Der Zwerg reinigt den Kittel
Roman
Sitzen vier Omas im Knast. Klingt wie ein Witz, aber Humor haben die Damen gerade keinen, dafür ein Problem. Schwere Körperverletzung, wahrscheinlich mit Todesfolge. Ursprünglich war das anders gedacht: Ferien für immer im Altenheim. Die Idee war gut, die...
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Produktinformationen zu „Der Zwerg reinigt den Kittel “
Klappentext zu „Der Zwerg reinigt den Kittel “
Sitzen vier Omas im Knast. Klingt wie ein Witz, aber Humor haben die Damen gerade keinen, dafür ein Problem. Schwere Körperverletzung, wahrscheinlich mit Todesfolge. Ursprünglich war das anders gedacht: Ferien für immer im Altenheim. Die Idee war gut, die Wirklichkeit nicht so. Club Tropicana hat zwar keine erwartet, aber diese Endlagerstätte für senile Altlasten auch nicht: talentfreie Zivis, verrückte Mitinsassen, sadistische Oberschwestern - irgendwann reicht's. Die vier Alten schlagen zurück, und das klingt schon wieder wie ein Witz, ist aber keiner.Lese-Probe zu „Der Zwerg reinigt den Kittel “
Der Zwerg reinigt den Kittel von Anita Augustin1
Irgendwer muss ja schuld sein, die Frage ist nur: Wer.
Es gibt drei Möglichkeiten:
Erstens Karlotta, weil es ihre Idee war.
Zweitens Marlen, weil sie mitgemacht hat.
Drittens Suzanna, weil ihr nichts Besseres eingefallen ist, als die ganze Zeit kichernd danebenzustehen und alle paar Sekunden in die Hände zu klatschen von wegen Weitermachen! Weitermachen!.
Am Ende haben die drei beschlossen, dass ich schuld bin.
Nun gut.
Was soll's.
Einer muss es ja sein, und zuerst habe ich mich natürlich gewehrt und gesagt, dass es viele Dinge im Leben gibt, die ziemlich erstrebenswert sind, zum Beispiel reich sein oder schön sein, um nur die Klassiker zu nennen, und glücklich sein natürlich, aber schuld sein, das will doch keiner.
Und die Wahrheit ist: Wir sind alle schuld, alle vier, weil wir es gemeinsam getan haben. Wir haben die arme Frau gemeinsam niedergeschlagen und in den Keller geschleppt, und dort haben wir sie gemeinsam stundenlang misshandelt.
Gequält.
Gefoltert.
Schwere Körperverletzung, so nennt man das, und wenn jemand bei einer schweren Körperverletzung nur danebensteht und kichert und klatscht, statt Hilfehilfe! zu schreien oder Polizeipolizei!, dann nennt man das unterlassene Hilfeleistung, und deswegen ist Suzanna auch schuld, obwohl sie nicht geschlagen hat und nicht getreten, nicht gebissen und gekratzt.
Wir waren echt gut in Schwung, aber hallo.
... mehr
Jetzt sind wir wahrscheinlich schon seit Tagen in den Schlagzeilen, im Fernsehen zeigen sie Bilder von uns, und wer weiß, vielleicht ist die arme Frau ja tot mittlerweile. Ihren schweren Verletzungen erlegen, wie man so sagt, und so steht es wahrscheinlich in der Zeitung, so sagt es wahrscheinlich der Fernsehsprecher, wir wissen es nicht.
Wir lesen gerade keine Zeitung.
Wir haben gerade keinen Fernseher.
Wir haben Probleme.
Vielleicht haben wir ja sogar ein bisschen Glück und sie lebt noch, die arme Frau, das wäre ganz gut für uns, weil auf schwere Körperverletzung ohne Todesfolge nicht ganz so viele Jahre stehen wie auf Körperverletzung mit. Aber das ist Spekulation, zurück zu den Fakten.
