Deutschland, eine Reise
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Deutschland,eine Reise von Wolfgang Büscher
LESEPROBE
Eines Tages sprang ich in den kalten Rhein
Man sagt, über dem Niederrhein liege ein mystisches Licht.So ein Dunst, zart bläulich, und der Nebel leuchte von innen her, sogar aneinem Herbsttag wie diesem, aus dem der Himmel alle Farben sog, als seien sie Gift.Der Horizont, die Rheinwiesen, die Frachtkähne auf dem Fluss - alles schwamm indiesem milchigen Antilicht. Die hohe Brücke stromabwärts war eine vage Idee imDunst, die Stadt am anderen Ufer eine Bleistiftskizze aus einem vergessenenBuch.
Ich war wohl eingedöst. Ich schlug die Augen auf. Ich saß amUfer kurz vor Holland, bei Rheinkilometer 852, auf einem Stein und sah demFluss zu und den Kähnen, die vorüberzogen, lang und flach in dichter Folge,schon den ganzen Tag saß ich hier und wartete auf mein Zeichen - dass derKonvoi endlich riss. Es war der erste Tag meiner Reise.
Ich war allein in den Wiesen, nur ein paar Kühe standen da.Die mutigste entfernte sich jetzt von den anderen, uni aus dem Rhein zu saufen.Er ließ sie gewähren. Er verlor das Interesse an den Dingen an seinem Ufer, erströmte seiner Auflösung entgegen und wurde darüber weit wie ein See.
Endlich - der Konvoi riss. Kein Schiff mehr nach diesem. MeineLücke war da, groß genug, um nicht fürchten zu müssen, unter den nächsten Kahngepflügt zu werden, der unweigerlich kommen würde. Zwanzig Minuten gab mir derRhein, vielleicht etwas mehr.
Ich zog mich hastig aus, Hemd, Hose, Schuhe, und als ich überKies und Muschelbruch lief, sah ich im Augenwinkel, wie die Kuh, die aus dem Rheingetrunken hatte, erschreckt auffuhr und in einem grotesken Galopp zurück zu denanderen rannte.
Es nahm mir den Atem. Noch nie war ich in solcher Eiseskältegeschwommen, in einem so großen Fluss. Ich spürte seine Gewalt. Nicht dieMaschinengewalt des Meeres, das Welle um Welle auswirft mit der Sturheit einerFabrik - es war ein gurgelndes Ziehen, leise, aber unerbittlich.
Ich schwamm nicht, ich ruderte, so steif war ich. Ichruderte, um warm zu werden. Hundert schöne Züge, die brauchst du jetzt. Zug undNachgleiten und Zug. Und noch einmal hundert und nochmal, dann bist du durch.
Ich trieb ab. Ich trieb auf dem Wasser. Eisige Wellen trugenmich fort, als läge ich auf den Rücken kleiner, glatter Tiere in vollem Lauf.Sie witterten schon das Salz. Sie konnten es nicht erwarten. Ich befahl mir,keine Angst zu haben. Nein, nicht stromab - da hinüber!
Ich suchte mir einen Punkt am Ufer, auf den ich zuhalten konnte,der mich zog. Einen der drei Türme der kleinen Stadt: den achteckigen Kirchturmrechts, den stumpfen vor mir oder den hohen, dünnen Schlot ganz links.«Oelmühle Germania» stand darauf.
Bei jedem Zug merkte ich's in den Armen, wie schwer sie mirwurden: wie wenn im Traum ein unheimlicher Magnet die Glieder lähmt. Die Zeitläuft ab, schoss es mir durch den Kopf, die Lücke schließt sich wieder, dieStrömung wird dich unter den nächsten Frachter schieben. Ende.
Ich weiß nicht, wie lange ich so ruderte und trieb und immerkälter und steifer wurde. Vielleicht war es nur eine Minute. Mir kam es viellänger vor.
Auf einmal wurde mir warm. Nein, heiß. Der furchtbare Magnetließ von mir ab. Die Kälte war noch da, aber sie war nicht mehr in mir.Geschmeidig war jetzt der Rhein, fast ölig, er griff sich gut. Zug um Zug tauchteich ein, glitt nach, drang wieder ein - ich schwamm. Die Türme am Ufer warenein gutes Stück nach rechts gerückt, stromaufwärts, die beiden Kirchtürmeschon unerreichbar. Nur die Germania konnte ich noch ansteuern.
Sie erglühte in diesem Moment von der Spitze her. Das Licht kamwieder, es entzündete sie, bald brannte der ganze Schlot. Der Himmel brannte.Vom Delta her zog noch einmal das Licht herauf, von den großen Hollandhäfen amMeer - ein ungewisses, westliches Abendlicht unter feuerroten Wolkenfahnen.Und den Rhein herab kam die Nacht, ein pechschwarzes Segel. Es füllte denanderen Horizont.
Jetzt brannten auch die anderen Türme, die ganze Stadt brannte.Jetzt glühte der Fluss.
Ich trieb in purem Gold.
© 2005 by Rowohlt Verlag GmbH
- Autor: Wolfgang Büscher
- 2005, Nachdruck, 256 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345296
- ISBN-13: 9783871345296
- Erscheinungsdatum: 23.09.2005
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