Die Dirigentin
Roman
»Ich gebe zu, ich habe das Buch mit hellem Vergnügen gelesen.« Martin Walser
»Ich empfehle Ihnen Wolfgang Herles: Die Dirigentin.« Michael Naumann
Staatsminister Jakob Stein ist von seiner Parteichefin, der Bundeskanzlerin Christina Böckler, abserviert...
»Ich empfehle Ihnen Wolfgang Herles: Die Dirigentin.« Michael Naumann
Staatsminister Jakob Stein ist von seiner Parteichefin, der Bundeskanzlerin Christina Böckler, abserviert...
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Produktinformationen zu „Die Dirigentin “
Klappentext zu „Die Dirigentin “
»Ich gebe zu, ich habe das Buch mit hellem Vergnügen gelesen.« Martin Walser»Ich empfehle Ihnen Wolfgang Herles: Die Dirigentin.« Michael Naumann
Staatsminister Jakob Stein ist von seiner Parteichefin, der Bundeskanzlerin Christina Böckler, abserviert worden. Nun lebt er seine Leidenschaft für die Oper und klassische Musik aus. Als er in Salzburg die Dirigentin Maria Bensson kennenlernt, beginnt er, ihr durch ganz Europa nachzureisen. Ist ihre Macht über die Musik das schöne Gegenbild zur kalten Macht der Kanzlerin?
In Berlin erlebt Stein die Produktion von Wagners »Rheingold«, einer Oper über Liebe und Macht, über den Missbrauch von Macht. Als sich eine Intrige entspinnt, deren Opfer Maria zu werden droht, verschafft er ihr die Bekanntschaft der Kanzlerin. Aber statt ihm dankbar zu sein, verbündet sich die Dirigentin mit der Politikerin. Steins Schicksal ist besiegelt.
Lese-Probe zu „Die Dirigentin “
Die Dirigentin von Wolfgang HerlesEINS
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Vom Mozarteum her wehen Klavierklänge über den Mirabellgarten. Stein legt den Kopf in den Nacken und blinzelt hinauf zur blassblauen Himmelsseide. Der olivgrünen Salzach blickt er nach, dann hinüber zur weißen Burg und zu den Hauben und Spitzen der vor dem Nagelfluhfels sich staffelnden Türme. Gleich gehen wieder die Glocken los, fallen vielstimmig einander ins Wort. Und die Steine sind grau, die Gassen eng.
Stein überquert den Makartsteg und spaziert durchs Gewinkel der Altstadt. Am schattigen Waagplatz stößt er auf Trakls Geburtshaus. Die Gedenkstätte ist geschlossen. Geöffnet nur werktags zwischen elf und vierzehn Uhr, zu besichtigen nur mit Führung. Mozart hat immer geöffnet. Sein Denkmal steht einen Steinwurf entfernt im Sonnenlicht. Mozart wie Trakl haben es in Salzburg nicht ausgehalten. Wo kalt und böse / Ein verwesend Geschlecht wohnt. Das menschenleere Döllerergässchen mündet in die belebte Judengasse und die in die überfüllte Getreidegasse. Touristen und Festspielbesucher. Es riecht nach Gewitter, Kaffee, Pferdemist. Unter das Schlurfen der Flipflops mischt sich das Geklapper der Stöckelschuhe. Frauen im Dirndl und Männer in dunklen Anzügen, die Jacken noch lässig über der Schulter. Die Herausgeputzten geben das Vorspiel zum Spiel vom Sterben des reichen Mannes auf dem Domplatz.
Stein verdrückt sich in ein Kirchenschiff, ein geducktes romanisches Langhaus, dem sich ein gotischer Hallenchor anschließt. Die Madonna am Hochaltar, umhüllt von einem Kranz goldener Strahlen. Stein gefällt die Bewegung ihrer rechten Hand, es ist die Geste einer Dirigentin. Erst aus der Nähe ist zu erkennen, dass die Hand eine Traube hält. Lange sieht er sie sich an, genießt die Kühle, den Glanz.