Problem Nummer eins: Wir sitzen im Gefängnis.
Problem Nummer zwei: Wir sitzen zu Recht.
Problem Nummer drei: Wir haben noch eine Chance.
Das mit der Chance klingt jetzt vielleicht komisch, aber manchmal ist so eine Chance kein Anlass zur Freude und eher eine Belastung. Manchmal ist es besser, man hat keine mehr, weil sich die Lage schlagartig entspannt, wenn sie aussichtslos ist. Leider haben wir noch eine Chance, und das liegt nicht an uns, das liegt an den Zeiten, in denen wir leben.
Früher zum Beispiel, wo so ein Gefängnis noch Zuchthaus geheißen hat und nicht Justizvollzugsanstalt, da wäre alles ganz einfach gewesen und ganz entspannt. Sie hätten uns geschnappt, sie hätten uns verurteilt, und aus. Keine weitere Diskussion, keine Untersuchungshaft, zehn Jahre Zwangsarbeit.
Felsen kleinklopfen im Steinbruch zum Beispiel oder Torf stechen.
Heutzutage ist das anders. Da bekommst du noch eine Chance, bevor sie dich in die Anstaltsbäckerei schicken zum Keksebacken, was übrigens auch nicht viel besser ist als Torf- stechen, wenn du es zehn Jahre lang tun musst.
Norbert Klupp. So heißt unsere letzte Chance. Doktor Norbert Klupp, um genau zu sein, Gerichtspsychiater.
Heute Mittag nach einem ziemlich miserablen Essen ist die Tür zu unserer Zelle aufgegangen, und er ist hereingekommen. Die Wärterin hat ihm aufgesperrt, dann ist sie im Türrahmen stehen geblieben und hat aufgepasst, schließlich sind wir vier gefährliche Frauen.
Wir liegen in unseren Betten. Stockbetten, zwei Stück. In dem einen Suzanna und Karlotta, in dem anderen ich und Marlen, dazwischen drei Quadratmeter PVC-Boden, ganz hinten ein vergittertes Fenster, alles in allem ist das hier wie im Ferienlager, nur ohne Ferien.
»Frau Block? Almut Block?«, sagt unser Besuch.
Drei Finger zeigen aus unterschiedlichen Richtungen auf mich.
»Wie es aussieht, bin das ich«, sage ich.
Meine Stimme ist nicht besonders freundlich, und vom Bett stehe ich jetzt auch nicht auf, das ist mir zu anstrengend, obwohl ich im Erdgeschoss liege. Ziemlich unhöflich von mir, zugegeben, aber ich weiß ja noch nicht, dass dieser schmale junge Mann mit der randlosen Brille ein Gerichtspsychiater ist und unsere letzte Chance. Außerdem bin ich müde.
Ich bin übrigens immer müde, aber das nur nebenbei.
Auch nur nebenbei: Die Zigarette in meinem Mundwinkel, die ist natürlich verboten. Man darf hier nicht rauchen, man wird dafür bestraft. Aber ob ich jetzt fürs Rauchen oder für schwere Körperverletzung zehn Jahre lang Kekse backen muss, spielt auch keine Rolle mehr.
»Mein Name ist Klupp«, sagt unser Besuch und geht auf mich zu, »Doktor Norbert Klupp.«
»Schön für Sie«, sage ich. »Es gibt schlimmere Titel, zum Beispiel Diplomingenieur, und schlimmere Namen gibt es auch, zum Beispiel ...«, ich suche nach einem wirklich blöden Namen, Marlen im ersten Stock über mir sagt:
»Zum Beispiel Almut Block.«
»Sehr witzig«, sage ich und ziehe an der Zigarette, Suzanna kichert. Das macht sie immer, wenn Marlen einen schlechten Witz macht, und Marlen macht ständig schlechte Witze, deswegen kichert Suzanna auch ständig.
