Diabolus
Der US-Geheimdienst NSA verfügt über einen Computer, der in kürzester Zeit jeden erdenklichen Code knacken kann. Doch eines Tages taucht ein mysteriöses Verschlüsselungsprogramm auf, das den Super-Rechner offensichtlich überfordert: Diabolus. Der...
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Der US-Geheimdienst NSA verfügt über einen Computer, der in kürzester Zeit jeden erdenklichen Code knacken kann. Doch eines Tages taucht ein mysteriöses Verschlüsselungsprogramm auf, das den Super-Rechner offensichtlich überfordert: Diabolus. Der Entwickler dieses Programms droht damit, Diabolus auch für die Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Was ziemlich fatal wäre. Denn würde Diabolus zum Verschlüsselungs-Standard werden, dann wäre der Verbrechensbekämpfung der NSA auf einen Schlag die Macht entzogen.
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In der Vergangenheit konnten die Kryptographen täglich hunderte von Codes knacken - bis zu dem Tage, als Diabolus zum Einsatz kommt: Ein mysteriöses Programm, das den Super-Rechner offenbar überfordert. Der Entwickler des Programms droht, Diabolus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Würde dieses Programm zum Verschlüsselungs-Standard werden, wäre der erfolgreichen Verbrechensbekämpfung der NSA über Nacht die Basis entzogen. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes setzen alle Hebel in Bewegung, das drohende Desaster zu verhindern ...
Mit Diabolus schrieb Bestsellerautor Dan Brown einen spannenden Thriller, der in die Welt der Chiffren und Geheimcodes entführt.
Diabolus von Dan Brown
Prolog
plaza de españa
sevilla, spanien
11.00 Uhr
Es heißt, dass sich imTode alles klärt. Ensei Tankado wusste jetzt, dass die Redensart stimmte. ImFallen, die Hände an die schmerzende Brust gepresst, erkannte er seinenschrecklichen Fehler.
Besorgte Menschentauchten in seinem Gesichtsfeld auf, beugten sich über ihn, bemühten sich, ihmzu helfen. Aber Ensei Tankado wollte keine Hilfe - dafür war es jetzt zuspät.
Bebend hob er die linkeHand und streckte die Finger aus. Schaut auf meine Hand! NeugierigeBlicke trafen ihn, doch er spürte, dass ihn keiner verstand.
An seinem Finger steckteein gravierter goldener Ring. Die Schriftzeichen blitzten in der andalusischenSonne. Es war das letzte Licht, das Ensei Tankado in seinem Leben sah.
Kapitel 1
Sie waren in den SmokyMountains und lagen in einem Himmelbett ihrer Lieblingspension. David lächelte."Was meinst du, Liebling? Würdest du mich heiraten?"
Sie blickte zu ihm hochund wusste, dass er der Richtige war. Für immer und ewig. Während sie in seine tiefgrünenAugen schaute, erhob sich irgendwo in der Ferne ein nervtötendes Gebimmel. Erstrebte von ihr fort. Sie streckte die Arme nach ihm aus und griff ins Leere.
Das Geklingel desTelefons riss Susan Fletcher endgültig aus ihrem Traum. Sie holte tief Luft,setzte sich auf und tastete nach dem Hörer. "Hallo?"
"Susan, hier ist David.Habe ich dich geweckt?"
Sie lächelte und drehtesich auf die Seite. "Ich habe gerade von dir geträumt. Komm rüber! Lass uns einpaar hübsche Sachen miteinander machen."
Er lachte. "Draußen ist snoch dunkel."
"Hmmm." Sie stöhnteverführerisch. "Dann musst du erst recht rüberkommen. Bevor wirlosfahren, ist noch genug Zeit zum Ausschlafen."
David stieß einenfrustrierten Seufzer aus. "Wegen der geplanten Fahrt rufe ich ja an! Wir müssensie leider verschieben."
Susan war mit einemSchlag hellwach. "Wie
"Es tut mir Leid, aberich muss verreisen. Morgen bin ich wieder da. Wenn wir uns gleich in allerHerrgottsfrühe auf den Weg machen, haben wir immer noch zwei ganze Tage füruns."
"Aber ich habe doch schonalles reserviert", sagte Susan eingeschnappt. "Unser altes Zimmer im StoneManor!"
"Ich weiß, aber "
"Der heutige Abend solltedoch ein ganz besonderer Abend werden - zur Feier unserer ersten sechsMonate. Hast du schon vergessen, dass wir verlobt sind?"
Er seufzte. "Susan, ichkann dir jetzt nicht alles erklären. Draußen wartet ein Wagen auf mich. Ichrufe dich vom Flieger aus an und erkläre dir alles."
"Vom Flieger aus?", wiederholte sieungläubig. "Was ist denn los? Wie kommt die Universität dazu, dich ?"
"Es hat mit der Uninichts zu tun. Ich rufe dich später nochmal an und erkläre dir alles. Jetztmuss ich wirklich los, man ruft schon nach mir. Ich melde mich, versprochen!"
"David!", schrie sie."Was soll ?"
Aber David hatte schoneingehängt.
Sie lag noch stundenlangwach und wartete auf den Anruf. Doch das Telefon blieb stumm.
Susan Fletcher saßtrübsinnig in der Badewanne. Es war Nachmittag geworden. Sie tauchte imSeifenwasser unter und versuchte, sich Stone Manor und die Smoky Mountains ausdem Kopf zu schlagen. Wo steckt er nur? Warum meldet er sich nicht?
