er ist nicht der Erbe des Herzogs, und nach allem, was wir wissen, kann nur der das Wort erfahren.«
»Dann wissen wir vielleicht einfach zu wenig, Almisan! Diese Zauber sind alt, die Berggeister selbst haben sie gewoben. Was verstehen wir schon davon? Nein, Sahif hat es an sich gebracht. Ich bin mir fast sicher. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber er hat uns den Schlüssel geraubt!«
»So sollten wir den Bergkriegern sagen, dass sie ihn nicht umbringen dürfen?«
Shahila dachte einen Augenblick nach. »Das Wort kann nicht verloren gehen. Wenn Sahif stirbt, kommt es also zu uns, zu Beleran«, behauptete sie.
»Seid ihr da sicher, Hoheit? Er hätte es doch gar nicht erst bekommen dürfen - wenn er es denn überhaupt hat.«
Shahila schüttelte den Kopf und blickte über den Teich. es gab nicht einmal einen Steg oder Trittsteine. Sie hatte schon in Erwägung gezogen, einfach hinüberzuwaten, aber es dann doch nicht gewagt. Mit einer unwilligen Geste schlug sie ihren Kragen hoch. Es war kalt in dieser Burg, selbst in dieser Kammer, so wie in diesem ganzen armseligen Land. »Es ist müßig, weiter zu raten, Almisan. Hier geht es um Dinge, von denen wir beide nicht genug verstehen. Vielleicht wird es Zeit, Meister Hamoch um Rat zu fragen.«
Almisan verzog keine Miene, aber er sagte: »Dieser Zauberer ist eine Enttäuschung, Hoheit, ein Feigling und ein Verbündeter, auf dessen Treue wir nicht rechnen können. Wir hätten ihm gar nicht einreden müssen, dass Quent ein Verräter war. Er wollte weder euch noch die Stadt retten, er hatte nur Angst um sich und seine dunklen Forschungen.«
»Wir haben nun einmal keinen anderen, Almisan«, sagte Shahila mit einem flüchtigen Lächeln.
»Ja, es ist mehr als bedauerlich, dass wir Quent nicht auf unsere Seite ziehen konnten.«
Shahila nickte. der alte Zauberer hatte ihr ebenfalls imponiert, und sie musste zugeben, dass sie seine Macht unterschätzt hatte. Als sie ihn angriffen, hatte er aus heiterem Himmel einen Schneesturm beschworen! Was für eine Kraft! Doch besiegt hatten sie ihn am Ende doch, und der Schnee, den er gerufen hatte, schwand fast so schnell, wie er gekommen war. Der mächtige Nestur Quent war tot. Almisan hatte ihn erledigt, mit der Hilfe von Bahut Hamoch - und einigen Fässern Sprengpulver -, ein Ende, dass der Rahis als »unwürdig« bezeichnet hatte. Vielleicht hatte er sogar Recht, aber Shahila kam es nicht auf Würde, sondern auf das Ergebnis an.
»Was tut der neue Kanzler und erste Zauberer von Atgath eigentlich gerade?«, fragte sie.
»Er trifft die notwendigen Vorkehrungen für die Bestattung des Herzogs, aber jede Sekunde, die er übrig hat, verbringt er in den Katakomben. ich nehme an, er züchtet aus den Toten des vergangenen Tages neue Sklaven.«
»Die Homunkuli! Gib zu, dass sie beeindruckend sind, Almisan. «
Der Hüne zuckte mit den Schultern. »Beeindruckend? sie scheinen ganz nützlich zu sein, wenn es um niedere Arbeiten geht, aber sie sind kurzlebig und auch leicht zu töten, diese Wesen, und er muss sie vor den Augen anständiger Menschen verstecken, denn es ist doch offensichtlich, dass er das Wissen um ihre Erschaffung aus verbotenen Pergamenten gelernt hat.«
»Aus Pergamenten, die wir ihm verschafft haben«, erwiderte Shahila lächelnd. »sobald Hado in der Gruft ruht, geh zu ihm, Almisan. Mach ihm klar, dass es wichtigere Dinge zu tun gibt, als mit diesen kleinen Kreaturen zu spielen. und jetzt lass uns gehen. ich hoffe, mein Gemahl ist gefasst genug, die Totenwache ohne Schwächeanfall zu überstehen.«
»Ahnt er wirklich nicht, was geschehen ist, Hoheit?«
»Er vertraut mir blind, Almisan, und er glaubt, was ich ihn glauben lasse. Dieser Narr ist so verliebt in mich, dass er mir vielleicht sogar danken würde, wenn er wüsste, dass ich ihm auf den Thron geholfen habe.« sie seufzte. es klang härter, als sie es meinte, auch wenn es die Wahrheit war. Beleran hatte seine guten Seiten. Aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.
Der Rahis schüttelte den Kopf. »Der Baron versteht vielleicht nicht viel von den verschlungenen Pfaden der Macht, Hoheit, aber er ist im inneren aufrecht. Er wird sich niemals unserer Sache anschließen.«
Shahila hätte nicht gedacht, dass Almisan eine so hohe Meinung von Beleran hatte. »Vielleicht hast du Recht. Ich habe auch keineswegs vor, ihn einzuweihen, weder jetzt noch irgendwann. Er ist wirklich ehrlich, vielleicht sogar zu ehrlich, um in Zeiten wie diesen eine Herzogskrone zu tragen.«
Almisans Gesicht blieb völlig unbewegt, als er sagte: »Ich verstehe, Hoheit.«
Shahila wurde es plötzlich kalt. Sie eilte mit einem eigentümlichen Gefühl der Bestürzung aus der Kammer. Es würde der Tag kommen, an dem Beleran nicht mehr von Nutzen für ihre Pläne war, und sie hatte Vorbereitungen für diesen Tag getroffen. Und es war so, wie Almisan sagte: Er war ein im innersten aufrechter Mann, er würde vielleicht sogar versuchen, sich ihr in den Weg zu stellen. Schon jetzt wollte er doch nicht Herzog werden, obwohl seine Brüder und seine Neffen tot waren. Er redete stattdessen davon, dass Olan und Gajan nur vermisst seien, und weigerte sich einfach zu akzeptieren, dass sie schon längst kalt auf dem Meeresgrund ruhten.
Prinz Gajan schaufelte mit einer zerbrochenen Schiffsplanke schwarzen Sand aus einer flachen Grube.
»Ihr solltet eure Kräfte schonen, Prinz«, meinte eine freundliche Stimme.