Doktor Klupp streckt mir die Hand entgegen, ich überlege, ob ich sie nehmen soll. Die Hand ist schön. Feine Finger, helle Haut. Keine Adern, keine Pigmentflecken, ich betrachte diese makellose weiße Hand und denke an Milch. Ich denke an Mehl und wie weich es ist, wenn man hineingreift, ich betrachte die Fingernägel.
Tautropfen.
Perlen.
»Lieber nicht«, sage ich und drücke die Zigarette am Bettpfosten aus, den Stummel stopfe ich zu den anderen Stummeln unter die Matratze. Dann hebe ich demonstrativ meine rechte Hand.
»Ich gebe Ihnen lieber nicht die Hand, Herr Doktor, ich will Sie ja nicht schmutzig machen.«
Doktor Klupp glotzt auf das runzlige Ding am Ende meines Arms. Es hängt in der Luft wie etwas, von dem man nicht so genau weiß, was es sein soll. Vielleicht ist es menschlich und eine Hand, vielleicht ist es aber auch die Pfote eines Affen oder doch nur ein schrumpliges, blaugeädertes Etwas mit nikotingelben Spitzen.
Die Hand einer alten Frau.
Er lässt sein perlenbesetztes Schmuckstück sinken.
»Frau Block, ich wollte Sie nur darauf vorbereiten, dass wir in den nächsten Tagen das eine oder andere Gespräch führen werden. Es geht um Ihre psychische Verfassung und ...«
»Um was?«, sage ich und setze mich ruckartig auf, mein Kopf schlägt gegen das Bett über mir.
»Autsch«, sage ich.
»Ätsch«, sagt Marlen.
Suzanna kichert.
»Um was?«, sage ich noch einmal und reibe mir den Kopf.
»Um das, was in dir drin so los ist. Um deine psychische Verfassung.« Marlen sagt das so, wie man voller Staubsaugerbeutel sagt oder Mülleimer mit Deckel. In dem Ton.
Suzanna kichert.
»Willkommen, Herr Doktor! Wie schön, dass Sie endlich da sind, wir haben schon auf Sie gewartet!« Karlotta klettert aus ihrem Bett, sie hat als Erste kapiert, dass dieser Klupp unsere letzte Chance ist, aber das werde ich erst später wissen. Jetzt weiß ich nur, dass mir mein Deckel weh tut, wie Marlen sagen würde, und dass es nichts Gutes bedeutet, wenn Karlotta sich einschaltet.
Es bedeutet: Auf in den Kampf!
Jetzt ist sie gelandet und marschiert forsch auf Doktor Klupp zu, die Hand zum Gruß ausgestreckt. Karlottas Hand sieht auch nicht besser aus als meine, nur kleiner. Eine kleine verschrumpelte Affenpfote, sie ragt aus dem Ärmel der Armeejacke, die Karlotta immer trägt, so ein braungrün geflecktes Ding aus den dreißiger Jahren, ein guter Punkt, würde ich sagen. Das ist jetzt ein guter Punkt, um die ganze Szene hier in der Zelle für einen Moment einzufrieren und in aller Ruhe ein paar Details zu besprechen. Meine Lieblingsfarbe zum Beispiel oder mein Lieblingsgetränk. Oder was ich früher so gemacht habe, beruflich, bevor ich ins Altenheim gegangen bin und einen Biographiebogen bekommen habe. Bevor ich kriminell geworden bin.
Pausetaste. Standbild.
Lieblingsfarbe: Schwarz.
Lieblingsgetränk: Kaffee.
Essgewohnheiten: normal.
Schlafgewohnheiten: normal.
Das mit den Schlafgewohnheiten ist eine Lüge, der Rest ist wahr.
Auf die Frage Sind Sie Raucher? habe ich auch wahrheitsgemäß geantwortet. Ich habe nein gesagt. Nein, ich bin Kettenraucher.