Im Freien begegnen ihm wieder Jedermänner und Jederfrauen, jetzt in Abendkleidern und Smokings. Schon ist das Don Giovanni-Publikum auf dem Weg. Es füllt die Champagnerbars vor dem Festspielhaus. Stein aber zieht das Triangel vor, wo die Gerichte auf der Speisekarte Forelle Netrebko heißen oder Flimm-Schnittchen oder Farfalle Muti. Zwei Reihen einfacher Biergartentische, geteilt von der Wiener-Philharmoniker-Gasse. Dort ist er mit Franz verabredet.
Deine beste Freundin ist in der Stadt, sagt Franz. Du hast sie gesehen?
Hat Franz nicht. Bloß gelesen hat er es.
Womöglich siehst du sie im Don Giovanni, sagt Franz.
Es ist nicht einmal eine Premiere, wundert sich Stein, kein roter Teppich, keine Fotografen. Sie wird doch nicht bloß der Musik wegen da sein.
Du lässt an ihr wirklich kein gutes Haar.
Warum sollte ich?
Weil es dir gutgeht, sagt Franz.
Stimmt, sagt Stein.
Auch wenn er anders als früher keine Premierenkarten mehr kriegt, weder geschenkt noch sonstwie. Mit der Böckler ist er ein einziges Mal in der Oper gewesen, in Bayreuth, in ihrem Schatten, im Dienst. Höchstens vier-, fünfmal im Jahr ist er während seiner Politikerzeit in die Oper gekommen. Mehr wäre möglich gewesen, hätte Beate Interesse gezeigt. Aber in den sommerlichen Parlamentsferien hatte sie auf Urlaub an der See bestanden, war verrückt gewesen nach der Insel, nach Dünen, die er verabscheute, die unausschaltbare Windmaschine, das kackbraune Watt, die trostlosen Horizonte, auch die Schönsaufrituale unter geducktem Reetdach. Bitte! Es ist Beates Haus gewesen. Für den Fuschlsee hätten ihm Nordsee plus Ostsee gestohlen bleiben können. Doch für Salzburg war Beate nicht zu haben gewesen. Zwei, drei Tage sind ihm immer für die Festspiele geblieben, mehr nicht. Ende August, im Schlepptau von Franz, dessen Frau und ihren vier Töchtern. Stein solo. Beate mochte weder Oper noch Franz, den sie als »deinen Paartherapeuten« schmähte. Daran war nichts. Stein hätte unter keinen Umständen vorgeschlagen, sich vor Franz über ihre Ehe auszulassen. Und Franz, den Stein seit den Jahren im Internat kannte, umging feinfühlig genug das Thema, das eigentlich nicht zu umgehen war. Das so demonstrativ Geglückte am Salzburger Familienidyll war deshalb für Stein nicht immer leicht zu ertragen gewesen. Es wirkte auf ihn wie ein unausgesprochener Tadel.
Franz musste es gespürt haben. Er belästigte ihn nicht mit Ratschlägen oder gar Ermahnungen oder besorgten Fragen nach dem Zustand seiner Ehe. Stein empfand auch dies als ein Zeichen von Freundschaft.
Nachdem dann Beate gegangen war, hatte er zwar die Insel nicht mehr betreten müssen, aber für Salzburg war nun erst recht keine Zeit mehr gewesen. Denn die Böckler hatte sich seiner bemächtigt.
Franz hatte ihn nicht gewarnt. Wie auch? Stein hätte es sich so wenig gefallen lassen wie Ratschläge in Beziehungsangelegenheiten. Offenkundig war er ja auch mit Christina Böckler eine Beziehung eingegangen. Sie war, wie sich schnell herausstellte, einseitig gewesen, hatte ihn aber total beansprucht. Stein wäre trotzdem nicht zu bremsen gewesen. Sein neues Glück hieß Erfolg. Und Erfolg war damals: Wichtigsein. Wichtigsein wiederum bedeutete: wichtig für Christina. Für die Böckler. Für die Kanzlerin.