Das heiße Wasser wurdeallmählich lau und schließlich kalt. Sie hatte sich gerade entschlossen, ausder Wanne zu steigen, als ihr schnurloses Telefon summte. Susan schoss hoch undgriff nach dem Hörer, den sie auf dem Waschbeckenrand abgelegt hatte. Wasserplatschte auf den Boden.
"David?"
"Hier sprichtStrathmore", meldete sich eine Stimme.
Ernüchtert sank Susanzurück. "Ach, Sie sind s." Es gelang ihr nicht, die Enttäuschung zu verbergen."Guten Tag, Commander."
"Sie hatten wohl mit demAnruf eines Jüngeren gerechnet?" Die Stimme klang amüsiert.
"Keineswegs, Sir." DieSituation war Susan peinlich. "Ich möchte nicht, dass ein falscher Eindruckentsteht "
"Schon passiert."Strathmore lachte. "David Becker ist ein prima Kerl. Den sollten Sie sich warmhalten."
"Ja, Sir."
Die Stimme des Commanderswurde unversehens ernst. "Susan, ich melde mich, weil ich Sie hier im Ladenbrauche. Pronto."
Susan versuchte, sich einenReim auf den Anruf zu machen. "Es ist Samstagnachmittag, Sir. Normalerweisehaben wir "
"Weiß ich", sagteStrathmore ruhig. "Aber es handelt sich um einen Notfall."
Susan saß senkrecht inder Wanne. Ein Notfall? Sie hatte dieses Wort noch nie über CommanderStrathmores Lippen kommen hören. Ein Notfall? In der Crypto? Es warabsolut unvorstellbar. "Ja. Ich komme, so schnell ich kann."
"Kommen Sie ruhig einbisschen schneller!", sagte Strathmore und legte auf.
Als Susan sich insBadetuch hüllte, fielen Tropfen auf die fein säuberlich zusammengefaltetenKleidungsstücke, die sie am Abend zuvor herausgelegt hatte - Shorts zumWandern, einen Pullover für die kühlen Abende in den Bergen und die Dessous,die sie extra gekauft hatte. Niedergeschlagen ging sie zum Schrank und holteeine saubere Bluse und einen Rock heraus. Ein Notfall in der Crypto?
Auf der Treppe fragte siesich, ob der Tag eigentlich noch beschissener werden könnte.
Die Antwort ließ nichtlange auf sich warten.
Kapitel 2
Neuntausend Meter übereinem spiegelglatten Ozean starrte David Becker bedrückt aus dem kleinen ovalenFenster des Learjet 60. Das Bordtelefon sei gestört, hatte man ihm gesagt - unddamit war der Anruf bei Susan gestorben.
Was tust du hiereigentlich?, fragte er sich - aber die Antwort lag auf der Hand. Es gab ebenLeute, denen man so leicht nichts abschlagen konnte.
"Mr Becker?", knistertees aus dem Bordlautsprecher. "Wir landen in einer halben Stunde."
Großartig! Er nickte derunsichtbaren Stimme trübsinnig zu, zog die Jalousie herunter und versuchte,noch ein Nickerchen zu machen. Doch seine Gedanken kreisten um Susan.
Kapitel 3
Vor dem drei Meter hohenund von Stacheldrahtrollen gekrönten Stahlzaun ließ Susan den Wagen ausrollen.Der junge Wachmann trat an ihren Volvo und legte gebieterisch die Hand aufsAutodach.
"Ihren Ausweis, bitte."
Susan tat wie ihrgeheißen und machte sich auf die halbminütige Wartezeit gefasst. Der Wachbeamtezog ihre Ausweiskarte durch das elektronische Lesesystem. Schließlich sah erauf.
"Danke, Miss Fletcher." Auf sein kaum wahrnehmbares Nicken schwang das Tor auf.
Einen knappen Kilometerweiter unterzog sich Susan an einem nicht minder abweisenden elektrischgesicherten Zaun der gleichen Prozedur noch einmal. Nun macht schon, Jungs.Ihr habt mich hier ja erst ein paar Tausend Mal durchkomplimentiert! Siefuhr am letzten Kontrollpunkt vor. Ein untersetzter Wachmann mit zwei scharfenHunden und einer Maschinenpistole schaute auf ihr Nummernschild und winkte siedurch. Sie fuhr knapp zweihundertfünfzig Meter auf der Canine Road weiter undbog in den Personalparkplatz C. Nicht zu fassen, dachte sie. SechsundzwanzigtausendMitarbeiter und ein Etat von zwölf Milliarden Dollar, aber sie schaffen esnicht, ein einziges Wochenende lang ohne dich zurechtzukommen? Mit einemkurzen Tritt aufs Gaspedal ließ sie den Wagen auf ihren reservierten Parkplatzrollen und stellte den Motor ab.
Nachdem sie denGrünstreifen überquert hatte, betrat sie das Hauptgebäude, passierte zweiweitere Sicherheitskontrollen und gelangte schließlich an den fensterlosenDurchgang, der zu dem neuen Gebäude hinüberführte. Auf einem Hinweisschildstand zu lesen:
National Security Agency(NSA)
Crypto-Abteilung
Für Unbefugte keinZutritt
Eine Kabine mit einemdigitalen Stimmerkennungssystem versperrte den Zugang. Der bewaffneteWachposten blickte auf. "Tag, Miss Fletcher."
Susan lächelte matt."Hallo, John."
"Ich habe heute gar nichtmit Ihnen gerechnet."