Haben Sie soziale Kontakte, zum Beispiel Ehepartner, Lebensabschnittspartner, Kinder, Enkelkinder, Vereinsfreunde et cetera?
Nein. Nur meine besten Freundinnen, Karlotta, Suzanna und Marlen.
Gibt es Personen, Lebewesen, Gegenstände oder Situationen, die bei Ihnen Ängste auslösen?
Ich weiß nicht mehr so genau, was Suzanna und Marlen damals auf die Frage geantwortet haben, aber Karlotta hat nein gesagt. Wie aus der Pistole geschossen, bäng, mitten ins Herz der Wahrheit. Karlotta hat vor nichts Angst, nicht einmal vor sich selbst.
Marlen hat gelogen, was das Zeug hält.
Welcher von den folgenden Beschäftigungen würden Sie in der Pflegeeinrichtung gerne nachgehen?
Musizieren? Ja.
Handarbeiten? Ja.
Gesellschaftsspiele? Ja.
Gottesdienstbesuche? Aber sowas von!
Ich weiß nicht, ob Marlen je eine Kirche betreten hat, aber ich glaube nicht. Und ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn sie es eines Tages tut. Wahrscheinlich fallen die
Engel vor Schreck aus dem Fresko, und die marmorne Muttergottes fängt zu weinen an. Blut statt Tränen, versteht sich.
Nur bei Welche berufliche(n) Tätigkeit(en) haben Sie ausgeübt? war Marlen ehrlich, weil sie einen schönen Beruf gehabt hat, früher einmal, so wie Karlotta und Suzanna auch.
Suzanna: Krankenschwester.
Karlotta: Lehrerin.
Marlen: Witwe.
Lauter schöne Frauenberufe, und dass Suzanna nur deswegen jahrzehntelang in einem Hospiz gearbeitet hat, weil sie den Leuten gerne beim Sterben zusieht, das muss man ja nicht sagen.
Muss man ja nicht sagen, dass Karlottas Schüler über viele Generationen hinweg ihre Sportlehrerin Karlotta Könick immer nur Killerkönick genannt haben.
Und dass Marlen nicht nur einmal Witwe war, sondern ziemlich oft, das muss man auch nicht sagen, schon weil es zum Berufsprofil gehört.
Siehe: Leichenbestatter.
Siehe: Totengräber.
Die müssen ja auch mehr als einen Menschen unter die Erde bringen, damit sie von ihrem Beruf leben können.
»Sehr witzig«, würde Marlen jetzt sagen und grinsen. »Wirklich witzig, Almut, meine Liebe. Und jetzt erzähl uns von deinem Beruf.«
Regisseurin.
Ich habe jahrzehntelang immer gesagt, dass ich Regisseurin bin, und in alle möglichen Formulare habe ich unter Beruf immer Regisseurin geschrieben, manchmal auch Theaterregisseurin, damit die Leute nicht denken, ich mache irgendeinen künstlerisch wertlosen Schrott beim Fernsehen oder beim Film.
»Komisch«, würde Marlen jetzt sagen und wieder grinsen,
Copyright © Ullstein Verlage.
Jetzt sind wir wahrscheinlich schon seit Tagen in den Schlagzeilen, im Fernsehen zeigen sie Bilder von uns, und wer weiß, vielleicht ist die arme Frau ja tot mittlerweile. Ihren schweren Verletzungen erlegen, wie man so sagt, und so steht es wahrscheinlich in der Zeitung, so sagt es wahrscheinlich der Fernsehsprecher, wir wissen es nicht.
Wir lesen gerade keine Zeitung.
Wir haben gerade keinen Fernseher.
Wir haben Probleme.
Vielleicht haben wir ja sogar ein bisschen Glück und sie lebt noch, die arme Frau, das wäre ganz gut für uns, weil auf schwere Körperverletzung ohne Todesfolge nicht ganz so viele Jahre stehen wie auf Körperverletzung mit. Aber das ist Spekulation, zurück zu den Fakten.
