Die Bibel
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Die Bibel von ChristianNürnberger
LESEPROBE
DER KOSMOS - EIN GÖTTERDRAMA
AmAnfang schuf Gott den Himmel und die Erde. So lauten die ersten Worte des erstenKapitels der Bibel. Aber zwischen dem Ereignis und dem Bericht darüber liegenunvorstellbare fünfzehn Milliarden Jahre.
Die meisteZeit davon verschlang der Bau des Himmels, der Planeten und Galaxien. EineMilliarde Jahre lang musste die Sonne auf die Erde scheinen, bevor ersteprimitive Lebensformen entstehen konnten. Nochmal fünfhundert Millionen Jahrewaren nötig, um Vielzeller hervorzubringen, aus denen alles weitere Leben entsprang.Dieses Leben musste Eiszeiten, Vulkanausbrüche und Kometeneinschlägeüberstehen, um jenes Wesen hervorzubringen, das eines Tages schrieb Und Gottsprach: Wir wollen Menschen machen nach unserem Bild.
Wie sichdie Menschen verständigten, die vor anderthalb Millionen Jahren Werkzeugegebrauchten und Feuerstellen hinterließen, das wissen wir nicht. Über eineLautsprache verfügten sie erstmals vor 300000 Jahren, vermuten Anthropologen.Andere Forscher meinen, der Mensch habe erst vor etwa vierzigtausend Jahren zusprechen begonnen.
Hatte erschon Religion? Knochenfunde, die von Bestattungsriten zeugen, sind ungefährfünfzig- bis siebzigtausend Jahre alt; die ersten Höhlenzeichnungen, die aufreligiöse Vorstellungen schließen lassen, dreißigtausend. Irgendwanndazwischen werden also die Jäger und Sammler begonnen haben, einanderGeschichten zu erzählen, vermutlich über ihre Abenteuer bei der Jagd, ihreVorväter, über Tiergötter und die Anfänge der Welt.
Jahrtausendelanghaben unsere Ahnen diese Geschichten ausgeschmückt, verändert, vergessen, neuerfunden, mit anderen Geschichten kombiniert. Wir wissen nichts davon, dennnichts wurde aufgeschrieben, weil es noch sehr lange dauerte, bis die Schrifterfunden wurde, von den Sumerern. Das war vor fünfeinhalbtausend Jahren.
Jetzt hätteman die Erzählungen aufschreiben können. Falls dies geschah, ist dasGeschriebene für immer verloren gegangen oder noch nicht gefunden. Was wirhaben, sind zwei in Ton gemeißelte Geschichten über die Herkunft der Götter,die Entstehung der Welt und der Menschen: das Gilgamesch-Epos, das bereits eineSintflut-Geschichte enthält, die der biblischen Erzählung ähnelt, und dasbabylonische Schöpfungsgedicht «Enuma elisch».
Diese von den Babyloniern nach den Anfangsworten «Enuma elisch»(«Als droben») bezeichnete Dichtung wurde in ihrer ursprünglichen Fassungvermutlich vor 3900 Jahren geschrieben und dürfte die Vorlage für zahlreicheSchöpfungsmythen anderer Völker zwischen Griechenland, Mesopotamien und Ägyptengeliefert haben.
Als drobender Himmel noch nicht existierte und unten die Erde noch nicht entstanden war -gab es Apsu, den Ersten, ihren Erzeuger, und Schöpferin Tiamat, die sie allegebar.
So beginntein langes, feierliches Gedicht, das viele Seiten verschlänge, wollte man eshier vollständig wiedergeben. In Babylon wurde es zu Beginn jedes neuen Jahresgesungen. Nach diesem Mythos entstand die Welt aus der Vermischung von Süß- undSalzwasser. Ein Götterpaar, Apsu und Tiamat, taucht plötzlich aus dem Nichtsauf, vermählt sich, und der Süßwassergott Apsu zeugt
nun ineinem fort mit der Meeresgöttin Tiamat weitere Götter. Dann kommt es zumStreit, und aus einem nichtigen Anlass entspinnt sich ein kosmisches Drama.