Gajan blickte kurz auf und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Dann grub er verbissen weiter. Der grobkörnige Sand rutschte jedoch immer wieder zurück. Keuchend hielt Gajan schließlich inne. »Wie wäre es, wenn du an meiner Stelle hier weitermachen würdest, Kumar?«
Der dunkelhäutige Mann schüttelte den Kopf. »Es war nicht meine Idee, den Mann zu bestatten, Prinz. Ich werde meine Kraft für wichtigere Dinge sparen. Warum übergebt ihr ihn nicht einfach dem Meer, das auch all die anderen verschlungen hat? Es ist nicht wählerisch, wisst ihr?«
Gajan richtete sich auf. Wogen rollten gegen die winzige Insel, auf der sie Zuflucht gefunden hatten. Insel? Es waren nur einige schwarze Felsen, zwischen denen sich grober Sand gesammelt hatte. Im Morgengrauen, als sie, erschöpft von ihrer Irrfahrt, dort eingeschlafen waren, wo es sie angespült hatte, war die Flut gekommen und hatte die Insel überrollt. Wäre Kumar nicht gewesen, hätten sie das Floß verloren, aber er hatte sie dazu gebracht, mit der Flut darum zu kämpfen, anstatt sich einfach auf die Felsen zu flüchten. Gajan grub weiter. Im Schatten eines der dunkelgrauen Felsen kauerten die übrigen Überlebenden. Sieben, mehr waren nicht übrig. Als ihr Floß aus Trümmern sie hierhergetragen hatte, waren sie noch zu neunt gewesen. Aber einer war spurlos verschwunden, vom Meer verschlungen, als sie um das Floß gekämpft hatten. Sie hatten es erst gemerkt, als sie diese Ansammlung von zerbrochenen Planken hinter einem Felsen halbwegs gesichert hatten.
Gajan lief der Schweiß in die Augen. Der Mann, den er unbedingt beerdigen wollte, war verletzt gewesen. Kumar hatte schon auf dem Floß vorhergesagt, dass er es nicht lange machen würde. Gajan hatte es bestritten und versucht, allen Mut zuzusprechen, obwohl er doch selbst beinahe alle Hoffnung verloren hatte. sie hatten den Verletzten mühsam auf den größten der Felsen gezogen, aber dann war er doch gestorben, wie Kumar es vorhergesagt hatte.
1. Auflage Originalausgabe Januar 2013 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Radom House GmbH, München Copyright © 2013 by Torsten Fink
»Gar nicht schwer«, sagte das Mädchen und blieb stehen, als sich die Frau zwischen zwei engstehenden Häusern in den Schatten setzte. Sie schien beinahe zu verschwinden. Nur der Apfel leuchtete noch rot aus dem Zwielicht und lockte.
Das Mädchen hüpfte hinüber und legte der Frau den Stein in die kalten Finger.
»Du bist sehr freundlich, Kind. Sag, bevor ich dir den Apfel gebe, wo sind denn all die anderen Menschen?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »der Herzog ist tot. Und jetzt sind alle drüben an der Burg. Hast du das nicht gewusst, Großmutter?«
»Nein, mein Kind, ich war mit anderen Dingen beschäftigt, und ich gehe Menschen, vor allem, wenn es sehr viele sind, lieber aus dem Weg.«
Das Mädchen nahm den Apfel, aber die Frau ließ ihn nicht los. »Bevor ich ihn dir gebe, beiße doch einmal hinein und sage mir, wie er schmeckt.«
»Weißt du nicht, wie ein Apfel schmeckt?«
Für einen Augenblick bekam das Lächeln der Frau etwas Gequältes. »Ich weiß sehr wohl, wie Äpfel schmecken, jedenfalls wusste ich es einmal. Doch ich weiß natürlich nicht, wie dieser Apfel schmeckt, mein Kind. und deshalb musst du den Geschmack für mich beschreiben. Willst du das mir zuliebe tun?«
Das Mädchen nickte ernst und nahm den Apfel nun beinahe ehrfürchtig in die Hand.
»Du musst die Augen schließen, Kind, dann ist der Geschmack stärker.«
Das Mädchen gehorchte, schloss die Augen und biss voller Vorfreude in den roten Apfel. »Süß«, sagte es kauend, »und ganz viel Saft.« so sah es das ernste Lächeln nicht, und es sah nicht, wie die Frau einen sehr schmalen Dolch aus den Falten ihres Gewandes hervorzog. Nur das Geräusch, als der Stahl aus der Scheide fuhr, das hörte es, aber es öffnete die Augen nicht, denn der Apfel schmeckte einfach zu süß.
Erstes Buch
Erster Tag
Es war nur ein kleiner Ausschnitt der Welt, den Prinz Sahif at Hassat durch den Eingang des Stollens sehen konnte. Der Schnee schmolz selbst hier in den Bergen schnell von den Felsen. Es war ruhig dort draußen, nur ein stetiges Tropfen war zu hören, und nichts, nicht einmal ein Tier, rührte sich. Sahif hatte sich in der Nacht in dem Bergwerk versteckt. Erst hatte er sich in der Tiefe des Stollens verkrochen, aber bald bemerkt, dass dieser nicht so tief war, wie er es sich gewünscht hätte. Es war eines der Silberbergwerke, die einst so zahlreich um Atgath herum entstanden und alle schnell wieder aufgegeben worden waren, weil die Mahre das Silber, das es eigentlich reichlich in diesen Bergen gab, vor den Menschen versteckt hatten. Das hatten sie ihm selbst erzählt, diese Berggeister, die den alten Geschichten entstiegen zu sein schienen.
Es war ein schlechtes Versteck, aber Sahif hatte kein besseres. Also blieb er in der Nähe des Ausgangs und starrte Stunde um Stunde hinaus. Er konnte dort draußen immer noch nichts entdecken, was gefährlich aussah, und gerade das weckte sein Misstrauen. sollte er seinen Verfolgern wirklich entkommen sein? Die ganze Stadt war doch hinter ihm her, und im letzten Licht des vorigen Abends hatte er weit unterhalb am Berg schwarze Punkte gesehen - Männer, die ihm seine Schwester Shahila auf den Hals gehetzt hatte. Er war sich beinahe sicher, dass es die Berg Krieger waren, die Shahila nach Atgath mitgebracht hatte - seine Halbschwester, die den Herzog ermordet und Sahif zum Sündenbock für dieses Verbrechen auserkoren hatte. Er wurde zornig, wenn er an sie dachte, und das war gut, denn der Zorn war besser als die Leere, die er sonst in sich spürte. Vielleicht hätte er sie doch töten sollen, wie es die Mahre verlangt hatten - er hatte große Lust dazu verspürt, aber zu lange gezögert. Früher hätte er ihr bestimmt kalten Herzens die Kehle durchgeschnitten, aber dieser Mann war er nicht mehr. Er hatte sein Gedächtnis verloren, und was er nach und nach über sein altes ich erfahren hatte, war erschreckend und verstörend. Vieles war möglicherweise gar nicht wahr, denn das meiste hatte ihm seine Halbschwester erzählt, und die hatte ihn belogen, betrogen und benutzt, wie er leidvoll hatte erfahren müssen. Ja, inzwischen bereute er es, dass er sie nicht umgebracht hatte, aber als er seinem Zorn und dem Blutdurst endlich freien Lauf hatte lassen wollen, hatte sie sich hinter der Magie versteckt, die eigentlich den toten Herzog hätte schützen sollen. Sahif verfluchte Shahila, und er verfluchte sein Schicksal, aber beides half ihm nicht weiter.
