Der Streit um das VW-Gesetz
Wie Europäische Kommission und Europäischer Gerichtshof die Unternehmenskontrolle liberalisieren. Dissertationsschrift
Schriften aus dem Max- Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
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Produktinformationen zu „Der Streit um das VW-Gesetz “
Schriften aus dem Max- Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
Klappentext zu „Der Streit um das VW-Gesetz “
Eine Vereinheitlichung der Unternehmenskontrollsysteme in der EU ist bis heute an den gegensätzlichen Interessen der Mitgliedstaaten gescheitert. Inzwischen haben die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof begonnen, eigenständig marktliberale Vorgaben zur Regulierung der Unternehmenskontrolle durchzusetzen. Benjamin Werner rekonstruiert diese Entwicklung anhand der Auseinandersetzungen um "Goldene Aktien" und das deutsche VWGesetz. Dabei deckt er die politischen Bedingungen auf, die es den supranationalen Organen ermöglichen, bedeutende Integrationsfortschritte gegen den Willen der Mitgliedstaaten zu erzielen.
Lese-Probe zu „Der Streit um das VW-Gesetz “
Das 1960 erlassene "Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagen GmbH in private Hand" - kurz VW-Gesetz - regelte die Machtverhältnisse beim Volkswagen-Konzern (VW), Europas größtem Automobilhersteller und einem der bedeutendsten Unternehmen in Deutschland. Besonderes Merkmal des Gesetzes war, dass den Arbeitnehmern sowie dem Land Niedersachsen, Heimat der Wolfsburger Konzernzentrale und Großaktionär des Unternehmens, erweiterte Mitsprache- und sogar Vetomöglichkeiten bei wesentlichen Unternehmensentscheidungen eingeräumt wurden. Wirtschaftsliberale haben diese Regelung deshalb immer wieder als Ausdruck von "Staatssozialismus" gebrandmarkt. Andere hingegen, wozu vor allem niedersächsische Politiker, VW-Betriebsrat und Gewerkschaftsfunktionäre gehören, verteidigten das Gesetz stets als "Symbol" der "deutschen Variante des sozial gebändigten Kapitalismus". Mit Erfolg: Bis ins neue Jahrtausend hinein konnten sie verhindern, dass das Gesetz entscheidend verändert oder abgeschafft wurde.Dies änderte sich jedoch, als die Europäische Kommission 2001 begann, juristisch gegen das Gesetz vorzugehen. Die Brüsseler Behörde betrachtete die deutsche Regelung als Verstoß gegen die europäische Kapitalverkehrsfreiheit, da zentrale Bestimmungen des Gesetzes den Einfluss privater Aktionäre auf die Kontrolle des Unternehmens beschränken und somit die Attraktivität einer Investition in das Unternehmen verringern würden. In Deutschland sorgte dieses Vorgehen für erheblichen Unmut, und es entstand eine breite politische Koalition, die auf den Erhalt des Gesetzes drängte. Doch die Kommission beharrte auf ihrem Standpunkt, und so wurde der Streit schließlich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen. Dieser gab der Kommission im Oktober 2007 weitgehend recht und verwarf zentrale Bestimmungen des VW-Gesetzes. Nun, so frohlockten manche, könne VW endlich zu einem "normalen Unternehmen" werden, das nicht länger vor "dem harten Wind des Wettbewerbs" geschützt
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werde. Für andere hingegen war die EuGH-Entscheidung "ein Rückschlag für die aufkeimenden Hoffnungen der Menschen auf eine soziale Ausrichtung der Europäischen Union".