Der alteApsu fühlt sich von den jungen Göttern gestört: «Am Tage habe ich nicht Ruhe,nachts schlafe ich nicht. Ich will sie verderben, ihre Wege will ichzerstreuen, Stille soll hergestellt werden, wir wollen schlafen.» Aber diejungen Götter kommen ihm zuvor. Ea, «der Gewaltige an Weisheit, der allesversteht», verzaubert den Apsu und erschlägt ihn im Schlaf.
Dafür übtTiamat, die alte Witwe, nun grausame Rache. Angestachelt von einem Gott namensKingu, erscheint sie als Urweltdrache, um die jungen Götter zu töten. Siegebiert Riesenschlangen, füllt ihren Leib mit Gift, richtet ihre tödliche Wutgegen die Mörder ihres Gatten. Meerdrachen begleiten sie, Hunde und Löwenbilden ihr Gefolge. Mit Sphinxen, Zentauren, Dämonen und gewaltigen Stürmenverbreitet sie Panik und Entsetzen unter den jungen Göttern.
Da abererscheint plötzlich Marduk, der eigentliche Held. Ihm übertragen die Jungen dieHerrschaft, und er zieht unter Blitz und Donner in den Kampf, tötet Tiamat,spaltet ihren Schädel, durchschneidet ihre Adern, schlägt am Ende den Leichnamentzwei und macht aus der einen Hälfte den Himmel und aus der anderen die Erde.Seine göttlichen Mitstreiter belohnt er mit Himmelspalästen, weist jedem eineAufgabe zu und macht sich schließlich daran, Wesen zu erschaffen, die denGöttern das Leben erleichtern. Dazu braucht Marduk ein zweites Opfer. «Wer hatTiamat zur Revolte aufgereizt?», fragt er. Und die anderen sagen: Kingu war's!«Seine Adern durchschnitten sie, aus seinem Blute schuf er die Menschheit.»
DiesesUrmodell eines Schöpfungsmythos wird in ähnlicher Gestalt noch lange dasWeltbild der antiken Menschen bestimmen, auch das griechische. Rund einJahrtausend nach der ersten Niederschrift des «Enuma elisch» schreibt derDichter Hesiod die griechische Variante.
Die Götterheißen anders, ihre Zahl ist größer, ihr Treiben bunter, aber was immer übersie erzählt wird, es folgt dem vertrauten Muster. Aus einem Urgrund, dem Chaos,entsteht die Ursprungsgöttin Gaia, die Erde, aus deren Schoß Götter wieTartaros, Eros, Erebos, Nyx, Uranos, Kronos hervorgehen und noch weitere, bis genugStoff für ein großes Drama beisammen ist. Jetzt kann das große Hassen undLieben, Morden und Rächen unter den Göttern losgehen. Kronos schlägt dem Uranosmit einer Sichel das Glied vom Leib. Aus den Blutstropfen, die in die Erderinnen, gebiert Gaia die wilden Erinnyen, die Rachegöttinnen, und die Giganten.Um das ins Meer geworfene Glied des Uranos bildet sich Schaum, und diesementsteigt die wunderschöne Aphrodite.
Am Endebezwingt Zeus, der jüngste Sohn des Kronos, die Titanen und schleudert sie inden Tartaros. Damit ist Zeus der Herr der Götter, er herrscht über den Himmelund teilt seinen Brüdern die anderen Räume zu: Poseidon das Meer, Hades dasTotenreich.
SolcheGeschichten waren in der gesamten antiken Welt im Umlauf, als das junge Volkder Juden vor 2500 Jahren seine eigene Version dagegensetzte, den großenWiderspruch eines kleinen Volkes gegen den Glauben der ganzen Welt. Es war einDonnerschlag der Weltgeschichte.
© 2005 by Rowohlt Berlin Verlag GmbH
- Autor: Christian Nürnberger
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2005, 4, 224 Seiten, Maße: 14,8 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345342
- ISBN-13: 9783871345340
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