Er war müde, hungrig, fror, und er wusste nicht, was er tun sollte. nur, dass er nicht bleiben konnte, wo er war, das wusste er. Wenn er wenigstens eine Waffe gehabt hätte! Aber er hatte in dem Stollen nichts Besseres gefunden als den morschen Stiel einer Hacke, der einen mehr als armseligen Knüppel abgab. und da draußen, vor dem Eingang dieses Bergwerks, wartete eine Welt voller Feinde auf ihn. Einmal, als er schon drauf und dran gewesen war hinauszugehen, hatte der klang von leichtem Steinschlag ihn abgehalten. Stundenlang hatte er danach auf die Schneedecke gestarrt, die den Boden vor der Höhle deckte. Sie schmolz dahin, und das war das einzige, was er an Bewegung erkennen konnte. Hieß das nun, dass er seine Jäger abgeschüttelt hatte? Er bezweifelte es, aber er wusste nicht, warum. Vielleicht hätte es ihm der Schatten sagen können, der er gewesen war, bevor er sein Gedächtnis verloren hatte. Aber der alte Sahif schwieg, und das war vielleicht ein gutes Zeichen, denn bislang hatte er sich nur in höchster Not bemerkbar gemacht, hatte gezeigt, dass er noch da war, irgendwo, verborgen in der Leere, die Sahif in sich fühlte und die er loswerden wollte.
Kurz entschlossen erhob er sich und trat hinaus in den Herbsttag, der so überraschend mild über die Berge gekommen war. Sahif kannte sich nicht aus mit Schnee, aber wie er so weiß und unberührt vor ihm lag, kam er ihm einfach nicht richtig vor. Er spähte nach allen Seiten, dann ging er ein paar Schritte hinaus. Da war ein Geruch im Wind, der ihm fehl am Platze schien. Er hielt inne und sog die Luft ein. Es roch schwach nach nassem Leder. Es war schon fast zu spät, als er begriff, was das bedeutete. Er duckte sich, und der Wurfspieß zischte nur fingerbreit über seinen Kopf hinweg, und als er mit einem hässlichen knirschen auf den Fels hinter Sahif prallte, wurde der Schnee zu seinen Füßen lebendig, bekam Hände, Arme, Köpfe und Klingen, wurde zu Männern, die ihn umbringen wollten. Hinter ihm stieß jemand einen durchdringenden Schrei aus. Sahif drehte sich nicht um, auch wenn sein Instinkt es verlangte. Er sah weder nach dem Speerwerfer noch nach dem Mann, der hinter ihm geschrien hatte, denn die drei Krieger, die fast zu seinen Füßen aus dem Schnee aufgetaucht waren, griffen ihn an. Der erste schleuderte eines seiner Kriegsbeile, und Sahif sah, wie es sich in der Luft drehte und direkt auf seine Stirn zusauste. Der nächste stach brüllend mit einem kurzen Speer nach seiner Brust, während der dritte von der Seite angriff und mit seinem Breitschwert ausholte. Sahif reagierte, nein, etwas in ihm reagierte, sagte ihm, was zu tun war, und er tat es, noch bevor er darüber nachdenken konnte. Er sprang mit einer Drehung vor der Speerspitze zurück und spürte den stiel der Wurfaxt, die seine Schläfe streifte. er fiel dem Schwertträger in den Arm und brachte ihn mit einem harten Tritt gegen das Schienbein aus dem Gleichgewicht.
Die eisige Kälte war wieder da, füllte Sahif aus, leitete ihn, ließ ihn schnell und kühl bis ins Mark handeln, so schnell, dass es ihm vorkam, als würde er sich selbst zusehen, als würde ein anderer diese Bewegungen ausführen, das Ausweichen, Zuschlagen und kämpfen, und er sah und hörte alles in kristallener Klarheit: den stoßweisen Atem der Männer, ihr Stöhnen, das Knirschen ihrer Schritte im Schnee und das klirren der Waffen. es war erschreckend und faszinierend zugleich, ein machtvolles Gefühl, und der kalte rausch steigerte sich mit jeder Sekunde des Kampfes. er konnte nicht genug davon bekommen. Der Krieger mit den Äxten schwang sein zweites Wurfbeil und sprang mit einem durchdringenden Schrei auf ihn los. Sahif, der noch mit dem Schwertkämpfer rang, riss den Arm seines Gegners hart nach unten und kugelte ihm die Schulter aus. Der Mann schrie, ließ sein Schwert aber nicht los. Sahif wirbelte herum, riss den Gegner mit und ließ den Krieger mit der Axt genau in die stählerne Spitze des Schwertes laufen. Er registrierte mit durchdringender Klarheit, wie die Spitze durch das lederne Wams in den Leib fuhr, Fleisch und eine Rippe spaltete und sich in die Lunge des Angreifers bohrte. Das Angriffsgebrüll des Mannes erstarb in einem Röcheln.
Sahif rammte das Schwert mit kaltem Zorn tiefer in den Bergkrieger hinein und war erst zufrieden, als er hörte, dass es am Rücken wieder austrat. Der Schwertkämpfer konnte die Waffe nicht länger festhalten und stürzte in den Schnee. Aber der Mann, den das Schwert durchbohrt hatte, griff nach Sahifs Arm und hielt ihn fest, obwohl ein Blick in seine Augen verriet, dass er seinen nahen Tod bereits begriffen hatte. der andere, der sich stöhnend zu ihren Füßen im Schnee wälzte, umklammerte mit dem linken Arm eines von Sahifs Beinen. Der Speerträger! Er hatte den Speerträger aus den Augen verloren! Jetzt hörte er seinen Atem. Er versuchte, sich aus der doppelten Umklammerung loszureißen. Dann fuhr ihm heißer Schmerz in die Seite, etwas durchbohrte sein Fleisch. Er stöhnte auf, fuhr herum und schüttelte den sterbenden Bergkrieger ab. Der dritte Angreifer riss den Speer zurück und holte zum erneuten stoß aus. Sahif sah, dass der Mann auf dem glatten Untergrund keinen festen stand hatte, was ihm einen Augenblick Zeit verschaffte. Er trat nach dem Mann, der seine Beine umklammerte. Als das nicht half, stieß er ihm seinen Knüppel hart ins Gesicht, mehrfach, bis der Mann Zähne spuckte und endlich losließ.
