Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
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Im März 1970 erscheint die Erzählung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter in der Startauflage von 25 000 Exemplaren, und ein halbes Jahr später hat sich die Auflage verdoppelt. Die Aufnahme fällt einhellig aus: »Diese Erzählung gehört zu dem Bestechendsten, was in den letzten zehn Jahren deutsch geschrieben worden ist.« (Karl Heinz Bohrer, Frankfurter Allgemeine Zeitung) »Um das vorweg zu sagen: ich halte 'Die Angst des Tormanns beim Elfmeter' ohne jede Einschränkung für das beste Buch, das in der deutschen Sprache nach Thomas Bernhards 'Verstörung' und 'Ungenach' geschrieben wurde.« (Peter Hamm, Neues Forum)
DieAngst des Tormanns beim Elfmeter von Peter Handke
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DemMonteur Josef Bloch, der früher ein bekannter
Tormanngewesen war, wurde, als er sich am Vormittag
zurArbeit meldete, mitgeteilt, daß er entlassen sei.Jedenfalls
legteBloch die Tatsache, daß bei seinem Erscheinen
in der Türder Bauhütte, wo sich die Arbeiter gerade
aufhielten,nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine
solcheMitteilung aus und verließ das Baugelände. Auf
derStraße hob er den Arm, aber das Auto, das an ihm vorbeifuhr,
war -wenn Bloch den Arm auch gar nicht um ein
Taxigehoben hatte - kein Taxi gewesen. Schließlich hörte
er vorsich ein Bremsgeräusch; Bloch drehte sich um: hinter
ihm standein Taxi, der Taxifahrer schimpfte; Bloch
drehtesich wieder um, stieg ein und ließ sich zum Naschmarkt
fahren.
Es warein schöner Oktobertag. Bloch aß an einem
Standeine heiße Wurst und ging dann zwischen den Ständen
durch zueinem Kino. Alles, was er sah, störte ihn; er
versuchte,möglichst wenig wahrzunehmen. Im Kino drinnen
atmete erauf.
Imnachhinein wunderte er sich, daß die Kassiererin
dieGeste, mit der er das Geld, ohne etwas zu sagen, auf
dendrehbaren Teller gelegt hatte, mit einer anderen Geste
wieselbstverständlich beantwortet hatte. Neben der Leinwand
bemerkteer eine elektrische Uhr mit beleuchtetem
Zifferblatt.Mitten im Film hörte er eine Glocke läuten;
er warlange unschlüssig, ob sie in dem Film läutete oder
draußenin dem Kirchturm neben dem Naschmarkt.
Wiederauf der Straße, kaufte er sich Weintrauben, die
zu dieserJahreszeit besonders billig waren. Er ging weiter,
aß dabeidie Trauben und spuckte die Hülsen weg. Das
ersteHotel, in dem er um ein Zimmer fragte, wies ihn ab,
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weil ernur eine Aktentasche bei sich hatte; der Portier des
zweitenHotels, das in einer Nebengasse lag, führte ihn
selberhinauf in das Zimmer. Während der Portier noch
amHinausgehen war, legte sich Bloch auf das Bett und
schliefbald ein.
Am Abendverließ er das Hotel und betrank sich. Später
wurde erwieder nüchtern und versuchte, Freunde anzurufen;
da dieseFreunde oft nicht im Stadtgebiet wohnten
und derFernsprecher die Münzen nicht herausgab, ging
Blochbald das Kleingeld aus. Ein Polizist, den er grüßte,
in derMeinung, ihn zum Stehenbleiben bewegen zu können,
grüßtenicht zurück. Bloch fragte sich, ob der Polizist
dieWorte, die er ihm über die Straße zugerufen hatte,
vielleichtnicht richtig ausgelegt hatte, und dachte an die
Selbstverständlichkeit,mit der dagegen die Kinokassiererin
denTeller mit der Eintrittskarte ihm zugedreht hatte.
Er warüber die Schnelligkeit der Bewegung so erstaunt gewesen,
daß er fast versäumt hatte, die Karte aus dem Teller
zunehmen. Er beschloß, die Kassiererin aufzusuchen.
Als er zudem Kino kam, wurden die Schaukästen gerade
dunkel.Bloch erblickte einen Mann, der, auf einer Leiter
stehend,die Lettern für den Film mit den Lettern für
denmorgigen Film vertauschte. Er wartete ab, bis er den
Titel desanderen Filmes lesen konnte; dann ging er ins
Hotelzurück.
Dernächste Tag war ein Samstag. Bloch entschloß sich,
einenweiteren Tag in dem Hotel zu bleiben. Außer einem
amerikanischenEhepaar war er allein im Frühstücksraum;
eineZeitlang hörte er dem Gespräch zu, das er, weil er
frühereinige Male mit seiner Mannschaft zu einem Turnier
in NewYork gewesen war, leidlich verstehen konnte;
dann ginger schnell hinaus, um ein paar Zeitungen zu
kaufen.Die Zeitungen, weil es sich um Wochenendausgaben
handelte,waren an diesem Tag besonders schwer; er
faltetesie nicht, sondern trug sie unter dem Arm zum Ho-
tel zurück. Er setzte sich wieder an den Frühstückstisch,
den manschon abgeräumt hatte, und entfernte die Anzeigenbeilagen;
dasbedrückte ihn. Draußen sah er zwei Leute
mitdicken Zeitungen gehen. Er hielt den Atem an, bis
sievorbei waren. Jetzt erst bemerkte er, daß es sich umdie
beidenAmerikaner gehandelt hatte; im Freien hatte er sie,
die ervorher nur im Frühstückszimmer, an einem Tisch,
gesehenhatte, nicht wiedererkannt.
In einemKaffeehaus trank er dann lange an dem Leitungswasser,
das manin einem Glas zu dem Kaffee servierte.
Ab und zustand er auf und holte sich eine Illustrierte
von denStapeln, die auf den eigens dazu bestimmten
Stühlenund Tischen lagen; die Serviererin, als sie einmal
die nebenihm gehäuften Illustrierten abholte, gebrauchte
imWeggehen das Wort Zeitungstisch. Bloch,
dereinerseits das Durchblättern der Zeitschriften schwer
ertrug,andrerseits kein Heft, bevor er es ganz durchgeblättert
hatte,zur Seite legen konnte, versuchte, zwischendurch
ein wenigauf die Straße zu schauen; der Gegensatz
zwischendem Illustriertenblatt und den wechselnden Bildern
draußenerleichterte ihn. Beim Hinausgehen legte er
selberdie Illustrierte auf den Tisch zurück.
DieStände auf dem Naschmarkt waren schon geschlossen.
Blochschob eine Zeitlang weggeworfenes Gemüse
und Obst,das ihm vor die Füße kam, beiläufig vor sich
hin.Irgendwo zwischen den Ständen verrichtete er die
Notdurft.Dabei sah er, daß überall die Wände der Holzbaracken
schwarzvon Urin waren.
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Autoren-Porträt von PeterHandke
Peter Handke wurde 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Erlebt bei Paris.
- Autor: Peter Handke
- 2018, 31. Aufl., 118 Seiten, Maße: 10,9 x 17,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 3518365274
- ISBN-13: 9783518365274
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