"Ich auch nicht." Siebeugte sich zu dem im Brennpunkt einer kleinen Parabolschüssel angebrachtenMikrofon. "Susan Fletcher", sagte sie klar und deutlich. Der Computerbestätigte das Frequenzspektrum ihrer Stimme, und die Sperrschranke sprangklickend auf.
Der Wachmann bedachteSusan mit einem bewundernden Blick. Er bemerkte, dass ihre ansonsten so festdreinblickenden Augen etwas abwesend wirkten, aber ihre Wangen hatten einerosige Frische, und ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar wirkte frischgeföhnt. Ein zarter Duft von Johnson s Babypuder umwehte sie. Der Blick desWachmanns glitt an ihrem schlanken Oberkörper herab, registrierte den BH unterihrer weißen Bluse, den knielangen Khakirock und schließlich die Beine SusanFletchers Beine.
Kaum zu glauben, dass auf diesenBeinen ein IQ von 170 herumläuft, sinnierte er, während er Susan auf ihrem Weg durchdie Betonröhre hinterherstarrte, bis sie in der Ferne verschwunden war. Miteinem ungläubigen Kopfschütteln riss er sich von dem Anblick los.
Als Susan das Ende desTunnels erreicht hatte, blockierte eine kreisrunde Portalscheibe ihren Weg, aufder in gewaltigen Lettern crypto angeschrieben stand.
Seufzend streckte sie dieHand nach dem in die Wand eingelassenen Tastenfeld aus und gab ihre pin-Nummerein. Sofort setzte sich die zwölf Tonnen schwere stählerne Türscheibe inBewegung. Susan versuchte, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, aber ihreGedanken glitten zurück zu David.
David Becker. Der einzigeMann, den sie je geliebt hatte. Als jüngster Inhaber einer Vollprofessur an derGeorgetown Universität und Spezialist für Fremdsprachen war er in derakademischen Welt kein Unbekannter mehr. Mit seinem angeborenen fotografischenGedächtnis und seiner Sprachbegabung hatte er sechs asiatische Idiome müheloszu beherrschen gelernt, dazu noch Spanisch, Französisch und Italienisch. Seinemit Sachkunde und Begeisterung vorgetragenen Etymologie- undLinguistikvorlesungen waren stets überfüllt, wobei er sich hinterher noch weitüber das Ende der Veranstaltung hinaus unverdrossen dem Kreuzfeuer der Fragenzu stellen pflegte. Die bewundernden Blicke der weiblichen Hörerschaft schienenihm völlig zu entgehen.
Becker war ein eherdunkler, jugendlicher Typ von fünfunddreißig Jahren mit scharf blickendengrünen Augen und nicht minder scharfem Intellekt. Sein markantes Kinn und diestraffen Gesichtszüge erinnerten Susan immer an eine antike Marmorstatue.Ungeachtet seiner Größe von weit über eins achtzig flitzte Becker mit einerseinen Kollegen unbegreiflichen Behändigkeit über den Squashcourt. Wenn er demGegner eine solide Niederlage verpasst hatte, pflegte er zur Abkühlung den Kopfin einen Trinkwasserspender zu halten, bis das Wasser aus seinem dichtenschwarzen Haarschopf troff, um sodann dem geschlagenen Gegner einen Fruchtshakeund einen Bagel auszugeben.
Wie alle Jungakademikerbezog auch David Becker kein besonders üppiges Dozentengehalt. Wenn wiedereinmal der Mitgliedsbeitrag zum Squash-Club fällig war oder sein alterDunlopschläger eine neue Bespannung mit Natursaiten nötig hatte, pflegte er vonZeit zu Zeit sein Gehalt mit Übersetzungsaufträgen für die Regierungsbehördenin und um Washington aufzubessern. Bei einem dieser Gelegenheitsjobs war erSusan begegnet.
Als er in den vergangenenHerbstferien an einem frischen Oktobermorgen von seiner regelmäßigenJoggingrunde in sein Dreizimmer-Apartment auf dem Universitätsgeländezurückgekehrt war, hatte der Anrufbeantworter geblinkt. Während er sich denüblichen Liter Orangensaft einverleibte, hatte er den Anruf abgehört. DieBotschaft unterschied sich in nichts von den zahlreichen früheren Anrufen -eine Regierungsbehörde wollte ihn für eine Übersetzungsarbeit im späterenVerlauf des Vormittags ein paar Stunden engagieren. Das einzig Auffallende war,dass Becker noch nie etwas von dieser Behörde gehört hatte.
"Der Verein heißtNational Security Agency", erläuterte Becker den Kollegen, die er Rat suchendangerufen hatte.
Die Antwort war stets diegleiche gewesen. "Du meinst wohl den National Security Council, denNationalen Sicherheitsrat?"
Becker hattesicherheitshalber den Anruf noch einmal abgehört. "Nein, sie haben sich mitNational Security Agency gemeldet."
"Noch nie was davongehört!"
Becker hatte imVerzeichnis der Regierungsbehörden nachgesehen, aber auch dort war die NSAnicht aufgeführt. Schließlich hatte er einen alten Squash-Kumpel angerufen,einen früheren Politikwissenschaftler, der inzwischen eine Stelle bei derForschungsabteilung der Kongressbibliothek innehatte. Die Ausführungen seinesBekannten hatten ihn ziemlich erschüttert.