Sahif kam frei, strauchelte und blickte in das grimmige Gesicht des dritten Krieger, der wild zustieß. Rot troff es vom langen Schaft des Speers, und mit beunruhigender Klarheit sah Sahif sein eigenes Blut in den Schnee tropfen. Im Augenwinkel bemerkte er einen weiteren Feind, den, der den Jagdspieß nach ihm geworfen hatte und der nun über das Schneefeld eilte, einen weiteren Spieß in der Hand. er musste hinter einem Felsen auf der Lauer gelegen haben, und etwas in Sahif bewunderte ihn für seine Geduld, denn diesen Felsen hatte er von der Höhle aus im Blick gehabt, und in all den Stunden, die er hinübergestarrt hatte, hatte sich dort nichts gerührt. Er wunderte sich, dass er Zeit für solch seltsame Gedanken hatte, denn gleichzeitig beobachtete er die Spitze des Speeres, der mit tödlicher Geschwindigkeit auf ihn zusauste.
Halb wich er aus, halb stolperte er, was ihn rettete. Er fiel zu Boden, wälzte sich zur Seite und war schneller auf den Beinen, als er es für möglich gehalten hätte. Er hörte einen Schrei und begriff, dass er selbst ihn ausgestoßen hatte. Der schmerz in der Flanke raubte ihm den Atem, und seine Knie zitterten. Er fühlte das warme Blut, das aus der Wunde floss. War dieser Kampf verloren? Ein Teil von ihm verlangte nach dem Blut des Speerträgers, wollte ihm das Genick brechen für die Unverschämtheit, ihn verwundet zu haben, und Sahif war drauf und dran, diesem Verlangen nachzugeben, aber er hatte einen weiteren schrei gehört, in seinem Rücken, als der Kampf begonnen hatte. Da ist noch einer, dachte er und fuhr herum - das hieß, er wollte herumwirbeln, doch die Wunde riss dabei weiter auf. er stöhnte, und seine schnelle Bewegung endete in einem Taumeln.
Dem Speerträger war seine Schwäche nicht entgangen. Er griff wieder brüllend an, und nur mit knapper Not brachte Sahif den Knüppel zwischen sich und die Speerspitze und lenkte sie zur Seite ab. Der Mann mit dem Wurfspeer würde ihn gleich erreichen. Sahif wich zurück. der dritte Feind wartete vor dem Stolleneingang, ein sehr junger Mann, aber schon umsichtig genug, seinen Posten zu halten, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. Der mit dem Wurfspieß hetzte über das Schneefeld, aber unter dem Schnee lag Geröll, und das hielt ihn auf. Sahif warf den Holzknüppel nach dem Mann mit dem Speer, und der sprang zur Seite, als hätte er eine Axt geworfen, stolperte, rutschte aus, verlor seine Waffe und stürzte mit einem Fluch zu Boden. War er nicht leichte Beute? Aber Sahif drehte sich um und hinkte, so schnell er konnte, zum Bergwerkseingang, duckte sich instinktiv und wich so dem Wurfspieß aus, der über das Geröll herangezischt kam. Er stolperte stöhnend weiter und presste die Hand auf die Wunde. Er konnte hören, dass der Mann mit den Wurfspießen sein Schwert zog, das Jammern des Mannes, dem er mit dem Knüppel die Zähne ausgeschlagen hatte, drang an seine Ohren, und er hörte die Flüche des Speerträgers, der versuchte, wieder auf die Beine zu kommen - und das alles war so klar und deutlich, dass er auf den schritt genau die Entfernung hätte bestimmen können, die ihn von diesen Männern trennte. Sie waren nicht weit weg, aber einer war noch näher.
Der Bergkrieger vor dem Stollen erwartete ihn, in seiner Hand blitzte ein langes Messer. Es war eher ein Junge als ein Mann. Sahif sah in aller Deutlichkeit die Narben auf seiner Wange, die verrieten, dass dieser Gegner trotz seiner Jugend schon einige kämpfe hinter sich haben musste. sein Lederpanzer war abgetragen, vielleicht ein Erbstück, und er war an den Seiten geschnürt, nicht genäht. Der junge Krieger tat Sahif nicht den Gefallen anzugreifen, er wartete ab, und Sahif hörte hinter sich die anderen herankeuchen. Sie waren in seinem Rücken, sie waren zu zweit, und sie waren nicht verwundet. Trotzdem, du kannst sie töten, raunte es in ihm, aber Sahif hinkte weiter. Es reichte nicht, diesen einen Kampf zu gewinnen. Am Vorabend waren weit mehr Punkte am Berg gewesen als diese fünf. die anderen konnten nicht weit sein, und er sah nur noch eine Möglichkeit zu entkommen: Er hielt den Atem an, weil dadurch der schmerz gedämpft wurde, und sprang auf den jungen Krieger los, ohne recht zu wissen, was das werden sollte.
Die klinge schnitt durch die Luft, er wich ächzend aus, und der schmerz seiner Wunde meldete sich so stark und frisch, dass er schon glaubte, der Junge habe ihn erwischt. Plötzlich hielt er den Messerarm seines Gegners umklammert. Kurz rangen sie, Augenblicke nur, Leib an Leib, und Sahif beobachtete sich selbst, wie er dem anderen das Messer entwand, es ihm mit Wucht in die Seite rammte, dort, wo die lockere Schnürung des Wamses den Feind am verwundbarsten machte. Der andere stöhnte auf, und sein Körper erschlaffte. Sahif, der plötzlich gar nicht mehr wusste, wie er das gemacht hatte, stolperte über den fallenden Körper und flüchtete in die Höhle. Er taumelte in die schützende Dunkelheit, ging in die Knie, und erst dann begriff er, dass er ein tödlichen Fehler begangen hatte: Er hätte nicht in das alte Bergwerk flüchten dürfen. Vor ihm lagen nur Sackgassen, er konnte sich lediglich aussuchen, in welcher er sein Ende erwarten wollte. Er blickte noch einmal zurück. Die Krieger sammelten sich um den Jungen, den er erledigt hatte, aber sie zögerten, sich ihm zu nähern, fast als hielten sie den Tod für etwas Ansteckendes. Er schleppte sich weiter hinab in die Dunkelheit. draußen erklang ein dünnes Hornsignal. Also riefen sie nach Verstärkung. Sahif fluchte leise und lauschte dem verklingenden echo. Er versuchte sich zu erinnern, welcher Gang am weitesten in den Berg hineinführte, und tastete sich durch die Finsternis voran. Er würde es seinen Verfolgern auf keinen Fall leicht machen, aber dennoch, es sah so aus, als würde seine Schwester doch noch das bekommen, was sie wollte - einen toten Sündenbock.