Du bist nicht gerade gesprächig, sagt Franz.
Aber zufrieden, sagt Stein. Solange mir die Böckler nicht in die Quere kommt.
Also doch, sagt Franz. Du leckst deine Wunden!
Mag sein, dass Stein der Sturz noch immer wie Hundedreck an den Schuhen klebt. Man kratzt ihn sich aus der Profilsohle, aber der Gestank ist damit noch lange nicht weg. Der bloße Gedanke daran sticht in die Nase.
Nach der Trennung von allen Ämtern hätte er sich sofort einer Anwaltsfirma anschließen, als Lobbyist anheuern, als Rächer durch die Talkshows ziehen, sein Comeback planen oder Golfstunden nehmen können. Aber er war bei seinem Sturz auf etwas geprallt, das ihm vor langer Zeit abhandengekommen war, etwas, das sich angefühlt hatte wie er selbst. Deshalb waren das alles keine brauchbaren Alternativen gewesen. Er will sich weder gepflegt hängenlassen, noch als Märtyrer bemitleiden. Das alles hat er nicht nötig, denn er hatte sich selbst gefunden. Sein Bundestagsmandat hatte er aufgegeben, sogar seinen Wohnsitz im oberschwäbischen Wahlkreis. Abschied von Ravensburg. Die Wohnung in Berlin hatte er behalten. Er ist jetzt immer da, wo die Musik spielt. Die echte. Er kann und er will es sich leisten, den Rest seines Lebens dem Wahren und Schönen zu widmen.
An deinem Gefühlsmanagement müssen wir noch arbeiten, sagt Franz.
Was verlangst du von mir?
Mein Rat ist honorarfrei und nicht verpflichtend.
Lass gut sein, sagt Stein. Ich bin weder wehleidig, noch quäle ich mich mit meinem Schicksal. Ich führe nicht einmal Tagebuch.
Franz findet, ein Tagebuch wäre keine schlechte Idee. Aber nur, wenn ich mein Gefühlsleben aus dem Text heraushalte.
Ach komm!, sagt Franz. Sieh es als glückliche Fügung. Hast du nicht immer beklagt, deine Lebenszeit mit Politik zu verschwenden? Schon vergessen? Was hast du nicht gejammert!
Ja, Stein hatte nach den ersten zwei Jahren im Kanzleramt zu jammern begonnen. Und Franz hatte damals ganz anders geredet als heute: Weißt du eigentlich, was du willst? Deutschland regieren oder Frieden mit dir selbst?
Franz hatte ihn in seinem Ministeramt sogar bewundert.
Stein war der Illusion erlegen, eine politische Beziehung sei leichter zu führen als eine Ehe, unabhängig von den beteiligten Personen, allein auf der Basis gemeinsamer Ziele. Er hatte tatsächlich geglaubt, praktische Politik werde von Vernunft gesteuert.
Jetzt will ich mich nur noch für das Schönste verschwenden, sagt Stein.
Sapperlot, sagt Franz, der Therapeut.
Wenn aber Stein zu etwas partout keine Lust hat, dann zu politischen Debatten mit Franz. Schon deshalb, weil es dem, bei aller Freundschaft, an professionellem Verständnis mangelt. Gewöhnliche Wähler, ob gebildet oder nicht, neigen einfach dazu, das Geschäft zu simpel zu sehen. Es gibt Küchenpsychologen, aber auch Küchenpolitologen.
Franz, der Wähler, besteht darauf, die Kanzlerin zu preisen. Du hast so von ihr geschwärmt, sagt er. Von ihrem Instinkt für das Mögliche. Mag sein.
Von ihrem Charme. Du willst dich nur nicht erinnern. Eine Maschine, die crushed ice ausspuckt, sagt Stein. Der Zauber war schnell erloschen. Er musste verhext gewesen sein von ihr.