Der Streit zwischen Kommission und Deutschland um das VW-Gesetz ist kein Einzelfall, sondern vielmehr eine einzelne, wenngleich besonders wichtige Etappe eines größeren Konflikts zwischen der Brüsseler Behörde und den Mitgliedstaaten um die Rolle des Staates bei der Kontrolle bedeutender Unternehmen. Bereits seit Ende der 1990er-Jahre hatte die Kommission damit begonnen, systematisch gegen sogenannte Goldene Aktien vorzugehen. Dieser Begriff bezeichnet Sonderrechte, die dem Staat spezielle Kontrollbefugnisse in einzelnen Unternehmen einräumen. In der Europäischen Union (EU) wurden diese Regelungen hauptsächlich im Zuge der Privatisierungen ehemaliger Staatsbetriebe eingeführt, insbesondere in den späten 1980er- und 1990er-Jahren. Viele Mitgliedstaaten griffen auf dieses Instrument zurück, um auch über die Privatisierung hinaus Einfluss auf die Unternehmen, die oftmals von großer ökonomischer oder politischer Bedeutung für die jeweiligen Volkswirtschaften waren, ausüben zu können. In manchen Fällen waren die Privatisierungen gar erst durch den Erhalt solcher Sonderrechte innenpolitisch durchsetzbar. Die Kommission sah in diesem Instrument jedoch eine unzulässige Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und leitete gegen zahlreiche Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein, wovon sich eines auch gegen das VW-Gesetz richtete. Da die von den Verfahren betroffenen Mitgliedstaaten die Rechtsauffassung der Kommission allerdings nicht durch geltendes EU-Recht gedeckt sahen, musste in beinahe allen Fällen der EuGH über die Rechtmäßigkeit von Goldenen Aktien und VW-Gesetz befinden. In seinen Urteilen bestätigte der Gerichtshof schließlich fast gänzlich die Position der Kommission und schränkte damit den Gebrauch solcher Sonderrechtsbestimmungen durch die Mitgliedstaaten drastisch ein.
Das juristische Vorgehen der Kommission sowie die Bestätigung der von ihr vertretenen Rechtsauffassung durch den EuGH sind äußerst bemerkenswert. Denn die supranationalen Organe griffen hiermit in ein Politikfeld ein, das sich die Mitgliedstaaten bislang zur eigenständigen Regelung vorbehalten hatten. Die Auseinandersetzungen um Goldene Aktien und VW-Gesetz drehten sich nämlich wesentlich um die Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten dazu berechtigt sind, die interne Organisationsstruktur eines Unternehmens nach eigenen Vorstellungen rechtlich zu gestalten. Diese Frage bildet den Kern des Politikfelds der Unternehmenskontrolle (Corporate Governance). Darunter werden all jene gesetzlichen Regeln gefasst, die die formalen Entscheidungsstrukturen in einem Unternehmen bestimmen. Sie legen fest, wer darüber entscheiden darf, welche Ziele ein Unternehmen wie verfolgt. Ihre Ausgestaltung ist von erheblicher politischer Bedeutung, da sie die Funktionsweise der zentralen Organisationen der Wirtschaft maßgeblich bestimmen und damit Einfluss auf Beschäftigung und Wohlstand haben. Weil die Vorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten über die "richtige" Gestaltung dieser Regeln aber erheblich voneinander abweichen, ist es bis heute nicht gelungen, einheitliche Vorgaben für diesen Politikbereich im europäischen Recht zu verankern. Zu groß waren die Widerstände der Mitgliedstaaten gegen das Abweichen oder gar Aufgeben zentraler Merkmale ihrer bestehenden Unternehmenskontrollsysteme. Wenn überhaupt europäische Regelungen auf diesem Gebiet verabschiedet werden konnten, dann berührten sie entweder keine wesentlichen Fragen oder aber sie blieben in den entscheidenden Punkten unverbindlich. Die Mitgliedstaaten setzten folglich bewusst auf autonomieschonende Lösungen, die ihnen auch weiterhin die eigenständige Gestaltung ihrer Unternehmenskontrollsysteme garantierte.
Trotz dieses Mangels an eindeutigen Vorgaben zur Regulierung der Unternehmenskontrolle verbot der EuGH den Einsatz von Goldenen Aktien und VW-Gesetz weitgehend. Zugleich prägten die Europa-Richter mit ihren Urteilen eine weitreichende Interpretation der Kapitalverkehrsfreiheit: Alle nationalen Bestimmungen, die den Erwerb von Aktien potenziell weniger attraktiv machen könnten, sind fortan als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zu werten und bedürfen der Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Als attraktivitätsmindernd stufte der EuGH insbesondere solche Regelungen ein, die die Kontrollbefugnisse von Aktionären im Unternehmen beschneiden. Hierdurch könnten, so die Richter, Anleger von einer Unternehmensbeteiligung abgehalten werden. Rechtsexperten haben darauf hingewiesen, dass sich auf Grundlage dieser Judikatur zukünftig noch viele weitere nationale Regelungen, die in irgendeiner Weise die Kontrollrechte von Aktionären beschneiden, als europarechtswidrig einstufen ließen (Armour/Ringe 2011; Demirakou 2011; Gerner-Beuerle 2012; Grundmann/Möslein 2003; Roth 2008).