Shahila von Taddora konnte den Blick nicht von dem großen gemauerten Würfel abwenden, der die Mitte der Kammer ausfüllte. Die steine waren viel genauer ineinandergefügt, als Menschen es vermocht hätten, die Fugen waren kaum zu erkennen, und kein spalt, kein Zeichen deutete auf einen Zugang zum inneren hin, den es doch geben musste. Sie saß auf der gemauerten Einfassung des runden Teichs, in dessen Mitte der Würfel ruhte, und strich mit der Hand durch die träge Flüssigkeit. Es war kein Wasser, auch wenn es beinahe so aussah, es war weder warm noch kalt, roch nach nichts, und Shahila nahm an, dass es auch nach nichts schmecken würde, wenn sie es denn probiert hätte. Ihre Hand verursachte keine Wellen, eigentlich war es, als hätte sie diese Flüssigkeit nie berührt. Stattdessen sah es so aus, als würden immer wieder Wellen vom Würfel ausgehen, langsam über die glatte Oberfläche zum Rand laufen und dort einfach enden. Shahila schöpfte mit der Linken ein wenig Flüssigkeit heraus und betrachtete sie fasziniert. Es waren nur ein paar Tropfen, aber wie bei all den Versuchen zuvor verharrten sie nicht in ihrer gewölbten Hand, sondern folgten der Herzlinie, als sei sie ein Kanal, flossen aufwärts und tropften von ihrer Handkante zurück in den Teich. Sie sah genau hin. die Flüssigkeit schluckte die Tropfen, und wieder gab es keine Wellen außer denen, die der gemauerte Würfel auszusenden schien. Da war er also, der Zugang zur Magie, zu unbegrenzter Macht, zum Greifen nah. Aber noch blieb er ihr verschlossen.
»Ich dachte mir schon, dass ich euch hier finde, Hoheit«, sagte eine vertraute Stimme.
»Almisan, was gibt es?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
Der Hüne räusperte sich. »Der Baron verlangt nach euch, Hoheit.«
»Bald kannst du ihn Herzog nennen, und Hoheit, wie du es bei mir immer tust, obwohl ich auch nur eine Baronin bin.« sie stand auf. »Und warum verlangt Beleran nach mir? Hat er einen bestimmten Grund, oder ist er wieder nur von seiner Trauer überwältigt?«
»Der Leichnam von Herzog Hado ist balsamiert und unten in der Halle aufgebahrt, wie es die hiesigen Gebräuche verlangen. Euer Gatte erwartet euch dort zur Totenwache, denn auch das ist in diesem Lande Sitte.«
»Ist es schon so spät?«, fragte sie. Die Kammer hatte keine Fenster, nur einige Lampen erhellten den niedrigen Raum. Und der schwarze Teich schien auf widersinnige Art die Kammer ebenfalls zu erhellen. Sie seufzte. Natürlich musste sie in den nächsten Stunden an der Seite ihres Mannes sein, das war unvermeidlich. Aber sie fühlte Widerwillen dagegen, Totenwache bei einem Mann zu halten, den sie selbst getötet hatte. »In alten Geschichten heißt es, ein Leichnam könne seinen Mörder durch Blut anklagen, wenn der an seinen Sarg tritt«, sagte sie nachdenklich.
»Das sind nur Geschichten, Hoheit. Hado ist tot, seine Seele fort. er kann euch nicht mehr verraten.«
»Das weiß ich«, murmelte Shahila. »Wie lange bahren sie ihn auf ? Zwei Nächte, nicht wahr? ist es nicht erstaunlich, wie viel Zeit sie sich in diesem Land lassen? In Oramar wäre er schon unter der Erde.« Und ich müsste ihn nicht mehr sehen, dachte sie.
»Oramar ist ein heißes Land, Hoheit, und wir müssen unsere Toten schnell unter die Erde bringen. Hier, in diesen kalten Gefilden, nehmen sie eben länger Abschied. Aber ich gebe zu, dass ich es ebenfalls befremdlich finde. Man könnte glauben, sie gönnten den Toten die ruhe des Grabes nicht.«
»Und mein Gatte? Wie erträgt er es?«
»Der Baron ist immer noch in tiefer Trauer versunken. Ich fürchte, er wird in dieser Angelegenheit keine sehr gute Figur machen, Hoheit.«
»Er trauert nicht nur um Hado, Almisan, er macht sich sorgen, weil er befürchtet, dass seine beiden anderen Brüder ebenfalls tot sind.« Und auch diese Männer habe ich auf dem Gewissen. sie konnte ihren Blick nicht von dem grauen Würfel in der Mitte der Kammer lösen. War sein Geheimnis all diese Toten wert?
»Hoffen wir, dass er zu recht um sie fürchtet«, erwiderte Almisan trocken. »Dann wird er Herzog von Atgath. er sollte sich etwas mehr um Haltung bemühen.«
Shahila lächelte. »sieh es ihm nach, Almisan. Es ist viel Unheil über ihn hereingebrochen, und er wollte diese Krone niemals haben. Er ist nicht vorbereitet auf dieses Amt, und seine Schultern sind die Last der Verantwortung nicht gewöhnt. Und auch deshalb will er nicht wahrhaben, dass seine Brüder tot sind. Die Menschen in der Burg lieben ihn dafür.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das Haltung oder Feigheit ist, Hoheit.«
Endlich drehte sich Shahila um und bedachte ihren Vertrauten mit einem strafenden Blick. »Wir sind alle über den Tod von Olan, Gajan und seiner Familie zutiefst erschüttert, Almisan. Wenigstens sollten wir so tun.«
»Es steht leider noch nicht fest, dass sie tot sind, Hoheit.«
»Quent hat es gesehen. und der alte Zauberer war vielleicht ein Narr, aber er verstand sein Handwerk.«
»Aber ihr habt selbst gesagt, dass er sich nicht völlig sicher war, Hoheit.«
»Er wollte es nur nicht wahrhaben, Almisan. Aber ihr Schiff muss untergegangen sein, sonst hätten wir längst von ihnen gehört. «
»Das mag sein, Hoheit, allerdings haben wir auch nichts von dem Schatten gehört, der das Schiff versenken sollte. Und wenn ich euch richtig verstanden habe, gibt es auch nichts neues über den Schlüssel.«
Shahila nickte. Der Schlüssel, das magische Wort, das den Würfel öffnen würde: Er wurde von Herzog zu Herzog vererbt in einer Linie, die seit sechshundert Jahren nicht unterbrochen worden war. Jedoch war auch noch nie ein Herzog von Atgath ermordet worden. »Noch ist er nicht bei Beleran angekommen«, sagte sie und nagte an ihrer Unterlippe.