Problem Nummer eins: Wir sitzen im Gefängnis.
Problem Nummer zwei: Wir sitzen zu Recht.
Problem Nummer drei: Wir haben noch eine Chance.
Das mit der Chance klingt jetzt vielleicht komisch, aber manchmal ist so eine Chance kein Anlass zur Freude und eher eine Belastung. Manchmal ist es besser, man hat keine mehr, weil sich die Lage schlagartig entspannt, wenn sie aussichtslos ist. Leider haben wir noch eine Chance, und das liegt nicht an uns, das liegt an den Zeiten, in denen wir leben.
Früher zum Beispiel, wo so ein Gefängnis noch Zuchthaus geheißen hat und nicht Justizvollzugsanstalt, da wäre alles ganz einfach gewesen und ganz entspannt. Sie hätten uns geschnappt, sie hätten uns verurteilt, und aus. Keine weitere Diskussion, keine Untersuchungshaft, zehn Jahre Zwangsarbeit.
Felsen kleinklopfen im Steinbruch zum Beispiel oder Torf stechen.
Heutzutage ist das anders. Da bekommst du noch eine Chance, bevor sie dich in die Anstaltsbäckerei schicken zum Keksebacken, was übrigens auch nicht viel besser ist als Torf- stechen, wenn du es zehn Jahre lang tun musst.
Norbert Klupp. So heißt unsere letzte Chance. Doktor Norbert Klupp, um genau zu sein, Gerichtspsychiater.
Heute Mittag nach einem ziemlich miserablen Essen ist die Tür zu unserer Zelle aufgegangen, und er ist hereingekommen. Die Wärterin hat ihm aufgesperrt, dann ist sie im Türrahmen stehen geblieben und hat aufgepasst, schließlich sind wir vier gefährliche Frauen.
Wir liegen in unseren Betten. Stockbetten, zwei Stück. In dem einen Suzanna und Karlotta, in dem anderen ich und Marlen, dazwischen drei Quadratmeter PVC-Boden, ganz hinten ein vergittertes Fenster, alles in allem ist das hier wie im Ferienlager, nur ohne Ferien.
»Frau Block? Almut Block?«, sagt unser Besuch.
Drei Finger zeigen aus unterschiedlichen Richtungen auf mich.
»Wie es aussieht, bin das ich«, sage ich.
Meine Stimme ist nicht besonders freundlich, und vom Bett stehe ich jetzt auch nicht auf, das ist mir zu anstrengend, obwohl ich im Erdgeschoss liege. Ziemlich unhöflich von mir, zugegeben, aber ich weiß ja noch nicht, dass dieser schmale junge Mann mit der randlosen Brille ein Gerichtspsychiater ist und unsere letzte Chance. Außerdem bin ich müde.
Ich bin übrigens immer müde, aber das nur nebenbei.
Auch nur nebenbei: Die Zigarette in meinem Mundwinkel, die ist natürlich verboten. Man darf hier nicht rauchen, man wird dafür bestraft. Aber ob ich jetzt fürs Rauchen oder für schwere Körperverletzung zehn Jahre lang Kekse backen muss, spielt auch keine Rolle mehr.
»Mein Name ist Klupp«, sagt unser Besuch und geht auf mich zu, »Doktor Norbert Klupp.«
»Schön für Sie«, sage ich. »Es gibt schlimmere Titel, zum Beispiel Diplomingenieur, und schlimmere Namen gibt es auch, zum Beispiel ...«, ich suche nach einem wirklich blöden Namen, Marlen im ersten Stock über mir sagt:
»Zum Beispiel Almut Block.«
»Sehr witzig«, sage ich und ziehe an der Zigarette, Suzanna kichert. Das macht sie immer, wenn Marlen einen schlechten Witz macht, und Marlen macht ständig schlechte Witze, deswegen kichert Suzanna auch ständig.