Der Streit zwischen Kommission und Deutschland um das VW-Gesetz ist kein Einzelfall, sondern vielmehr eine einzelne, wenngleich besonders wichtige Etappe eines größeren Konflikts zwischen der Brüsseler Behörde und den Mitgliedstaaten um die Rolle des Staates bei der Kontrolle bedeutender Unternehmen. Bereits seit Ende der 1990er-Jahre hatte die Kommission damit begonnen, systematisch gegen sogenannte Goldene Aktien vorzugehen. Dieser Begriff bezeichnet Sonderrechte, die dem Staat spezielle Kontrollbefugnisse in einzelnen Unternehmen einräumen. In der Europäischen Union (EU) wurden diese Regelungen hauptsächlich im Zuge der Privatisierungen ehemaliger Staatsbetriebe eingeführt, insbesondere in den späten 1980er- und 1990er-Jahren. Viele Mitgliedstaaten griffen auf dieses Instrument zurück, um auch über die Privatisierung hinaus Einfluss auf die Unternehmen, die oftmals von großer ökonomischer oder politischer Bedeutung für die jeweiligen Volkswirtschaften waren, ausüben zu können. In manchen Fällen waren die Privatisierungen gar erst durch den Erhalt solcher Sonderrechte innenpolitisch durchsetzbar. Die Kommission sah in diesem Instrument jedoch eine unzulässige Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und leitete gegen zahlreiche Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein, wovon sich eines auch gegen das VW-Gesetz richtete. Da die von den Verfahren betroffenen Mitgliedstaaten die Rechtsauffassung der Kommission allerdings nicht durch geltendes EU-Recht gedeckt sahen, musste in beinahe allen Fällen der EuGH über die Rechtmäßigkeit von Goldenen Aktien und VW-Gesetz befinden. In seinen Urteilen bestätigte der Gerichtshof schließlich fast gänzlich die Position der Kommission und schränkte damit den Gebrauch solcher Sonderrechtsbestimmungen durch die Mitgliedstaaten drastisch ein.
Das juristische Vorgehen der Kommission sowie die Bestätigung der von ihr vertretenen Rechtsauffassung durch den EuGH sind äußerst bemerkenswert. Denn die supranationalen Organe griffen hiermit in ein Politikfeld ein, das sich die Mitgliedstaaten bislang zur eigenständigen Regelung vorbehalten hatten. Die Auseinandersetzungen um Goldene Aktien und VW-Gesetz drehten sich nämlich wesentlich um die Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten dazu berechtigt sind, die interne Organisationsstruktur eines Unternehmens nach eigenen Vorstellungen rechtlich zu gestalten. Diese Frage bildet den Kern des Politikfelds der Unternehmenskontrolle (Corporate Governance). Darunter werden all jene gesetzlichen Regeln gefasst, die die formalen Entscheidungsstrukturen in einem Unternehmen bestimmen. Sie legen fest, wer darüber entscheiden darf, welche Ziele ein Unternehmen wie verfolgt. Ihre Ausgestaltung ist von erheblicher politischer Bedeutung, da sie die Funktionsweise der zentralen Organisationen der Wirtschaft maßgeblich bestimmen und damit Einfluss auf Beschäftigung und Wohlstand haben. Weil die Vorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten über die "richtige" Gestaltung dieser Regeln aber erheblich voneinander abweichen, ist es bis heute nicht gelungen, einheitliche Vorgaben für diesen Politikbereich im europäischen Recht zu verankern. Zu groß waren die Widerstände der Mitgliedstaaten gegen das Abweichen oder gar Aufgeben zentraler Merkmale ihrer bestehenden Unternehmenskontrollsysteme. Wenn überhaupt europäische Regelungen auf diesem Gebiet verabschiedet werden konnten, dann berührten sie entweder keine wesentlichen Fragen oder aber sie blieben in den entscheidenden Punkten unverbindlich. Die Mitgliedstaaten setzten folglich bewusst auf autonomieschonende Lösungen, die ihnen auch weiterhin die eigenständige Gestaltung ihrer Unternehmenskontrollsysteme garantierte.