Sie ist die Mächtigste!, schwärmt der Freund. Nenn mir eine Mächtigere seit Maria Theresia!
Ach Franz.
Das ist sie, ob es dir passt oder nicht.
Willst du wissen, was Christina an meinem ersten Tag im Kanzleramt gesagt hat? Sie hat gesagt: Du bist einer von fünf, die mir immer mit der Wahrheit kommen dürfen. Sie hat das wirklich gesagt.
Von diesem Augenblick an hatte Stein gewusst, dass er ihr niemals mit der Wahrheit kommen konnte. Er hatte es nur nicht wahrhaben wollen.
Ich hätte es wissen müssen, sagt Stein.
Nicht so laut! Die Leute ...
Sie hat ein harmloses Gesicht, aber Augen, kalt wie ein Nachtsichtgerät, sagt Stein. So ist sie. Genau so.
Sie hatte ihm sein Todesurteil per SMS zugestellt. Auf eine merkwürdige Art persönlich.
Du warst einer ihrer engsten Vertrauten. Und stolz darauf, erinnert ihn Franz.
Sie vertraut nicht mal sich selbst.
Aber du hast es jahrelang akzeptiert.
Jahre habe ich damit zugebracht, faule Kompromisse zu inszenieren. Die faulsten Kompromisse sind die mit mir selbst gewesen.
Ist es das, was du dir nicht verzeihen kannst?, fragt Franz. Dass du dich geirrt hast in ihr?
Ich wollte nicht wahrhaben, dass sie keinen Bedarf hat für etwas, das Richtung oder Haltung genannt werden könnte. Für dergleichen hat sie keine Verwendung. Wo sie doch sich selber hat.
Für Haltungen wird sie nicht gewählt. Die Leute mögen sie, weil sie das Volk vor Politik verschont.
Das ist wahrscheinlich tatsächlich das Geheimnis ihres Erfolgs, sagt Stein.
Ihr Geheimnis ist, dass sie keines hat, sagt Franz.
Du solltest in die Politik wechseln. Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Beim Überqueren der Hofstallgasse läuft Stein beinahe in einen Fiaker. Im letzten Moment hält Franz ihn zurück. Stein spürt, wie er angestarrt wird, spürt die Blicke im Rücken. Er ist erkannt worden. Noch immer wird er erkannt. Wie beunruhigt wäre er erst, würde er es nicht. Spräche ihn aber jemand an, wüsste er nicht, wie er antworten sollte. Will er vermisst werden? Es wäre doch das Peinlichste. Es ist nicht einfach, ein anderer sein zu wollen.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Vom Mozarteum her wehen Klavierklänge über den Mirabellgarten. Stein legt den Kopf in den Nacken und blinzelt hinauf zur blassblauen Himmelsseide. Der olivgrünen Salzach blickt er nach, dann hinüber zur weißen Burg und zu den Hauben und Spitzen der vor dem Nagelfluhfels sich staffelnden Türme. Gleich gehen wieder die Glocken los, fallen vielstimmig einander ins Wort. Und die Steine sind grau, die Gassen eng.
Stein überquert den Makartsteg und spaziert durchs Gewinkel der Altstadt. Am schattigen Waagplatz stößt er auf Trakls Geburtshaus. Die Gedenkstätte ist geschlossen. Geöffnet nur werktags zwischen elf und vierzehn Uhr, zu besichtigen nur mit Führung. Mozart hat immer geöffnet. Sein Denkmal steht einen Steinwurf entfernt im Sonnenlicht. Mozart wie Trakl haben es in Salzburg nicht ausgehalten. Wo kalt und böse / Ein verwesend Geschlecht wohnt. Das menschenleere Döllerergässchen mündet in die belebte Judengasse und die in die überfüllte Getreidegasse. Touristen und Festspielbesucher. Es riecht nach Gewitter, Kaffee, Pferdemist. Unter das Schlurfen der Flipflops mischt sich das Geklapper der Stöckelschuhe. Frauen im Dirndl und Männer in dunklen Anzügen, die Jacken noch lässig über der Schulter. Die Herausgeputzten geben das Vorspiel zum Spiel vom Sterben des reichen Mannes auf dem Domplatz.