Doktor Klupp streckt mir die Hand entgegen, ich überlege, ob ich sie nehmen soll. Die Hand ist schön. Feine Finger, helle Haut. Keine Adern, keine Pigmentflecken, ich betrachte diese makellose weiße Hand und denke an Milch. Ich denke an Mehl und wie weich es ist, wenn man hineingreift, ich betrachte die Fingernägel.
Tautropfen.
Perlen.
»Lieber nicht«, sage ich und drücke die Zigarette am Bettpfosten aus, den Stummel stopfe ich zu den anderen Stummeln unter die Matratze. Dann hebe ich demonstrativ meine rechte Hand.
»Ich gebe Ihnen lieber nicht die Hand, Herr Doktor, ich will Sie ja nicht schmutzig machen.«
Doktor Klupp glotzt auf das runzlige Ding am Ende meines Arms. Es hängt in der Luft wie etwas, von dem man nicht so genau weiß, was es sein soll. Vielleicht ist es menschlich und eine Hand, vielleicht ist es aber auch die Pfote eines Affen oder doch nur ein schrumpliges, blaugeädertes Etwas mit nikotingelben Spitzen.
Die Hand einer alten Frau.
Er lässt sein perlenbesetztes Schmuckstück sinken.
»Frau Block, ich wollte Sie nur darauf vorbereiten, dass wir in den nächsten Tagen das eine oder andere Gespräch führen werden. Es geht um Ihre psychische Verfassung und ...«
»Um was?«, sage ich und setze mich ruckartig auf, mein Kopf schlägt gegen das Bett über mir.
»Autsch«, sage ich.
»Ätsch«, sagt Marlen.
Suzanna kichert.
»Um was?«, sage ich noch einmal und reibe mir den Kopf.
»Um das, was in dir drin so los ist. Um deine psychische Verfassung.« Marlen sagt das so, wie man voller Staubsaugerbeutel sagt oder Mülleimer mit Deckel. In dem Ton.
Suzanna kichert.
»Willkommen, Herr Doktor! Wie schön, dass Sie endlich da sind, wir haben schon auf Sie gewartet!« Karlotta klettert aus ihrem Bett, sie hat als Erste kapiert, dass dieser Klupp unsere letzte Chance ist, aber das werde ich erst später wissen. Jetzt weiß ich nur, dass mir mein Deckel weh tut, wie Marlen sagen würde, und dass es nichts Gutes bedeutet, wenn Karlotta sich einschaltet.
Es bedeutet: Auf in den Kampf!
Jetzt ist sie gelandet und marschiert forsch auf Doktor Klupp zu, die Hand zum Gruß ausgestreckt. Karlottas Hand sieht auch nicht besser aus als meine, nur kleiner. Eine kleine verschrumpelte Affenpfote, sie ragt aus dem Ärmel der Armeejacke, die Karlotta immer trägt, so ein braungrün geflecktes Ding aus den dreißiger Jahren, ein guter Punkt, würde ich sagen. Das ist jetzt ein guter Punkt, um die ganze Szene hier in der Zelle für einen Moment einzufrieren und in aller Ruhe ein paar Details zu besprechen. Meine Lieblingsfarbe zum Beispiel oder mein Lieblingsgetränk. Oder was ich früher so gemacht habe, beruflich, bevor ich ins Altenheim gegangen bin und einen Biographiebogen bekommen habe. Bevor ich kriminell geworden bin.
Pausetaste. Standbild.
Lieblingsfarbe: Schwarz.
Lieblingsgetränk: Kaffee.
Essgewohnheiten: normal.
Schlafgewohnheiten: normal.
Das mit den Schlafgewohnheiten ist eine Lüge, der Rest ist wahr.
Auf die Frage Sind Sie Raucher? habe ich auch wahrheitsgemäß geantwortet. Ich habe nein gesagt. Nein, ich bin Kettenraucher.