Nicht nur, dass es dieNSA tatsächlich gab, sie war sogar eine der einflussreichsten staatlichenOrganisationen der Welt und hatte seit mehr als einem halben Jahrhundert aufelektronischem Wege nachrichtendienstliche Erkenntnisse gesammelt undgleichzeitig das geheimdienstliche Material der USA vor fremder Spionagegeschützt. Lediglich zwei Prozent der amerikanischen Bevölkerung wussten, dasses diese Behörde überhaupt gab.
"NSA", witzelte derFreund, "ist die Abkürzung von niemand soll s ahnen ."
Mit einer Mischung ausNeugier und Unbehagen hatte Becker den Auftrag der mysteriösen Behördeangenommen. Er war gut fünfzig Kilometer weit zu dem über dreieinhalbtausendHektar großen NSA-Hauptquartier hinausgefahren, das sich diskret in denbewaldeten Hügeln von Fort Meade in Maryland verbarg. Nach schier endlosenSicherheitskontrollen hatte man ihm einen auf sechs Stunden ausgestelltenholographischen Besucherausweis ausgehändigt und ihn in eine üppigausgestattete Forschungseinrichtung geführt. Dort wurde ihm eröffnet, dieKryptographen - ein Eliteteam von mathemathischen Genies, die sichsalopp Codeknacker nannten - bräuchten ihn in den kommendenMittagsstunden für eine "blinde Zuarbeit".
Während der ersten Stundeschienen sie Beckers Anwesenheit nicht einmal wahrzunehmen. Um einen riesigenTisch geschart, unterhielten sie sich in einem Becker völlig fremden Vokabularüber Datenstromchiffren, selbstdezimierende Geber, Rucksackvariablen,Blindprotokolle und Eindeutigkeitspunkte. Becker spitzte dieOhren und verstand gar nichts. Man kritzelte Symbole auf Millimeterpapier,brütete über Computerausdrucken und deutete immer wieder auf das von einemOverheadprojektor an die Wand geworfene Textgewirr:
JHDJA3JKHDHMADO/ERTWTJLW+JGJ328
5JHALSFNHKHHHFAF0HHDFGAF/FJ37WE
OHI93450S9DJFD2H/HHRTYFHLF89303
95JSPJF2J0890IHJ98YHFI080EWRT03
JOJR845H0ROQ+JT0EU4TQEFQE//OUJW
08UY0IH0934JTPWFIAJER09QU4JR9GU
IVJP$DUW4H95PE8RTUGVJW3P4E/IKKC
MFFUERHFGV0Q394IKJRMG+UNHVS9OER
IRK/0956Y7U0POIKI0JP9F8760QWERQI
Irgendwann wurde Beckermitgeteilt, was er sich ohnehin schon längst gedacht hatte: Das Textgewirr warein Code - ein verschlüsselter Text aus Zahlen und Buchstabengruppen,die für verschlüsselte Wörter standen. Die Kryptographen sollten den Codeanalysieren und die ursprüngliche Botschaft - den "Klartext" -wiederherstellen. Da man annahm, dass die ursprüngliche Botschaft inMandarin-Chinesisch abgefasst war, hatte man Becker herbeigerufen, um die vonden Kryptographen entzifferten Schriftzeichen ins Englische zu übertragen.
Zwei Stunden langübersetzte Becker eine endlose Reihe von Mandarin-Schriftzeichen, aber dieKryptographen schüttelten jedes Mal entmutigt den Kopf und konnten offenbarkeinen Sinn erkennen. Um den Leuten zu helfen, erklärte Becker schließlich,dass alle ihm bisher vorgelegten Schriftzeichen eines gemeinsam hätten -sie würden auch in der japanischen Kanji-Schrift benutzt. Schlagartig wurde esstill. Der Leiter der Gruppe, ein schlaksiger Kettenraucher namens Moranti, sahBecker konsterniert an.
"Sie meinen, dieseSchriftzeichen können zweierlei bedeuten?"
Becker nickte. Ererläuterte, Kanji sei ein japanisches Zeichensystem, das mit modifiziertenchinesischen Schriftzeichen arbeite. Er habe allerdings auftragsgemäß bisherimmer nur ins Mandarin-Chinesisch übersetzt.
"Ach du lieber Gott!",schniefte Moranti. "Dann wollen wir es doch mal mit Kanji versuchen."
Wie durch ein Wunder fielauf einmal alles wie von selbst an seinen Platz.
Die Kryptographen warentief beeindruckt - was sie jedoch keineswegs dazu veranlasste, Beckerdie Schriftzeichen in der richtigen Reihenfolge vorzulegen. "Zu Ihrer eigenenSicherheit", erläuterte Moranti. "Auf diese Weise wissen Sie nicht, was Sie füruns übersetzen."
Becker lachte, aber außerihm lachte keiner.
Als der Code komplettentschlüsselt war, hatte Becker keine Ahnung, welche dunklen Geheimnisse er ansTageslicht zu fördern geholfen hatte, aber eines war gewiss - die NSAbetrieb das Dechiffrieren nicht zum Spaß. Der Scheck in seiner Tasche warjedenfalls mehr wert als das Monatsgehalt eines Universitätsprofessors.
Auf dem Rückweg durch denRaster der Sicherheitskontrollen verstellte ihm im Hauptflur ein Wachmann, dersoeben das Telefon aufgelegt hatte, den Weg. "Mr Becker, bitte warten Sie hiereinen Augenblick."
"Gibt es ein Problem?"Becker hatte nicht damit gerechnet, dass der Auftrag so lange dauern würde. Fürsein regelmäßiges Squash-Match am Samstagnachmittag war er schon ziemlich spätdran.