Stein verdrückt sich in ein Kirchenschiff, ein geducktes romanisches Langhaus, dem sich ein gotischer Hallenchor anschließt. Die Madonna am Hochaltar, umhüllt von einem Kranz goldener Strahlen. Stein gefällt die Bewegung ihrer rechten Hand, es ist die Geste einer Dirigentin. Erst aus der Nähe ist zu erkennen, dass die Hand eine Traube hält. Lange sieht er sie sich an, genießt die Kühle, den Glanz.
Im Freien begegnen ihm wieder Jedermänner und Jederfrauen, jetzt in Abendkleidern und Smokings. Schon ist das Don Giovanni-Publikum auf dem Weg. Es füllt die Champagnerbars vor dem Festspielhaus. Stein aber zieht das Triangel vor, wo die Gerichte auf der Speisekarte Forelle Netrebko heißen oder Flimm-Schnittchen oder Farfalle Muti. Zwei Reihen einfacher Biergartentische, geteilt von der Wiener-Philharmoniker-Gasse. Dort ist er mit Franz verabredet.
Deine beste Freundin ist in der Stadt, sagt Franz. Du hast sie gesehen?
Hat Franz nicht. Bloß gelesen hat er es.
Womöglich siehst du sie im Don Giovanni, sagt Franz.
Es ist nicht einmal eine Premiere, wundert sich Stein, kein roter Teppich, keine Fotografen. Sie wird doch nicht bloß der Musik wegen da sein.
Du lässt an ihr wirklich kein gutes Haar.
Warum sollte ich?
Weil es dir gutgeht, sagt Franz.
Stimmt, sagt Stein.
Auch wenn er anders als früher keine Premierenkarten mehr kriegt, weder geschenkt noch sonstwie. Mit der Böckler ist er ein einziges Mal in der Oper gewesen, in Bayreuth, in ihrem Schatten, im Dienst. Höchstens vier-, fünfmal im Jahr ist er während seiner Politikerzeit in die Oper gekommen. Mehr wäre möglich gewesen, hätte Beate Interesse gezeigt. Aber in den sommerlichen Parlamentsferien hatte sie auf Urlaub an der See bestanden, war verrückt gewesen nach der Insel, nach Dünen, die er verabscheute, die unausschaltbare Windmaschine, das kackbraune Watt, die trostlosen Horizonte, auch die Schönsaufrituale unter geducktem Reetdach. Bitte! Es ist Beates Haus gewesen. Für den Fuschlsee hätten ihm Nordsee plus Ostsee gestohlen bleiben können. Doch für Salzburg war Beate nicht zu haben gewesen. Zwei, drei Tage sind ihm immer für die Festspiele geblieben, mehr nicht. Ende August, im Schlepptau von Franz, dessen Frau und ihren vier Töchtern. Stein solo. Beate mochte weder Oper noch Franz, den sie als »deinen Paartherapeuten« schmähte. Daran war nichts. Stein hätte unter keinen Umständen vorgeschlagen, sich vor Franz über ihre Ehe auszulassen. Und Franz, den Stein seit den Jahren im Internat kannte, umging feinfühlig genug das Thema, das eigentlich nicht zu umgehen war. Das so demonstrativ Geglückte am Salzburger Familienidyll war deshalb für Stein nicht immer leicht zu ertragen gewesen. Es wirkte auf ihn wie ein unausgesprochener Tadel.
Franz musste es gespürt haben. Er belästigte ihn nicht mit Ratschlägen oder gar Ermahnungen oder besorgten Fragen nach dem Zustand seiner Ehe. Stein empfand auch dies als ein Zeichen von Freundschaft.
Nachdem dann Beate gegangen war, hatte er zwar die Insel nicht mehr betreten müssen, aber für Salzburg war nun erst recht keine Zeit mehr gewesen. Denn die Böckler hatte sich seiner bemächtigt.