Haben Sie soziale Kontakte, zum Beispiel Ehepartner, Lebensabschnittspartner, Kinder, Enkelkinder, Vereinsfreunde et cetera?
Nein. Nur meine besten Freundinnen, Karlotta, Suzanna und Marlen.
Gibt es Personen, Lebewesen, Gegenstände oder Situationen, die bei Ihnen Ängste auslösen?
Ich weiß nicht mehr so genau, was Suzanna und Marlen damals auf die Frage geantwortet haben, aber Karlotta hat nein gesagt. Wie aus der Pistole geschossen, bäng, mitten ins Herz der Wahrheit. Karlotta hat vor nichts Angst, nicht einmal vor sich selbst.
Marlen hat gelogen, was das Zeug hält.
Welcher von den folgenden Beschäftigungen würden Sie in der Pflegeeinrichtung gerne nachgehen?
Musizieren? Ja.
Handarbeiten? Ja.
Gesellschaftsspiele? Ja.
Gottesdienstbesuche? Aber sowas von!
Ich weiß nicht, ob Marlen je eine Kirche betreten hat, aber ich glaube nicht. Und ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn sie es eines Tages tut. Wahrscheinlich fallen die
Engel vor Schreck aus dem Fresko, und die marmorne Muttergottes fängt zu weinen an. Blut statt Tränen, versteht sich.
Nur bei Welche berufliche(n) Tätigkeit(en) haben Sie ausgeübt? war Marlen ehrlich, weil sie einen schönen Beruf gehabt hat, früher einmal, so wie Karlotta und Suzanna auch.
Suzanna: Krankenschwester.
Karlotta: Lehrerin.
Marlen: Witwe.
Lauter schöne Frauenberufe, und dass Suzanna nur deswegen jahrzehntelang in einem Hospiz gearbeitet hat, weil sie den Leuten gerne beim Sterben zusieht, das muss man ja nicht sagen.
Muss man ja nicht sagen, dass Karlottas Schüler über viele Generationen hinweg ihre Sportlehrerin Karlotta Könick immer nur Killerkönick genannt haben.
Und dass Marlen nicht nur einmal Witwe war, sondern ziemlich oft, das muss man auch nicht sagen, schon weil es zum Berufsprofil gehört.
Siehe: Leichenbestatter.
Siehe: Totengräber.
Die müssen ja auch mehr als einen Menschen unter die Erde bringen, damit sie von ihrem Beruf leben können.
»Sehr witzig«, würde Marlen jetzt sagen und grinsen. »Wirklich witzig, Almut, meine Liebe. Und jetzt erzähl uns von deinem Beruf.«
Regisseurin.
Ich habe jahrzehntelang immer gesagt, dass ich Regisseurin bin, und in alle möglichen Formulare habe ich unter Beruf immer Regisseurin geschrieben, manchmal auch Theaterregisseurin, damit die Leute nicht denken, ich mache irgendeinen künstlerisch wertlosen Schrott beim Fernsehen oder beim Film.
»Komisch«, würde Marlen jetzt sagen und wieder grinsen,
Copyright © Ullstein Verlage.
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Autoren-Porträt von Anita Augustin
Augustin, AnitaAnita Augustin, geboren 1970 in Klagenfurt, hat in Wien Philosophie und Theaterwissenschaft studiert und an der Ersten Österreichischen Barkeeperschule ihr Diplom gemacht. Nach Stationen in New York und London lebt sie heute als freie Dramaturgin in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anita Augustin
- 2013, 1. Auflage., 336 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548285783
- ISBN-13: 9783548285788
- Erscheinungsdatum: 02.12.2013
Rezension zu „Der Zwerg reinigt den Kittel “
"Schwarz. Ganz ganz schwarz. Rabenschwarzer Humor. Grandios erzählt ... Unbedingte Lese- und Verschenkempfehlung." Freddy Hansmann Brigitte.de 20121204
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