Der Wachmann zuckte dieSchultern. "Die Abteilungsleiterin der Crypto möchte Sie sprechen. Sie gehtgerade nach Hause und ist schon unterwegs."
"Eine Frau?",wunderte sich Becker und grinste. Bei der NSA war ihm bislang noch keine Fraubegegnet.
"Haben Sie damit einProblem?", fragte eine weibliche Stimme hinter ihm.
Becker drehte sich um. Erspürte das Blut jäh in seine Wangen schießen. Er starrte auf den an die Bluseder Frau gehefteten Hausausweis. Die Chefin der kryptographischen Abteilung warzweifellos eine Frau, und eine attraktive obendrein.
"Nein", stammelte Becker,"ich habe nur "
"Susan Fletcher", stelltesich die Abteilungsleiterin lächelnd vor und streckte ihm eine schlanke Handentgegen.
Becker nahm sie in dieseine. "David Becker."
"Meinen Glückwunsch, MrBecker. Man hat mir von Ihrer beachtlichen Leistung berichtet. Ich würde michmit Ihnen gern ein bisschen darüber unterhalten."
Becker zögerte. "Umehrlich zu sein, ich habe es im Moment leider etwas eilig."
Er hoffte, dass es keineallzu große Dummheit war, einer leitenden Mitarbeiterin der mächtigstenGeheimdienstbehörde der Welt einen Korb zu geben, aber sein Squash-Match solltein einer Dreiviertelstunde losgehen, und er hatte schließlich einen Ruf zuverlieren. Zum Squash kam David Becker niemals zu spät - zur Vorlesungvielleicht, aber zum Squash? Niemals!
"Es wird nicht langedauern", sagte Susan Fletcher lächelnd. "Wenn Sie mir bitte folgen wollen ?"
Fünf Minuten später saßBecker im Kasino der NSA der NSA-Chefkryptographin Susan Fletcher gegenüber undließ sich einen Eierpfannkuchen mit Preiselbeersoße schmecken. Schnell wurdeihm klar, dass die Achtunddreißigjährige ihre hohe Stellung keineswegsirgendwelchen Kungeleien verdankte - sie war eine der intelligentestenFrauen, die er je kennen gelernt hatte. Becker bekam bei der Unterhaltung überCodes und
Dechiffriermethoden diegrößten Schwierigkeiten, ihr zu folgen - für ihn eine völlig neue unddurchaus anregende Erfahrung.
Eine Stunde später -Becker hatte unwiderruflich sein Squash-Match verpasst, und Susan Fletcherhatte dreimal ohne mit der Wimper zu zucken ihren piepsenden Pager ignoriert -mussten sie beide lachen. Da saßen sie nun, zwei hochgradig analytischgeschulte Köpfe, mit ihrer vor sich hergetragenen Immunität gegen dieAnfechtungen des Irrationalen, aber irgendwie, während sie sich überlinguistische Morphologie und die Fallstricke von Zufallsgeneratorenunterhielten, kamen sie sich vor wie zwei turtelnde Teenager.
Susan kam die ganze Zeitnicht dazu, David Becker den eigentlichen Grund zu nennen, weshalb sie ihnhatte sprechen wollen: um ihm eine Probeanstellung in der Abteilung fürasiatische Kryptographie anzubieten. Bei der Begeisterung, mit der der jungeProfessor über seinen Lehrberuf sprach, war ohnehin klar, dass er derUniversität nicht den Rücken kehren würde. Susan wollte die unbeschwerteAtmosphäre nicht verderben, indem sie das Gespräch auf Berufliches lenkte.Nichts sollte die schöne Stimmung trüben. Und nichts trübte sie.
Das gegenseitigeNäherkommen verlief langsam und romantisch, mit verstohlenen Ausbrüchen aus derTagesroutine, wann immer ihre knapp bemessene Freizeit es zuließ, mit langenSpaziergängen auf dem Campus der Georgetown Universität, einem nächtlichenCappuccino bei Merlutti und gelegentlichen Besuchen von Vorträgen undKonzerten. Susan bemerkte, dass sie mehr lachte, als sie es jemals für möglichgehalten hatte. Es gab anscheinend nichts, dem David nicht eine witzige Seiteabzugewinnen vermochte. Sie genoss es als willkommene Abwechslung von derBeanspruchung, die ihr verantwortungsvoller Posten bei der NSA mit sichbrachte.
An einem kühlenHerbstnachmittag saßen sie auf den Rängen des Fußballstadions und schauten zu,wie die Kicker von Rutgers die Mannschaft von Georgetown fertig machten.
"Was für einen Sporttreibst du noch mal? Zucchini?", neckte Susan.
David stöhnte auf. "Man nennt es Squash."
Susan sah ihnverständnislos an.
"Es geht wie Zucchini,nur das Spielfeld ist etwas kleiner", erläuterte David.
Susan boxte ihn in dieSeite.
Der linke Verteidiger vonGeorgetown vergab einen Eckball. Die Menge buhte. Die Verteidiger ranntenzurück in die eigene Hälfte.
"Und du?", erkundigtesich David. "Was für einen Sport treibst du eigentlich?"
"Ich bin Weltmeisterinauf dem Hometrainer."
David wand sich ingespieltem Abscheu. "Mir sind Sportarten lieber, bei denen man auch gewinnenkann."
Susan grinste ihn an. "Dubist wohl ein Streber."
Der Starverteidiger vonGeorgetown stoppte einen gegnerischen Querpass. Jubel erklang von der Tribüne.Susan beugte sich zu David. "Doktor", flüsterte sie ihm ins Ohr.