Franz hatte ihn nicht gewarnt. Wie auch? Stein hätte es sich so wenig gefallen lassen wie Ratschläge in Beziehungsangelegenheiten. Offenkundig war er ja auch mit Christina Böckler eine Beziehung eingegangen. Sie war, wie sich schnell herausstellte, einseitig gewesen, hatte ihn aber total beansprucht. Stein wäre trotzdem nicht zu bremsen gewesen. Sein neues Glück hieß Erfolg. Und Erfolg war damals: Wichtigsein. Wichtigsein wiederum bedeutete: wichtig für Christina. Für die Böckler. Für die Kanzlerin.
Du bist nicht gerade gesprächig, sagt Franz.
Aber zufrieden, sagt Stein. Solange mir die Böckler nicht in die Quere kommt.
Also doch, sagt Franz. Du leckst deine Wunden!
Mag sein, dass Stein der Sturz noch immer wie Hundedreck an den Schuhen klebt. Man kratzt ihn sich aus der Profilsohle, aber der Gestank ist damit noch lange nicht weg. Der bloße Gedanke daran sticht in die Nase.
Nach der Trennung von allen Ämtern hätte er sich sofort einer Anwaltsfirma anschließen, als Lobbyist anheuern, als Rächer durch die Talkshows ziehen, sein Comeback planen oder Golfstunden nehmen können. Aber er war bei seinem Sturz auf etwas geprallt, das ihm vor langer Zeit abhandengekommen war, etwas, das sich angefühlt hatte wie er selbst. Deshalb waren das alles keine brauchbaren Alternativen gewesen. Er will sich weder gepflegt hängenlassen, noch als Märtyrer bemitleiden. Das alles hat er nicht nötig, denn er hatte sich selbst gefunden. Sein Bundestagsmandat hatte er aufgegeben, sogar seinen Wohnsitz im oberschwäbischen Wahlkreis. Abschied von Ravensburg. Die Wohnung in Berlin hatte er behalten. Er ist jetzt immer da, wo die Musik spielt. Die echte. Er kann und er will es sich leisten, den Rest seines Lebens dem Wahren und Schönen zu widmen.
An deinem Gefühlsmanagement müssen wir noch arbeiten, sagt Franz.
Was verlangst du von mir?
Mein Rat ist honorarfrei und nicht verpflichtend.
Lass gut sein, sagt Stein. Ich bin weder wehleidig, noch quäle ich mich mit meinem Schicksal. Ich führe nicht einmal Tagebuch.
Franz findet, ein Tagebuch wäre keine schlechte Idee. Aber nur, wenn ich mein Gefühlsleben aus dem Text heraushalte.
Ach komm!, sagt Franz. Sieh es als glückliche Fügung. Hast du nicht immer beklagt, deine Lebenszeit mit Politik zu verschwenden? Schon vergessen? Was hast du nicht gejammert!
Ja, Stein hatte nach den ersten zwei Jahren im Kanzleramt zu jammern begonnen. Und Franz hatte damals ganz anders geredet als heute: Weißt du eigentlich, was du willst? Deutschland regieren oder Frieden mit dir selbst?
Franz hatte ihn in seinem Ministeramt sogar bewundert.
Stein war der Illusion erlegen, eine politische Beziehung sei leichter zu führen als eine Ehe, unabhängig von den beteiligten Personen, allein auf der Basis gemeinsamer Ziele. Er hatte tatsächlich geglaubt, praktische Politik werde von Vernunft gesteuert.
Jetzt will ich mich nur noch für das Schönste verschwenden, sagt Stein.
Sapperlot, sagt Franz, der Therapeut.
Wenn aber Stein zu etwas partout keine Lust hat, dann zu politischen Debatten mit Franz. Schon deshalb, weil es dem, bei aller Freundschaft, an professionellem Verständnis mangelt. Gewöhnliche Wähler, ob gebildet oder nicht, neigen einfach dazu, das Geschäft zu simpel zu sehen. Es gibt Küchenpsychologen, aber auch Küchenpolitologen.