»Ist es möglich, dass er es verheimlicht, Hoheit?«
»Er ist viel zu erschüttert, um etwas vor mir zu verbergen. er hat fast die ganze letzte Nacht um seine Brüder geweint, Almisan, geweint! und er hätte wohl nie aufgehört, wenn ich ihm nicht ... Trost gespendet hätte.«
»Ist denn bekannt, wie lange es dauert, bis der Schlüssel von einem Herzog zum anderen ...«
»Beleran sagte einmal, dass es sofort geschehe. Sobald der Herzog tot sei, erfahre sein Erbe das Wort.« Aber dann dachte sie an ein Bild, das ihr nicht aus dem Kopf gehen wollte: Sahif, wie er neben dem sterbenden Herzog kniete und dieser ihm irgendetwas zuflüsterte. War es möglich, dass ...? Nein, das durfte einfach nicht sein! Aber falls doch? Nun, die Bergkrieger waren ihm auf den Fersen. Wenn Sahif das Wort hatte, dann würde er sich nicht lange daran erfreuen können.
»Ihr habt euch Zeit gelassen«, stöhnte Sahif und tastete mit der Linken nach der Wunde in seinem Rücken. Warmes Blut quoll ihm über die Finger. Er blickte an die Decke des niedrigen Stollens: Darüber türmten sich tausende Tonnen Fels, die schwer und irgendwie unheilvoll über ihm hingen.
»Es ist weit von Atgath hier herauf«, erwiderte Marberic. Im grünlichen Licht seiner Laterne war schwer zu unterscheiden, ob sein Blick besorgt oder doch eher vorwurfsvoll war. Amuric, der zweite Mahr, sagte etwas in der knirschenden Sprache seines Volkes.
»Er meint, du hättest uns rufen sollen«, übersetzte Marberic.
»Rufen? durch den Berg? Woher ...« er beendete den Satz nicht, denn ihm wurde schwindlig, und er ging in die Knie.
»Du kannst heilen. Ich habe es gesehen, bei Ela Grams, in der Burg«, meinte Marberic und wies auf die Wunde.
»Schön. Vielleicht weißt du auch, wie ich das angestellt habe. Ich habe es nämlich vergessen«, keuchte Sahif. Er berührte die Wand. Massiver Fels, undurchdringlich. Und doch hatten die Mahre ihn eben da hindurchgezogen. Die Männer, die ihn gejagt hatten, waren vermutlich auf der anderen Seite der Wand. Er hatte noch gehört, wie sie in die Stollen vorgedrungen waren. Und gerade als er sich auf den letzten Kampf vorbereitet hatte, hatte ihn eine Hand am Kragen gepackt und durch das Gestein gezogen. Einfach so, als sei es nicht fester als Nebel. die Mahre hatten ihm in den Gängen unter Atgath gesagt, dass sie durch Wände gehen konnten, aber es war das eine, davon zu hören, und etwas ganz anderes, es am eigenen Leib zu erfahren.
Sahif versuchte sich aufzurichten, aber der schmerz war noch da. Jetzt, wo die Anspannung nachließ, schien er sogar stärker zu werden. Er zog seine Hand von der Wunde und betrachtete sie. Sie war voller Blut. Sie schien vor seinen Augen zu verschwimmen. Er blinzelte; er durfte das Bewusstsein nicht verlieren.
Marberic beugte sich über ihn. »Gut. Ich sagte ja, dass du heilen kannst. Es hat aufgehört zu bluten«, stellte er dann fest.
»Fühlt sich aber nicht so an.«
Der Mahr zuckte mit den schmalen Schultern. »Du wirst leben. «
»Und deine Schwester auch«, sagte Amuric, der die Menschensprache sonst so selten verwendete, und er klang ausgesprochen unfreundlich.
»Halbschwester«, murmelte Sahif.
»Sie hat den Schlüssel nicht bekommen«, warf Marberic ein, worauf Amuric wütend etwas knirschte, sich umdrehte und verschwand.
»Was hat er gesagt?«
»Dass sie das Wort doch noch bekommt, wenn du dumm bist und dich umbringen lässt«, übersetzte Marberic.
»Schön«, erwiderte Sahif. das magische Wort. Es war da, in seinem Kopf. Er hätte es nicht aussprechen oder aufschreiben können, aber es stand klar und fest in seinen Gedanken, wie in Stein gemeißelt. Er richtete sich vorsichtig auf und lehnte sich an die Wand. Sie war hart, kalt, undurchdringlich, aber sie hatten ihn hindurchgezogen. »Wie«, fragte Sahif, »Wie habe ich das Wort bekommen können, wo es doch sonst nur von Herzog zu Herzog geht?«
»Du hattest unseren ...« - Marberic knirschte ein Wort in der Mahrsprache, als suche er nach einer richtigen Übersetzung - »... Segenszauber«, fuhr er schließlich fort. »und Hado lag im Sterben, da sind alle Zauber schwach, selbst unsere. Man kann sie brechen.«
»Brechen ...«, murmelte Sahif und befühlte wieder seine Wunde. Die war geschlossen. Anscheinend verfügte er wirklich über heilende Kräfte. War das bei allen schatten so?
Ihm war, als würde es im Gestein silbern glitzern. Er hatte gehört, dass die Mahre das begehrte Erz vor den Menschen versteckt hatten, weil es tief unter dem Silber etwas gab, was Menschen nicht finden durften - Magie, in ihrer reinsten und mächtigsten Form. So hatte Marberic es ihm erklärt, als sie durch die Stollen unterhalb der Stadt gewandert waren. Er fragte sich, wie viele Hoffnungen wohl damals begraben worden waren, als die Mahre die Silberadern versteckt hatten. Ela hatte ihm davon erzählt. »Ela Grams!«, rief er und sprang auf. Der stechende schmerz zwang ihn aber gleich wieder in die Knie. die Wunde mochte er ja irgendwie geschlossen haben, aber sehr weit konnte es mit seinen Heilfähigkeiten wohl doch nicht her sein.