David sah sieverständnislos an.
"Doktor", wiederholteSusan. "Du musst mit dem ersten Wort antworten, das dir spontan in den Sinnkommt."
David sah sie skeptischan. "Ein Wortassoziationstest?"
"Standardprozedur bei derNSA. Ich muss wissen, mit wem ich es zu tun habe." Sie sah ihn bedeutungsvollan. "Also: Doktor ."
David hob die Achseln."Doolittle."
Susan runzelte die Stirn."Okay, dann versuch s mal hiermit: Küche ."
"Schlafzimmer", kam eswie aus der Pistole geschossen.
Susan hob leicht pikiertdie Brauen. "Na gut. Und wie steht s damit: Natur ."
"Darm", sagte Davidpostwendend.
"Darm?"
"Na klar. Naturdarm. DieSchlägerbespannung der Squash-Cracks."
"Ach, wie entzückend",mokierte sich Susan.
"Und wie lautet nun deineDiagnose?"
Susan dachte kurz nach."Du bist ein kindischer, sexuell frustrierter Squash-Fan."
"Könnte hinkommen",meinte David.
In diesem Stil ging eswochenlang weiter. Wenn sie in einem der vielen nachts geöffnetenSchnellrestaurants beim Nachtisch saßen, pflegte David Susan Löcher in denBauch zu fragen.
Wo hatte sie Mathematikstudiert?
Wie war sie an den Jobbei der NSA gekommen?
Wie kam es, dass sie soanziehend war?
Susan wurde rot undräumte ein, dass sie eine Spätentwicklerin sei. Während ihrer ganzenTeenagerzeit war sie ungelenk und dürr gewesen und hatte eine Zahnspangegetragen. Ihre Tante Clara hatte einmal gesagt, zum Trost für ihreUnansehnlichkeit hätte ihr der liebe Gott einen schlauen Kopf gegeben. Einvoreiliger Trost, dachte David.
Susan erzählte ihm, dassihr Interesse an der Kryptographie in der Junior High School erwacht war. DerLeiter des Computerclubs, ein riesiger Achtklässler namens Frank Gutmann, hatteein Liebesgedicht für sie abgetippt und mit einer numerischen Verschiebechiffreverschlüsselt. Susan hatte ihn angebettelt, ihr zu verraten, was da stand, aberFrank hatte sich geweigert. Darauf hatte sie das Werk nach Hause mitgenommenund die ganze Nacht unter der Bettdecke beim Schein einer Taschenlampe daranherumgeknobelt, bis das Geheimnis gelüftet war. Jede Ziffer stand für einenBuchstaben. Sorgfältig entschlüsselte sie den Text und erlebte das Wunder, wieein scheinbar zufälliges Zahlengewirr sich wie durch Hexerei in wundervollePoesie verwandelte. In dieser Nacht hatte sie ihre Berufung entdeckt -Kryptographie und Verschlüsselungssysteme sollten ihr Lebensinhalt werden.
Zwanzig Jahre später, siehatte an dr Johns Hopkins Universität ihr Mathematikdiplom gemacht und MITeinem Stipendium des mit Zahlentheorie als Hauptfach studiert, legte sie ihreDoktorarbeit vor: Kryptographische Methoden, Protokolle und Algorithmen fürmanuelle Anwendungen. Offenbar war ihr Professor nicht der Einzige, derihre Arbeit gelesen hatte, denn kurz darauf erhielt Susan einen Anruf und ein Flugticketvon der NSA.
Wer sich mitKryptographie beschäftigte, kannte auch die NSA, denn bei dieser Behördearbeiteten die besten Kryptographen der Welt. Wenn sich die Privatwirtschaftjeden Frühling mit geradezu obszönen Gehaltsangeboten und Aktienoptionen aufdie besten Köpfe der Studienabgänger stürzte, pflegte die NSA sorgfältig dasGetümmel zu beobachten, sich ihre Schäfchen auszusuchen und schließlich mit demDoppelten des höchsten Gebots auf den Plan zu treten. Wenn die NSA etwas habenwollte, kaufte sie es eben. Vor Aufregung bibbernd war Susan nach Washingtongeflogen, wo ein Wagen der NSA sie am Dulles Airport erwartet und nach FortMeade verfrachtet hatte.
Außer Susan hatten injenem Jahr einundvierzig weitere Bewerber den besagten Anruf erhalten. Susanwar mit ihren achtundzwanzig Jahren die jüngste und obendrein die einzigeweibliche Bewerberin gewesen. Die Sache erwies sich weniger als eineInformationsplattform, sondern zu weitaus größeren Teilen als PR-Veranstaltungmit einem intensiven Beiprogramm von Intelligenztests. Susan und sechs weitereKandidaten wurden in den folgenden Wochen noch einmal eingeladen. Susan hattezwar Bedenken, ging aber trotzdem hin. Die Bewerber wurden sofort voneinandergetrennt und mussten sich Lügendetektor-Tests, Hintergrundbefragungen,graphologischen Analysen und nicht enden wollenden Interviews unterziehen,wobei die auf Tonträger dokumentierten Befragungen auch die sexuelleOrientierung und die sexuellen Praktiken nicht ausließen. Als der InterviewerSusan fragte, ob sie schon einmal Geschlechtsverkehr mit Tieren gehabt hätte,war sie drauf und dran gewesen, aufzustehen und zu gehen. Aber dasGeheimnisvolle der ganzen Veranstaltung und die Aussicht, an der vorderstenFront der kryptographischen Theorie mitmischen zu können, einen Arbeitsplatz im"Rätsel-Palast" zu beziehen und Mitglied des exklusivsten Clubs der Welt zuwerden - der National Security Agency -, ließen sie auch diese Situationirgendwie überstehen.