Franz, der Wähler, besteht darauf, die Kanzlerin zu preisen. Du hast so von ihr geschwärmt, sagt er. Von ihrem Instinkt für das Mögliche. Mag sein.
Von ihrem Charme. Du willst dich nur nicht erinnern. Eine Maschine, die crushed ice ausspuckt, sagt Stein. Der Zauber war schnell erloschen. Er musste verhext gewesen sein von ihr.
Sie ist die Mächtigste!, schwärmt der Freund. Nenn mir eine Mächtigere seit Maria Theresia!
Ach Franz.
Das ist sie, ob es dir passt oder nicht.
Willst du wissen, was Christina an meinem ersten Tag im Kanzleramt gesagt hat? Sie hat gesagt: Du bist einer von fünf, die mir immer mit der Wahrheit kommen dürfen. Sie hat das wirklich gesagt.
Von diesem Augenblick an hatte Stein gewusst, dass er ihr niemals mit der Wahrheit kommen konnte. Er hatte es nur nicht wahrhaben wollen.
Ich hätte es wissen müssen, sagt Stein.
Nicht so laut! Die Leute ...
Sie hat ein harmloses Gesicht, aber Augen, kalt wie ein Nachtsichtgerät, sagt Stein. So ist sie. Genau so.
Sie hatte ihm sein Todesurteil per SMS zugestellt. Auf eine merkwürdige Art persönlich.
Du warst einer ihrer engsten Vertrauten. Und stolz darauf, erinnert ihn Franz.
Sie vertraut nicht mal sich selbst.
Aber du hast es jahrelang akzeptiert.
Jahre habe ich damit zugebracht, faule Kompromisse zu inszenieren. Die faulsten Kompromisse sind die mit mir selbst gewesen.
Ist es das, was du dir nicht verzeihen kannst?, fragt Franz. Dass du dich geirrt hast in ihr?
Ich wollte nicht wahrhaben, dass sie keinen Bedarf hat für etwas, das Richtung oder Haltung genannt werden könnte. Für dergleichen hat sie keine Verwendung. Wo sie doch sich selber hat.
Für Haltungen wird sie nicht gewählt. Die Leute mögen sie, weil sie das Volk vor Politik verschont.
Das ist wahrscheinlich tatsächlich das Geheimnis ihres Erfolgs, sagt Stein.
Ihr Geheimnis ist, dass sie keines hat, sagt Franz.
Du solltest in die Politik wechseln. Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Beim Überqueren der Hofstallgasse läuft Stein beinahe in einen Fiaker. Im letzten Moment hält Franz ihn zurück. Stein spürt, wie er angestarrt wird, spürt die Blicke im Rücken. Er ist erkannt worden. Noch immer wird er erkannt. Wie beunruhigt wäre er erst, würde er es nicht. Spräche ihn aber jemand an, wüsste er nicht, wie er antworten sollte. Will er vermisst werden? Es wäre doch das Peinlichste. Es ist nicht einfach, ein anderer sein zu wollen.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Wolfgang Herles
Wolfgang Herles, geboren 1950, war über zehn Jahre Redaktionsleiter und Moderator des ZDF-Kulturmagazins 'aspekte' und macht heute die Büchersendung 'Das blaue Sofa'. Bis 1991 war er Leiter des ZDF-Studios in Bonn. Herles drehte zahlreiche große Porträtfilme, entwickelte unter anderem die Sendung 'Bonn direkt' (jetzt 'Berlin direkt') und moderierte verschiedene Talkshows; darüber hinaus ist er Autor zahlreicher politischer Sachbücher. Zuletzt erschien sein Roman 'Die Dirigentin'.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfgang Herles
- 2012, 1. Auflage, 240 Seiten, Maße: 12,5 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596188431
- ISBN-13: 9783596188437
- Erscheinungsdatum: 08.10.2012
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