»Sie hat auch nach dir gefragt«, meinte Marberic.
»Wie geht es ihr?«, stieß Sahif hervor.
»Sie ist zäh.«
»Und wird sie wieder gesund?«
Der Mahr zuckte mit den Achseln. Sein bleiches Gesicht wirkte beinahe teilnahmslos. »Wer kann es wissen? Ihr Menschen seid grob geschaffen und rau, und doch so leicht umzubringen. «
»Marberic, bitte, wie geht es ihr?«
»Sie hat keine Krankheit, keine schwere Wunde, doch viel Blut verloren. Mehr als du. Ich weiß nicht, wie das ausgeht.«
»Ich muss zu ihr!«
Marberic nickte, sah Sahif aus seinen dunklen Augen an und fragte unvermittelt: »Warum hast du deine Schwester nicht getötet? «
Sahif setzte zu einer langen Antwort an, doch dann bezweifelte er, dass der Mahr seine widerstreitenden Gefühle verstehen würde. »Sie versteckte sich unter einem Zauber, der die Kammer des Herzogs schützte.« Ja, ein mächtiger Zauber hatte sie geschützt, sie, nicht den Herzog, den sie aus der Kammer gelockt und getötet hatte.
»Die Säulen des Friedens«, meinte Marberic unbewegt. »Sie schützen auch jene, die Übles wollen.«
»Mir ist gleich, wie der Zauber heißt, aber er hat mich daran gehindert, Shahila umzubringen«, behauptete Sahif und verschwieg seine Zweifel, ob er es wirklich über sich gebracht hätte.
»Daraus wird viel Unheil erwachsen«, sagte der Mahr, aber es klang nicht wie ein Vorwurf, eher wie eine schlichte Feststellung.
Wenn sie nur lange genug hinüberstarrte, kam es ihr so vor, als würde sich der Würfel in seinem schwarzen Teich tatsächlich sacht bewegen. Beinahe zwei Jahre hatte Shahila an ihrem Plan gearbeitet, hatte Hindernisse überwunden und Feinde aus dem Weg geräumt, war endlich am Ziel - und war es doch noch nicht ganz. Graue, unscheinbare, aber ohne Zweifel magische undurchdringliche Mauern standen zwischen ihr und der größten Macht der Welt. Und um sie zu überwinden, brauchte sie den Schlüssel, das magische Wort. Shahilas Miene verdüsterte sich. Sie dachte daran, wie der Herzog auf der Schwelle seiner Kammer gestorben war, in den Armen Sahifs. sie konnte das Gesicht ihres Halbbruders nicht vergessen, der auf die letzten Atemzüge des Herzogs gelauscht hatte. Sahif der Narr, Sahif der Sündenbock, Sahif, der erst viel zu spät gemerkt hatte, dass sie ihn in die Falle gelockt hatte. Und dann dieser Ausdruck, den sie nicht recht beschreiben konnte. Überraschung, ja, Zorn ohne Zweifel, aber auch ... Triumph.
»Sahif hat es«, sprach sie schließlich mit gepresster Stimme das aus, was sie befürchtete.
Almisan schwieg eine Weile, bevor er bedächtig sagte: »Das ist schwer vorstellbar, Hoheit. Er ist nicht der Erbe des Herzogs, und nach allem, was wir wissen, kann nur der das Wort erfahren.«
»Dann wissen wir vielleicht einfach zu wenig, Almisan! Diese Zauber sind alt, die Berggeister selbst haben sie gewoben. Was verstehen wir schon davon? Nein, Sahif hat es an sich gebracht. Ich bin mir fast sicher. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber er hat uns den Schlüssel geraubt!«
»So sollten wir den Bergkriegern sagen, dass sie ihn nicht umbringen dürfen?«
Shahila dachte einen Augenblick nach. »Das Wort kann nicht verloren gehen. Wenn Sahif stirbt, kommt es also zu uns, zu Beleran«, behauptete sie.
»Seid ihr da sicher, Hoheit? Er hätte es doch gar nicht erst bekommen dürfen - wenn er es denn überhaupt hat.«
Shahila schüttelte den Kopf und blickte über den Teich. es gab nicht einmal einen Steg oder Trittsteine. Sie hatte schon in Erwägung gezogen, einfach hinüberzuwaten, aber es dann doch nicht gewagt. Mit einer unwilligen Geste schlug sie ihren Kragen hoch. Es war kalt in dieser Burg, selbst in dieser Kammer, so wie in diesem ganzen armseligen Land. »Es ist müßig, weiter zu raten, Almisan. Hier geht es um Dinge, von denen wir beide nicht genug verstehen. Vielleicht wird es Zeit, Meister Hamoch um Rat zu fragen.«
Almisan verzog keine Miene, aber er sagte: »Dieser Zauberer ist eine Enttäuschung, Hoheit, ein Feigling und ein Verbündeter, auf dessen Treue wir nicht rechnen können. Wir hätten ihm gar nicht einreden müssen, dass Quent ein Verräter war. Er wollte weder euch noch die Stadt retten, er hatte nur Angst um sich und seine dunklen Forschungen.«
»Wir haben nun einmal keinen anderen, Almisan«, sagte Shahila mit einem flüchtigen Lächeln.
»Ja, es ist mehr als bedauerlich, dass wir Quent nicht auf unsere Seite ziehen konnten.«
Shahila nickte. der alte Zauberer hatte ihr ebenfalls imponiert, und sie musste zugeben, dass sie seine Macht unterschätzt hatte. Als sie ihn angriffen, hatte er aus heiterem Himmel einen Schneesturm beschworen! Was für eine Kraft! Doch besiegt hatten sie ihn am Ende doch, und der Schnee, den er gerufen hatte, schwand fast so schnell, wie er gekommen war. Der mächtige Nestur Quent war tot. Almisan hatte ihn erledigt, mit der Hilfe von Bahut Hamoch - und einigen Fässern Sprengpulver -, ein Ende, dass der Rahis als »unwürdig« bezeichnet hatte. Vielleicht hatte er sogar Recht, aber Shahila kam es nicht auf Würde, sondern auf das Ergebnis an.