Trotz dieses Mangels an eindeutigen Vorgaben zur Regulierung der Unternehmenskontrolle verbot der EuGH den Einsatz von Goldenen Aktien und VW-Gesetz weitgehend. Zugleich prägten die Europa-Richter mit ihren Urteilen eine weitreichende Interpretation der Kapitalverkehrsfreiheit: Alle nationalen Bestimmungen, die den Erwerb von Aktien potenziell weniger attraktiv machen könnten, sind fortan als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zu werten und bedürfen der Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Als attraktivitätsmindernd stufte der EuGH insbesondere solche Regelungen ein, die die Kontrollbefugnisse von Aktionären im Unternehmen beschneiden. Hierdurch könnten, so die Richter, Anleger von einer Unternehmensbeteiligung abgehalten werden. Rechtsexperten haben darauf hingewiesen, dass sich auf Grundlage dieser Judikatur zukünftig noch viele weitere nationale Regelungen, die in irgendeiner Weise die Kontrollrechte von Aktionären beschneiden, als europarechtswidrig einstufen ließen (Armour/Ringe 2011; Demirakou 2011; Gerner-Beuerle 2012; Grundmann/Möslein 2003; Roth 2008).
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Inhaltsverzeichnis zu „Der Streit um das VW-Gesetz “
InhaltVorwort9Kapitel 1
Einleitung11
1.1Methodik und Datengrundlage der Untersuchung19
1.2Aufbau der Arbeit21
Kapitel 2
Europäische Integration und Unternehmenskontrolle25
2.1Was ist Unternehmenskontrolle?25
2.2Das Scheitern der politischen Integration30
2.3Der Erfolg der judikativen Integration43
Kapitel 3
Integration durch Recht: Forschungsstand und Forschungsbedarf 49
3.1Das Phänomen Integration durch Recht49
3.2Politikwissenschaftliche Erklärungen55
3.3Überzeugende Antworten?62
Kapitel 4
Die Kapitalverkehrsfreiheit: Vertragliche Grundlage für die judikative Integration im Bereich Unternehmenskontrolle67
4.1Der Vertrag von Rom: Der Kapitalverkehr als Domäne des politischen Integrationsmodus67
4.2Die Zurückhaltung des EuGH71
4.3Die Vertragsrevision von Maastricht als Aktivierung der judikativen Integration73
4.4Fazit78
Kapitel 5
Der Kampf um Goldene Aktien: Die Verwandlung der Kapitalverkehrsfreiheit in ein Instrument zur Liberalisierung
der Unternehmenskontrolle81
5.1Was sind Goldene Aktien?81
5.2Die Auseinandersetzung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten85
5.3Die Urteile des EuGH106
5.4Fazit123
Kapitel 6
Der Streit um das VW-Gesetz127
6.1Die Bedeutung des VW-Gesetzes128
6.2Die Entstehung des EuGH-Urteils137
6.3Der Verlauf der Auseinandersetzung nach dem Urteil161
6.4Fazit169
Kapitel 7
Die Gründe für den Erfolg der judikativen Integration im Bereich Unternehmenskontrolle173
7.1Die aktivierende Rolle der Mitgliedstaaten174
7.2Die hohe Durchsetzungsfähigkeit der Kommission175
7.3Die Beharrlichkeit des EuGH180
7.4Die mangelnde Bereitschaft zum Widerstand bei den nationalen Verteidigern: Drei Mechanismen181
7.5Fazit: Die Stärke der Integration durch Recht189
Kapitel 8
Schlussbetrachtungen191
8.1Die Zukunft der Unternehmenskontrolle in der EU191
8.2Die judikative Integration als Instrument zur Realisierung eines liberalen
Autoren-Porträt von Benjamin Werner
Benjamin Werner, Dr. rer. pol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich 597 "Staatlichkeit im Wandel" an der Universität Bremen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Benjamin Werner
- 2013, 224 Seiten, Maße: 14,1 x 21,3 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593399954
- ISBN-13: 9783593399959
- Erscheinungsdatum: 07.11.2013
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