David Becker war vonihren Erzählungen vollkommen fasziniert. "Sie haben dich tatsächlich gefragt,ob du schon einmal Geschlechtsverkehr mit einem Tier gehabt hättest?"
Susan hob hilflos dieSchultern. "Es gehört eben zum Background-Check."
"Und ", David versuchteein Grinsen zu unterdrücken, "was hast du geantwortet?"
Sie trat ihn unter demTisch gegen das Schienbein. "Nein, natürlich! Und bis letzte Nacht hat das auchgestimmt!"
David hätte SusansIdealvorstellung von einem Mann nicht besser entsprechen können - bisauf eine unglückliche Eigenart. Wenn sie miteinander ausgingen, bestand ernotorisch darauf, die Rechnung zu begleichen. Susan litt darunter, dass er fürein Dinner bei Kerzenschein einen ganzen Tagesverdienst hinblättern musste,doch David war unerbittlich. Susan gewöhnte sich an, auf Proteste zuverzichten, aber es störte sie dennoch. Das Bezahlen wäre eigentlich deineSache, tadelte sie sich selbst. Schließlich kriegst du jedenMonat mehr Geld aufs Konto, als du ausgeben kannst.
Wie auch immer,ungeachtet seiner altmodischen Kavaliersvorstellungen war David für Susan derideale Mann. Er war einfühlsam, klug, lustig, und vor allem, er interessiertesich aufrichtig für ihre Arbeit. Ob bei den Besuchen des Smithonian Institute,beim Radfahren oder beim Zerkochenlassen der Spaghetti in Susans Küche, seineNeugier ließ nie nach. Susan beantwortete seine Fragen nach bestem Vermögen undgab David Einblick in die National Security Agency - soweit es ihrePflicht zur Geheimhaltung zuließ.
David war fasziniert vondem, was er da zu hören bekam.
Seit über fünfzig Jahrenwar die am vierten November 1952 um zwölf Uhr eins von Präsident Trumangegründete National Security Agency der mysteriöseste Nachrichtendienst derWelt. Die auf sieben Seiten niedergelegte ursprüngliche Doktrin der NSA gab einklar umrissenes Aufgabengebiet vor: den umfassenden Schutz von sämtlichenhoheitlichen US-amerikanischen Kommunikationskanälen und deren Inhalten sowiedas möglichst vollständige Abfangen der Kommunikationen fremder Mächte.
Das Dach desNSA-Hauptgebäudes war mit über fünfhundert Antennen bepflastert, darunter auchzwei voluminöse Antennenkuppeln, die wie zwei riesige Golfbälle wirkten. DieDimensionen des Gebäudes selbst waren ebenfalls gigantisch. Mit seinen über 185000 Quadratmetern Nutzfläche war es zweimal so groß wie das Hauptquartier derCIA. An die 2 440 Kilometer Kommunikationsleitungen waren in seinem Innerenverlegt, die Fläche der versiegelten Fenster betrug zigtausend Quadratmeter.
Susan berichtete Davidvon COMINT, der global arbeitenden Erkundungsabteilung der NSA - miteinem jede Vorstellung sprengenden Arsenal von Satelliten, Abhöranlagen,angezapften Leitungen und Agenten in aller Welt. Tag für Tag wurden Tausendevon Kommunikees und Gesprächen abgefangen und den Analysten der NSA zugeleitet.Die Entscheidungsfindung des FBI, der CIA und der außenpolitischen Berater derUS-Regierung stützte sich zu wesentlichen Teilen auf dienachrichtendienstlichen Erkenntnisse der NSA.
David Becker war völlig vonden Socken. "Und das Dechiffrieren? Wo kommt deine Arbeit ins Bild?"
Susan erläuterte, dasshäufig Nachrichten von Regierungen feindlich gesinnter Länder, von gegnerischenGruppierungen und terroristischen Organisationen, die in zahlreichen Fällensogar in den USA selbst tätig waren, abgefangen wurden. Die Absender sandten inder Regel verschlüsselte Botschaften - falls ihre Nachricht in diefalschen Hände geraten sollte, was dank COMINT in der Regel auch geschah. WieSusan erläuterte, hatte
sie die Aufgabe, denjeweiligen Code zu knacken und die dechiffrierte Botschaft in die Kanäle derNSA zu leiten eine Darstellung, die allerdings nicht ganz stimmte.
Susan kam sich mies vor,weil sie ihren Geliebten belügen musste, aber etwas anderes blieb ihr gar nichtübrig. Vor ein paar Jahren noch wäre diese Version einigermaßen zutreffendgewesen, aber inzwischen wehte bei der NSA ein anderer Wind. Die Welt derKryptographie hatte sich grundlegend geändert. In Susans Aufgabengebietherrschte strengste Geheimhaltung, selbst gegenüber zahlreichen Inhabernhöchster Machtpositionen.
"Wenn du nun so einenverschlüsselten Text vor dir hast", wollte David wissen, "wie weißt du denn, wodu anfangen musst? Ich meine wie kommst du dem Code bei?"
Susan lächelte. "Also, wennüberhaupt jemand, dann müsstest du das doch wissen. Es ist wie das Erlerneneiner Fremdsprache. Anfangs sieht man nur lauter unverständliches Zeug, aberwenn man allmählich in die Struktur und Regeln des Textes eindringt, gibt erimmer mehr von seiner Bedeutung preis."