»Was tut der neue Kanzler und erste Zauberer von Atgath eigentlich gerade?«, fragte sie.
»Er trifft die notwendigen Vorkehrungen für die Bestattung des Herzogs, aber jede Sekunde, die er übrig hat, verbringt er in den Katakomben. ich nehme an, er züchtet aus den Toten des vergangenen Tages neue Sklaven.«
»Die Homunkuli! Gib zu, dass sie beeindruckend sind, Almisan. «
Der Hüne zuckte mit den Schultern. »Beeindruckend? sie scheinen ganz nützlich zu sein, wenn es um niedere Arbeiten geht, aber sie sind kurzlebig und auch leicht zu töten, diese Wesen, und er muss sie vor den Augen anständiger Menschen verstecken, denn es ist doch offensichtlich, dass er das Wissen um ihre Erschaffung aus verbotenen Pergamenten gelernt hat.«
»Aus Pergamenten, die wir ihm verschafft haben«, erwiderte Shahila lächelnd. »sobald Hado in der Gruft ruht, geh zu ihm, Almisan. Mach ihm klar, dass es wichtigere Dinge zu tun gibt, als mit diesen kleinen Kreaturen zu spielen. und jetzt lass uns gehen. ich hoffe, mein Gemahl ist gefasst genug, die Totenwache ohne Schwächeanfall zu überstehen.«
»Ahnt er wirklich nicht, was geschehen ist, Hoheit?«
»Er vertraut mir blind, Almisan, und er glaubt, was ich ihn glauben lasse. Dieser Narr ist so verliebt in mich, dass er mir vielleicht sogar danken würde, wenn er wüsste, dass ich ihm auf den Thron geholfen habe.« sie seufzte. es klang härter, als sie es meinte, auch wenn es die Wahrheit war. Beleran hatte seine guten Seiten. Aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.
Der Rahis schüttelte den Kopf. »Der Baron versteht vielleicht nicht viel von den verschlungenen Pfaden der Macht, Hoheit, aber er ist im inneren aufrecht. Er wird sich niemals unserer Sache anschließen.«
Shahila hätte nicht gedacht, dass Almisan eine so hohe Meinung von Beleran hatte. »Vielleicht hast du Recht. Ich habe auch keineswegs vor, ihn einzuweihen, weder jetzt noch irgendwann. Er ist wirklich ehrlich, vielleicht sogar zu ehrlich, um in Zeiten wie diesen eine Herzogskrone zu tragen.«
Almisans Gesicht blieb völlig unbewegt, als er sagte: »Ich verstehe, Hoheit.«
Shahila wurde es plötzlich kalt. Sie eilte mit einem eigentümlichen Gefühl der Bestürzung aus der Kammer. Es würde der Tag kommen, an dem Beleran nicht mehr von Nutzen für ihre Pläne war, und sie hatte Vorbereitungen für diesen Tag getroffen. Und es war so, wie Almisan sagte: Er war ein im innersten aufrechter Mann, er würde vielleicht sogar versuchen, sich ihr in den Weg zu stellen. Schon jetzt wollte er doch nicht Herzog werden, obwohl seine Brüder und seine Neffen tot waren. Er redete stattdessen davon, dass Olan und Gajan nur vermisst seien, und weigerte sich einfach zu akzeptieren, dass sie schon längst kalt auf dem Meeresgrund ruhten.
Prinz Gajan schaufelte mit einer zerbrochenen Schiffsplanke schwarzen Sand aus einer flachen Grube.
»Ihr solltet eure Kräfte schonen, Prinz«, meinte eine freundliche Stimme.
Gajan blickte kurz auf und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Dann grub er verbissen weiter. Der grobkörnige Sand rutschte jedoch immer wieder zurück. Keuchend hielt Gajan schließlich inne. »Wie wäre es, wenn du an meiner Stelle hier weitermachen würdest, Kumar?«
Der dunkelhäutige Mann schüttelte den Kopf. »Es war nicht meine Idee, den Mann zu bestatten, Prinz. Ich werde meine Kraft für wichtigere Dinge sparen. Warum übergebt ihr ihn nicht einfach dem Meer, das auch all die anderen verschlungen hat? Es ist nicht wählerisch, wisst ihr?«
Gajan richtete sich auf. Wogen rollten gegen die winzige Insel, auf der sie Zuflucht gefunden hatten. Insel? Es waren nur einige schwarze Felsen, zwischen denen sich grober Sand gesammelt hatte. Im Morgengrauen, als sie, erschöpft von ihrer Irrfahrt, dort eingeschlafen waren, wo es sie angespült hatte, war die Flut gekommen und hatte die Insel überrollt. Wäre Kumar nicht gewesen, hätten sie das Floß verloren, aber er hatte sie dazu gebracht, mit der Flut darum zu kämpfen, anstatt sich einfach auf die Felsen zu flüchten. Gajan grub weiter. Im Schatten eines der dunkelgrauen Felsen kauerten die übrigen Überlebenden. Sieben, mehr waren nicht übrig. Als ihr Floß aus Trümmern sie hierhergetragen hatte, waren sie noch zu neunt gewesen. Aber einer war spurlos verschwunden, vom Meer verschlungen, als sie um das Floß gekämpft hatten. Sie hatten es erst gemerkt, als sie diese Ansammlung von zerbrochenen Planken hinter einem Felsen halbwegs gesichert hatten.
Gajan lief der Schweiß in die Augen. Der Mann, den er unbedingt beerdigen wollte, war verletzt gewesen. Kumar hatte schon auf dem Floß vorhergesagt, dass er es nicht lange machen würde. Gajan hatte es bestritten und versucht, allen Mut zuzusprechen, obwohl er doch selbst beinahe alle Hoffnung verloren hatte. sie hatten den Verletzten mühsam auf den größten der Felsen gezogen, aber dann war er doch gestorben, wie Kumar es vorhergesagt hatte.
1. Auflage Originalausgabe Januar 2013 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Radom House GmbH, München Copyright © 2013 by Torsten Fink
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Autoren-Porträt von Torsten Fink
Torsten Fink, Jahrgang 1965, arbeitete lange als Texter, Journalist und literarischer Kabarettist. Außerdem schrieb er unter seinem Pseudonym Arthur Philipp die Trilogie »Der graue Orden« um die Dunkelmagierin Feja. Er lebt und schreibt heute in Mainz.
Bibliographische Angaben
- Autor: Torsten Fink
- 2012, Originalausgabe, 736 Seiten, Maße: 13,4 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442268575
- ISBN-13: 9783442268573
- Erscheinungsdatum: 12.12.2012
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