David nickte beeindruckt.Er wollte noch mehr erfahren.
Unter Benutzung derServietten ihres Lieblings-Italieners und so mancher Konzertprogramme machteSusan sich daran, ihrem charmanten neuen Schüler eine Einführung in dieKryptographie zu geben. Sie begann mit dem Caesar-Code.
Julius Caesar, erläutertesie, war unter anderem auch der Erfinder eines Kodierungssystems gewesen. Alsseine Boten überfallen und ihnen die geheimen Botschaften entrissen wurden,überlegte er sich eine rudimentäre Methode zum Verschlüsseln seiner Befehle.Zuerst zerlegte er den Text seiner Botschaft nach einem bestimmten System,wodurch er sinnlos wirkte, was er natürlich nicht war. Die Zahl der Buchstaben,aus denen Caesar eine Botschaft zusammensetzte, entsprach dabei stets einervollen Quadratzahl, also zum Beispiel sechzehn, fünfundzwanzig oder einhundert,je nachdem, wie viel Text er zu übermitteln hatte. Seine Offiziere wussten,dass sie beim Eintreffen einer unverständlichen Mitteilung die Buchstaben von linksnach rechts in ein quadratisches Gitter einzutragen hatten. Wenn sie nun dieBuchstabenkolonnen von oben nach unten lasen, erschien auf einmal der zuvorunlesbare geheime Text.
Im Lauf der Zeitübernahmen auch andere die von Caesar entwickelte Methode der Neuanordnung vonTexten und modifizierten sie in einer weniger leicht durchschaubaren Weise. Derabsolute Höhepunkt der nicht computergestützten Verschlüsselungsverfahren wurdeim Zweiten Weltkrieg erreicht, als die Nazis eine Verschlüsselungsmaschine namensEnigma bauten. Dieser Apparat bestand aus riesigen ineinander greifendenWalzen, die sich auf raffinierte Weise gegeneinander verdrehten und denKlartext in verwirrende und scheinbar völlig sinnlose Zeichengruppen zerlegten,die nur mit einer zweiten Enigma-Maschine wieder in die richtige Reihenfolgegebracht werden konnten.
David Becker hörte wiegebannt zu. Der Lehrer war zum Schüler geworden.
Eines Abends gab Susanihm während einer Aufführung der "Nussknacker-Suite" zum ersten Mal eineneinfachen Code zu knacken. Während der ganzen Pause rätselte er mit demKugelschreiber in der Hand an den zwölf Buchstaben der Botschaft herum:
hbg khdad chbg
Als vor der zweitenKonzerthälfte die Lichter verlöschten, hatte er es geschafft. Susan hatteeinfach die Buchstaben ihrer Botschaft gegen den jeweils vorangehenden desAlphabets ausgetauscht. Zur Entschlüsselung musste man lediglich jedenBuchstaben der Botschaft eine Position des Alphabets weiter rücken - ausA wurde B, aus B wurde C und so weiter. Schnell setzte David auch noch dierestlichen Buchstaben an ihren richtigen Platz. Er hätte nie gedacht, dass ihndrei Wörter so glücklich machen könnten:
ich liebe dich
Eilends schrieb er seineAntwort nieder und hielt sie Susan hin.
hbg chbg ztbg
Susan las und strahlte.
David Becker musstelachen. Er war fünfunddreißig Jahre alt, und sein Herz schlug Purzelbäume. Nochnie in seinem Leben hatte er sich so intensiv zu einer Frau hingezogen gefühlt.Ihre feinen Gesichtszüge und ihre sanften braunen Augen erinnerten ihn an eineKosmetikreklame von Estée Lauder. Susan mochte zur Teenagerzeit ungelenk unddürr gewesen sein, jetzt war sie es weiß Gott nicht mehr. Irgendwann hatte sieeine gazellenhafte Grazie entwickelt. Sie war groß und schlank, mit festenvollen Brüsten und einem wunderbar flachen Bauch. David witzelte oft, ihm seinoch nie ein Model für Bademoden mit einem Doktortitel in Zahlentheorie undangewandter Mathematik über den Weg gelaufen.
Die Monate gingen insLand, und bei beiden verdichtete sich der Verdacht, dass sie es recht gut einLeben lang miteinander würden aushalten können.
Sie waren schon fast zweiJahre zusammen, als David bei einem Wochenendausflug in die Smoky MountainsSusan aus heiterem Himmel einen Heiratsantrag machte. Sie lagen in Stone Manorin einem großen Himmelbett. David hatte noch nicht einmal einen Ring dabei. Erplatzte einfach so damit heraus. Das war es, was Susan so sehr an ihm liebte -seine Spontaneität. Er zog ihr das Negligee von den Schultern und schlang dieArme um sie.
Sie küsste ihn lang undinnig.
"Ich werte das als einJa", hatte er gesagt. In der behaglichen Wärme des Kaminfeuers hatten sie sichdie ganze Nacht geliebt.
Diese magische Nacht warnun sechs Monate her. Inzwischen hatte man David überraschend zum Leiter desInstituts für Moderne Sprachen berufen.
Seitdem ging es mit ihrerBeziehung unaufhaltsam bergab.
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© für die deutschsprachigeAusgabe 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach - Allrights reserved.
Übersetzung:Peter A. Schmidt
- Autor: Dan Brown
- 2014, 13. Aufl., 528 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Peter A.
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4026411361482
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